ibrary of
Brinretan Universiti.
The Cigkty Fight Fibrarn
of
Eronomirs.
WEE
JAHRBÜCHER
FÜR NATIONALÖKONOMIE
UND STATISTIK
GEGRÜNDET VON
BRUNO HILDEBRAND
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. J. CONRAD
PROF. IN HALLE A. 8.
IN VERBINDUNG MIT
Dr. EDG. LOENING Dr. W. LEXIS t Dr. H. WAENTIG
PROF, IN HALLE A. S. PROF. IN GÖTTINGEN PROF. IN HALLE A. 8.
103. BAND
II. FOLGE 48. BAND
1914. Il
JENA
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1914
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt des 48. Bandes, dritte Folge. (103. Bd.)
I. Abhandlungen.
Blank, Die Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerver-
bänden. 8. 305.
Friedmann, Arthur, Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 8. 433,
Derselbe, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 8. 1.
Schönheyder, K., Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirt-
schaft. S. 577.
Stolzmann, Rudolf, Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorga-
nischen Methode. S. 145.
Tiburtius, Joachim, Der Begriff des Bedürfnisses. Seine psychologische Grund-
lage und seine Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaft. S. 721.
II. Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bendix, L. u. Jastrow, J., Die amerikanische Bankreform. S. 599.
Gesetzgebung, Die wirtschaftliche, Preußens im Jahre 1913. S. 52.
Stöwesand, Walther, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der kleineren deutschen
Bundesstaaten im Jahre 1913. 8. 324.
— —, Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreichs. S. 464.
III. Miszellen.
Berger, Karl, Die Muttersprache der ausländischen weißen Bevölkerung der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika. S. 483.
Dietrich, Rud., Zur Ordnung unserer Wissenschaft. S. 390.
Földes, Béla, Nachtrag zu der Abhandlung: Bemerkungen zu dem Problem Lorenz
Stein—Karl Marx (3. Folge Bd. 47 S. 289). S. 820.
Hoffmann, Walter, Die geschichtliche Entwicklung des Depositenkassenwesens in
Deutschland. S. 802.
Jaeckel, Reinhold, Die Geburten-, Heirats-, Sterbe- und Geburtenüberschußziffern
in den hauptsächlichsten Kulturstaaten der Welt 1801—1911. 8. 86.
Kesten-Conrad, Else, Jahresbericht des Kgl. Württembergischen Landeswohnungs-
inspektors für die Jahre 1911 und 1912. 8. 817.
Kobatsch, Rud., Der Streit um die Weltwirtschaftsiehre. S. 486.
Koch, P., Zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter. S. 469.
Köppe, H., Die Tarifverträge im Deutschen Reiche am Ende des Jahres 1912. 8. 382,
Lehmann, Artur, Die Hauptwerte und ihre Verwendung in der Preisstatistik. S. 495.
Müller, Ernst, Ueber die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern. 8. 791.
— —, Einige wesentliche Ergebnisse der ersten Veranlagung zur bayerischen all-
‚gemeinen Einkommensteuer. S. 506.
‚Müller, Johannes, Der Personenverkehr in Berlin und Paris. S. 397.
Plitzner, Bemerkungen zu der Streitfrage: Ist die Statistik eine Methode oder eine
Wissenschaft? S. 640.
Schwarzwald, H., Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung. 8. 60.
Tan, A., Die statistische Beobachtung des Wohnungsbedarfs der Eheschließenden.
Strehlow, Die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert. S. 501.
— —, Die Industriebezirke und Industriegemeinden. $S. 809.
Syru P, Friedrich, Die Arbeitszeit in der Großeisenindustrie. Bearbeitet nach den
Jahresberichten der Königl. Preuß. Regierungs- und Gewerberäte für 1913. S. 193.
Uhl, K., Die Bedeutung und bisherigen Erfolge der deutschen Ueberlandzentralen. 8. 652.
Viehstandes, Die Entwicklung des — während der letzten Dezennien in den hauptsäch-
Debaten Staaten Europas. S. 649.
IV Inhalt,
Waentig, Heinr., Die japanische Statistik als wissenschaftliches Quellenmaterial. S. 244.
Derselbe, Erklärung. 8. 261.
v. Wiese, L., Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages (vom 20.—22. Ok-
tober 1912 in Berlin). 8. 373.
Winkelmann, Käte, Wohnungsfürsorge in England. 8. 344.
Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonatsbilanzen und der Jahresschlußbilanzen
inländischer Kreditbanken nebst Deckungsziffern für das Jahr 1913. 8. 225.
IV. Literatur.
a) Berichte und Sammelreferate.
Bächtold, H., Der norddeutsche Handel im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert.
(Karl Heldmann.) 8. 667.
Elster, Alexander, Kinoliteratur (Sammelreferat). 8. 821.
Helander, Sven, Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt $S. 673.
Hoetzsch, Otto, Rußland. Eine Einführung auf Grund seiner Geschichte von 1904
—1913. (Th. H. Pantenius.) S. 511.
Klein, Franz, Justizminister a. D., Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des
Rechtes der Erwerbsgesellschaften. (Paul Rehme.) S. 91.
Verhandlungen des ständigen Arbeitsbeirates über den Entwurf eines Gesetzes betr. die
Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit. (P. Arndt.) 8. 262.
b) Rezensierte Schriften.
Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert.
Hrsg. von der Kgl. Akademie der Wissenschaften. (K. Heldmann.) 8. 686.
1) Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahr-
hundert. V. Bd. 2. Hälfte: Akten vom 4. Januar 1736 bis 31. Mai 1740, bearb.
von G. Schmoller und W. Stolze.
2) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Getreidehandelspolitik. III. Bd. Die Ge-
treidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Preußens 1740—1756. Darstellung
und Getreidepreisstatistik von W. Naudé und A. Skalweit. Akten bearb. von
G. Schmoller, W. Naud& und A. Skalweit.
3) — — — Münzwesen. IL.—IV. Bd. Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert.
Münzgeschichtlicher Teil. Darstellung von Fr. Frhr. v. Schrötter. Akten bearb.
von G. Schmoller und Fr. Frhr. v. Schrötter.
4) — — — Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. I. Bd. Die Handels-, Zoll- und Ak-
zisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713. Darstellung von H. Rachel. Mit einer
Karte des mittleren Staatsgebiets.
Ansiedlung, die, von Europäern in den Tropen. 2. Bd. Mit Beiträgen von Prof. Dr.
Karl Sapper, Prof. Dr. van Blom und Dr. J. A. Nederburgh: Mittelamerika, Kleine
Antillen, Niederländisch-West- und Ostindien. (Golf.) 8. 101.
Arnold, Ernst Günther, Untersuchungen über die Diskontierung von Buchforde-
rungen und ihre volkswirtschaftl. Bedeutung in Deutschland. (Hans Crüger.) S. 699.
Bauer, Friedrich, Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum Ende des 17. Jahrhun-
derts. (Abhandl. zur mittleren und neueren Geschichte) (Gustav Aubin.) 8. 530.
Bernhard, E., Die Vergebung der öffentlichen Arbeiten in Deutschland im Kampf
gegen die Arbeitslosigkeit. (Schriften der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit, Heft 1.) (E. Schwiedland.) S. 123.
Boerner, A., Kölner Tabakhandel und Tabakgewerbe. 1628—1910. (Veröffentlichungen
des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln, Bd. 2.) (Kuske.) S. 692.
Borchard, Kurt, Die Wirkung der Getreidezölle auf die Getreidepreise; mit einem
Anhang: Die Gregory-Kingsche Regel. (Leonhard.) 8. 407.
Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittelalter. (Abhandlungen
der philologisch-historischen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften. 30. Bd.) (Gustav Aubin.) BR 689.
Buchforderungseskomptes, DieKosten des—. Hrsg. von der Evidenzzentrale
für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.) 8. 701.
Buchforderungseskomptes, Zur Kritik des —. Ein Vortrag, gehalten im
Wiener Kaufmännischen Verein am 21. April 1914 von Dr. Max Sokal, Sekretär der
Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.)
8. 701.
Inhalt, v
Cahn, Julius, Münz- und Geldgeschichte der im Großherzogtum Baden vereinigten
Gebiete. Herausgeg. von der Badischen Historischen Kommission. I. Teil: Münz-
und Geldgeschichte von Konstanz und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum
Reichsmünzgesetz von 1559. Mit 10 Tafeln und 1 Karte. (Karl Bräuer.) 8.115.
Carver, Thomas-Nixon, La répartition des richesses. Traduit par Roger Picard.
Bibliothèque internationale d’&conomie politique. (R. Liefmann.) 8. 682.
Conrad, J., Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. Forts. des 4. Teils:
Gewerbestatistik. Von A. Hesse. 2. Aufl. (A. Hesse.) 8. 525.
Corn&lissen, Christian, Théorie de la valeur avec une röfutation des théories de
Rodbertus, Karl Marx, Stanley Jevons et Böhm-Bawerk. (Otto Conrad.) 8. 95.
Denkschrift zu dem technischen Entwurf einer Main-Donau-Wasserstraße mit Anschluß
der Städte München und Augsburg, bearbeitet von Theodor Gebhardt, verlegt von
dem Verein f. Hebung d. Fluß- u. Kanalschiffahrt in Bayern. (Paul Ritter.) S. 412.
Dewavrin und Lecarpentier, La Protection légale des travailleurs aux Etats-Unis
avec exposé comparatif de la Législation française. (H. Köppe.) S. 286.
Dittmer, Hans, Depositenbanken eines Agrarlandes. Eine vergleichende Untersuchung
der Banken Mecklenburgs. (Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 10. Heft.)
(H. Hilbert.) S. 415.
Dorno, Friedrich, Der Fläming und die Herrschaft Wiesenburg. Agrar-historische
Studien aus den nördlichen Aemtern des sächsischen Kurkreises. (Schmollers For-
schungen) (Gustav Aubin.) 8. 531.
Eickemeyer, W., Zur Frage der zweiten Hypothek beim privaten großstädtischen
Wohnhausbau und -besitz in Deutschland. Tübinger Staatswissenschaftliche Abhand-
lungen. (H. Meltzer.) 8. 702.
Elewyck, Ernest van, La Banque Nationale de Belgique. Les Théories et les
Faits. 2 Teile. (Sven Helander.) S. 111.
Ewald, Walther, Soziale Medizin. Ein Lehrbuch für Aerzte, Studierende, Medizinal-
und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen. (Alexander
Elster.) S. 295.
Festgabe zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen Justizrats Prof. Dr. Rießer. (J.C.) S. 95.
Fischer, Alfons, Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem Jahre 1800, ein
Vorbild für die Gegenwart. (Alexander Elster.) S. 849.
Forberger (Pastor), Joh., Moralstatistik Süddeutschlands. (Ernst Müller.) S. 572.
Frankfurter Amts- und Zunfturkunden bis zum Jahre 1612. Hrsg. von Karl Bücher
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gek Dr. Käte, Die Heimarbeit, das jüngste Problem des Arbeitsschutzes. (H. Kö ppe.)
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Gini, G., Variabilità e MutabilitA. Contributo allo studio delle distribuzioni e delle
relazioni statistiche. Fasc.-I. (W. Lexis ł) S. 403.
YET Theodore W., The government of american trade unions. (H. Köppe.)
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Grass], Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursachen und seine Bekäm-
pfung. (Sammlung Kösel, Bändchen 71.) (Ernst Müller.) 8. 535.
Groß, Lothar, Beiträge zur städtischen Vermögensstatistik des 14. und 15. Jahr-
hunderts in Oesterreich (Forschungen zur inneren Geschichte Oesterreichs, hrsg. von
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Haaß, Friedrich, Weltpostverein und Einheitsporto (Welt-Pennyporto). (Erwin
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Halbwachs, La classe ouvrière et les niveaux de vie. Recherches sur la hiérarchie
des besoins dans les sociétés industrielles contemporaines. (H. Köppe.) S. 562.
Haney, L. H., Business Organization and Combination. (R. Liefmann.) S. 521.
Haret, Sp. C., Mécanique sociale. (W. Lexis +) S. 267.
Heber, E. A., Japanische Industriearbeit. Eine wirtschafts-wissenschaftliche und kul-
turhistorische Studie. (Ernst Grünfeld.) S. 409.
Helfferich, Karl, Deutschlands Wohlstand 1888—1913. (J. Conrad.) S. 532.
Hemmerle, E., Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage auf dem ersten
Vereinigten Landtag (1847). (Studien zur rheinischen Geschichte, herausg. von Dr.
A. Ahn, 2. Heft.) (F. Hartung.) S. 130.
Hennig, Richard, Die Hauptwege des Weltverkehrs. (Friedr. Hoffmann.) S. 694.
NI Inhalt,
Hersch, L., Le Juif errant d’aujourd’hui. Études sur l’&migration des Isra&lites de
l’Europe orientale aux États-Unis de l’Am&rique du Nord. (Mombert.) S. 104.
Hirsch, Julius, Die Filialbetriebe im Detailhandel unter hauptsächlicher Berück-
sichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in Deutschland und Belgien.
(Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben, Heft 1.) (Marcard.) S. 276.
Hirsch, Max, Fruchtabtreibung und Präventivverkehr im Zusammenhang mit dem
Geburtenrückgang. (Henr. Fürth.) S. 533.
Jacob, Eduard, Volkswirtschaftliche Theorie der Genossenschaften. (Tübinger Staats-
wissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs in Verbindung mit
Ludwig Stephinger, Neue Folge Heft 1.) (Hans Schönitz.) S. 125.
Jacobs, Paul, Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel. (Walter
Pinner.) 8. 844.
Jahrbuch für Verkehrswissenschaften. Hrsg. von F. Peitgen. Schriftleitung Adolf Goetz,
Hamburg. Schleswig, J. Ibbeken. (Paul Ritter.) S. 548.
Jenny, J., Der Teilbau, nebst der Monographie eines Teilbaugroßbetriebes in Rußland
aus der Zeit von 1891—1910. (Leonhard.) S. 538.
Industrie, Die deutsche —. Festgabe zum 25-jährigen Regierungsjubiläum S. Majestät
des Kaisers und Königs Wilhelm II. Dargebracht von Industriellen Deutschlands
1913. (M. Rusch.) S. 545.
Käding, Emil, Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den Rheinlanden während
der Jahre 1815—40. (Studien zur rheinischen Geschichte. 8. Heft.) (Gustav
Aubin.) S. 282.
Kaiser, Carl, Die Wirkungen des Handwerkergesetzes in Württemberg und Baden.
(Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs,
4. Heft) (Erhard Schmidt.) S. 543.
Kleemann, Kurt, Die Sozialpolitik der Reichs- Post- und Telegraphenverwaltung
gegenüber ihren Beamten, Unterbeamten und Arbeitern. (Abhandlungen des Staats-
wissenschaftlichen Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. Pierstorff, Bd. 14, Heft 1.)
(Erwin Günther.) S. 844.
Knauth, Oswald Whitman, The policy of the United States towards Industrial
Monopoly. Studies in history, economies and public law edited by the faculty of
political science of Columbia University. (Robert Liefmann.) S. 539.
Köhler, Walter, Die deutsche Nähmaschinenindustrie. (Zitzlaff.) S. 174.
Krakauer, V., Ueber den gerechten Preis für Eisenbahnleistungen. (Ernst Müller.)
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Kuczynski, R., Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika 1870—1901.
(H. Herkner.) S. 708.
Lachmann, Karl, Die Unfallverhütung in der Baumwollspinnerei, ihre Entwicklung,
Wirtschaftlichkeit und Erfolge. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen
Hochschulen. Neue Folge Heft 23.) (Schultze.) 8. 123.
Lederle, K., Die Lebensversicherung, unter besonderer Berücksichtigung ihrer recht-
lichen Beziehungen zum ehelichen Güterrecht, Erb- und Konkursrecht, sowie ihrer
Besteuerung. (H. Meltzer.) S. 284.
de Leener, G., La politique des transports en Belgique. (A. e, der Leyen.) 8.549.
Madelung, Ernst, Die Entwicklung der deutschen Portland-Zement-Industrie von
ihren Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der Kartelle.
(Richard Passow.) S. 546.
Mamroth, Karl, Gewerblicher Konstitutionalismus. Die Arbeitstarifverträge in ihrer
volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. (H. Köppe.) S. 704.
Mann, Fritz Karl, Der Marschall Vauban und die Volkswirtschaftslehre des Ab-
solutismus. Eine Kritik des Merkantilsystems. (Axel Nielsen.) S. 684.
Marschall von Bieberstein, Freih., Landrat des Unterwesterwaldkreises, Die Spar-
pflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage. (Dr. Else Kesten-Conrad.) S. 565.
Meyer, Paul, Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. (J. Conrad.) 8. 289.
Michels, Robert, Probleme der Sozialphilosophie. („Wissenschaft und Hypothese“,
Bd. 18.) (Karl Pribram.) 8. 268.
Misselwitz, Alfred, Die Entwicklung des Gewerbes in Halle a. S. während des
19. Jahrhunderts. (68. Bd. der „Sammlung nationalökonomischer und statistischer
Abhandlungen des Staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. S., hrsg. von Prof.
Dr. Joh. Conrad.) (Kurt Krüger.) S. 106.
Inhalt. VU
Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des Königreiches Böhmen, Bd. XVIII,
Heft 2: Anbau- und Erntestatistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der land-
wirtschaftlichen Industrie im Königreiche Böhmen für die Betriebsperiode 1911/12.
Erster Teil: Text. Deutsche Ausgabe, (Thieme.) S. 293.
Moheau, Recherches et Considerations sur la Population de la France 1778. Col-
lection des Economistes et des R&formateurs sociaux de la France. Publié avec in-
troduction et table analytique par René Gonnard, Professeur d’histoire des doctrines
économiques et d’économie politique à la Faculté de Droit de PUniversité de Lyon.
(A. Günther.) S. 516.
Moses, Robert, The Civil Service of Great Britain. Studies in History, Economics
and Public Law, edited by the Faculty of Political Science of Columbia University.
(Köllreuter.) S. 567.
Norton, Thomas H., Die chemische Industrie in Belgien, Holland, Norwegen und
Schweden. Ins Deutsche übertragen und ergänzt von H. Großmann. (Richard
Passow.) 8. 107.
Oftergeld, Wilhelm, Dr. iur. et phil., Grundlagen und Ursachen der industriellen
Entwicklung Ungarns.. Nebst einem Anhange über die wirtschaftswissenschaftliche
Literatur Ungarns. Probleme des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der
Univ. Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Bd. 17. (B. F.) S. 838.
Oesterreichische Weistümer, 10. Bd., Steirische Taidinge (Nachträge), Im Auftrage der
Kaiser), Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Anton Mell und Eugen Frei-
herrn v. Müller. (Hermann Aubin.) S. 100.
Osborne, Algernon Ashburner, Speculation on the New York Stoek Exchange,
September 1904—March 1907. (v. Reibnitz.) S. 557.
Perlick, A., Die Luftstickstoffindustrie in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung.
(P. Holdefleiß.) 8. 542. d
Perlmann, Louis, Die Bewegung der Weizenpreise und ihre Ursachen. (J.C.) S. 274.
Pöller, Richard, Die Gefahren des Bergbaues und die Grubenkontrolle im Ruhr-
revier., (Schrader.) S. 271.
Praxis, Die der kommunalen und sozialen Verwaltung. II. Kursus: Die neuen Auf-
gaben der Sozialversicherung in der Praxis. (J. Conrad.) S. 846.
Rechtsfragen des Arbeitstarifvertrags: 1. Haftung. — Abdingbarkeit, von Prof. Dr. W.
Zimmermann. 2. Brauchen wir ein Arbeitstarifgesetz? von Rechtsanwalt Dr. Hugo
Sinzheimer. (Heft 42/43 und Heft 44 der Schriften der Gesellschaft für soziale Re-
form.) (H. Köppe.) S. 120.
Reinhardt, E., Die Kupferversorgung Deutschlands und die Entwicklung der deut-
schen Kupferbörsen. .(Schrader.) S. 537.
Both, Paul, Die Neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert.
(Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig, Bd. 43.)
(Alexander Elster.) S. 405.
Salin, Edgar, Die wirtschaftliche Entwicklung von Alaska (und Yukon Territory);
ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Konzentrationsbewegung. Erg.-Heft XII
zum Arch. f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik. (Robert Liefmann.) S. 832.
an Hermann, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen Türkei. (Paul Ritter.)
. 546.
Schmidt, O., Die Reichseinnahmen Ruprechts von der Pfalz. (Leipziger Historische
Abhandlungen, hrsg. von E. Brandenburg, G. Seeliger, U. Wilcken, Heft 30.)
(F. Hartung.) S. 533.
Schneider, Oswald, Bismarcks Finanz- und Wirtschaftspolitik. (Staats- und sozial-
wissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Schmoller und Sering, Heft 166.) (Georg
Brodnitz.) S. 269.
Schrameier, W., Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer- und Zollpolitik
des Kiautschougebietes. (Ernst Grünfeld.) S. 537.
Simkhovitch, Vladimir G., Marxism versus socialism. (Ernst Grünfeld.) S. 681.
— —, Marxismus gegen Sozialismus. Uebers. von Th. Jappe. (Ernst Grün-
feld.) 8. 681.
Sowers, Don C., Professor of Municipalities, The financial history of New York State
from 1789 to 1912. (W. D. Preyer.) S. 551.
Statistisches Handbuch des Königreiches Böhmen; II. Ausgabe (Deutsche Ausgabe). Zu-
sammengest. vom Statist. Landesbureau des Königreiches Böhmen S. 293.
VIII Inhalt,
Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern. 1913, Jahrg. 12. (J. Conrad.)
8. 572.
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jahrg. 34, 1913. (J. Conrad.)
S. 848.
Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat. 1913, Bd. 11. (J. Conrad.)
8. 425.
Statistische Rückblicke aus Oesterreich. (Ernst Grünfeld.) S. 134.
Straus, Walter, Die deutschen Ueberlandzentralen und ihre wirtschaftliche Bedeutung
als Kraftquelle für den Kleinbetrieb in Landwirtschaft und Gewerbe. (K. Uhl.) S. 544.
Timpe, Die Organisation des Magdeburger Zuckerhandels. S. 842.
Trautwein, Carl, Ueber Ferdinand Lassalle und sein Verhältnis zur Fichteschen
Sozialphilosophie. (Karl Pribram.) S. 524.
Uhlich, Theodor, Die Vorgeschichte des Sächsischen Eisenbahnwesens. (Abhandl,
aus dem volkswirtschaftlichen Seminar der Technischen Hochschule zu Dresden.
6. Heft.) (Paul Ritter.) S. 280.
Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 31: Entwicklung des Volksunterrichtswesens
der Länder der ungarischen heiligen Krone. — Bd. 41: Viehbestand in den Ländern
der ungarischen heiligen Krone. Nach dem Stand vom 28. Februar 1911. — Bd. 45:
Die Schiffahrt und Warenbewegung im Hafen von Fiume. (J. Conrad.) 8. 714.
Vandervelde, Emil, Neutrale und sozialistische Genossenschaftsbewegung. Uebersetzt
: von H. Gernsheimer-Hertz. (Ernst Grünfeld.) 8. 711.
Versicherungsbibliothek, hrsg. von Prof. Dr. Alfred Manes, Berlin. 1. Band: Versiche-
rungsbuchführung, von Mathematiker Joseph Koburger; 2. Band: Die Feuerversiche-
rung, von Justizrat Dr. Karl Domizlaff, Direktor der Concordia, Hannoverschen
Feuerversicherungsgesellschaft A.-G. in Hannover. (Leuckfeld.) S. 553.
Wagemann, Arnold, Wesen und Technik der heutigen Wirtschaftskämpfe.
(K. Marcard t) S. 828.
Wassermann, L. u. R., Das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli 1909, in der Fas-
sung des Gesetzes vom 14. Juni 1912. (C. Briefs.) S. 712.
Weber, M. gegen Sander, P., Erklärung der rechts- und staatsw. Fakultät der
deutschen Universität Prag. S. 144.
Weissbarth, Alfr., Das Dekaturgewerbe und seine Kartellierungsbestrebungen. Zur
Frage der Monopolfähigkeit von Industrien. (Rob. Liefmann.) S. 836.
Wohlgemut, Marta, Die Bäuerin in zwei badischen Gemeinden. (Volkswirtschaftl.
Abhandl. d. badischen Hochschulen, Neue Folge Heft 20.) (Auguste Lange.) 8. 103.
Wölfel, F., Der Handlungsreisende. Eine wirtschaftsgeschichtliche Studie. (Ernst
Müller.) S. 550.
Wright, Chester Whitney Ph. D., Wool growing and the Tariff, a study in the
economic history of the United States. (A. Golf.) S. 527.
Zürn, Walther, Die deutsche Zündholzindustrie. (Zeitschr. f. d. ges. Staatswissen-
schaft, Erg.-Heft 47.) (Richard Passow.) S. 411.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des
Auslandes. Ss. 95. 267. 403. 516. 681. 828.
Die periodische Presse des Auslandes. 8S. 135. 296. 427. 573. 716. 852.
Die periodische Presse Deutschlands. Ss. 138. 299. 429. 574. 717. 853.
Volkswirtschaftliche Chronik. 1814. Mai: S. 325. Juni: 8. 397. Juli: 8. 477.
August: S. 545. September: S. 609. Oktober: S. 687.
ArthurFriedmann, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 1
I
Die Wohlstandsentwicklung in Preussen
von 1891—1911.
Von
Dr. Arthur Friedmann.
Die Höhe des Volkseinkommens läßt sich einigermaßen nach den
Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung beurteilen. Um je-
doch eiu zutreffendes Bild von dem Wohlstande der Bevölkerung
zu gewinnen, ist neben der Ermittlung des nominellen Einkommens
die Berücksichtigung der jeweiligen Kaufkraft des Geldes erforder-
lich. Wir werden daher bei der Untersuchung der Wohlstandsent-
wicklung in Preußen von 1891—1911 zuerst die Zunahme
des durchschnittlichen Nominaleinkommens feststellen, um dann
auf Grund einer Betrachtung über die Aenderung des Geldwertes
die Steigerung des Realeinkommens zu ermitteln. Es wird we-
niger Gewicht darauf gelegt werden, die absolute Höhe des Durch-
schnittseinkommens in den einzelnen Jahren zu bestimmen, als die
relative Steigerung desselben festzustellen. ` Die Darstellung wird
sich vorerst auf die Betrachtung des Durchschnittseinkommens be-
schränken; erst am Schlusse werden wir untersuchen, welchen An-
teil die höheren und niederen Einkommen an der allgemeinen
Wohlstandssteigerung hatten. Neben dem privaten Einkommen sollen
auch die staatlichen Leistungen in den beiden Vergleichsjahren ihrem
Umfange nach betrachtet werden.
1. Die Steigerung des Nominaleinkommens.
Wir beginnen mit der Angabe des in den Jahren 1892 und 1912
veranlagten Einkommens. (Die Veranlagungsergebnisse dieser beiden
Jahre haben im wesentlichen das Einkommen der Jahre 1891 und
1911 zur Grundlage.) Im Anschluß daran bringen wir eine Berech-
nung des steuerfreien, sowie des nicht veranlagten steuerpflichtigen
(hinterzogenen) Einkommens.
Das Einkommen der nichtsteuerpflichtigen Personen, besonders also der
regierenden und vormals regierenden Fürsten, wird nicht berücksichtigt ; ebenso
verzichten wir auf eine Darstellung der verhältnismäßig geringen Einkommens-
teile, die der Besteuerung nicht unterliegen. (An Stelle der vom veranlagten
Einkommen in Abzug gebrachten Beiträge für die Arbeiter- und Lebensver-
sicherung werden später im Anschluß an die Aufwendungen der öffentlichen
Körperschaften die Leistungen der Krankenkassen, Lebensversicherungsgesell-
schaften ete. besonders behandelt.) t
Nach der Veranlagung des Jahres 1892 betrug das Ge-
samteinkommen der Zensiten mit einem Einkommen zwischen
900 und 3000 M. 2912,0 Mill. M., das Gesamteinkommen der Zen-
siten mit einem Einkommen von mehr als 3000 M. 2812,3 Mill. M.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN). 1
2 Arthur Friedmann,
Die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1912 waren 8583,6 Mill. M.
und 6656,2 Mill. M., zusammen 1892 5724,3 Mill. M., 1912 15 239,8
Mill. M.
Diesem Einkommen haben wir das Einkommen der steuer-
befreiten Personen hinzuzurechnen und außerdem dasjenige Ein-
kommen, um das die steuerermäßigten Personen zu niedrig ver-
anlagt wurden.
1892 waren insgesamt 8411000 Personen!), 1912 8159000
Personen mit einem Einkommen von weniger als 900 M. steuerfrei.
In Sachsen, wo 1892 noch die Einkommen bis herunter zu
300 M., 1912 bis herunter zu 400 M. besteuert wurden, läßt sich
eine ungefähre Berechnung des Durchschnittseinkommens der
Personen mit weniger als 900 M. Einkommen durchführen. Das-
selbe läßt sich 1892 auf 524 M., 1908 auf 568 M. schätzen
(siehe besondere Berechnung Tabelle I und II). In Sachsen
Tabelle I.
Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem
Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1892.
D b | d | e(eXa)
Zahl der Haushaltungs- N
Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts- Gesamt-
gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in
(geschätzt) in Mark 1000 M.
bis 300 M. 235 19 764
300— 350 „ } 330 23 100
350— 400 „ 378 42412
400— 450 „, } 425 59 925
450— 500 „ 475 66 785
500— 550 „ } 520 46 800
550— 600 „ 575 42 608
600— 650 ,„ } 625 41 125
650— 700 „ 675 40 500
700— 750 „ } 725 42 050
750— 800 „ 775 44.640
800— 850 „ 825 40012
850— 900 „ 875 37 188
„900— 950 ,„ Summe 546 909
950— 1000 HI )
1000—1050 ,,
1050—1100 ,
1100—1150 , )
1150—1200 ,
1200—1250 ,
Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1044 400.
Durchschnittseinkommen 524 M.
1) Für das Jahr 1892 wurde nur die Summe der Einkommensteuerfreien
einschließlich der Angehörigen gezählt. Die Zahl der einkommensteuerfreien
Einzelsteuernden und Haushaltungsvorstände wurde hier nach dem Verhältnis der
Zahl dieser Personen zur Gesamtzahl der einkommensteuerfreien Bevölkerung im
Jahre 1895 errechnet.
2) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 3
Tabelle II.
Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem
Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908.
a. b. | c. d. e.
Zahl der Haushaltungs- e
Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts-) Gesamt-
gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in
| (geschätzt) in Mark 1000 M.
i . 61,8 255 15 759
e => mm 191,8®) > SCH 14 u
erg » 0 3 32 300
400— 450 „ 250,9 130,0 425 55 250
450— 500 „ 120,9 475 57 428
500— 550 „, 118,2 525 62 055
550— 600 2 } 232,2 114,0 575 65 550
600— 650 „, iia 81,1 625 50 687
650— 700 , ’ 80,0 675 54 000
700— 750 „ } 156,8 79,0 725 57 275
750— 800 „ ? 77,2 775 59 830
800— 850 „ 79,0 825 57 750
850— 900 „, 202,2 68,0 875 59 500
Soe 950 „ SC Summe 642 234
950—1000 , ‚9
1000— 1050 A 186,9 62,5
1050—1100 ,„ 60,5
1I00—I150 , 55,0
1150—1200 , 147,6 49,6
1200—1250 » 43,0
Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1 130 200.
Durchschnittseinkommen 568,25 M.
werden aber mehr erwerbstätige Familienmitglieder als in Preußen
gesondert gezählt, mitverdienende Ehefrauen werden einzeln ver-
anlagt. Bei einer gleichen Berechnung des Einkommens wie in
Preußen würde sich das Durchschnittseinkommen etwas höher stellen.
Berücksichtigt man in Sachsen allein die Haushaltungsvorstände
und rechnet ihrem Einkommen das Einkommen der Familienange-
hörigen hinzu, so ergibt sich für die Einkommen unter 900 M.
1308 ein Durchschnittseinkommen von 617 M. (siehe Tabelle III).
Hierbei ist nun wiederum das Einkommen sämtlicher erwerbs-
tätiger Familienmitglieder, auch derjenigen, die in Preußen gesondert
teuert würden, dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes hin-
Zugezählt, außerdem ist das Einkommen der Haushaltungsvorstände
auch ohne Hinzurechnung des Einkommens miterwerbender Familien-
angehöriger sicher höher als das Einkommen alleinstehender Per-
sonen, so daß das Durchschnittseinkommen der Zensiten mit weniger
als 900 M. Einkommen in Sachsen 1908, bei einer gleichen Berech-
nungsart wie in Preußen, 568 M. wahrscheinlich näher als 617 M.
eessen
3) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 38. Jahrg., 1910, 8.198.
1*
4 Arthur Friedmann,
Tabelle III.
Berechnung des Durchschnittseinkommens der Haushaltungsvorstände mit einem Ein-
kommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908 bei Hinzurechnung des Einkommens
der Familienangehörigen zu dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes.
d. e.
Zahl der Haushaltungs- | Durchschnitts-| Gesamt-
vorstände in Tausend | einkommen | einkommen in
| geschätzt) in Mark 1000 M.
Einkommens-
gruppe
bis 300 M.
300— 350 »
350— 400 ,
400— 450 „ \
450— 500 n
500— 550 „ }
550— 600 „
600— 650 ,
650— 700 nm
700— 750 nm }
750— 800 »
800— 850 ,„
850— 900 „
900— 950 „ Summe 184 792
950—1000 „, 34,4
1000—1050 „ 103,5 34,5
1050—1100 , 34,6
1100—II5O „, 33,0
1150—1200 ,, 94,8 31,6
1200—1250 , 30,2
Zahl der Hanshaltungsvorstände mit einem Einkommen unter 900 M. 299 400.
Durchschnittseinkommen 617 M.
kommt. Wir schätzen danach für die sächsischen Einkommen unter
900 M. 1908 ein Durchschnittseinkommen von 583 M., für das Jahr
1892 bei einer entsprechenden Korrektur der oben angegebenen Zahl
538 M.
In Preußen ist das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölke-
rung geringer als in Sachsen, 1892 26%, 1911 (gegen Preußen 1912)
230) (siehe weiter unten). Da das preußische Durchschnittsein-
kommen des Jahres 1912 dem sächsischen Durchschnittseinkommen
des Jahres 1892 etwas näher als dem Durchschnittseinkommen des
Jahres 1911 kommt (S. 11), kann man annehmen, daß der Durch-
schnittsbetrag der preußischen Einkommen unter 900 M. 1912 etwa
die Mitte zwischen dem Durchschnittsbetrag der sächsischen Ein-
kommen unter 900 M. in den Jahren 1892 (538 M.) und 1908
(583 M.) hält, also 561 M. beträgt. Wenn wir vom Jahre 1892
bis zum Jahre 1912 für Preußen eine entsprechende Steigerung
dieses Durchschnittseinkommens wie in Sachsen von 1892—1908
4) Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes, 56. Jahr-
gang, 2. Heft, S. 208, 1910.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 5
vermuten, so erhalten wir als Durchschnittsbetrag der Einkommen
unter 900 M. in Preußen 1892 504 M.
Weiter ließe sich auf Grund der sächsischen Ergebnisse eine
Schätzung der Durchschnittseinkommen unter 900 M. in Preußen
noch auf folgende Weise durchführen: Das Verhältnis der Zensiten-
zahl mit weniger als 900 M. Einkommen zu der Zensitenzahl mit
einem Einkommen von 900—1050, 1050—1200 und 1200—1350 M.
ist in Preußen 1892 etwas größer als in Sachsen (wobei in Sachsen
eine größere Zahl Familienangehöriger als in Preußen gesondert ge-
gezähit ist) und für Preußen 1912 nicht sehr viel geringer als für
Sachsen 1908, so daß sich die Durchschnittshöhe der preußischen
Einkommen unter 900 M. in den Jahren 1892 und 1912 nach einem
Vergleich mit den entsprechenden sächsischen Ziffern für 1892 und
1908 ungefähr abschätzen läßt. Wir erhalten so für das Jahr 1892
520 M., für das Jahr 1912 585 M. (siehe die Berechnung Ta-
belle IV). Da die frühere Schätzung die Werte 504 und 561 ergab,
wollen wir den Durchschnittsbetrag der Einkommen unter 900 M.
In Preußen für das Jahr 1892 zu 512 M., für das Jahr 1912 zu
373 M. veranschlagen. Unter dieser Voraussetzung erhalten wir als
samteinkommen der Personen mit einem Einkommen von weniger
als 900 M.
1892 8381000 Personen mit einem durchschn. Eink. von 512 M. = 4291,1 Mill. M.
1912 8 159 000 D D nm nm nm » 5733M. = 4675,1 Mill. M.
Wir haben nun weiter das Einkommen derjenigen Personen zu
berücksichtigen, die bei einem Einkommen über 900 M. wegen
ener größeren Zahl versorgungsberechtigter Angehöriger oder aus
anderen Gründen steuerbefreit waren.
~ Die Zahl derer, die auf Grund einer größeren Kinderzahl nach
x18 der damaligen Fassung des Gesetzes freigestellt waren, be-
' trug 1892 nur 154600. Es wurde damals nur um eine Stufe ermäßigt
das Einkommen der steuerbefreiten Personen läßt sich also auf
95 M. pro Kopf veranschlagen, das Gesamteinkommen mithin auf
151 Mil.M.— Dagegen wurden 1912 auf Grund der veränderten Ge-
sttzgebung von 1909 (nach § 19 des neuen Gesetzes) sehr viel mehr
trsonen freigestellt und zwar 608000. Da nach der Gesetzgebung
von 1909 Steuerpflichtige mit mehr als 3000 M. Einkommen bei
2 versorgungsberechtigten Familienangehörigen um 1 Stufe, bei 3
ud 4 Angehörigen um 2 Stufen, bei 5 und 6 um 3 Stufen etc.
tmäßigt wurden, so läßt sich auf Grund der Angaben, wie oft Per-
‘onen wegen 2, wegen 3 und 4 etc. Kinder ermäßigt oder frei-
gestellt wurden (siehe Tabelle V) unter Berücksichtigung der Stärke
der einzelnen Einkommensgruppen berechnen, daß von den 608000
freigestellten Personen 362500 um 1 Stufe, 195000 um 2 Stufen,
4200 um 3 Stufen und 6200 um 4 Stufen ermäßigt sind. Wenn
Hr für die um 1 Stufe Ermäßigten ein Durchschnittseinkommen von
75 M., für die um 2 Stufen Ermäßigten ein Durchschnittsein-
Ommen von 1125 M. usf. annehmen, so erhalten wir als Gesamt-
tinkommen der Freigestellten 638 Mill. M. (und ein Durchschnitts-
inkommen von 1049 M.).
6 Arthur Friedmann,
Tabelle
Berechnung des Durchschnittseinkommens der Personen mit
Verhältnis der Zensitenzahl mit einem Einkommen von 1200—1350 M., 1050—1200
in Preußen und Sachsen.
Sachsen 18925) Peußen 1892’)
Verbält- Zahl der Zensiten Verbält-
niszahlen niszahlen
u. EICHE
SS An FR SEIFE
Einkommens- Zahl der 5 ZP S Einkommens- | > s E 3 SR gE Ké S
Zensiten |M © S PRADES
gruppe u ES gj gruppe sẹ |a apon Ea g
Stog os ä3823°%303
SEL 33 EREES es:
JanS Sg IB ee B
(geschätzt) | S 34 * f BEBSISaE“
unter 800 M. 19531953
800— 850 „, | 9 | oss 100 unter 900 M. | 8381 8381 100
850— 900 „ (Iran 43
900— 950 „ | 35 |
950—1000 „ 31 94 8,99 | 900—1050 „ | 659 709 8,46
1000—1050 „ 84| 28
1050—1100 „, 25
I100--I150 „ | | 65| 621 | 1050—ı1200 „| 437 470 5,61
1150—1200 „, 57| 19
1200—1250 „ | 17
1250—1300 „ | d 42| 4,02 |1200—ı350 „| 235 253 3,02
1300—1350 „ 35| r1
1350—1400 „, J 10
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit | Durchschnittseinkommen der Zensiten mit
einem Einkommen unter 900 M: 523 M. einem Einkommen unter 900 M. (nach
(siehe Tabelle I). den sächsischen Zahlen geschätzt): 520 M.
Die Zahl der nach § 18 resp. 19 des Einkommensteuergesetzes
ermäßigten Personen war 1912 ebenfalls erheblich höher als 1892
und zugleich wurde 1912 durchschnittlich um einen höheren Betrag
als 1892 ermäßigt. 1892 kamen nur 543000 Personen in Frage, die
allesamt nur um 1 Stufe, durchschnittlich vielleicht um 170 M. er-
mäßigt wurden, zusammen also um einen Einkommensbetrag von ca.
90 Mill. M. Hingegen wurde 1912 diese Vergünstigung 2018000 Per-
sonen mit einem Einkommen zwischen 1050 und 6500 M. und 18000
Personen mit einem Einkommen zwischen 6500 und 9500 M. zuteil.
Das nicht veranlagte Einkommen der ermäßigten Zensiten mit einem
Einkommen unter 3000 M. läßt sich auf 407,6 Mill. M., das nicht
veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem Einkommen von
3000—6500 M. auf 120,5 Mill. M. schätzen (siehe die Berechnung
Tabelle VI und VII).
5 5) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jabr 1904,
. 106.
6) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1910, S. 128.
7) Statistik der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr
1892 und 1912.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 7
IV.
weniger als 900 M. Einkommen in Preußen 1892 und 1912.
und 900—1050 M. zur Zahl der Zensiten mit einem geringeren Einkommen als 900 M.
(Zahl der Zensiten in Tausend.)
Sachsen 1908°)
Preußen 1912’)
Verhält- F | Verhält-
Iniszahlen Zahl der Zensiten \niszahlen
ER ; 83282 8835
d EES Ee E | „0:7
Einkommens- éiren ZS m © | Einkommens- | > ze 3g 15 SiS e e S
gruppe kv ES e gruppe „S 58a, Bi,
CPR ga |=2=5 S Soe. `
ek ER am wWEEEISKER
C bel gd Faek- Pid:
| (geschätzt) S 2.3 * Ei 1885335834“
unter 800 M. Joao ago |
800— 85o „ | 69 $ 1126| 100 unter 900 M.| 8159 8159 100
850— 900 2 202| 67
900— 950 „ 66
950—1000 „, | 65% 193) 17,14 | 900—1050 „ | 1366 1507 18,48
1000—1050 „, | 7 62|
1050—1100 „, 60
1100—1150 „ | 55% 165| 14,65 | 1050—ı200 „ | 1185 1307 16,02
1150—1200 „, Í 148| 50
1200—1250 „ 43
1250—1300 „ l 36 + 113| 10,04 | 1200—1350 „, 904 997 12,22
1300—1350 „ | 103| 34
1350—1400 „ J 33
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit
einem Einkommen unter 900 M.: 576 M.
(siehe Tabelle II).
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit
einem Einkommen unter 900 M. (nach
den sächsischen Zahlen geschätzt): 585 M.
Die Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M. werden
nach dem Gesetze von 1909 bei 3 versorgungsberechtigten Ange-
hörigen um 1 Stufe, bei je 2 weiteren Angehörigen um 1 Stufe
mehr ermäßigt. Der Gesamtsteuerausfall betrug 1912 für 18000
Personen 539000 M., also pro Kopf 30 M., was einem nicht ver-
anlagten Einkommen von ca. 800 M. entspricht. Insgesamt wären so
die ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M.
um 14 Mill. M. zu niedrig veranlagt worden.
Es betrug demgemäß 1912 das nach § 19 des Einkommensteuer-
gesetzes nicht veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem
` Einkommen von 1050—3000 M.
3000—6500 nm
6500—9500 nm
nm nm
HI HI
nt
407,6 Mill. M.
120,5 » n
14,0 A ul
zusammen 542,0 Mill. M.
s 8) Die Zahl der Zensiten mit einem Einkommen von weniger als 3000 M.
t sich insgesamt infolge von Ermäßigungen und Freistellungen um die Zahl der
freigestellten Zensiten vermindert.
Wir nehmen an, daß sich alle Einkommens-
gruppen von 900—3000 M. um einen ihrer Besetzung entsprechenden Teil ver-
min und erhöhen darum die Zahl der veranlagten Zensiten entsprechend.
Arthur Friedmann,
Tabelle V.
Die Freistellung oder Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von
900—3000 M. wegen des Vorhandenseins von
| 2 |3 |4 | 5 |6 |7 |8 | 9|10|11 |12 |13|14| Summe
Kindern resp. Angehörigen
in Fällen (absolute Zahlen) ?) 887 502 | 625 662 | 392 863 | 237 684 | 121 130 | 49,204 | 16 387 | 4363| 1072| 222 | 46 | 2 | ı | 2 336 138
in Prozent der Ermäßigungen 38,0 26,79 16,81 10,17 5,20 2,09 | 0,70 |0,18 | 0,05 | 0,01
um Kei
KK
1 5 6
in Prozent der Ermäßigungen 38,0 Sé D 1 s 37 2,72 0,23 0,01
Durchschnittliche Ermäßigung um 1,84 Stufen.
Die Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von 3000—6500 M.
wegen des Vorhandenseins von
|2 |8 | |5 | e | | 8 |9 | 10| ar] 12ļ13|14| Summe
Kindern resp. Angehörigen von
in Fällen (absolute Zahlen) 8 87 834| 57777 | 27766| 15860| 6753 | 3669 | 1492 | 653 | 230 Së 3 202 156
in Prozent der Ermäßigungen 43,45 28,58 13,74 7,85 3,34 1,82 0,74 |0,32 |0,11| 0, 27 Er
um Stufen
— ee er Tas en Sn u —— ee
1 2 | 5 6 | 7
in Prozent der Ermäßigungen 43,45 42,32 11,19 2 sé | 0,43 0,05 | |
Durchschnittliche Ermäßigung um 1,74 Stufen.
9) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern, No. 55, S. 154 und 156.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 9
Tabelle VI.
Betrag des nicht veranlagten Einkommens der nach $ 19 des Ein-
kommensteuergesetzes ermäßigten aber nicht freigestellten Zensiten
mit einem Einkommen von 1050—3000 M. im Jahre 1912.
Die Zahl der veranlagten Zensiten mit einem Einkommen von 900—3000 M. beträgt
6123000, die Zahl der nach § 19 Freigestellten 608 000, zusammen 6 731 000. Es
wurden nach $ 19 insgesamt ermäßigt oder freigestellt 2414000, das sind 35,9 %,.
Die Ermäßigung erfolgten (siehe Tabelle V) in 38 °/, der Fälle wegen des Vorhanden-
seins zweier Angehöriger, also um eine Stufe, in 43,6 °/, der Fälle wegen 3 oder 4
Angehöriger — um 2 Stufen —, in 15,4, 2,8, 0,2 °/, der Fälle um 3, resp. 4 und 5
Stufen. Im Durchschnitt wurde um 1,84 Stufen ermäßigt (Tabelle V). — Bei der
Gruppierung der Zensiten in die einzelnen Einkommensgruppen wurden die stattgehabten
Ermäßigungen bereits in Betracht gezogen, so daß alle Einkommensgruppen schwächer als
in Wirklichkeit besetzt sind. Von den insgesamt 18 000 Ermäßigten wurden nur 17 000
berücksichtigt. Da sich die nicht berücksichtigten Ermäßigten auf die einzelnen Ein-
kommensgruppen ungefähr entsprechend der angegebenen Stärke derselben verteilen,
ist dem ermittelten, nicht veranlagten Einkommen 5,9 °/, hinzuzurechnen.
e d | e f g h
| l A
We geg Betrag des nicht
Zonaiton oin: Zahl der ermäßigten Zensiten aus- ss Fe veranlagten
der frei- schließlich der freigestellten mañigungen UM Tinkommens
| „gezielten Ein- (eX g)
(38,9 von b) kommens-
Tausend Dh von e Tausend stufen (Mark 1000 M.
425,42 um I Stufe ermäßigt . 38,0|161,66 I 150 | 24 249
324,54 um 2 Stufen ermäßigt 43,6|141,50 2 300 42 450
4 „ 1 Stufe ñ 38,0|123,33 I 150 18 500
um 3 Stufen ermäßigt 15,4| 43,56 3 450 19 602
282,89 »2 y n 43,6|123,34 2 300 37 002
„ I Stufe be 38,0|107,50 I 150 16 125
190,638 um 1-4 Stufenermäßigt 99,0 188,72
155,81 100,0 SCD 1,84 276 132 842
136,78 100,0 136,78
94,78 100,0| 94,78 1,84 426 40 376
57,80 100,0| 57,80
39,49 100,0 san 97,29| 1,84 | 552 53 704
Summe 384 850
zuzüglich 5,9 °/ 22706
Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens der er-
mäßigten Zensiten mit 1050—3000 M. Einkommen 407,6 Mill. M.
Nun hat aber die offizielle Statistik bereits diejenigen Zensiten,
le bei einem Einkommen über 3000 M. zu einem niederen Ein-
kommen als 3000 M. veranlagt wurden, nicht wie sonst derjenigen
Inkommensgruppe, zu der sie veranlagt wurden, sondern der Ein-
Ommensgruppe, 3000—3300 M. hinzugezählt10). Eine spezielle Be-
rechnung zeigt, daß sich hierdurch eine Differenz von 36 Mill. M.
ergibt. Wir hätten also dem von der offiziellen Statistik verzeich-
Tr
191 D uni der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr
» 8. 5/6.
10 Arthur Friedmann,
Tabelle VII.
Berechnung des nicht veranlagten Einkommens der nach § 19 des
Einkommensteuergesetzes ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen
von 3000—6500 M. im Jahre 1912.
Von 565 000 Zensiten wurden 212000, das sind 37,5 °/,, ermäßigt. Die Ermäßigung
erfolgte (vgl. Tabelle V) in 43,5 °/, der Fälle wegen Vorhandenseins von 2 An-
gehörigen, also um eine Stufe, in 42,3 °/, der Fälle wegen 3 oder 4 Angehöriger
— um 2 Stufen —, in 11,2, 2,6 und 0,4°/, um 3 resp. 4 und 5 Stufen. Im Durch-
schnitt wurde um 1,74 Stufen ermäßigt (Tabelle V).
a b c d e
Zahl der |durchschnitt- Betrag d. nicht
Einkommensgruppe Zahl der Zensiten ermaßi Bien CRT We ranlāgten
Zensiten gung um | Einkommens
|(37'/,°/, von b)! (1°/, Stufen) (e X d)
M. Tausend Tausend Mark 1000 M.
über 3000, aber zu weniger)
als 3000 veranlagt 75,0 |
3000—3300 98,9
3300—3600 79,9
3600—3900 64,17 477,4 179,0 525 93 975
3900—4200 57,6
4200—4500 49,2
4500—5000 52,7
5000—5500 39,6 14,9 725 10 803
abzüglich 5 Tsd. zu
i ls 6500 M.
men bal Ten gaan j
gte Zensiten %48,0 18,0 875 15750
S 6500 22,7 mit mehr als 6500 M.
Einkommen
Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens
der Zensiten mit 3000—6500 M. Einkommen 120,5 Mill.M.
neten Einkommen nicht 542 Mill. M., sondern 36 Mill. M. weniger,
das sind 506 Mill. M., hinzuzurechnen.
Die Freistellungen und Ermäßigungen auf Grund des 819
resp. 20 des Gesetzes wegen ungünstiger Lebensverhältnisse sind
nicht erheblich. 1892 wurden 4430 Personen befreit mit einem
Einkommen von ca. 5 Mill. M., ermäßigt wurden 49000 Personen.
Der Gesamtsteuerausfall infolge der Freistellungen und Ermäßi-
gungen betrug 543000 M., infolge der Ermäßigungen allein also
ca. 500000 M., das wären pro Kopf 10 M. Das nicht veranlagte Ein-
kommen der Ermäßigten läßt sich danach auf 400 M. pro Kopf,
insgesamt auf 20 Mill. M. schätzen.
1912 wurden 23000 Personen nach $ 20 des Gesetzes frei-
gestellt mit einem Gesamteinkommen von ca. 23 Mill. M. Die Zahl
der Ermäßigten betrug 185000, der Steuerausfall infolge der Er-
mäßigungen einschließlich der Freistellungen 1569000 M., aus-
schließlich der Freistellungen schätzungsweise 1380000 M., das sind
pro Kopf ca. 7,4 M. Steuerausfall, was einem nicht veranlagten Ein-
kommen von ca. 320 M. entspricht. Das nicht veranlagte Ein-
kommen der Ermäßigten stellt sich somit auf etwa 58 Mill. M.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 11
Zusammenfassend erhalten wir folgende Summen:
1892 1912
Mill. M.
Gesamtes veranlagtes Einkommen über 3000 M. 2812 6 656
unter 3000 „, 2912 6 584
Einkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit
weniger als 900 M. Einkommen 4 291 467
Einkommen der nach $ 18 resp. 19 freigestellten Zensiten 151 638
Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 18 resp. 19 ermäßigten
Zensiten 90 506
Einkommen der nach § 19 resp. 20 freigestellten Zensiten 5 25
Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 19 resp. 20 ermäßigten
Zensiten 20 58
10281 21140
Die Bevölkerungszahl betrug Ende 1891 30337000, Ende 1911
40740000. Das Durchschnittseinkommen stellte sich danach 1892
auf 338,9 und 1912 auf 518,9 M., die Steigerung des Einkommens
betrug 53,1%.
Bei der hier gegebenen Schätzung des Einkommens auf Grund
der Veranlagungsergebnisse ist nur die Schätzung der Ein-
Kommen unter 900 M. unzuverlässig (auf die Ungenauigkeit der Ver-
anlagung selbst nehmen wir erst später Rücksicht). Aber auch et-
waige fehlerhafte Schätzungen der Einkommen unter 900 M. würden
nicht allzu sehr’ ins Gewicht fallen: Wäre beispielsweise in den
beiden Vergleichsjahren (was schon recht unwahrscheinlich ist) das
Einkommen der steuerfreien Personen durchschnittlich 60 M. höher
oder niedriger, als wir annahmen, so würde das Durchschnittsein-
kommen des Jahres 1892 355,5 resp. 322,3 M., das Durchschnitts
einkommen des Jahres 1912 530,9 resp. 506,9 M. betragen und die
Steigerung statt 53,1% 49,1% resp. 57,30/o ausmachen. Und wenn
wir fälschlicherweise eine um 30 M. zu geringe Steigerung des Durch-
schnittsbetrages der Einkommen unter 900 M. (von 512 auf 573
statt auf 603 M.) angenommen hätten, so würde doch die ermittelte
Einkommenssteigerung noch nicht um 2% von der wirklich er-
folgten Steigerung, die sich auf 54,8% beliefe, abweichen.
Unter den außerpreußischen Bundesstaaten will ich allein für
Sachsen eine Berechnung des Durchschnittseinkommens ver-
zeichnen. Hier gibt die offizielle Steuerstatistik selbst die erforder-
lichen Zahlen. Das Gesamteinkommen aller physischen Zensiten,
einschließlich der steuerfreien Personen mit einem Einkommen von
weniger als 300 resp. 400 M. betrug nach Abzug der Schuldzinsen
1892 1525 Mill. Mu, 1911 etwa 3070 Mill. M.12). Die Er-
mäßigungen wegen Kinderprivilegs sind für das Jahr 1892 unerheb-
lich, für das Jahr 1911 wurde das Einkommen ohne vorherige Er-
mäßigung gezählt. Das Durchschnittseinkommen stellte sich 1892
auf 427,6 M., 1911 auf 638,7 M.; es war somit 1892 26,200
11) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894,
8.103 und 8 109.
12) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1912, S. 185.
12 Arthur Friedmann,
höher als in Preußen, 1911 23,1% höher als in Preußen 1912.
Die Einkommensteigerung betrug während dieser 19 Jahre 49,3%
während sie in Preußen in den 20 Jahren 53,1% ausmachte.
Bei einem Vergleich der preußischen und sächsischen Einkom-
men ist zu beachten, daß die ländliche Bevölkerung in Sach-
sen relativ geringer als in Preußen ist (1910 wohnten in Sach-
sen nur 27,0% der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden, in
Preußen dagegen 38,5%013). Da der Realwert eines bestimmten Ein-
kommens auf dem Lande größer als in der Stadt ist, so sind die
Einkommensunterschiede von Preußen und Sachsen weniger be-
deutend, als dies nach den obigen Zahlen der Fall zu sein scheint.
In den übrigen Bundesstaaten wird das Nominaleinkommen kaum
höher als in Preußen, jedenfalls nicht so hoch wie in Sachsen sein;
die ländliche Bevölkerung ist in den nicht-preußischen Bundesstaaten
(außer Sachsen) stärker vertreten als in Preußen, die Bevölkerung
in ländlichen Gemeinden macht hier 46% der Gesamtbevölkerung
aus gegen 38,5% in Preußens). Das Durchschnittseinkommen für
das Reich wird jedenfalls nicht wesentlich von dem preußischen
Durchschnittseinkommen abweichen.
Da nun das steuerpflichtige Einkommen durch die Steuer nicht
vollständig erfaßt wird, wäre es weiter nötig, die Höhe des hinter-
zogenen resp. zu wenig veranlagten Einkommens zu
schätzen. Uns interessiert es vor allem, ob sich in dieser Hinsicht
für die beiden Vergleichsjahre 1892 und 1912 verschiedene Verhält-
nisse ergeben. Aber auch die absolute Höhe der Hinterziehungen
ist deshalb von Bedeutung, weil bei absolut höheren Hinterziehungen
eine etwaige Verminderung derselben im Laufe der Jahre mehr ins
Gewicht fallen würde. Man nimmt an, daß die präzisere Ausbildung
der Steuertechnik mit den Jahren eine vollständigere Erfassung des
Einkommens ermöglichte.
Für die Einkommen über 3000 M. läßt sich ein ge-
wisser Anhalt für die Höhe der Hinterziehungen aus der Zahl
und den: Erfolge der Steuerbeanstandungen gewinnen. Im Jahre 1911
wurden in Preußen 35,30%% aller Steuererklärungen beanstandet und
von diesen 72,8% (25,7% aller Steuerklärungen) berichtigt. Die
betreffenden Zensiten wurden zu einem durchschnittlich 300 höhe-
ren Einkommen veranlagt‘). Ein nicht unerheblicher Teil dieser
Berichtigungen wurde allerdings wieder auf Grund eingelegter Be-
rufungen korrigiert. Während nach den Beanstandungen des Jahres
191035) insgesamt 13454000 M. mehr Einkommensteuern aufzu-
bringen waren — meist von Zensiten mit einem Einkommen von
mehr als 3000 M. — wurden auf Grund der Berufungen und Be-
schwerden der Zensiten mit mehr als 3000 M. Einkommen, die ver-
13) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1913, S. 4.
14) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern in Preußen, 1912,
No. 55, S. 132 und 134.
15) Für 1911 liegen die erforderlichen Zahlen zurzeit nicht vor.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 13
mutlich meist beanstandete Steuererklärungen abgegeben hatten,
2882000 M. Steuern ermäßigt!‘). Danach wären die berichtigten
Einkommen nicht um 30%, sondern um reichlich ein Fünftel weniger,
also um etwa 23,5%, zu niedrig deklariert worden. Sicher wird nun
aber auch bei der Beanstandung das tatsächliche Einkommen nicht
vollständig ermittelt. Betrugen die festgestellten Hinterziehungen
23,50%, so mochten die wirklichen Hinterziehungen vielleicht 33,5%
ausmachen; wir hätten dann zu dem nach den Beanstandungen und
Berufungen berichtigten Einkommen noch Soa hinzuzurechnen. — Er-
wägen wir nun, daß 25,7% aller Zensiten nachweislich ihr Ein-
kommen um 23,5%, wahrscheinlich erheblich mehr, vielleicht um
33,5%o zu niedrig angaben, und berücksichtigen wir weiter, daß von
den beanstandeten Zensiten immerhin nur 27% kein Fehler in den
Angaben nachgewiesen wurde, so werden wir vermuten dürfen, daß
auch bei den nicht beanstandeten Zensiten unrichtige Deklarationen
von erheblichem Umfange vorkamen. Wir schätzen, daß die 6500
nicht beanstandeter Zensiten ihr Einkommen um durchschnittlich
10—15% zu niedrig angaben. Da wir für die beanstandeten Zen-
siten noch nach der Berichtigung eine Hinterziehung von 80/ ver-
muten, so hätten wir für die deklarierten Einkommen im Durch-
schnitt eine Hinterziehung von 10% zu rechnen.
Es ist nun weiter zu bestimmen, in welchem Maße die Hinter-
ziehungen im Laufe der Jahre abgenommen haben. Auch in dieser
Hinsicht sind die Erfolge der Beanstandungen von einigem Wert.
Ein Vergleich der Jahre 1898 und 1911 zeigt, daß im Jahre 1898
nicht erheblich mehr Hinterziehungen als 1911 nachgewiesen wurden.
Während im Jahre 1898 merklich weniger Deklarationen beanstandet
wurden als 1911, 32,5% gegen 35,3%, wurden doch fast ebensoviel
Erklärungen berichtigt, 24,5 gegen 25,7%, und man könnte daraus
allerdings auf etwas häufigere Hinterziehungen schließen. Anderer-
seits wurden im Jahre 1898 verhältnismäßig geringere Summen
berichtigt, 27,1 gegen 300% des deklarierten Einkommens. Immerhin
darf man aus der Tatsache, daß die Steuerbehörden trotz ihrer noch
geringeren Erfahrungen und ihrer weniger weitreichenden Befug-
nisse vor 14 Jahren ebensoviel Hinterziehungen als heute nachwiesen,
schließen, daß die tatsächlichen Hinterziehungen damals wesentlich
größer waren. Wir schätzen, daß die Steuerhinterziehungen im Jahre
1892, soweit sie nicht durch die Beanstandungen berichtigt wurden,
15%0 betrugen gegen 10% im Jahre 1912. Ueber die eventuellen
durch die Unzuverlässigkeit dieser Schätzung bewirkten Fehler
sprechen wir später.
Die Einkommen unter 3000 M., bei denen die Veranlagung
vielfach ohne genügenden Anhaltspunkt erfolgen muß, sind wahr-
scheinlich noch häufiger als die Einkommen über 3000 M. zu niedrig
16) 1. c., S. 148.
17) Kurt Nitsche, Einkommen und Vermögen in Preußen und ihre Ent-
wicklung seit Einführung der neuen Steuern mit Nutzanwendung auf die Theorie
der Einkommensentwicklung, 1902.
14 Arthur Friedmann,
eingeschätzt. Insbesondere werden vielfach etwaige Nebeneinnahmen
der einzuschätzenden Personen nicht berücksichtigt: der Arbeits-
verdienst; von Frau und Kindern, der Nebenerwerb des Mannes, die
Einnahmen aus Naturalien, bei Untervermietung derjenige Betrag,
der über den eigenen Mietbetrag hinausgeht. Bei etwas höheren Ein-
kommen, die schon nahe an 3000 M. herankommen, spielen, wie
Nitsche'?) hervorhebt, bereits Einnahmen aus Kapitalien eine er-
hebliche Rolle, die bei der Einschätzung sicher nur ganz ungenügend
erfaßt werden. Die Reichserhebung von Wirtschaftsberechnungen
minderbemittelter Familien!s) gibt auf 100 Teile des Arbeitsver-
dienstes des Mannes 21,4 Teile anderweitiger Einnahmen an, dar-
unter etwa, 15—20 Teile eigentliches Einkommen. Hierbei scheinen
aber die Nebenverdienste, beispielsweise das Arbeitseinkommen der
Frau, noch nicht vollständig erfaßt zu sein.
Auch hier, bei den nicht deklarierten Einkommen ist es von be-
sonderem Interesse, ob die Einschätzungen im Laufe der letzten
2 Jahrzehnte richtiger geworden sind. In dieser Hinsicht ist die
gesetzliche Bestimmung des Jahres 1906 von Bedeutung (§ 23 des
Einkommensteuergesetzes), die die Arbeitgeber zur Auskunft über
das Einkommen der Arbeitnehmer verpflichtet. Ein Vergleich des in
den Jahren 1906 und 1908 veranlagten Einkommens zeigt aber, daß
die Erfolge des neuen Gesetzes nicht allzu weitreichend waren. Das
veranlagte Durchschnittseinkommen der städtischen Zensiten mit
einem Einkommen von 950—1050 M. nahm allerdings, wie sich aus
der Abnahme der Zensitenzahl mit einem Einkommen von weniger
als 1050 M. berechnen läßt, um ca. 11 % zu), in der gleichen Zeit
stieg aber auch das wirkliche Einkommen um mindestens 5%. Nach
den Lohnnachweisungen der Berufsgenossenschaften stieg der Durch-
schnittslohn eines Vollarbeiters von 1905—1906 um 5%, von 1906
18) 2. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, 1909.
19) Vom Jahre 1906 bis zum Jahre 1908 verminderte sich in den Stadt-
kreisen die Zahl der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen von 3 105 000
auf 2917000, wenn die Freigestellten und Ermäßigten ihrer eigentlichen Ein-
kommensgruppe zugewiesen werden, von ca. 3032000 auf 2837000. Dies be-
deutet bei einer Bevölkerungszunahme von 8,26 % eine relative Verminderung um
13,400. Es müssen also 13,4% aller Personen mit einem Einkommen von weniger
als 1050 M. von 1906 bis 1908 eine so starke Einkommensteigerung erfahren haben,
daß ihr Einkommen 1908 1050 M. oder mehr betrug. Da 1906 die Zensiten mit
einem Einkommen zwischen 900 und 1050 M. 20,600 aller Zensiten mit einem
Einkommen unter 1050 M. ausmachten, so läßt sich schätzen, daß die Einkommen
zwischen 945 und 1050 M. 13,4% aller Einkommen unter 1050 M. darstellten.
Wenn nun sämtliche Einkommen um 11,1% gestiegen wären, so würden
alle Einkommen zwischen 945 und 1050 M. die Grenze von 1050 M.
überschritten haben, also die Zahl der Einkommen unter 1050 M. um
11,1% vermindert sein. Tatsächlich haben nun nicht alle Einkommen gleichmäßig,
sondern die einen mehr als 11%, die anderen weniger als 11 % zugenommen, die
anderen gar abgenommen. Es läßt sich aber zeigen, daß, wenn nur die durch-
schnittliche Steigerung 11% betragen hätte, etwa ebensoviel Einkommen
wie zwischen 945 und 1050 M. liegen, die Höhe von 1050 M. erreicht hätten.
Auch die Tatsache, daß die Einkommen zwischen 945 und 1050 M. nicht gleich-
mäßig verteilt sind, sondern mehr Einkommen 945 als 1050 M. nahekommen, ist
für das Resultat von keiner wesentlichen Bedeutung.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 15
bis 1907 um 4% und von 1907—1908 um 0,4% 2). Da der Steuer-
veranlagung vorwiegend das Einkommen des vorangegangenen Jahres
zugrunde liegt, so hätte wenigstens das Einkommen der Arbeiter von
1906—1908 um ca. 8% zugenommen, und da in den größeren
Städten, um die es sich hier handelt, die meisten Zensiten mit einem
Einkommen von 950—1050 M. industrielle Arbeiter sind, könnte
auch für den Durchschnitt der Zensiten dieser Einkommensgruppe
mit einer Einkommensteigerung von mindestens 50% gerechnet
werden. Die gesetzliche Regelung, die den Steuerbehörden die Er-
kundigung beim Arbeitgeber des Einzuschätzenden gestattet, hätte
danach, selbst für die großstädtische Bevölkerung der niedersten
Einkommensgruppen, eine kaum mehr als 6%0 höhere Einschätzung
zur Folge gehabt).
Die Veranlagung der niederen Einkommen mag allerdings in der
Zeit von 1892—1912 auch unabhängig von der gesetzlichen Neu-
regelung des Jahres 1906 nur auf Grund der besseren Erfahrungen
der Steuerbehörden vollständiger geworden sein. Wir veranschlagen
die heutigen Mindereinschätzungen der nicht deklarierten Einkommen
zu 1500, im Jahre 1892 zu 220%). — Da die Einkommen unter 900M.
nach der Höhe der veranlagten Einkommen geschätzt wurden,
erheben wir auch zu diesem Einkommen den gleichen Zuschlag wie
zu den Einkommen zwischen 900 und 3000 M.
Berechnen wir, gemäß den hier veranschlagten Hinterziehungen
und Mindereinschätzungen für die Einkommen über 3000 M. im
Jahre 1892 einen Zuschlag von 15%, im Jahre 1912 einen Zuschlag
von 10%, für die Einkommen unter 3000 M. im Jahre 1892 einen
Zuschlag von 22%, im Jahre 1912 von 15%, so würde sich das
Durchschnittseinkommen im Jahre 1892 statt auf 338,9 auf 407,0 M.,
1912 statt auf 518,9 auf 588,4 M. stellen, und die Steigerung des
Durchschnittseinkommens von 1892—1912 betrüge nicht 53,1 son-
dern 44,6%.
Gewiß sind diese Schätzungen über den Umfang der Steuer-
hinterziehungen nur unzuverlässig, doch würde auch hier — ähn-
lich wie wir dies früher für die Berechnung der Einkommen unter
900 M. gezeigt haben — ein etwaiger Fehler nicht allzu schwer
wiegen: Wäre die wirkliche Hinterziehung in den beiden
Jahren um einen gleichen Prozentsatz höher oder niedriger, als wir
voraussetzen, so wäre dies für das Resultat gleichgültig. Aber
auch wenn beispielsweise die Hinterziehungen im Jahre 1892 statt
5—7% nur 3 oder 40% größer gewesen wären als im Jahre 1912,
wäre die Steigerung des Durchschnittseinkommens nur um wenige
Prozent stärker gewesen, als wir angaben.
20) Richard Calwer, Das Wirtschaftsjahr 1907, I, S. 303 und Das Wirtschafts-
jahr 1908, I, 8. 323.
21) Auch ein Vergleich der Veranlagungsergebnisse der preußischen Stadt-
kreise mit den Veranlagungsergebnissen für das Königreich Sachsen in den Jahren
1906—1908 macht es wahrscheinlich, daß ein erheblicher Teil der Zunahme des ver-
anlagten Einkommens der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen auf eine
wirkliche Einkommenssteigerung zurückzuführen ist.
16 Arthur Friedmann,
Da wir beabsichtigen, späterhin die staatlichen Leistungen in
den beiden Vergleichsjahren besonders zu behandeln, müssen wir,
um eine Doppelzählung zu vermeiden, von dem bisher ermittelten
Durchschnittseinkommen noch die in diesem Einkommen mitein-
begriffenen Steuern in Abzug bringen. Die in den Jahren 1891
und 1911 gezahlten direkten Staats- und Kommunalsteuern, soweit
sie bei der Besteuerung der Jahre 1892 und 1912 nicht in Abzug
gebracht wurden, berechnen sich, wie nachfolgende Aufstellung er-
gibt, auf zirka 354 resp. 930 Mill. M.; das wären 11,4 resp. 22,8 M.
pro Kopf der Bevölkerung:?). Das Durchschnittseinkommen abzüg-
lich aller Steuerleistungen betrug danach 1891 395,6 M., 1911
565,6 M., die Steigerung 43,0 ou.
Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer
Personen im Jahre 1891, soweit sie bei Feststellung des steuerpflich-
tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden.
1. Staatseinkommensteuer . » . s 2 2 20000. äng éi ner Ser 3 77 Mill. M.
2. Direkte Steuern der Kommunen.
a) Städte.
Direkte Steuern der Städte mit mehr als 10000 Ein-
Wohnen. WEE E EEN . . , 122 Mill. M.
abzüglich der von nicht physischen Personen ge-
leisteten Realsteuern (Summe der Realsteuern
17 MM) a ern
In 421 (für den betreffenden Kreis typischen) Städten
mit weniger als 10 000 Einwohnern betrugen die
direkten Steuern 13 Mill. M20. in sämtlichen
1058 Städten mit weniger als 10 000 Einwohnern
also schätzungsweise < a s 2: 1 2 2 2 02er. ER Y!
b) Landgemeinden.
Die Steuern in den Landgemeinden der sieben öst-
lichen Provinzen (einschließlich Provinzial-, Kreis-
und Schulabgaben) betrugen 1888 43 Mill. M.°*).
Wir schätzen die direkten Steuern der Landge-
meinden in den genannten Provinzen auf 40 Mill. M.
Die Landgemeinden der fünf westlichen Provinzen
zahlten 1883 92°/, mehr direkte Steuern als die
östlichen Provinzen). Wenn wir für das Jahr
1888 ein noch etwas günstigeres Verhältnis für die
westlichen Provinzen annehmen, erhalten wir für
dieselben direkte Steuern in der Höhe von etwa
78 Mill. M.
Die direkten Steuern sämtlicher preußischer Land-
gemeinden betrugen danach 1888 ca. 118 Mill. M.;
von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern
in Preußen um 8°/, zu; wir rechnen für die
gleiche Spanne Zeit eine Vermehrung der Kom-
munalsteuern der Landgemeinden um 5°/,.
Gesamtsumme der direkten Steuern der Landge-
meinden ca... De E, E Br ee en TA mu (CT 5, 5
Gesamtsumme der von den veranlagten Einkommen nicht
in Abzug gebrachten direkten Steuern im Jahre 1891 ...... 354 Mill. M
22) Die indirekten Steuern wären hier außer acht zu lassen; die Ver-
teuerung der Waren durch Verbrauchsabgaben und Zölle wird später bei Ermitt-
lung des Realeinkommens berücksichtigt werden.
23) Drucksachen des Preuß. Abgeordnetenhauses, Sess. 1892/93, No. 7.
24) Statistisches Handbuch für den Preuß. Staat, Bd. 2, S. 623.
25) Ebenda, 8. 619.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 17
Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer
Personen im Jahre 1911, soweit sie bei Feststellung des steuerptlich-
tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden.
Staatseinkommensteuer physischer Personen . » » » 2 22.200. e 306 Mill, M.
Ergänzungssteuer . e 2 2 0 2 0 ee een ooo DÉI 4
Direkte Gemeindesteuern der Städte . . 2» 222... 582 Mill. "=.
Direkte Steuern der Landgemeinden mit mehr als 10 000
Einwohnen . » < s 2222000. S AË, vn ` eg
Die direkten Steuern der Landgemeinden mit weniger als
10000 Einwohnern lassen sich schätzungsweise ermitteln.
1907 betrugen die direkten Steuern in Gemeinden unter
10000 Einwohnern (Stadtgemeinden mitgerechnet) 171
Mill. M. (zuzüglich der Abgaben besonderer Schulver-
bände)”®), pro Kopf 7,6 M. Danach lassen sich die Steuern
in den Gemeinden unter 10000 Einwohnern (ausschließ-
lich der Stadtgemeinden) 1911 (Einwohnerzahl 19 Mil-
lionen) bei Annahme einer Steuer von 9,1 M. pro Kopf
schätzen auf . .». . 2 2 220% d at NEE GE: NIE
Gesamtsumme der direkten Steuern der Kommunen 813 Mill. M.
Von dieser Summe sind 100 °/, der staatlich veranlagten
Realsteuern, die nach dem Gesetze von 1906 als Werbungs-
kosten von dem besteuerten Einkommen abgezogen werden
dürfen, in Abrechnung zu bringen. Die Gemeinden ver-
anlagen fast ausnahmslos 100 °/, der Realsteuern.
100°,, der staatlich veranlagten Realsteuern . ..... 190 „ „
Es bleiben ..: ora saoe oo 0%» . 623 Mill. M.
Hiervon wären weiter die von nicht physischen Personen
geleisteten Steuern in Abzug zu bringen, die nach An-
gaben für das Jahr 1899?’) auf 10°/, der Summe ge-
schätzt werden können.
10°/, von 623 Mill. M. . » co 220er 000. sah DÉI. Aé 0
Gesamtsumme der von dem steuerpflichtigen Einkommen
nieht in Abzug gebrachten direkten Kommunalsteuern
physischer Personen . . » 2 sss en een er rnen ne z 13 yp "up
Gesamtsumme der von dem veranlagten Einkommen nicht in
Abzug gebrachten direkten Steuern physischer Personen . . .. . » 930 Mill. M.
2. Die Verteuerung der Lebenshaltung und die
Steigerung des Realeinkommens.
Nachdem wir bisher zu einer ungefähren Ermittlung des durch-
schnittlichen Nominaleinkommens gelangt sind, gehen wir nunmehr
dazu über, durch einen Vergleich der Lebenshaltung, die in den
beiden Jahren auf Grund des jeweiligen Einkommens ermöglicht
wurde, die Steigerung des Realeinkommens zu bestimmen. Da, wie
wir bereits früher betonten, das veranlagte Einkommen eines be-
stimmten Steuerjahres mehr dem tatsächlichen Einkommen des vor-
angegangenen ‚Jahres entspricht, legen wir die Preise der Jahre
1891 und 1911 zugrunde. — Wir werden zuerst feststellen, ein wie
großer Teil des Einkommens des Jahres 1911 dazu erforderlich
war, um diegleiche Lebenshaltung wie im Jahre 1891 zu er-
26) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S. 636.
27) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 4, S. 643.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 2
18 Arthur Friedmann,
zielen und wieviel Einkommensteile darüber hinaus im
Jahre 1911 zur Verfügung standen. Die so bestimmte prozentuelle
Steigerung bedeutet zwar noch kein entsprechendes Wachstum des
Realeinkommens. Wir werden aber später zeigen, daß die tatsäch-
liche Zunahme desselben nur um ein weniges größer ist.
Um zu bestimmen, ein wie großer Aufwand für einen gleichen
Gesamtkonsum wie im Jahre 1891 nach den Preisen des Jahres.
1911 benötigt wurde, werden wir der Reihe nach die wichtigsten
Bedarfsartikel unter Angabe des für dieselben im Jahre 1891
erforderten Aufwandes anführen und zugleich die bis zum Jahre
1911 erfolgten Preissteigerungen verzeichnen; aus diesen Daten
wird sich ohne weiteres die durchschnittliche Verteuerung
berechnen lassen. — Es bleibt vorläufig unberücksichtigt, daß im
Jahre 1911 relativ mehr Waren in der Stadt, wo die Lebenshaltung
teurer als auf dem Lande ist, konsumiert wurden und die Ver-
teuerung der Lebenshaltung mithin größer war, als dies der durch-
schnittlichen Preissteigerung an den einzelnen Orten entspricht. Wir
werden auf diesen Gegenstand erst am Schlusse dieser Zusammen-
stellung zurückkommen.
Bei den Verbrauchsberechnungen werden im allgemeinen die
auf das Reich bezüglichen Daten benützt, die sich ohne erhebliche
Fehler auf Preußen übertragen lassen. Eine Reihe von Angaben über
Verbrauchsberechnungen basiert auf den Ergebnissen der vom Kais.
Stat. Amte veranstalteten Erhebung von Wirtschaftsrechnungen minder-
bemittelter Familien im Deutschen Reiche), die wir im folgenden
kurz als Reichserhebung bezeichnen. Diese im Jahre 1907
angestellten Untersuchungen, die sich auf insgesamt 852 Familien
erstrecken, passen insofern einigermaßen auf die Verhältnisse des
Jahres 1891, als das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung
im Jahre 1891/92 (von 396 M.) nur 12 % geringer war als das
Durchschnittseinkommen der bei der Reichserhebung berücksichtig-
ten Personen (das abzüglich Schuldzinsen, Steuern, Versicherungs-
beiträge, Erwerbskosten ca. 451 M. betrug). Die Zahlen der Reichs-
erhebung sind im folgenden um 12% reduziert, die tatsächlich von
der Reichserhebung gegebenen Ziffern sind in Klammern beigefügt.
Aus mancherlei Gründen sind aber die von der Reichserhebung ge-
gebenen Zahlen nur mit Vorsicht zu verwerten, insbesondere nimmt.
die Erhebung auf die Verhältnisse des Landes, wo der relative Auf-
wand für die verschiedenen Bedarfsartikel erheblich von dem in der
Stadt abweicht, kaum Rücksicht. — Zur Bestimmung der Groß-
handelspreise werden häufig die Angaben in den Vierteljahrsheften
zur Statistik des Deutschen Reiches herangezogen ; den Kleinhandels-
preisen liegen meist die von der Statistik des Preußischen Statisti-
schen Landesamtes gegebenen Zahlen zugrunde. Die Angaben dieser
Statistik, im folgenden kurz Preußische Statistik genannt,
sind darum nicht einwandfrei verwendbar, weil die Erhebungs-
methode seit dem Jahre 1909 geändert wurde, insbesondere wurden
28) Reichsarbeitsblatt, 2. Sonderheft, 1909.
Die Wobhlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 19
früher Mittelpreise, nach dem Jahre 1909 häufigste Preise
verzeichnet, auch beziehen sich die Angaben wesentlich nur auf
städtische Verhältnisse.
Wir beginnen mit den Ausgaben für Nahrungsmittel und
verzeichnen zuerst die für Fleisch gemachten Aufwendungen.
In der Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform wurde der
Fleischverbrauch in Deutschland auf Grund der Statistik der Vieh-
schlachtungen für das Jahr 1906 auf 46 kg pro Kopf geschätzt.
Ballod® glaubt, daß die wirklichen Werte etwas niedriger sind.
Die sächsische Statistik, die sich auf Aufzeichnungen der Steuer-
behörden stützt, gibt 1885 32,4 kg Fleischverbrauch pro Kopf,
1903 43,1kg an. Danach läßt sich der durchschnittliche Fleischver-
brauch in Preußen für das Jahr 1891 auf ungefähr 37 kg schätzen,
wovon nach den von der Reichsstatistik für das Jahr 1906 gegebenen
Verhältniszahlen®) ca. 19,7 kg auf Schweinefleisch, ca. 10,9 kg
auf Rindfleisch, 2,4 kg auf Kalbfleisch, 0,9 kg auf Hammelfleisch
und 3,1 kg auf anderes Fleisch kämen). Der Detailverkaufswert
dieser Mengen betrug für Schweinefleisch ca. 20 M., für Rindfleisch
ca. 12 M., für Kalbfleisch 2,4 M., für Hammelfleisch 1 M., für
anderes Fleisch ca. 3 M., insgesamt 38,60 M. Diese Zahlen sind
nach den Preisangaben der Preußischen Statistik berechnet, doch
wurde speziell bei Schweinefleisch berücksichtigt, daß ein erheblicher
Teil desselben in der eigenen Wirtschaft konsumiert wird und der
Preis entsprechend niedriger angesetzt. (Nach der Reichserhe-
bung bezifferte sich der Gesamtverbrauch an Fleisch, Wurst, Schin-
ken, Speck, Fetten [allerdings einschließlich Pflanzenfette] auf 55 M.
[62 M.]). — Die Preissteigerung des Schweinefleischs betrug nach
der Preußischen Statistik von 1891—1911 14,60%. Für den Schweine-
konsum auf dem Lande ist, besonders bei Deckung des Bedarfs
aus der eigenen Wirtschaft, eher die Steigerung der Großhandels-
preise maßgebend, die sich (in Berlin) auf 11,9 oa belief®). Wir
können danach eine durchschnittliche Steigerung von 130% an-
nehmen. Die Verteuerung des Rindfleisches betrug für die gleiche
Zeit nach der Preußischen Statistik 29,7 oa (die Großhandelspreise
stiegen um 27,80%0)32). Die Kalbfleischpreise erhöhten sich um
54,2 %, die Hammelfleischpreise um 40 %. Dabei können die Preise
29) Festschrift für G. v. Mayr, Bd. 2, S. 614.
30) Denkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 3, S. 76.
31) In der Tat war der Konsum an Rindfleisch 1891 größer, der Konsum
an Schweinefleisch geringer, als diese nach den Verhältniszahlen für das Jahr
1906 berechneten Ziffern besagen, da die Zahl der Schweine von 1891—1906
sehr viel stärker als die Zahl der Rinder zunahm und die Schweinefleisch-
preise entsprechend weniger stiegen. Trotzdem legen wir diese für das Jahr
1906 geltenden Verhältniszahlen zugrunde und berechnen so für das Fleisch ins-
gesamt eine etwas geringere Preissteigerung, weil die früheren Konsumenten des
Rindfleisches, die bei der geringeren Steigerung des Schweinefleisches Schweine-
fleisch statt Rindfleisch verzehren, durch dessen Preissteigerung verhältnismäßig
weniger betroffen werden (vgl. später 8. 38).
32) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs.
KA
20: Arthur Friedmann,
von 1911 nicht als abnorm hoch bezeichnet werden, die Fleischpreise
des Jahres 1912 stellten sich noch erheblich höher. Für das hier
nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch (Wild, Geflügel, Roß-
fleisch) fehlen umfassende statistische Angaben. Wahrscheinlich
ist auch dies Fleisch erheblich teurer geworden. Nach Angaben
eines Hamburger Wild- und Geflügelhändlers ist der Preis der wich-
tigsten Wild- und Geflügelarten heute 20—25 ou höher als vor 20
Jahren. Ein städtischer Verkaufsvermittler für Wild und Geflügel
in Berlin schätzt die Preissteigerung für Geflügel auf 20 oe, für
Wild auf 20—30 %, für geringere Qualitäten wäre eine geringere
Verteuerung eingetreten. Nach den Aufzeichnungen in den statisti-
schen Jahrbüchern der Stadt Berlin war der Preis für Wild im
Jahre 1910 im allgemeinen merklich höher als im Jahre 1896, da-
gegen der Preis des Geflügels ziemlich unverändert. Wir rechnen
für dieses hier nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch von 1891
bis 1911 eine Preissteigerung von 15 %.
Der Brot- und Mehlverbrauch des Jahres 1891 läßt sich
unter Zugrundelegung der von der Reichsstatistik für den Weizen-
und Roggenkonsum gegebenen Zahlen unter Umrechnung auf Mehl
und Brot auf ungefähr 22,50 M. für Weizenmehl und Weizenbrot
und. auf 23 M. für Roggenmehl und Roggenbrot schätzen ®). Diese
Schätzung ist besonders deshalb unzuverlässig, weil die im Jahre
1891 gezahlten Brotpreise nur schwer zu ermitteln sind. Für die
Mehlpreise wurden die Zahlen der Preußischen Statistik berück-
sichtigt, für Roggenbrot die Angaben im statistischen Jahrbuch
deutscher Städte. Es wurden aber, in Anbetracht der niedrigeren
Brotpreise auf dem Lande, besonders bei Befriedigung des Bedarfs
aus der eigenen Wirtschaft, etwas geringere Werte in Anschlag ge-
bracht. Da die Reichserhebung für Brot und Backwaren einen Ver-
brauch von nur 31,30 (35,60) M. angibt, während wir hier einen
Brotkonsum von 40 M. schätzten, und da bei der obigen Berechnung
die als Viehfutter verwandten Getreidemengen nicht in Abzug ge-
bracht wurden, wollen wir etwas niedrigere als die genannten Werte
in Rechnung setzen, und zwar 21 M. für Weizenmehl und Weizen-
brot und ebenso 21 M. für Roggenmehl und Roggenbrot. — Eine
Gegenüberstellung der Preise in den Jahren 1891 und 1911 hätte
darum nur wenig Wert, weil die Preise des Jahres 1891 wegen einer
Mißernte ungewöhnlich hoch waren, wie dies ohne weiteres aus einem
Vergleich der in den letzten Jahrzehnten verzeichneten Getreide-
33) Der Weizenkonsum betrug 1891 etwa 80 kg pro Kopf. (Die in der
Statistik angegebenen 69,5 kg müssen nach den Angaben im Denkschriften-
band III zur Finanzreform S. 62 um etwa 1500 erhöht werden.) 80 kg Weizen
entsprechen ungefähr 60 kg Weizenmehl oder: 62 kg Brot (19 M.) + 10 kg Mehl
(3,50 Mi Der Roggenkonsum betrug 108 kg (93,8 kg zuzüglich 15%), ent-
sprechend 81 kg Mehl oder: 100 kg Brot (21 M.) + 6kg Mehl (2 M.). Die
Roggenmengen, die als Viehfutter dienen, sind schwer zu schätzen; dieselben
wurden hier nicht in Abzug gebracht. Die für die Branntweingewinnung und
die Stärkefabrikation verwandten Getreidemengen sind relativ unbedeutend.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 21
und Mehlpreise ersichtlich ist). Wir rechnen statt der Preise
des Jahres 1891 den Durchschnitt der Preise der Jahre 1890 und
1892, die ihrerseits im Vergleich zu den Vor- und Nachjahren eher
hoch als niedrig waren. Unter dieser Annahme beträgt die Preis-
steigerung bis zum Jahre 1911 für Weizen (Großhandelspreise
nach der Preußischen Statistik) Di: ou, für Weizenmehl (Klein-
handelspreise) 9%; die Großhandelspreise des Roggens nahmen
hingegen um 5,7%, die Roggenmehlpreise um 5% ab. Die
Weizenbrotpreise stiegen in Berlin von 1891—1910 um 15,4 oan
die Roggenbrotpreise nahmen nach den Aufzeichnungen im sta-
tistischen Jahrbuch deutscher Städte von 1891—1910 in 11 großen
Städten im Durchschnitt um 5,8 %, in verschiedenen Städten aller-
dings in sehr verschiedenem Umfange, zu. Die Brotpreise des Jahres
1911 waren bei den wenig veränderten Mehlpreisen von denen des
Jahres 1910 wahrscheinlich wenig verschieden. Gegenüber dem
Durchschnitt der Jahre 1890 und 1892 erhöhten sich die Roggen-
brotpreise im Jahre 1910 um 14,8%. Nach einer von Brutzer°®)
wiedergegebenen Berechnung macht der Preis des verwandten Mehles
beim Roggenbrot nur etwa Zi, beim Weizenbrot nicht einmal die
Hälfte des Brotpreises aus. Da die allgemeinen Unkosten, speziell
die Löhne, höher geworden sind, ist ein stärkeres Anziehen der
Brotpreise im Vergleich zu den Mehlpreisen verständlich. Brutzer
weist diese Verhältnisse speziell für Berlin nach. — Nach den im
vorangegangenen gegebenen Zahlen schätzen wir die Preissteige-
rung für Weizenbrot und Weizenmehl von 1891 —1911 auf 11%
und für Roggenbrot und Roggenmehl auf 8 %o (wobei statt der Preise
des Jahres 1891 der Durchschnittspreis der Jahre 1890 und 1892
berücksichtigt wurde); es ist ersichtlich, daß diese Schätzung nur
sehr bedingten Wert hat.
Wenn wir hier statt der Brotpreise des Jahres 1891 solche
Preise in Anschlag brachten, wie sie in einem normalen Erntejahr
zu erwarten gewesen wären, so war solches nur unter der Voraus-
setzung zulässig, daß die Landwirte in einem normalen Jahre trotz
niedrigerer Preise kein geringeres Einkommen erzielt hätten; haben
wir doch in dem Gesamteinkommen des Jahres 1891 auch das wirk-
lich erzielte Einkommen der Landwirte in Rechnung gestellt. Aus
einem Vergleich der Getreideproduktion und der Getreidepreise des
Jahres 1891 mit den vorangegangenen und folgenden Jahren ergibt
sich in der Tat, daß die Landwirte im Jahre 1891 aus dem Getreide-
verkauf jedenfalls keine merklich höheren Einnahmen als in normalen
Jahren hatten.
Wir kommen nunmehr zur Berechnung des Verbrauchs von
Milch, Butter und Käse im Jahre 1891. Die Reichserhebung
34) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, Bd. 10, S. 304.
35) Statistische Jahrbücher der Stadt Berlin.
36) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139 A 2, 8. 28.
22 Arthur Friedmann,
gibt einen Verbrauch von 115 Litern Milch, 8 kg Butter und 3,5 kg
Käse an (unreduzierte Werte) ). Fleischmann) schätzt nach
den Angaben über die Höhe des Milchkonsums in mehr als 100
Städten einen durchschnittlichen Verbrauch von 140 Liter Milch,
7,7 kg Butter und 1,4 kg Käse (1910). Für das Jahr 1891 mögen
125 Liter Milch (16 M.) 8 kg Butter (16 M.) und 3 kg Käse (3 M.)
nicht zu hoch gegriffen sein. Wenn 'wir diese Werte in Milch um-
rechneu (1 kg Butter = 27 Liter Milch), so erhalten wir für das
Reich unter Hinzurechnung der für die Kälberaufzucht verwandten
Milch eine Gesamtmilchproduktion von höchstens 19 Milliarden
Liter). Da die Viehzählung von 1892 fast 10 Mill. Kühe nachwies,
kämen auf die Kuh 1900 Liter pro Jahr, ein Wert, der für 1891 un-
gefähr zutreffen mag. — Von 1891—1911 stieg der Butterpreis nach
der Preußischen Statistik um 25,9 %. Da der Butterpreis im Jahre
1911 wegen der Dürre relativ hoch war, rechnen wir statt dessen
den Durchschnittspreis der Jahre 1909—1911 und erhalten dann
eine Preissteigerung von 21,8%. Für Milchpreise fehlt eine um-
fassende Statistik; man könnte aber eine ähnliche Preissteigerung
wie für Butter vermuten. Nach den wenigen Angaben, die mir über
Milchpreise bekannt sind, ist die Verteuerung der Milch eher etwas
geringer gewesen. In Berlin#) stieg der Preis um ca. 15%, in
Dresden 9 3 um 10%, in Frankfurt a. M. um ca. 20 0/42), in Bres-
lau) (bis 1910) um 13 %. In den größeren badischen Städten er-
höhte sich der Milchpreis von 1897—1910 im Durchschnitt um
22,7 0/04); von 1891—1907 mögen die Milchpreise kaum gestiegen
sein, die Butterpreise gingen während dieser Zeit etwas zurück. In
Hamburg hatten die Händler 1911 11% (1912/13 20 %) mehr für
die Milch zu zahlen als 189145). Wir rechnen für Milch, Butter
und Käse im Durchschnitt eine Steigerung von 19 %.
Für die Berechnung des Kartoffelkonsums stützen wir uns
wiederum auf die Ergebnisse der Reichserhebung, die für das Jahr
1907 einen durchschnittlichen Verbrauch von 6 M. (7 M.) ver-
zeichnet. Auf dem Lande ist der Kartoffelkonsum größer, anderer-
37) 1. c. S. 69.
38) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, 3. Auflage, Milchwirt-
schaft und Molkereiwesen, 8. 703.
39) Die Differenz der Einfuhr und Ausfuhr von Molkereiprodukten war
1891 nur gering und kann gegenüber der einheimischen Milchproduktion ver-
nachlässigt werden.
40) Nach Brutzer (Meierei Bolle) 1891 20 Pf., 1907 22 Pf., nach der
Preußischen Statistik 1910 22 Pf., 1911 23 Pf.
41) Statistische Jahrbücher der Stadt Dresden.
42) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10.
43) Breslauer Statistik, Bd. 15 und 31.
44) Statistische Mitteilungen über das Großherzogtum Baden, 1910, N. F.,
Bd. 3, S. 142, bzw. 1911, S.4, zitiert aus Berg: Die Milchversorgung der
Stadt Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135.
45) Nach Mitteilung des Zentralvereins der Milchproduzenten für Ham-
burg, die sich allerdings zum Teil nur auf die Aufzeichnungen eines Händ-
lers stützen. S
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 23
seits ist aber bei Deckung des Bedarfs aus der eigenen Wirtschaft
der in Ansatz zu bringende Preis erheblich niedriger. Auch für das
Jahr 1891 mag ungefähr ein Durchschnittsaufwand von 6 M. zu-
treffen. (In diesem Jahre war der Kartoffelkonsum außerordentlich
gering, der Kartoffelpreis aber entsprechend hoch.) — Wegen der
ungewöhnlich hohen Kartoffelpreise in den beiden Vergleichsjahren
lassen sich die in diesen Jahren gezahlten Preise zur Ermittlung der
Preissteigerung nicht ohne weiteres verwenden. Die Großhandels-
preise waren 1911 6,4% niedriger als 1891), die Kleinhandels-
preise nach der Preußischen Statistik 40% höher (10 Pf. statt
7 Pf. pro Kilogramm). Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910
waren die Großhandelspreise ca. D oe, die Kleinhandelspreise 13 Ou
höher als im Durchschnitt der Jahre 1891—1900. Wir wollen die
Preissteigerung der Kartoffeln für die 20 Jahre auf 15% veran-
schlagen.
Der Eierverbrauch stellte sich nach der Reichserhebung 1907
auf 6 M. (6,75 M.) pro Kopf. Im Jahre 1891 waren die Eierpreise
erheblich niedriger als 1907, so daß wir einen Aufwand von 5 M.
in Rechnung setzen. Die Preissteigerung von 1891—1911 betrug
nach der Preußischen Statistik 33 oa.
Für den Zuckerkonsum gibt die Reichserhebung 5 M. (5,7 M.)
pro Kopf an. Der Zucker ist in den letzten 20 Jahren sehr viel
billiger geworden. Die Reichsstatistik verzeichnet 1911 einen 25 %o
geringeren Preis als 1891, betont aber, daß die Zahlen nicht ver-
gleichbar sind. Nach den Angaben der statistischen Jahrbücher der
Stadt Berlin war der Zucker 1910 20—30 % billiger als 1891.
Der Kaffeekonsum betrug nach der Statistik des Reiches
1891 2,4 kg pro Kopf, also ca. 7,2 M. Trotz der inzwischen statt-
gehabten Zollerhöhung ist der Kaffeepreis 1911 eher billiger als
1891 gewesen. Die Großhandelspreise dreier verschiedener Kaffee-
sorten waren nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta-
tistik des Deutschen Reichs 1911 8% billiger als 1891.
Der Bierkonsum im Brausteuergebiet bezifferte sich im Jahre
1891 auf ca. 80 Liter pro Kopf. Bei einem Bierpreise von 26 Pf.
das Liter (es sind die Kleinverkaufs- und die Ausschankpreise zu
berücksichtigen), wäre dies ein Gesamtaufwand von 21 M. Das
Bier ist infolge der Steuererhöhungen sicher merklich teuerer ge-
worden. Die Steuer allein betrug 1911 2,2 Pf. mehr pro Liter als
1891, das sind ca. Bi % des früheren Preises. Aus den Angaben
der Reichsstatistik4) ist zwar eine gewisse Steigerung der Bier-
preise zu entnehmen, die absolute Höhe der Steigerung läßt sich aber
nach den gegebenen Daten nicht abschätzen. In Leipzig stiegen die
Ausschankpreise infolge der Steuererhöhungen der Jahre 1906 und
46) Berechnet nach den Preisangaben über fünf verschiedene Kartoffel-
sorten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs.
47) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892, IV, S. 105,
und 1912 IV, 8. 189.
24 Arthur Friedmann,
1909 um 20—25 0/48), auch sonst scheint in Norddeutschland eine
Preissteigerung von ähnlichem Umfange stattgefunden zu haben,
während die Verteuerung des Bieres in Süddeutschland etwas ge-
ringer war“). Wir rechnen eine Verteuerung des Bieres von 17 oo,
Der Branntweinkonsum betrug im Jahre 1891 im Brannt-
weinsteuergebiet 4,4 Liter oder bei einem durchschnittlichen Aus-
schankpreis von 1,50 M. pro Liter 6,50 M. pro Kopf. Die Preis-
steigerung läßt sich aus einem Vergleich der von der Reichsstatistik
gegebenen Branntweinpreise in verschiedenen Orten auf 20—50 Oe
veranschlagen 5°),
Den Aufwand an Zigarren, Zigaretten und sonstigen Tabak-
fabrikaten schätzen wir nach der Menge des konsumierten Roh-
tabaks. Im Jahre 1891 kamen 1,5 kg Rohtabak auf den Kopf der
Bevölkerung; der Wert der hieraus hergestellten Tabakfabrikate
dürfte 1891 im Kleinverkauf ca. 12 M. betragen haben’!). Der
Tabak ist in den letzten 20 Jahren merklich teuerer geworden,
nach einem Vergleich der von der Reichsstatistik angeführten Preise
verschiedener Tabaksorten um 25—45 %. Hinzu kommt die Steige-
rung der Steuern und Zölle, die sich für 1,5 kg Rohtabak auf 1 M.
bis 1,50 M. belief und allein eine Verteuerung der Tabakfabrikate
um 7—10%o ihres früheren Wertes bewirkte. Nach Angaben eines
Hamburger Zigarrenfabrikanten sind gleichwertige Zigarren heute
durchweg 25% teuerer als vor 20 Jahren.
In der bisherigen Zusammenstellung sind die wichtigsten Nah-
rungs- und Genußmittel enthalten. Es fehlen insbesondere noch
Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst (zusammen ca. 9 M. 1891),
Pflanzenfette, Fische, Salz (1 M. und Wein (ca. 3 MA
Wir wollen den Gesamtwert dieser und der sonst noch fehlenden
Nahrungsmittel auf Grund der Angaben der Reichserhebung auf
22 M. pro Kopf veranschlagen. — Hülsenfrüchte sind in den letzten
20 Jahren eher teuerer geworden. Nach der Preußischen Statistik
waren Kocherbsen 1911 41% teurer als 1891, weiße Bohnen 28 oe
teurer und Linsen 12% billiger. — Die Gemüsepreise waren in
Berlin nach den Angaben in den statistischen Jahrbüchern 1910
niedriger als 1891. Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910 stellten
sich die Preise der Kohlrüben ungefähr gleich hoch wie im Durch-
schnitt der Jahre 1891—1900, der Preis des Kohlrabis etwas niedri-
ger und des Savoyenkohls etwas höher. Im Jahre 1911 mochte der
48) Nach einer Mitteilung des Vereins der Brauereien des Leipziger Bezirks.
49) Nach Angaben des offiziellen Organs des Deutschen Brauerbundes.
50) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892 II, S. 87,
und 1912 LS 304.
51) Nach einer im Denkschriftenband 3 zur Finanzreform wiedergegebenen
Statistik kommt der größte Teil des Tabakkonsums auf Zigarren (121 Stück) und
Rauchtabak (0,45 kg). Zigaretten spielen nur eine untergeordnete Rolle. —
Man rechnet auf 1 kg Rohtabak 125 Zigarren und den Durchschnittspreis der
Zigarren heute auf 7 Pf. Unter alleiniger Umrechnung auf Zigarren würden
1,5 kg Rohtabak einen Detailverkaufswert von 13 M. haben. Der Wert der
aus der gleichen Menge Rohtabak hergestellten Zigaretten ist erheblich höher.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 25
Gemüsepreis infolge der herrschenden Trockenheit ausnahmsweise
etwas höher gewesen sein. — Reis war 1911 nach der Preußischen
Statistik ein wenig billiger als 1891. — Wein ist erheblich im Preise
gestiegen. Nach der Mitteilung eines Fachblattes ist billiger Wein
1911 fast 80 %0 teurer als 1891 gewesen. Allerdings sind die Preise
je nach der Weinernte starken Schwankungen unterworfen. — Salz
war 1911 etwa 10 0o teurer als 1891 (Statistische Jahrbücher der
Stadt Berlin). — Der Preis der Heringe schwankte im Laufe der
Jahre stark und war 1911 4 % niedriger als 1891 5°). — Wir schätzen
für diese hier nicht näher besprochenen Nahrungsmittel eine durch-
schnittliche Preissteigerung von 10 0%.
Die Ausgaben in Gastwirtschaften berechnen wir nicht
gesondert. Bei den alkoholischen Getränken wurden bereits die Aus-
schankpreise mitberücksichtigt. Der Preisaufschlag für den Speise-
konsum in den Gastwirtschaften ist bei dem relativ geringen Auf-
wand nicht von Belang. Die Familien, auf die die Reichserhebung
Bezug nimmt, verspeisten in Gastwirtschaften nur 4 M. pro Kopf.
Der durchschnittliche Aufwand wird allerdings etwas größer
E da alleinstehende Personen mehr in Speisewirtschaften ver-
zehren.
Nach den hier gegebenen Schätzungen würden sich die Aus-
gaben für Nahrungsmittel im Jahre 1891 auf 203,7 M. pro Kopf
gestellt haben. Dies wären, wie die folgenden Berechnungen ergeben,
50,6% des Gesamtaufwandes.. Nach der Reichserhebung betrug
der Aufwand für Nahrungsmittel 48,6% des Einkommens, wenn
dort ebenso wie bei der vorliegenden Berechnung Steuern, Versiche-
rungsbeiträge etc. vom Einkommen in Abzug gebracht werden.
Wir kommen nunmehr zu dem nächst der Nahrung wichtigsten
Ausgabeposten, der Wohnungsmiete. Die durchschnittliche Miet-
höhe läßt sich nach den Angaben einzelner Städte über das Ver-
hältnis von Wohnungsmiete und Einkommen bestimmen. In einer
größeren Anzahl deutscher Großstädte betrug dies Verhältnis nach
den diesbezüglichen Ermittlungen 17—22%, im Durchschnitt ca.
18—19 ua za, Diese Verhältniszahl ist aber darum eher zu hoch ge-
griffen, weil das Einkommen häufig zu niedrig angegeben wird, da-
gegen die Miete nicht. Speziell ist nicht überall das Einkommen der
mitverdienenden Familienmitglieder berücksichtigt, auch bezieht sich
festgestellte Verhältnis von Miete und Einkommen nur auf Haus-
tungsvorstände. Bei alleinstehenden Personen, die in Untermiete
wohnen, ist das Verhältnis günstiger. In Berlin geben beispielsweise
m Aftermiete wohnende Personen nur ca. 10% ihres Einkommens
für Wohnungsmiete aus. — In kleineren Städten wird relativ weniger
die Wohnung aufgewandt. In einer Anzahl sächsischer Klein-
52) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs.
53) Vierteljahrsberichte des Statistischen Amtes der Stadt Schöneberg,
1910 I, 8. 45.
26 Arthur Friedmann,
und Mittelstädte wurde das Verhältnis von Einkommen zu Miete nur
zu ca. 12% angegeben 5). Auf dem Lande, wo bei eigenem Besitz
des Hauses an Stelle der Miete ein dem Werte und den Unterhal-
tungskosten des Hauses entsprechender Betrag in Rechnung zu
setzen ist, mag die Miete kaum höher als zu 10% des Einkommens zu
veranschlagen sein. Im Jahre 1890 wohnten 13 % der Bevölkerung
in Großstädten, 26 % in Mittel- und Kleinstädten und 61 % auf dem
Lande. Wir schätzen danach den durchschnittlichen Aufwand für
Wohnungsmiete auf 11—12 % des Durchschnittseinkommens oder auf
46 M.
Was nun die Wandlung der Mietpreise in den letzten beiden
Jahrzehnten anbetrifft, so wäre eine Steigerung derselben schon mit
Rücksicht auf die Erhöhung der Baukosten anzunehmen. Wenn
auch die Materialpreise anscheinend 1911 nicht wesentlich höher
als 1891 gewesen sind, so sind doch die Arbeitslöhne, die ungefähr
ein Drittel der Baukosten ausmachen, sehr stark gestiegen. Die
Steigerung der Löhne hat durch die verbesserte Bautechnik und die
weitergehenden Arbeitsteilungen nicht ausgeglichen werden können.
Bei Beurteilung des Einflusses der Baukosten ist allerdings zu be-
rücksichtigen, daß die neuerstellten Wohnungen nur immer einen
kleinen Teil aller Wohnungen ausmachen. — Einen wesentlichen
Einfluß auf den Stand der Mietpreise hat weiterhin die Höhe des
allgemeinen Zinsfußes, speziell des Hypothekenzinsfußes. Der teuere
Geldstand der letzten Jahre hat mit zu der Steigerung der Mieten
beigetragen. Endlich hat speziell in den großen Städten die Er-
höhung der Bodenwerte auf eine Steigerung der Mieten hingewirkt.
Es sollen hier die vorliegenden Angaben über die in der Zeit
von 1891—1911 erfolgten Mietssteigerungen in den Städten zu-
sammengestellt werden und bei dem relativ geringen vorhandenen
Material auch die Daten für nicht-preußische Städte genannt werden.
Ich beginne mit denjenigen Städten, für die die Mietpreise für die vollen
20 Jahre verzeichnet wurden.
In Hamburg werden E die Mietsteigerungen und Mietermäßi-
gungen ermittelt. Aus den diesbezüglichen Angaben 55) läßt sich berechnen, daß
er Mietpreis der gleichen Wohnungen von 1892 bis 1912 um 4°/, zuge-
nommen hat (bis zum Jahre 1897 hatte der Mietpreis um 1°/, abgenommen).
Da dieselbe Wohnung in 20 Jahren im Durchschnitt erheblich minderwertiger
geworden ist, ist die tatsächliche Mietsteigerung gleichwertiger Wohnungen sehr
viel höher und auf mindestens 10°/, zu veranschlagen. In Altona stieg
der Mietpreis für 1-, 2- und 3-Zimmerwohnungen, die insgesamt über fünf
Sechstel aller Wohnungen ausmachten, von 1890—1910 um 21, 9 und 8°/,5°).
Diese, sowie die meisten nachfolgenden Angaben beziehen sich, im Gegensatz
zur Hamburger Statistik, auf die Mietpreise aller, also auch der (inzwischen
neu hinzugekommenen Wohnungen. In diesen Fällen kommt also bei der er-
mittelten Mietsteigerung auch die K eegene zum Ausdruck, welche
die Wohnungen in dem 20 jährigen Zeitraum erfahren haben. In Berlin blieb
54) Ebenda.
65) Statistik des Hamburgischen Staates, Bd. 22, 1904, S. 90, und Oeffentl.
Anzeiger, 1906—1913.
56) Verwaltungsbericht der Stadt Altona, 1863—1900, und direkte Mit-
teilung des Statistischen Amtes.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 27
der Mietpreis von 1890—1900 ziemlich unverändert; bis 1910 stieg er in
1—3 Zimmerwohnungen, die weitaus den größten Teil aller Wohnungen
ausmachten, um etwas mehr als 109057). In Breslau®) hat vom Jahre
1890—1910 die Durchschnittsmiete pm L- Bh 3 4- und 5-Zimmer-
wohnungen um 22, 18, 10, 7 und 9% zugenommen ; 590% aller Woh-
nungen waren 1-Zimmer-, über 80%% l- oder 2-Zimmerwohnungen. In
Münchent’) ist der Durchschnittspreis aller Wohnungen von 1890—1895
um 0,9°/ọ von 1895—1900 um 10,8°/,, von 1900—1905 um 0,7 und von 1905
bis 1910 um 17,90/, gestiegen, im ganzen also um 28,5°/o Die durchschnitt-
liche Zimmerzahl hat sich von 189 —1910 nicht derart verändert 6%), daß der
durchschnittliche ei e gleichzimmeriger Wohnungen wesentlich mehr
oder weniger als der urchschnitt aller Wohnungen SE hätte, dagegen
mag auch hier die Beschaffenheit gleichzimmeriger Wohnungen etwas besser
als 1890 gewesen sein, über 40°%/o der im Jahre 1910 vorhandenen Wohnungen
waren in den letzten 20 Jahren neu errichtet. In Cöln wurde die Miete nur
für die größere Hälfte aller Wohnungen fest estellt 61). Die Steigerung von 1890
bis 1910 betrug für 1-Zimmerwohnungen 1,40/,, für 2-, 3- und 4-Zimmer-
wohnungen 25,0, 25,4 und 32,2, für BE Wohnungen 41,3°/o. 49°/, aller
schnittliche Steigerung kann also auf über 2500 geschätzt werden. In Magde-
burg?) nahm von 1890—1910 der Mietpreis der Wohnungen mit einem
heizbaren Zimmer um 270/,, der Wohnungen mit 2 heizbaren Zimmern um
SC zu. Die 1-Zimmerwohnungen machten 1905 mehr als zwei Fünftel aller
Wohnungen, die 1- und 2-Zimmerwohnungen zusammen mehr als zwei Drittel
aller Wohnungen aus. Die 3-Zimmerwohnungen nahmen nur unbedeutend im
Preise zu, während der Mietpreis der 4- un 5-Zimmerwohnungen im Preise
zurückging. In Leipzig) stieg der Mietpreis für 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und
6-Zimmerwohnungen in der gleichen Zeitspanne um 42, 25, 10,8, 11 und 16°/o-
Da (1905) 60°/, aller Wohnungen 3-, 4- und 5-Zimmerwohnungen waren,
können wir die durchschnittliche Mietsteigerung auf nicht viel mehr als 100%/
veranschlagen. In Dresden®) erfolgte in der Zeit von 1890—1910 nur eine
relativ unbedeutende Erhöhung der Mieten. Die 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und 6-Zimmer-
wohnungen kosteten 1910 nur 27, 8, 5, 3, 11 und 170/, mehr als 1890. Dabei
ist zu berücksichtigen, daß die 3- und 4-Zimmerwohnungen, die die geringste
Steigerung erfahren haben, fast zwei Drittel aller Wohnungen ausmachten. In
Freiburg i. B. stieg nach Angaben des statistischen Amtes der Mietpreis der
städtischen Kleinwohnungen von 1891—1913 um 10—17 ia im übrigen
sind aber die Mietpreise für alle Wohnungsklassen im gleichen Zeitraum, um
etwa 30°/,_ gestiegen. In Lübeck war der Mietpreis einer Wohnung mit 1,
2, 3, 4 und heizbaren Zimmern 1910 um 48, 31, 22, 29 und 22°/, höher als
1890 (der durchschnittliche Mietpreis aller Wohnungen um 590/)65). In
Herne i. W. stieg der Mietpreis nach Angaben des el Leg Haus- und Grund-
besitzervereins für 2- und 3-Zimmerwohnungen (die Küche wird als Wohn-
raum gerechnet) von 1891—1913 um gut 15 d
ür Frankfurt a. M. er Angaben über die Zeit von 1895—1910, für
Königsberg i. Pr. über die Jahre 1895—1912 vor. In Frankfurt a. M. gibt
en
59) Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der Stadt München. Der
Wobnungsmarkt in München, S. 13.
60) 1. c. 8. 4
61) Statistisches Jahrbuch der Stadt Cöln für 1912, S. 161.
62) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
63) Die Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 in der Stadt
Leipzig, 3. Teil, S. 49 (1910 nach direkter Mitteilung des Statistischen Amtes).
64) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
65) Grundstücks-, Gebäude- und Wohnungsstatistik der Stadt Lübeck nach
der Volkszählung vom 1. Dezember 1910, bearbeitet vom Statistischen Amte.
28 Arthur Friedmann,
die Statistik eine sehr erhebliche Preissteigerung der Mieten an66), für 4-
Zimmerwohnungen von über 20°/,, für 3-Zimmerwohnungen von fast 25°/,,
für 2-Zimmerwohnungen von über 30°/, und für 1-Zimmerwohnungen eine ge-
ringe Steigerung. Der Bericht des statistischen Amtes hebt aber hervor, daß an
dieser Preissteigerung auch die Qualitätsverbesserungen der Wohnungen schuld
seien. In Königsberg i. Pr. nahmen nach einer direkten Mitteilung des
statistischen Amtes die Mietpreise leerstehender Wohnungen von 1895 bis
1912, besonders in den letzten beiden Jahren, sehr stark zu, für Wohnungen
mit 1—3 heizbaren Zimmern um ca. 60°/,.. Da aber die durchschnittliche
ualität leerstehender Wohnungen erheblich von der Zahl der SCH neu er-
richteten Wohnungen abhängt, gestattet diese Zahl keinen zuverlässigen Schluß
auf die Mietpreissteigerungen gleichwertiger Wohnungen.
Eine Reihe von Städten macht Mitteilungen über die Entwicklung der
Mieten während eines kürzeren Zeitraums: In Neukölln) stieg der Mietwert
für 1- und 2-Zimmerwohnungen, die hier allein in Betracht kommen, von 1900
bis 1910 um 27 bzw. 31°/,. Die Mietsteigerung ist aber zum guten Teile auf
den vermehrten Komfort der Wohnungen zurückzuführen ; der größere Teil
aller Wohnungen war in den letzten 10 Jahren neu errichtet. Aehnliches mag
für Charlottenburg®®) gelten, wo der Mietzins der l- und 2-Zimmer-
wohnungen von 1900—1910 um ca. 30, für größere Wohnungen um ca. 20°/,
stieg. Auch von 1895—1900 hatte eine erhebliche Mietsteigerung stattgefunden.
Die Angaben sind allerdings nur durch die Beobachtung einer beschränkten An-
zahl von Wohnungen gewonnen. Sehr stark war wiederum die Mietsteigerung
in Straßburg i. E., wo sich der Durchschnittsmietwert der leerstehenden
Wohnungen mit 1, 2 und 3 Zimmern von 1900—1912 um 40, 28 und 22 fo
der Mietwert der 4-, 5- und 6-Zimmerwohnungen um ca. 50°/, erhöhte ®).
Dagegen betrug in Hannover die Miete eines heizbaren Zimmers 1910 nur
ebensoviel wie im Jahre 1900 ech 5°/, mehr als 1905). Vor dem Jahre 1900
waren die Mieten anscheinend billiger’). In Essen!) stieg der durchschnitt-
liche Mietwert eines Wohnraums von 1900—1910 um 15,6°/,, während in
Mannheim in der gleichen Zeit die Mietpreise für 1- bis 3-Zimmerwoh-
nungen um ca. 15°/, zunahmen. In größeren Wohnungen wurde hier der Miet-
preis allein von 1905—1910 um ca. 10°/, erhöht??). In Stuttgart‘3) war
der eer En der leerstehenden Wohnungen mit 1—4 Zimmern
im Jahre 1912 12—17°/, höher als 1903. Es ist aber hier wiederum aus den
vorliegenden Angaben nicht zu ersehen, ob der relative Anteil der neu errich-
teten Wohnungen in beiden Jahren gleich war. — In Kiel stieg der durch-
schnittliche Mietpreis für 1—3-Zimmerwohnungen von 1903—1910 um ca. 10°/,,
während der Mietpreis größerer Wohnungen nur weniger zunahm. Allein von
1905—1910 erhöhte sich der Mietpreis für 1 heizbares Zimmer um 7,2°%/, 4).
Für die Stadt Düsseldorf?5) stellte sich der durchschnittliche Mietpreis eines
Wohnraumes im Jahre 1910 um 5°/, höher als im Jahre 1905, unter Außer-
achtlassung der seit 1905 eingemeindeten Vororte um 17%. In Barmen'®)
stieg der Mietpreis leerstehender Wohnungen von 1900—1912 um 10—20°/,.
In Görlitz erhöhte sich der Mietpreis der 1—3-Zimmerwohnungen von 1908
66) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10.
67) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
68) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
69) Beitrag zur Statistik der Stadt Straßburg, hrsg. von dem Sta-
tistischen Amte der Stadt, Heft 12.
70) Statitistische Monatsberichte der Stadt Hannover, 1911 III, S. 22.
71) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
d 72) Ergebnisse der Mannheimer Volkszählung vom 1. Dezember 1910,
. 39.
73) Jährliche Veröffentlichungen im Amts- und Anzeigeblatt der Stadt
Stuttgart.
74) Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Kiel, No. 18.
75) Mitteilungen zur Statistik der Stadt Düsseldorf, No. 8.
76) Beiträge zur Statistik der Stadt Barmen, Heft 6.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 29
bis 1910 um 10% ??), hingegen bleiben in Wiesbaden die Wohnungsmieten
für 1—4-Zimmerwohnungen von 1907—1912 fast unverändert”®). In Chem-
nitz kostete die leerstehende Wohnung mit 1, 2, 3, 4 und 5 Zimmern 1911
Wi 13, 21, 18 und 23% mehr als 190679). Für Cassel lassen sich auf
Grund der bisherigen Zählungen keine sicheren Schlüsse auf die Höhe der Miet-
steigerung ziehen. Nach den Angaben des statistischen Amtes ist aber in den
letzten Jahren eine Erhöhung der Mieten in weitem Umfange erfolgt.
Gestattet das vorliegende Material auch keine sichere Ab-
schätzung der durchschnittlichen Mietsteigerung gleichwertiger Woh-
nungen, so werden wir doch wenigstens für die großen Städte eine
durchschnittliche Steigerung um annähernd 20 % in den letzten 20
Jahren vermuten dürfen. Auch für kleinere Ortschaften kann man,
vor allem wegen Erhöhung der Baukosten, mit einer Vermehrung
der Wohnkosten rechnen. Indessen dürfte diese Steigerung hinter
derjenigen der großen Städte zurückbleiben, so daß wir für das
ganze Land nur eine durchschnittliche Mietsteigerung von 16 % ver-
anschlagen. Da wir uns nur für diegroßen Städte auf statistische Unter-
lagen stützen können, und nur der kleinere Teil der Bevölkerung in
diesen Städten wohnt, ist die genannte Ziffer wenig zuverlässig.
Im Anschluß an die Wohnungsmiete besprechen wir die Auf-
wendungen für Heizung und Beleuchtung.
Die Ausgaben fürHeizung und Feuerung sind unter Zugrunde-
legung der Daten der Reichserhebung (13,80 M.) auf etwa 13 M.
zu schätzen. An Steinkohlen wurden im Jahre 1891 pro Kopf 1,39 t
verbraucht. Wenn 25 % dieser Menge oder 0,35 t dem Hausbedarf
dienten, so bedeutet dies bei einem Kleinverkaufspreis der Kohle von
3 M. pro Doppelzentner einen Aufwand von 10 M. Die Steinkohlen-
preise zeigen nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta-
tistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1891 bis zum Jahre 1911
eine ziemlich regelmäßige Steigerung. Eine Berechnung von etwa
10 verschiedenen Kohlensorten ergibt eine durchschnittliche Preis-
erhöhung um 181/2 ois, — Auch das Brennholz ist nach fachmänni-
schem Urteil erheblich teurer geworden. Die staatlichen Forsten er-
zielten allerdings im Jahre 1910 für Brennholz keine höheren Preise
als im Jahre 189180).
Für die Beleuchtung wurde nach der Reichserhebung pro
Kopf 5 M. (5,76 M.) verausgabt. Der Verbrauch an Petroleum be-
trug im Jahre 1891 pro Kopf der Bevölkerung ca. 13 kg, von denen
wahrscheinlich der größte Teil dem Hausgebrauche diente. Der
Aufwand belief sich also auf etwa 3 M. Die Petroleumpreise waren
im Jahre 1911 ungefähr ebenso hoch wie im Jahre 1891. 5 ver-
schiedene Sorten zeigen nach der Reichsstatistik eine durchschnitt-
liche Steigerung um 1,8%. Im übrigen läßt sich bei der Verschieden-
77) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
78) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes.
79) Beilage zu den monatlichen Mitteilungen des Statistischen Amtes der
Stadt Chemnitz, Jahrgang 9, No. 11.
80) Statistische Jahrbücher für Preußen.
30 Arthur Friedmann,
heit der im Jahre 1891 und heute üblichen Beleuchtungsmittel nur
schwer bestimmen, ob eine gleichwertige Beleuchtung jetzt billiger
als früher ist.
Nächst den Ausgaben für Nahrung und Wohnung sind die Aus-
gaben für Kleidung am größten. Bei der Reichserhebung wurde
ein durchschnittlicher Aufwand von 35 M. (40 M.) festgestellt,
außerdem für Wäsche und Bettzeug ein Aufwand von 4,70 M.
(5,30 M.). In der Tat sind die Ausgaben für Wäsche etwas bedeuten-
der, weil ein großer Teil besonders der Hauswäsche, bei Gründung
des Haushalts beschafft wird. Wir werden danach den Gesamtauf-
wand für Kleidung und Wäsche 1891 auf 43 M. schätzen dürfen.
Die Kosten der Kleidung haben während der beiden letzten
Jahrzehnte erheblich zugenommen. Teils lag dies an der Ver-
teuerung der Rohstoffe: die Wollpreise schwankten zwar in den 20
Jahren stark, zeigten aber im ganzen eine steigende Tendenz; noch
beträchlicher war die Steigerung für Baumwolle, die im Durchschnitt
der Jahre 1900—1910 um 38 % teurer war als im Durchschnitt der
Jahre 1891—190081). Infolge der Veryollkommnung der Weberei-
betriebe haben sich die Preise der Kleidungsstoffe wenigstens nicht
entsprechend der Steigerung der Rohstoffe erhöht8?). Hingegen ist
die Verteuerung für fertige Kleider wieder erheblicher. Auch
in der Konfektion konnten die gestiegenen Arbeitslöhne und die ver-
mehrten Geschäftsspesen durchaus nicht durch die technischen Vor-
züge der Teilarbeit ausgeglichen werden. Die Preissteigerung für
gleichwertige Konfektion wird von den befragten Inhabern der Kon-
fektionsgeschäfte und von sonstigen Fachleuten ziemlich überein-
stimmend auf 20—25 % geschätzt. Es ist im besonderen noch zu
berücksichtigen, daß sich vor 20 Jahren ein größerer Teil des Publi-
kums die Kleider selbst anfertigte und so weniger Geld für die Be-
schaffung von Stoffen und Zutaten als heute für die Beschaffung der
Kleider verausgabte.
Die Haus- und Leibwäsche ist in ähnlichem Umfange wie die
Kleidung teurer geworden. Die Steigerung wird von der Mehrzahl
der Interessenten auf 25—30 % angegeben. Die detaillierte Auf-
stellung einer großen Berliner Wäschefirma gibt für Stoffe eine
Steigerung von gut 25 %, für fertige Gegenstände von durch-
schnittlich 30 ou an. — Auch für Baumwollwaren ist ein ähnlicher
Preisaufschlag wie für Leinenwäsche zu verzeichnen.
Für die Schuhbekleidung ist in Anbetracht der verschiedenen
Qualität der vor 20 Jahren und heute hergestellten Waren nur
81) Nach den Preisangaben über drei verschiedene Baumwollsorten in den
Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches.
82) In betreff der Preisänderungen von Kleidern (Stoffen, Wäsche, Stiefel)
und Wohnungseinrichtungen während der letzten beiden Jahrzehnte wurden
jeweils eine größere Anzahl von Interessenten (insbesondere Fabrikanten, De-
taillisten, Verbände und Fachzeitschriften) befragt, deren Angaben im folgenden
verwertet wurden.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 31
schwer ein Vergleich angängig. Die Lederpreise sind sehr stark
gestiegen, ebenfalls die Arbeitslöhne. Auf der anderen Seite haben
die technischen Fortschritte eine weitgehende Ersparung von Ar-
beitskräften möglich gemacht. Die Preissteigerung gleichwertiger
Schuhwaren wird zu 15—40 % angegeben, auch die Verkaufspreise
der minderwertigsten Sorten sollen sich erhöht haben. Nach
Maß gefertigte Schuhe sind heute sehr viel teurer als vor 20 Jahren;
auch die Reparaturkosten haben zugenommen, nach Ansicht eines
Fachmannes um 20 %.
Ein relativ hoher Aufwand ist für die Beschaffung von Woh-
nungseinrichtungen, insbesondere für Möbel erforderlich. Die
Reichserhebung gibt allerdings den Aufwand für Wohnungseinrich-
tung, are? einschließlich Reinigung und Instandhaltung der Woh-
nung auf nur 13,70 M. (15,60 M.) an. Hier ist aber wiederum, wie
bei den Aufwendungen für Wäsche, zu berücksichtigen, daß
es sich bei der Reichserhebung um Familien handelt, die schon
einen Haushalt gegründet hatten, während weitaus der größte Teil
aller Aufwendungen für Wohnungseinrichtungen bei der Begrün-
dung des Haushalts erfolgt. Einigen Anhalt über den Wert der
Wohnungseinrichtungen geben die Ergebnisse der Mobiliarversiche-
rungen. In Bayern gab es 1910 bei insgesamt 1432000 Haus-
haltungen 1228000 Policen der Mobiliarbrandversicherung in der
durchschnittlichen Höhe von 7130 M.83). Wenn wir annehmen,
daß die versicherten Personen durchschnittlich zu dem vollen Werte
ihrer Mobilien versichert waren und die nicht versicherten Per-
sonen durchschnittlich Mobilien im Werte von 800 M. besaßen, so
würde sich für den Durchschnitt der Haushaltungen ein Mobiliar-
wert von 6229 M. ergeben und pro Kopf ein solcher von 1300 M.
Vor 20 Jahren war nach einer Schätzung von Rasp®*) der Mobiliar-
wert eines Haushaltes durchschnittlich um 200% geringer. Wir
rechnen so für das Jahr 1891 (auch für Preußen) einen durch-
schnittlichen Mobilienwert von 1040 Mani Da wir die Ausgaben
für Kleidung und Hauswäsche bereits berücksichtigt haben, bringen
wir eine entsprechende Summe in Abzug; nach der privaten Mit-
teilung zweier Feuerversicherungsgesellschaften beträgt der Ver-
sicherungswert von Wäsche und Kleidung etwa 25 % der gesamten
Mobilien (von den restlichen 75% kämen 40% oder etwas mehr
auf Möbel). Die eigentlichen Wohnungseinrichtungen würden hier-
nach einen Wert von ungefähr 780 M. repräsentieren. Veranschlagen
wir die durchschnittliche Gebrauchsdauer dieser Mobilien auf 20
Jahre, und berücksichtigen wir, daß im Jahre 1891 etwas mehr An-
schaffungen als im Durchschnitt der vorangegangenen Jahre ge-
83) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern, 1911, S. 242.
84) Das Deutsche Volk (Zeitschrift für nationale Politik), Jahrgang 1909.
85) Eine direkte Berechnung des Mobiliarwertes auf Grund der Versiche-
rungsdaten des Jahres 1891 wäre unzuverlässig, weil damals in Bayern nur
gut die Hälfte aller Familien versichert war.
32 Arthur Friedmann,
macht wurden, so können wir den Aufwand für Wohnungseinrich-
tungen für 1891 auf ungefähr 40 M. schätzen.
Den wichtigsten Bestandteil der Wohnungseinrichtungen bilden
die Möbel. Der Wert der Möbel wird nach den erwähnten Ver-
hältniszahlen im Jahre 1891 pro Kopf reichlich 400 M. betragen
haben, die Kosten für Neuaufwendungen ca. 20 M. — Die befragten
Fachleute gaben über die Wandlung der Möbelpreise ziemlich ab-
weichende Auskünfte. Es wurde zwar im allgemeinen ein Steigen
der Preise angegeben, während aber einige Interessenten nur eine
geringe Preissteigerung, wenigstens für billige Möbel, verzeichneten,
nannten andere eine Steigerung bis zu 35 %. Nur ausnahmsweise
wurde ein Gleichbleiben der Preise oder gar eine Verbilligung fest-
gestellt. Nach dem Durchschnitt der vorliegenden Angaben zu ur-
teilen, betrug die Preissteigerung für billige Möbel 8—10 %, während
sie für teuere Möbel erheblicher war. Als Ursache der Preissteige-
rung wird wiederum das Anziehen der Materialpreise, die Erhöhung
der Arbeitslöhne und der Spesen genannt. Die Teilarbeit soll auch
hier keinen Ausgleich für die Steigerung der Arbeitslöhne geschaffen
haben.
Auch die Preise der übrigen Wohnungseinrichtung sind
gestiegen. Für Gardinen, Portieren, Teppiche, Decken etc.
wurde ein Preisaufschlag von etwa 20 % angegeben. Die Verteue-
rung sei vor allem durch die Steigerung der Rohstoffpreise ver-
ursacht. — Die Preise für Geschirr (Glas, Porzellan, Steingut)
sollen sich ebenfalls um 15—25% erhöht haben ; höchstens die ganz
geringen Qualitäten haben eine geringere Steigerung erfahren. Auch
hier sind die teueren Rohstoffpreise, außerdem die vermehrten Kosten
für Feuerung und die höheren Arbeitslöhne an dem Preisaufschlage
schuld; endlich hat die Kartellierung der Industrie ein Hinaufgehen
der Preise begünstigt. — Auch die Preise der Kunstgegenstände
hatten im allgemeinen eine steigende Tendenz. — Nur bei wenigen
Waren, die auf Grund der vervollkommneten Technik als Massen-
artikel hergestellt werden, hat eine Verbilligung Platz gegriffen, so
bei billigen Lampen, Kunstdrucken. — Wir schätzen die Preis-
steigerung aller Wohnungseinrichtungen außer Möbel auf 15%.
Von den bisher noch nicht berücksichtigten Ausgaben wollen wir
noch diejenigen zusammenfassen, die im wesentlichen ein Entgelt
für persönliche Dienstleistung darstellen. Neben den von
der Reichserhebung unter dem Titel „Persönliche Bedienung“ ver-
zeichneten Ausgaben in der Höhe von 2,60 M. (2,95 M.) wären
hierher die in der Erhebung besonders angeführten Aufwendungen
für Reinigung der Wohnung und Reinigung der Kleidung und
Wäsche, sowie die Umzugskosten zu rechnen. Für die Reinigung
von Kleidern und Wäsche gibt die Erhebung 5,70 M. (6,50 M.) an,
während die Ausgaben für Wohnungsreinigung nicht gesondert ge-
zählt sind. Die Bezahlung für persönliche Dienstleistungen ist heute
sehr viel höher als vor 20 Jahren. Wir gaben die Steigerung des
durchschnittlichen Nominaleinkommens von 1891—1911 auf unge-
Die Woblstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 33
fähr 45% an; wahrscheinlich ist die Bezahlung der Dienstleistungen
in ähnlichem Umfange gestiegen.
Auch die Kosten der ärztlichen Behandlung, sowie die Ausgaben
für Rasieren und Haarschneiden können im wesentlichen als ein
Entgelt für persönliche Dienstleistungen angesprochen werden. Die
Aufwendungen zu diesen Zwecken sind sicher, wenn vielleicht auch
nicht entsprechend der durchschnittlichen Einkommensteigerung,
höher geworden. Die Bezahlung der Aerzte wäre hier nur soweit in
Betracht zu ziehen, als sie von den Kranken selbst, nicht von den
Krankenkassen oder von der Armenverwaltung geleistet wird. Die
Tatsache, daß heute sehr viel mehr Patienten kassenärztlich be-
handelt werden, kann unberücksichtigt bleiben, da wir später die
Leistungen der öffentlichen Versicherungseinrichtungen gesondert
behandeln. Für Gesundheitspflege sind in der Reichserhebung
7,80 M. (8,90 M.), für Körperpflege 1,80 M. (2,10 M.) verzeichnet.
Diese Summen werden zum großen Teile auf ärztliche Behandlung,
sowie auf Haar- und Bartpflege kommen.
Endlich sind noch die Trinkgelder in Gastwirtschaften als eine
Bezahlung persönlicher Dienstleistungen zu rechnen. Wir schätzen
hierfür 1 M. pro Kopf. (Die Ausgaben in Gastwirtschaften stellten
sich nach der Reichserhebung auf 13 M.) Die Aufwendungen für
Trinkgelder nahmen wahrscheinlich mit der allgemeinen Hebung des
Wohlstandes erheblich zu.
Die gesamten Kosten für persönliche Dienstleistungen mochten
sich 1891 auf 20—25 M. belaufen ; die durchschnittliche Verteuerung
dieser Ausgaben während der letzten 20 Jahre soll auf 35% ge-
schätzt werden.
Wir haben jetzt die wichtigsten Bedarfsposten angeführt. In
der Reichserhebung sind im wesentlichen nur noch Ausgaben für
Vergnügen, Vereine, Unterricht, Lernmittel, Zeitungen, Bücher und
Verkehrsmittel mit zusammen 28 M. (32 M.) angegeben. Wir rech-
nen für die hier nicht besprochenen Ausgaben insgesamt 30 M.
und nehmen an, daß dieselben in den 20 Jahren im Durchschnitt
keine Steigerung erfahren haben.
Es ist nicht nötig, neben der Bestimmung des Aufwandes auch
die Höhe der im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse zu bestimmen,
da sich der Wert gleichhoher Ersparnisse entsprechend der durch-
schnittlichen Verteurung aller Waren verminderte.
In der folgenden Zusammenstellung ist auf Grund der bisher ge-
machten Schätzungen der durchschnittliche Aufwand für die ein-
zelnen Bedarfsartikel im Jahre 1891 in absoluten Zahlen, sowie in
Prozenten des Gesamtaufwandes wiedergegeben (b und c) An
zweiter Stelle ist die geschätzte Preissteigerung der betreffenden
Waren oder Leistungen von 1891—1911 angeführt. Die Ziffern
(d) bedeuten die relativen Preise des Jahres 1911, wobei die Preise
des Jahres 1891 gleich 1 gesetzt wurden. Multipliziert man die
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 3
34 Arthur Friedmann,
Ziffernreihen c und d, so erhält man Verhältniszahlen (e), welche
zeigen, ein wie großer Teil des Einkommens des Jahres 1891 bei
Zugrundelegung der Preise des Jahres 1911 für den betreffenden Be-
darf erforderlich war; der Ueberschuß der Summe dieser Verhältnis-
zahlen über 100 gibt an, wieviel Prozent mehr der Gesamtkonsum
des Jahres 1891 nach den Preisen des Jahres 1911 kostete (wobei
gemäß unseren früheren Ausführungen vorausgesetzt wurde, daß
die einzelnen Waren in den Jahren 1891 und 1911 an den gleichen
Orten konsumiert wurden).
Die Kosten des Durchschnittskonsums des Jahres 1891 nach den
Preisen der Jahre 1891 und 1911.
a | b | c | d | e
durchschnittlicher (e X d)
Aufwand im Preis des relative Höhe
Jahre 1891 Jahres 1911 | des Aufwandes
Art des Aufwandes Im Prozent (Preis des | im Jahre 1911
in | des Ge- | Jahres 1891 | (Gesamtaufwand
Mark | samtauf- | = 1) des Jahres
wandes 1891 = 100)
Schweinefleisch 1,18 5,66
Rindfleisch 1,29 3,88
Kalbfleisch 1,54 0,92
Hammelfleisch 1,40 0,34
anderes Fleisch 1,15 0,86
Weizenbrot und Weizenmehl 1,11 5,84
Roggenbrot und Roggenmehl 1,08 5,68
Milch, Butter, Käse 1,19 10,44
Kartoffeln 1,15 sé Lie
Eier 1,38 1,66
Zucker 0,75 0,94
Kaffee 0,92 1,66
Bier 1,17 6,15
Branntwein 1,30 2,15
Tabak 1,25 3,76
Uebrige Nahrungs- und Genußmittel 1,10 6,06
Wohnungsmiete 1,16 13,37
Heizung 1,18 3,85
Beleuchtung 1,00 1,25
Kleidung 1,23 13,25
Möbel 1,10 5,24
Andere Wohnungseinrichtungen 1,15 6,05
Persönliche Dienstleistungen 1,35 7,44
Sonstiges 1,00 7,52
~ [92| 100| TI 50 `
Nach dieser Berechnung betrugen also die Kosten des durch-
schnittlichen Konsums im Jahre 1891 399,2 M. Ein gleich großer
Verbrauch hätte im Jahre 1911 (unter der oben gemachten Vor-
aussetzung, daß die Waren 1911 an den gleichen Orton wie 1891
E worden wären) einen 15,7% größeren Aufwand ver-
ursacht.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 35
Es mag auffallen, daß wir hier für das Jahr 1891 einen Ge-
samtverbrauch von 399,2 M. errechneten, während das Durchschnitts-
einkommen nach unserer früheren Schätzung nur 395,6 M. betrug.
Diese Differenz wäre dann noch sehr viel erheblicher, wenn wir von
dem Einkommen die im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse, deren
Höhe sich allerdings kaum abschätzen läßt, in Abzug bringen. Ent-
weder ist also die frühere Berechnung des Einkommens zu niedrig
oder der hier berechnete Aufwand zu hoch; das letztere ist bei der
vielfachen Unsicherheit der vorgenommenen Schätzungen wahrschein-
licher. Geringe Fehler in der Berechnung der einzelnen Aufwands-
posten würden aber für die durchschnittliche Verteuerung des Ge-
samtverbrauchs kaum ins Gewicht fallen, da sich wenigstens die
wichtigsten Bedarfsgegenstände in ähnlichem Umfange verteuerten.
Auch die Berechnung der Preissteigerung der einzelnen Waren
und Leistungen war, wie wir bereits an früheren Stellen betonten,
vielfach unsicher; dennoch wird die wirkliche Preissteigerung nicht
allzu erheblich von der geschätzten Steigerung abweichen und kaum
einige Prozent mehr oder weniger betragen: Nur bei wenigen Posten
(z. B. bei Brot, Wohnungsmiete und Wohnungseinrichtungen) würde
ein eventueller Fehler das Gesamtergebnis um 1/,% oder um 1%
verändern, so würde z. B. die Annahme einer 5% zu hohen Steige-
rung der Mieten eine um 0,6% zu starke Steigerung des Gesamtauf-
wandes ergeben. Da die Erhebungsmethoden für die Preise der ver-
schiedenen Waren oder Leistungen sehr verschieden sind, darf man
erwarten, daß die etwa gemachten Fehler nicht alle in gleicher Rich-
tung liegen, sondern sich teilweise ausgleichen.
Wir müssen nun endlich noch in Rechnung ziehen, daß tatsäch-
lich nicht, wie wir bisher annahmen, im Jahre 1911 die Waren an
den gleichen Orten wie im Jahre 1891 konsumiert wurden, daß viel-
mehr der vom Lande in die Stadt gewanderte Teil der
Bevölkerung, abgesehen von der bisher berücksichtigten Preis-
steigerung, für den gleichen Konsum in der Stadt erheblich mehr
aufzuwenden hatte. Besonders diejenigen Personen, die auf dem
Lande einen großen Teil ihres Nahrungsbedarfs aus der eigenen Wirt-
schaft deckten, konnten sehr viel billiger als die städtische Bevölke-
rung leben. Für das Fleisch lassen sich die Preisunterschiede von
Stadt und Land nach einigen von Brutzer®6) gegebenen Daten be-
urteilen: Das Schweinefleisch kostete beim Berliner Fleischer 32,5
Pfennig das Pfund, während der Landwirt für dasselbe nur 57 Pf.
erhielt. Rechnet man beim Selbstverbrauch des Landwirts 2,2 Pf.
für Schlachtungskosten hinzu, so hätte der Landwirt für den gleichen
Konsum 25,5% weniger aufzuwenden. Beim Rindfleisch ergibt
eine gleiche Berechnung eine Verbilligung von 29,9% gegenüber
der Stadt. — Aehnliches gilt für die Unterschiede der Milchpreise
86) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139, A II.
EL
36 Arthur Friedmann,
in Stadt und Land. Nach den diesbezüglichen Angaben für die
Städte Berlin, Köln, Hamburg und Karlsruhe erhält der Landwirt
für die Milch 25—45%o weniger als der städtische Konsument für
dieselbe zu zahlen hat87). Noch erheblicher sind die Unterschiede
der Kartoffelpreise; dies ist besonders deshalb bedeutungsvoll, weil
fast sämtliche landwirtschaftlich Erwerbstätige in eigener Wirt-
schaft erzeugte Kartoffeln konsumieren. Die Großhandelspreise der
Kartoffeln waren im Durchschnitt der letzten 10 Jahre nach einem
Vergleich der von der Reichsstatistik verzeichneten Großhandels-
preise mit den von der Preußischen Statistik gegebenen Kleinhandels-
preisen um 31,4%% niedriger. Nach den Angaben über Groß- und
Kleinhandelspreise der Kartoffeln in 17 deutschen Großstädten im
statistischen Jahrbüch deutscher Städte war der Großhandelspreis
(1910) sogar 47% niedriger als der Kleinhandelspreis. Der Land.
wirt hat bei dem eigenen Verbrauch der Kartoffeln einen noch ge-
ringeren Preis als den Großhandelspreis zu verrechnen. — Ge-
ringfügiger sind die Preisunterschiede für Roggen- und Weizen-
mehl. Nach der Preußischen Statistik betrug der Verkaufspreis
im Durchschnitt der Jahre 1909—1911 „beim Handel in größeren
Mengen“ für Weizenmehl 19%, für Roggenmehl 20% weniger
als im Kleinhandel. — Der Mietwert der Wohnungen ist auf dem
Lande wiederum erheblich geringer als in der Stadt, wenn man auch
wegen der verschiedenen Qualität der Wohnungen schwer einen
zahlenmäßigen Vergleich ziehen kann; eine ungefähr gleichwertige
Wohnung ist in der Großstadt oft um das Vielfache teurer als
auf dem Lande. Endlich ist auch das Heizmaterial auf dem Lande
billiger. — Es ist noch besonders zu beachten, daß der Landwirt.
bei Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens in Zweifelsfällen,
ohne eine Steuerhinterziehung zu begehen, einen relativ niedrigen
Wert für den eigenen Konsum in Rechnung setzen kann. So wird
er für die selbst konsumierte Milch kaum den Preis in Anschlag
bringen, den er bei Verkauf derselben nach der Stadt erhalten würde,
sondern eher den niedrigeren Preis, den die Molkereien ihm zahlen.
Berücksichtigt man, daß die Kosten der Ernährung, Wohnung und
Heizung auf dem Lande ?/s—?/, des Gesamtaufwandes ausmachen,
so wird man sagen dürfen, daß das Einkommen eines Landwirtes
von 100 M. einem städtischen Einkommen von 130 M. gleichzu-
setzen ist.
87) In Hamburg beträgt nach Angaben des Leiters einer Milchvertriebs-
gesellschaft der Milchpreis 18—22 Pf., während der Landwirt 10—14 Pf.
erhält. In Köln kostete die Milch in der Stadt 20 Pfg. und mehr,die Land-
wirte erzielten nur 14—15 Pf. (Clewish, Die Versorgung der Städte mit Milch,
Hannover 1909, S. 64). In Berlin betrug nach den Berichten der Aeltesten
der Kaufmannschaft der Milchpreis im Laden 18 Pf., frei Haus 20 Pf., frei
Bahnhof 12—131/, Pf. In Karlsruhe (Berg, Die Milchversorgung der Stadt
Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135) kostete
die Milch in der Stadt 22 Pf., der Produzent erhielt nur 163/, Pf., hat aber
auch die Milch frei Bahnhof zu liefern.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 37
Auch die Ergebnisse der Steuerveranlagung zeigen, daß das auf
dem Lande veranlagte Einkommen relativ niedrig ist. Im Jahre
1902 hatten die Landwirte mit einem Grundsteuerreinertrag von
60—90 M. im Durchschnitt einen Grundbesitz von 8 ha und dabei
nur ein veranlagtes Einkommen von durchschnittlich 750 M., bei
ungefähr 100 M. Schuldzinsen (entsprechend 2063 M. Schulden) 88).
Bei einem Grundsteuerreinertrag von 90—150 M. betrug die durch-
schnittliche Grundstücksgröße 11,1 ha, das durchschnittlich veran-
lagte Einkommen 890 M., bei 150 M. Schuldzinsen (3056 M.
Schulden). So verschiedenartig die Verhältnisse auch je nach der
Güte des Bodens sind, so läßt sich doch sagen, daß ein Landwirt mit
einem Grundbesitz von 8 ha, der jährlich nur 100 M. Schuldzinsen
zu zahlen hat, im Durchschnitt eine sehr viel höhere Lebenshaltung
als ein städtischer Arbeiter mit 750 M. Einkommen hat, und daß
sich ebenso ein Landwirt, der 11 ha besitzt, und jährlich 150 M.
Schuldzinsen zahlt, sehr viel besser als ein städtischer Arbeiter mit
890 M. Einkommen steht.
Die Abwanderung vom Lande in die Stadt während
der letzten beiden Jahrzehnte läßt sich einmal nach den diesbezüg-
lichen Daten der Volkszählung, andererseits nach den Angaben
der Berufszählung über die Zahl der landwirtschaftlichen Erwerbs-
tätigen verfolgen. Im Jahre 1910 war in Preußen der Anteil der
Bevölkerung in Landgemeinden und Gutsbezirken mit weniger als
10000 Einwohnern um 11,40% der Gesamtbevölkerung geringer als
1890, dagegen der Anteil der großstädtischen Bevölkerung 9,20%
und der Bevölkerung in Städten unter 100000 Einwohnern und in
Landgemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern 2,1% größer als
1890. — Die Zahl der landwirtschaftlich Erwerbstätigen (allerdings
einschließlich der in der Forstwirtschaft, Gärtnerei und Fischerei
Berufstätigen) — zuzüglich der Angehörigen — nahm in Preußen
von 1882—1895 um 7,5, von 1895—1907 ebenfalls um 7,5% der
Gesamtbevölkerung ab, in der Zeit von 1891—1911 also
schätzungsweise um 12%. Wir rechnen, daß von 1891—1911 12%
der Gesamtbevölkerung, von denen der größte Teil landwirtschaft-
lich erwerbstätig war und den Nahrungsbedarf ganz oder teilweise
aus der eigenen Wirtschaft befriedigte, vom Lande in die Stadt,
zu mehr als vier Fünftel in die Großstadt wanderte. Wenn diese
Leute früher ein etwa zwei Drittel so hohes Einkommen als der
Durchschnitt der Bevölkerung hatten, und nunmehr für die Be-
streitung eines gleich großen Konsums wie auf dem Lande ein 30%
höheres Einkommen benötigten, so waren im Jahre 1911 allein
2,4% des Gesamteinkommens der Bevölkerung des Jahres 1891
erforderlich, um den durch die Differenz der Unterhaltungskosten
88) Preußische Statistik, Heft 191, S. 27, 1905: Verschuldung und sonstige
wirtschaftliche Verhältnisse der Grundeigentümer mit mindestens 60 M. Grund-
steuerreinertrag.
38 Arthur Friedmann,
bewirkten Mehraufwand der vom Lande in die Stadt Gewanderten
zu decken. Es würde mithin der Gesamtkonsum des Jahres 1891
im Jahre 1911 nicht, wie wir früher berechneten 15,7 %, sondern
18,5 % teurer als 1891 gewesen sein.
In diesem Zusammenhange ist noch zu erwähnen, daß die durch-
schnittlichen Unterhaltskosten dann höher zu veranschlagen sind,
wenn die Zahl der Kinder im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
niedriger ist, und ebenso bei einer durchschnittlich geringeren Mit-
gliederzahl der Haushaltungen. Die Differenzen der beiden Ver-
gleichsjahre sind aber in dieser Hinsicht unerheblich. Die Durch-
schnittszahl der Angehörigen einer Haushaltung nahm in Preußen
von 1890—1910 nur von 4,69 auf 4,56 ab. Der Anteil der Kinder
unter 14 Jahren an der Gesamtbevölkerung betrug 1890 33,53, 1910
32,65%.
Wenn nun im Jahre 1911 das durchschnittliche Nominalein-
kommen 43,0% höher war als 1891 (S. 16), während die Deckung
des Konsums des Jahres 1891 1911 ein 18,5% höheres Einkommen
erforderte, so stand im Jahre 1911 ein nicht ganz 21% höheres Ein-
kommen, als solches zur Bestreitung des Konsums des Jahres 1891
nötig war, zur Verfügung.
Diese Einkommensteigerung ist etwas erheblicher als wenn
in irgendeinem Jahre bei Gleichbleiben der Preise aller Bedarfsartikel
das Durchschnittseinkommen um 21% gestiegen wäre; nur unter
der Voraussetzung, daß die relativen Preise aller Bedarfsartikel
gleichgeblieben wären, wäre bei einem Einkommen, wie es zur Auf-
bringung des Konsums des Jahres 1891 genügte, im Jahre 1911 auch
eben derselbe Konsum bestritten worden. Da einzelne Waren mehr
als der Durchschnitt, andere weniger als der Durchschnitt im Preise
stiegen oder gar im Preise sanken, wären diejenigen Waren, die
verhältnismäßig billiger geworden sind, in relativ größerer Menge
konsumiert worden und so schon bei einem Einkommen, mit dem der
Gesamtaufwand des Jahres 1891 gerade hätte bestritten werden
können, ein subjektiv wertvollerer Konsum erzielt worden. Nun sind
aber die wichtigsten Bedarfsartikel einigermaßen gleichmäßig im
Preise gestiegen, Schweinefleisch ist um 13%, Rindfleisch um 29%,
Milch und Butter um ca. 20%, Brot allerdings nur um 10% teurer
geworden. Die Wohnungsmiete ist auch um ca. 16% gestiegen.
Kleidung und Wäsche stehen heute um 20—30%, Wohnungseinrich-
tungen um 10—150% höher im Preise. Wenn auch einige weniger
wichtige Bedarfsartikel erheblich im Preise gesunken sind, so ist
doch die Gesamtsteigerung des Realeinkommens höchstens wenige
Prozent höher als 21% anzusetzen. Wir wollen diese Verhältnisse
an einem Beispiel erläutern; der Einfachheit halber wählen wir von
der Wirklichkeit einigermaßen abweichende Daten:
Wenn der Preis des Brotes im Laufe der Jahre unverändert
geblieben wäre, während alle anderen Waren um 15% (von 87 Pf.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 39
auf 1 M.) im Preise anstiegen, und früher pro Kopf und Jahr 40 M.
Brot konsumiert wurden, so mögen jetzt, bei den relativ niedrigeren
Brotpreisen vielleicht weitere 10 M. Brot anstelle anderer Waren
verzehrt werden. Die erste Mark, die für den Mehrkonsum an Brot
aufgewandt wird, hat fast den gleichen Wert wie die früher zuletzt
dafür aufgewandte (40ste Mark); es tritt also anstelle eines Konsums,
für den nach den früheren Preisen 87 Pf. gezahlt wurde, ein
Konsum, für den früher beinahe 1 M. aufgewandt wurde. Hin-
gegen repräsentiert die50ste Mark Brot keinen höheren subjektivenWert
als die Waren, an deren Stelle dieser Konsum tritt, denn andernfalls
würde noch für eine 5lste Mark Brot anstelle anderer Waren konsumiert
werden. Wir können danach rechnen, daß die 10 M. Brot, die statt
anderer Waren verzehrt werden, im Durchschnitt die Hälfte von
13 Pf., also 6,5 P£., mehr wert sind als die Waren, an deren Stelle
sie treten. Es würde mithin die ganze Verschiebung des Konsums
nur einen Gewinn von 65 Pf. bedeuten. — Aehnliches ließe sich
inbetref£ der Preisverschiebungen anderer Waren sagen.
Wir werden also auch in Anbetracht der zuletzt geschilderten
Verhältnisse die Steigerung des durchschnittlichen Realeinkommens
auf kaum mehr als 220% schätzen dürfen. Eine Zunahme des
Einkommens um 2200 in 20 Jahren würde eine durchschnittliche
Einkommensteigerung um genau 1% pro Jahr bedeuten.
(Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung würde bei
einer 43%igen Steigerung des Nominaleinkommens und einer
220%igen Steigerung des Realeinkommens 17,20 betragen.)
In der bisherigen Darstellung wurde nur das Durchschnitts-
einkommen der Jahre 1891 und 1911 miteinander verglichen, ohne
daß die Entwicklung in den dazwischenliegenden Jahren besprochen
wurde. Wir werden auch weiterhin darauf verzichten, auf die
Einkommensentwicklung in der genannten Periode näher einzugehen ;
soviel ergibt sich aber schon bei einer oberflächlichen Betrachtung,
daß sich die Einkommensteigerung im Laufe der 20 Jahre ohne allzu
erhebliche Schwankungen vollzog: Das Nominaleinkommen nahm
nach den Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung in den ersten
Jahren sehr langsam und dann — mit einer Unterbrechung in den
Jahren 1901 und 1902 — schneller zu, während die Kaufkraft
des Geldes wahrscheinlich bis Mitte der 90er Jahre ein wenig zu-
nahm, um von da ab bis zur Gegenwart zu sinken. (Das Jahr
1891 nahm allerdings insofern eine Ausnahmestellung ein, als wegen
der Mißernte der Brotpreis außerordentlich hoch war, es wurde
aber hierauf bei Vergleich der Einkommensverhältnisse der beiden
Jahre bereits Rücksicht genommen.)
Dem bisher betrachteten eigentlichen Einkommen ist vielfach der Ver-
mögenszuwachs, soweit derselbe nicht als Einkommen besteuert wird,
gleichzusetzen. Der automatische Wertzuwachs spielt hierbei keine erheb-
40 Arthur Friedmann,
liche Rolle8°). Sehr viel eher kämen hier die Erbschaften in Frage, deren
Gesamtsumme relativ bedeutend im Vergleich zu dem Gesamteinkommen der
Nation ist. In Preußen wird heute bei einem Nationalvermögen von vielleicht
180 Milliarden M. die Höhe der jährlichen Erbschaften etwa 6—8 Milliarden
M. betragen gegenüber einem Nationaleinkommen von 23—24 Milliarden M.
Die häufigsten Erbanfälle an Ehegatten und Deszendenten können allerdings in
ihrer Bedeutung für den Wohlstand dem Einkommen durchaus nicht gleich-
gesetzt werden. — Die Erbschaften haben in den letzten beiden Jahrzehnten
TB der Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer etwas weniger als
die Vermögen zugenommen, und die Vermögen selbst sind anscheinend nur in
eringerem Maße als die Einkommen gewachsen. Das von der Preußischen
rgänzungssteuer erfaßte Vermögen nahm von 1895—1911 pro Kopf der Ge-
samtbevölkerung um 28°/, zu, während das durchschnittliche Einkommen von
1892—1912 um 43°/, anstieg. — Würden wir den konsumierten Teil der Erb-
schaften dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum hinzurechnen, so würde
der Gesamtkonsum doch nicht die Höhe des eigentlichen Einkommens erreichen,
denn die Aufzehrung eines Teiles des vorhandenen Vermögens wird durch die
Ersparung neuen Vermögens mehr als ausgeglichen.
Die Größe des Kapitalvermögens an sich kann, abgesehen von dem bereits
berücksichtigten aus dem Vermögen fließenden Einkommen, kaum als ein
wesentlicher Maßstab des Wohlstandes betrachtet werden ; anders verhält es sich
mit dem Gebrauchsvermögen. Indem wir an Hand des veranlagten Ein-
kommens die Größe des jeweiligen Konsums bestimmten, ließen wir die Nutz-
nießung der Güter, die bereits in früheren Jahren beschafft wurden, unberück-
sichtigt. Nur bei Benutzung eines eigenen Wohnhauses wurde ein entsprechender
Betrag bereits bei dem Einkommen in Rechnung gesetzt, nicht aber bei dem
restlichen Gebrauchsvermögen, besonders der ohnungseinrichtung. Nach
unseren früheren Schätzungen kann der Wert der Nutzung der eigentlichen
ier Geer? für das Jahr 1891 auf nicht gena 40 M. pro Kopf (das
wären 1 de des Durchschnittseinkommens) veranschlagt werden. Man sollte
erwarten, daß sich in den letzten Jahrzehnten der Aufwand für Wohnungsein-
richtungen und mithin der Wert des vorhandenen Mobiliars mindestens ebenso
stark wie das Einkommen vermehrt hätte, da bei steigendem Wohlstand ein
relativ größerer Anteil des Einkommens für weniger dringliche Zwecke aus-
gegeben wird. Nach der Statistik von Rasp°®), die sich auf den Vergleich
einer großen Anzahl von Policen im Jahre 1890 und 1910 stützt, hätte sich
hingegen der Mobiliarwert nur um 20°/, gesteigert. Da die Mobilien innerhalb
der letzten 20 Jahre nicht unerheblich teurer geworden sind, wäre die tatsäch-
liche Zunahme des Gebrauchsvermögens noch geringer.
3. Der Anteil der hohen und niederen Einkommen an der
allgemeinen Wohlstandssteigerung.
Bei der obigen Darstellung der Wohlstandsentwicklung in
Preußen haben wir allein auf die durchschnittliche Einkommen-
89) Der automatische Wertzuwachs des vorhandenen Vermögens beträgt
heute nach allerdings sehr unsicheren Schätzungen in Deutschland jährlich
1—3 Milliarden M. Ein sehr großer Teil dieses Zuwachses wird aber bereits
als Einkommen veranlagt. Die Handel- und Gewerbetreibenden haben den Zu-
wachs des Anlagekapitals als Geschäftsgewinn zu versteuern. Ein sehr großer
Teil des Grundvermögens, das hier in erster Linie in Betracht käme, ist nicht
im Besitz von Privatpersonen, sondern von industriellen Unternehmungen, Terrain-
gesellschaften etc. Der Vermögenszuwachs erscheint hier in den Dividenden
der Unternehmungen und so in dem eigentlichen Einkommen der Aktionäre.
Endlich wird auch ein erheblicher Teil des Wertzuwachses der Grundstücke,
die sich im Besitze von Privatpersonen befinden, in Form von Hypotheken-
zinsen den Hypothekengläubigern zugeführt und von diesen als eigentliches
Einkommen verrechnet.
90) Das Deutsche Volk, Zeitschrift für nationale Politik, Jahrgang 1909.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 41
steigerung Gewicht gelegt. Wir wollen nunmehr an Hand der früher
gegebenen Daten zu zeigen versuchen, welchen Anteil die nie-
deren, mittleren und höheren Einkommen an der allge-
meinen Einkommensteigerung hatten. Wir bedienen uns
einer ähnlichen Methode, wie sie von Helfferich in seiner Ar-
beit: Die Verteilung desVolkseinkommens in Preußen 1896—191291)
angewandt wurde. Die Art der Berechnung ist aus untenstehender
Tabelle ersichtlich92): Die Gesamtzahl aller Zensiten wurde 1892
und 1912 in 7 Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe umfaßt in beiden
Jahren den gleichen Prozentsatz aller Zensiten, und zwar wurde der
Umfang der Gruppe nach Möglichkeit so bemessen, daß für das
Jahr 1892 auf die einzelne Gruppe 10% des Gesamteinkommens
entfiel. Nur der ersten Gruppe mußten 1892 sämtliche Zensiten
mit weniger als 900 M. und insgesamt 42% des Gesamteinkommens
zugewiesen werden, da die genauere Verteilung des Einkommens
auf die Personen mit weniger als 900 M. unbekannt ist. In die zweite
Gruppe wurden soviel Zensiten — mit dem nächst höheren Ein-
kommen — eingeordnet, daß das Einkommen der Gruppe I und II
50% des Gesamteinkommens ergab.
Bei der Berechnung der Zensitenzahl und des Einkommens in
Spalte b—d wurden die Angaben der offiziellen Einkommenstatistik
verwandt. Für die Einkommen unter 900 M. wurden jedoch die in
dieser Arbeit (S. 5) errechneten Werte eingesetzt; die Frei-
stellungen und Ermäßigungen wurden auf die Weise berücksich-
tigt, daß die Zensitenzahl in den Einkommensgruppen von 900
bis 3000 M. — entsprechend der Besetzung der einzelnen Gruppen
— insgesamt um die Zahl der Steuerbefreiten erhöht wurde; für’ die
Ermäßigungen in den höheren Einkommensgruppen wurden ent-
sprechende Korrekturen angebracht 93).
Avs Spalte e der Tabelle ist ersichtlich, daß sich der verhältnis-
mäßige Anteil der einzelnen Einkommensgruppen am Gesamtein-
kommen etwas, wenn auch nur wenig verschoben hat. Wäre der
Anteil einer Gruppe am Gesamteinkommen 1912 genau so groß
wie 1892 gewesen, so müßte auch das Durchschnittseinkommen
dieser Gruppe im selben Umfange wie das Durchschnittseinkommen
überhaupt, also nach unseren früheren Schätzungen (S. 16) um
430, gestiegen sein. Nahm aber der verhältnismäßige Anteil des
Einkommens einer Gruppe am Gesamteinkommen um f% zu,
(Spalte f), so muß auch das Durchschnittseinkommen der Gruppe
1912 f%o größer sein, als es bei einer nur 43%igen Steigerung ge-
wesen wäre. Das Durchschnittseinkommen der Gruppe wäre alsdann
91) Festgabe zu Rießers 60. Geburtstag, Berlin 1913, S. 18.
92) Die Spalte e der Tabelle entspricht der Helfferichschen Darstellung.
Die Spalten g und h wurden hinzugefügt.
93) Bei dieser Berechnung ergibt sich für das Jahr 1892 ein ungefähr
60 Mill., für das Jahr 1912 ein etwa 200 Mill. M. geringeres Gesamteinkommen
als bei der präziseren Berechnung an früherer Stelle (S. 11); ein gleicher
Berechnungsmodus war hier nicht anwendbar.
Arthur Friedmann,
42
Die durehschnittliche Steigerung verschieden hoher Einkommen in Preußen von 1892—1912.
Berechnet nach dem Anteil von 7 EE an dem Gesamteinkommen in den beiden Vergleichsjahren.
PR Gruppe Gruppe rüppė Fre Geet Gruppe |Gruppe Gruppe
I u 1m IV v vi vn "rm viia
a Prozent aller Zensiten 76,42 7,50 7,42 4,88 2,63 0,98 0,17 100 0,00093
b ann h 1892| 8411 825,7 816,7 537,5 289,7 107,2 18,34 ||r1 006,1] 0,102
b, Zahl der Zensiteu in Tausend fion 11996 1177,3 1164,8 766,0 412,8 153,8 26,59 15 697,4| 0,145
©, | Eink Be E. J 1892 |o— 900| 900—1087,5| 1087,5—1505|1505—2511|2511— 5625 |5625—21 480 üb. 21 480| über o füb. 512 500
e (Frame (von... bis...) Vaaak vest 1355—1586 | 1586-2r1slarıs 355513555 —741017410--29 430 üb, 29 430] über st 751 000
d, i absolut d 1892| 4291 821 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 || 10 224 102,2
d, Gruppen- jin Millionen Mark | 1912] 8923 1728 2075 2041 1985 1960 2226 20 938 249.0
e, | einkommen ) in Prozent des [1892| 47,97 8,03 10,0 10,0 10,0 10,0 10,0 100 1,0
1 H H , H H
e, Gesamteinkommens | 1912| 42,62 8,25 9,91 9,75 9,48 9,36 1063 | 100 1,19
Steigerung (+) resp. Verminderung (—)
des verbältnismäßigen Anteils des
t Gruppeneinkommens am Gesamtein-
kommen von 1892—1912 in Proz. des +15 + 2,7 — 0,9 — 2,5 — 5,2 —64 +6, o + 19,0
verhältnismäßigen Anteils von 1892
100
Le gei AE Sen
Durchschnittliche FE de
Nominaleinkommens der be-
treffenden Gruppe in Prozent (ermit-
g telt aus der S. 16 festgestellten durch-
schnittlichen Einkommenssteigerung( | 45,1 46,9 41,7 39,4 35,6 33,8 52,0 43 70,2
von 43°/, und der Ziffer in f.)
(= 000 LD 100)
Durchschnittliche Steigerung des
h Realeinkommens der betreffen-
den Gruppe in Prozent (ermittelt auf
Grund der Ziffer in g und der S. 20 e
festgestellten durchschnittlichen Ver-\| 23,8 25,3 20,9 18,9 15,7 14,2 29,7 2 45,2
teuerung der Lebenshaltung um
17,2°/0)
~ . (100 + g)
172 100)
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 43
100 + f
100
100 + f
die Zunahme betrüge nicht 43°/,, sondern UA. "or 100) Du
(Spalte ei — Da sich die Lebenshaltung von 1892—1912 (nach
S. 39) um 17,20% verteuerte (einem Einkommen von 100 im Jahr
1892 ein Einkommen von 117,2 im Jahre 1912 entspricht), würde
bei einer nominellen Zunahme des Einkommens um g% die Steige-
00.
rung des Realeinkommens nur e ml Du betragen
nicht von 100 auf 143, sondern von 100 auf 143. gestiegen ;
(Spalte h).
Die Tabelle zeigt, daß die verschieden hohen Einkommen in
nicht gar so verschiedenem Umfange gestiegen sind. Wenigstens
scheinen die niedersten Einkommen, deren Entwicklung das größte
Interesse beansprucht, in ähnlichem Umfange wie der Durchschnitt
aller Einkommen gewachsen zu sein. Die Einkommen unter 900,
resp. 1355 M. erfuhren nominell eine nur 2,1% größere Steigerung
als das Durchschnittseinkommen; etwas größer war das Wachs-
tum der Einkommen bis 1100, resp. 1600 M. Die mittleren Ein-
kommen blieben hinter der durchschnittlichen Einkommensteige-
rung zurück, während die hohen Einkommen wieder eine verhältnis-
mäßig stärkere Zunahme aufweisen. Die Einkommen über 21000,
resp. 29000 M. stiegen dem Nominalwerte nach statt um 43 um
52%, dem Realwerte nach statt um 22 um 29,7%. Am stärksten
ist die Zunahme bei den allerhöchsten Einkommen. (Ca. 1/100?/v0
aller Zensiten [1892 102, 1912 145 Personen] hatten 1892 nur 1%,
1912 dagegen 1,19%0 des Gesamteinkommens. Die Steigerung des
Nominaleinkommens betrug 700%, die Steigerung des Realeinkom-
mens 45%.)
Bei der hier gegebenen Berechnung wurden die vermutlichen
Hinterziehungen und Mindereinschätzungen nicht berücksichtigt, und
außerdem wurden die direkten Steuerleistungen nicht in Abzug ge-
bracht. Nun hat sich die Genauigkeit der Veranlagung bei den nie-
deren Einkommen im Laufe der Jahre wahrscheinlich mehr als bei
‘den höheren Einkommen gesteigert. Wir veranschlagten die Minder-
einschätzungen der Einkommen unter 3000 M. 1912 auf nur 15%
gegen 22% im Jahre 1892, hingegen die Hinterziehungen der Ein-
kommen über 3000 M. 1912 auf 10% gegen 15% im Jahre 1892
(S. 15). Dies wären für die niederen Einkommen 1912 um 7% ge-
ringere, für die höheren Einkommen aber nur um 5% geringere
Mindereinschätzungen. Wenn wir also oben die Zunahme der Ein-
kommen unter 900 M. zu 2,1% größer als die Zunahme des Durch-
schnittseinkommens angaben, so könnte diese geringe Differenz schon
teilweise durch die relativ bessere Veranlagung der niederen Ein-
kommen im Jahre 1912 erklärt werden.
44 Arthur Friedmann,
Daß bei der obigen Berechnung die direkten Steuern nicht in
Abzug gebracht wurden, scheint für das Resultat unerheblich.
Die direkten Steuern sind verhältnismäßig gering. Auch haben die-
selben für hohe und niedere Einkommen in nicht gar so verschie-
denem Verhältnisse zugenommen. Die Progression ist bei den nie-
deren Einkommen zwar viel stärker als bei den höheren, so daß
bei einer verhältnismäßig gleichen Zunahme bei den niederen Ein-
kommen relativ höhere Steuerbeträge in Abzug zu bringen wären.
Auf der anderen Seite bewirkten die Steuerzuschläge des Jahres 1909
eine verhältnismäßig stärkere Belastung der höheren Einkommen.
Ebenso werden die Reichen durch die erst seit 1893 erhobenen Er-
gänzungssteuern, sowie durch die im Jahre 1911 im Gegensatz zum
Jahre 1891 bei der Veranlagung teilweise nicht in Abzug gebrachten
kommunalen Ertragsteuern verhältnismäßig stärker belastet.
Ein merklicher Fehler entstand jedoch bei der obigen Be-
rechnung dadurch, daß die Aenderung des Geldwertes für ver-
schieden hohe Einkommen als gleich angenommen wurde, während
in der Tat die Kaufkraft des Geldes im Laufe der 20 Jahre für die
hohen Einkommen in stärkerem Maße als für die niederen abge-
nommen zu haben scheint, und zwar aus zwei Gründen: Erstens
sind diejenigen Bedarfsartikel, die von den Wohlhabenden in relativ
größerem Umfange konsumiert werden, vielfach ‚stärker im Preise
gestiegen. Bei den hohen Einkommen kommt ein geringerer Anteil
des Konsums auf Nahrungsmittel, sowie auf Wohnungsmiete, da-
gegen eiu größerer Anteil besonders auf persönliche Bedienung, dann
auf Wohnungseinrichtungen und wahrscheinlich auch auf Kleidung.
Die Kleidung und mehr noch die persönliche Bedienung haben sich
in den letzten 20 Jahren mehr als der Durchschnitt aller Waren
verteuert, nach unseren früheren Schätzungen um 23, resp. 350/0,
während die durchschnittliche Preissteigerung nur ca. 16% be-
trug. Unter den wichtigeren Nahrungsmitteln hat das Fleisch, das
in verhältnismäßig größeren Mengen von den Reichen konsumiert
wird, eine größere Preissteigerung als der Durchschnitt aller Nah-
rungsmittel erfahren. Andererseits haben sich die Verkehrsmittel,
die relativ mehr von der wohlhabenden Bevölkerung in Anspruch
genommen werden, weniger als der Durchschnitt aller Waren ver-
teuert oder gar verbilligt, ebenso manche Luxusartikel. Einzelne
heute gebrauchte Luxusartikel waren vor 20 Jahren gar nicht oder
in gleichwertiger Form nur zu sehr viel höheren Preisen zu erlangen.
— Zweitens aber ist der Aufwand der Reichen dadurch verhältnis-
mäßig teurer geworden, daß sich innerhalb der einzelnen Gruppen von
Bedarfsartikeln der Preis derjenigen Qualitäten, die speziell dem Ge-
brauche der Reichen dienen, vielfach mehr als der Durchschnitts-
preis der betreffenden Waren erhöht hat. Von der ärmeren Bevölke-
rung werden in größerem Umfange Waren konsumiert, die als Mas-
senartikeln hergestellt werden und in den letzten Jahren auf Grund
der vervollkommneten Technik eine Verbilligung oder doch nur eine
geringere Verteuerung erfahren haben. So stieg der Preis für Kon-
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 45
fektionswaren lange nicht in dem Umfange wie der Preis nach Maß
gefertigter Anzüge; Maßstiefel haben sich mehr als fertig gekaufte
Stiefel verteuert. Ebenso sind nach Angabe der von mir befragten
Sachverständigen die Preise der teuren Möbel im weitgehenderen
Maße als die der billigen Möbel gestiegen. — Eine Ausnahme in
dieser Hinsicht scheinen die Aufwendungen für Wohnungsmiete zu
machen. In der Mehrzahl der Städte, die Angaben über die Miet-
steigerung in den letzten Jahren bringen, wird für kleinere Woh-
nungen eine stärkere Steigerung der Mieten angegeben 9). Viel-
leicht ist diese Tatsache teilweise darauf zurückzuführen, daß sich
die Ausstattung der billigen Wohnungen verhältnismäßig mehr als
die der teueren gehoben hat.
- Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für die
verschieden hohen Einkommen könnte auf die gleiche Weise,
wie dies früher für das Durchschnittseinkommen geschehen ist,
festgestellt werden (in der Tabelle auf S.34 wären in Spalte c und d
entsprechend veränderte Werte einzutragen). Wenn für eine ge-
nauere Berechnung auch genügende Daten fehlen, so läßt sich doch
soviel bei einer ungefähren Schätzung der betreffenden Werte er-
sehen, daß die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für
die hohen Einkommen höchstens um wenige Prozent größer als für
das Durchschnittseinkommen gewesen ist. Wir dürfen danach
schließen, daß trotz der etwas geringeren Abnahme des Geldwertes
für die niederen Einkommen die Steigerung dieser Einkommen nicht
wesentlich größer als die der höheren war.
4. Die Leistungen der öffentlichen Körperschaften in den
Jahren 1891 und 1911.
Um ein vollständiges Bild der Lebenshaltung in den beiden Ver-
gleichsjahren zu geben, haben wir — nach Besprechung des pri-
vaten Konsums — nunmehr die staatlichen Leistungen in Betracht
zu ziehen. Und zwar sind von diesen nur solche zu berücksichtigen,
die ohne spezielles Entgelt erfolgen; die entgeltlichen Leistungen
wurden bereits bei dem privaten Konsum betrachtet. Ebenso sind
die Ausgaben der Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen; die
Schuldzinsen fanden als Einkommen der Staatsgläubiger Berück-
sichtigung. Auch die Ausgaben für Militärzwecke müssen wir bei
der Beurteilung des Volkswohlstandes außer Acht lassen. Es ist in
diesem Zusammenhange ohne Belang, ob die Aufwendungen für
militärische Zwecke etwaige Störungen der Volkswirtschaft durch
kriegerische Vorkommnisse verhinderten und so indirekt zu einer
Hebung des Wohlstandes beitrugen, denn die tatsächlich erfolgte
Steigerung des Wohlstandes würdigten wir bereits in der Zunahme
des privaten Konsums, sowie auch in der Mehrung der sonstigen
staatlichen Leistungen. Es kann auch nicht gut damit gerechnet
werden, daß schon in naher Zukunft geringere Mehraufwendungen
94) Vgl. S. 26 ete. und die dort angegebene Literatur.
46 Arthur Friedmann,
für militärische Zwecke gemacht werden, und so der Zuwachs des
Nationaleinkommens, der jetzt für Rüstungen verbraucht wird, an-
deren Zwecken zugeführt wird, zumal wenn man die Möglichkeit
kriegerischer Ereignisse in Rechnung zicht.
Die Gesamtausgaben des Deutschen Reiches, ausschließlich der
Ausgaben für Landesverteidigung und Schuldenverwaltung, sowie
der Aufwendungen für Post, Telegraph und Eisenbahn und endlich
auch abzüglich der Ueberweisungen an die Bundesstaaten stellten
sich 1891 auf 144 Mill. M. oder 2,90 M. pro Kopf, 1911 auf 385
Mill. M. oder 5,90 M. pro Kopf. In Preußen betrugen die gesamten
Staatsausgaben, wiederum ohne die Aufwendungen für erwerbswirt-
schaftliche Unternehmungen und ohne die Ausgaben für Schulden-
verwaltung, und abzüglich der Matrikularbeiträge 1891 529 Mill. M.,
1911 1157 Mill. M., das sind pro Kopf der Bevölkerung 17,40,
resp. 28,40 M. Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen
Kommunen, ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwal-
tung, bezifferten sich, wie die untenstehenden Berechnungen ergeben,
1891 auf schätzungsweise 368 Mill. M., oder 12,10 M. pro Kopf und
1911 auf 1041 Mill. M. oder 25,60 M. pro Kopf.
Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen von Reich,
Staat und Kommunen betrug danach in Preußen 1891 pro Kopf
32,40 M., 1911 59,90 M., die Steigerung also 85%.
Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen
im Jahre Tt abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver-
waltung.
Im Jahre 1888 betrugen die Gesamtausgaben in den 7 östlichen Provinzen
Preußens 33!/, Mill. M., in den Gutsbezirken 10 Mill. M., zusammen 43!/,
Mill. M.9). Die Schulden der Landgemeinden betrugen 36,7 Mill. M., das sind
schätzungsweise an Schuldzinsen und Tilgungssummen 2,2 Mill. M. Unter
den angeführten Ausgaben sind nicht allzuviel entgeltliche Ausgaben ge-
zählt ech 29 Mill. M. kamen auf Armenpflege, Volksschulen und öffent-
liche Wege). Wir rechnen die unentgeltlichen Leistungen der östlichen Land-
gemeinden und Gutsbezirke abzüglich der Aufwendungen für die Schulden-
verwaltung zu 37 Mill. M. Die Gemeindeabgaben waren 1883 in den Landge-
meinden der 5 westlichen Provinzen 92°/, höher als in den Landgemeinden
der 7 östlichen Provinzen %8). Wir schätzen danach die unentgeltlichen Leistun-
en der Landgemeinden der westlichen Provinzen abzüglich der Ausgaben der
Schuldenverwaltung im Jahre 1888 auf 60 Mill. M.; die Gutsbezirke der west-
lichen Provinzen können wegen ihrer geringen Zahl vernachlässigt werden. Die
Gesamtleistungen aller preußischen Landgemeinden und Gutsbezirke betrugen
also 1888 ca. 97 Mill. M. Von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern
in Preußen um 8% zu). Wir nehmen für die Leistungen der Landgemeinden
ane TER Zunahme an und schätzen dieselben für das Jahr 1891 auf 102
ill. M.
Die Leistungen der Städte mit mehr als 10000 Einwohnern lassen sich
nach den Angaben über die Einnahmen und Ausgaben derselben im Jahre
189198) abschätzen.
95) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 622.
96) Ebenda, S. 619.
97) Ebenda, S. 574. i
98) Drucksachen des Preußischen Abgeordnetenhauses, Session 1892/93,
No. 7, 8. 701.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 47
Unentgeltliche Leistungen der preußischen Städte mit mehr als
10000 Einwohnern im Jahre 1891/92 (mit Ausnahme der Ausgaben
für die Schuldenverwaltung) in Millionen Mark.
Ein- ee, Toen reiche
istungen
nahmen gaben (geschätzt)
Allgemeine staatliche Zwecke 4,3 18,2 16
Verkehrsanlagen 10,1 52,1 42
Gewerbliche Anlagen und gemeinnützige Anstalten 121,4 118,0 5
Wohltätigkeit und Armenpflege 14,3 44.5 30
Unterrichtszwecke 21,5 72,8 E
Allgemeine Gemeindeverwaltung 4,1 28,5 26
Schuldenverwaltung — 37,1 —
Nutzbares Vermögen 24,6 5,9 —
Bonstiges 50,7 18,4 10
Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen 180 Mill. M
Die Bevölkerung satos (1890) 8,3 Mill. ; die Leistungen pro Kopf also
21,7 M. Rechnen wir für die 3,5 Mill. Bewohner der Städte mit weniger als
10000 Einwohnern die unentgeltlichen Leistungen der Kommune zu 16 M.
po Kopf, so erhalten wir für die Städte dieser Größenordnung eine Gesamt-
aane von 56 Mill. M.
betrüge danach die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der
Städte abzüglich der Ausgaben für Schuldenverwaltung ca. 236 Mill. M.
Die Leistungen der Kreise, sowie der höheren Kommunalverbände kämen
nur soweit in Betracht, als dieselben aus eigenen Einnahmen bestritten werden.
Die Leistungen der Provinzialverbände werden größtenteils durch Dotationen
ermöglicht, die bei den Ausgaben des Staates bereits berücksichtigt wurden und
durch direkte Steuern, die sich als ein Teil der Kreissteuern darstellen. Die
übrigen Einnahmen beliefen sich 1891 auf ca. 12 Mill. M.°%) (einschließlich:
en abzüglich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung viel-
leicht auf 10 Mill. M. — Die Kreisabgaben betrugen 1891 20 Mill. M.!0), die
Schuldaufnahmen und die Ausgaben für die Schuldenverwaltung mögen sich
wenigstens ungefähr die Wage halten, so daß wir die Gesamtaufwendungen
der ee ee soweit sie nicht anderweitig berücksichtigt sind, auf
30 Mill. M. veranschlagen können.
Die Gesamtsumme der hier zu berücksichtigenden Leistungen der Kom-
munen betrugen danach
in den Landgemeinden 102 Mill. M.
in den Städten 236 » »
in den höheren Kommunalverbänden 30 „ »
Summe 368 Mill. M.
Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen
im Jahre 1911 abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver-
waltung.
. Die Gesamtleistungen der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000
Einwohnern, soweit sie ohne spezielles Entgelt erfolgen, lassen sich für das
Jahr 1907 nach den Angaben in der Denkschrift zur Reichsfinanzreform über
die Einnahmen und Ausgaben dieser Gemeinden nach Verwaltun szweigen 101)
ungefähr bestimmen, und dann auch für das Jahr 1911 auf Grund der Steige-
rung der Gemeindeabgaben von 1907—1911 abschätzen.
99) Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 628.
100) Ebenda, 8. 625.
101) Denkschriftenband 1 zur Reichsfinanzreform, S. 683 und 700.
48 Arthur Friedmann,
Ausgaben und Einnahmen der Gemeinden mit mehr als 10000 Ein-
wohnern nach Verwaltungszweigen im Jahre 1907.
ohne spezielles Ent-
gelt erfolgende kom-
Aus- Ein- munale Leistungen
gaben nahmen mit Ausnahme der
Millionen Mark Ausgaben für die
Schuldenverwaltung
(geschätzt)
Kämmereiverwaltung 44,7 78,1 -=
Allgemeine Verwaltung 113,1 35,7 90
Steuerverwaltung 26,1 485,9 26,1
Polizeiverwaltung und Verwaltung son-
stiger Einrichtungen für die öffentliche
Sicherheit 47,9 7,5 44
Verwaltung der städtischen Werke, Markt-
hallen und der sonstigen Einrichtungen
für Lebensmittelversorgung 306,3 331,6 —
Bildungs- und Kunstinstitute 242,3 69,5 172,8
Bauverwaltung 153,4 79,6 80
Armen-, Waisen- und Krankenverwaltung 110,8 40,1 79,7
Schuldenverwaltung 201,9 129,4 —
Sonstige Verwaltungszweige 178,9 162,4 60
543,6
Die gesamten Steuern der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000
Einwohnern betrugen 1907 481,6 Mill. M.102), 1911 645,1 Mill. M.10), die
Steiger also 33,90/,. Die Gesamtausgaben sind von 1907—1911 eher etwas
stärker als die Steuern gestiegen, indem ein wachsender Anteil des Bedarfs
aus den Ueberschüssen erwerbswirtschaftlicher Unternehmungen gedeckt wurde.
Wir können danach die Gesamtsumme der ohne spezielles Entgelt erfolgenden `
Leistungen ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung in den Ge-
ee mit mehr als 10000 Einwohnern für das Jahr 1911 auf 740 Mill. M.
ätzen. ;
Für die Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern ist
nur eine ungefähre Schätzung der unentgeltlichen Leistungen möglich. Die
Abgaben dieser Gemeinden betrugen 1907 einschließlich der Abgaben beson-
derer Schulverbände 174 Mill. M.10) oder 7,8 M. pro Kopf. ir rechnen
für das Jahr 1911 die Gemeindeabgaben unter Hinzurechnung der übrigen
kommunalen Einnahmen —, eines über den Wert der entsprechenden Leistung
hinausgehenden Anteils der Gebühren, der Ueberschüsse aus Erwerbsunternehmen
und der zu nicht werbenden Zwecken aufgenommenen Anleihen — zu 13,0 M.
ro Kopf, das wäre bei einer Bevölkerungszahl von 22,5 Mill. 293 Mill. M.
on dieser Summe wären die Ausgaben für Eege hue in Abzug zu
bringen. Die Schulden der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern be-
trugen 1907 717 Mill. M. 104), 1911 schätzungsweise 900 Mill. M., die Ausgaben
für Verzinsung und Tilgung der Schulden also ca. 45 Mill. M. Es bleiben
als unentgeltliche Leistungen der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern
248 Mill. M.
Die Leistungen der höheren Kommunalverbände wären wieder nur soweit
zu berücksichtigen, als dies nicht bereits an anderer Stelle geschehen ist. Die
Zuwendungen des Staates an die Provinzialverbände wurden zu den Ausgaben
des Staates hinzugerechnet; die direkten Steuern der Provinzen, die nach
dem Kreis- und Provinzialabgabengesetz des Jahres 1906 auf die Kreise um-
gelegt werden, werden schon bei den Leistungen des Kreises berechnet, und
ebenso finden die direkten Kreissteuern, die auf die Gemeinden umgelegt werden,
102) Reichstagsdenkschrift für Reichsfinanzreform, I, S. 636.
103) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 619.
104) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, I, S. 663.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 49
bei den Aufwendungen der Kommunen Berücksichtigung. — Für die Provinzial-
rerbände wären hauptsächlich noch diejenigen Leistungen in Betracht zu ziehen,
die durch die Einkünfte aus eigenem Vermögen ermöglicht werden. 1903
kamen auf 30 Mill. M. Steuern ca. 15 Mill. M. Einnahmen aus dem Ver-
mögen 15), 1911 auf 56 Mill. M. Steuern schätzungsweise 25 Mill. M. Die
Schuldaufnahmen im Jahre 1911 betrugen nach einem Vergleich des Schulden-
standes von 1911 und 1912196) ca. 30 Mill. M.; wir rechnen 25 Mill. M. zu
nicht gewerblichen Zwecken. Die Ausgaben für Schuldenverwaltung können
bei 340 Mill. M. Schulden auf 17 Mill. M. geschätzt werden 1), so daß von
den anderweitig nicht berücksichtigten Aufwendungen der Provinzialverbände
noch 33 Mill. fr. zu zählen wären.
Die indirekten Steuern der Kreise betrugen 1911 22 Mill. M., die Schulden-
aufnahmen nach einem Vergleich des Schuldenstandes der Jahre 1911 und
1912108) ca. 50 Mill. M., wovon wir 30 Mill. M. für Aufwendungen zu nicht
gewerblichen Zwecken rechnen. Von diesen Ausgaben sind ca. 32 Mill. M.
Aufwendungen für die Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen (der Schulden-
stand betrug 617 Mill M..). Es bleiben somit 20 Mill. M. anderweitig nicht
berücksichtigte Leistungen der Kreise.
Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der Kommunen abzüg-
lich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung betrug also
in den Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern 740 Mill. M.
in den Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern gé 97 Ze
in den höheren Kommunalverbänden (soweit nicht anderweitig berück-
siehtigt) 3 un
zusammen 1041 Mill. M.
Bej der Berechnung der staatlichen und kommunalen Leistungen
wurden auch diejenigen Aufwendungen mitgerechnet, die ganz oder
teilweise der Nutznießung kommender Jahre dienen, beispielsweise
die Kosten neu errichteter öffentlicher Gebäude. Auf der anderen
Seite blieb bei der alleinigen Berücksichtigung der in den beiden
Jahren gemachten staatlichen Aufwendungen die Nutznießung des in
den betreffenden Jahren bereits vorhandenen öffentlichen Gebrauchs-
vermögens außer Betracht. Der Anteil dieses Gebrauchsvermögens,
der auf die Nutzung der Jahre 1891 und 1911 zu rechnen ist, ist
wahrscheinlich geringer als der Wert des in diesen Jahren neu be-
schafften Nutzungsvermögens. — Der Nutzungswert der staatlichen
und kommunalen gewerblichen Anlagen muß ebenso wie die
Aufwendungen zu sonstigen erwerbswirtschaftlichen Zwecken un-
berücksichtigt bleiben. Wenn die Leistungen dieser Unternehmungen
auch großenteils erst von der Zukunft bezahlt werden, so wurde
doch andererseits bei Bestimmung des privaten Konsums die Nutzung
des bereits früher beschafften staatlichen Gebrauchsvermögens
mitgezählt (Aufwendungen für Eisenbahnfahrten etc.).
‚Um die tatsächliche Steigerung der staatlichen Leistungen be-
urteilen zu können, müssen wir wiederum die Aenderung der Kauf-
kraft des Geldes in Rechnung ziehen. Wie die private Lebenshal-
tung sind auch die staatlichen Leistungen zum großen Teil teuerer
105) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314.
106) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 589.
107) 1903 betrugen die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung der Schulden
<a. 5%. Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314.
108) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 591.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 4
50 ArthurFriedmann,
geworden; so mögen die Beamtengehälter von 1891—1911 um etwa
20% gestiegen sein. Auch die Herstellung öffentlicher Bauten ist
durchweg (besonders wegen der höheren Arbeitslöhne) kostspieliger
geworden. Die Verpflegung in Kranken- und Armenhäusern er-
fordert bei den teueren Lebensmittelpreisen vermehrte Aufwendun-
gen. Ob andererseits durch eine bessere Organisation der Verwal-
tung eine erhebliche Verbilligung gleicher Leistungen erzielt wurde,
ist schwer zu beurteilen. — Im besonderen ist bei der Bestim-
mung des Realwertes staatlicher Leistungen noch zu berücksich-
tigen, daß speziell die Kommunen heute einzelne relativ wertvolle
Tätigkeiten in viel größerem Umfange als vor 20 Jahren
ausüben. Die vermehrten Ausgaben für Kranken- und Armenpflege
bedeuten für diejenigen Personen, denen sie zugute kommen, sehr
viel mehr als die gleichen Summen für den Durchschnitt der Be-
völkerung. Absolut sind allerdings die Ausgaben für Armen- und
Krankenpflege nicht so erheblich gestiegen. In Berlin wurden 1891
6,50 M., 1911 15 M. pro Kopf der Bevölkerung für die Fürsorge für
Arme und Kranke ausgegeben. In sämtlichen preußischen Gemein-
den mit mehr als 10000 Einwohnern betrugen 1907 die unentgelt-
lichen Aufwendungen für Krankenhausverwaltung und Armenwesen
7,05 M. pro Kopf der Bevölkerung 109),
Einen ähnlichen Wert wie die letztgenannten staatlichen
Leistungen haben die Leistungen der Öffentlichen Versicherungs-
anstalten. Die Ausgaben der deutschen Krankenkassen betrugen
1891 erst 19 Mill. M. oder 2 M. pro Kopf der Gesamtbevölke-
rung, 1911 423 Mill. M. oder 6,50 M. pro Kopf. Da die Leistungen
der Alters und Invaliden- und der Unfallversicherung im allgemeinen
in Form einer Rente erfolgen, wurden dieselben genau genommen,
bereits bei Feststellung des Einkommens berücksichtigt. Die ordent-
lichen Ausgaben der Alters- und Invalidenversicherung stellten sich
1891 nur auf 25 Mill. M. oder 0,50 M. pro Kopf der Gesamtbevölke-
rung, 1911 auf 226 Mill. M. oder 3,50 M. pro Kopf, die ordent-
lichen Ausgaben der Unfallversicherung 1891 auf 13 Mill. M. oder
0,25 M. pro Kopf, 1911 auf 197 Mill. M. oder 3 M. pro Kopf. —
Endlich wären die Leistungen der Lebensversicherungsanstalten an
dieser Stelle zu besprechen. Bei der Steuerveranlagung werden die
Lebensversicherungsprämien bis zur Höhe von 600 M., ebenso wie
die Beiträge zur Arbeiterversicherung in Abzug gebracht. Da außer-
dem die Zahlungen der Versicherungsgesellschaften im allgemeinen
nicht in Rentenform erfolgen, blieben die Leistungen bei der früheren
Bemessung des privaten Konsums (an Hand des Einkommens)
außer Betracht. Die Lebensversicherungsgesellschaften zahlten im
Jahre 1896 nur 85 Mill. M.110), das sind 1,60 M. pro Kopf der Be-
völkerung, 1911 292 Mill. M.111) oder 4,40 M. pro Kopf. — Auch
109) Reichstagadenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S8. 663 und 700.
110) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1898 I, 8. 137.
k 111) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1912, S. 875.
Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 51
die Leistungen der Arbeiterverbände sind, wenn auch nicht zahlen-
mäßig, so doch wegen des hohen subjektiven Wertes der Unter-
stützung, besonders bei Arbeitslosigkeit, erheblich. Dieselben be-
trugen 1911 70 Mill. M. oder 1 M. pro Kopf der Gesamtbevölkerung,
1891 waren sie nur gering.
Welchen Anteil die verschieden hohen Einkommen im allge-
meinen an der Steigerung der staatlichen und kommunalen Leistungen
gehabt haben, wäre nicht leicht zu entscheiden. — Die Ausgaben der
Kommunen für Arme und Kranke, sowie die Leistungen der öffentlichen
Versicherungsanstalten kommen allerdings allein den niederen und
eventuell den mittleren Einkommen zugute, doch sind diese Auf-
wendungen, wie die oben genannten Zahlen zeigen, im Vergleich zu
den privaten Einkommen so gering, daß auch bei Hinzurechnung der
betreffenden Summen zum Einkommen der weniger wohlhabenden
Bevölkerung, unsere früheren Angaben über die verhältnismäßige
Steigerung der niederen Einkommen keine wesentliche Korrektur
erfahren würden.
Zusammenfassung.
Wir haben in dieser Arbeit die Wohlstandsentwicklung in
Preußen von 1891—1911 an Hand der Einkommensverhältnisse
studiert und sind dabei zu folgendem Ergebnis gekommen:
Das Durchschnittseinkommen nahm (abzügl. aller Steuer-
leistungen) nominell von ca. 396 M. auf ca. 566 M. oder
um 430% zu. Da sich die Lebenshaltung in dem gleichen Zeitraume
um etwa 17%o verteuerte, so hat das Durchschnittseinkommen dem
Realwerte nach nur eine Steigerung von ca. 220% erfahren. —
An dieser Zunahme hatten die hohen und niederen Einkonm-
men anscheinend einen verhältnismäßig gleichen (den frühe-
ren Einkommensunterschieden entsprechenden) Anteil, so daß
die Eiinkommensverteilung im Laufe jener 20 Jahre keine
erhebliche Aenderung erfuhr. — Zur Beurteilung der Lebens-
haltung sind neben dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum
auch die unentgeltlichen staatlichen Leistungen zu be-
rücksichtigen, die sich (einschließlich der Leistungen der öffentlichen
Versicherungsanstalten) in der gleichen Periode — berechnet auf
den Kopf der Bevölkerung — von 35 M. auf 73 M. vermehrten.
52 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
I
Die wirtschaftliche Gesetzgebung Preußens
im Jahre 1913.
Preußische Gesetzsammlung 1913.
Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Besuch ländlicher Fort-
bildungsschulen in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen,
Schleswig-Holstein, Westfalen, sowie in der Rheinprovinz und in den
Hohenzollernschen Landen. Vom 19. Mai 1913. S. 301.
Einziger Paragraph. 1) Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde
kann für die nicht mehr schulpflichtigen, unter 18 Jahre alten männlichen
Personen für drei aufeinanderfolgende Winterhalbjahre die Verpflichtung zum
Besuch einer ländlichen Kon pg aeia begründet werden. 2) In gleichem
Umfange kann in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen, Westfalen
sowie der Rheinprovinz und in den Hohenzollernschen Landen für Gutsbezirke
mit Zustimmung des Gutsbesitzers auf Antrag des Gutsvorstehers durch Be-
schluß des Kreisausschusses die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen
Fortbildungsschule begründet werden. 3) In der Provinz Schleswig-Holstein
kann die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen Fortbildungsschule in
dem im Abs. 1 begrenzten Umfange auch durch Beschluß des Kreisaus-
schusses für sämtliche oder einzelne Landgemeinden und Gutsbezirke einge-
führt werden. Ein derartiger Beschluß bedarf der Zustimmung des Regierungs-
präsidenten. a In dem Statut (Abs. 1) oder dem Beschluß (Abs. 2, 3) sind
die zur Durchführung der Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen zu
treffen, namentlich über die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuches
den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Arbeitgebern ob-
liegenden Verpflichtungen, über die Ordnung in der Fortbildungsschule und
über die Fürsorge für ein gebührliches Verhalten der Schüler. Die Zeiten
für den Unterricht sind vom Gemeindevorstand und in den Fällen der Abs. 2, 3
vom Kreisausschusse festzusetzen und in ortsüblicher Weise bekannt zu machen.
5) Von der Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule ist befreit,
wer die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erworben hat,
ferner, wer eine che Innungs-, Fach- oder andere Fortbildungsschule be-
sucht oder einen entsprechenden anderen Unterricht erhält, sofern dieser
Schulbesuch oder Unterricht von dem Regierungspräsidenten als ein ausreichen-
der Ersatz für den allgemeinen Forkbildangeunberticht anerkannt wird. Die
Bestimmung weiterer Ausnahmen durch das Statut ist zulässig. 6) An Sonn-
tagen darf in der Regel Unterricht nicht erteilt werden. 7) Mit Geldstrafe
bis zu 20 M. und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu 3 Tagen für jeden
Fall wird bestraft, wer den vorstehenden oder den durch Statut oder Beschluß
erlassenen Bestimmungen zuwider handelt.
Moorschutzgesetz. Vom 4. März 1913. S. 29.
1. Grundstücke, die allein oder mit anderen eine zusammenhängende
Moorfläche von mehr als 25 Hektar bilden, dürfen, soweit das Gemeinwohl
Nationalökonomische Gesetzgebung. 53
unter Abvigmg der Interessen der Beteiligten es verlangt, zur Gewinnung von
Torf nur in der Weise benutzt werden, daß die Möglichkeit ihrer vorteil-
haften land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird. Abs. 2. Die
Benutzung solcher Grundstücke zur Torfgewinnung bedarf, abgesehen von den
Fällen des § 2, der Genehmigung des Bezirksausschusses.
§ 2. Einer Genehmigung bedarf nicht: 1) die Gewinnung von Torf für
die eigene Haushaltung und Wirtschaft durch den Eigentümer, den Pächter,
einen Torfstichberechtigten oder durch ländliche Arbeiter, welche in einem
dauernden Arbeitsverhältnisse zu dem Eigentümer der Moorfläche stehen,
soweit ihnen durch den Arbeitsvertrag die Torfgewinnung für die Zwecke ihrer
eigenen Haushaltung und Wirtschaft zugesichert ist (Heuerlinge, Instleute) ;
2) die Gewinnung von Torf zum Zwecke des Verkaufs, wenn sie mit nicht mehr
als 6 Personen und nicht mit maschineller Kraft betrieben wird. Abs. 2. Als
Wirtschaft gelten der landwirtschaftliche Haus- und Hofbetrieb mit Einschluß
der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe von geringem Umfange, sowie klein-
gewerbliche Betriebe von E Umfange. Abs. 3. In den Fällen der Nr. 1
und 2 können durch Kreispolizeiverordnung Vorschriften für die Torfgewin-
nung erlassen werden, durch welche die Möglichkeit einer vorteilhaften land-
oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird.
$ 3. Dem Antrag auf Erteilung der Genehmigung müssen die zur Er-
bie des Unternehmens notwendigen Pläne und Beschreibungen beigefügt
werden.
$ 4. Der Genehmigungsbeschluß trifft die zur Durchführung des $ 1
Abs. 1 etwa erforderlichen Bestimmungen. Abs. 2. Dem Unternehmer kann
in dem Genehmigungsbeschlusse die Leistung einer Sicherheit für die Ein-
ite des genehmigten Planes und der getroffenen Bestimmungen aufgegeben
werden.
$ 5. Vor der Beschlußfassung sind über den Antrag eine durch den
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu bestimmende sachver-
ständige Stelle sowie der Meliorationsbaubeamte zu hören. Auf Verlangen ist
auch ein von den Beteiligten etwa benannter Sachverständiger zu hören. Auf
Antrag eines Beteiligten findet mündliche Verhandlung vor dem Bezirks-
ausschusse statt. Die sachverständige Stelle sowie der Meberatiönabsubeamte
sind auch zu hören, wenn gemäß: $ 2 Abs. 3 kreispolizeiliche Vorschriften für
die Torfgewinnung erlassen werden sollen. Abs. 2. Gegen den Beschluß des
Bezirksausschusses steht den Beteiligten binnen 2 Wochen die Beschwerde an
den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu.
§ 6. Bei der Ausführung des Unternehmens hat der Landrat, in Stadt-
kreisen die Ortspolizeibehörde, für die Einhaltung des genehmigten Planes und
der getroffenen Bestimmungen zu sorgen. Sie können zu diesem Zweck
polizeiliche Verfügungen erlassen. Abs. 2. Wesentliche Abweichungen von dem
genehmigten Plane oder den getroffenen Bestimmungen bedürfen der Ge-
nehmigung nach Maßgabe der 1, 3 bis 5.
7. Die Benutzung von Moorgrundstücken ohne die nach diesem Gesetz
erforderliche Genehmigung ist vom Landrat, in Stadtkreisen von der Orts-
polizeibehörde, polizeilich zu verhindern.
` 8. In den Städten, deren Polizeiverwaltung der Aufsicht des Landrats
nicht untersteht, tritt in den Fällen der $$ 6 und 7 an Stelle des Landrats
die Ortspolizeibehörde.
$ 9. Unternehmungen, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der
Torfgewinnung bereits begonnen haben, dürfen ohne die in diesem Gesetze vor-
gesehenen Beschränkungen 6 Monate lang in dem bisherigen Umfange fort-
aoii werden. Abs. 2. Kann über einen Genehmigungsantrag nicht vor dem
laufe der 6-monatigen Frist entschieden werden, so chließt der Bezirks-
ausschuß darüber, ob die vorläufige Weiterführung des Unternehmens zu ge-
nehmigen ist. Diese Genehmigung muß erteilt werden, wenn über den Ge-
nehmigungsantrag ohne Verschulden des Antragstellers vor Ablauf der Frist
nicht entschieden werden kann. Gegen den Beschluß des Bezirksausschusses
steht dem Antragsteller binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Minister
für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu. i
§ 10. Dieses Gesetz tritt am 1. April 1913 in Kraft.
54 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung über das Anwendungsgebiet des Besitzfestigungsge-
setzes vom 26. Juni 1912. Vom 12. März 1913. S. 33.
Verordnung über die Einführung des Gesetzes, betreffend die Zu-
lassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich
genutzto Grundstücke, vom 20. August 1906 in allen Landesteilen —
mit Ausnahme des Stadtkreises Berlin —, in denen es nicht schon nach den
Verordnungen vom 23. März 1908 und vom 16. Juni 1909 gilt. Vom
5. Mai 1913. S. 274.
Gesetz, betreffend Abänderung von Zusammenlegungs- und Gemein-
heitsteilungsgesetzen. Vom 28. Mai 1913. S. 285.
Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zur Förde-
der Landeskultur und der inneren Kolonisation. Vom 28. Mai
1913. S. 293. .
Wassergesetz. Vom 7. April 1913. S. 53.
A. Wasserläufe. I. Begrif' und Arten. II. Eigentumsverhältnisse. III. Be-
nutzung. 1) Allgemeine Vorschriften. 2) Gemeingebrauch. $) Benutzung durch den
Eigentümer. 4) Verleihung. 5) Ausgleichung. 6) Stauanlagen. IV. Unterhaltung.
V. Ausbau. VI. Beteiligung des Staates und der Provinzen an dem Ausbau der Wasser-
läufe zweiter Ordnung. VII. Wasserbücher. B. Gewässer, die nicht zu den Wasserläufen
gehören. C. Wassergenossenschaften. I. Allgemeine Vorschriften. II. Genossenschaften
mit Zulässigkeit des Beitrittszwanges. III. Zwangsgenossenschaften. IV. Verfahren
zur Bildung von Genossenschaften. V. Aenderung der Satzung. VI. Auflösung und
Liquidation. VII. Genossenschaften, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begründet
sind. D. Verhütung von Hochwassergefahr.) E. Zwangsrechte. F. Wasserpolizeibehörden.
G. Schauämter. H. Wasserbeirüte. I. Landeswasseramt. K. Strafbestimmungen.
L. Uebergangs- und Schlußbestimmungen.
Rawagesetz. Vom 21. April 1913. S. 238.
Sesekegesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 329.
Entwässerungsgesetz für das linksniederrheinische Industriegebiet.
Vom 29. April 1913. S. 251.
Ruhrreinhaltungsgesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 305.
Ruhrtalsperrengesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 317.
Gesetz, betreffend den Ausbau von Wasserkräften im oberen Quell-
gebiet der Weser. Vom 9. Juni 1913. S. 343.
Gesetz über die Bereitstellung weiterer Geldmittel für die nach
dem Gesetz vom 12. August 1905 durchzuführende Regelung der
Hochwasser-, Deich- und Vorflutverhältnisse an der oberen und mitt-
leren Oder. Vom 30. Mai 1913. S. 273.
Gesetz, betreffend die Verbesserung der Oderwasserstraße unter-
halb Breslau. Vom 30. Juni 1913. S. 359.
Gesetz, betreffend den Ausbau der Unterweser durch Bremen. Vom
29. Juli 1913. S. 386.
Verordnung über die Abänderung der Verordnung, betreffend die
Ausführung des Fischereigesetzes in der Provinz Schleswig-Holstein,
vom 8. August 1887. Vom 31. März 1913. S. 39. Entsprechende
Verordnung für die Provinz Hannover. Vom 31. März 1913. S. 40.
Gesetz zur Berichtigung des Gesetzes vom 3. Juni 1912, betreffend
die Abänderung des Siebenten Titels im Allgemeinen Berggesetze vom
24. Juni 1865/19. Juni 1906. Vom 23. Dezember 1912. S. 1. Be-
kanntmachung, betreffend die Aenderung des Textes des § 70 Abs. 2
Nationalökonomische Gesetzgebung. 55
des Knappschaftsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
17. Juni 1912. Vom 30. Dezember 1912. S. 2.
Allerhöchster Erlaß, betreffend Genehmigung eines Nachtrages
zu der Verwaltungsordnung für die Staatseisenbahnen. Vom 23. August
1912. S. 35.
Staatsvertrag zwischen Preußen und Sachsen, betreffend eine
Aenderung der Vereinbarungen über die staatliche Besteuerung der im
Königreich Sachsen belegenen preußischen Staatseisenbahnstrecken. Vom
6./25. August 1913. S. 399.
Eisenbahnanleihegesetz. Vom 28. Mai 1913. S. 277. Eisenbahn-
anleihegesetz. Vom 9. Juni 1913. S. 326. Allerhöchster Erlaß, be-
treffend Bau und Betrieb der in dem Gesetze vom 28. Mai 1913 vor-
gesehenen neuen Eisenbahnlinien usw. Vom 5. Juli 1913. S. 363.
Gesetz, betreffend das Schleppmonopol auf dem Rhein-Weser-Kanal
und dem Lippe-Kanal. Vom 30. April 1913. S. 217.
$ 1. Fahrzeuge (Schiffe und Flöße), die nicht von Menschen oder Tieren
EC werden oder nicht mit eigener Kraft fahren ($ 2), dürfen auf dem
hein-Weser-Kanal und dem Lippe-Kanal nur mit der vom Staate vorzu-
haltenden Schleppkraft fortbewegt werden. Zum Rhein-Weser-Kanal im Sinne
dieses Gesetzes gehören der Anschluß nach Hannover, die Zweigkanäle nach
Herne, Dortmund, Osnabrück, Minden (Weserabstieg) und Linden mit Leine-
abstieg, ferner der Duisburg-Ruhrorter Hafen, dieser jedoch nur bezüglich
des durchgehenden Verkehrs zwischen Rhein und Kanal. Das Verlegen eines
Fahrzeuges von einem Lösch- und Ladeplatze zu einem anderen innerhalb
einer Kanalhaltung, jedoch höchstens auf 10 Kilometer Entfernung, kann ohne
Inanspruchnahme staatlicher Schleppmittel zugelassen werden. Abs. 2. Die
Staatsregierung wird ferner ermächtigt, Fahrzeuge, die auf einer Fahrt zwischen
dem Rhein und Mülheim a. d. Ruhr lediglich die untere Haltung des Rhein-
Herne-Kanals benutzen, vom staatlichen Schle betriebe freizulassen. Abs. 3.
Fahrzeuge, die lediglich den Dortmund-( Herne) mshäfen-Kanal benutzen, sind
in den ersten 15 Jahren seit Inbetriebnahme des Rhein-Weser-Kanals von dem
staatlichen Schleppbetriebe freizulassen. Nach Ablauf dieser Zeit oder wenn
eine reg mechanische Schleppeinrichtung eingeführt wird, die ein
Nebeneinanderbestehen des staatlichen und privaten Schleppzuges untunlich
macht, kann durch Königliche Ve er staatliche Schleppbetrieb ein-
ep werden. In diesen Fällen wird die Frage etwaiger Entschä igung einem
nderen Gesetze vorbehalten. Abs. 4. Auf der Strecke Dortmund—Henrichen-
burg kann vorübergehend zu Versuchen mechanischer Schleppeinrichtung private
ee ausgeschlossen werden, insoweit dieses für die Versuche not-
wendig ist.
; 2. Fahrzeuge mit eigener Triebkraft dürfen die Wasserstraßen, soweit
diese dem staatlichen Schleppmonopol unterliegen, nur mit besonderer Ge-
nehmigung der Kanalverwaltung befahren. Diese Genehmigung ist für das
einzelne Schiff widerruflich zu erteilen.
„$ 3. Die Tarife, nach denen der Schlepplohn zu entrichten ist, bedürfen
zu ihrer Gültigkeit der Veröffentlichu im Amtsblatte. Ist in dem Tarife
nicht ein anderer Zeitpunkt für das rafttreten angeordnet, so beginnt die
Anwendung mit dem achten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an
welchem das letzte die Bekanntmachung enthaltende Amtsblatt ausgegeben ist.
Die Tarife sind bei Erfüllung der darin angegebenen Bedingungen für jedermann
in der gleichen Weise anzuwenden.
$ 4. Der staatliche Schleppbetrieb erfolgt auf Grund einer Schlepp-
ordnung. die von dem Minister dx öffentlichen Arbeiten zu erlassen ist.
A 5. Die Staatsregierung wird semiotiek r die Einrichtung des staat-
lichen Schleppbetriebs einen Betrag von 9900 M. zu verwenden.
56 Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ 6. Die öffentlichen Verbände, welche die im $ 2 des Wasserstraßen-
esetzes vom 1. April 1905 genannten Garantieverpflichtungen übernommen
aben, werden an dem staatlichen Schleppbetriebe beteiligt, wenn sie sich
vor dem 1. Juli 1913 der Staatsregierung gegenüber SE ee vom Tage
der Betriebseröffnung ($ 15) an ein Viertel der für den Betrieb verausgabten
Anlagekosten aus eigenen Mitteln in jedem Rechnungsjahre mit 4 Proz. zu
verzinsen und mit Lt Proz. zu tilgen, soweit die laufenden Einnahmen des
Schleppbetriebs nach or der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungs-
kosten und angemessener Rücklagen ($ 9) zur Verzinsung und Tilgung es
verausgabten Anlagekapitals mit zusammen Ji Proz. nicht ausreichen. Abs. 2.
Will ein Verband die Verpflichtung nicht übernehmen, so können die anderen
Verbände für dessen Anteil mit eintreten. Abs. 3. Im Falle der Uebernahme
der im Abs. 1 genannten Verpflichtung gelten für das Verhältnis zwischen dem
Staate und den Verbänden die §§ 7—13.
$ 7. Bei der Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals ($ 6) werden
nicht nur die auf Grund des $ 5 verausgabten ‘Beträge berücksichtigt, sondern
auch die Kosten von Aenderungen oder Ergänzungen des Schleppbetriebs, die
von dem zuständigen Minister etwa später für erforderlich gehalten werden,
um den Verkehr in einer dem öffentlichen Interesse entsprechenden Weise
durchführen zu können. Bei wesentlichen Aenderungen und Ergänzungen sind
die Vertreter der Garantieverbände zu hören.
$ 8. Die laufenden Einnahmen aus dem Schleppbetriebe sind in jedem
Rechnungsjahr in nachstehender Reihenfolge zu verwenden: a) zur Deckung
der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungskosten ; b) zur Bildung eines
Erneuerungsfonds für die einer besonderen Abnutzung unterliegenden Ein-
richtungen ($ 9); c) zur Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals mit
A1: Proz.; d) zur Bildung eines Ausgleichsfon ür die Deckung etwaiger
Fehlbeträge (§ 10). Abs. 2. Der verbleibende Reinüberschuß wird an den Staat
und die Garanten nach Verhältnis der übernommenen Kostenanteile verteilt.
Abs. 3. Außergewöhnliche Einnahmen fließen, soweit sie nicht dem Baufonds
zuzuführen sind, dem Ausgleichsfonds ($ 10) zu.
$ 9. Zum Zwecke der Erneuerung der einer besonderen Abnutzung
unterliegenden Teile der Schleppeinrichtung wird ein Erneuerungsfonds ($ ZO
ebildet, dem alljährlich ein angemessener Satz vom Hundert der für diese
eile aufgewendeten Kosten aus den nach Deckung der Betriebs- und Unter-
haltungskosten verbleibenden Reineinnahmen zuzuführen ist. Reichen die Rein-
einnahmen eines Jahres zur Abführung des erforderlichen Betrags nicht aus,
so ist der Fehlbetrag in den folgenden Jahren zu ergänzen, bevor Beträge
zur Verzinsung und Tilgang des Anlagekapitals verwandt werden.
$ 10. Zur Deckung unvorhergesehener Ausfälle und Ausgaben wird ein
Ausgleichsfonds ($ 8d) gebildet. Diesem Fonds fließen — abgesehen von den
außergewöhnlichen Einnahmen ($ 8 Abs. 3) — 20 Proz. des nach Ver-
zinsung und a, Ke des Anlagekapitals mit 4!/, Proz. verbleibenden Rein-
Myene eeneg zu, bis der Fonds 10 Proz. des verausgabten Anlagekapitals er-
reic at.
$ 11. Die Beträge, welche von den beteiligten Verbänden auf Grund der
übernommenen Verpflichtung der Staatskasse oder jenen von dieser zu er-
statten sind, ebenso die Beträge, die den Erneuerungs- und Ausgleichsfonds
zuzuführen oder zu entnehmen sind, werden nach Anhörung von Vertretern
der Garantieverbände für jedes Rechnungsjahr von dem zuständigen Minister
und dem Finanzminister endgültig festgestellt.
BS 12. Bei der Aufbringung‘ und Unterverteilung der aus dieser Ver-
pflichtung den Provinzen, Kreisen und Gemeinden erwachsenen Lasten finden
die gesetzlichen Vorschriften über die Mehr- und Minderbelastung einzelner
Kreise und Kreisteile sowie der $$ 9 und 20 des Kommunalabgabengesetzes
vom 14. Juli 1893 Anwendung.
$ 13. Die Urkunden, durch welche die im $ 6 genannten Verpflichtungen
übernommen werden, sind stempelfrei.
$ 14. Die ae wird ermächtigt, zur Deckung der im $ 5
erwähnten Kosten eine Anleihe durch Veräußerung eines entsprechenden Betrags
Nationalökonomische Gesetzgebung. 57
von Schuldverschreibungen aufzunehmen. Abs. 2. An Stelle der Schuld-
verschreibungen können vorübergehend Schatzanweisungen ausgegeben werden.
Der Fälligkeitstermin ist in den Schatzanweisungen anzugeben. Die Staats-
regierung wird ermächtigt, die Mittel zur Einlösung dieser Schatzanweisungen
durch Ausgabe von neuen Schatzanweisungen und von Schuldverschreibungen
in dem erforderlichen Nennbetrage zu beschaffen. Die Schatzanweisungen
können wiederholt EC werden. Schatzanweisungen oder Schuldver-
schreibungen, die zur Einlösung von fällig werdenden Schatzanweisungen be-
stimmt sind, hat die Hauptverwaltung der Staatsschulden auf Anordnung des
Finanzministers 14 Tage vor dem Fälligkeitstermine zur Verfügung zu halten.
Abs. 3. Die Verzinsung der neuen Schuldpapiere darf nicht vor dem Zeit-
punkt beginnen, mit dem die Verzinsung der einzulösenden Schatzanweisungen
aufhört. Abs. 4. Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu
welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen
Kursen die Schatzanweisungen und die Schuldverschreibungen verausgabt werden
sollen, bestimmt der Finanzminister. Abs. 5. Im übrigen kommen wegen
Verwaltung und Tilgung der Anleihe die Vorschriften des Gesetzes vom
19, Dezember 1869, des Gesetzes vom 8. März 1897 und des Gesetzes vom
3. Mai 1903 zur Anwendung.
$ 15. Die Vorschriften der Së 1 und 2 des Gesetzes treten für die
einzelnen Wasserstraßen mit dem Zeitpunkt in Kraft, an dem der zuständige
Minister den Betrieb auf ihnen für eröffnet erklärt. Im übrigen tritt das Gesetz
sofort in Kraft.
Gesetz, betreffend die Bewilligung weiterer Staatsmittel zur Ver-
besserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen
Betrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten.
Vom 28. Mai 1913. S. 270.
Verordnung über das schiedsgerichtliche Verfahren bei knapp-
schaftlichen Streitigkeiten (Schiedsgerichtsordnung). Vom 8. Dezember
1913. S. 403. Verordnung über das Verfahren vor dem Oberschieds-
gericht in Knappschaftsangelegenheiten (Oberschiedsgerichtsordnung).
Vom 8. Dezember 1913. S. 420.
Gesetz, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staats-
haushaltsetat für das Etatsjahr 1912. Vom 10. Februar 1913. S. 17.
Gesetz, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats für das
Etatsjahr 1913. Vom 10. Mai 1913. S. 193.
$ 1. Der diesem Gesetze als Anlage beigefügte Staatshaushaltsetat
für das Etatsjahr 1913 wird in Einnahme auf 4595736227 M., nämlich auf
4575827827 M. an ordentlichen und auf 19908400 M. an außerordentlichen
Einnahmen, und in Ausgabe auf 4595736227 M., nämlich auf 4350749271 M.
an dauernden und auf 244986956 M. an einmaligen und außerordentlichen
Ausgaben festgesetzt. Ka
$ 3. Im Etatsjahre 1913 können nach Anordnung des Finanzministers
zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebsfonds der Generalstaatskasse
atzanweisungen bis auf Höhe von 100000000 M., welche vor dem 1. Januar
1915 verfallen müssen, wiederholt ausgegeben werden. Auf dieselben finden
die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 und des § 6 des Gesetzes vom
28. September 1866 Anwendung.
4. Die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats ($ 1)
und der Anlage dazu dë 2) innerhalb der Grenzen derselben geleisteten Aus-
gaben werden hiermit nachträglich genehmigt.
Bekanntmachung, betreffend die Weitergeltung kommunaler Wert-
zu wachssteuerordnungen. Vom A Juli 1913. S. 365.
N erordnung, betreffend die für die Veranlagung des Wehrbeitrages
zuständigen Behörden. Vom 7. August 1913. S. 371.
58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ermächtigung, die nach den
Gesetzen über die direkten Steuern durch gerichtliches rechtskräftiges
Urteil auferlegten Geld- und Ersatzhaftstrafen und die wegen Zu-
widerhandlungen gegen §§ 33 und 147 der Gewerbeordnung gericht-
lich erkannten Geld- und Ersatzhaftstrafen sowie die Kosten des
Verfahrens niederzuschlagen oder zu ermäßigen, ferner mit Rücksicht
auf ein Gnadengesuch bis zu dessen endgültiger Entscheidung die Aus-
setzung der Strafvollstreckung anzuordnen. Vom 15. August 1913.
S. 389.
Gesetz, betreffend die Anlegung von Sparkassenbeständen in In-
haberpapieren. Vom 23. Dezember 1912. S. 3.
$ 1. Die öffentlichen Sparkassen haben von ihrem verzinslich ange-
legten Vermögen Mindestbeträge in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf
den Inhaber anzulegen, und zwar: 1) 15 Proz., wenn ihr Einlag tand
5 Mill. M. nicht übersteigt und sich ihre Grundstücksbeleihungen und die
Gewährung von Darlehen als Personalkredit nach der Satzung künftig auf
den Stadt- oder Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, beschränken ;
2) 20 Proz., wenn ihr Einlagebestand 10 Mill. M. nicht übersteigt und sich
ihre Ausleihungen (Nr. 1) nach der Satzung künftig auf den Stadt- und
Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, und die angrenzenden Kreise
beschränken ; 3) 25 Proz. in allen anderen Fällen.
. Von dem nach $ 1 von der einzelnen Sparkasse zu haltenden
Mindestbestand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber
müssen drei Fünftel in Schuldverschreibungen des Deutschen Reiches oder
Preußens angelegt werden.
$ 3. Sparkassen, welche den nach Së 1 und 2 zu haltenden Bestand
an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber nicht besitzen,
haben bis zur Erreichung dieses Besitzstandes alljährlich von dem Zuwachs
ihres verzinslich angelegten Vermögens einen Prozentsatz in mündelsicheren
Schuldverschreibungen auf den Inhaber, und zwar in dem im. $ 2 vorgesehenen
Anteilsverhältnis anzulegen, der den Prozentsatz des von ihnen in mündel-
sicheren Schuldverschrei ongan auf den Inhaber zu haltenden Besitzstandes um
5 Proz. übersteigt. Abs. 2. Verstärkt eine Sparkasse in einem Jahre über
diese Grenze hinaus ihren Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen
auf den Inhaber, insbesondere an Schuldverschreibungen des Reiches oder
Preußens, so kann sie den Mehrbetrag auf die in diesen Schuldverschreibungen
künftig anzulegenden Beträge in Anrechnung bringen.
$ 4. Der Oberpräsident kann unter besonderen Verhältnissen ausnahms-
weise Sparkassen Erleichterungen von den Auflagen dieses Gesetzes nachlassen,
wenn dies ohne wesentliche Beeinträchtigung ihrer Liquidität geschehen kann.
Den Schuldverschreibungen des Reiches oder Preußens stehen im
Sinne dieses Gesetzes die im Reichsschuldbuch oder im preußischen Staats-
schuldbuch eingetragenen Forderungen gleich.
d 6. Die öffentlichen Sparkassen können den durch dies Gesetz vorge-
schriebenen Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den In-
haber soweit veräußern, als dies zur Rückzahlung von Einlagen unbedingt
notwendig ist. Sobald wieder zinsbar anzulegende Bestände vorhanden sind,
ist zunächst der bisherige Besitzstand bis zur Höhe der nach diesem Gesetz
zu haltenden Mindestgrenze wiederherzustellen ; der Oberpräsident kann wider-
ruflich eine Erleichterung von dieser Verpflichtung nachlassen.
. Sparkassen, welche von ihrem verzinslich angelegten Vermögen
Mindestbeträge unter 25 Proz., aber nicht unter 20 Proz in mündelsicheren
Schuldverschreibungen auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren
bei der Rechnungslegung sich ergebenden Jahresüberschüssen zu öffentlichen,
dem gemeinen Nutzen dienenden Zwecken des Garantiverbandes verwenden:
a) ein Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht
5 Proz. der Spareinlagen beträgt; b) die Hälfte, wenn der Sicherheitsfonds
Nationalökonomische Gesetzgebung. 59
5 Proz. oder mehr, aber noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen berigt: c) die
esamten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. er mehr
er Spareinlagen beträgt. Abs. 2. Sparkassen, welche mindestens 25 Proz.
ihres verzinslich angelegten Vermögens in mündelsicheren Schuldverschreibungen
auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren bei der Rechnungs-
legung sich ergebenden Ueberschüssen zu öffentlichen, dem gemeinen Nutzen
dienenden Zwecken des Garantieverbandes verwenden: a) die Hälfte, wenn der
Sicherheitsfonds der Sparkasse 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht 5 Proz.
der Spareinlagen beträgt; b) drei Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 5 Proz.
oder mehr r noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen beträgt; c) die ge-
samten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. oder mehr der
Spareinlagen beträgt. Abs. 3. Im übrigen verbleibt es hinsichtlich der Ver-
wendung der Sparkassenüberschüsse bei den bestehenden Bestimmungen, und
zwar auch für die vorbezeichneten Sparkassen, wenn deren Satzungen für
die Garantieverbände tigere Vorschriften enthalten. Abs. 4. Die Verwen-
dung der Jahresüberschüsse arf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nur,
wenn die Ueberschüsse zur Deckung von auf este Verpflichtung be-
ruhenden Ausgaben des Gesamtverbandes verwendet werden sollen.
a An Stelle des Oberpräsidenten tritt für die Hohenzollernschen Lande
der Minister des Innern. Dies Gesetz tritt am 1. Januar 1913 in Kraft.
Gesetz, betreffend ältere Hypotheken in Neuvorpommern und
Rügen. Vom 28. Mai 1913. S. 271.
Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den
Provinzen Westpreußen und Posen. Vom 28. Mai 1913. S. 269.
Staatsvertrag zwischen dem Königreich Preußen und dem Fürsten-
tum Schwarzburg-Rudolstadt wegen anderweitiger Regelung der Ueber-
tragung von Auseinandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preu-
Dechen Auseinandersetzungsbehörden. Vom 10./6. April 1912. S. 41.
Bekanntmachung, betreffend die Ratifikation des zwischen Preußen
und Schwarzburg-Rudolstadt am 10./6. April 1912 vereinbarten Staats-
vertrags wegen anderweitiger Regelung der Uebertragung von Aus-
einandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preußischen Auseinander-
setzungsbehörden. Vom 7. April 1913. S. 45.
‚ „Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ausübung der Chausseepolizei
in der Provinz Westfalen und in den nicht zum ehemaligen Appellations-
gerichtshofe zu Cöln gehörenden Teilen der Rheinprovinz durch die
Landräte. Vom 7. April 1913. S. 190.
Hinterlegungsordnung. Vom 21. April 1913. S. 225.
60 Miszellen.
Miszellen.
I.
Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung.
Von Dr. H. Schwarzwald, Wien.
I.
Kürzlich ist ein Aufsehen erregender Prozeß des Reichsfiskus
gegen dio Deutsch-Asiatische Bank wegen gewisser Kursdifferenzen
aus Zahlungen, die vom chinesischen Staat an das Deutsche Reich zu
leisten sind, zu Ende geführt werden und hat die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise auf die in der Tat sehr merkwürdigen Besonderheiten
des chinesischen Geldwesens gelenkt. Wie wenig es dem Europäer ver-
ständlich ist, zeigen gerade auch gewisse Wendungen in den Prozeßakten
sowie in den sich daran schließenden Diskussionen. Beispielsweise
haben dio unteren Gerichtsinstanzen den „Haikwan-Tael‘“ für eine Gold-
münze angesehen, bis das Reichsgericht feststellte, daß China keine
Goldwährung hat. Der Haikwan-Tael ist aber auch keine Silbermünze.
ebensowenig wie der Shanghai-Tael, in welchem, wie das Endurteil
sagt, die effektive Zahlung der chinesischen Boxerindemnität zu er-
folgen hat, und es ist unrichtig, von den Shanghai-Taels als von einer
„Landeswährung“ zu sprechen. In der Tat haben dann Journalauf-
Sëtze, die nur aus dem publizierten Urteil und seinen Gründen
schöpften, von den vielgenannten Taels als von „Rechnungsmünzen‘“
oder „Landesmünzen‘“ gehandelt, während es in China gar keinen
gemünzter Tael gibt. Es gibt auch keine „Taelwährung‘ in China,
und von „streitigen Taels“ zu reden ist nur vermöge eines Mißver-
ständnisses möglich, welches darauf beruht, daß die Europäer ihre
aus dem heimischen Geldwesen stammenden und ihnen allzu geläufigen
Begriffe und Bezeichnungen auf ein Geldwesen übertragen, das von
dem unsrigen in den wichtigsten Beziehungen verschieden ist.
Vor allem andern ist wichtig festzuhalten, daß „Tael“ kein
Münzname wie Mark, Franc oder Rubel, sondern nichts weiter als
die Bezeichnung eines Gewichtes ist, das etwa einer europäi-
schen Unze entspricht. Das Wort ist übrigens nicht chinesisch, sondern
gehört dem in den Vertragshäfen ausgebildeten sino-europäischen Jar-
gon an und dürfte aus einer aus Indien importierten Bezeichnung ent-
standen sein. Die Chinesen selbst nennen ihre Unze Liang. Es ist
Miszellen. 61
nun klar, daß es keinen gehörigen Sinn hat, von einer Anzahl oder
einem Betrag von Taels zu sprechen, so wenig, als es bei uns verständ-
lich wäre, von einer Anzahl Kilogrammen oder einem Betrag von
Zentnern zu reden, ohne anzugeben, auf welche Sache oder Ware sich
eigentlich die Quantitätsangabe bezieht. In der Tat wird kein Chinese
schlechtweg von „Unzen“ sprechen; es muß hinzugefügt werden, wo-
von denn Unzen gemeint sind (Reis, Bohnen, Kupfer, Silber oder
Gold?). So und so viele Unzen feinen Silbers: so drückt sich
der Chinese aus. Der Europäer aber überträgt ohne weiteres seine
heimischen Münzgewohnheiten und spricht kurzweg von „Taels“, was
nur dann unzweideutig ist, wenn stillschweigend die Bezugnahme auf
Silber erfolgt. Wenn also die fremden Mächte nach der Niederwerfung
der gegen die Ausländer gerichteten national-chinesischen Bewegung
vom Jahre 1900 dem chinesischen Staat eine Entschädigung von 450
Mill. Haikwan-Taels auferlegten, so heißt das genau übersetzt: 450
Mill. Zollamts-Unzen feinen Silbers (nämlich Unzen von dem bei der
Erhebung der Zölle üblichen Maß). In Europa hätten wir uns in
analogem Fall auszudrücken: 17 Mill. Kilogramm oder 17000 metrische
Tonnen feinen Silber. Da in China Maße und Gewichte nicht ein-
heitlich sind, sondern nach Provinzen, Städten, ja oft sogar Gewerbe-
zweigen mannigfaltig variieren, muß stets die Art des gemeinten Maßes
näher bezeichnet werden. Für die Zollabgaben ist die alte Unze von
Kanton, den der fremde Handel an diesem ihm zuerst erschlossenen
Hafen vorfand, durch die internationalen Handelsverträge festgelegt
worden; sie wiegt 37,783 g. Die Zollabgaben sind in reinem Silber
zu entrichten; und da die Boxerindemnität durch die Zolleinnahmen
garantiert worden ist, so drückte man sie eben nach der für diese
geltenden Einheit aus.
Das chinesische Geld ist also einfach Silber nach Gewicht.
Man kauft und verkauft, steuert und schätzt nach Unzen Silbers. Die
zollamtliche Unze („Haikwan-Tael‘) ist bloß für Zollzahlungen üblich.
Die Steuern zieht der Fiskus gewöhnlich in einer eigenen Einheit, der
Schatzhaus-Unze (,„Kuping-Tael), ein, die meist und offiziell mit 37,301
(in einer jüngst erschienenen Verordnung merkwürdigerweise mit
37,00301) Gramm angegeben ist. In ihr war auch die den Japanern
nach ihrem siegreichen Feldzug zu zahlende Kriegsentschädigung aus-
gedrückt. Es hat keinen Zweck, die Gewichtsdefinitionen anderer gang-
barer Unzenarten, wie der Sze-ma-Unze von Kanton, der Hang-ping-
Unze von Tientsin, der Tsao-ping-Unze von Shanghai, der Kung-fa-Unze
` von Peking usw. anzugeben. Manche Quellen wollen 170 Arten von
Unzen unterschieden haben, so groß ist, dank der durch Jahrtausende
fortgesetzten Gleichgültigkeit und Unzulänglichkeit der öffentlichen Ver-
waltung, die Zersplitterung des Gewichtswesens in China.
Man zählt also in China unter Zuhilfenahme der Wage, wie im
alten Ronı das Kupfer, wie heute im internationalen Verkehr das Gold
gewogen wird. 16 Unzen bilden wie in Europa ein Pfund (Catty). Im
übrigen haben die Chinesen von altersher die Dezimalteilung, die viel-
62 Miszellen.
leicht von dort aus sich in der Welt verbreitet hat. Das Zehntel einer
Unze ist der Tsien (im Jargon Mace), dieser zerfällt in 10 Fên (im
Jargon Candarin), dieser in 10 Li (im Jargon Cash), und rechnungs-
mäßig wird noch weiter bis zum Zehnmillionstel der Unze geteilt.
Bei Zahlungen kommt aber nicht allein das Gewicht in Betracht,
sondern auch die Feinheit des Silbers, worin gezahlt werden soll.
Nicht immer nämlich ist feines Silber (Chines. Tsu-sêh-wên-yin) ge-
meint. Die Zollzahlungen erfolgen, wie erwähnt, in Unzen feinen
Silbers. Dagegen bezieht sich die fiskalische Unze (der Kuping-Tael)
meist auf Silber von der Feinheit von 985 Tausendteilen. An verschie-
denen Plätzen ist verschiedenes Standardsilber gangbar. Bei Preis-
angaben müssen also die Gattung des gemeinten Unzenmaßes, sowie der
Standard des Metalles genannt werden.
Die Europäer stehen der chinesischen Silbergewichtsrechnung so
fremd gegenüber, daß sie ihr schon in der Bezeichnung nicht gerecht
werden. Sie sind gewohnt, ein Stück Gold vom Gewicht von 7,965 e
und der Feinheit von 900 Tausendteilen 20 Reichsmark, eines von
1231/, Troy-Grains und der Feinheit von 11 Zwölfteln 1 Pfund Ster-
ling zu nennen, weil bei ihnen daheim diesen Bezeichnungen konkrete
Metallstücke von bestimmtem Aussehen entsprechen. Dieser Gewohn-
heit folgend benennen sie eine bestimmte Unze Silber von bestimmtem
Feingehalt, wie sie an einer bestimmten Lokalität in China die herkömm-
liche Currency bildet, mit dem Namen „Shanghai-Tael‘‘ — obwohl es ein
solches Ding, als greifbare Sache, gar nicht gibt. Es ist eine europäische
Jargonbezeichnung, bei der 1) der gemeinte Stoff oder die gemeinte
Ware (also Silber von bestimmtem Feingehalt) und 2) das gemeinte
Gewichtemaß stillschweigend mitzuverstehen sind. ` Chinesisch ist diese
Bezeichnungsweise nicht.
Es gibt also keine Taelmünzen, und es gibt überhaupt keine
Währung, d. h. kein vom Staat gestempeltes und für Zahlungen
legalisiertes Geld. Was als Geld umläuft ist Silber, welches nach fakti-
schem Gewicht genommen und gegeben wird. Die übliche Gestalt sind
Barren, meist vom approximativen Gewicht von 50 Unzen, die man
wegen ihrer der chinesischen Fußbekleidung ähnlichen Gestalt im Jar-
gon „shoes (Schuhe) nennt. Eine Vertrauensstelle von halboffiziellem
Charakter (Kung-ku) malt auf den Barren Tuschzeichen, die zur Be-
quemlichkeit des Verkehrs das genaue Gewicht, sowie die Feinheit an-
geben. Dieses sog. „Sycee“-Silber (von Hsi-sze, d. i. „Feine Seide‘,
nach dem Aussehen des Silbers) ist also Gegenstand der effektiven Ueber- _
tragung, wobei bezüglich des Feingehalts eventuell auch bezüglich der
Gewichtseinheit Umrechnungen platzgreifen müssen !).
1) Schalten wir hier einen kleinen Exkurs zum eingangs erwähnten Valuta-
prozeß des Reichsfiskus ein. Europa, Nordamerika und Japan haben nach der
Unterdrückung der Boxerbewegung in einem vorläufigen Abkommen vom Mai 1901
dem chinesischen Staat die Zahlung einer Entschädigung von 450 Mill. Zollamts-
Unzen feinen Silbers auferlegt. In solchen Unzen empfängt der chinesische Staat
die Einnahmen aus den Zollabgaben, und da die Indemnität auf letzteren sicher-
gestellt wurde, so drückte man sie im gleichen Maßstab aus. Im Schlußprotokoll
vom 7. September 1901 wurde aber China zu einem weiteren sehr schwerwiegenden
Miszellen. 63
An dem eigentümlichen chinesischen System derSilbergewichts-
rechnung ändert auch der in China örtlich vorkommende Umlauf von
Zugeständnis an die Mächte vermocht; die Indemnität wurde nämlich in eine Gold-
schuld verwandelt, auf Grund einer festen Gleichsetzung der Zoll-Unze Silber mit
3 sh., 3,055 M., 3,75 frcs. usw. Gold, wonach an die einzelnen Staaten die auf
sie entfallenden Teile der Jahresannuitäten zu entrichten waren. Infolgedessen
lastete fortan das ganze Risiko der Schwankungen des Silberpreises auf China,
was finanziell sehr ins Gewicht fallen konnte. So war der Silberpreis schon ein
Jahr nach dem Friedensschlusse um nicht weniger als 12 Proz. gefallen; ent-
sprechend höher war also die auf dem chinesischen Fiskus liegende Last. Die
Zölle, die von den importierten Waren eingehoben werden, sollen nach den
Handelsverträgen 5 Proz. vom Wert betragen, werden aber auf Grund von Durch-
schnittswerten in spezifische Zölle umgerechnet, d. h. pro Wareneinheit in festen
Beträgen von Zollamts-Unzen Silber (Haikwan-Taels) fixiert. Der chinesische Staat
empfängt also die Zollabgaben in Silberquantitäten von wechselndem Wert,
muß aber die darauf sichergestellten Entschädigungsraten in fixen Gold beträgen
begleichen. Wäre bei den chinesischen Staatsvertretern mehr wirtschaftliche Ein-
sicht vorhanden gewesen als den Mandarinentraditionen entsprach, so hätten sie
darauf bestehen müssen, daß den neuen Goldschulden Chinas auch Goldeinnahmen
entsprächen. Die Indemnität hätte nur dann in Gold fixiert werden dürfen, wenn
auch die Einfuhrzölle in Gold bezahlt werden. Von importierten Waren, die ja
mit Gold beglichen werden müssen, Wertzölle in Silber einzuheben, ist ohnehin
sinnwidrig. Fällt das Silber im Wert, so reduziert sich entsprechend der Zoll-
betrag, der doch vertragsmäßig 5 Proz. vom Warenwert betragen soll. Blieb es
aber bei der Zollzahlung in Silber, so hatte logischer- und gerechterweise auch die
auf den Zöllen sichergestellte Indemnität in Silber ausgedrückt zu bleiben. Die
hier sichtbar gemachte Nachlässigkeit der chinesischen Regierung ist die Quelle
der heutigen Valutastreitigkeiten Dritter. Da nämlich China keine Goldrevenuen
hat, muß es die Goldsummen, die es zu zahlen hat, kaufen. Dies geschieht
in Shanghai, dem kommerziellen Mittelpunkt des Außenhandels, wo also der größte
Teil der Importzölle eingeht, und wo die großen ausländischen Banken, die als
Inkassostellen der bezüglichen Regierungen fungieren, ihren Sitz haben. China
weist diesen Banken, nach den jedesmaligen, beiderseits zu genehmigenden Wechsel-
kursen. so viel Silber an, als nötig ist, um die fälligen Goldsummen anzuschaffen.
(Daß dies in sogenannten Shanghai-Taels geschieht, ist, wie sich aus den bisherigen
Darlegungen ergibt, ganz nebensächlich.) Je nach den Silberpreisen muß also die
chinesische Regierung mehr oder weniger Silber erlegen, als der ursprünglich ver-
abredeten Annuität von 15 Mill. Zollamts-Unzen entspricht. Ihre eigentliche
Schuldigkeit besteht eben nicht mehr in Silber, sondern in Gold. Daraus ergibt
sich, wie unbillig es war, China, als es bei einigen Ratenzahlungen (1902 und 1903)
wegen Meinungsdifferenzen mit Teilbeträgen in Rückstand geriet, das Rückständige
bei der Nachzahlung (1904) in jener Anzahl von Shanghai-Taels abzunötigen, die
es bei rechtzeitiger Zahlung zu erlegen gehabt hätte, obwohl zum verspäteten
Termin wegen gestiegenen Silberpreisen ein geringeres Silberquantum genügt hätte,
um den rückständigen Goldbetrag anzuschaffen. Dadurch ergab sich für die
Empfänger ein Gewinn, um den sich eben der Prozeß zwischen Reichsfiskus und
der Deutsch -asiatischen Bank drehte. Letztere, die im Bankenkonsortium von
Shanghai das deutsche Interesse vertritt und bei der Kursfestsetzung für die In-
demnitätszahlung mitwirkt, besorgt für den Reichsfiskus das Inkasso und hat sich
diesem gegenüber verpflichtet, den entsprechenden Goldbetrag, auf den es ja nach
dern Vorstehenden allein ankommt, dem Fiskus gehörig gutzubringen. Sie bean-
spruchte nun den aus der Nachzahlung Chinas, infolge der zwischenzeitigen Preis-
steigerung des Silbers, entstehenden Gewinn für sich, weil der Reichsfiskus bloß
auf jene Goldbeträge Anspruch habe, die China vertragsmäßig zahlen muß. Dem-
gegenüber nahm der Fiskus mit Recht den Standpunkt ein, die Bank habe ihm
alle von China geleisteten Beträge, gleichgültig ob sie rechtzeitig oder verspätet,
richtig oder unrichtig eingehen, in Gold umgerechnet abzuführen. Das Reichs-
gericht hat in letzter Instanz zugunsten des Fiskus entschieden. Wir haben hier
64 Miszellen.
allerlei Silbermünzen nichts; auch diese werden überall nur nach
ihrem effektiven Gehalt an Silber geschätzt und angenommen. Man
sieht in China hauptsächlich mexikanische Silberdollars, ferner Dollars
amerikanischen und britischen Gepräges, im Norden auch japanische
Yen und russische Silberrubel. Diese Münzen erhalten sich dort im
Umlauf, wo das Publikum ihr Gewicht und ihren Feingehalt kennt.
Im Innern des Landes wandern sie gewöhnlich in den Schmelztopf, um
in Syceesilber umgegossen zu werden. Es ist charakteristisch, daß im
Süden der Dollar, um umlaufsfähig zu werden, eine Art Punze seitens
des ausgebenden Bankiers erhält, wodurch gleichsam dessen Garantie
beglaubigt wird, daß der Staat, von dem der betreffende Dollar her-
rührt, bei der Prägung wirklich ehrlich verfuhr, also das übliche Fein-
gewicht Silber darin enthalten ist. Läuft der Dollar längere Zeit um,
so häufen sich jene Bankpunzen auf ihm, bis die Münzen (chopped
Dollars) fast unkenntlich sind, und eingeschmolzen werden. Seit einigen
Jahren haben auch verschiedene chinesische Provinzialmünzstätten Dol-
lars chinesischer Prägung ausgegeben. Auch diese werden lediglich
nach Silbergewicht genommen; meist tragen sie sogar die Gewichts-
bezeichnung nach chinesischen Unzen (0,72 Kuping-Tael) aufgeprägt.
So läuft also neben dem Syceesilber eine Mannigfaltigkeit geprägter
Silbermünzen um, da sie, sofern ihr Gewicht bekannt ist, das Abwägen
vielfach ersparen; aber es wird nie übersehen, daß sie nur nach Gewicht
und Feingehalt gelten. Die Preise und Rechnungen gelten trotzdem
immer in Unzen, und auf Unzen werden die Münzen als Metallstücke
verrechnet — wobei die Kosten des Einschmelzens und Nachprüfens
separal und ausdrücklich kalkuliert werden.
Das chinesische Publikum ist sehr kaufmännisch und rechnerisch
veranlagt, und handhabt sein Silbergewichtsgeld mit oft bestaunter
Virtuosität. Der Fremde steht aber dieser Art Geldwesen meist ratlos
gegenüber. Man kann europäische Kaufleute antreffen, die jahrzehnte-
lang in China tätig gewesen sind, und das Wesentliche des dortigen Geld-
wesens nie begriffen haben. Dem Europäer ist geläufig, in Münzein-
nicht auf den Prozeß einzugehen, und begnügen uns mit der Bemerkung, daß
nach dem Vorstehenden die strittigen Beträge eigentlich dem chinesischen Staat
mit Unrecht abgenommen worden sind. Insofern aber dieser Punkt nicht zur
Diskussion steht, müssen sie jenem zufallen, der sie verlangt und ihre Bezahlung
durchgesetzt hat, und das ist das Deutsche Reich. Wir wiederholen, daß China
eigentlich Gold zu zahlen hat und Gold bei den Banken anschafft, unter Erlegung
von Silber zu bankmäßig festgesetztem Kurs. Dies wurde in den Prozeßverhand-
lungen beständig übersehen. Die Festhaltung des Gesichtspunktes der Gold-
verpflichtung Chinas nimmt dem Anspruch der Deutsch-ostasiatischen Bank jede
Scheinbarkeit. Der Inkassovertrag des Reichsfiskus mit der Bank hatte zum Zweck,
noch unzweideutig festzustellen, daß dieBank das von China bezweckte Goldquantum
auch dem Reichsfiskus gegenüber bücherlich gutzubringen habe. Weder war die
Bank also berechtigt oder in der Lage, mehr Gold gutzuschreiben, noch der
Reichsfiskus verpflichtet, mehr Gold zu erwarten und abzunehmen, als von China
effektiv (im Silberäquivalent) jedesmal überwiesen worden ist. Andererseits durfte
die Bank dem Fiskus niemals weniger Gold gutbringen, als der jedesmaligen
Silberzahlung Chinas entsprach. — Der ganze Fall illustriert übrigens die aus der
Unwissenheit und dem Ungeschick der chinesischen Beamten entspringende Ab-
hängigkeit des chinesischen Fiskus von der Bank- und Finanzwelt.
Miszellen. 65
heiten zu denken und zu rechnen, ohne sich weiter gegenwärtig zu
halten, wie viel an effektivem Metallgehalt unter dem gewohnten Münz-
namen stecke. Dieser Punkt wird zwar beim internationalen Valuten-
und Rimessenhandel auch in Europa bedeutsam, und die sich damit be-
fassenden Banken hören alsbald auf, sich um den staatlich festgesetzten
Namen (Mark, Franc etc.) zu kümmern, greifen vielmehr zur Gold-
wage, um das effektive Gewicht festzustellen, sobald Versendung von
geprägtem Geld aus einem Land ins andere in Frage kommt. Auch
das Geschäftsleben innerhalb der Grenzen eines Landes wird auf den
Metallsinn des Geldes alsbald aufmerksam, wo Zwangspapiergeld um-
läuft und Kreditstörungen ein Disagio desselben bewirken; denn dann
hält jeder das wertvollere Goldstück, das in seine Hand gerät, zurück,
um es beim Goldschmied oder bei der Bank besser zu verwerten, als
durch Weitergabe zum Nennwert möglich wäre. Davon abgesehen aber
hält sich der Europäer an die staatlichen Münznamen, und wünscht im
Ausland stets etwas Aehnliches anzutreffen. In China herrscht nun
aber auch im Innern allgemein das, was bei uns nur im internationalen
Verkehr üblich ist, nämlich die Zahlung in Edelmetall nach Gewicht.
Die damit verbundenen und durch die große Zersplitterung des Maß-
wesens allerdings gesteigerten Rechennotwendigkeiten bleiben dem Aus-
länder etwas kaum Verständliches, was er, wenn er nicht gerade selbst
Bankmann ist, selten durchschauen lernt. Gerade aber diese Ver-
ständnislosigkeit gegenüber dem chinesischen Geldwesen hat dazu bei-
getragen, den europäischen Kaufmann in solche Abhängigkeit von
chinesischen Organen und Vermittlern zu bringen, wie sie regelmäßig
Tatsache ist. Er ist im gesamten Zahlungsverkehr auf Vermittlung
von Chinesen angewiesen und gewohnt, in ihrer Verrechnungsweise
eine Art Geheimwissenschaft zu sehen.
Der chinesische Silberumlauf beruht nicht auf staatlicher
Anordnung und autoritativer Verwaltung, sondern ist ganz und gar
eine Schöpfung des freien Verkehrs. Man darf daher von ihm
nicht als yon einer Silberwährung im europäischen Sinn sprechen. Er
hat sich wesentlich erst im Laufe der neueren Jahrhunderte einge-
bürgert, und zwar in Anschluß an den Handel mit den sich seit dem
16. Jahrhundert in den Seestädten festsetzenden europäischen Kauf-
leuten. Was diese für die chinesischen Ausfuhrwaren, besonders den
Tee und die Seide, boten, war hauptsächlich Silber, welches vordem zwar
auch nicht unbekannt, aber nur in geringem Maß als Zahlungsmittel
gebraucht war. Die seit der Eroberung der neuen Welt durch die Euro-
Päer sich in den internationalen Handel ergießenden Edelmetallzuflüsse
scheinen besonders zur Verbreitung des Silbers in China beigetragen zu
aben, in dem Maße, als sich der internationale Handel Chinas ent-
wickelte. China kam also verhältnismäßig erst spät dazu, die edlen
Metalle als Geld zu benutzen, und nach chinesischer Ueberlieferung
haben erst die mit solchem Gebrauch verbundenen fühlbaren Vorteile
zur intensiveren Ausbeutung der chinesischen Silberminen in Yünnan
veranlaßt,
Dritte Folge Bd. XLVIII (CI). 5
66 Miszellen.
Neben und in gewissem Sinne unter der Silbergewichtsrechnung
steht eine zweite Art von Currency, welche aber nicht wie jene aus dem
freien Verkehr hervorgewachsen ist, sondern ihren Ursprung dem Staate
verdankt, freilich aber von diesem selbst in gewissem Sinn fallen ge-
lassen ist und in ihrem heutigen Zustand ein Spiegelbild mehrtausend-
jähriger schlechter Staatsverwaltung liefert. Es ist dies eine Art
Kupfer- (genauer Bronze-) Währung, deren Geschichte weit hinter
die Zeit der Entstehung abendländischer Münzen zurückreicht. In der
Tat hat man in China schon vor etwa 3000 Jahren Kupfergeld geprägt.
Solche Prägung war ebenso wie später in Europa ein Fortschritt und
eine Erleichterung des Verkehrs, dem dadurch statt jedesmal abzu-
wägender Kupferbarren Metallscheiben von bekanntem, aus dem Stempel-
zeichen ersichtlichem Gewicht dargeboten wurden.
Die Verfertigung der Metallstücke war ursprünglich und noch
lange, etwa bis zum Beginn unserer Zeitrechnung, Privatsache, und die
öffentliche Gewalt begnügte sich mit der Vorschreibung bestimmter
.Form und bestimmten Gewichts. Die Kupfermünzen haben von alters-
her in der Mitte ein viereckiges Loch, so daß sie auf Schnüren auf-
gereiht werden können, und die chinesische Tradition führt den Ur-
sprung dieser Einrichtung auf den vor allgemeiner Einbürgerung des
Kupfergeldes verbreiteten Gebrauch von Kaurimuscheln und Schildpatt-
stücken zurück, die zu Schnüren aufgereiht, als Schmuck dienten und als
Vermögensstücke und Zahlungsmittel geschätzt gewesen seien. Diese
Reminiszenz ist nicht uninteressant, denn sie zeigt, daß die Entwick-
lung des Geldwesens überall ähnlich vor sich gegangen ist. Ueberall
hat man ursprünglich gewisse allgemein beliebte und daher besonders
leicht absetzbare Dinge vorzugsweise zum Tauschverkehr und Handel
benützt, und überall ist man, sobald Metalle erlangbar waren, wegen
ihrer vorzüglichen Eigenschaften dazu gelangt, in stetiger Entwicklung
zu ihrer überwiegenden und schließlich alleinigen Benützung über-
zugehen. So wie später die Silberrechnung, so ist auch früher das
Kupfergeld nicht durch Uebereinkunft oder durch Staatsgesetz, sondern
vermöge der Notwendigkeiten des Verkehrs und der natürlichen Eigen-
schaften des Metalls zur Entstehung gekommen.
Die Geschichte der chinesischen Metallmünzen gibt zu ähnlichen
Betrachtungen Anlaß wie die europäische Münzgeschichte. Nachdem
das Prägen der Kupfermünzen unter einem energischen Staatsleiter
(vor etwa 2000 Jahren, unter der Han-Dynastie) Staatsmonopol ge-
worden, wurde es auch in China von geldbedürftigen Fürsten, Macht-
habern und Regierungen als Quelle für eigensüchtige Profite auf Kosten
der allgemeinen Volkswirtschaft benützt. Das Abwägen und Bezeichnen
von Metallscheiben ausschließlich einer öffentlichen Anstalt vorzube-
halten und es der Privatindustrie zu verbieten kann den guten Sinn
haben, daß das Publikum vor unzuverlässigen Manipulationen besser
geschützt werden und ihm der Vorteil einer einförmigen und von der
höchsten Autorität herrührenden Beglaubigung geboten werden soll.
Aber in China hat sich wie anderwärts der Egoismus der regierenden
Finanzen der ursprünglich wohltätigen Institution bemächtigt, und unter-
Miszellen. 67
dem Anschein des Gemeinnützigen die staatliche Eigensucht zum Ver-
derben der Sache spielen lassen. So ist denn auch in China in den ver-
schiedenen Perioden durch verschiedene Mittel versucht worden, ver-
schlechtertte Münzen zu unverändertem Wert dem Verkehr aufzu-
oktroyieren oder in ihn einzuschmuggeln. Man verkleinerte die Münzen
bald im Durchmesser, bald in der Dicke, setzte mehr schlechtes Legier-
metall zu, und brachte sie unter unveränderter Bezeichnung und zum
nominellen Wert der besseren von früher gangbaren Metallstücke in
Umlauf. Die diversen Metallunterschlagungen gingen nicht einmal
immer von einer einzigen Zentralstelle aus, sondern entsprechend den
jeweiligen politischen Verhältnissen sind die gleichen Mißbräuche in
Teilstaaten und Provinzen geübt worden. So entstand eine bunte
Mannigfaltigkeit von Kupfermünzen, die gesetzlich allesamt dasselbe
bedeuten sollen. Dabei verdrängten die schlechteren Münzen die besse-
ren, die nominell denselben Wert haben sollten, da es profitabel war,
die schwereren Metallstücke einzuschmelzen und als Metall zu ver-
werten. Nahmen gelegentlich die Münzen infolge des Prägemonopols
und mangelhafter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Verkehrs
einen höheren Verkehrswert an, als dem Metallgehalt entsprach, so ver-
lockte das die Regierungen zu massenhafter Ausprägung schlechten
Geldes, die so lange fortdauern konnte, als das Publikum die schlechte
Beschaffenheit nicht durchschaute und die Korrektur der Bewertung
nicht vornahm. Ueberdies waren aller Orten auch private Falsch-
münzer am Werk, ja die Profitchance bot auch privaten Unternehmern
starken Anreiz, sich trotz gesetzlichen Verbots an der Schaffung von
Münzen zu beteiligen, die an Metallgehalt hinter den staatlichen nicht
zurückstanden, ja sie manchmal übertrafen. Versuche besserer Regie-
rungen (z. B. der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung), reformierend einzugreifen, waren nur vorübergehend; im
ganzen überwogen die Verschlechterungen.
Das Fazit dieser mehrtausendjährigen verworrenen Münzgeschichte
ist der tatsächliche chinesische Umlauf an Bronzemünzen (von den
Fremden cash, Käsch, französisch sapeques, genannt), womit sich der
Detailumsatz und die Masse des ärmeren Volkes behelfen. Das Ge-
wicht der gesetzlichen Käschmünze, das ursprünglich das Zehntel einer
chinesischen Unze betragen sollte, ist im Lauf der Jahrhunderte auf
ein Zwölftel, dann ein Sechzehntel und gar ein Zwanzigstel der Unze
heruntergegangen, d. h. von etwa 21/, auf etwa 11/3 g reduziert worden.
Sie soll aus einer Legierung von etwa 50 Proz. Kupfer, 40 Proz. Zink,
10 Proz. Zinn oder Blei bestehen, tatsächlich sind aber zahllose ältere
und neuere legitime und illegitime Varianten im Umlauf. Selbstver-
ständlich kümmert sich der Verkehr nicht um die nominelle Gleich-
wertigkeit der verschiedenen Sorten und bewertet sie lediglich nach
dem effektiven Metallgehalt. Der praktische Sinn der Chinesen hat
Hilfsmittel erfunden, um trotz der elenden Beschaffenheit dieser von
von der staatlichen Mißwirtschaft der Jahrtausende vererbten Currency
doch einigermaßen sich damit zu behelfen. Die Käschmünzen kursieren
gewöhnlich in Schnüren, auf denen nominell je 100 Käsch aufgereiht
5*
68 Miszellen.
sein sollen; gewöhnlich fehlen aber 2—3, die man als Entgelt für
Beistellung der Schnur und Sortierung und Auffädelung der Münzen
ansieht. Innerhalb der einzelnen Schnur wird aber je nach den Gewohn-
heiten und Traditionen des Bezirks oder der Lokalität eine ge-
wisse Sortierung gefordert: soundso viel schwere (ältere), soundso viel
leichtere haben darin zu sein, und soundso viel unechte (d. h. nicht
behördlicH ausgegebene) werden dabei mitgenommen. Auf diese Weise
wird doch in gewissem Maße eine durchschnittliche Gleichmäßigkeit
der Einheit erzielt, um ein Rechnen in Geld zu ermöglichen. 10 Schnüre
bilden gewöhnlich eine höhere Einheit (,,Tiao‘“, nominell 1000 Käsch).
Natürlich muß aber trotzdem immer auf die Zusammensetzung der
Schnüre geachtet werden. Es gibt immer Abzüge oder Vergütungen
je nach der Zahl schlechterer oder besserer Münzen. Von Provinz zu
Provinz, von Stadt zu Stadt ändert sich der Wert der Schnüre nach
Lokalüsancen; die Differenzierung der Gebräuche und Sitten geht so
weit, daß man gewisse Waren mit schlechteren, selbst unechten Käsch,
andere nur mit guten kaufen kann, und überdies schwankt der Wechsel-
kurs gemäß dem jeweiligen Mangel oder Ueberfluß an Münzen und
nach dem Stand der Handelsbeziehungen — umfaßt doch das ungeheure
Reich Provinzen von der Größe europäischer Großstaaten, zwischen
denen nach Handels- und Zahlungsbilanz Barausgleichungen nötig
werden, die ein hochentwickelter Bank- und Wechselverkehr besorgt.
Käschnoten, die von den Wechslern und Bankiers ausgegeben werden,
erleichtern zwar den interurbanen Verkehr ein wenig, sind aber ander-
seits selbst Quelle von Differenzen, Abzügen und Verlusten. Es ist
eine ganzo Wissenschaft von Nöten, um sich in dieser Mannigfaltigkeit
auszukennen, und zahllose Käschwechselbuden ziehen aus den Verkehrs-
schwierigkeiten Gewinn. Unzureichende Kenntnisse und Unerfahren-
heit bringen Verluste, und es gehört die bekannte kaufmännische und
rechnerische Gewandtheit der Chinesen dazu, um sich mit diesem
elenden Umlaufsmittel schlecht und recht zu behelfen. Auf dieses ist
gerade der Verkehr der kleinsten wirtschaftlichen Existenzen ange-
wiesen; hundert Käsch sind erst 2—4 Pence (15—30 Pfennig) wert.
Wenn man auch nur mittlere Einkäufe machen will, sieht man sich
leicht mit einigen Pfunden Kupfermünzen beladen.
Die Verwirrung ist in der neuesten Zeit noch dadurch vergrößert
worden, daß man vielfach die Herstellung größerer Bronzemünzen,
die nominell 10 Käsch repräsentieren sollen, aufnahm. Da sie aber
durchaus nicht das 10-fache des Metallgehalts des durchschnittlichen
Käsch haben, wurden sie vom Verkehr sofort nur mit Disagio ange-
nommen. So rächte sich, daß nicht die Absicht, dem Verkehr Besseres
zu bieten und wirklich zu reformieren, sondern der Profittrieb bei
der Schaffung der neuen Münze maßgebend gewesen war. Um Präge-
gewinne zu machen, hat man kolossale Quantitäten davon in Umlauf
gebracht, Ueberproduktion und Minderwertigkeit haben ihren Kurs
immer tiefer gedrückt, bis ihre Prägung nicht mehr lohnte. Neuerdings
hat man auch nach europäischer Art faconnierte 10 Käsch-Bronze-
münzen (ohne Loch) in Verkehr gebracht; auch diese sind nur mit
Miszellen. 69
Disagio in Umlauf und sehen ihre offizielle Bezeichnung beständig
dementiert.
Das Ergebnis der staatlichen Geldverwaltung in China ist also
die vollständige Korrumpierung der vom Staat geschaffenen Currency,
die für den Verkehr beinahe unbrauchbar geworden ist. Wäre dieser
auf die verrottete Kupferwährung angewiesen geblieben, so hätte ein
umfänglicherer Handel, eine verzweigtere Volkswirtschaft nicht auf-
kommeu können. Es war ein Sieg der nach Entwicklung drängenden
wirtschaftlichen Triebkräfte und der ökonomischen Naturgesetze über
die künstlichen Beschränkungen und Hindernisse, daß sich der Verkehr
der Kaufleute und der wohlhabenden Schichten in den neueren Jahr-
hunderten vom staatlichen Kupfergeld emanzipierte und sich in der
Silbergewichtsrechnung eine eigene bessere Currency schuf. Der Käsch-
umlauf dient heute nur mehr dem kleinsten Verkehr, dem Detail und
den Geschäften der ärmsten Volksschichten; im übrigen rechnet und
zahlt man in Silber nach Gewicht. Diese neue staatlich nicht re-
glementierte Currency des freien Verkehrs bot so große Vorteile
gegenüber der fast unbrauchbar gewordenen staatlichen Kupferwährung,
daß der Staat selbst es als sein Interesse erkannte, seine Einkünfte‘
von seinem eigenen Gelde und dessen Wertunsicherheit unabhängig
zu machen und sie gleichfalls in Silber sicherzustellen, so daß heute
auch Steuern, Abgaben und Zölle im wesentlichen in Silber nach Ge-
wicht zu entrichten sind. Die Käschwährung besteht also rechtlich
eigentlich in keiner Beziehung mehr, und die Kupferzirkulation be-
hauptet sich nur vermöge alter Gewöhnung und durch Jahrtausende
fortgesetzter Tradition.
So hat China zwei nebeneinander bestehende Metallzirkulationen,
die verschiedenen Bedürfnisbereichen angehören. Ein fixes Wertver-
hältnis zwischen beiden besteht nicht. Der Verkehr achtet auf den
Wert des effektiven Metalles und bestimmt danach das jeweilige Aus-
tauschverhältnis. Theoretisch, d. h. nach alten Staatsfestsetzungen,
sollten 1000 Käsch ein Tael Silber bedeuten. Heute werden aber 2000
bis 2500 Käsch für ein Tael Silber gegeben, und das illustriert das
Maß der Verschlechterung der Kupfermünzen.
Das chinesische Geldwesen ist auch theoretisch von ganz be-
sonderem Interesse. Der Gebrauch von ungeprägtem Metall als Um-
laufsmittel pflegt als ein fast prähistorischer roher Zustand angesehen
zu werden, der dem geprägten Gelde vorausgehe. Ja gewöhnlich will
man in jenem urwüchsigen Metallumlauf überhaupt noch kein eigent-
liches Geld sehen und läßt die Geschichte des letzteren erst mit den
staatlichen Prägungen anheben. Damit stehen nun die Tatsachen, die
wir in China finden, in lebhaftem Widerspruch. Ein gewaltiges Kultur-
gebiet von mehrtausendjährigen Ueberlieferungen, an Bodenfläche und
Bevölkerungszahl das gesamte Europa übertreffend, dabei in seinen
wichtigeren Teilen fast so dicht besiedelt wie Deutschland; ein großes
soziales Gebilde mit intensivem Ackerbau, emsigem Gewerbefleiß, hoch-
entwickeltem Verkehr, intelligentem, eminent praktisch und solid bean- .
lagtem Kaufmannsstande, uralten Bankiersgilden, weitverzweigten und
70 Miszellen.
verfeinerten Krediteinrichtungen — dieses Land hat kein Geld im her-
kömmlichen europäischen Sinne. Wer sich Umlaufs- und Zahlungsmittel
nicht als anders als staatlicher Urheberschaft, Stempelung und Privilegie-
rung vorstellen kann, muß angesichts der nun einmal feststehenden Tat-
sache, daß ein Kulturkreis von mehr als 400 Mill. Menschen seinen
Handels- und Geschäftsverkehr ohne Dazwischenkunft staatlich be-
zeichneten und autorisierten Geldes abwickelt, in Verlegenheit kommen.
In der Tat wird das so eigentümliche chinesische Geldwesen in
der Literatur, die sich mit Geldtheorie befaßt, meist ignoriert. Doch
ist es klar, daß eine Theorie, die zulänglich sein soll, eine befriedigende
Erklärung aller historisch vorgekommenen oder kulturgeographisch
nebeneinander auftretenden Tatsachen ermöglichen muß. Der höchst
ansehnliche Fall der chinesischen Volkswirtschaft, den man nicht mit
den primitiven Anfängen des Tauschverkehrs roher Urvölker auf eine
Stufe stellen und sich so etwa über ihn hinwegsetzen kann, steht ins-
besondere mit der jetzt modisch werdenden „Staatlichen Theorie des
Geldes“ in unausgleichbarem Gegensatz. Die dieser Theorie zugrunde-
liegende Petitio principii, das Geld sei ein Geschöpf der staatlichen
Rechtsordnung, erfährt durch die chinesischen Zustände ihre hand-
greifliche Widerlegung. Dort ist der Geldumlauf eine freie soziale
Schöpfung, die ihre Einbürgerung dem Verkehr und keiner staatlichen
Initiativo verdankt. Ja historisch ist die freie Silberrechnung sogar
die Nachfolgerin einer staatlichen Währung, und wir haben hier den
Fall, wo die staatliche Geldschöpfung von der wirtschaftenden Gesell-
schaft beiseite geschoben und durch etwas Besseres ersetzt worden
ist, was nicht auf autoritärer Gesetzgebung, sondern auf den ökonomi-
schen Naturgesetzen selbst beruht. Ein naturwüchsiger Kupferumlauf
ist durch staatlich geprägtes Kupfergeld ersetzt worden, welches bis
in die europäische Neuzeit in China das allgemeine Umlaufsmittel war:
dann hat, da das staatliche Geld schließlich als allzu verdorben seine
Verkehrsfunktion nicht gehörig erfüllen konnte, die chinesische Volks-
wirtschaft gleichsam wieder von vorn angefangen und ihren Verkehr
auf das Silber gegründet. Nicht vom Staat ist diese Wandlung aus-
gegangen, sondern sie hat sich gegen ihn und seine Satzungen voll-
zogen, und ihm blieb nichts übrig, als sich dem neuen ökonomischen
Fortschritt anzupassen und seinerseits aus ihm Vorteil zu ziehen.
Die europäische Wissenschaft beschränkt sich allzu einseitig auf
die überkommenen Geldzustände, wie sie sich in unseren auf den
mittelalterlich-feudalen Grundlagen erwachsenen militärisch-bureaukrati-
schen Staaten faktisch präsentieren. Unter dem autoritären Druck des
Tatsächlichen fällt sie mehr und mehr der Beschränktheit anheim, das
Geldwesen auch theoretisch mit dem Staat und seinen, gelinde gesagt,
einseitigen Eingriffen zu verquicken. Damit hört denn jede Möglichkeit
von Kritik und unabhängiger Haltung auf. Sullas Gesetz, das das alt-
römische Verbot des Legierens der zirkulierenden Metalle neuerlich ein-
schärfte, war ein Staatsakt; Staatsakte waren aber auch die neronia-
nischen Frivolitäten, welche die Aera der Münzverschlechterungen ein-
leiteten. Jenes bezweckte Schutz vor Betrügereien, letztere zielten auf be-
Miszellen. 71
trügerische Uebervorteilungen ab. Man sieht, die staatlichen Einwirkun-
gen auf das Geldwesen müssen selbst nach Rechtsrücksichten geprüft
werden und alle unterschiedslos als „staatliche Rechtsordnung‘ hyposta-
sieren, also Staat und Recht einfach gleichsetzen, heißt vor der zufälligen
und gedankenlosen Gewalt kapitulieren, auf Theorie, Kritik und absolute
Wahrheit zugunsten übertätiger Tatsächlichkeiten verzichten. Das große
chinesische Beispiel kann zur Befreiung von solcher Bornierung ver-
helfen. Der Ursprung des Geldes ist weder in einer willkürlichen Ueber-
einkunft, die auch anders hätte ausfallen können, noch in einer obrig-
keitlichen Verfügung zu suchen. Die Rolle der Metalle und insbesondere
der edlen Metalle in der menschlichen Wirtschaft ist über dem Be-
lieben der Menschen erhaben und beruht, wie ihre physikalischen und
chemischen Eigenschaften, ihre Verwendbarkeit und ihre Seltenheit.
auf Naturtatsachen, die vom Menschen unabhängig sind und daher
ein naturgesetzliches Fundament alles Weiteren bilden. Der Staat
ist erst dazu gekommen, als die Hauptsache schon ohne ihn unter den
Menschen aus deren freier Initiative durchgesetzt war. Nicht Prägung
oder Bezeichnung sind das Wesentliche, sondern der Stoff und dessen
Eigenschaften, vermöge deren er allgemein angenommen wird und
die Garantie bietet, überall zu gelten, also über die zufälligen Staats-
grenzen hinaus und ohne alle staatliche Einmischung seine Funktion
als Wertträger und Wertübertrager zu versehen. Ausmünzung, Prä-
gung, Stempelung, Gewichtsangabe — das sind Dinge, womit sich die
Oeffentlichkeit und der Staat befassen mögen, die aber Nebensachen
sind. — Bezüglich des Näheren zu dieser weittragenden, konsequenzen-
reichen und uralte Irrtümer beseitigenden antikonventionalistischen Auf-
fassung des Geldes sei auf die Werke Eugen Dührings selbst ver-
wiesen, dessen tiefschürfendem Scharfsinn sie zu verdanken ist. Er
hat seine Theorie schon 1866, in der „Kritischen Grundlegung der
Volkswirtschaftslehre‘‘, vertreten und dann ausführlich im ‚„Kursus der
National- und Sozialökonomie‘“ dargelegt, und seither noch wichtige
politische und soziale Folgerungen aus ihr gezogen (z. B. in „Waffen,
Kapital, Arbeit“ 1906).
Unsero Skizze wäre nicht vollständig, wenn wir nicht auch des
chinesischen Papiergeldes Erwähnung täten. Auch darin hat China
die üblichen Erfindungen und Erfahrungen lange vor den europäischen
Staaten gemacht, denn schon vor 1000 Jahren setzte die Regierung
dort Depotscheine über Bargeld in Umlauf, und bis ins 15. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung hat es an verschiedenen Emissionen von Staats-
noten und an den zugehörigen nur allzu obligaten üblen Folgen, an
Zwangskurs, Uneinlöslichkeit, Entwertung usw. nicht gefehlt. Nach
den chinesischen Ueberlieferungen wurde nun die Einführung des
Silbers und seine Einbürgerung im Verkehr allgemein als eine Er-
lösung von dem Uebel der unsicheren und fragwürdigen staatlichen
Zirkulationsmittel empfunden. Jedermann suchte das Metall zu er-
langen, in dem sich Ersparnisse und Werte sicher anlegen ließen,
das seine Kaufkraft unabhängig von zweifelhaften Bezeichnungen oder
staatlichen Willkürakten in sich trug, und dessen Beschaffung nicht
72 Miszellen.
von dem Belieben und der Einsicht der staatlichen Verwaltung abhing.
Die Silberrechnung hat nicht allein den Verkehr vom schlechten Kupfer-
geld emanzipiert und das Fundament einer modernen Entwicklung
geliefert, sondern auch das seit Jahrhunderten umlaufende und infolge
der Zahlungsunfähigkeit des Staates entwertete Papiergeld verdrängt,
so daß es schließlich verschwand.
Erst das 19. Jahrhundert hat in China Kreditbillette des Staates
wieder entstehen sehen. Insbesondere hat die jüngste revolutionäre Be-
wegung gegen die Mändschu-Monarchie dazu Anlaß gegeben, daß
sich verschiedene der neuen Provinzialregierungen finanzielle Mittel
durch Ausgabe von Noten beschafften. Es ist für China charakte-
ristisch, daß diese Zettel trotz Erfolgs der politischen Bewegung und
trotz Konsolidierung der Republik nur mit erheblichem Disagio in
Kurs sind, sowie sie von vornherein nicht zum Nennwert in Zirkulation
gebracht werden konnten. Die Regierungen haben sich zu Kompromissen
mit den Bankiers herbeilassen müssen, um ihre Zettel überhaupt in
einigen Maße emittieren zu können; man einigte sich fallweise auf
Prozentsätze, zu denen Papier zugleich mit Metall in Zahlung anzu-
nehmen war. Trotzdem unterlagen die Zettel seither weiterem Kurs-
fall, und die Androhung hoher Strafen, ja selbst der Todesstrafe, haben
30- und 40-proz. Disagio nicht hindern können. Diese Noten bilden
also neuestens eine Art dritter Currency, wobei von den diversen in
Teilen Chinas umlaufenden Banknoten (insbesondere der fremden
Bankniederlassungen) abgesehen wird. Die chinesische Regierung hat
verschiedentlich schon versucht, die Annahme des revolutionären Papier-
gelder au ihren Kassen, als für sie mit Verlust verbunden, abzulehnen ;
doch erregte dies, übrigens mit Recht, solche Entrüstung, und die
Erschütterung des Geldmarktes war so empfindlich, daß die Regierung
zurückweichen mußte. Die schließliche Einlösung der Noten wird sich
schon mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen, deren Eingänge durch
den Einlauf der Noten beeinträchtigt sind, nicht umgehen lassen.
II.
In China bedeutet der Staat wenig, die Tradition, die
uralte Gewohnheit alles. Ungeschriebene Gesetze, in den allgemeinen
Geist übergegangene Satzungen der Sitte regieren die Gesellschaft. Die
Zahl der bewaffneten Organe, die den Frieden aufrechtzuerhalten und
den rechtlichen Verkehr zu schützen haben, ist im Vergleich zu der
Bevölkerungszahl verschwindend. Man erwartet von der öffentlichen
Gehalt wenig; man ist gewohnt, von ihr, wo sie sich regt, mehr be-
hindert als gefördert zu werden. Das berüchtigte chinesische Be-
stechungssystem ist die Art, wie sich die wirtschaftende Gesellschaft
mit den unzulänglichen Öffentlichen Apparat abfindet. Der Sturz des
Mandschu-Regimes erfolgte, weil es sich als unfähig erwies, auch nur
das Minimum seiner Funktionen, nämlich die Erhaltung der nationalen
Einheit und Autonomie, zu erfüllen. Das neue Gouvernement hat hier
seine wichtigste Aufgabe; aber in der inneren Verwaltung wird sich
schwerlich viel ändern. Das vormundschaftlich-bureaukratische Regieren
Miszellen. 73
und Verwalten hat in China nach wie vor geringe Chancen. Eine
Staatsleitung, die dies verkennt und ihre Autorität überschätzt, wird,
wie die verflossene Monarchie, die Gesetzzammlung mit Edikten be-
reichern, um die sich praktisch niemand kümmert.
Wenn man daher bei der Frage nach möglichen Reformen des
Geldwesens vom bestehenden Silbergebrauch ausgeht und als
ersten Hauptsatz dessen Beibehaltung und Ausgestaltung aufstellt, so
ist das bloß eine fast selbstverständliche Folgerung aus dem Vor-
stehenden. Keine Macht ist imstande, den Jahrhunderte alten Silber-
umlauf willkürlich durch etwas anderes zu ersetzen. Deshalb sind Er-
örterungen über die Einführung einer Goldwährung oder dergleichen
durchaus zwecklos. Ein von oben ausgehender Systemwechsel ist in
China einfach unmöglich, und nicht etwa bloß inopportun, weil es etwa
für die Geldverfassungen Europas usw. gefährlich wäre, auch das
ungeheuere China zum Goldgebrauch übergehen zu lassen.
Ea ist also ein arges Uebersehen der wesentlichen Eigentümlich-
keiten Chinas, wenn europäische Ratgeber den Chinesen dieses oder
jenes Geldsystem statt der Silberwährung empfehlen. Eine chinesische
Regierung. die sich unterfangen wollte, von oben her ein nach euro-
päisch-amerikanischem Muster kopiertes System oktroyieren zu wollen,
würde nichts erreichen, als die heutige Mannigfaltigkeit der chine-
sischeu Umlaufsmittel zu vermehren.
Man muß das Silber, sowie esin Umlauf ist, zum Aus-
gangspunkt nehmen und darf sich lediglich fragen, was an den
heutigen Zuständen verbesserungsfähig ist, und was staatsseitig zur
Verbesserung mit Aussicht auf Erfolg geschehen kann.
Freilich hat der Silbergebrauch Nachteile, indem nämlich beim
Verkehr mit den nach Gold rechnenden Völkern die Schwankungen
des Silberpreises Unbequemlichkeiten verursachen. Es gibt rationelle
Mittel, diese zu reduzieren oder unschädlich zu machen. Ganz emanzi-
pieren kann sich das Silberland davon nicht. Am allerwenigsten ist eine
chinesischo Regierung imstande, die Wertschwankungen des Silbers
zu eliminieren. Es war ein Hauptfehler der früheren Währungsrat-
geber der chinesischen Regierung, insbesondere des amerikanischen
Professors Jeremiah Jenks und des holländischen Bankpräsidenten
Dr. G. Vissering!), die Stabilisierung des Wertes einer imaginären
chinesischen Einheit für das wichtigste Problem zu erklären und so
zu tun, als könne diesbezüglich der Staat etwas leisten. Sie empfahlen
ihm Nachahmung des von den Engländern in Indien eingerichteten
Systems einer staatsseitig beschränkten Silberzirkulation mit fixem Gold-
kurs. Man braucht sich nicht erst in eine kritische Prüfung dieses so-
genannten Gold Exchange Standard einzulassen, um ihn für China
unpraktikabel zu befinden. Wenn die Engländer die indische Silber-
Rupie in einer künstlichen Goldparität erhalten, die um 40 Proz. den
inneren Metallwert der Rupie übersteigt, so ist dies nur auf Grund
a 1) On Chinese Currency, Preliminary remarks about the monetary reform
in China. Amsterdam (J. H. de Bussy), 1913.
74 Miszellen.
ihrer über Indien etablierten Finanzherrschaft, kraft des indischen
und britischen Kredits, und vermöge der straffen Kolonialverwaltung
möglich. In diesen wesentlichen Vorbedingungen ist das englische Re-
giment über Indien von der Lage der chinesischen Regierung offen-
bar total verschieden. Dazu kommt aber der von uns wiederholt hervor-
gehobene Grundzug des chinesischen Verkehrs, ein Metallstück stets
nur auf sein effektives Gewicht anzusehen und sich nicht nach nomi-
nellen Bezeichnungen, sondern stets nur nach dem wahren Metall-
wert zu richten. Jeder Versuch, dieser wohlbegründeten, tief einge-
wurzelten Tradition entgegenzuhandeln und andere Verkehrsgewohn-
heiten einzubürgern, muß in China mißlingen; denn dort hat man es
nicht mit leicht zu bevormundenden Hindus, sondern mit einer an
kaufmännische Berechnung und verstandesmäßige Ueberlegung gewöhn-
ten Bevölkerung zu tun.
Die Uebelstände, die der heutige Zustand mit sich bringt, wenn
man zunächst vom Kupferumlauf (der Cash-Währung) absieht, sind:
1) Die Verschiedenheit des Gewichtsmaßes, also das Fehlen einer
einheitlichen, überall gangbaren und anerkannten Unze;
2) die Verschiedenheit der usuellen Silberfeinheit, also das Fehlen
eines überall gleichmäßigen Silberstandards;
3) die Schwierigkeiten genauen Abwägens und Teilens des Silbers.
Diese Dinge erschweren nicht bloß den interprovinziellen und
interurbanen Verkehr, sondern wirken selbst in derselben Stadt oft
erschwerend. Insbesondere aber machen sie das Publikum in hohem
Maße von Geldwechslern und Bankiers abhängig, welche aus der Not-
wendigkeit der vielfachen Umrechnungen und Messungen Gewinn
ziehen. Sie sind daher an der Erhaltung und Steigerung der Mannig-
faltigkeiten interessiert und nützen ihre unentbehrlichen Vermittlungs-
funktionen zu ungebührlicher Ausdehnung des Depositen- und Clearing-
verkehrs auf Kosten der Geschäftsleute und Privaten aus.
Auch zur Vereinheitlichung der Maße und Gewichte
ist China sowie zur Schaffung einer einheitlichen nationalen Münze
durch internationale Handelsverträge verpflichtet, ohne bisher etwas
Ernstliches in dieser Beziehung getan zu haben. Offenbar liegt das
eigentliche Problem nicht darin, irgendein Maßsystem zu erfinden oder
anzunehmen, welches der Unifikation zugrunde zu legen wäre, sondern
darin, das Publikum und den Handelsverkehr des ungeheueren Reiches
zur Annahme eines einheitlichen Maßes zu bringen. In den letzten
Jahren ist in China vielfach davon die Rede gewesen, das französische
Metersystem zu rezipieren, und im Herbste vorigen Jahres lag dem
chinesischen Parlament ein bezüglicher Gesetzesvorschlag der Regie-
rung vor. Offenbar erschwert man sich aber die Aufgabe außerordent-
lich, wenn man, statt sich an die heimischen Traditionen anzuschließen,
noch gar ein fremdes Maßsystem einführen will. Der Vorteil, den
der Anschluß an das in einem Teile Europas geltende Maßsystem allen-
falls mit sich brächte, wird bei weitem aufgewogen durch die Schwierig-
keit (ja nach unserer Ueberzeugung Unmöglichkeit), den chinesischen
Verkehr zu einer tiefgreifenden Abänderung seiner alten Gewohn-
Miszellen. 75
heiten zu vermögen. Es ist auch nicht abzusehen, warum China etwas
einführen soll, was Rußland, England, Nordamerika bisher noch nicht
angenommen haben. Es ist daher zu begrüßen, daß neuestens die
chinesische Regierung selbst einen Anschluß an die heimischen Maße
für passender anzusehen scheint und die Rezeption des metrischen
Systems einer entfernteren Zukunft vorbehalten will. Ein kürzlich
dem Präsidenten unterbreiteter Ministerialbericht schlägt speziell be-
züglich des Gewichtsmaßes vor, die fiskalische Unze (Kuping-
Gewicht) zur Einheit zu nehmen und im ganzen Reiche ein-
zuführen. In der Tat ist der Kuping-Tael als das bei den Steuerzah-
lungen zugrunde gelegte Gewicht im ganzen Reiche bekannt und hat
daher von vornherein unter den verschiedenen Tael-Spezies besondere
Chancen, unter gewissen Voraussetzungen allgemein angenommen zu
werden.
Gelänge es, in ganz China die Kuping-Unze zur allgemeinen Ge-
wichtseinheit zu machen, so wäre auch zur Verbesserung des Geld-
verkehres bereits viel geleistet. Die zweite wesentliche Verbesserung
wäre, daß man den Verkehr auch zur Annahme eines einheitlichen
Silberstandards bewegt. Hierzu böte sich natürlich der Anschluß
an den Kuping-Tael als der einfachste Weg dar. Dieser versteht sich
nach den offiziellen Angaben in Silber von 985 Tausendteilen. Indem
man also den Kuping-Tael allgemein rezipierte, hätte man die Ver-
schiedenheiten des Gewichtsmaßes sowohl, wie die des Silberstandards
beseitigt. Für den Uebergang müßten allgemein die gangbaren Geld-
einheiten nach Gewicht und Silberfeinheit in die neue Einheit umge-
rechnet werden, was nicht besonders kompliziert wäre, da ja schon heute
wegen der Steuerzahlungen überall die lokalen Einheiten in die fis-
kalischen umgerechnet zu werden pflegen.
Die große Frage ist also: Ist die chinesische Regierung, ist der
chinesische Verwaltungsapparat der großen Aufgabe gewachsen, im
ganzen Reiche eine neue zuverlässige und durchgreifende Maß- und
Gewichtspolizei zu organisieren, überall gehörige Mustermaße und
Wagen zu verbreiten, für ihre Vervielfältigung zu sorgen, und neue
Degenerationen der Maße, die Ausbildung neuer lokaler Abweichungen
zu verhindern ? Können die chinesischen Behörden so viel Einfluß auf
den Verkehr nehmen, um ihn zu durchgängiger Annahme des ein-
heutlichen Maßes zu vermögen? Wird die Bureaukratie des republi-
kanischen Regimes anders und besser funktionieren als die frühere?
Nach dem, was wir eingangs sagten, besteht wenig Wahrscheinlichkeit,
daß sich das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat wesentlich
ändern werde. Jedenfalls aber können die wirtschaftlichen Reformen
nicht davon abhängig gemacht werden, ob es der Zentralregierung
gelingt, sich finanziell und militärisch nach dem Muster der europäischen
Staater: zu organisieren und im ganzen Reiche einen entsprechenden
straffen Verwaltungsapparat einzuführen. Selbst unter Voraussetzung
eines solchen ist es durchaus nicht ausgemacht, daß es gelingen muß,
die alten Verkehrsgewohnheiten nach einem behördlichen Schema umzu-
gestalten.
76 Miszellen.
Trotzdem bietet sich dem Staate ein überaus einfaches und wirk-
sames Verfahren zur Reform, wenn er sich nur an das dem
chinesischen Geiste angemessene Prinzip hält, sich eng an die Tradi-
tionen anzuschließen und nur solches zu unternehmen, was dem Ver-
kehr nicht unökonomische Neuerungen zumutet, sondern ihm Vorteile
gewährt, die ihm erwünscht sein müssen. Das beste Mittel, die
Kupingeinheit und den Silberstandard des Kuping-Taels
einzubürgern, ist die Abwägung des Silbers selbst in die
Hand zu nehmen und dem Verkehr nach Einheiten abge-
wogenes Silber zu bieten. Der Staat muß einfach die Prägung
von Kuping-Taels organisieren. Er errichte an möglichst vielen
Handelsplätzen modern eingerichtete und exakt funktionierende Münz-
stätten, in denen alles von Privaten eingereichte Silber unentgeltlich in
Stücke von Kuping-Unzen-Gewicht und einheitlichem Standard (985/900)
verwandelt wird. Der Verkehr würde es dann vorteilhaft finden, statt
mit Barren zu manipulieren, die jedesmal geprüft, gewogen und mehr
oder weniger umständlich kalkuliert werden müssen, mit den neuen
Münzen zu zahlen, deren Gewicht und Feinheit ohne weiteres ersichtlich
sind. Die neue Münze würde also, da sie die alte Silbergewichtsrech-
nung nicht etwa durch etwas Neues ersetzt, sondern sie vielmehr be-
stätigt und erleichtert, den allgemeinsten Verkehrsbedürfnissen ent-
gegenkommen und sich rasch überall einbürgern. Der handgreifliche
Vorteil, der mit der Benützung der geprägten Unzen verbunden wäre,
würde auch den Widerstand lokal abweichender Gewohnheiten über-
winden.
Der geprägte Tael wäre zugleich ein überall umlaufendes, in
jeder Hand befindliches offizielles Unzengewicht, könnte also überall
zugleich als Gewichtsmaß dienen. Man brauchte sich nicht in Amts-
stellen zu bemühen und um Kopien der offiziellen Maße zu be-
werben, um das neue einheitliche Maß zu kennen und zu ge-
brauchen. Man würde unmittelbar mit dem umlaufenden Silbergeld
die Waren zugleich wägen können. Natürlich muß diese Erleichte-
rung des Messens wieder auf die Gangbarkeit der neuen Münze günstig
zurückwirken. So würde also durch eine Aktion Vereinheitlichung
des Geldwesens und Vereinheitlichung des Gewichtsmaßes vor sich
gehen. Dazu wäre keine bevormundende Aktion der Behörden not-
wendig. Das neue System brauchte nicht durch Strafandrohungen
und Polizeimaßregeln durchgesetzt zu werden, der Staat brauchte sich
nicht der in China so naheliegenden Gefahr auszusetzen, sich und seine
Ordonnanzen vom Verkehr ignoriert zu sehen. Nichts wäre dazu not-
wendig als die Einrichtung zuverlässiger Prägestätten. Auch müßte
Garantie für den fundamental wichtigen Punkt geleistet werden, daß
wirklich alles vom Publikum präsentierte Silber zur Ausprägung
kommt. Dies ist eine Hauptvoraussetzung für das Gelingen der Re-
form, da sie allein die Wertgleichheit des geprägten und ungeprägten
Silbers garantiert. Eine Schranke für das Ausprägen darf unter keinen
Umständen gestattet werden.
Miszellen. 77
Es ist selbstverständlich, daß das Silber nicht bloß in ganzen Unzen-
stücken, sondern auch in Teilungen davon auszuprägen ist. Das Ein-
Tael-Stück würde 37,301 g wiegen, also eine recht schwere Münze
sein. Man müßte auch Halb-, Viertel-, Zehntel-Unzen und noch
kleinere Teilmünzen prägen. Es ist nach dem Vorangegangenen selbst-
verständlich, daß diese Teilmünzen genau das Gewicht haben müssen,
welches ihre Bezeichnung anzeigt. Ein Zehntel-Tael (Chien, Mace)
würde 3,7301 g, ein Hundertstel-Tael (Fön, Kandarin) würde 0,37301 g
wiegen. Auch würde die Feinheit dieser Münzen dieselbe sein, wie die
des Ein-Tael-Stückes. Alle Silbermünzen würden also einander nach
Maßgabe ihrer Bezeichnung und des damit übereinstimmenden Fein-
metallgewichts vertreten können. Bezeichnung und Gewicht haben
immer miteinander übereinzustimmen, und der Verkehr selbst würde
dafür sorgen, daß diese Uebereinstimmung überall überwacht und Ab-
weichungen sofort attrappiert werden. Abgegriffene, verstümmelte, oder
verschlechterte Münzen würden nämlich nicht zu ihrem Nominalwert
genommen werden, da die durchaus nicht ausgeschaltete Wage die Ab-
weichung feststellen würde. Solche Münzen müßten von den Staats-
kassen bei Vorkommen zerschnitten oder sonstwie umlaufsunfähig ge-
macht werden, damit der Verkehr genötigt wird, sie zu neuer Prägung
einzureichen.
Schon ein kaiserliches Edikt vom Jahre 1908 hat die Prägung von
Kuping-Taels in Aussicht genommen. Später ist man von dieser am
richtigen Platz konservativen Idee abgekommen und hat als Grundlage
des Geldsystems einen Dollar annehmen wollen. Auch das am 7. Fe-
bruar d. J. publizierte neue Münzgesetz nimmt einen Silberdollar
als Münzeinheit an. Der Dollar erhält einen Namen: er soll
„Yüan“ (d. h. kreisrundes Stück) heißen. Diese Münze soll 23,978 g
reines Silber enthalten, 9%/,o00 fein sein, also rauh 26,6422 g wiegen.
Es ist also beabsichtigt, die im ganzen Reiche geltende Silber-
gewichtsrechnung abzuschaffen und eine Dollarwährung an ihre Stelle
zu setzen. Wir haben bereits erwähnt, daß schon heute in China Dollars
verschiedenen Gepräges im Umlaufe sind, und daß auch chinesische
Dollars geprägt werden. Alle diese Münzen aber stehen auf der
Basis der Silbergewichtsrechnung im Verkehr und werden nach ihrem
effektiven Metallgewicht genommen. Auch der neue Dollar wird offen-
bar, sobald er in Zirkulation kommt, nach seinem wirklichen Silber-
gehalt (0,648 Kuping-Unzen, nach dem Wortlaut des Münzgesetzes)
-angenommen werden und gelten, und es bleibt abzuwarten, ob es der
Regierung gelingen wird, den Verkehr von der Gewohnheit des Rech-
nens nach Unzen abzubringen und sie zu veranlassen, die neue Münz-
einheit zugrunde zu legen. Nach dem, was wir bisher ausgeführt haben,
lst dies im höchsten Grade unwahrscheinlich. Zu tief eingewurzelt ist
ìm Chinesen die Gewohnheit, ein Stück Metall ohne Rücksicht auf seine
Bezeichnung oder Prägung einfach als das anzusehen, was es ist, also
es nur nach dem Verkehrswert des vorliegenden Feinmetalles zu schätzen.
Man will ihn nun davon abbringen, lediglich auf das Gewicht zu achten,
78 Miszellen.
und ihn veranlassen, sich an einen Münznamen zu halten, der sachlich
nichts bedeutet (kreisrunde Münzen gibt es ja in China seit tausenden
von Jahren) und der zum Metallgewicht, von dem allen der Wert
abhängt, keine Beziehung hat. Das ist utopisch. Noch fragwürdiger
wird das Experiment durch die Bestimmung des neuen Münzgesetzes,
daß zwar auch für Rechnung Privater die Prägungen stattzufinden
haben, dafür aber eine Prägegebühr von 6 Prom. eingehoben werden
soll. Offenbar muß dies der doch vom Standpunkte der Regierung er-
wünschten Verwandlung des umlaufenden Silbers in Yuans hinderlich
im Wege stehen. Dem Publikum wird kein greifbarer Vorteil geboten,
der er veranlassen sollte, sich der neuen Rechnungsart anzubequemen.
So wird also die neue Münze, gleichgültig, ob sie im größeren oder
geringeren Maße in den Verkehr kommt, die schon vorhandene Mannig-
faltigkeit der Zirkulationsmittel nur noch vermehren.
Man müßte sich wundern, daß die chinesische Regierung sich in
solchen Gegensatz zu den einheimischen Verkehrsgewohnheiten setzt,
und immer wieder von neuem den Versuch unternimmt, dem Lande etwas-
Fremdes, nach ausländischen Mustern Modelliertes aufzuoktroyieren,
wüßte man nicht, daß der chinesische Staat, beständig von Geldverlegen-
heiten bedrängt, die Münzreform dazu benützen will, um die Staats-
kassen aus Prägeprofiten zu füllen. Gelänge es nämlich, die Chinesen
an das Rechnen nach Yuans zu gewöhnen, also sie dazu zu bringen, die
staatlichen Münzen nach ihrer offiziellen Prägebezeichnung zirkulieren
zu lassen, ohne auf den wirklichen Metallgehalt gehörig Bedacht zu
nehmen, so könnte der Staat auch Stücke in Umlauf bringen, welche
weniger Metall enthalten, als der gesetzlichen Definition der Münz-
einheit entspricht. Damit wäre also die Möglichkeit gegeben, aus der
Differenz zwischen Nominalbezeichnung und effektivem Metallgehalt
Gewinne zu ziehen, die bei einer Bevölkerungszahl von mehreren
hundert Millionen und dem zugehörigen ungeheueren Geldbedarf ganz
kolossale Beträge erreichen müßten. In der Tat nimmt das Münzgesetz
in Aussicht, bei den Teilmünzen eine erhebliche Unter-
wertigkeit eintreten zu lassen. Schon der halbe Yuan (50 Cents)
soll zwar im Rauhgewicht genau die Hälfte des Eindollarstücks sein,
aber bloß 70 Proz. Silber enthalten. Dasselbe Feingewichtsverhältnis
soll für das silberne Zwanzigcent- und das silberne Zehncentstück gelten.
Dies bedeutet gegenüber der Nominalbezeichnung eine Wertdifferenz
von nicht weniger als 23 Proz. Die Regierung würde also durch die
Ausgabe der selbernen Teilmünzen nicht weniger als fast ein Viertel
des Nominalbetrages profitieren. natürlich unter der Voraussetzung, daß
der chinesische Verkehr diese Scheidemünzen wirklich zum Nominal-
werte, d. h. im nominellen Verhältnis zur vollwichtigen Yuaneinheit
annimmt. Noch größer müssen natürlich die Profite an den projek-
tierten Kupfer- und Nickelmünzen sein. Es sollen nämlich Fünf-
Centstücke aus Nickel, ferner Kupfermünzen von ` Zon: Aen: Alen
?/io00 und 1/1000 des Yuan ausgegeben werden.
Dieser Plan der chinesischen Regierung steht im lebhaftesten Kon-
trast zu den Erfahrungen, die man bisher in China hat machen können.
Miszellen. 79
Silberne Teilmünzen des Dollarstückes sind in den letzten Jahren wieder-
holt von verschiedenen Provinzialregierungen ausgegeben worden, welche
hofften, dabei Prägegewinne zu machen. Dies gelang ihnen auch teil-
weise, solange sich der Verkehr hintergehen ließ, und soweit ein tat-
sächlicher Bedarf an kleinen Münzen bestand. Aber überall ist der
Wert dieser Teilmünzen alsbald unter das Nominale gesunken und hat
sch dem effektiven Silbergehalt angenähert. Man nimmt auch die
kleinen Münzen ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung lediglich nach
ihrem wirklichen Metallwert. Es ist also unverständlich, wie die Zen-
tralregierung hoffen kann, neue Scheidemünzen zu einem höheren
Kurse in Verkehr zu bringen.
Die neuen Prägungen müssen notwendig zu Enttäuschungen führen.
Auch wenn die Regierung sich verpflichtet, die von ihr ausgegebenen
kleinen Münzen an den Staatskassen unbeschränkt in Zahlung zu
nehmen, wird die Geltung zum Nominalkurs nicht durchzusetzen sein.
Selbst der englischen Verwaltung in Hongkong ist es bisher nicht ge-
lungen, den dortigen Scheidemünzen die Kursfähigkeit zum offiziellen
Wert zu sichern; und die unbeschränkte Annahme an den Staatskassen
führt nur dazu, daß die Regierung die Münzen mit Verlust einlösen
muß. Die dortigen staatlichen Scheidemünzen können die Konkurrenz
der in dem benachbarten Kanton zirkulierenden und von dort auch
nach Hongkong kommenden Münzen nicht aushalten; da die kan-
tonesische kleine Münze ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung nach
dem inneren Metallgehalt genommen und gegeben wird, ist es unmög-
lich, den Chinesen dazu zu bringen, die ungefähr gleich großen Scheide-
münzen von Hongkong zu einem wesentlich höheren Wert zirkulieren zu
lassen. So hat der britische Fiskus in Hongkong seine Scheidemünzen
zu einem sehr großen Teile wieder zurücknehmen müssen und auf diese
Weise die früher gemachten Prägegewinne dem Publikum zum Teil
wiedererstattet. Neuestens versucht man durch drakonische Strafgesetze
den Umlauf des chinesischen Kleingeldes in Hongkong zu verbieten,
jedoch bisher ohne besonderen Erfolg.
Dieser Fall ist überaus lehrreich; denn er zeigt, daß es der chinesi-
schen Regierung ganz unmöglich sein wird, unterwertige Scheidemünzen
mit Gewinn in Umlauf zu bringen, wenn sie nicht zugleich alles heute in
China zirkulierende Kleingeld abschafft. Letzteres ist schon aus finan-
ziellen Gründen undurchführbar. Alles dieses gilt in noch höherem
Grade bezüglich des projektierten Kupfergeldes, welches an die Stelle
des alten Käschumlaufes treten soll. Es ist klar, daß man sich in
Peking bisher über die Art, wie diese kolossale Unternehmung ins
Werk gesetzt werden soll, gar keine ernstlichen Gedanken gemacht hat.
Der Bericht der Währungskommission, der dem neuen Münzgesetze
zugrunde liegt, sieht die vorderhand proklamierte Silberdollar-Währung
nicht als definitiv an. Wenn erst einmal die Prägungen genügend weit
fortgeschritten sein werden, und wenn der Verkehr sich allgemein an die
Rechnung nach der neuen Münzeinheit gewöhnt haben wird, soll zur
Fixierung eines gesetzlichen Goldkurses geschritten werden.
Der Silberdollar soll eine staatlich festgesetzte Parität zum Golde er-
80 Miszellen.
halten, um die Wertschwankungen der chinesischen Geldeinheit zu
beseitigen. Auch soll dann der Silberdollar in eine leichtere Münze
umgeprägt werden. Um den Uebergang zur Gold-Standard-Währung
vorzubereiten, und nicht allzu große Beträge umprägen zu müssen, soll
der Verkehr mit Silberdollars nicht überfüllt werden. Es soll vielmehr
bei den Prägungen auf den Verkehrsbedarf Bedacht genommen werden.
Dies steht. nun aber mit dem Hauptrequisit einer Metallwährung,
nämlich der Unbeschränktheit der Prägungen für Rechnung Privater,
im Widerspruch. Wenn der Staat nicht alles Silber zur Ausprägung
verstattet, so fehlt die Hauptvoraussetzung für die Einbürgerung der
neuen Währung. Wie soll auch der Staat entscheiden, wie groß das Ver-
kehrsbedürfnis ist? Jede Einreichung von Silber zur Ausprägung
ist ein Zeichen eines Verkehrsbedürfnisses. Weist der Staat private An-
suchen um Ausprägung zurück, so bleibt das Publikum eben bei seiner
Silbergewichtsrechnung, die ohnehin dadurch begünstigt wird, daß der
Staat eine Prägegebühr erhebt. Man bedenke doch, daß die Behörden
gar kein Mittel haben, den Verkehr zu zwingen, seine Geschäfts-
abschlüsse und Rechnungen in den staatlichen Münzen zu betätigen.
Man glaubt eben in China, daß durch die beschränkte Ausprägung
des Silberdollars diesem im Vergleiche zum ungeprägten Silber ein
höherer Wert verliehen werden kann. Da man aber nicht den chinesi-
schen Verkehr nötigen kann, lieber den Regierungsdollar als den mexi-
kanischen Dollar oder das Sycee-Silber zu benützen, so ist diese Hoff-
nung ganz hinfällig. Der Staat müßte denn in Aussicht nehmen, die
Einfuhr von Silber und Silbermünzen zum Monopol zu machen und sie
den Privaten zu verbieten, was offenbar unmöglich ist.
So zeigt sich denn aus allen Gesichtspunkten, daß den Münzgesetz-
gebungsversuchen eine Ueberschätzung der staatlich-bureaukratischen
Macht zugrunde liegt, die sich mit dem gesellschaftlichen Geiste und den
traditionellen Verkehrseinrichtungen in Widerspruch setzt. Die chinesi-
schen Machthaber lassen sich durch ihre europäischen Ratgeber, die
Sinn und Vorteil der chinesischen Geldeinrichtungen nicht würdigen,
dazu verführen, die Staatseinrichtungen Europas und Amerikas zum
Vorbild zu nehmen. Sie haben aber weder die heutige militärische und
finanzielle Macht der europäischen Staaten, noch verfügen sie über
den gleichen festen und das Land in dichtem Netz überziehenden Ver-
waltungsapparat. Sie werden also gegenüber dem chinesischen Ver-
kehr, der auf den effektiven Metallwert achtet, die Wage benützt, sinn-
leere Münznamen ignoriert, und lieber dem Metall, als seiner unzuver-
lässigen, unbeständigen, gewinnsüchtigen Obrigkeit vertraut, unzweifel-
haft den Kürzeren ziehen.
Nicht europäisch, sondern chinesisch muß eine gute
chinesische Regierung denken. Täte sie dies, so würde sie in dem
chinesischen Silbergewichtsgeld den Ausdruck nationaler Rationalität
und Rechtlichkeit achten und nicht nur jeden Verstoß dagegen unter-
lassen, sondern sich nach Kräften bemühen, jene Tugenden zu unter-
stützen. Dies geschähe durch zuverlässige Abwägung und Be-
zeichnung, also ordentliche Ausprägung von Silbergewichtseinhei-
Miszellen. EN
ten. Da aus zuverläsigem Gelde und aus den Verkehrserleich-
terungen, die sich aus der Unifikation ergeben, die ganze Ge-
sellschaft Vorteile zieht, ist es gerechtfertigt, die Kosten solcher
Prägungen auf den Steuerfiskus zu nehmen, also die Prägungen unent-
geltlich zu leisten. Die Kosten davon wären übrigens geringer, als die
Lasten, die der Staat mit einer Währungsanleihe auf sich nehmen will.
Eine solche wird nämlich projektiert, um die beabsichtigten beschränkten
staatlichen Silberprägungen vorzunehmen und hauptsächlich, um eine
zentrale Banknotenausgabe zu finanzieren. Papiergeld und unterwertige
Scheidemünzen — das ist also der Hauptinhalt der jetzt favorisierten
chinesischen Währungsreform. Durch sie soll der geldbedürftige Staat
auf Kosten des Publikums bereichert werden. Das ist aber das Gegen-
tel einer wirklichen Währungsreform, die diesen Namen verdiente.
Bezügliche Experimente finden im voraus in Geschichte und Tradition
des chinesischen Verkehrs ihre Widerlegung und können in jeder Be-
ziehung nur zu Enttäuschungen und zu steigender Verwirrung führen.
Daß auch der für später in Aussicht genommene Uebergang zum
britisch-indischen System des sog. Gold Exchange Stan-
dard (Silberumlauf mit festem Goldkurs) für China durchaus utopisch
ist, dürfte nach dem Vorangegangenen klar sein. Unterdrückung der
Silbergewichtsrechnung, Verbot des Gebrauchs anderer Zirkulations-
mittel als der staatlich geprägten, Beherrschung des Devisenmarktes
durch den Staat, dauernde Unerschütterlichkeit des Staatskredits, um
sich auch bei ungünstiger Zahlungsbilanz Goldguthaben im Ausland zu
verschaffen, Festigkeit des Zentralregiments und zentralistische Zu-
sammenfassung aller administrativen und finanziellen Funktionen —
das sind so einige der Vorbedingungen für die Etablierung eines
Systems nach dem Muster des absolutistisch regierten britischen Indien-
besitzes. Sie fehlen in China vollständig.
Soll nun aber deshalb China sich jeder Rücksichtnahme auf das
internationale Zahlungsmittel, das Gold, enthalten und sich auf eine reine
Silberwährung beschränken ? Eine solche besteht fast nirgends mehr.
Alle Staaten sind zum Goldgebrauch übergegangen oder haben ihre
Silber- oder Papiervaluta wenigstens in eine Kursbeziehung zum Golde
gebracht; soll China eine Ausnahme machen ?
Durchaus nicht, und um so weniger, als der chinesische Staat.
insofern er Schuldner ist, und die chinesische Kaufmannschaft, in-
sofern sie internationalen Handel treibt, sich ohnehin schon der Gold-
valuta bedienen müssen. Auch ist dasGold, abgesehen von der Verwendung
für gewerbliche Zwecke, in China als Sparmittel gesucht und verbreitet.
und hierfür bestimmte Goldplättchen werden an den größeren Handels-
plätzen regelmäßig gehandelt. Es besteht also in China, und zwar so-
wohl beim Staat als beim privaten Verkehr, schon heute regelmäßiger
Bedarf an Goldvaluten. Es brauchen entsprechende Geldeinrichtungen
nur organisch in das Bestehende eingefügt zu werden.
Schon in unserem ersten Artikel haben wir, im Zusammenhang mit
dem Valutaprozeß der deutsch-ostasiatischen Bank, auf die Anomalität
Dritte Folge Bd. XLVIII (CII). 6
82 Miszellen.,
hingewiesen, die darin liegt, daß der chinesische Staat jährlich große
Goldfälligkeiten für Zinsen und Kapitalannuitäten hat, obwohl seine
Einkünfte ausschließlich in Silber bestehen. Infolgedessen wird die
Bilanz seiner Einnahmen und Auslagen durch jede Veränderung auf
dem Silbermarkt empfindlich alteriert. Wenn die Silberpreise fallen,
steigt die Last seiner Ausgaben und kann also alle Voranschlagungen
vereiteln. Jede sichere Budgetierung wird dadurch unmöglich.
Nun läßt sich die Tatsache, daß die ans Ausland zu leistenden
Zahlungen Goldschulden sind, nicht beseitigen. Daraus folgt, daß
der chinesische Staat zusehen muß, sich entsprechende Goldeinnahmen
zu verschaffen, um sich für diesen Teil seines Budgets von den Schwan-
kungen des Silberpreises unabhängig zu machen.
China, welches ohnehin gerade jetzt bei den Mächten eine Revision
der Zollbestimmungen zu erreichen sucht, müßte erwirken, daß die
Eingangszölle in Gold berechnet werden. Die internationalen
Handelsverträge mit China haben festgesetzt, daß die Zollabgaben einen
gewissen Prozentsatz des Warenwerts zu betragen haben. Nichts kann
einleuchtender sein, als daß von Waren, deren Wert in Gold ange-
geben und fakturiert wird (das Gros der Einfuhrwaren kommt ja aus
Goldwährungsländern), auch die in Wertprozenten ermittelten Zölle
in Gold angegeben und bezahlt werden. In der Umrechnung solcher
Zölle in Silber (Haikwan-Taels) liegt ganz offenbar eine Uebervor-
teilung Chinas.
Sie war nur zu rechtfertigen, solange Gold für den chinesischen
Staat kein Geld war. Aber seit er Goldschulden hat, insbesondere also
seit der Verwandlung der kolossalen Boxerindemnität von 450 Mill.
Haikwan-Taels Silber in eine Goldschuld von etwa 67,5 Mill. £ (ohne
Zinsen) ist auch Gold für China Geld, nämlich eben zur Bezahlung
der auswärtigen Schulden. Es entfällt also jeder Grund für die künst-
liche Festhaltung einer ausschließlichen Silbervaluta.
Die Umrechnung der Zölle in Gold wäre übrigens auch sofort,
d. h. ohne Rückgriff auf die Warenwerte, sehr einfach. Legte man
z. B. die Parität zugrunde, die bei der Umwandlung der Indemnität
in eine Goldschuld angenommen wurde, nämlich 1 Haikwan-Tael Silber
= 3 sh. Gold, so hätte man ein Verhältnis von Gold zu Silber wie
1:34,4. Dann brauchte man nur die Zahlensätze der jetzt geltenden
spezifischen Zölle durch 34,4 zu dividieren, um sie statt in Haikwan-
Taels Silber in Haikwan-Taels Gold ausgedrückt zu erhalten.
Durch die Einhebung der Zölle in Gold wäre der größte Teil
der Goldschuldigkeiten des chinesischen Budgets gedeckt. Dieses würde
in zwei Teilbudgets zerfallen; das eine würde in Taels Silber, das andere
in Taels Gold aufzustellen sein. So oft das Goldbudget neue Lasten
aufweist, die noch keine Deckung haben, wäre rationellerweise nach
neuen Goldeinnahmen auszuschauen. Jedes Budget hätte für sich zu
equilibrieren. Solche Doppelbudgets sind nicht ohne Präzedens. Staaten
mit entwerteter Papiervaluta (wie Griechenland, südamerikanische Re-
publiken) verschaffen sich durch die Zölle die nötigen Goldeinnahmen
Miszellen. 83
für ihren Schuldendienst. Auch Oesterreich verfuhr so bis zur neueren
Stabilisierung seiner Valuta.
Wenn nun China, wie wir vorgeschlagen und für einzig rationell
und aussichtsvoll halten, Silberausprägung in chinesischen Unzen und
Teilen davon einrichtet, so ist es naheliegend und eigentlich selbst-
verständlich, daß unter einem und ebenso auch die Ausprägung
von Gold in ebensolchen Unzen und Teilen davon ver-
stattet wird. Solche Goldprägungen, besonders in den großen Hafen-
städten einzurichten, würde sich an den Handel mit Gold, Goldvaluten
und Goldwechseln in den Zollhäfen anschließen, und so brächten
die Zollzahlungen in Gold und die Prägung von Gold-Taels eine un-
gezwungene und natürliche Goldzirkulation zuwege. Der internationale
Hande! Chinas fände selbstverständlich gleichfalls seinen Vorteil in
Goldrechnung und Goldgebrauch. Sowie der Staat, so würden auch
die Großkaufleute und Banken zwei getrennte Rechnungen in Gold
und in Silber führen. Der Import- und Exporthandel mit dem Gold-
ausland würde sich der Goldwährung bedienen. Sie würde sich in ge-
wissen Plätzen, Geschäftsbereichen, Kreisen ueben der allgemein üb-
liehen Silberwährung etablieren. China besäße die Vorteile des Gold-
gebrauchs, ohne die Kulturwelt mit dem Schreckgespenst einer De-
monetisierung des Silbers zu beunruhigen. Das Ausland würde mit
China auf dem Fuß des Weltgeldes, des Goldes, abrechnen, ohne von
den mit dem Silbermarkt zusammenhängenden Kursschwankungen mo-
lestiert zu werden.
Es ist wichtig zu beachten, daß meine Anregung — ich habe sie
schon vor mehr als einem Jahre mit gehöriger Begründung veröffent-
lieht — nicht auf eine Doppelwährung im herkömmlichen Sinn
abzielt. Einer solchen ist die staatliche Festsetzung eines fixen Wert-
verhältnisses zwischen den beiden Metallen eigentümlich. Ein solches
Beginnen hat sich historisch als Utopie erwiesen. Die vom Welt-
verkehr abhängige Wertrelation entzieht sich jeder willkürlichen Fixie-
rung, und bezügliche Versuche sind immer erfolglos geblieben. Nicht
Bimetallismus, sondern durchaus freier Parallelgebrauch beider
Metalle ist das, was ich den Chinesen nahelege. Das Wertverhältnis
von Tael Gold zu Tael Silber bliebe ganz dem freien Verkehr über-
lassen. Nimmt man auch dasselbe Feinheitsverhältnis für beide Münz-
kategorien zur Grundlage, so würde die Zahl der geprägten Silber-
münzen, die man jedesmal für die geprägte Goldmünze zu geben hätte,
genau auch das Wertverhältnis der beiden Metalle ausdrücken. Es
ist also auch hier ersichtlich, wie sehr die unverfälschte und unver-
künstelte Ausprägung von Gewichtseinheiten zu Münzen den Verkehr
vereinfacht, auch dem ungebildeten Volk das Rechnen und das Ver-
ständnis des Geldes erleichtert und den Geldverkehr gegen Uebervor-
Deech Verdunklungen, Mißbrauch technischer Subtilitäten usw.
schützt.
Es liegt offenbar etwas Gewaltsames darin, — bemerkt Dühring,
dessen Geldtheorie bereits in Bezug genommen worden ist — eines
der Metalle künstlich aus seiner natürlichen Funktion zu vertreiben.
6*
84 Miszellen.
Faßt man, abgesehen von aller öffentlichen Währung, die natürliche
Art ins Auge, auf welcher sich die Gewohnheiten des Metallgebrauchs
durch die bloße Macht des tatsächlichen Verkehrs bilden würden, so
ist kein Zweifel, daß neben dem Silber nach und nach auch das Gold
Eingang finden müßte, und daß die Verschiebungen des Wertverhält-
nisses das Nebeneinanderbestehen beider Zahlungsmittel nicht hindern
könnten. Für eine gewisse Gewichtsmenge Silber wäre man alsdann
gewohnt, bestimmte Waren oder Leistungen zu erhalten. Für das Gold
würde man sich in analoge Beziehungen zu den Bedürfnissen einleben,
und nur für die gegenseitige Auswechslung beider Zahlungsmittel
würde ihr eigener relativer Wert oder vielmehr der jedesmalige Wert
eines jeden von beiden in Anschlag kommen. Der Fall, daß die Gold-
beschaffung billiger und derjenige, daß die Silberbeschaffung teurer
würde, wären hier sichtbar genug zu unterscheiden (Dühring, Oekonomie-
kursus).
So würde also das Nebeneinander von Gold- und Silber-Taels die
logische Fortentwicklung der chinesischen Gewichtsrechnung bedeuten.
Diese ist, wie wir sichtbar gemacht zu haben glauben, rationeller als
die üblichen europäischen Berichte und Reformvorschläge gewöhnlich
darstellen. Das Ueble und Verworrene ist auf Rechnung der ver-
rotteten Staatsverwaltung und des Mangels ordentlicher Gewichtspolizei
zu setzen. In diesen Richtungen ist verbessernde Hand anzulegen;
wogegen Attentate gegen die gesunden, durchaus vernünftigen und auf
Ehrlichkeit abzielenden Wägungs- und Bewertungsgewohnheiten, Er-
findung sinnwidriger Münznamen und fiktiver Einheiten, Propagierung
unterwertiger Münzen, Vortäuschung hohler Goldkurse und dergleichen
nur die Verwirrung und Verkehrsschwierigkeiten steigern können.
Ein sehr wichtiger Punkt, der gewöhnlich in Praxis wie in
Theorie vernachlässigt wird, ist die reichliche Versorgung des
Verkehrs mit Edelmetall. Starke Barbestände im volksmäßigen
Umlauf bedeuten Disponiblitäten für Perioden knapperer Produktion,
erschütterten Kredits, krisenhafter Gestaltung. Krediterschüterungen
werden um so gelinder vorübergehen, je mehr bare Mittel in den
Händen des Publikums umlaufen, je leichter Barmittel für jene zu
haben sind, die zeitweise nicht weiter kreditieren, sondern sich liquid
halten wollen. Besonders deutlich wird diese Funktion im internationalen
Verkehr. Ein ans Ausland verschuldetes Land wird zeitweise ungünstige
Zahlungsbilanzen, internationale Kreditkrisen und dergleichen um so
leichter überstehen, je mehr aus dem allgemeinen Verkehr zeitweise Bar-
mittel herangezogen werden können. Eine mit vollwertigem Metallgeld
gesättigte Volkswirtschaft hat deshalb unvergleichlich mehr Elastizität,
mehr Stabilität und Sicherheit, als eine auf Kreditgeld basierte Oeko-
nomie, sei dieses nun mehr oder weniger unbedecktes Papier oder
unterwertiges sogenanntes Kurantsilber. Solche Zahlungsmittel sind
international nicht verwendbar, und es muß, um Geld ans Ausland
remittieren zu können, gerade damals geborgt werden, wo der Kredit
gestört, gar nicht oder nur zu ausbeuterischen Bedingungen zu haben
ist. Ist keiner zu schaffen, so ist der Zusammenbruch der Wechsel-
Miszellen. 85
kurse und die Entwertung der nationalen Geldeinheit die Folge —
letzteres wohl die schwerste allgemeine Katastrophe, von der eine
Volkswirtschaft betroffen werden kann, infolge der Erschütterung aller
Vermögenswerte und der rechtswidrigen Vermögensverschiebungen, die
sich daran knüpfen. An einer Vollwertigkeit der chinesischen Valuta und
der reichlichen Sättigung des chinesischen Umlaufs mit Geldmetall
sind daher der internationale Handel und die internationalen Gläubiger
Chinas im hohen Maße interessiert. Export und Kapitalinvestitionen
werden um so sicherer sein und sich um so besser entwickeln, je
sicherer die Valuta sein wird, je leichter die Liquidationen in Weltgeld,
d. i. Edelmetall, sein können. Also freie und vollhaltige Ausprägung
der Edelmetalle hat die Parole zu sein, im Interesse des Auslands,
des chinesischen Staats und des chinesischen Volks — und nicht Ex-
perimente mit Zeichengeld, mit Kreditzetteln, mit massenhaften Scheide-
münzen !
Deshalb ist es auch nicht zu billigen, wenn mit Assistenz und
Rat der ausländischen Bankwelt die chinesischen Staatsmänner unter
Assistenz der europäischen Ratgeber!) und der darleihenden Bankwelt
sich darauf versteifen, die Währungsreform mit der Schaffung einer
Zentral-Notenbank und ungedeckten (d. h. auf Staatsobligationen
u. dgl. gegründeten) Zettelemissionen zu verquicken. Schon das jetzt
umlaufende, anläßlich der politischen Umwälzung ausgegebene Staats-
papiergel! hat eine schwere Störung des Handels hervorgerufen, da
es wenig und nur mit starkem Disagio gangbar ist. Noteneinlösung,
nicht Notenkreation, tut also not. Ueberhaupt muß der Staat in China
wie anderwärts beherzigen, daß das Geldwesen, so wie es vor dem Staat
und ohne ihn entstanden ist, so auch weiterhin von seinen fiskalischen
Bedürfnissen und Gelüsten verschont werden muß, um normal zu
bleiben und seine Funktionen ordentlich zu erfüllen. Der Staat er-
schütter(t das Fundament der Volkswirtschaft, der Kultur und damit
seiner selbst, wenn er das Metall aus den Adern des Verkehrs pumpt
und seine problematischen Schuldurkunden und Kreditzeichen an die
Stelle davon setzt, was selbst erst den Kredit ermöglicht und stützt.
1) Vgl. Dr. G. Vissering, On Chinese Currency, Vol. 2: The Banking Problem,
Amsterdam (J. H. de Bussy), 1914. — Danach soll das neue chinesische Geld-
wesen nach Möglichkeit ganz auf Banknoten beruhen, die einen fixen Goldwert
dadurch verbürgt erhalten sollen; daß die Staatsbank in Amerika und Europa
Goldreserven hält, auf die sie Tratten für jene abgibt, welche Noten zur Ein-
lösung präsentieren. Der innere Metallumlauf in China, soweit unvermeidlich, soll
in unterwertig ausgeprägtem Silber bestehen. Dies alles ist, wie gezeigt, für
China glücklicherweise, vorderhand wenigstens, nicht zu verwirklichen. Wäre es
ausführbar, so würde es auf eine gewaltige Ausbeutung des Volkes zugunsten des
Fiskus und der finanzierenden und beteiligten Banken von Amerika und Europa
hinauslaufen, und müßte früher oder später mit einer allgemeinen Katastrophe
endigen.
86 Miszellen.
IL
Die Geburten-, Heirats-, Sterbe- und Geburtenüber-
schußziffern in den hauptsächlichsten Kulturstaaten
der Welt 1801—1911.
Zusammengestellt auf Grund amtlicher Quellen und eigener Berechnungen.
Von Dr. Reinhold Jaeckel-Charlottenburg.
Auf 1000 Einwohner kamen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt
Staaten 1801| 1811 |1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 | 1901 1911
—10| —20 I—30) —40|—50| —60 | —70 |—80| —90 |—1900, —10
Lebendgeborene.
Deutsches Reich P $ 4 . |36,1|35,3 |37,2 |39,1! 36,8 36,1 | 32,8 28,6
Preußen z A 40,0| 38,0| 38,0| 37,7 | 38,3 | 39,0) 37,1 36,7 | 33,5 29,4
Bayern |. « 134,1) 34,2] 33,2 | 36,9 |40,3 36,8 | 36,5 |34,5 | 30,2
Sachsen f é . |38,2| 39,4 39,6 | 40,5 |42,9| 41,8 39,5 | 32,0 26,0
Württemberg 3 s . |40,8| 35,8 | 40,8 |43,1, 35,8 34,2 |32,8 28,4
Baden e | < 137,1) 38,7| 37,9| 33,1 |37,0 |38,5|33,0 | 33,2 |32,7 | 27,9
Hessen š 2 s « |33,5| 31,0 |34,7 | 36,4| 31,5 32,2 | 30,7 25,7
Elsaß-Lothringen e z . |31,8| 29,4 | 31,9 |33.9| 30,6 30,1 | 28,5 24,3
Oesterreich - |. |390| 38,2] 38,4| 37,6 |38,7 139.01 37,9 | 37,1 134,3 | 31,4
Ungarn . . e . . š A , | 44,0 40,6 | 36,8 35,0
Schweiz : a e 4 S . 3 30,7| 28,1 28,1 | 26,9 24.1
Niederlande f 3 S e 133,0) 33,3 | 35,8 | 36,2) 34,2 32,5 | 30,5 27,8
England und Wales | . e A « 132,6] 34,1 | 35,2 |35,4| 32,5 29,9 | 27,2 |(24,4)
Schottland . e ` É S . 35,0 |34,9| 32,3 30,6 | 28,4 25,6
Irland à š e S . . | 26,3!) | 26,5| 23,4 23,0 | 23,3 23,3
Dänemark 31,1 [30,7 | 31,3] 30,2) 30,5| 32,5 | 30,7 |31,4| 32,0 30,2 | 28,6 26,7
Schweden 30,9 [33,4 | 34,6] 31,6| 31,1 32,8 |31,4 | 30,5/ 29,1 27,1 | 25,8 | 24,0
Norwegen 27,5 |29,9 | 33,3) 29,6| 30,7| 32,9 |30,9 | 31,0) 30,9 30,3 | 27,4 25,5
Finland 36,3 |37,4 | 38,2] 33,4| 35,5| 35,9 |344 |37,0|35,0 | 32,2 |31,2 | 29,1
Rußland A s ; S A S S è e 49,2 |47,19)| .
Bulgarien e . . . A z 3 . S 39,4 |41,4 |(40,6)
Serbien è Š S e Š . 144,6 ?) | 40,5) 45,0 41,7 | 38,9 | 36,6
Rumänien . e s . å . 33,0 |35,0| 41,4 40,6 | 39,8 43,0
Griechenland x d s 5 R c> (286 127,0] -s s è è
Italien ; N e å . à P | 36,9| 37,8 35,0 |32,7 |(31,5)
Belgien F e « 133,5) 30,3| 29,9 | 31,6 132,1| 30,0 29,0 | 26,1 5
Frankreich « 131,8 |31,0| 29,0| 27,4| 26,3 | 26,3 | 25,4 23,9 22,2 | 20,6 18,7
Spanien e S a z . = 137,98 | .» |36,2*)| 34,8 | 34,4 31,8
Portugal e š R . 7 . E 133,0 30,6 | 31,8 | 39,5
Zë Connecticut A . |. | . [246 |22,7 |24,7| 23,1 | 24,1 |24,0 |(24,8)
S o J Massachusetts] . e 5 š . |29,1 | 25,7 Fa 25,5 27,3 | 25,9 25,6
SG Michigan a å á 3 è $ ; 22,5 22,1 19,5 | 20,5
ER Vermont 2 d . . S d 19,4 | 20,8) 19,1 20,6 | 21,0
Chile S 5 S i . = e . 137,3 35,7 | 32,9 a
Uruguay H S S d e A e , 141,6 36,5 | 38,2 32,8
Japan e . e . e A e e 127,3 29,8 | 32,2 x
Neu-Südwales e S N . F . |41,7 |38,8| 34,5 30,3 | 26,9
Victoria . ; äi: Es . 38,4%) 41,3 |33,5| 31,7 28,5 | 24,9
Miszellen.
87
Auf 1000 Einwohner kamen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt
Staaten 1801|1811|1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 | 1901 ili
—10|—20|—30| —40|—50| —60 | —70 |—80| —90 |—1900| —10
I
Queensland e . . : s . [43,0 38,4! 37,0 |31,4 |26,8 ?
Süd-Australien e S S A 42,3 |37,8;36,5 |29,0 |25,2 A
West-Australien a A $ S S 35,4 32,1 36,5 | 29,4 | 29,3 F
Tasmanien . 7 ` N: 31,7 |30,5| 35,0 |31,0 | 29,4 .
Neu-Seeland y . N 40,7 |40,5| 33,8 |26,7 |26,8 | 26,0
Australien (Kon- |
föderation) e, e 40,8 |36,1)35,2 |29,9 |26,5 |27,2
Gestorbene (ohne Totgeborene).
Deutsches Reich Š i . |26,8!26,4 |26,9 |27,2|25,1 |22,2 |18,7 17,3
Preußen t 26,7| 28,8| 27,6| 27,6 |27,0 |26,6| 24,7 |21,9 |18,4 17,2
Bayern e , | 28,3| 27,8| 27,8 |29,8 |30,9| 28,3 |25,4 |21,6 19,6
Sachsen y S . 128,2) 28,5| 27,1 |281 |29,1)28,0 |24,0 | 18,2 16,5
Württemberg $ 3 e - [31,1| 29,5 |31,3 |30,8|25,6 |23,4 |19,5 17,8
Baden A S . . 127,81 26,1 |27,3 |281|23,6 |22,1 |ıg,2 16,9
Hessen e e . . 122,8] 22,6 |24,5 |245| 22,0 |19,9 |16,6 14,4
Elsaß-Lothringen d $ 3 . |24,0| 24,1 |25,3 |26,5| 24,1 |21,5 |18,6 17,4
Oesterreich z . |28,6| 32,5| 33,2| 31,4 |30,7 |31,5|29,5 |26,6 |23,3 |21,9
Ungarn e e a å ` s s e 132,5 29,9 | 25,7 25,1
Schweiz G b . S S ` z 23,4| 20,8 19,0 16,7 15,6
Niederlande S . . | 26,2] 25,6 |25,4 [24,3| 21,0 |18, |15, 14,5
England und Wales] . . . . | 22,4| 22,2 |22,5 |21,4| 19,1 18,2 | 15,4 14,6
Schottland e g e e . s 22,1 |21,6| 19,2 |18,7 į 16,6 15,1
Irland z 2 x ` e P 16,6 18,4| 18,0 18,2 17,4 16,6
Dänemark 23,7 | 21,4, 21,9) 23,1| 20,4| 20,6 19,9 19,4| 18,8 17,5 14,2 13,4
Schweden 27,9 | 25,8| 23,6| 22,8 20,6] 21,7 |20,2 |18,3| 16,9 |16,4 | 14,9 13,8
Norwegen 25,2 | 21,2) 18,9 20,2] 18,1| 17,1 |180 [17,0 17,0 |16,3 |14,2 |(13,0)
Finland 31,9 | 26,4| 24,9) 28,2| 23,5| 28,7 |32,2 |22,2 21,1 |19,7 18,0 16,5
Rußland è è . ; $ A e e . 34,1 B .
Bulgarien $ è . . e S e 8 r 26,0 |23,2 |(21,8)
Serbien e r . e $ 3 30,7 ?)| 34,3| 25,23 |27,0 |23,3 | 22,0
Rumänien . e A e e e 26,1 |31,3| 27,5 |29,2 |25,8 |(25,7)
Griechenland . s H è d p 21,1) | 19,6 . S FS i
Italien . P . . e e . 29,9| 27,3 |24,2 |21,6 |(21,4)
Belgien e e , |25,9| 24,9] 22,8 1208 |22,5| 204 |19,1 |16,4 ;
Frankreich . | 26,1) 25,2| 24,8| 23,3| 23,9 | 23,6 |23,7| 22,1 |21,5 | 19,4 19,6
Spanien S . . . > 30,8 DEA 29,5 |25,2 23,7
Portugal e N d . á e . |22,8 |2ı1,3 |20,2 | 22,5
33 Í Connecticut Il, 1.1.) It [169 [164175 fb 160 IS
25) Massachusetts | . e e . | . [18,2 |194 |19,8|19,6 189 |16,6 | 15,4
T E) Michigan Ze Er FEN NE ; Sal 9,4 110,3 |13,7 É
SZ Vermont e . e 14,1 | 14,7] 15,7 | 16,3 | 16,2
Chile 6 e ` S s e > , |31,5 |30,7 |31,0 .
Uruguay e e . . e e . . 117,8 |154 | 141 14,5
Japan e e b à r è à . |19,9 |20,9 "207 $
Neu-Südwales e Š F è e A 16,5 |15,5| 14,7 |12,3 |10,8 S
Victoria 5 e ` ` , |19,8%)| 16,9 |15,2|15,4 13,9 |12,2 d
Queensland e à 4 è d . 19,1 |17,3| 16,7 |12,2 |10,6 A
Südaustralien s . A r ` ` 15,3 15,4| 13,6 12,0 10,5 A
Westaustralien . s $ . e . 15,5 |15,1| 16,8 |15,6 |II,4 K
88 Miszellen,
Auf 1000 Einwohner kommen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt
Staaten
1911
Tasmanien e . . . e ! 14,6 |15,9| 15,6 |13,0 |11,0 e
Neu-Seeland 2 e f à š è 12,9 |12,2| 10,4 9,8 9,8 9,4
Australien (Kon- |
föderation) . A ` . g $ 16,5 |15,7|15,2 |13,0 [11,2 10,7
Heiratende
Deutsches Reich e e S a |16,2|l ı5,6 |17,0 |17,2] 15,6 16,4 |16,0 | 15,6
Preußen š , | 17,7) 18,1) 17,7) 17,1 [17,0 |174| 16,1 16,5 | 16,0 15,9
Bayern e è , |13,2| 13,2| 12,8 |17,4 |16,8| 13,8 15,4 |15,0 | 14,6
Sachsen Së > , |16,5|17,2| 17,0 |17,8 |18,8| 18,2 18,2 |16,6 | 17,0
Württemberg . š z . |14,6| 11,8 |16,8 |17,1| 13,0 14,8 |15,6 | 14,6
Baden . , | 13,5] 15,9| 14,4| 12,0 |16,5 |16,1| 13,5 15,5 [15,6 | 14,2
Hessen . . [14,01 12,5 |16,8 |16,2| 14,5 16,8 | 16,4 14,8
Elsaß-Lothringen . . á . |14,2| 14,0 |14,9 |14,8| 13,2 14,4 [14,6 | 14,0
Oesterreich e , [16,0] 16,7) 17,01 15,6 |17,4 [16,91 15,6 | 16,0 |15,5 |152
Ungarn e . . e e e . 129,1 17,6. 117,7 18,4
Schweiz . e š s . 113,4 |14,6 |15,4| 14,0 15,0 |15,0 | 14,6&
Niederlande : è e . |14,9| 15,8 |16,4 |16,2| 14,1 14,7 |14,8 | 14,4
England und Wale] . e 5 , |16,1| 16,9 |16,6 |16,2| 14,9 | 15,6 |ı15,4 (15,2)
Schottland Er S R v è G 13,9 [14,4] 13,4 | 14,4 Jı3,8 | 134
Irland . e E e a ` 10,6 !)| 9,4| 8,6 9,6 |10,3 | 10,8
Dänemark 16,2 | 17,2] 16,8| 15,6] 15,7) 17,7 |15,0 |15,7| 14,7 14,4 [14,6 | 14,4
Schweden 16,5 | 17,5| 16,6| 14,3) 14,6] 15,2 jı13,1 |13,6| 12,5 11,9 | 12,0 11,8
Norwegen 14,6 | 17,0| 16,6) 13,9] 15,8| 15,4 | 13,8 |14,5| 13,1 13,4 |ı2,2 |(12,4)
Finland 15,6 | 17,0| 17,0) 14,6| 16,4 15,6 |15,4 | 16,6| 14,6 14,0 [13,0 | 12,0
Rußland $ k ; x A 5 e s S 18,0 S `
Bulgarien A 8 S R è 7 . $ 16,6 |19,3 |(19,2)
Serbien g è A S s r 23,6 °) | 22,7| 22,1 20,0 |19,8 |(20,8)
Rumänien e 15,3| 16,5 15,5 |ı7,8 |(21,0)
Griechenland ISEMI . É e ë
Italien : e S d 15,8] 15,9 | 14,5 |15,3 |(15,0}
Belgien š e « | 14,5| 13,6| 14,6 [14,6 |14,6| 14,0 16,0 | 16,0 g
Frankreich , |15,9| 15,7| 16,0| 15,0 15,9 Je |160| 14,7 | 15,0 |15,5 ei
Spanien ß e d ó e S 15,6 . | 12,9 15,7 |15,1 (14,4)
Portugal . . . . 113,9*)| 13,8 |13,2 | 14,2
38 ( Connecticut g 17,6 |ı7,a |15,9| 16,2 | 15,9 ‚17,0 | 190
35) Massachuset 3 21,8 |19,9 |17,6| 18,6 | 18,0 |18,2 S
2 Ej) Michigan e e 17,4| 17,9 | 17,3 1208
ER Vermont S 15,4 |16,4| 16,5 17,2 | 17,6
Chile e . i e e . R a 109,1 9,1 |11,6 Š
Uruguay . e x S è ` d , | 11,9 9,5 | 10,9 12,2
Japan $ S e S s S e Š > 17,5 |16,7
Neu-Südwales e s R G d i 17,1 |15,5| 15,9 13,6 |15,4
Victoria e $ S ; . 120,6®)| 14,6 | 12,5) 15,5 13,1 | 14,4
Queensland è 3 S 3 . k 21,2 |15,8| 16,7 12,7: | 13,7 S
Südaustralien e è e . . 16,4 | 16,5) 15,1 12,6 | 15,1
Westaustralien $ e À g š S 15,9 |13,5| 14,6 18,4 | 16,8
Tasmanien J S S S A F 13,6 |13,8| 15,2 12,6 |15,5 S
Neu-Seeland 3 S e R 7 R 19,1 |15,5| 12,8 13,2 |16,7 |176,
Austrialien (Kon-
föderaton) $ ! à e i g 15,8 | 14,4] 15,8 13,4 |15,0 |17,
Miszellen.
89
Auf 1000 Einwohner kommen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt
gue 1801|1811|1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 |1901] eut
—10/—201—30,—40 —50| —60 | —70 —80| —90 |—1900: —10
Mehr Geborene als Gestorbene (Geburtenüberschuß)
Deutsches Reich . š . oa 8,9 10,3 11,9 | 11,7 13,9 | 14,3 , 11,8
Preußen 13,3) 9,2] 10,4| 10,1 11,3 [12,4 | 12,7 14,8 | 15,1 | 12,2
Bayern . 5,8) 6,4| 5,5 7,1 9,5 | 8,5 11,1 |12,9 | 10,6
Sachsen 10,0| 10,9| 12,5 |12,4 113,8 | 13,8 15,5 |13,8 | 9,5
Württemberg > R 9,7) 6,8 9,5 12,3 | 10,2 10,8 | 13,2 | 10,6
Baden S S 10,1| 6,8 9,7 |10,4 | 10,4 11,1 |13,5 | 11,0
Hessen ` s 10,7| 8,5 |10,2 |11,9| 9,5 12,3 |14,2 |11,3
Elsaß-Lothringen . e ` 7,8| 5,3 6,6 7,4 | 6,5 8,6 9,8 | 6,9
Oesterreich , |10,4| 5,7| Bäi 6,2 8,0 7,5 | 8,4 10,5 |11,0 | 9,5
Ungarn s e e e 3 » a | 11,6 10,7 |ı11 9,9
Schweiz P e 5 5,3 7,2 7,3| 7,3 9,1 |10,2 | 8,4
Niederlande 2 e š 6,8| 7,7 |10,4 |11,9 | 13,2 14,1 |15,0 (DA
England und Wales] . R : , | 10,2 11,9 |12,7 114,0 | 13,4 11,7 | 11,8 | (9,8)
Schottland à . e e F e 12,9 [13,3 | 13,1 11,9 | 11,8 | 10,5
Irland . à e 2 A š 9,7 !)| 8,1 | SA 4,8 5,9 | Di
Dänemark 7,4 | 9,3| 9,4| 7,1j10,1) 11,9 |10,8 |12,0 | 13,4 12,7 | 12,0 | 13,2
Schweden 3,0 | 7,6 | 11,0) 8,7|11,5| 11,1 |11,2 |12,2| 12,3 10,7 | 10,6 | 10,2
Norwegen 2,3 | 8,7 | 14,4| 9,4| 12,6, 15,8 | 12,9 |14,0 | 13,9 14,0 | 12,9 (12,6)
Finland 4,4 |11,0 | 13,3] 5,2] 12,0) 7,2 2,2 |14,8 | 13,9 12,5 | 13,2 | 12,6
Rußland . . e e è e e . . 15,1 A .
Bulgarien P S S è A S e è 13,4 |18,5 |(18,8)
Serbien è A 13,9 6,2 | 19,8 14,7 |15,6 | 14,6
Rumänien $ S bn | 3,7|13,9 | 11,4 14,0 (17,3)
Griechenland e > $ ras Gai A . > S .
Italien e $ A è . 7,0 | 10,5 10,8 | 11,1 |(10,1)
Belgien «|. | 78 61| 7,6 | 83 |98| 96 | 101 | 97| -
Frankreich 57| 58 42) 41] 24 | 2,7 | 1,7) 18 0,7 | 1,2 |(—0,9)
Spanien x e $ Š e 7,1 a 1.45 5,3 | 9,2 | (8,1)
Portugal e e . k , |10,4*%)| 9,3 |11,6 | 17,0
28 ( Connecticut ; as | 656 |883| se | 67 | Bal 95
3°) Massachuse f 10,9 63 |61| 59 8,4 | 9,3 | 10,2
ZE) Michigan : i . 13,7 12,7 92 | 68).
£, | Vermont R z 5,3 |61| 34 Ah | 4,8
Chile eil % e R s e 1 Sa 50 | 19].
Uruguay e e s S e a. 2331 20,9 | 24,1 | 18,3
Japan s S ` . S s . | 8,3 9,8 |115|.
Neu-Südwales S e ‘ . N S 25,2 3,3 | 19,8 18,0 | 16,3
Victoria d S e ; , |19,1%)|244 |18,3|16,3 | 14,6 |12,7
Queensland é S e e e 24,5 |21,1/20,3 | 19,2 | 16,2
Südaustralien . e . S 27,0 |22,4 | 22,9 17,0 | 14,7
Westaustralien è s e d 5 20,7 |17,0 | 18,7 13,9 | 17,9
Tasmanien à x N š 17,1 |14,6|19,4 | 18,0 "Bal:
Neuseeland . . . e 27,8 [28,8 |23,4 | 16,9 län 16,6
Australien (Kon-
föderation) . . 24,3 |20,4|20,0 | 16,9 | 15,3 | 16,6
1) 1864—70. 2) 1862—70. 3) 1864—70. 4) 1886—90. 5) 1902—06, spätere
Zahlen liegen für Rußland nicht vor.
vorläufige Ziffern.
6) 1854—60. Eingeklammerte Zahlen bedeuten
90 Miszellen.
Literatur und benutzte Quellen (Auswahl).
Statistique du mouvement de la population internationale d’après les registres
d'Stat civil. Résumé rötrospectif depuis l’origine des statistiques de l'état civil jusqu’
en 1905. Paris 1907. g
Dasselbe, Second volume, Années 1901 A 1910. Paris 1913.
Die Bewegung der Bevölkerung des Deutschen Reiches 1910 und 1911. Statistik
des Deutschen Reiches, Bd. 246 u. 256, insbesondere die vorhergehenden Bände, sowie
N. F. Bd. 44.
Mortality Statistics 1911. Bulletin 112 Department of Commerce, Bureau of the
Census. Washington 1913.
New South-Wales. John B. Trivett, Vital statistics for 1910 and previous years.
Sydney 1911.
Jacquart, Mouvement de l’&tat civil et de la population en Belgique pendant les
années 1876 à 1900. Bruxelles 1906, p. 23.
Schweiz. Ehe, Geburt und Tod in der schweizerischen Bevölkerung 1871—90 und
besonders 1891—1900. Erster Teil. Bern 1908, S. 9—10).
(NB. Es haben hier vorzugsweise nur diejenigen Werke Raum gefunden, die mir
zur Korrektur und Vervollständigung dienten.)
Literatur. 91
Literatur.
I
Franz Klein, Justizminister a. D., Die wirtschaft-
lichen und sozialen Grundlagen des Rechtes
der Erwerbsgesellschaften.
(Vorträge und Schriften zur Fortbildung des Rechts und der Juristen,
Heft 7.) Berlin (Franz Vahlen) 1914. 89 SS.
Besprochen von Paul Rehme, Halle a. S.
Das Büchlein, gering an Umfang, doch ungemein reich an Inhalt,
bietet Vorträge, die Franz Klein, der ehemalige österreichische
Justizminister, der geniale Schöpfer der neuen Zivilprozeßordnung seines
Heimatlandes, im November 1913 in den wirtschaftlichen Fortbildungs-
kursen für Juristen (veranstaltet von den Aeltesten der Kaufmann-
schaft von Berlin in Verbindung mit dem Deutschen Anwaltsverein,
der Anwaltskammer zu Berlin, dem Berliner Anwaltsverein und dem
Verein „Recht und Wirtschaft‘) gehalten hat. Daß die Betrachtungen
nunmehr weiteren Kreisen zugänglich gemacht worden sind, ist höchst
erfreulich. Denn sie sind von so hohem Werte, daß sie von jedem Ju-
risten, jedem Nationalökonomen und jedem Politiker studiert werden
sollten, und zwar nicht nur reichsdeutschen, obgleich lediglich das reichs-
deutsche Recht behandelt wird.
Allgemeine Gedanken will der Verfasser mitteilen, nicht ins Detail
gehen — in der Erwägung, daß auf den obersten Stufen des Unter-
richtes, wenigstens in Geistesdingen, hauptsächlich jene dauernden Ge-
winn bringen (S. 5). Aber die Ausführungen halten sich doch weit
von Oberflächlichkeit fern. Nicht daß die Grundauffassung, auf der
sie ruhen, eine Entdeckung Kleins ist! Das Recht „kann ohne jede
Fühlung mit dem Leben sein, dem Empfinden, den Sitten und der Denk-
weise des Volkes zuwider, volksfremdes, oktroyiertes Recht. Das klassi-
sche Beispiel dafür ist stets das den deutschen Ländern aufgenötigte
römische Recht“ (S. 69). Daß ein solcher Zustand ungesund ist, hat
man längst allgemein erkannt; man ist darin einig, daß das Leben dem
Rechte die Richtung weisen muß, daß das Recht aufgebaut sein muß
auf dem gesamten sozialen Leben, und in diesem nimmt die Wirtschaft
einen besonders breiten Raum ein. Dem entspricht denn auch das
moderne Recht immerhin zum größten Teil (dazu a. O.), oder es ist
wenigstens bestrebt, dem zu entsprechen. Daraus ergibt sich, von
welcher Wichtigkeit es ist, sich stets die Zusammenhänge zwischen
der Rechtsordnung und deren außerrechtlichen Grundlagen vor Augen
zu halten, nicht nur was die Fortbildung des Rechtes, sondern auch was
die Erkenntnis und die Anwendung der zurzeit geltenden Rechtsnormen
92 Literatur.
anlangt. Diese Zusammenhänge liegen nicht immer klar zutage; sie
müssen vielfach erst aufgedeckt werden. Allgemeine Betrachtungen
darüber, namentlich über die gegenseitigen Beziehungen von Recht
und Wirtschaft, sind bereits angestellt worden. Was uns aber fehlt,
das ist die exakte Untersuchung einzelner Rechtsinstitute oder doch
einzelner Gruppen verwandter Rechtsinstitute unter jenem Gesichts-
punkte. Für das Recht der Erwerbsgesellschaften — in Anbetracht
der hohen Bedeutung desselben eine Materie von hervorragender Wich-
tigkeit — hat nun Klein die Lücke ausgefüllt, und zwar in durchaus
mustergültiger Weise. Möchte er recht viele Nachfolger finden in Schrift
und Wort! Um wie viel anregender wäre namentlich der Rechtsunter-
richt, wenn nicht nur die Rechtssätze an sich, sondern überall auch
deren außerrechtliche Grundlagen vorgeführt würden! Daß so viele
Rechtsstudierende durch die Vorlesungen nicht dauernd gefesselt werden,
ist sicher zumteil dadurch zu erklären, daß ihnen dort die Rechtsord-
nung losgelöst vom Leben entgegentritt. Ein jeder Rechtslehrer kann,
sofern er will, die Wahrnehmung machen, mit welchem Interesse die
Hörer dem Vortrage folgen, wenn er ihnen „statt kahler Sätze das
agierende Recht in seiner realen Erscheinung“ (S. 70) veranschaulicht.
In dem ersten Abschnitte der Schrift geht der Verfasser
auf die Geschichte des Gesellschaftsrechtes ein, um zu zeigen, daß die
Entwickelung des Rechtes nicht ausschließlich ein juristischer Vorgang
ist, daß dabei vielmehr stets auch einzelne, mehrere oder alle sonstigen
jeweils lebendigen Gesellschaftskräfte im Spiele sind. Zugrundegelegt
ist im wesentlichen Schmollers Untersuchung über die Geschichte der
Unternehmung, nicht die neuere Literatur. Widerspruch muß erwecken
der Satz: „Die älteste unter den heutigen Erwerbsgesellschaften ist
die Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes, denn ihr Ahne ist die
römische Societas, welche später die Rezeption als einen Fremdkörper
in die deutsche Genossenschaftswelt hineingetragen hat“ (S. 9). In
Wahrheit ist die älteste Erwerbsgesellschaft die Urform der Kommandit-
gesellschaft, gemeinhin als Kommenda bezeichnet, ein universales Rechts-
institut!), und der Ahne der Gesellschaft des BGB. ist die alte deutsch-
rechtliche Gemeinschaft zur gesamten Hand, die freilich aus dem ge-
meinen Rechte durch die römischrechtliche Societas verdrängt wor-
den war.
In dem zweiten Abschnitte werden „die privatwirtschaftlichen
Grundlagen“ aufgewiesen. Grundlage des Rechtes sei nicht unmittelbar-
das Kapital, die Assoziationsfreiheit, ein wirtschaftlicher Zustand oder
eine gesellschaftliche Lage, sondern die dadurch erzeugten Gedanken,
Bedürfnisse, Wünsche, aus denen sich unter Hinzutritt irgendwelcher
normativer, ethischer, rechtlicher usw. Gesichtspunkte das geistige
System des fraglichen Rechtsinstitutes entwickele. Die sämtlichen Er-
werbsgesellschaften können als eine Gruppe behandelt werden, da sich
1) Dazu neuestens Rehme, Geschichte des Handelsrechts, in dem Handbuch
des gesamten Handelsrechts, herausgeg. von V. Ehrenberg, Bd. 1 SE S. 102 und
die ebenda Anm. 38 angeführten Stellen des Werkes, ferner S. 162 ff
Literatur. 93
im Rechte der einzelnen Gesellschaftsarten zumteil dieselben Bedürf-
nisse und Gedankengänge des Lebens wiederspiegeln, und zwar seien
es, da sie sämtlich Erwerbsunternehmungen seien, die wirtschaftlichen
Grundbedürfnisse des Erwerbsunternehmens, auf die vor allem in der
Rechtsordnung Bedacht genommen werden müsse. Auf der anderen
Seite seien freilich für die einzelnen Gesellschaftsarten spezielle, nur
auf sie anwendbare ökonomische oder sonstige soziale Urteile be-
stimmend. Den Grundstock jeder Erwerbsgesellschaft bilde wirtschaft-
liches Handeln, Arbeit, eine produktive, distributive oder vermittelnde
ökonomische Tätigkeit, sie sei im engeren oder weiteren Sinne Arbeits-
gemeinschaft. Das Gesellschaftsrecht sei nicht eine vollständige Organi-
sation des gesamten Unternehmens, ordne vielmehr nur drei Materien
daraus, die alle wirtschaftlicher Natur seien: es sorge dafür, daß dem
gesellschaftlichen Unternehmen Kapital gewidmet werden könne, daß
das Unternehmen auf die Beine gebracht werde, und daß es am wirt-
schaftlichen Außenverkehre teilzunehmen imstande sei. Nachdem auf
diese drei Punkte näher eingegangen worden ist, werden in dem
dritten Abschnitte „Wendungen ins Soziale“ betrachtet:
Durch die Erwerbsgesellschaften könne der Staatskredit gefährdet
werden. Darum müsse die Gesetzgebung das kreditpolitische Interesse
des Staates wahren. Daneben habe sie das steuerpolitische Interesse
desselben zu berücksichtigen. Ferner kommen allgemeine volkswirt-
schaftspolitische Erwägungen in Betracht, die namentlich in man-
chen neuen aktienrechtlichen Vorschriften Ausdruck gefunden haben.
Allein das Gesellschaftsrecht gründe sich nicht lediglich auf wirtschaft-
liche Raisonnements; im Hinblick auf die Tatsache, daß die Ausbreitung
der Erwerbsgesellschaften, besonders der Aktiengesellschaften, viele,
die sonst ihre Ersparnisse in die Sparkasse getragen oder in Staats-
Papieren angelegt hätten, in das Kielwasser der Erwerbsgesellschaften
ziehe, empfangen die wirtschaftlichen Kardinalgesichtspunkte des Ge-
sellschaftsrechtes einen sozialpolitischen Beisatz; die Rechtsordnung
habe demgemäß zu verhindern, daß spekulative Waghalsigkeit, Un-
ehrlichkeit oder ungezügelte Erwerbsgier soziale Schäden anrichten.
Uebrigens seien auch ethische Gesichtspunkte in dem Gesellschafts-
rechte maßgebend, indem es z. B. den Vertrauensmißbrauch äußerst er-
schwere. In der Tat darf man, wie wir mit allem Nachdrucke betonen
möchten, bei aller Schätzung des Wirtschaftlichen den ethischen Ein-
schlag der Rechtsordnung nicht zu gering werten, was nicht so selten
geschieht.
War bisher von Ideen und Absichten des Gesetzes die Rede, so
werden im vierten Abschnitte die soziologischen Grundlagen“
des Assoziationswesens und des Gesellschaftsrechtes erörtert: eine große
Zahl äußerer und psychischer Momente, ein bestimmtes Milieu, das
erforderlich sei, damit das Gesellschaftsrecht sich von dem Papiere
der Gesetzesurkunde ablöse und wirklich normativ werden könne. Darum
vermöge man aus der Stufe, welche die Erwerbsgesellschaften eines
Landes einnehmen, meist zutreffende Schlüsse auf dessen wirtschaft-
liche und gesellschaftliche Kultur zu ziehen, und so gebe über den „so-
94 Literatur.
ziologischen Status“ die Statistik Aufklärung, die von dem Verfasser
genauer betrachtet wird und, wie dieser meint, dem Deutschen Reiche
das beste Zeugnis ausstellt.
Der fünfte Abschnitt behandelt den „Wechsel in den Grund-
lagen“. Die leitenden wirtschaftlichen und sozialen Gedanken, von
denen bisher gesprochen worden ist, müssen in Rechtssätze ausge-
münzt werden, die nach den verschiedenen Gesellschaftsformen zu indi-
vidualisieren seien. Wie dies zu geschehen habe, darüber gehen die
Meinungen oft weit auseinander: man befinde sich hier im Gebiete der
politischen und der Wirtschaftsparteien und der wissenschaftlichen
Theorien, und was Recht werde, hänge von den Ansichten derjenigen
ab, die zurzeit die meiste Macht über die Rechtsbildung haben. So
seien in dem heutigen Rechte der einzelnen Erwerbsgesellschaften sehr
verschiedene wirtschaftliche Richtungen erkennbar, z. B. habe sich in
dem Rechte der Gesellschaft des BGB., der Offenen Handelsgesellschaft,
der Kommanditgesellschaft und der Reederei der wirtschaftliche Libera-
lismus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erhalten, während
man in dem Rechte der Aktiengesellschaft, der Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung und der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
zumteil die heute im Vordringen begriffene wirtschaftspolitische Rich-
tung sehe, die von wirtschaftlicher Freiheit nicht mehr viel halte. In
den Normen des Gesellschaftsrechtes streben Aenderungen der Wirt-
schaftsordnung nach Anerkennung; die gegebene Wirtschaftsordnung
werde nach und nach mit Hilfe des Rechtes in einen anderen Typus
umkorrigiert, und das Privatrecht wirke auf diese Weise an den
allmählichen volkswirtschaftlichen Umwälzungen mit. Das nämliche
gelte von den sozialen Ideen und Gesichtspunkten.
In dem sechsten Abschnitte wird „die Rechtsform der Kar-
telle“ in sehr interessanter Weise betrachtet, und der letzte, siebente,
enthält „Konklusionen“ (Außerrechtliches im Rechte, Rechtslehre, An-
wendung und Auslegung des Rechtes, künftige Entwickelung des Ge-
sellschaftsrechtes, neue Wege). Was die Feststellung des Außerrecht-
lichem im Rechte für Rechtslehre und Rechtsanwendung bedeutet, haben
wir bereits betont. Auf die gedankenreichen Ausführungen über die
künftige Entwickelung des Gesellschaftsrechtes und die dabei etwa ein-
zuschlagenden neuen Wege einzugehen, müssen wir uns hier leider
versagen: sie enthalten eine solche Fülle von Anregungen, daß sie nur
gewürdigt werden können, wenn man sie im Zusammenhange vor sich
hat. Die in ihnen zutage tretende Auffassung ist vielfach höchst sub-
jektiv, und gewiß läßt sich über manches streiten. Oft sind es auch nur
Fragen, die der Verfasser aufwirft, ohne selbst die Antwort zu geben.
Der künftige Gesetzgeber wird aber keine jener Ideen unbeachtet lassen
dürfen, Ideen eines Mannes, der nach reicher Erfahrung uns lehrt:
„bei der Behandlung von Rechtsfragen über die Para-
graphen hinaus ins volle Menschenleben zu blicken“ (S.89).
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 95
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Festgabe zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen
Justizrats Professor Dr. Rießer. Berlin 1913. `
Zur Feier des 60. Geburtstages des nach verschiedenen Richtungen
hin hoch verdienten Geheimrat Dr. Rießer, haben sich 17 hervorragende
Männer zusammengetan und in interessanten Artikeln eine wertvolle
Festgabo in dem vorliegenden Werk gestiftet. Für uns sind besonders
die folgenden von Bedeutung: Prof. Dr. Helfferich: Die Verteilung des
Volkseinkommens in Preußen von 1896—1912. Der Artikel bildet
eine Ergänzung zu dem an anderer Stelle bereits besprochenen über die
Steigerung des Volksvermögens in derselben Zeit. Der Verfasser weist
hier nach, daß diese Steigerung in überwiegendem Maße den unteren
Klassen zugute gekommen ist und eine irgend wesentliche Erweiterung
der Plutokratie nicht stattgefunden hat. Geheimrat Lexis behandelt
unter der Ueberschrift „Geld und Preise" besonders die Frage, ob und
wie weit die Veränderungen in dem Gold- und Geldverrate einen Einfluß
auf das Preisniveau in der neueren Zeit gehabt haben und kommt zu
dem Ergebnis, daß dieser Einfluß im allgemeinen überschätzt wird,
vielmehr weit mehr auf die Veränderung der Produktionsverhältnisse
zurückzuführen ist. Besonders wendet er sich gegen die bekannten
Vorschläge Irving Fischers, der durch die Veränderung des Gold-
gehaltes des Dollars eine größere Gleichmäßigkeit der Preise erzielen
vill. Professor Lotz behandelt eingehend das Wesen des Kredites.
Professor Georg Cohn untersucht das Wort „Scheck“. Die übrigen
Artikel sind rein juristische Untersuchungen. Das ganze Werk kann auf
allgemeines Interesse Anspruch machen und ist eine würdige Gabe
für den bedeutenden Mann, dem sie gewidmet ist.
Christian Corn6lissen, Thöorie de la valeur avec une ré-
futation des théories de Rodbertus, Karl Marx, Stanley Jevons et Böhm-
Bawerk. 2. Aufl. Paris 1913. 476 SS.
Der Verfasser unterscheidet als Grundlagen der Preistheorie zwei
Arten des Wertes, den Gebrauchswert und den Produktionswert, denen
è eine ausführliche, mit vielen kritischen Erörterungen verbundene
ntersuchung widmet. Der Abschnitt über den Gebrauchswert ist
Wenig befriedigend. Cornelissen gehört zu jenen Theoretikern, die sich
durch die Mannigfaltigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen allzu
shr beirren lassen, so daß sie die Fähigkeit, das Typische vom Zu-
. zu unterscheiden, verlieren. Dies äußert seine Wirkungen in
der Kritik ebenso wie in der positiven Darstellung. Er ist ein Gegner
96 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
aller weitergehenden Abstraktionen bei der Formulierung der Voraus-
setzungen der theoretischen Untersuchung und kann sich daher auch
mit den auf Grund dieser Abstraktionen gewonnenen allgemeinen Sätzen
nicht einverstanden erklären: Nur mit Hilfe einer Reihe höchst will-
kürlicher, mit der Wirklichkeit in Widerspruch stehender Voraus-
setzungen (homo oeconomicus, freie Konkurrenz, Tausch mit Vorteil,
gleiche Qualität der angebotenen Ware usw.) sei es den Grenznutzen-
theoretikern möglich gewesen, zu ihrem Wertgesetz zu gelangen. In
Wahrheit schließe die Unbeständigkeit des Wertes und die Mannig-
faltigkeit der auf ihn einwirkenden Faktoren die Aufstellung be-
stimmter Gesetze und mathematischer Formeln aus (S. 50). So trifft
die an der Grenznutzentheorie geübte Kritik zumeist am Ziel vorbei
und läuft nur zu oft auf einen Wortstreit hinaus. Letzteres gilt meines
Erachtens auch von dem Haupteinwand, den Cornelissen anknüpfend
an das bekannte Beispiel Böhm-Bawerks von dem Kolonisten und den
fünf Säcken Korn gegen die Grenznutzentheorie erhebt, und der dahin
geht, daß mehrere gleiche Stücke eines Vorrates nicht einen gleichen,
sondern jedes von ihnen einen verschiedenen Wert für den Besitzer
haben (S. 66). Denn daß bei der Bestimmung des Gesamtwertes der
5 Kornsäcke der Wert jedes einzelnen Sackes mit einer verschiedenen
Größe anzusetzen ist, wird ja auch von Böhm-Bawerk nicht nur an-
erkannt, sondern auch ausführlich begründet. Im übrigen soll nicht
unerwähnt bleiben, daß sich auch sehr treffende Bemerkungen in den
kritischen Erörterungen finden. Namentlich die nachdrückliche Her-
vorhebung, daß die bei den Grenznutzentheoretikern eine so große
Rolle spielende Schätzung nach dem Substitutionsnutzen in Wahrheit
keine Schätzung nach Nutzen, sondern eine Schätzung nach dem Preise
ist, daß sie also den Preis als gegeben voraussetzt (S. 81—82), kann den
Vertretern jener Theorie nicht eindringlich genug zur Beachtung emp-
fohlen werden.
Bei der erwähnten Abneigung gegen Abstraktionen ist es erklär-
lich, daß Cornelissens eigene Darstellung des Gebrauchwertes über
ganz allgemein gehaltene Sätze nicht hinauskommt: der Wert be-
stimmt sich nach dem Vorteil, den das Gut dem Schätzenden gewährt,
und ist für jedes Stück eines im Besitz ein und derselben Person be-
findlichen Vorrates verschieden; er variiert mit der Quantität, mit der
Qualität und mit den Eigenschaften der Güter (S. 71), — das ist
so ziemlich alles, was der Verfasser über den Gebrauchswert im all-
gemeinen zu sagen weiß. Seine Darstellung zersplittert sich in die
Erörterung einer Unzahl von Spezialfällen, ohne daß auch nur der
Versuch unternommen würde, die beobachteten Werterscheinungen unter
ein einheitliches Prinzip zu bringen.
Unter dem Produktionswert (valeur de produktion), dessen ur-
sprüngliche Form der Arbeitswert ist, versteht Cornelissen jenen Wert,
der aus dem Umstand, daß die Hervorbringung der Güter Arbeit oder
überhaupt Kosten erfordert, hervorgeht. Entspringt der Gebrauchswert der
Beziehung zwischen den genußbereiten Gütern und dem Konsumen-
ten, so geht der Produktionswert aus der Beziehung zwischen den Gü-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 97
tern und dem Produzenten hervor (S. 181). Diese Anerkennung eines
auf der Angebotsseite entspringenden Wertes, der mit dem der Nach-
frageseito entstammenden Gebrauchswert korrespondiert, scheint mir
durchaus berechtigt zu sein. Ist der Wert die Bedeutung, welche die Gü-
ter dadurch für uns gewinnen, daß sie mit unserer Wohlfahrt in Be-
ziehung stehen, dann muß auch aus dem Umstand, daß die Hervorbrin-
gung der Güter Arbeit kostet, ein Wert hervorgehen. Denn diese Tat-
sache beeinflußt unsere Wohlfahrt zum mindesten in ebenso fühlbarer
Weise wie der Nutzen, den die Güter gewähren. Die Güter stehen eben
mit unserer Wohlfahrt in einer doppelten Beziehung, sie fördern unsere
Wohlfahrt. sie erfordern aber auch ein Opfer an Wohlfahrt. Deshalb muß
es neben dem Gebrauchswert auch einen Arbeitswert geben. Richtig ist
auch, daß der Arbeitswert von der Wissenschaft teils zu wenig beachtet,
teils in seinem Wesen verkannt worden ist. Die Nutzentheoretiker
behandeln ihn als eine Abart des Gebrauchswertes, die nur unter ganz
speziellen Umständen Geltung erlangt. Die Kostentheoretiker, vor allem
die Vertreter der sozialistischen Lehre, haben ihn irrigerweise mit dem
Tauschwert identifiziert. Der Wert, den Marx behandelt, ist nicht
der Tauschwert. Denn die moderne Verkehrswirtschaft zeichnet sich
gerade dadurch aus, daß die Güter nicht im Verhältnis der in ihnen ver-
körperten Arbeit ausgetauscht werden. Der Arbeitswert ist etwas ganz
anderes als der Tauschwert. Dennoch — oder besser: gerade deshalb
besitzt der Arbeitswert große theoretische Bedeutung. Denn er be-
zeichnet das Niveau, welches der Stand der Preise einnehmen würde,
wenn die Konkurrenz wahrhaft frei wäre. (Ueber den Begriff der
„treien Konkurrenz‘, wie ich ihn verstehe, siehe meine Schrift: Die
Lehre vom subjektiven Wert als Grundlage der Preistheorie 1912,
S. 33 ff.) Bei vollkommen freier Konkurrenz könnte der Preis die
Arbeitskosten nicht dauernd übersteigen; die Konkurrenz würde ihn
immer wieder auf das Niveau der Arbeitskosten herabdrücken. Von
diesem Standpunkt aus stellt sich jede dauernde Abweichung der Preise
von den Arbeitskosten als Folge einer Beschränkung der Konkurrenz,
alles arbeitslose Einkommen, das ja immer aus einem Ueberschuß
des Preises über die Arbeitskosten gezogen wird (Kapitalzins, Grund-
rente und alle anderen Renten) als Monopoleinkommen dar. So wird
der Arbeitswert zu einem wichtigen Ausgangspunkt für die Erklärung
der Preise und der Einkommensverteilung.
Cornelissen schlägt diesen Weg jedoch nicht ein. Statt zu unter-
suchen, warum in der modernen Verkehrswirtschaft Arbeitswert und
Preis so weit voneinander’ abweichen, konstruiert er einen besonderen
kapitalistischen Produktionswert, der unserer Epoche eigentümlich sein
soll und sich nach folgender Formel bestimmt: Gesellschaftlich not-
wendige Kosten der Produktion und Zirkulation plus Durchschnitts-
profit (S. 297). Natürlich entbehrt dieser Begriff jedes Erklärungs-
wertes, denn er ist weder zur Formulierung noch zur Erklärung eines
Problemes verwendbar, sondern bezeichnet einfach den normalen Stand
‚der Preise, dessen Erklärung ja eben die Aufgabe der Preistheorie ist.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CI). 7
98 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der leitende Gedanke der von Cornelissen entwickelten Preis-
theorie ist der, daß der Tauschwert aus dem Zusammenwirken des
Gebrauchs- und des Produktionswertes entsteht (S. 169), daß er eine
Resultante dieser beiden Werte ist (S. 345). Der Tauschwert hat die
Tendenz, einerseits mit dem Produktionswert, andererseits mit dem
Gebrauchswert zusammenzufallen (S. 162). Die erste Tendenz mußte
notwendig wirksam werden und offenbare sich auf Schritt und Tritt.
Die Arbeit sei das reale Element, womit der Mensch in die Erzeugung
der Güter eingreift, und es sei offenbar (evident) — ein Wort, welches
bei Cornölissen nur zu oft die Stelle eines Beweises vertritt —, daß
in der Mehrzahl der Fälle dieses Element einen entscheidenden Einfluß
auf den Tausch ausüben müsse (S. 163). Die zweite Tendenz entspringt
daraus, daß die Güter nur um ihres Nutzens willen geschätzt und
auch nur aus diesem Grunde Arbeit auf ihre Hervorbringung aufge-
wendet wird (S. 164). Das Zusammenwirken von Gebrauchs- und
Produktionswert bei der Konstitution des Tauschwertes erfolgt aber
„dans les proportions les plus diverses, et, pourrait on dire, les plus
capricieuses“ (S. 169). Bei den irreproduzibeln Gütern übt der Ge-
brauchswert den beherrschenden Einfluß aus. Der Gebrauchswert dieser
Güter zeigt zugleich ihren Tauschwert an (S. 171). Bei den beliebig
reproduzibeln Gütern tritt der Einfluß des Produktionswertes in den
Vordergrund. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich zahllose
Spielarten mit allen Nuancen des größeren oder geringeren Einflusses
des Gebrauchs- und des Produktionswertes (S. 173). Warum das so
ist, und auf welchem Wege der Einfluß dieser beiden Werte wirksam
wird, wird nicht gezeigt. Die Darstellung verliert sich auch hier in
die Erörterung zahlloser Spezialfälle, welche zusammenhangslos anein-
andergereiht werden. Die Unfähigkeit des Verfassers, in der Mannig-
faltigkeit der Erscheinungen das herrschende "Prinzip zu erkennen,
tritt besonders deutlich in seiner Stellungnahme zum Gesetz von An-
gebot und Nachfrage hervor. Er lehnt das Gesetz als sinnlos (vide
de sens) ab (S. 360), erkennt aber andererseits dessen Herrschaft doch
wieder an, wenn er einräumt, daß der Preis bei unzulänglichem Angebot
über den Produktionswert gehoben, bei übermäßigem Angebot unter
den Produktionswert herabgedrückt wird, daß also der Preis mit
dem Produktionswert nur dann zusammenfällt, wenn die Menge der
angebotenen Ware die beim Kostenpreis herrschende Nachfrage gerade
deckt (S. 346). Er hat nicht erkannt, daß sich jede Preisbildung, auch
die der Monopolgüter, unter der Herrschaft jenes Gesetzes vollzieht,
daß sich der Preis immer auf jenem Punkt einzustellen sucht, bei
dem die Menge der angebotenen mit der Menge der begehrten Ware
zusammenfällt, und daß der Unterschied zwischen der Preisbildung
der Konkurrenz- und der Monopolgüter lediglich auf die verschiedene
Art, in der das Zustandekommen eines bestimmten Angebotes hier
und dort erfolgt, zurückzuführen ist. So hat Cornelissen nur einen
recht unzulänglichen Beitrag zur Beleuchtung der alten Unterscheidung
zwischen reproduzibeln und irreproduzibeln Gütern geliefert. Die Er-
kenntnis der Preisbildung wird durch sein Werk schwerlich gefördert
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 99
werden, zumal das Hauptproblem der Preistheorie, die Darlegung des
Zusammenhanges, in dem alle Preise miteinander stehen, ganz und
gar unerörtert bleibt.
Wien. Otto Conrad.
Grundriß der Sozialökonomik. Bearb. von S. Altmann, Th. Brinkmann,
K. Bücher u. a. I. Abtlg. Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft. Bearb. von
K. Bücher, J. Schumpeter, Fr. Frhr. v. Wieser. XIV—4ö4 SS. M. 11.—.
II. Abtlg. Die natürlichen und technischen Beziehungen der Wirtschaft. Bearb.
von Fr. v. Gottl-Ottlilienfeld, H. Herkner, A. Hettner, R. Michels, P. Mombert,
K. Oldenberg. X—387 SS. M. 9.—. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. Lex.-8.
Diehl, Karl, u. Paul Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Stu-
dium der politischen Oekonomie. 9. Bd. Freihandel und Schutzzoll. Karls-
ruhe, G. Braun, 1914. 8. VII—200 SS. M. 2,60.
Siegfried, Dr. Bernh., Repetitorium der Geschichte der National-
ökonomie. Bern, Max Drechsel, 1914. 8. 104 SS. M. 3.—.
Antonelli, E., Principes d'économie pure. La theorie de l'échange sous
le régime de la libre concurrence. Préface de (prof.) G. Renard. Paris, Marcel
Rivière et Cie., 1914. 8. IX—207 pag. fr. 5.—. (Bibliothèque generale d’&cono-
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De Potter, Agathon, Economie sociale. Tome deux. Deuxieme edition.
Bruxelles, L’Imprimerie (Vve. Monnom), 1913. 25X 16,5. 212—V pag. fr. 1,50.
Valdour, Jacques, La methode concrete en science sociale. Paris,
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Marx. London, H. Latimer. Cr.-8. 212 pp. 5/—.
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London, Macmillan. Cr.-8. 5/.6.
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Shealy. New York, Devin-Adair, 1913. 85 c.
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8. Giovanni, casa ed. Abruzzese (tip. Bodoniana), 1914. 8. XXXI, 442 pp. 1.4.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Groß, Lothar. Beiträge zur städtischen Vermögensstatistik des
14. und 15. Jahrhunderts in Oesterreich (Forschungen zur inneren Ge-
schichte Oesterreichs, herausgeg. von A. Dopsch, Heft 10). Innsbruck
(Wagner) 1913.
Der Hauptwert der methodisch gut gearbeiteten Schrift liegt in
der Publikation eines Verzeichnisses des steuerbaren Immobiliarbesitzes
der Bürger von Enns in Ober-Oesterreich, dessen Abfassung bzw.
Benützung der Verf. wohl richtig in die Jahre 1393—1415 setzt. Von
weiterer Bedeutung wird diese Quellenpublikation allerdings erst dann
werden, wenn auch für andere Städte desselben Gebietes ähnliche Ver-
öffentlichungen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit einen vergleichenden
Schluß auf die Steuerverfassung und die Steuerkraft jener Periode ge-
statten. Denn aus dem Ennser Material allein hat der Verfasser bei
allem Fleiß nicht viel bedeutsames herauszuholen vermocht. Auch
seine Schlüsse über die Vermögensverteilung und Vermögensverschie-
bung in dem betrachteten Zeitraume sind bei der Lückenhaftigkeit der
7*
100 Uebersicht über die neyesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Handschrift. der Nichtberücksichtigung des Mobiliarvermögens und der
kleinen Zahl der beobachteten Zensiten mit großer Vorsicht aufzu-
nehmen. Bei der Heranziehung der Vermögensverzeichnisse anderer
Städte wären die Görlitzer Geschoßbücher bzw. die sie besprechende
Publikation von R. Jecht (N. Laus. Mag. 72, 1896) von Nutzen ge-
wesen. Als allgemein bemerkenswerte Züge treten uns auch hier der.
starko Wechsel im Hausbesitz sowie die weitverstreute Lage der zahl-
reichen den Stadtbürgern gehörigen ländlichen Grundstücke ontgegen,
die in dem Weinbau und dem Weinhandel jener Landschaft ihre Be-
gründung findet.
Halle. Gustav Aubin.
Oesterreichische Weistümer, 10. Bd. Steirische Taidinge
(Nachträge). Im Auftrage der Kais. Akademie der Wissenschaften her-
ausgegeben von Anton Mell und Eugen Freiherrn von Müller. Wien
(Wilhelm Braumüller) 1913. XI u. 385 SS. 12 M.
Seit dem Erscheinen des für Steiermark und Kärnten bestimmten
(sechsten) Bandes der österreichischen Weistümer im Jahre 1881 hat
die Eröffnung und Sichtung der steirischen Archive solche Fortschritte
gemacht, daß aus einem größeren von Mell gesammelten Material
60 Stücks von der Wiener Akademie zur Ausgabe in dem vorliegenden
Nachtragsbande bestimmt worden sind, welcher als abschließend zu be-
trachten ist. Damit ist die von den Herausgebern des Hauptbandes noch
nicht eingestandene Tatsache festgestellt, daß das Institut der Tai-
dinge dem steirischen Mittel- und Unterlande — im Gegensatz zum Ober-
lande —- fast unbekannt gewesen ist und daß hier überhaupt Dorfrechte
laut Weisung gänzlich fehlen, was Mell auf „das bereits bei der deutschen
Kolonisierung stark hervortretende grundherrschaftliche Prinzip, viel-
leicht auch auf einen ursprünglichen Mangel an geschlossenen Dorf-
schaften und Gemeinden“ zurückführt. Dementsprechend sind unter den
neuen, zum Teil schon anderswo verzeichneten oder veröffentlichten,
Stücken nur wenige eigentliche Weistümer, die Mehrzahl stellen Auf-
zeichnungen über die Rechte der Grundherren und Untertanen, aus
Urbaren entnommen, dazu Markt- und Stadtordnungen, Abweichungen
also vom strengen Plan einer Weistümersammlung, wie sie schon beim
Hauptbande für notwendig erachtet wurden, und als durchaus be-
rechtigt anerkannt werden müssen. Anordnung, Druck, Register und
Glossar folgen ebenfalls dem Hauptband, zu dessen einzelnen Stücken
auch Nachträge und Berichtigungen vermerkt sind.
Düsseldorf. Hermann Aubin.
Stolz, Heinz, Düsseldorf. (Stätten der Kultur. Hrsg. von Prof. Dr.
Georg Biermann, Bd. 32.) Leipzig, Klinkhardt u. Biermann, 1914. 8. VIII—148 SS.
mit Abbildgn. u. Taf. M. 3.—.,
Roger, René, La Colombie économique, avec un extrait du Code minier
colombien et du projet de loi sur l’exploitation des forêts, deux graphiques et
deux cartes (these). Paris, libr. de la Bociété du Recueil Sirey, libr. R. Roger
et F. Chernovitz, 1914. 8. XVI—444 pag.
Baerlin, Henry, Mexico, the land of unrest. Illustrated. 2nd and
cheaper ed. London, Simpkin. 8. 512 pp. 7/.6.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 101
Fenchelle, H. E., Italy; Industrial and financial development. London,
E. Wilson. 8. 1/.—.
Joyce, Patrick Weston, A social history of ancient Ireland; treating
of the government, military system and law, religion, learning and art, trades,
industries and commerce, manners, customs, and domestic life of the ancient
Irish people. In 2 vols. 2d. ed. New York, Longmans. 8. 23+632; 11465 pp.
il. $ 7,50.
Mavor, James, An economic history of Russia. 2 vols. London, Dent.
8. 646, 652 pp. 3/.6.
Münsterberg, Hugo, The Americans; tr. by Ed. B. Holt. New
York, Doubleday, Page. 8. 10+619 pp. $ 1.—.
Tchobanian, Archag, The people of Armenia, their past, their
culture, the future. London, Dent. 18. 80 pp. 1/.6.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Die Ansiedlung von Europäern in den Tropen. 2. Band.
Mit Beiträgen von Prof. Dr. Karl Sapper, Prof. Dr. van Blom und
Dr. J. A. Nederburgh: Mittelamerika, Kleine Antillen, Nie-
derländisch-West- und Ostindien. München u. Leipzig (Duncker
& Humblot) 1912. 171 SS. M. 4,60.
Der Verein für Sozialpolitik beschloß im Jahre 1910, eine Erhebung
über die wirtschaftliche Tätigkeit und das soziale Leben der Weißen
in den Tropen zu veranstalten, mit besonderer Berücksichtigung der
Frage, ob dauernde Ansiedlungen stattgefunden haben und Generationen
überdauerten. Die Tatsachen, Bedingungen und Erfolge der europäischen
Ansiedlung und Arbeit in der heißen Zone sollten wissenschaftlich
untersucht werden. Die Veröffentlichung dieser Untersuchungen er-
folgt als 147. Band der Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Als
erster Band erschien der Bericht der 1908 unter Führung des damaligen
Unterstaatssekretärs des Reichskolonialamts Dr. v. Lindequist nach Ost-
afrıka entsandten Kommission „Deutsch-Ostafrika als Siedelungsgebiet
für Europäer unter Berücksichtigung Britisch-Ostafrikas und des Nyassa-
landes“.
Im ersten Teile des vorliegenden zweiten Bandes behandelt Karl
Sapper die Ansiedlung von Europäern in Mittelamerika; infolge seines
langjährigen Aufenthaltes in jenen Ländern ist er dazu wie kaum ein
anderer berufen. Das einleitende Kapitel orientiert uns über Land und
Bewohner, Natur und Kultur Mittelamerikas in Vergangenheit und
Gegenwart, während in den folgenden Kapiteln die Landwirtschaft,
die sonstige wirtschaftliche Betätigung der Weißen und Farbigen in
Mittelamerika, die Gesundheitsverhältnisse der Weißen und endlich die
Aussichten der Besiedlung und der Fortpflanzung der weißen Ansiedler
erörtert werden.
Da nach den mittelamerikanischen Ländern schon seit Jahrhunderten
eine ziemlich umfangreiche Einwanderung von Europäern erfolgt ist,
waren in Mittelamerika eher als in den meisten andern tropischen Ge-
bieten hinlängliche Unterlagen zur Beantwortung der Frage zu erwarten,
ob die Seßhaftmachung von Europäern in den Tropen möglich ist und
weiße Familien sich daselbst durch Generationen hindurch zu erhalten
vermögen. Leider werden aber die Ermittlungen dadurch sehr erschwert,
102 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
daß zwischen den die Grundlage der Bevölkerung bildenden 3 Rassen,
Weiße, Indianer und Neger, eine weitgehende Vermischung stattgefunden
hat, so daß sich bei sehr vielen „Weißen“ nicht feststellen läßt, ob sie
wirklich reinblütig sind. Sapper meint, daß nur noch in Costarica ein
beträchtlicher Prozentsatz reinblütiger Weißer vorhanden, in den andern
mittelamerikanischen Staaten aber ihre Zahl außerordentlich gering-
fügig sei. Die aus der Ehe eines Europäers mit einer Einheimischen
hervorgehenden Kinder gehen fast stets in der Landesbevölkerung auf,
ja auch die Kinder reinblütiger Eltern trifft meist dasselbe Schicksal,
wenn sie nicht auf längere Zeit in die Heimat ihrer Eltern zurück-
gebracht werden und sich später wieder mit weißen Gatten verheiraten.
Nur in diesem Sinne darf man an eine generationenlange reine Fort-
pflanzung der Weißen in Mittelamerika denken. Erfolgt eine derartige
Auffrischung nicht, so widersteht keine Nationalität auf die Dauer den
Einwirkungen der Umgebung. Spanier und Italiener sollen schon in
der zweiten, Franzosen und Deutsche in der dritten Generation in der
Regel völlig unter der einheimischen Bevölkerung verschwinden, während
Engländer und Nordamerikaner sich etwas widerstandsfähiger erweisen.
Von wesentlichem Einflusse auf die Akklimatisation der weißen
Rasse in den Tropen ist die Höhenlage, das beweisen auch die in Mittel-
amerika gemachten Erfahrungen. Im mittelamerikanischen Hochlande
können die Weißen sehr wohl körperliche Arbeit im Freien verrichten
und dabei gesund bleiben, auch die Familie lebenskräftig fortpflanzen.
Die weiße Rasse vermag sich hier also, etwa von 1000 m Meereshöhe
an, bei vernünftiger Lebensweise zu akklimatisieren, ja die Männer
könnten dabei ruhig im Tieflande arbeiten, wenn nur Frauen und Kinder
im Hochlande bleiben. In der tropischen Tieflandszone ist eine Akkli-
matisation der weißen Rasse nicht möglich, weil die Kindersterblichkeit
groß und die Geburtsziffer sehr niedrig ist.
Den zweiten Teil des Buches bilden die Untersuchungen Sappers
über die Ansiedlung von Europäern auf den Kleinen Antillen. Diese
Inseln waren im 17. Jahrhundert geradezu Emigrationsgebiete, haupt-
sächlich für die Engländer und Franzosen. Ein sehr hoher Prozentsatz
der damals hier ansässigen Europäer entfiel auf die weißen Kontrakt-
arbeiter der Tabakpflanzungen, und wenn auch in der Leistung von
Feldarbeit unter den vorliegenden klimatischen Verhältnissen der Weiße
es wohl nicht mit dem Neger aufnehmen konnte, so lehrt doch das Bei-
spiel der seit Generationen auf der kleinen Insel Saba ansässigen
Europäer noch heute, daß Feldarbeit dauernd von Weißen auf den
Kleinen Antillen geleistet werden kann, während das auf Trinidad nicht
mehr möglich erscheint. Der starke Rückgang der weißen gegenüber
der farbigen Bevölkerung ist lediglich durch die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse verursacht; der Gesundheitszustand ist im allgemeinen als gut
zu bezeichnen. Günstig wirken der zeitweilige Aufenthalt in kühlerer
Höhenlage und die Erziehung der Kinder in Europa oder Nordamerika;
es sind jedoch zahlreiche Familien vorhanden, die seit Generationen im
tropischen Klima wohnen, ohne daß ihre Mitglieder jemals ein kühleres
Klima aufgesucht haben. Allerdings soll sich bei diesen Kreolen ein
Mangel an Energie und an Unternehmungslust fühlbar machen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 103
Ungünstiger sind die Erfahrungen mit der Ansiedlung Weißer
in Niederländisch-Westindien, worüber im dritten Teile D. van Blom
berichtet. Es trifft das insbesondere für die festländische Kolonie
Niederländisch-Guyana, ein echtes Tropenland mit feucht-heißem Klima,
zu. Hier interessieren zunächst die Nachkommen der portugiesischen
Juden, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Brasilien ein-
wanderten. Diese Juden haben sich zwar in der Kolonie vollständig
akklimatisiertt — von Feldarbeit hielten sie sioh stets fern — aber in-
folge steter Familienheiraten sind bei ihnen schwächlicher Körperbau,
Skrofulose und die sonstigen Merkmale einer verkümmernden Rasse
stark vertreten. Die aus der Vermischung von Juden mit Negerinnen
oder Mulattinnen hervorgehenden Kinder sind bedeutend kräftiger und
gesünder als ihre weißen Halbgeschwister. Sodann besteht in der Um-
gebung von Paramaribo eine Niederlassung holländischer Bauern, deren
Vorfahren in den 1840er Jahren ins Land gekommen sind. Infolge der
anfänglich äußerst ungünstigen Lebensbedingungen blieben damals von
den Einwanderern nur wenige am Leben, die letzteren aber akklimati-
sierten sich und pflanzten sich fort. Schon die erste im Lande selbst
geborene Generation kam den Eltern an Energie und Lebensfrische
nicht mehr gleich, und noch ungünstiger sind die zweite und dritte
Generation beschaffen. Die Hauptschuld daran dürfte auch in diesem
Falle die im tropischen Klima besonders nachteilig wirkende Inzucht
tragen, weniger das Klima an sich.
Im vierten Teile, welcher Niederländisch-Ostindien betrifft, kommt
J. A. Nederburgh zu dem Schlusse, daß eine reine europäische
Kolonisation unter Reinerhaltung der Rasse daselbst nicht möglich sei.
Die gesundheitlichen Verhältnisse sind gut, auf die Dauer aber be-
einflußt das Tropenklima des Tieflandes die geistigen und körperlichen
Kräfte des Europäers in ungünstiger Weise.
Leipzig. A. Golf.
Fischer (Handelsschul-Dir.), Aug., Beiträge zur Entstehungsgeschichte
der ersten Kolonien in Nordamerika, Westindien und Südamerika. (Publi-
kationen der Exportakademie). Wien, Exportakademie des k. k. Handelsmuseums,
1914. gr. 8. 61 SS. M. 0,80.
de Lannoy (prof.), Charles, La colonistique. Définition et methode.
Bruxelles, Hayez, 1913. 25x16,5. 59 pag.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Wohlgemut, Marta, Die Bäuerin in zwei badischen Gemeinden.
Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, Neue
Folge, Heft 20. Karlsruhe i. B. (G. Braunsche Hofbuchdruckerei und
Verlag) 1913. 160 SS. Preis 2,40 M.
Diese feinsinnige Studie ist aus der schönen Verbindung von wissen-
schaftlicher Gründlichkeit und ‚künstlerischer Gestaltungskraft hervor-
gegangen. Eine Frauenarbeit im besten Sinne, kann sie geradezu als
Schulbeispiel dafür angesehen werden, daß manche Stoffe sich der weib-
lichen Untersuchung bereitwilliger fügen als der männlichen, ja, daß
ihre kritische Sonde unter Umständen tiefer reicht als die des Mannes,
weil viele der hier aufgedeckten Interna einem männlichen Forscher
104 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
unbekannt geblieben wären aus dem äußerlichen Grunde des Ge-
schlechtsgegensatzes an sich und dem damit verbundenen innerlichen
einer mangelnden Einfühlungsfähigkeit. Die Verfasserin, die es unter-
nommen hat, monatelang in zwei bäuerlichen Haushaltungen, der Ebene
und des Gebirges, zu leben und darin aufzugehen, führt uns sowohl
die Bäuerin als landwirtschaftliche Produzentin wie als Ehefrau und
Mutter anschaulich vor Augen und liefert so unter anderem einen wert-
vollen Beitrag zu dem noch vielfach vernachlässigten und der Auf-
klärung harrenden Probleme der Konsumtion. Innerhalb ihrer speziellen
Tätigkeitsgebiete ist die Bäuerin in erheblichem Maße selbständig und
verantwortlich; eine „Frauenfrage“ existiert hier nicht: selbst da, wo
der Bauer nach außen das letzte Wort spricht, ist eine genaue Rück-
sprache und Verständigung mit der Bäuerin vorausgegangen. Ihre
landwirtschaftliche Berufstätigkeit ist auf ein Ganzes gerichtet, das
unter ihrer Hand wächst und sich vollendet; sie entspricht in ihrer
Art im allgemeinen den spezifischen Fähigkeiten der Bäuerin als
Frau. Dadurch, daß der Erfolg ihrer Mühen ihrer Familie voll zugute
kommt und ihre Produktion für die Nahrungsmittelversorgung anderer
Stände bedeutsam ist, erwächst ihr das Bewußtsein ihres Wertes für die
Familie und das Volksganze Ein Schlußkapitel beschäftigt sich mit
der zu fordernden Vorbildung der künftigen Bäuerin. Es müssen ent-
sprechend den veränderten Zeitverhältnissen Maßnahmen getroffen
werden, um dem allzu starren Konservatismus vorzubeugen und ratio-
nellere Bewirtschaftungsmethoden einzuführen.
Halle a. S. Auguste Lange.
Hersch, L., Le Juif errant d’aujourd’hui. Études sur l'émigration
des Israslites de l’Europe orientale aux États-Unis de l'Amérique
du Nord. Paris (M. Giard u. E. Brière) 1913. 8°. 331 SS. 6 fres.
broschiert.
Das erste Kapitel stellt den Umfang der jüdischen Auswanderung
dar, die Zusammensetzung und den Beruf der Auswanderer, ein zweites
ist den Ursachen, ein drittes den Wirkungen der Auswanderung ge-
widmet. Die Darstellung bezieht sich erst auf die Zeit nach 1899, der
Zeitraum vorher wird ganz kurz in der Einleitung behandelt. Das
Buch ist mit sehr großem Fleiß und sehr großer Sachkenntnis ge-
schrieben und stellt eine äußerst anerkennenswerte Leistung dar; es
ist jedenfalls das beste, das wir bis heute über diesen Gegenstand be-
sitzen. Um welch’ wichtiges Problem es sich dabei handelt, geht schon
rein äußerlich daraus hervor, daß in der Periode von 1899—1910
mehr als 1 Mill. Juden nach den Vereinigten Staaten — der Wanderung
dorthin ist das Buch speziell gewidmet — ausgewandert sind, daß in
diesem Zeitraum 11,2 Proz. der gesamten Einwanderung aus Juden
bestanden haben. Von der russischen Auswanderung dorthin macht in
dem gleichen Zeitraum ihr Anteil durchschnittlich jährlich 43,8 Proz.
aus, um in einzelnen Jahren auf die Hälfte und mehr zu steigen. Ganz
eingehend untersucht werden, Geschlecht, Alter, Familienstand und
Bildungsgrad der Auswanderer; den Berufsverhältnissen derselben, denen
der Verf. zur Erklärung dieser gewaltigen und eigenartigen Auswande-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 105
rung eine besondere Bedeutung beimißt, ist er ganz besonders gründlich
nachgegangen. j
Die Frage, welche Bedeutung diese Wanderbewegung in ökonomi-
scher und sozialer Beziehung für die Aus- und Einwanderungsgebiete
hat, hat der Verf. nicht erörtert. Wenngleich dies in voller Absicht
geschehen ist, muß man dies doch mit einem gewissen Bedauern kon-
statieren, da es sich gerade hierbei um ganz besonders interessante und
bedeutsame Probleme handelt.
Freiburg i. Br. Mombert.
Altrock (Gen.-Sekr.), Dr. Walther v., Der landwirtschaftliche Kredit
in Preußen. I. Die ostpreußische Landschaft. Mit einer Einführung von (Wirkl.
Geh. Rat) Dr. Graf v. Schwerin-Löwitz. (Veröffentlichung des Kgl. Preuß.
Landes-Oekonomie-Kollegiums. Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Dr. v. Altrock. Heft 15.)
Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. XVI—219 SS. M. 6.—.
Eliaschewitsch, Dr. Alex, Die Bewegung zugunsten der kleinen
landwirtschaftlichen Güter in England. Ein Beitrag zur Geschichte des Unter-
gangs der kleinen englischen Landwirte und der Bewegungen für die innere
Kolonisation. München, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. IV—366 SS. M. 9.—.
Erzeugnisse, Milchwirtschaftliche. Hrsg. v. Arnold u. Sering. IV. Teil.
Die Milchversorgung in Württemberg, von (Ob.-Finanzrat) Dr. Otto Trüdinger.
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 140. Bd. IV. Teil.) München u. Leipzig,
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. 127 SS. M. 3,60.
Friedensburg (Bergassessor), Dr. F., Die für den preußischen Berg-
bau geltenden Bestimmungen über die Sonntagsruhe und über die Beschäfti-
gung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern. Unter Benutzung der Akten
des kgl. Oberbergamts zu Breslau zusammengestellt. Kattowitz O.-S., Gebr.
Böhm, 1914. kl. 8. VI—73 SS. M. 1,25.
Heise (Bergsch.-Dir.), F., u. F. Herbst, Proff., Kurzer Leitfaden
der Bergbaukunde. Berlin, Julius Springer, 1914. 8. XII, 247 SS. mit 33+ Fig.
M. 6.—.
Köbrich (Bergrat), C., Der Bergbau des Großherzogtums Hessen. Kurze
Uebersicht über geschichtliche Entwicklung und gegenwärtigen Stand des Berg-,
Hütten- und Salinenwesens, vornehmlich in der Provinz Oberhessen. Unter Be-
nutzung amtlichen Materials zusammengestellt. Darmstadt, Großh. hess. Staats-
verlag, 1914. kl. 8. 101 88. mit 29 Abbildungen und 2 (l farb., l eingedr.)
Karten. M. 1.—.
Oertzen, Karl Bernh. v, Wie erhalten wir unseren Bauernstand?
Und wie befreien wir uns von den Wanderarbeitern? Bisherige Ergebnisse der
Studienkommission für Erhaltung des Bauernstandes für Kleinsiedlung und Land-
arbeit. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. 40 SS. M. 1,20.
Preyer, W. D., Die russische Agrarreform. Jena, Gustav Fischer, 1914.
gr. 8. XIV, 415 SS. mit 10 lith. Plänen. M. 18.—.
Preisbewegung landwirtschaftlicher Güter in einigen Teilen Bayerns
während der Jahre 1900—1910. Mit Beiträgen von Mich. Horlacher, Frz. Hörenz,
Jörgen Hansen und V. J. Fröhlich und einer Einleitung von Lujo Brentano.
I. Teil. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 148. Bd., V. Teil.) München u.
Leipzig. Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XXII, 711 SS. mit 1 fark. Karte und
1 farb. Kurventafel. M. 18.—.
Serban, Dr. Mich., Rumäniens Agrarverhältnisse. Wirtschafts- und
sozialpolitische Untersuchungen. Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. IV—140 SS.
M. 5.—.
Strohmeyer (Reg.- u. Oekon.-Rat), C., Die Berechung des Wertes,
des Grund und Bodens und der Nebenentschädigungen bei Enteignungen land-
wirtschaftlich genutzten Geländes. Sondershausen, Fr. Aug. Eupel, 1914. gr. 8.
VI—55 Sp M. 2,50.
Thieringer (Stabsveter.), H., Das Veterinärwesen einschließlich einiger
verwandter Gebiete in Serbien. Nach Berichten des kaiserl. deutschen Kon-
sulats für Serbien in Belgrad und nach anderen Quellen bearb. — Hall,
106 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dr., Das Veterinärwesen einschließlich einiger verwandter Gebiete in Nor-
wegen. Nach Berichten des kaiserl. Generalkonsulats in Kristiania und nach
anderen Quellen bearb. Berlin, Julius Springer, 1914. Lex.-8. 92 SS. M. 4,40.
Crédit (Le) agricole, II: Credit collectif en faveur des sociétés coopera-
tives de production et de vente des syndicats agricoles et des sociétés d'assurances
mutuelles contre les risques agricoles. Formalités de constitution et fonctionne-
ment des sociétés coopératives. Résultats obtenus. Paris, Impr. nationale, 1914.
8. 124 pag (Ministère de l'agriculture. Service du crédit de la coopération et
de la mutualité agricoles).
Le régime forestier aux colonies. Bruxelles, Institut colonial inter-
national. 1914 3 vol., 23,5 X 15,5. 552, 518 et 506 pag. fr. 60.
Roule, L., Traité raisonné de la pisciculture et des pêches. Paris,
J. B. Bailliere et fils, 1914. 8. VIII—734 pag. avec. fig.
Vermant, Robert et Charles De Zuttere. Enquête sur la pêche
maritime en Belgique. Deuxième partie: Étude sociale de la pêche maritime.
Bruxelles, J. Lebègue et Cie., 1914. 25X 16,5. figg., pll. XII—596 pag. fr. 4,50.
Aronson, Hugh., The land and the labourer. London, A. Melrose.
Cr. 8. 304 pp. 3/.6.
Bailey, L. H., The standard cyclopaedia of horticulture. Vol. 1. London,
Macmillan. 4. 25/.—.
Buck, Solon Justus, The grange movement. A study of agricultural
organization and its political, economic and social manifestations. London, H.
Milford. 8. 396 pp. 8/.6.
Macdonald, William, Makers of modern agriculture. London, Mac-
millan. Cr. 8. 94 pp. 2/.6.
5. Gewerbe und Industrie.
Misselwitz, Alfred, Die Entwicklung des Gewerbes in Halle
a./S. während des 19. Jahrhunderts. (68. Band der „Sammlung na-
tionalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissen-
schaftlichen Seminars zu Halle a./S., herausgeg. von Dr. Joh. Conrad.)
Jena (Gustay Fischer) 1913. 125 SS.
Bei der geringen Zahl bisher angestellter Untersuchungen über die
gewerbliche Entwicklung der einzelnen Städte ist die vorliegende Ar-
beit, dio es sich zum Ziele setzt, im Rahmen der Geschichte des preu-
Bisch-deutschen Gewerbes eine zusammenhängende Uebersicht über die
besonderen gewerblichen Verhältnisse der Stadt Halle a./S. zu geben,
von vornherein dankbar zu begrüßen. Ist doch Halle eine der Städte,
bei denen sich im Laufe von 100 Jahren die völlige Umwandlung aus
einer wirtschaftlich nicht hervorragenden Provinzialstadt in einen an-
sehnlichen Mittelpunkt des Gewerbes, des Handels und Verkehrs be-
sonders augenfällig zeigt. Noch 1803 bildeten Universität und Schulen,
die den Ruhm Halles begründet hatten, die Haupterwerbsquellen der
Stadt; Kleinbetriebe gab es etwa 1500, Fabriken so gut wie gar nicht:
Nur vier gewerbliche Unternehmen ließen sich nach heutigen Begriffen
als solche bezeichnen. Auf der anderen Seite die Zahlen der gewerbe-
statistischen Erhebung von 1907: 4592 überwiegend großbetriebliche
Gewerbeunternehmen mit 31266 Tätigen. Die Grundlagen dieses wirt-
schaftlichen Aufschwunges sieht der Verfasser — und der Kenner der
tatsächlichen Verhältnisse muß ihm darin beistimmen — in drei Um-
ständen: in der Ausbeutung und Verwertung der zahlreichen und
mächtigen Braunkohlenlager vor den Toren der Stadt, in der Her-
stellung des Zuckers aus Rüben und dem damit in Verbindung zu
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 107
setzenden Aufblühen der Landwirtschaft der Hallischen Umgebung,
und in der Umwandlung der großen mitteldeutschen, in Halle zu-
sammentreffenden Landstraßenzüge in Eisenbahnen.
Der Verfasser zeigt im ersten Hauptteil seiner Arbeit, in dem er
die Entwicklung des Hallischen Gewerbes während des 19. Jahrhunderts
im allgemeinen schildert, wie sich diese Entwicklung in mannig-
faltigem Auf und Ab, im ganzen aber nach vier großen, deutlich
zu scheidenden Zeitabschnitten vollzieht: 1800—1806 als Zeit des
tiefsten Verfalles des Gewerbes, 1816—1846 als Zeit der Wiederge-
sundung und Erstarkung, 1846—1870 als Zeit des verhältnismäßigen
Stillstandes, und schließlich die Jahre 1870—1907 als die Jahre des
gewaltigen Aufschwunges. Der Verfasser stützt hierbei seine Aus-
führunger auf die statistischen Unterlagen, wie sie die Erhebungen
Preußens bzw. des Deutschen Reiches in den Jahren 1816, 1828, 1837,
1846, 1855, 1861, 1875, 1882, 1895, 1907 bieten und gelangt auf
diese Weise zu völlig einwandfreien Ergebnissen. Mit Recht weist
der Verfasser in seiner Schilderung überall darauf hin, wie bei einer
Stadt von der geographischen Lage Halles die Fortbildung der Ver-
kehrsverhältnisse durch den allmählichen Ausbau des Eisenbahnnetzes
und der ‘Wasserwege, hier der Saale, eine mitwirkende Ursache der
gewerblichen Entwicklung werden mußte. Indessen warnt der Verfasser
davor, diesen Maßnahmen eine allzu große Bedeutung beizumessen. Als
treibende Kräfte sieht er vielmehr: die fortschreitende Arbeitsteilung,
die zunehmende Bedarfserhöhung infolge des großstädtischen Bevölke-
rungsanwachsens und den Uebergang zur Massenherstellung.
Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung des
Hallischen Gewerbes im besonderen, d. h. mit den für die Stadt
wichtigsten und kennzeichnendsten Gewerben des Handwerks und der
Großindustrie. Bei letzterer werden neben der alteingesessenen Salz-
gewinnung und der ebenfalls alten, blühenden Brauerei noch die neu
hinzugetretenen Zweige der Stärkefabrikation, der Zuckerindustrie, der
Maschinenindustrie, der Papierfabrikation und der Buchdruckerei als
besondere großindustrielle Erwerbsquellen behandelt. Wenn hierbei
auch die einzelnen Industrien etwas kurz behandelt werden —, so hätte
insbesondere das wirtschaftliche Schicksal der Hallischen Salzgewinnungs-
industrie, der „Pfännerschaft‘‘, nach seinen Ursachen eingehender ge-
schildert werden können — sie ist wohl fortgelassen, da sie anderweitig
eine eingehende Behandlung erfahren hat —, so muß doch anerkannt
werden, daB die Darstellung des Verfassers einen guten Ueberblick über
den jeweiligen Umfang und das Fortschreiten des Hallischen Ge-
werbes während des verflossenen Jahrhunderts bietet.
Halle. Dr. phil. Kurt Krüger.
Norton, Thomas H., Die chemische Industrie in Belgien, Hol-
land, Norwegen und Schweden. Ins Deutsche übertragen und ergänzt
von H. Großmann. Braunschweig (Friedrich Vieweg u. Sohn) 1914.
112 SS.
Das Heft bietet die freie Uebersetzung eines amerikanischen Kon-
sularberichtes, den Großmann insbesondere durch eingehende Angaben
108 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
über den Außenhandel in Rohstoffen und Produkten der chemischen In-
dustrie zwischen Deutschland und den im Titel genannten vier Nachbar-
ländern ergänzt hat. Wenn der Bericht seinem praktischen Zwecke
gemäß viele wichtige wirtschaftliche Fragen auch nur kurz streift,
so ist es doch zu begrüßen, daß er durch die vorliegende Ausgabe all-
gemein zugänglich gemacht ist. Mit Recht bemerkt der Herausgeber
in seinem Vorwort: „Es wäre außerordentlich wünschenswert, wenn
die kleine Schrift mit dazu Veranlassung geben würde, den Stand und
die Entwicklung der chemischen Industrie in den verschiedenen Kultur-
ländern eingehender zu untersuchen, denn bisher sind gerade die allge-
meinen Kenntnisse über die chemische Industrie in den meisten Ländern,
mit Ausnahme von Deutschland, noch recht lückenhafte.“ Derartige
eingehendere Darstellungen wären in der Tat sehr erwünscht, da die
chemische Industrie eine ganze Reihe eigenartiger und interessanter
wirtschaftlicher Probleme bietet.
Aachen. Richard Passow.
Bauer, Dr. Friedr., Das Wollgewerbe in Eßlingen bis zum Ende des 17.
Jahrhunderts. (Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, hrsg. von
Georg v. Below, Heinr. Finke, Friedr. Meineke. 55. Heft.) Berlin-Wilmersdorf,
Dr. Walther Rothschild, 1914. gr. 8. VII—164 SS. M. 5.—.
Ebert (Dir.), Ernst, Zur Gesellen- und Meisterprüfung. Ein Ratgeber
für das deutsche Handwerk und seinen Nachwuchs. 3. erweit. Aufl. Meißen, H.
W. Schlimpert, 1914. 8. VIII—432 SS. M. 3.—.
Fischer, Karl R., Von der Glasindustrie im Isergebirge. Prag, Verlag
„Deutsche Arbeit“, 1914. Lex.-8. 13 SS. mit 5 Tafeln. M. 1,20.
Hardenberg, R., Industrie, Handel und Gewerbe. Handbuch für jeder-
mann, mit Illustrationen. Bochum, H. Potthoff, 1913. gr. 8. 317 SS. M. 7,50.
Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten im Königreich Württem-
berg für 1913. Nebst: Schott (Finanzrat), Dr. A., Zahl und Arbeitszeit der
gewerblichen Arbeiter in Württemberg im Herbst 1912. (Aus: „Württemb.
Jahrbuch für Statistik und Landeskunde‘“.) Stuttgart, H. Lindemann, 1914. Lex.-8.
S. 728—761. M. 2.—.
Jahresberichte, Die, der Königl. bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten,
dann der Königl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1913. Im Auftrage des
Königl. Staatsministeriums, des Königl. Hauses und des Aeußeren veröffentlicht.
München, Theodor Ackermann, 1914. gr. 8. LXII—386 SS. M. 6,20.
Stenglewski, Alb., Geschichte der Bäckerinnung zu Cöpenick. Zum
300-jährigen Jubiläum der Innung bearbeitet. Cöpenick, Richard Schön, 1914.
Lex.-8. 104 SS. mit 5 Tafeln.
Enquête sur le travail à domicile dans l'industrie de la chaussure. Paris,
Impr. nationale, 1914. 8. X—553 pag. (Ministère du travail et de la prévoyance
sociale. Office du travail).
Joran, Raymond, L'organisation syndicale dans l’industrie du bâti-
ment. Paris, Arthur Savatte, 1914. 8. 240 pag.
Liffmann, (prof.) Robert, Cartells et Trusts. Evolution de l'organi-
sation économique. Traduit d'après la deuxième édition allemande par Savinien
Bouyssy Paris, M. Giard et E. Brière, 1914. 8. fr, 5.—.
Vigneron, H., La science et l'industrie en 1913. Préface du docteur
François Helme. Paris, L. Geisler, 1914. 8. 223 pag. avec 77 fig.
National guilds, An inquiry into the wage system and the way out.
Edited by A. R. Orage. London, Bell. Cr. 8. 378 pp. Biz
Corsanego, Cam., L'industria ferroviaria in Italia. Roma, tip. Unione
ed., 1914. 8. 43 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 109
6. Handel und Verkehr.
Haaß, Friedrich, Weltpostverein und Einheitsporto (Welt-
Pennyporto). Stuttgart (W. Kohlhammer) 1913. 8—XI, 174 SS. 3M.
Im Rahmen des Weltpostvereins, dessen höchstes Ziel es stets ge-
wesen ist, Einheitlichkeit und Einfachheit neben tunlichster Billigkeit
in die Gebührentarife und die Verwaltungsvorschriften über die tech-
nische Behandlung der Postsendungen zu bringen, haben sich während
des letzten Jahrzehnts eine Reihe engerer Vereinigungen gebildet, um
an Stelle des bisher unerreichbaren Welteinheitsportos ermäßigte Brief-
portosätze innerhalb ihres Vereinsgebiets herbeizuführen. Während die
Fachliteratur sowie berufene Vertreter aus Handel und Industrie dieser
Entwicklung überwiegend sympathisch gegenüberstehen, vertritt der
Verfasser auf Grund langjähriger praktischer Erfahrungen mit Ueber-
zeugung den Standpunkt, daß eine gesunde Entwicklung des inter-
nationalen Briefposttarifs nur im Wege der baldigen Einführung eines
von allen Sonderbestimmungen freien, d. h. ausnahmslos geltenden Welt-
einheitsportos zu erreichen ist. Die Durchführbarkeit dieser Maß-
nahmen zu beweisen und die dagegen erhobenen finanzpolitischen Be-
denken zu entkräften, ist der Zweck der lehrreichen Arbeit, die im
Hinblick auf den 1914 in Madrid zusammentretenden siebenten Welt-
postvereinskongreß besondere Beachtung verdient.
Nach einer eingehenden Darstellung der geschichtlichen Entwick-
lung des Weltpostvereins, seiner Grundlagen und aller bisherigen, auf
Vereinigung oder Ermäßigung des internationalen Briefportos gerich-
teten Bestrebungen in den beiden ersten Teilen der Arbeit, die durch 4
übersichtliche Tabellen wertvoll ergänzt werden, ‚begründet der Verfasser
im dritten Teil unter kritischer Beleuchtung der einschlägigen Literatur
ausführlich die Forderung baldiger Einführung des Welteinheitsportos.
Er verkennt hierbei nicht, daß mit dem dann zu erwartenden Verkehrs-
zuwachs auch eine Steigerung des allgemeinen Betriebsaufwands, ins-
besondere der Personalkosten, eintreten muß; dieser Mehraufwand kann
aber die glänzenden Postfinanzen der meisten Vereinsstaaten kaum merk-
lich schädigen, weil der Auslandsbriefverkehr allenthalben nur einen
kleinen Bruchteil des gesamten Briefverkehrs ausmacht. Die bei Ein-
führung des Welteinheitsportos endgültig zu beseitigenden Landtransit-
gebühren werden, wie der Verfasser zahlenmäßig belegt, reichlich auf-
gewogen durch unverdiente Ueberschüsse der besonders interessierten
Binnenstaaten aus dem Mehr der abgehenden gegenüber den ankommen-
den frankierten Briefen und aus dem Mehr der ankommenden unfran-
kierten Briefe gegenüber den unfrankiert abgesandten. Die gleichfalls
zu beseitigenden oder aus anderen Quellen zu bestreitenden Seetransit-
gebühren für Briefsäcke der Ueberseeposten sind im Vergleich zu den
Seefrachtsätzen des Warenverkehrs ungebührlich hoch und sollten durch
angemessenen Druck auf die Schiffahrtsgesellschaften wenigstens ent-
sprechenä ermäßigt werden. Mit besonderem Nachdruck weist der
Verfasser endlich an der Hand sorgsamer Rentabilitätsberechnungen
darauf hin, daß der allerwärts monopolisierte Briefpostdienst einen
110 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
"Nettogewinn von mehr als 200 Proz. ergibt, der unter Kürzung des
sonst beträchtlich höheren Ueberschusses der Postverwaltungen jetzt
teilweise zur Unterhaltung unrentabler Dienstzweige (Paketverkehr,
Postzeitungsdienst, Telegraphie) verwendet wird, aber in Verbindung
mit einer Reform der für diese Dienstzweige geltenden Gebührentarife
unbedenklich für die der Allgemeinheit nicht minder nützliche Herab-
setzung der Portosätze im internationalen Briefverkehr herangezogen
werden könnte. Ob und inwieweit die gesetzgebenden Körperschaften
so einschneidenden Tarifumwälzungen zustimmen würden, bliebe aller-
dings abzuwarten. Erwin Günther.
Feiler (Red.), Arth., Die Konjunkturperiode 1907—1913 in Deutsch-
land. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. X—204 SS. M. 5.—.
Pilder, Dr. Hans, Die russisch-amerikanische Handelskompagnie bis
1825. (Osteuropäische Forschungen. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft zum
Studium Rußlands, hrsg. von Otto Hoetzsch, Otto Anhagen und Erich Bernecker.
Heft 3.) Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8. VII—175 SS. M. 4,80.
Pries, Dr. Alex., Der schwedische Zoll in Warnemünde in den Jahren
1632—1654, insbesondere im westfälischen Frieden. Wismar, Hinstorff, 1914.
8. XI—105 SS. M 2.—.
Schuon, Dr. Herm., Der deutsch-nationale Handlungsgehilfenverband zu
Hamburg. Sein Werdegang und seine Arbeit. (Abhandlungen des staatswissen-
schaftlichen Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. J. Pierstorff. 13. Bd. Heft3.)
Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. VIII—249 SS. M. 3,50.
Sendelbach, Ernst, Ratgeber für den Zollverkehr von und nach dem
Auslande. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute, bearbeitet nach den
Gesetzen, Ausführungsvorschriften und der Praxis. Charlottenburg, E. Frommer
u. Co., 1914. gr. 8. 224 SS. M. 3,50.
Lefèvre, Edmond, Le commerce et l'industrie de la plume pour parure.
Paris, J. Dumans. Grand-in 8. 368—XIV pag. avec gravures et tableau.
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aid: Harry N., Boycotts and the labour struggle. London, Lane.
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Monkswell, Rob. Alf. Hardcastle Collier, Lord, The rail-
ways of Great Britain. New York, Dutton. 8. 10+303 pp. $2.—.
Gentilli, dott. Nino, Il Marocco ed il suo commercio. Venezia, tip.
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edizione, rifatta ed ampliata. Milano, U. Hoepli (R. Romitelli e C.), 1913. 8.
XI—450 pp. 1. 7,50,
7. Finanzwesen.
Boehme (vortr. Rat), Dr. Georg, Sächsisches Kirchensteuergesetz und
Schulsteuergesetz vom 18. Juli 1913, sowie Kirchengesetz, den Haushalt der
evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden betr., vom 10. Juli 1913. Handausgabe
mit den zugehörigen Bestimmungen und Erläuterungen. (Juristische Handbiblio-
thek. Hrsg.: Oberlandesgerichts-Senatspräs.. Max Hallbauer und Ministerialdir.
Geh. Rat Dr W. Schelcher. 436 Bd.) Leipzig, Arthur Roßberg, 1914. kl. 8. XIII—
345 SS. M. 6,80.
Gemünd, Prof. Dr. Wilh., Die Kommunen als Grundbesitzerinnen. (Fi-
nanzwirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Proff. Drs. Reichsrat Georg v. Schanz
und Geh. Reg.-Rat Jul. Wolf. Heft 12.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1914. Lex.-8.
51 88. M. 1,80.
Gruber (Sparkassendir.), E., Sparkassengesetz für Elsaß-Lothringen vom
23. August 1912 mit Ausführungsbestimmungen und Erläuterungen. 2. Auflage.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 111
Straßburg, Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co.,
1914. 8. 102 SS. M. 2,50.
Koch (vortr. Rat), Dr. Walter, Gemeindesteuergesetz für das Königreich
Sachsen vom 11. Juli 1913. Handausgabe mit den zugehörigen Bestimmungen und
Erläuterungen. 2. Bd. enthaltend das Gesetz, nebst ausführlichen Erläuterungen
der einzelnen Paragraphen, sowie einem Sachregister zu beiden Bänden. (Jurist.
Handbibliothek, hrsg. von Oberlandesgerichts-Senatspräs. Max Hallbauer und
Ministerialdir. Geh. Rat Dr. W. Schelcher. 429. Bd.) Leipzig, Arthur Roßberg,
1914. kl. 8. V—277 SS. M.5.—.
Konrad, Heinr., Kurzgefaßter Grundriß des österreichischen Finanz-
rechts. (2. nach dem neuesten Stande der Gesetzgebung, insbesondere durch die
Personal- und Branntweinsteuernovelle vom Jahre 1914 ergänzte Auflage.) Wien,
Manz, 1914. gr.8. V—110 SS. M. 2,40.
Laue, B., Die Staatseinkommensteuer. Rechtsprechung des Kgl. preuß.
Ober-Verwaltungsgerichts. 5. umgearb. und ergänzte Aufl. Berlin-Wilmersdorf,
Veritas-Verlag, 1914. 8. VII—533 SS. M. 12.—.
Liebers, Dr. Adolf, Die Finanzen der Städte im Königreich Sachsen.
(Deutsches statist. Zentralblatt. Ergänzungshefte. Heft 5.) Leipzig, B. G. Teub-
ner, 1914. gr. 8. VIII—176 SS. M. 6.—.
Pensch (Ministerialrat), Dr. Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896 betr.
die direkten Personalsteuern samt den Nachtragsgesetzen, den Vollzugsvorschriften
und sonstigen einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung
der Gesetzesmaterialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshof-Judikatur er-
läutert und mit einem Inhaltsverzeichnisse, sowie einem alphabetischen General-
Sachregister versehen. Unter Mitwirkung des (Ministerial-Vizesekr.) Franz Jaros
herausgegeben. 4. vollständig umgearb. Aufl. 1. Liefg. Wien, Moritz Perles, 1914.
Ka S. 1—80. M.1.—.
Rausch, Prof. Dr. Karl, Finanzielle und wirtschaftliche Kriegsrüstung,
Vorschläge zur Sicherung eines geregelten Staats- und Wirtschaftslebens in
Kriegszeiten. Wien, Wilhelm Braumüller, 1914. 8. 54 SS. M. 0,80.
Evesque, M., Les finances de guerre au XXe siècle. Préface de A. E.
Sayons. Paris, F. Alcan, 1914. Grand in-8. XI—707 pag. fr. 12,50.
Seguin, J., Les emprunts contractés par la France, à loccasion de la
guerre de 1870 (thèse). Paris, A. Rousseau, 1914. 8. 200 pag.
Seligman (profi, Edwin R. A., Essais sur l'impôt. Traduction fran-
çaise d’après la Be édition américaine, par Louis Suret. T. ler: Evolution de
l'impôt; l’impöt général sur la propriété; limpôt unique; la double imposition;
l'impôt sur les successions; l'imposition des sociétés. Paris, M. Giard et E. Brière,
1914. 8. VIII—521 pag,
Bryan, W. B., A history of the national capital. Vol. 1. 1790—1814.
London, Macmillan. 8. 21/.—.
Mallet, Bernard, British budgets, 1887—88 to 1912—13. New York,
Macmillan. 12. 11+469 pp. $ 1,10.
Baumhauer, P. M. v., Beginselen der staatshuishoudkunde. Handleiding
naar de aantekeningen, ten gebruike bij de lessen. Bewerkt door J. A. Eiglman.
6e herz. druk. ’s-Gravenhage, G. Delwel. gr. 8. 4 en 194 blz. fl. 1,50.
Treub, M. W. F., Hoofdstukken uit de geschiedenis der staatshuishoudkunde.
3e, veel verm. druk. Haarlem, H. D. Tjeenk Willink en Zoon. gr.8. 8 en
232 blz. fl. 2,50.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Elewyck, Ernest van, La Banque Nationale de Belgique. Les
Théories et les Faits. 2 Teile. 380 u. 412 SS. Brüssel (Libraire
Falk Fils) 1913. 15 frcs.
Die wertvollsten bisherigen belgischen Beiträge zur Untersuchung
des belgischen Bankwesens sind von sozialistischer Seite gekommen. Das
breitangelegte Werk, das jetzt der Präsident der Brüsseler Handels-
112 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
kammer und der frühere Präsident des Tribunal de Commerce veröffent-
licht hat, hat deshalb nicht nur den Zweck, eine monographische Dar-
stellung der belgischen Nationalbank zu sein, sondern will gleichzeitig
eine — in politischer Hinsicht liberale — Verteidigung der Nationalbank
gegen die sozialistischen Kritiker geben. Das Buch bekommt durch
diesen polemischen Charakter vielleicht auch ein allgemeineres In-
teresse, indem verschiedene prinzipielle Gegensätze mehr oder weni-
ger stark hervortreten, wobei der Verf. allerdings mehr die sozia-
listischen Grundprinzipien zu bekämpfen versucht, weniger die liberalen
Prinzipien begründet, woraus er ein liberales bankpolitisches System
hätte ableiten können.
Eine Darstellung des gesamten umfangreichen Inhaltes des Buches
würde hier wenig nützen, da ein solcher Versuch vielen sehr gründlich
behandelten Problemen doch nicht gerecht werden könnte. Ich ziehe
deshalb vor, als Beispiel der Darstellungsart des Verf. ein Problem
herauszugreifen, das gleichzeitig allgemeines Interesse beanspruchen
darf: die allgemeine Lage des belgischen Geldmarktes.
Die belgischen Privatbanken beschäftigen sich wie die deutschen
gleichzeitig mit Diskontierung, Reportgeschäften, Emissionen industri-
eller Werte, Beteiligungen usw. In den letzten Jahren fangen die bel-
gischen Filialen ausländischer Banken an, eine immer größere Rolle
zu spielen, sie legen dabei besonderen Wert auf Wechseldiskontierung.
Rediskontierung der ausländischen Banken an die Nationalbank kommt
sehr selten vor, obwohl die Nationalbank natürlich im Falle einer Krisis
auch von seiten der ausländischen Banken sich auf eine starke Inan-
spruchnahme vorbereiten muß. Diese Konkurrenz der ausländischen
Banken macht sich in Brüssel ganz besonders fühlbar, wie aus einer
Statistik über die prozentuale Verteilung des Diskontmaterials der
Nationalbank hervorgeht.
Brüssel Antwerpen Provinz
1901—1905 40 2I 39
1906—1910 31 32 37
Dagegen rediskontieren die belgischen Banken in recht großem Um-
fange und verhältnismäßig schnell nach der ursprünglichen Diskon-
tierung, wodurch die durchschnittliche Laufzeit des Portefeuilles der
Nationalbank ungefähr doppelt so groß wie diejenige der Bank von
Frankreich wird. Ueber die prozentuale Verteilung der verschiedenen
Geschäftszweige unterrichtet folgende Statistik:
Diskontie- |Lombards Eisch d Konto-
rung bel- und Depöts | Einkas- | Devisen "Geld und korrentdes
gischer Rem- |(Umsätze) | sierung |(Umsätze) Edel- Crédit
Wechsel bourse metall Communal
29,58 — 0,96 E
25,77 0,03 0,92
In der Statistik fällt der große Umsatz in Devisen besonders
auf. Es war in den politischen Wirren um das Jahr 1870, als die
1906—10
1911
49,66
45,56
11,54
18,57
6,86 1,90
7,16 1,99
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 113
belgische Nationalbank zu umfangreicher Devisenpolitik geführt wurde.
Nach den Bestimmungen für die Notenausgabe muß u. a. die zirku-
liernde Notenmenge repräsentiert sein durch valeurs facilements reali-
sables, worunter seit 1878 auch die Devisen gerechnet werden dürfen.
Durch die Devisenpolitik ist es der Bank möglich geworden, einen ver-
hältnismäßig niedrigen Diskont aufrecht zu erhalten. Ueber die neueste
Entwicklung ist der Verf. allerdings etwas pessimistisch (I, 316/7): „Le
rôle grandissant qu’elles (les réserves en devises) jouent au dehors en-
lève à notre portefeuille étranger cette belle liberté d’allures qu’il
avait autrefois, lorsque la Banque Nationale était presque seule à sen
servir pour économiser de lor, le retenir ou le ramener. Le jeu est
devenu plus difficile et moins sûr.“ Durch die immer größere Beteili-
gung Belgiens am internationalen Verkehr geriet die belgische Natio-
nalbank in immer größere Abhängigkeit von den Diskontsätzen der deut-
schen und englischen Schwesterinstitute. Gegenüber England und
Deutschland hat Belgien mit Ausnahme von den letzten Jahren dauernd
aktive Zahlungsbilanz gehabt, was als Gegengewicht gegen die regel-
mäßige Passivität gegenüber Frankreich dienen muß. Mit Rücksicht
auf den französischen Diskontsatz ist deshalb der Hauptgesichtspunkt
nur die Edelmetallausfuhr verhindern zu können. Ebenso wie Frank-
reich gehört ja Belgien zur lateinischen Münzunion, deshalb können
die Schwankungen in den Wechselkursen auf Paris nicht so groß sein,
da die Umprägungskosten und ein Teil von den Zinsverlusten für die Ar-
bitrage nicht in Betracht kommen. Aber im Unterschied zu Frankreich
hat Belgien keine Goldprämie, wodurch in Paris der Goldexportpunkt
erhöht wird. Darum sind die Versendungskosten Brüssel-Paris kleiner
als Paris-Brüssel, und es besteht die leichte Spekulationsmöglichkeit,
Gold aus dem freien Verkehr in Belgien nach Frankreich zu führen, wo
es besser bezahlt wird. Der regelmäßig hohe Stand der Pariser Devisen
in Brüssel ist nicht nur eine Folge dieser für Belgien ungünstigen Ver-
schiedenartigkeit der Währungsverhältnisse, sondern wird auch dadurch
bedingt, daß die bedeutende belgische Kapitalausfuhr durchweg über
Paris geht; außerdem halten französische Kapitalisten regelmäßig grö-
Bere Guthaben bei belgischen Banken, deren Zinsen auch zur Passivität
der Zahlungsbilanz gegenüber Frankreich beiträgt.
Was schließlich den bargeldlosen Verkehr betrifft, so fällt von dem
Ueberweisungsverkehr der Nationalbank 50 Proz. auf Antwerpen, 40
Proz. auf Brüssel und 10 Proz. auf die Provinz. Dieser Verkehr ist
zwar in den letzten Jahren vorwärts gegangen, aber „l’&ducation comp-
tabiliste du public belge est à faire (II, 46). —
Dies nur als Beispiel der Darstellungsart des Verf. — hier zusam-
mengestellt aus verschiedenen Teilen des ganzen Werkes.
Welchen Kreis von Problemen der Verf. im übrigen behandelt,
wird man aus den Kapitelüberschriften am besten ersehen können:
I. Die Société Générale vor 1850. Erste Organisationsversuche des
Kredits in Belgien.
II. Ursprung der Nationalbank.
III. Filialen. `
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 8
114 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
IV. Kapital der Nationalbank.
V. Reserve, Aktien und Aktionäre.
VI. Privileg.
VII.—VIII. Notenausgabe.
IX. Die metallische Kasse.
X. Die Kasse und das Devisenportefeuille.
XI. Kontokorrent, Depositen und Abrechnungsverkehr.
XII. Diskontierung.
XIII. Diskontsatz.
XIV. Beleihung öffentlicher Sicherheiten. Edelmetallgeschäfte. De-
pöts. Einkassierung.
XV. Improduktive Geschäfte.
XVI. Produktive und improduktive Geschäfte. Einkünfte u. Ausgaben.
XVII. Abgaben an den Staat. k
XVIII. Staatsbank, Verrechnungssystem, freie Notenbanken.
Der Verf. behandelt in jedem Kapitel zuerst die wichtigeren Daten
aus der historischen Entwicklung und dann die an diese Fragen an-
knüpfenden theoretischen Probleme, gewiß eine sehr glückliche Kom-
binierung, wenn diese Kombinierung nur nicht den Charakter des
Kompromisses bekommt, wo weder die eine noch die andere Hälfte
ganz zu ihrem Rechte kommt. Aber der Verf. ist wohl dieser Gefahr
nicht ganz entgangen. So wird der Historiker, der die Antwort auf
die Frage sucht, welche Rolle die Nationalbank in der Entwicklung der
belgischen Volkswirtschaft gespielt hat, manchmal kaum eine gründliche
Antwort finden können, besonders über die 1880er und 1890er Jahre sind
die Angaben sehr knapp. Ebenso wird der Theoretiker manchmal ein
konsequent aufgebautes System vermissen. Nur so, daß der Verf. zu keinem
ganz klaren System gekommen ist, kann man es erklären, daß bei einer
berühmten Streitfrage, worauf er auch selbst für seine praktischen Schluß-
folgerungen großen Wert legt, ihm das Malheur passiert, an zwei ver-
schiedenen Stellen einander ganz widersprechende Antworten zu geben.
So erklärt der Verf. I, 227: „En réalité, ce n’est pas la banque qui
augmente ou diminue la quantité des billets en circulation, ce sont les
demandes du public“ und zitiert zustimmend Juglar: „Les banques ne
peuvent accroître leur circulation quand elles le veulent; les demandes
locales, surtout pour le commerce du détail, la limitant complètement. “‘
Trotzdem erklärt aber der Verf. II, 369: Lee excès (!) d'émission
des (!) banques privilégiées et des banques d’Etat condamnent le pri-
vilege et le monopole, nous l'avons vu en Angleterre, en France, en
Italie, en Autriche et en Russie.“
Aber wenn man also das eine oder andere aussetzen kann, sollen
doch nicht die guten Seiten des Buches verschwiegen werden, die doch
so stark überwiegen. Ganz besonders verdient das selten reichhaltige
statistische Material — im ganzen etwa 140 zum Teil sehr umfang-
reiche Tabellen — hervorgehoben zu werden. Bei Stichproben an den
Tabellen habe ich' nur unbedeutende Zahlenabweichungen entdeckt. Auch
hat der Verf. Gelegenheit, sich mit einer sehr großen Anzahl bank-
theoretischer Probleme auseinanderzusetzen und kommt hier teilweise über
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 115
die Bankprobleme im engeren Sinne hinaus, wegen seiner schon er-
wähnten Polemik gegen die sozialistischen Kritiker der Nationalbank.
Gegen seine Hauptthese, daß ein sozialistisches Banksystem erst dann
möglich sei, nachdem die allgemeinen wirtschaftlichen Grundlagen dafür
vorhanden seien, ist ja auch vom marxistischen Standpunkt aus nichts
einzuwenden, aber ob er damit sowohl wie mit seiner Detailpolemik seine
Gegner überall endgültig widerlegt hat, mag hier dahingestellt bleiben.
Ausländische Bankverhältnisse sind verschiedentlich zum Vergleich
herangezogen worden, leider scheint der Verf. hierbei nicht überall
ganz zuverlässige Quellen benutzt zu haben. So wird von Schweden
behauptet (II, 354), daß es eine Staatsbank haben müsse, um „das kaum
erschlossene Land mit Kredit durchsetzen“ zu können — eine Auf-
fassung, die auf ungenügende Orientierung über die schwedische Kredit-
wirtschaft hindeutet. Von Deutschland wird I, 141 der Gewinnver-
teilungsmodus der Deutschen Reichsbank falsch wiedergegeben, I, 237
enthält falsche Angaben über die deutschen privaten Notenbanken, I, 327
u. 335 wird behauptet, daß die Thaler noch gesetzliche Zahlkraft hätten.
Doch das sind schließlich Detailfragen, die nicht den richtigen
Gesichtspunkt liefern für die Beurteilung eines so groß angelegten
Werkes. Für die Gesamtleistung wird man dem Verf., der schon auf
eine sehr vielseitige nationalökonomische schriftstellerische Tätigkeit
zurückblicken kann, sicherlich dankbar sein. Er hat wesentlich mit
dazu beigetragen, daß die belgische Nationalbank jetzt zu den am gründ-
lichsten untersuchten kleineren Zentralnotenbanken gehört.
Nyköping, Schweden. Sven Helander.
Cahn, Julius, Münz- und Geldgeschichte der im Großherzogtum
Baden vereinigten Gebiete. Herausgegeben von der Badischen Histori-
schen Kommission. I. Teil: Münz- und Geldgeschichte von Konstanz
und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum Reichsmünzgesetz von
1559. X und 460 SS., mit 10 Tafeln und 1 Karte. Heidelberg (Carl
Winters Universitätsbuchhandlung), 1911. 17,50 M.
Die deutsche Geldgeschichte ist wohl eines der wichtigsten, bisher
aber in bedauerlichster Weise vernachlässigten Gebiete der wirtschafts-
geschichtlichen Forschung. Bei dem völligen Mangel an genügenden
lokalgeschichtlichen Vorarbeiten hat auch bisher niemand den Ver-
such wagen können, die Entwicklung des deutschen Geldwesens im
Zusammenhang zu schildern. Die fortgesetzte Vernachlässigung eines
so wichtigen und für die gesamte wirtschaftsgeschichtliche Erforschung
der deutschen Vergangenheit grundlegenden Gebietes erklärt sich durch
die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die besonders für die Behand-
lung weit zurückliegender Zeiträume zu bewältigen sind. Hier, wo die
urkundlichen Nachweise immer spärlicher werden und zur Erklärung
der wichtigsten Vorgänge nicht mehr ausreichen, müssen oft als einzige
Quelle die Münzen herangezogen werden, deren Bestimmung und Ver-
wertung für die Geldgeschichte einen großen Apparat münzkundlicher
Einzelforschung voraussetzt. Mit anderen Worten: eine ersprießliche
Leistung auf dem Gebiet der mittelalterlichen Geldgeschichte ist ohne
Sa
116 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die Vereinigung von numismatischen und wirtschaftsgeschichtlichen For-
schungsergebnissen undenkbar.
Von ähnlichen Erwägungen ist auch die Badische Historische
Kommission ausgegangen, als sie ihr Programm aufstellte für die
Herausgabe eines groß angelegten Werkes über die Münz- und Geld-
geschichte der im heutigen Großherzogtum Baden vereinigten Gebiete,
das von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1806 reichen sollte.
Mit dieser schwierigen Aufgabe wurde Julius Cahn betraut, der sich
bereits durch seine Bearbeitung der Straßburger Geldgeschichte und
seine Darstellung des Rappenmünzbundes um die deutsche Geldgeschichte
verdient gemacht hat. Als Ergebnis langjähriger Studien legt hier
der Verf. den ersten Band des geplanten Werkes vor, der sich mit
Konstanz und dem Bodenseegebiet im Mittelalter beschäftigt; eine Be-
handlung der oberrheinischen Gebiete (Breisgau und Baar), der Ortenau
und der eigentlichen Markgrafschaft Baden, eventuell auch der Pfalz
ist vorgesehen.
Die geradezu grundlegende Bedeutung des vorliegenden Werkes für
die wirtschaftsgeschichtliche Forschung beruht auf der Beherrschung
schwieriger münzkundlicher Einzelfragen und ihrer geradezu vorbild-
lichen Verwertung für die Geldgeschichte.e Durch die Analysierung
zahlreicher Münzfunde, die Bestimmung aufschriftloser Mittelalter-
münzen und die Heranziehung eines zum Teil sehr entlegenen Urkunden-
materials wird hier ein unerschöpflicher Reichtum von gesicherten
Tatsachen erschlossen, die in bisher gänzlich dunkle Gebiete Licht
bringen. Wieweit die von numismatischen Sachverständigen vorge-
nommenen Berichtigungen von Einzelergebnissen berechtigt sind, ver-
mag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls ist aber der Ertrag dieser Arbeit
für dio Wirtschaftsgeschichte ein außerordentlich großer und ich kann
dem von Frhr. v. Schrötter ausgesprochenen Urteil nur beipflichten,
daß hier zum erstenmal gezeigt wird, nach welchen Gesichtspunkten
eine Geldgeschichte des deutschen Mittelalters bearbeitet werden muß!).
Bei der Fülle der neu gewonnenen Ergebnisse muß hier darauf
verzichtet werden, auch nur das Wesentlichste mitzuteilen; der reiche
Inhalt kann nur in wenigen Strichen angedeutet werden. Nach ein-
gehenden metrologischen Untersuchungen behandelt der Verf. die Ent-
stehungsgeschichte der wichtigsten Münztypen und ihr Verbreitungs-
gebiet, er untersucht den Münzfuß, das Gewicht und den Feingehalt der
Münzen, schildert die fortschreitende Münzverschlechterung, die Münz-
verrufungen, stellt die Silberpreise und das Wertverhältnis zwischen Silber
und Gold fest usw., mit einem Wort, alle geldgeschichtlich bedeutsamen
Fragen werden hier in peinlich genauer Weise und nach eingehender
Quellenkritik untersucht. Stets bleibt dabei der Verf. in lebendigem
Zusammenhang mit den Vorgängen der politischen und wirtschaftlichen
Entwicklung und seine Studien über den Uebergang von der Natural-
zur Geldwirtschaft verbreiten ganz neues Licht. Sie zeigen vor allem,
in welch tiefgehender Weise die römische Kirche durch ihre Finanz-
1) Frhr. v. Schrötter, Deutsche Literatur-Zeitung 1912, Spalte 764.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 117
politik und die Erhebung der kirchlichen Abgaben in barem Geld die
Ausbildung geldwirtschaftlicher Formen in deutschen Gebieten beein-
flußt hat, die im 13. Jahrhundert noch in tiefster Naturalwirtschaft
steckten.
Die Wichtigkeit einer vom Verf. angeschnittenen Frage mag es
rechtfertigen, daß an dieser Stelle etwas näher auf sie eingegangen
wird. Es handelt sich dabei um die Ursachen der in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts einsetzenden Preisrevolution, für die man nach den
abschließenden Untersuchungen von Wiebe die Gründe auf Seite des
Geldes und auf Seite der Waren anzunehmen gewöhnt ist. Die herr-
schende Meinung nimmt nun mit Wiebe an, daß auf Seite des Geldes
die gewaltige Steigerung der Edelmetallproduktion zu einer Geld-
entwertung geführt habe, die in einer entsprechenden Steigerung der
Warenpreise zum Ausdruck gekommen sei. Demgegenüber hebt Cahn
hervor — der übrigens sonderbarerweise die Arbeit von Wiebe gar nicht
erwähnt, sondern sich auf die ähnliche Anschauung von Helfferich
stützt —, daß die von ihm bearbeiteten Akten genau das Gegenteil er-
weisen, daß infolge des überall herrschenden Mangels an Münz-
metall die Silberpreise während des 16. Jahrhunderts fortwährend
steigen und also von einer Geldentwertung in keinem Falle gesprochen
werden kann. Diese Beobachtung, die ich aus eigenen Studien auch für
andere deutsche Gegenden bestätigen kann, und die bei der Weiter-
führung der Cahnschen Arbeit hoffentlich noch eingehendere Begrün-
dung erfahren wird, legt es doch nahe, die längst für erledigt gehaltene
Frage wieder aufzunehmen und aktenmäßig klarzustellen. Höchstwahr-
scheinlich erklären sich die wirtschaftlichen Katastrophen des 16. und
17. Jahrhunderts im letzten Grunde durch die für die münzberechtigten
Stände stets wachsende Unmöglichkeit, sich das nötige Edelmetall zu
beschaffen, denn die so sehr gesteigerte Produktion an Edelmetall reichte
eben doch nicht aus, die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens an ge-
münztem Geld zu befriedigen.
Wie sehr der Verf. bestrebt ist, den tiefsten Problemen der Wirt-
schaftsgeschichte nachzugehen, soweit sich in seinem Material Anhalt-
punkte ergeben, zeigt die Bezugnahme auf die Sombartsche Grund-
rententheorie, die er für Konstanz widerlegt und sein Versuch, in dem
von der kirchlichen Besteuerung für den Geistlichen freigelassenen
Existenzminimum einen Anhaltpunkt für die Verschiebung der Kauf-
kraft des Geldes zu gewinnen. Das hier angeschnittene Problem gehört
zu den schwierigsten Fragen der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung
und trotz einer langen Reihe mühevoller Untersuchungen ist eine
einigermaßen befriedigende Lösung bisher nicht gelungen. An der hier
vorliegenden methodischen Schwierigkeit ist auch der Versuch des
Verfassers gescheitert, denn wenn er (S. 134) feststellt, daß die Kauf-
kraft des Geldes während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
in der Diözese Konstanz 4!/,mal so groß war als heute, so ist seine
Schlußfolgerung in dieser Verallgemeinerung nicht zutreffend. Es
handelt sich hier doch nicht um die Kaufkraft des Geldes allgemein,
sondern um seine Kaufkraft, gemessen an den Bedürfnissen
118 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gerade eines Geistlichen und unter Berücksichtigung des da-
maligen Wertverhältnisses zwischen Silber und Gold. Dabei bleibt
doch auch die Annahme des Verf. anfechtbar, daß sich die Bedürfnisse
des unbedingt notwendigen Lebensaufwandes eines Geistlichen seit 1275
im allgemeinen konstant erhalten haben. Abgesehen von den aus der
Quellenstelle gezogenen zu weit gehenden Schlußfolgerungen bleibt na-
türlich die Feststellung des als Existenzminimum anzusehenden Auf-
wandes eines Geistlichen aus so entlegener Zeit für Vergleichszwecke von
erheblicher Bedeutung.
Die unliebsame Verspätung dieser Anzeige, bietet Gelegenheit,
auf eine Streitfrage einzugehen, die bei der Besprechung des vorliegen-
den Werkes in der numismatischen Literatur aufgeworfen wurde. Bei
aller Anerkennung der Klarstellung münzkundlicher Einzelfragen durch
den Verf. stimmen doch die numismatischen Sachverständigen zum
größten Teil darin überein, daß der Verf. statt der von ihm gebrachten
Abbildung und Beschreibung der in Frage kommenden Münztypen ein
„Corpus nummorum‘, d. h. eine vollständige Verzeichnung aller über-
haupt bekannt gewordenen Münzen des in Frage kommenden Gebietes
hätte geben müssen. Friedensburg geht sogar soweit, zu behaupten,
daß die Arbeit aus diesem Grunde den Eindruck des Unvollendeten
hinterlasse, und daß der Verf. die ihm gestellte Aufgabe nicht in be-
friedigender Weise gelöst habe!). Er spricht daher auch den Wunsch
aus, die Badische Historische Kommission möchte sich nachträglich
.noch zur Ausgabe eines vollständigen Münzverzeichnisses verstehen.
In ganz ähnlicher Weise äußert sich Menadier, der in einer sich über
14 Seiten erstreckenden Anzeige vor lauter numismatischem Kleinkram
jedes Verständnis für die hier geleistete wissenschaftliche Arbeit ver-
liert?2). Sogar Frhr. v. Schrötter, der trotz mancher erheblicher und
teilweise berechtigter Ausstellungen die Gesamtleistung in hohem Maße
würdigt, hält die Schaffung eines „Corpus nummorum“ für eine noch
zu lösende Aufgabe.
Die Auslassungen von Menadier und noch mehr von Friedensburg
sind leider geradezu typisch für den Mangel an Verständnis für die
wahren Ziele geldgeschichtlicher Forschung, der in weiteren Kreisen
der Numismatiker herrscht. Es ist doch geradezu betrübend, wenn
man aus der fast einen Druckbogen umfassenden Anzeige eines so
hervorragenden Spezialisten und Münzkenners wie Menadiers den Ein-
druck gewinnen muß, daß der Kritiker überhaupt nicht verstanden hat,
was hier gewollt ist. Daß vom Standpunkt des Münzsammlers und im
Interesse des Museumsfachmannes ein „Corpus nummiorum“ sehr er-
wünscht ist, wird niemand bestreiten, allein für die Darstellung einer
Münz- und Geldgeschichte muß es doch wahrhaftig genügen, die Münz-
typen abzubilden und zu beschreiben, wie es ja auch von Cahn geschehen
ist. Jedenfalls würde die Badische Historische Kommission mit der
1) F. Friedensburg, Literarisches Zentralblatt 1912, Spalte 224/228.
2) Menadier, Zeitschrift für Numismatik, Jahrg. 1913, S. 389—402.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119
Inangriffnahme eines solchen Münzkataloges einen bedauerlichen Irr-
weg beschreiten, von dem nur dringend abgeraten werden kann. Ein-
mal würde die in Aussicht genommene Weiterführung des vielver-
sprechenden Werkes nur noch weiter hinausgeschoben, als dies bei der
Schwierigkeit der Aufgabe und der Mühseligkeit der Stoffsammlung
ohnehin nötig sein wird. Schließlich sind aber auch solche landes-
geschichtlichen Publikationsinstitute doch nicht dazu da, die überaus
zeitraubenden und kostspieligen Sonderwünsche eines kleinen Kreises
von Sammlern und Museumsbeamten zu erfüllen. Bei dem unerschöpflich
großen Bereich ihrer Aufgaben und den gewöhnlich sehr beschränkten
finanziellen Mitteln haben die historischen Kommissionen alle Ur-
sache, sich auf die Förderung dringlicher und einem größeren Kreis
zugute kommender Forschungen zu beschränken.
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Ecker, Dr. Fr., Feuerversicherungswert und Interesse. Borna, Robert Noske,
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120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
9. Soziale Frage.
Rechtsfrage des Arbeitstarifvertrags: 1. Haftung und
Abdingbarkeit, von Prof. Dr. W. Zimmermann. 2. Brauchen wir ein
Arbeitstarifgesetz? von Rechtsanwalt Dr. Hugo Sinzheimer. Heft 42/43
und Heft 44 der Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. Jena
(G. Fischer) 1913.
Die Gesellschaft für soziale Reform hat auf ihrer letzten Tagung
im September 1913 zu Düsseldorf die Frage, wie der Arbeitstarif-
vertrag am zweckmäßigsten gesetzlich zu regeln sei, eingehend be-
raten. Als Unterlage diente ihr dafür das Ergebnis der Untersuch-
ungen, die sie zuvor durch ihren Arbeitsrechtausschuß für diesen Zweck
hatte vornehmen lassen. In Anbetracht der Schwierigkeiten und des
Umfangs des Gesamtproblems hatte die Gesellschaft diese Untersuch-
ungen auf die beiden wichtigsten Teilprobleme der Abdingbarkeit des
Tarifvertrags und der Haftung für seine Verletzung beschränkt, zu-
mal deren Erledigung die Vorbedingung für eine erschöpfende und er-
giebige Behandlung aller übrigen Punkte bildet. Es wurde eine Um-
frage bei denjenigen in möglichst weitem Umfang einbezogenen Ver-
bänden und Personen der verschiedensten Richtungen, die mit Tarif-
vertragsfragen beständig praktisch zu tun haben, vorgenommen durch
Zusendung eines von ihnen auszufüllenden umfangreichen Fragebogens,
dem ein orientierender „Wegweiser‘‘ beigegeben war. Die Versendung
erfolgte an 26 Einzelpersonen, 17 größere Gewerbegerichte, 24 Arbeit-
geber- und Unternehmerverbände, an die Generalkommission der freien
Gewerkschaften und sechs der größten derselben, an das General-
sekretariat des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und
5 Zentralverbände derselben, endlich an den Generalrat der Hirsch-
Dunckerschen Gewerkvereine und drei der letzteren selbst. Von den Ar-
beitnehmerorganisationen wurden dabei die an der Tarifvertragspraxis
am stärksten beteiligten ausgewählt. Die Schrift von Zimmermann be-
richtet nun, ohne neue Gedanken oder Gesichtspunkte zum Tarif-
vertragsproblem hinzuzubringen, über das Ergebnis dieser Umfrage.
"Eine Uebersicht über Haftung und Abdingbarkeit im Tarifvertragsrecht
des Auslandes ist ihr beigegeben. Die Schrift von Sinzheimer unter-
zieht das Gesamtproblem selbst einer gedrängten und exakten kriti-
schen Untersuchung.
Aus der ersten Schrift, der der Wortlaut des Fragebogens und des
Wegweisers beigegeben sind, ergibt sich, daß von 84 befragten Stellen
nur 17 brauchbare Antworten eingegangen sind, nämlich von 4 Ge-
werbegerichten (Bremen, Breslau, Krefeld, Hamburg), 6 praktischen
Sozialpolitikern, von der Generalkommission der freien Gewerkschaften,
dem christlichen Generalsekretariat, dem Gutenbergbund (der christ-
lichen Buchdruckergewerkschaft), dem Zentralrat der Hirsch-Duncker-
schen Gewerkvereine und dem Gewerkverein der Maschinenbauer, end-
lich — als einzigen beiden Gutachtern von der Arbeitgeberseite — von
dem Allgemeinen Deutschen Arbeitgeberverband für das Schneider-
gewerbe und dem Syndikus der Düsseldorfer Handwerkskammer. Mit
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 191
einem starken Optimismus wird dieses Ergebnis „keineswegs un-
günstig“ genannt. Auf der Arbeitgeberseite ist es jedenfalls ein geradezu
klägliches, entspricht aber durchaus der beständigen Haltung dieser
Seite gegenüber der Tarifvertragsstatistik des Kaiserlichen Statisti-
schen Amtes.
Aus der Fülle der nach dem Umfrageschema zusammengestellten
Antworten sei als besonders bemerkenswert hervorgehoben, daß die
Hauptgruppen der Arbeiterorganisationen den gegenwärtigen Rechts-
zustand zwar für unbefriedigend, aber doch noch für praktisch erträglich
halten. Doch wird die Abdingbarkeit für unvereinbar mit Treu und
Glauben und mit dem Zweck des Tarifvertrags erklärt. Ueber das
Surrogat einer verbesserten Vertragstechnik statt gesetzlicher Regelung
äußern sich die freien Gewerkschaften noch am günstigsten. Es ist
freilich im Hinblick auf ihr Interesse an der Erhaltung ihrer guten
Vermögens- und Einnahmeverhältnisse vollkommen verständlich, wenn
sie antworten, daß es gar keiner besonderen Haftung bedürfen wird,
sondern nur einer heute leider noch nicht bestehenden ungehinderten Ent-
wicklung und Betätigung der Organisationen. Darüber, wer für Tarif-
vertragsverletzungen haften soll, Verband, Mitglieder oder beide noben-
einander, gehen die Meinungen stark auseinander. Gegen die Haftung
der Verbandsorgane wenden sich vor allem die Arbeitnehmer. Auch
von der Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine wollen sie
im Gegensatz zu den meisten anderen Gutachtern nichts wissen. Sie
halten die Einführung der Aktivlegitimation des Vorstandes zur Er-
hebung von Klagen aus Tarifverträgen für ausreichend. In der Frage,
womit und in welchem Umfang gehaftet werden soll, gehen die Mei-
nungen je nach der Stellung zur Frage, wer haften soll, auseinander,
doch besteht natürlich auf Arbeiterseite das Bestreben, die Haftung
der Verbände möglichst zu beschränken. Bei dem Punkte, wofür ge-
haftet werden soll, ist das Zugeständnis der freien Gewerkschaften
bemerkenswert, daß während der Tarifdauer Symphathiestreiks und
-Aussperrungen unzulässig sein sollen. Daß ein tarifzugehöriger Arbeit-
geber auch unorganisierte Arbeiter nicht unter dem Tarif entlohnen darf,
ist strenge Forderung der Arbeitervertretungen. Die freien Gewerk-
schaften sind auch unbedingt gegen die Zulassung einer sei es auch
nur begrenzten Abweichung vom Tarifvertrage durch den Arbeitgeber
bei Konjunkturniedergang. Die anderen Gutachter sind zumeist bereit,
wenigstens dahingehende Abmachungen im Tarifvertrage selbst zu-
zulassen. Darüber, daß es den Verbänden rechtlich ermöglicht werden
müsse, sich von der Verantwortung für tarifwidrige Handlungen ihrer
Mitglieder zu befreien, sind fast alle einig, wenn auch die einzelnen po-
sitiven Vorschläge dabei sehr auseinandergehen. Die christlichen Ge-
werkschaften erwarten nur vom Ausschluß des schuldigen Mitglieds
die erforderliche Wirkung. Die Beseitigung der Abdingbarkeit des
Tarifvertrags durch den Einzelarbeitsvertrag wird von der Arbeiter-
seite allgemein, von anderen Gutachtern nicht schlechthin gefordert.
Mit Ausnahme von 3 Sozialpolitikern treten alle Gutachter auch für
die unbedingte rechtliche Vorherrschaft des Tarifvertrags vor der Ar-
122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
beitsordnung und für die Nichtigkeit jeder tarifwidrigen Arbeitsord-
nung ein. Mit nur je einer Ausnahme sind auch alle dafür, daß es
zur gesetzlichen Pflicht sowohl den tarifgebundenen Arbeitgebern ge-
macht: wird, in ihrer Arbeitsordnung den Tarif für maßgebend zu er-
klären, als auch den Behörden, welche die Arbeitsordnung zu genehmigen
haben, für die Uebereinstimmung beider zu sorgen.
Anı Schlusse wird eine Zusammenstellung der Richtlinien ver-
sucht, die sich aus der Masse der gutachtlichen Aeußerungen, soweit
diese übereinstimmen oder sich wenigstens mehr oder weniger ein-
ander nähern, für eine gesetzgeberische Regelung gewinnen lassen.
In der zweiten Schrift gibt Sinzheimer eine außerordentlich klare
und scharfsinnige Darstellung des Tarifvertragproblems von seiner recht-
lichen Seite. An die Vorführung der bisherigen Behandlung der Ge-
setzgebungsfrage schließt sich eine kritische Prüfung des bestehenden
Tarifrechts. Die Fülle und Komplexität der Einzelfragen dieses weiten
Gebietes wird hier mit sicherer Hand bemeistert zu einer gedrängten,
übersichtlichen Zusammenfassung und kurzen kritischen Erörterung
aller wesentlichen Punkte des Gesamtproblems. Knappheit und Gründ-
lichkeit der Darstellung in glücklicher Vereinigung, Schlüssigkeit der
Ableitungen und geschickte Ueberführung aller Fäden auf das zu
erschließende Gebiet einer neuen, an das bewährte Alte anschließenden,
aber von sozialem Geiste durchtränkten Arbeitsverfassung zeichnen die
Arbeit aus. Untersucht wird zunächst das Tarifvertragsrecht in seinen
Grundbeziehungen (persönlicher Geltungsbereich, rechtliche Kraft der
Arbeitsnormen und Haftung für Friedensbruch), sodann der Rechts-
schutz des Tarifvertrags und das Berufsvereinsrecht. Bei der Haftungs-
frage wird festgestellt, daß ein gesetzgeberisches Eingreifen nicht aus
Furcht vor Haftbarmachung der Berufsvereine abgelehnt werden kann.
Denn diese gesetzliche Haftung besteht schon jetzt in scharfer und aus-
gedehnter Weise. Nur ihre Aufrechterhaltung oder Verbesserung kann
fraglich sein.
Im zusammenfassenden Ergebnis wird die völlige Unzulänglich-
keit des bestehenden Tarifrechts aufgezeigt. Daran schließt sich die
Prüfung des Einwandes, ob bei diesem Versagen des objektiven Rechts
es nicht wenigstens möglich ist, durch die Mittel der rechtlichen Selbst-
hilfe und der freien Entwicklung des bestehenden Rechtes zu ciner be-
friedigenden Tarifrechtsgestaltung zu gelangen. Dafür kommen in Be-
tracht: Vertragstechnik, Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung. Alle
drei werden sorgsam geprüft, aber das Ergebnis ist ein ganz gleich-
artiges. Auch diese Mittel vermögen nicht, die Mängel des geltenden
Rechts zu beseitigen und das Bedürfnis nach einer neuen gesetzlichen
Gestaltung zu unterdrücken. Wohl ist der Tarifvertrag eine freie
Schöpfung des sozialen Lebens, hervorgegangen aus dem freien Spiel
seiner organisierten Kräfte. :Aber er lebt im Recht und bleibt darum
auf dieses angewiesen. :Wie dieses Recht beschaffen sein soll, wird am
Schluß in großen Zügen angedeutet. Es muß ein wirkliches, ein le-
bendiges und ein soziales Recht sein. Das will sagen: Berufsvereine
müssen als Schöpfer und Träger der Tarifverträge vorurteilslos an-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 193
erkannt werden, der soziale Grundgedanke des Tarifvertrags muß rein
und klar zum Ausdruck kommen und das neue Recht muß einfach und
beweglich sein. Einfach, indem es in erster Linie an die Entwicklung,
nicht an den möglichen Mißbrauch der Tariffreiheit denkt, beweglich,
indem es statt starrer Definitionen nur Anweisungen für das Ver-
halten und für den Richterspruch, und statt unabänderlicher Rechts-
sätze anpassungsfähige Vorschriften bringt. Die paritätische Selbstver-
waltung muß die innere Triebkraft des Ganzen sein. Zur Konzentrierung
aller Bestrebungen und zu gemeinsamer Arbeit nach dieser Richtung
werden Sozialpolitiker und Juristen im Schlußwort der wohlgelungenen
kleinen Schrift aufgerufen.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
Lachmann, Karl, Die Unfallverhütung in der Baumwoll-
spinnerei, ihre Entwicklung, Wirtschaftlichkeit und Erfolge. Volks-
wirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. Neue Folge,
Heft 23. Karlsruhe i. B. (G. Braunsche Hofbuchdruckerei und Ver-
lag), 1913. Geheftet 3,60 M.
Das Werk des Verfassers entstammt seinen praktischen Erfah-
rungen. Ein zehnwöchiger Aufenthalt ohne Ausnahmestellung in einer
großen Baumwollspinnerei, eine siebenwöchige Informationsreise, ver-
bunden mit dem Studium der Verhältnisse bei sechs zuständigen Berufs-
genossenschaften in den verschiedensten Teilen Deutschlands und eine
11/,-jährige Praxis im Gewerbeaufsichtsdienst gaben die Grundlage
für die Bearbeitung. Können die schwierigen Fragen der Unfallver-
hütung in der ersten Großindustrie erschöpfend in der angegebenen Zeit
nicht erfaßt werden, so steigt der Wert des Buches durch die benutzte
Literatur. Die schriftlichen Aufzeichnungen verschiedener Einzelper--
sonen und Mehrheiten von Personen, welche unter anderem die Unfall-
verhütung in der Industrie als einen Teil ihrer Berufstätigkeit be-
trachten, haben dem Verfasser zur Vervollkommnung seiner Arbeit
gedient. Sie ließen ihn eine Abhandlung von Bedeutung für alle in
der Praxis Beteiligten und von Wert für die eingeweihten Kreise
schreiben. Der ausführliche Abschnitt über die Bekämpfung der Un-
fallverhütung gibt Anregungen für die Praxis. Die umfangreichen,
an Hand des bedeutenden Stoffes der Berufsgenossenschaften zu-
sammengetragenen statistischen Uebersichten lassen die Verteilung der
Unfälle auch auf die Geschlechter und die einzelnen Maschinen in auf-
klärender Weise erkennen. Das Buch bringt, was seine Aufschrift
besagt, sachlich für Deutschland.
Fulda. ? Schultze.
Bernhard, E. Die Vergebung der öffentlichen Arbeiten in
Deutschland im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. (Schriften der Deut-
schen Gesellschaft zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Heft 1.) Berlin
(Heymann) 1913. 55 SS.
Die Erkenntnis der Unzweckmäßigkeit von Notstandsarbeiten kommt
bei den deutschen Staats- und Gemeindebehörden immer häufiger in
124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der prinzipiellen Wendung zum Ausdruck, daß man durch rechtzeitige
Arbeitsverschiebungen vorbeugende Maßnahmen gegen den Arbeits-
mangel flauer Geschäftszeiten treffen könne. Freilich sah man im letzten
Jahrzehnt die Staatsregierungen diesem Probleme „immer erst ihre volle
Aufmerksamkeit zuwenden, wenn der Notstand offenbar und die Ge-
legenheit für vorbeugende Maßnahmen vorüber war. Inzwischen hatte
aber bereits ein Teil der Kommunen die Aufgaben erkannt, die sich
auf diesem Gebiet für die öffentlichen Körperschaften ergaben‘ (S. 19).
Dio Vorteile einer systematischen Verschiebung öffentlicher Ar-
beiten wie Lieferungen auf Zeiten eines schwachen Geschäftsganges
liegen im folgenden: die Einrichtung besonderer Notstandsarbeiten,
die für die Besteller meist unökonomisch sind, fällt fort; die Arbeits-
losen erfahren keine Schmälerung ihrer Verdienstaussichten, finden in
ihrem Fache Beschäftigung und erleiden keine Einbuße an ihrer Ge-
schicklichkeit; derartige Arbeiten ergeben kaum finanzielle Verluste,
der Aufwand wird vielmehr sogar durch Ersparnis an Armen-, Kranken-
und Arbeitslosenunterstützung eingebracht und die Preise sind in Zeiten
der Depression niederer, die Geldbeschaffung leichter. Dabei geben in
Deutschland Reich, Staat und Gemeinde im Jahr 5—6 Milliarden M.
für öffentliche Arbeiten und Lieferungen auf, und die Rückstellung
weniger Prozente davon würden zur Behebung der ärgsten Uebel arbeits-
schwacher Zeiten hinreichen, ohne etwa in den Zeiten des geschäftlichen.
Aufschwunges weitere Folgen für die Arbeiter zu haben, als ein Ein-
dämmen des Hetztempos der Betriebe und teilweises Ersparen von
Ueberstunden und Nachtschichten.
Freilich setzt eine derartige Orientierung der öffentlichen Wirt-
schaften auch budgetäre Aenderungen (Erstreckung der Verwaltungs-
dauer bestimmter Kredite und die Schaffung besonderer oder allgemeiner
Reserven) voraus.
Wien. E. Schwiedland.
Eberstadt (Doz.), Prof. Dr. Rud., Neue Studien über Städtebau und
Wohnungswesen. 2. Bd. Städtebau und Wohnungswesen in Holland. Jena, Gustav
Fischer, 1914. Lex.-8. VI—456 SS. mit 107 Abbildungen. M. 12.—.
Fernau, Herm., Die französische Demokratie. Sozialpolitische Studien
aus Frankreichs Kulturwerkstatt. München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914.
8. IV—350 SS. M. 5.—.
Gehrig, Prof. Dr. Hans, Die Begründung des Prinzips der Sozialreform.
Eine literarische Untersuchung über Manchestertum und Katledersozialismus.
(Sozialwissenschaftliche Studien, hrsg. von H. Waentig. Bd. 2.) Jena, Gustav
Fischer, 1914. gr.8. V—381 SS. M. 8.—.
Gnauck-Kühne, Elisab., Das soziale Gemeinschaftsleben im Deut-
schen Reich. Leitfaden der Wirtschafts- und Bürgerkunde für höhere Schulen,
X und zum Selbstunterricht. M.-Gladbach, Volksvereinsverlag, 1914. 8. 190 SS.
. 1,20.
Jopke, Dr. Georg, Die Entwicklung der Grundstückspreise in der Stadt
Posen. Beiträge zur allgemeinen Theorie der städtischen Bodenrente und zur Woh-
nungsfrage. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. VII—106 SS. mit 1 Plan. M.3.—.
Kuske, Dr. Bruno, Die städtischen Handels- und Verkehrsarbeiter und
die Anfänge städtischer Sozialpolitik in Köln bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
(Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben, hrsg. von P. Aberer, Chr,
Eckert, J. Flechtheim u. a. Heft 8.) Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1914. gr. 8.
VIII—118 SS. M. 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 125
Lang (Landesbauinsp.), Rich., Submissionswesen und Handwerkernot
Ein Ueberblick. Leipzig, J. J. Arnd, 1914. Lex.-8. 62 SS. M. 1,50.
Rothe, Arth., Das soziale Rätsel. Die Lösung der sozialen Frage
durch Warenökonomie und Genußerhöhung. Dresden, Holze u. Pahl, 1914. 8.
191 SS M. 2,75. $
Sozialpolitik, Kommunale. Die Sonntagsruhebestimmungen im Handels-
gewerbe in deutschen Städten und Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern.
Zusammengestellt auf Grund behördlicher Auskünfte nach dem Stande vom 1. April
1914. (31. Schrift des Verbandes deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig.)
Leipzig, Verband deutscher Handlungsgehilfen, 1914. gr. 8. 55 SS. M. 0,50.
Bourgeois, L., La politique de la prévoyance sociale. Paris, E. Fas-
quelle. 18. fr. 3,50.
Question (la) sociale, Sa solution corporative. Paris, A. Noël, 1914.
16. 83 pag. 75 cent.
Richard (prof.), Gaston, La question sociale et le mouvement philo-
sophique au XIXe siècle. Paris, Armand Colin, 1914. 16. XII—363 pp. fr. 3,50.
Vielleville, Dr. A., Les systemes Taylor (these). Paris, impr. Vielle-
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Cr. 8. 332 pp. 5/—.
Schreiner, Olive, Woman and labour. London, T. F. Unwin. Cr. 8,
"e pp. 2/—.
10. Genossenschaftswesen.
Jacob, Eduard, Volkswirtschaftliche Theorie der Genossen-
schaften. Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von
Carl Johannes Fuchs in Verbindung mit Ludwig Stephinger,
neue Folge Heft 1. Stuttgart ON. Kohlhammer) 1913. XVII u. 401 SS.
Verf. geht von der Bemerkung Crügers aus, daß das Ge-
nossenschaftswesen in der Wissenschaft zu kurz gekommen sei:
vw... Wir haben wohl das bahnbrechende Werk von Gierke über die
Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft; in den Lehrbüchern der
Volkswirtschaft spielt das Genossenschaftswesen jedoch keine große Rolle,
in der Regel wird es mit einigen Sätzen erledigt ...“ Auch Wygod-
zinski, dessen Buch ‚Das Genossenschaftswesen in Deutschland“ Ja-
cob mit vollem Recht als die streng wissenschaftliche zusammenfassende
Darstellung des deutschen Genossenschaftswesens rühmt, schreibt in
dieser Beziehung: „Die umfangreiche Literatur des Genossenschafts-
wesens hat sich zumeist von vornherein ganz andere Ziele gesteckt als
die des Lehrbuchs. Eine große Zahl dieser Schriften gehört in die
Kategorie der Anleitungen, die als Leitfaden für praktische Arbeit
dienen wollen; ein zweiter, nicht minder beträchtlicher Teil wird von
den Streitschriften gebildet, in denen die wehrhaften Anhänger der
allzu zahlreichen Systeme von ihren Ansichten Rechenschaft ablegen.
Einen weiteren Anteil beanspruchen die Jahrbücher und Zeitschriften
der verschiedenen Verbände, die, als Quelle jeder Forschung unschätzbar,
auch durch die Fülle der in ihnen niedergelegten Erfahrungen und Er-
Örterungen ungemein verdienstvoll sind. Der Rest endlich verteilt sich
auf die wissenschaftlichen Untersuchungen historischer, theoretischer
und ökonomischer Art. Abgesehen von der recht gut durchgearbeiteten
126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Genossenschaftsgeschichte bleibt hier noch viel zu tun übrig. In der
offiziellen Nationalökonomie ist das Genossenschaftswesen, von wenigen
glänzenden Ausnahmen abgesehen, fast ganz den Doktoranden überlassen
worden.“ Durch das erwähnte Wygodzinskische Werk sei nunmehr
eine der fühlbarsten Lücken in unserer genossenschaftlichen und volks-
wirtschaftlichen Literatur überhaupt ausgefüllt. Was jetzt noch am
meisten nottue, sei eine auf streng wissenschaftlicher Grundlage und
unter Berücksichtigung des neuesten Standes der Forschung bearbeitete
eingehende Darstellung des wirtschaftlichen Wesens der Genossenschaft
und der damit verknüpften genossenschaftlichen Probleme. Diese Lücke
auszufüllen sei der Zweck des ersten Teiles der vorliegenden Arbeit, die
kein Lehrbuch des Genossenschaftswesens, aber eine Ergänzung zu
unsern Lehrbüchern sein soll.
So behandelt denn Jacob in einer Einleitung die Entstehungs-
ursachen der modernen Genossenschaften und ihre Aufgaben und Ziele
im allgemeinen und wirft dann einen kurzen Blick auf die Phasen
der Genossenschaftsgesetzgebung. Der erste Teil behandelt darauf „Das
wirtschaftliche Wesen der Einzelgenossenschaft‘“. Erörterung finden
hier folgende Punkte: der personalgemeinschaftliche Charakter der Ge-
nossenschaft, die Entstehung und die Auflösung der Genossenschaft,
der streng persönliche Charakter des Erwerbs und der Beendigung der
Mitgliedschaft bei der Genossenschaft, die persönliche Haftpflicht der
Genossen, die dienende Stellung des Kapitals bei der Genossenschaft,
der demokratische Charakter derselben, die Teilnahme der Genossen an
den Wirtschaftsvorteilen der Genossenschaft nach Maßgabe der In-
anspruchnahme des Betriebs und die Genossenschaft als Gesellschaft
von nicht geschlossener Mitgliederzahl. Ein weiteres Kapitel in diesem
Teile zeigt, daß die Genossenschaft der Förderung des Erwerbs oder
der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäfts-
betriebes dient und rollt die Prinzipienfragen der Selbsthilfe und der
Staatshilfe auf. Den Schluß dieses Teiles bildet die Definition der
Genossenschaft, die sich mit der üblichen Auffassung deckt; sie bietet
zugleich Gelegenheit, die „reinen“ Genossenschaften von den Genossen-
schaften „mit Entartungserscheinungen“ und von den „formalen“ Ge-
nossenschaften zu trennen. Bei den letzteren nehme die Entartung
einen derartigen Umfang an, daß sie nur mehr dem Namen bzw. der
Rechtsform nach noch Genossenschaften sind. Ein zweiter Teil be-
schäftigt sich mit der systematischen Gruppierung der Genossenschaften.
Hier finden die bekannten Einteilungen von Petersilie, Schulze-
Delitzsch, Oppenheimer und Kaufmann Besprechung. Hier
liegt denn auch der eigentliche Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit,
gibt doch Jacob an dieser Stelle neue Vorschläge einer systematischen
Gruppierung der Genossenschaften. Der dritte Teil behandelt „Die ge-
nossenschaftlichen Organisationen höherer Ordnung“, also die Zentral-
genossenschaften und sonstigen genossenschaftlichen Zentralgebilde und
die Genossenschaftsverbände. Der vierte Teil wendet eich zunächst dem
Neutralitätsprinzip in der Genossenschaftsbewegung zu. Die bloße
Inhaltsangabe der Paragraphen des Inhaltsverzeichnisses weist schon die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 127
Resultate auf, zu denen Jacob gelangt: die Genossenschaften sollen sich
nicht an politische Parteien anschließen und sich auch sonst nicht mit
außerhalb ihres Interessenbereiches liegenden öffentlichen Angelegen-
heiten befassen. Die Genossenschaften sollen weder eine Institution des
Klassenkampfes noch das Werkzeug einer bestimmten Religion sein.
Und auch die Frage: „Ist in der Aufstellung genossenschaftlich-soziali-
stischer Programme eine Verletzung des Neutralitätsprinzips zu er-
blicken ?“ findet ihre Beantwortung. Der Schluß dieses Teiles ist dem
produktivgenossenschaftlichen und dem konsumgenossenschaftlichen So-
zialismus gewidmet. Eine prinzipielle Zusammenfassung über Ko-
operatismus, Sozialismus und Individualismus beschließt das Werk.
Verf. bemüht sich hier in bisher allgemein üblicher Weise die Grenzen
der einzelnen Genossenschaftsarten aufzuweisen und glaubt zu dem
— freilich etwas unbequemen — Satz kommen zu können, daß, wie allen
Wirtschaftsformen so auch der genossenschaftlichen eine Grenze für
ihre Anwendbarkeit gezogen sei. Er beruft sich dabei auf Bourguin,
der in seinem bekannten Werke „Die sozialistischen Systeme und die
wirtschaftliche Entwicklung‘ einmal ausspricht, daß kein radikales
System, „weder der absolute Individualismus, noch der vollständig
durchgeführte Kollektivismus oder der verallgemeinerte Kooperatismus’ "
ausreicht, um einen so komplizierten Organismus wie den der heutigen
Gesellschaft, vollständig in sich aufzunehmen“. Im Kampfe dieser
Prinzipien, um die Herrschaft, meint Jacob, werde es sich vielmehr
immer nur um ein Mehr oder Weniger handeln können. —
Schon dieses bloße Inhaltsverzeichnis zeigt die Fülle der ge-
nossenschaftlichen Probleme, die Jacob in seiner Arbeit aufrollt. Es
ist ganz unmöglich, an dieser Stelle die Grundzüge der einzelnen Kapitel
wiederzugeben oder gar kritische Bemerkungen daran anzuknüpfen. Es ist
unmöglich, aber auch — so merkwürdig es klingen mag — unnötig; denn
abgesehen von wenigen Einzelfragen kommt Jacob in den meisten Fragen
zu keinem Ergebnis, das von den bisher üblichen Auffassungen, die
sich in den genossenschaftlichen Lehrbüchern finden, erheblich abweicht.
Wer z. B. die genossenschaftlichen Lehrbücher von Crüger, Lin-
decke, Wygodzinski, Finck gelesen hat, vielleicht auch noch die
eine oder andere Monographie herangezogen hat, dem wird das Jacob-
sche Buch kaum noch etwas prinzipiell Neues bieten können, abgesehen
natürlich von der einen oder anderen Detailausführung und von den
Fragen, die ich nachher noch einer Betrachtung unterziehen will.
Wozu muß denn noch einmal, ausgerechnet in einer „volkswirtschaft-
lichen Theorie der Genossenschaften“, auf 150 Seiten eine Inhaltsangabe
des Genossenschaftsrechts, die doch jedes Lehrbuch bietet, gegeben
werden ? Wenn Verf. der Meinung war, genossenschaftlich-rechtliche
Kenntnisse nicht bei jedem Leser voraussetzen zu können, so konnte er
sich doch gut auf den dritten Teil des Raumes beschränken. Wygod-
zinski z. B. hat knapper und präziser das Genossenschaftsrecht be-
handelt. Der Raum hätte entschieden Verwendung finden können für
die wirtschaftliche Eigenart der einzelnen Genossenschaftsarten. Was
z. B. Jacob über die Kreditgenossenschaften oder über die preußische
128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Zentralgenossenschaftskasse zu sagen weiß, ist so knapp und so dürftig,
weil er sich aus Raumgründen beschränken muß, lediglich die Ergeb-
nisse der Arbeiten Crügers, Wygodzinskis, meines Buches über
den kleingewerblichen Kredit ete. zu übernehmen. Natürlich muß bei
diesem Verfahren jeder Beweisgang der einzelnen Autoren vernachlässigt
werden und vor allem wird man eine wirklich kritische Stellungnahme
zu den Meinungen anderer Autoren vermissen. Wozu mußte denn z. B.
nochmals die Gründungsgeschichte und die Organisation der Preußen-
kasse etc. dargelegt werden? Das ist doch alles schon bekannt. Wäre
es nicht richtiger gewesen, Verf. hätte sich beispielsweise nach knapper
Rekapitulation des schon Bekannten, die ja wohl, wie ich gern zugebe,
nicht zu vermeiden war, der selbständigen vorurteilslosen Prüfung der
Kritik an der Tätigkeit der Preußenkasse, die z. B. Crüger, Fink,
ich u. a. geübt haben, zugewandt? Gewiß, man wird es nie ver-
meiden können, besonders nicht in einer Arbeit systematischen Cha-
rakters, bereits Bekanntes zu wiederholen. Man darf dann aber diese
Teile nicht so anwachsen lassen und muß sich doch zum mindesten be-
bemühen, die bekannten Tatsachen zu verarbeiten, will sagen, sie
in einen neuen Zusammenhang zu stellen, sie als Bausteine für einen
größeren eigenen Gedankengang wirklich zu verwenden. Gerade das
vermißt man bei der Lektüre des umfangreichen Buches von Jacob,
wobei ich gern zugeben will, daß ich hier und dort auch Einzelheiten
finde, die dem Leser oben genannter Lehrbücher vielleicht nicht be-
kannt sein dürften. Ich will auch dieses ausdrücklich betonen, daß die
Arbeit Jacobs durchaus zuverlässig und fleißig ist. Wenn er in den
oben skizzierten prinzipiellen Fehler verfiel, so lag das nämlich an der
zu weiten Problemstellung, die er sich setzte. Die eingangs in der Be-
sprechung erwähnten Worte von Crüger treffen heute in dieser Schärfe
nicht mehr zu. Wir haben heute, um nur einige zu nennen, die Lehr-
bücher von Lindecke, Finck, Wygodzinski, Crüger. Wenn
man diese Bücher nacheinander gelesen hat, dann hat man eben in allem
wesentlichen die Orientierung, die Jacob geben wollte. Wollte er wirk-
lich eine „Ergänzung“ zu unsern Lehrbüchern geben, dann hätte er
Spezialuntersuchungen treiben müssen auf dem Gebiete des Ge-
nossenschaftsrechts, auf dem Gebiete der einzelnen Genossenschafts-
arten; das wäre aber für einen einzelnen eine fast unmögliche Arbeit,
hätte er doch dann eben nicht nur die Literatur verarbeiten, sondern
vor allem auch mühselige praktische Enqueten über Rohstoff-, Kredit-
genossenschaften, Konsumvereine etc. veranstalten müssen. Er hätte
dann vielleicht, wie der Verfasser dieser Besprechung, allein der Frage
der Kreditgenossenschaften in ihrer Beziehung zum Handwerk oder den
Konsumvereinen —, für die jetzt der große Apparat des Vereins für
Sozialpolitik in Bewegung gesetzt werden muß, um sie zu meistern —
jahrelange Arbeit widmen müssen. Und die Frage, die Jacob am
Schluß seines Buches auf einigen Seiten erledigt (über Kooperatismus,
Sozialismus und Individualismus), bildet den Gegenstand einer mehr-
jährigen Arbeit eines jungen Nationalökonomen, die demnächst in den
„Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ er-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129
scheinen wird. Kurzum, die Aufgabe, die sich Jacob stellte, konnte
beim besten Willen nicht völlig befriedigend gelöst werden. Die bis-
herigen Ergebnisse der Spezialforschung sind eben schon teilweise
musterhaft zusammengefaßt worden. Jetzt besteht die Aufgabe, wieder-
um genossenschaftliche Spezialforschung zu treiben, welche in Zukunft
einmal lehrbuchmäßige Zusammenfassungen erlaubt, die Neues bieten
werden.
So ist denn das Buch Jacobs keine neue ‚„volkswirtschaftliche
Theorie der Genossenschaften“, sondern ein gut orientierender Grundriß
des Genossenschaftswesens. Und als solcher hat das Buch ohne Zweifel
seine Verdienste. Brauchbar und selbständig ist auch seine systematische
Gruppierung der Genossenschaften. Er teilt die Genossenschaften ein
in Produzenten- und Konsumentengenossenschaften und gliedert erstere
in Beschaffungs- und Verwertungsgenossenschaften ete. So ergibt sich
für die genossenschaftliche Systematik folgendes Hauptschema:
Produzentengenossenschaften:
Beschaffunsgenossenschaften,
Kreditbeschaffungsgenossenschaften,
überwiegend städtischen Charakters,
überwiegend ländlichen Charakters,
Warenbeschaffungsgenossenschaften einschließlich
Werkgenossenschaften,
gewerbliche,
landwirtschaftliche,
Verwertungsgenossenschaften,
Arbeitsverwertungsgenossenschaften,
Warenverwertungsgenossenschaften,
gewerbliche,
landwirtschaftliche,
Konsumentengenossenschaften.
Die kritischen Ausführungen und die Begründung der eigenen
Systematik wirken durchaus überzeugend. Ueberzeugend sind auch die
Bemerkungen gegen Liefmann an dieser Stelle (S. 186/187) und
S. 18ff: Im Gegensatz zum Genossenschaftsgesetz und zur Rechts-
wissenschaft überhaupt stellt Liefmann in seiner Schrift über die
Unternehmungsformen den „gesellschaftlichen‘‘ Charakter der Genossen-
schaft „vom ökonomischen Standpunkt aus“ in Abrede; und zwar er-
blickt er das Charakteristische der Genossenschaften gegenüber den Ge-
sellschaften ‚in der Verbindung einer unselbständigen gemeinsamen
Wirtschaft mit den einzelnen privaten Haus- oder Erwerbswirtschaften
der Mitglieder“, während die Gesellschaften „selbständige Ver-
einigungen von Personen zu gemeinsamer Wirtschaftstätigkeit“ seien.
Diese Unterscheidung erscheint Jacob — meines Erachtes mit Recht —
als durchaus willkürlich. Denn wenn auch die Genossenschaften in ihrer
großen Mehrzahl nur der Förderung und Ergänzung der einzelnen
Haus- oder Erwerbswirtschaften dienen, also nach Liefmann „unselb-
ständig‘ seien, so sei dies doch nicht immer der Fall. Die eigentliche
Produktivgenossenschaft z. B. sei eine „selbständige Vereinigung von
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 9
130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Personen zu gemeinsamer Wirtschaftstätigkeit‘; sie ergänze nicht die
Wirtschaft des einzelnen Mitgliedes, sondern sie sei eine Erwerbswirt-
schaft, die er gemeinsam mit anderen betreibe. In der Tat, wenn Lief-
mann den genossenschaftlichen Charakter der eigentlichen Produktiv-
genossenschaft leugnet, andererseits aber gänzlich ungenossenschaftliche
Gebilde, wie Zuckerfabriken, bei welchen der größte Teil der Aktionäre
zur Rübenlieferung verpflichtet ist, oder das Rheinisch-westfälische
Kohlensyndikat, ökonomisch als Genossenschaften bezeichnet, so wird
man dem kaum zustimmen können. Was ist mit einer derartigen Ver-
wischung der Unterschiede zwischen Personal- und Kapitalgesellschaft
erreicht? Mit vollem Recht und mit guten Argumenten hebt Jacob
den personalgesellschaftlichen Charakter der Genossenschaft, den Lief-
mann leugnet, hervor und weist darauf hin, daß Zuckerfabriken etc.,
um echte Genossenschaften (Verwertungsgenossenschaften) zu sein, noch
ganz andere Eigenschaften aufweisen müssen als lediglich den von Lief-
mann geforderten „unselbständigen‘“ Charakter.
Freiburg i. B. Hans Schönitz.
Hanszel (Bezirkskommissar, Wohnungsfürsorgerevisions-Obmann) Max,
Die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der Bau-Genossen-
schaften. Teschen, Sigmund Stuks, 1913. 8. 28 SS. M. 1.—.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
E. Hemmerle, Die Rheinländer und die preußische Verfassungs-
frage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847). (Studien zur Rhei-
nischen Geschichte, hrsg. von Dr. A. Ahn, 2. Heft.) Bonn 1912. V
und 229 SS. 6 M.
Die vorliegende Schrift stellt in ihrem Hauptteil (S. 68—192)
da Haltung der rheinischen Abgeordneten auf dem ersten Vereinigten
Landtag dar, worüber Verf. durch Heranziehung der Akten des Geh.
Staatsarchivs in Berlin allerhand Neues zu sagen weiß, enthält aber
außerdem dankenswerte Hinweise auf die öffentliche Meinung des
Rheinlands, soweit sie aus der Presse festzustellen ist. Auch diese
Untersuchung zeigt deutlich, wie gewaltig der erste Vereinigte Landtag
das politische Interesse angeregt hat. Bis in die vierziger Jahre haben
sich die Rheinländer um die preußische Verfassungsfrage nur wenig
gekümmert, die Hauptsache ist ihnen die Erhaltung der besonderen
Stellung der Rheinlande im preußischen Staat gewesen. Ja, selbst
den Errungenschaften des Patentes vom 3. Februar 1847 hat die breite
Masse durchaus gleichgültig gegenüber gestanden. Nur die Oberschicht
des Bürgertums hat, wahrscheinlich durch das belgische Vorbild an-
gefeuert, eine liberale und zentralisierende Verfassung für Preußen
gewünscht, um auf diese Weise Einfluß auf die Staatsregierung zu er-
langen. Der Adel und ein guter Teil der Katholiken wollte davon aus
politischen und aus konfessionellen Gründen, aus Abneigung gegen
den Liberalismus und aus Furcht vor der protestantischen Mehrheit
des Gesamtstaats nichts wissen; die Trierer Zeitung, das Organ der
Arbeiter, lehnte alle Neuerungen ab, die nichts an den Grundmängeln
der Gesellschaft änderten. Auf dem Landtage selbst kamen nur die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 131
Liberalen zu Wort; die in der rheinischen Ritterschaft zahlreich, unter
den Abgeordneten der Städte und Landgemeinden dagegen nur sehr
schwach vertretenen Konservativen verhielten sich schweigsam. Die
Haltung der liberalen Abgeordneten wurde von der rheinischen Be-
völkerung nicht durchweg gebilligt; weder mit ihren zentralisierenden
Neigungen noch mit ihrer Toleranz den Juden gegenüber konnte man
sich befreunden. Aber diese Verschiedenheiten kamen nicht in Be-
tracht bei dem lebhaften Beifall, den die Opposition der Liberalen gegen
die Regierung fand. Und je radikaler ein Abgeordneter war, desto be-
liebter machte er sich, desto festlicher wurde er bei seiner Heimkehr
empfangen. Der Boden war vorbereitet für die Bewegung des Jahres
1848.
Halle. F. Hartung.
Blücher (Öber-Verwaltungsgerichtsrat), Bernh., Gemeindebeamtenrecht
im Königreich Sachsen. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8. IV—111 SS. M. 1,40.
Bojunga (Justizrat), Hans, Reichs-Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909,
nebst Ausführungsvorschriften des Bundesrats, in Verbindung mit der preußi-
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Mitwirkung von (Amtm.) Bazille, (Amtsgerichtsrat) Coermann, (Geh. Finanzrat)
Dr. Kloß u. a., begründet von (Landgerichtsrat) Dr. A. Glock, nach seinem Tode
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8. XXII, 380 u. 175 SS. M. 3,20.
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H. Lindemann, O. Most, H. Preuß, A. Südekum. 1. und 2. Liefg. Jena, Gustav
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Rob. Piloty. Berlin, Gustav Ziemsen, 1913. kl. 8. 146 SS. M. 1,50.
Kändler, Herm., Der staatliche Erfinderschutz im Lichte moderner Na-
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Berlin, Franz Vahlen.
Kommentar zur Reichsversicherungsordnung. Hrsg. vom (Reichsversiche-
rungsamts-Sen.-Präs.) H. Hanow, (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Rat, vortr. Rat) Dr. F.
Hoffmann, (Geh. Reg.-Rat) Dr. R. Lehmann, (Reg.-Räten) St. Moesle, Dr. W.
Rabeling. 5. und 6. Buch. Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und
zu anderen Verpflichteten. — Verfahren. Von (Geh. Reg.-Rat) Dr. R. Lehmann.
3. verm. Aufl. Berlin, Carl Heymann, 1914. gr.8. XVI—580 SS. M. 12.—.
9*
132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Langemack, Dr. Paul, Die Grenzen der Autonomie des hohen Adels
innerhalb der heutigen Rechtsordnung. Diss. Lübeck, Joh. Carsten, 1914. 8.
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Langhard, Dr. J., Bundesverfassung der Schweizerischen Eidesgenossen-
schaft vom 29. Mai 1874. Textausgabe mit Einleitung und Sachregister. (Sammlung
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Linckelmann (Justizrat), Dr., Höfegesetz für die Provinz Hannover
in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juli 1909 erläutert. 2. Aufl. Hannover,
Helwingsche Verlagsbuchhandlung, 1914. gr. 8. VII—87 SS. M. 3.—.
Monographien deutscher Städte. Darstellung deutscher Städte und ihrer
Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und, Technik. Hrsg. von
(Generalsekr.) Erwin Stein. 7. Bd. Frankfurt a. M. Hrsg. von (Oberbürgermeister)
Voigt und (Generalsekr.) Erwin Stein. Oldenburg i. Gr., Gerhard Stalling, 1914.
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Wien, Ignaz Brand u. Co., 1914. kl. 8. 64 SS. M. 1.—.
Stengel, Karl Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver-
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Strippel (Rechtsanw.), Dr. Karl, Die Währschafts- und Hypotheken-
bücher Kurhessens, zugleich ein Beitrag zur Rechtsgeschichte des Katasters. (Ar-
beiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht. Hrsg. von Prof. Dr.
Ernst Heymann. No. 24.) Marburg, N. G. Elwert, 1914. Lex.-8. XXVII—
335 SS. M. 10.—.
Welser (Ober-Reg.-Rat), Hans Frhr. v., Reichs- und Staatsangehörig-
keitsgesetz vom 22. Juli 1913, mit den zugehörigen Teilen von Gesetzen und
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Württemberg, Baden und Hessen erläutert. München, C. H. Beck, 1914. 8.
X—338 SS. M. 5.—.
Wittmayer (Privatdoz.), Dr. Leo, Oesterreichische Arbeiterschutz-
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22. Juli 1913, unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Verhältnisse
erläutert. München, J. Schweitzer, 1914. 8. VIII—148 SS. M. 3,20.
Zehntbauer, Prof. Dr. Rich., Gesamtstaat, Dualismus und Prag-
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1914. gr. 8. 73 SS. M. 4.—.
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1914. Paris, Marc Imhaus et René Chapelot, 1914. 8. VIII—424 pag. fr. 5.—.
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Chiti, Mario Pilade, Nozioni sull'ordinamento amministrativo e politico
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laffio, E. Caluci, E. Cuzzeri, A. Marghieri, L. Mortara, D. Supino, L. Tartu-
fari, C. Vivante, coordinato dai proff. Leone Bolaffio e Cesare Vi-
vante. Vol. IX. (Del esercizio delle azioni commerciali e della loro durata:
commento del prof. Lodovico Mortara, con la collaborazione dell'avv.
Gaetano Azzariti.) Quarta edizione riveduta, con appendice relativa alle
disposizioni sul giudice unico. Turino, Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 331 pp.
L Ba
Principi di diritto costituzionale, secondo i programmi universitari e
per i concorsi agli uffici pubblici, a cura dell’avv. A. Brunialti. Parte II.
(Le costituzioni.) Napoli, Unione ed. universitaria (tip. Meridionale, G. Turi),
1913. 16. 32 pp. LL
Valente, (avv.) Gius., Questioni di diritto amministrativo: appunti giuri-
dici. S. Benigno Canavese, Scuola tip, 1914. 16. 60 pp. 1l. 1,50.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
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Schiffahrt). Jahrg. 1912. Hrsg. von der handelsstatistischen Sektion des Rigaer
Börsen-Komitees, unter der Leitung des Sekretärs derselben Bruno v. Gernet.
1. Abel, Rigas Handelsverkehr auf den Wasserwegen. Riga, E. Bruhns, 1914.
35X29 em, XV—155 SS. M. 7.—.
Höpker (Reg.-Rat), Dr. H., Denkschrift über die Verluste der Bau-
handwerker und Baulieferanten bei Neubauten in Groß-Berlin in den Jahren
1909—1911. Im Auftrage des Ministers für Handel und Gewerbe bearb. im
Kgl. Preuß. Statist, Landesamt. 2 Teile. A. Textlicher Teil, B. Tabellenteil
und Anlagen. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914. 33X24 cm.
VI, 144 und V, 172 und XXVIII SS. M. 6.—.
Ischhanian, Dr. B., Nationaler Bestand, berufsmäßige Gruppierung
und soziale Gliederung der kaukasischen Völker. Statistisch-ökonomische Unter-
suchungen. (Osteuropäische Forschungen. Im Auftrage der deutschen Gesell-
schaft zum Studium Rußlands. Hrsg. von Otto Hoetzsch, Otto Auhagen und
Erich Berneker, Heft 1). Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8. VIII—81 SS.
M. 2,80.
Jahrbuch für bremische Statistik. Hrsg. vom Brem. Statist. Amt.
Jahrg. 1913. Zur Statistik des Schiffs- und Warenverkehrs im Jahre 1913,
Bremen, Franz Leuwer, 1914. Lex.-8. VI—390 SS. M. 7,50.
Lage, Die, der Arbeiter im Drechslergewerbe. Ergebnisse einer sta-
tistischen Erhebung vom November 1912. Hrsg. vom Vorstand des deutschen
Holzarbeiter-Verbandes. Berlin, Verlagsanstalt des deutschen Holzarbeiter-Ver-
bandes, 1914. gr. 8. 4788. M.1—.
Rosenberg (Dir.), E., Die älteren Kieler Volkszählungen. Bewegung
der Bevölkerung. 1835—1865. Im Auftrage des Magistrats hrsg. (Mitteilungen
des Statistischen Amtes der Stadt Kiel, No. 20.) Kiel, Lipsius u. Tischer, 1914.
23 SS. M. 0,60,
Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte.
265. Bd. I. TI. Verkehr und Wasserstände der deutschen Binnenwasserstraßen
im Jahre 1912. Bearb. im Kaiser, Statist. Amte. I. Tl. XLIX—281 SS.
M. 5.—. — 278. Bd. Streiks und Aussperrungen im Jahre 1913. IV—27 und
62 8S. M. 1.—. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht. 33,5 x26,5 cm.
Statistik, Preußische. (Amtliches Quellenwerk.) Hrsg. in zwanglosen
Heften vom Kgl. Preuß. Statist, Landesamt in Berlin. 239. Beiträge zur Sta-
tistik der Arbeitsverfassung der Landwirtschaft in Preußen nach der land-
134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wirtschaftlichen Betriebszählung vom Jahre 1907. Bearb. vom Kgl. Statist.
Landesamt. Mit einer Einleitung von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. A. Petersilie.
Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamtes, 1914, 33X24cm. V, XVIII—
283 SS. M. 7,80.
Verzeichnis der im Jahre 1915 im Königreich Preußen abzuhaltenden
Märkte und Messen, nebst einer Uebersicht der wichtigeren Märkte und Messen
der anderen Staaten des Deutschen Reichs und Zollgebiets, der Grenzprovinzen
Hollands sowie der nördlichen Schweiz. Unter Benutzung amtl. Quellen hrsg. von
(Präs.) G. Evert. 43. Jahrg. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914.
gr. 8. VII—210 SS. M. 7,50.
Oesterreich-Ungarn.
Statistische Rückblicke aus Oesterreich. Wien 1913.
XXIX +99 SS. und 3 Kartenbeilagen.
Die kleine, gefällig ausgestattete Schrift ist eine Festgabe aus
Anlaß der 14. Tagung des Internationalen Statistischen Instituts in
Wien und gleichzeitig eine Festschrift aus Anlaß des ö0-jährigen
Bestandes des k. k. statistischen Zentralkommission, deren Präsident
Dr. Robert Meyer, das vorliegende Buch herausgegeben hat. Es
ist ein wertvoller Behelf, denn es vereinigt statistische Daten aus weit
längeren Zeitabschnitten (etwa 50 Jahren) als das oesterreichische Hand-
buch, mit dem es sonst viel gemein hat. Leider bringt es keine Angaben
über dic Herkunft der einzelnen Daten, sondern nur eine kleine Ein-
leitung mit weniger wichtigen textlichen Erläuterungen, die wohl mehr
dazu dienen sollten, durch ihre französische Uebersetzung den Kongreß-
teilnehmern, die nicht Deutsch verstanden, das Verständnis der Tabellen
zu erleichtern.
Halle Dr. Ernst Grünfeld.
Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des Königreichs Böhmen.
Deutsche Ausgabe. 17. Bd. 2. Heft: Statistik der zu Zwecken der örtlichen
Selbstverwaltung im Königreich Böhmen für die Jahre 1909, 1910 und 1911
vorgeschriebenen Zuschläge und ihrer Basis. Mit einem Anhang über die Ge-
meindegetränkeauflagen in Böhmen im Jahre 1911. Prag, J. G. Calve, 1914.
Lex.-8. III, 34 und 166 SS. M. 6.—.
Statistik des Bergbaus in Oesterreich für das Jahr 1912. Als Fort-
setzung des statistischen Jahrbuches des k. k. Ackerbau-Ministeriums. 2. Heft:
„Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs.“ 3. Lieferung. Die Gebarung und die
Ergebnisse der Krankheits-, Mortalitäts- und Invaliditätsstatistik der Berg-
werksbruderladen 1911. Hrsg. vom k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten.
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1913. Lex.-8. 117 SS. M. 4.—.
Frankreich.
Renseignements statistiques relatifs aux contributions directes et aux
taxes assimilées. Année 1914. Paris, Impr. nationale, 1914. 8. 222 pag.
Statistique de la navigation intérieure. Relevé general du tonnage des
marchandises, année 1912. Paris, Impr. nationale, 1913. 4. 430 pag. fr. 8.
(Ministere des travaux publics.)
Statistique des décès par tuberculose en 1911. Ge année. Répartition
par departements et arrondissements, par groupement de population au-dessus
et au-dessous de 5000 habitants et par groupes d'âges. R&capitulation générale.
Cartes et tableau graphiques. Tableaux retrospectifs (1906 à 1911). Nombres
absolus et proportions. Extrait du rapport présenté au ministre de l'intérieur
par le directeur de l'assistance et de l'hygiène publiques sur la statistique
sanitaire de l'année 1911. Melun, Impr. administrative, 1913. 8. 176 pag.
Die periodische Presse des Auslandes. 135
Belgien.
Statistique generale de la Belgique. Exposé de la situation du Royaume
de 1876 à 1900, rédigé sous la direction de la commission centrale de statistique,
en exécution de l'arrêté royal du 29 mai 1902. Läme fascicule. Bruxelles,
Georges Piquart, 1914. 27X17,5. 3pl., 2 cartes, diagrammes. pag. 433—732—
XVIII. fr. 15. le volume.
Statistique de la Belgique. Agriculture. Recensement general de 1910,
publit par le ministère de l'agriculture et des travaux publics. Partie docu-
mentaire. Tome I. Répartition des cultures. Rendements moyens. Production
totale. Semences employées par hectare. Bruxelles, A. Dewit, 1913. 26,5x 17,5.
4ff+717 pag. fr. 5.—.
Italien.
Cenni statistici sul movimento economico dell’Italia (Banca commerciale
italiana). Milano, tip. Capriolo e Massimino, 1914. 8. 310 pp. con tredici tavole.
Statistica della criminalità per lanno 1909. Notizie complementari
alla Statistica giudiziaria penale. (Ministero di grazia e giustizia e dei culti.)
Roma, stamp. Reale, D. Ripamonti, 1914. 4. CXLIV—484 pp.
13. Verschiedenes.
Hammacher (Privatdozent), Emil, Hauptfragen der modernen Kultur.
Leipzig, B. G. Teubner, 1914. gr. 8. V—351 SS. M. 10.—.
Kohler, Jos., Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart.
Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr, 8.
IX—278 SS. M. 5.—.
Rohrbach, Paul, Der deutsche Gedanke in der Welt. Königstein i. Taunus
1914. 8. 240 SS. M. 1,80.
Watrin, L., Unsere Volksschule — eine Arbeitsschule. Einige Bei-
träge. Mit zahlreichen Abbildungen und 9 farb. Taf. Ansbach, Michael Prögel,
1914. 8 V—143 SS. M. 2,80.
Wirth, Albr., Rasse und Volk. Halle a. S., Max Niemeyer, 1914.
gr.8. VI—353 SS. M. 7.—.
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Die periodische Presse des Auslandes.
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pendant l'exercice 1912. — Les revenus de l'État. — États-Unis: La réforme
financière. — Loi portant réduction du tarif douanier et création de revenus
d'État. — Section II: Impôt sur le revenu (Act du 3 octobre 1913). —
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Oesterreich, par Paul Meuriot. — La statistique fédérale de l'Australie, par Paul
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point de vue &conomique, par Yves Guyot. — Crisis monetaires mondiales, par
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Robert Wolff. — Une solution liberale en matiere de prevoyance sociale, par
Maurice Bellom. — L’emprunt turc, par Yves Guyot. — L’alimentation de
l’Angleterre et les denrées frigorifiees, par E. Gouault. — Les assemblées
generales des compagnies de chemins de fer, par Georges de Nouvion. —
Mouvement agricole, par Maurice de Molinari. — Societ& d'économie politique
(Reunion du 5 mai 1914): Le bilan financier de l'émigration. Communication
de M. Paul Ghio. — etc.
Mouvement Social, Le. 39e Année, mai 1914, No. 5: L’indemnite de plus-
value au fermier ou métayer sortant, par P. de Bricourt. — Co-operation in
England (La cooperation en Angleterre), par H. Somerville. — L'inspection
du travail en Russie, par Dr. A. Woycicki. — Emigration et immigration, par
L. Guizerix. — etc.
Revue internationale de Sociologie. 22e Année, avril 1914, No. 4: La
religion de l’avenir, par A. Bochard. — Le systeme dramatologique des pro-
blömes de sociologie, par Otto Effertz. — Société de Sociologie de Paris
(Séance du 11 mars 1914): Le libéralisme politique. Paroles de Maurice Or-
dinaire, Th. Joran, René Worms, Albert Parenty, E.-N. Laval, Ch. Rabany,
Pierre Kahn, Eddy Levis. — etc.
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problems of federalism, by Edgar Crammond. — A new German Empire: the
story of the Baghdad railway (concluded), by André Géraud. — Democratic
finance: 1) The budget, graduaded taxation and the franchise, by Prof. E. C.
Clark. — 2) Strange reportsl, by E. M. Konstam. — etc.
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1914: Rural population in England and Wales: A study of the changes of
density, occupations, and ages, by A. L. Bowley. (With discussion.) — On
the use of analytical geometry to represent certain kinds of statistics. (Con-
tinuation.) By prof. F. Y. Edgeworth. — etc. Ze
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budget, by L. G. Chiozza Money, — The federal solution, by Lord Charn-
wood. — The universities and the nation in America and England, by Graham
Wallas. — Land reform and registration of title, by J. 8. Stewart-Wallace.
— The feminist movement in Turkey, by Ellen D. Ellis and Florence Palmer.
— ete.
Review, The Fortnightly. June 1914, No. 570: The new finance: How
shall we pay for a weart, by Archibald Hurd. — The end of Weltpolitik:
A letter from Berlin, by Robert Crozier Long. — The real trouble in Mexiko, by
J. M. Kennedy. — etc. z
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by (Captain) Bertrand Stewart. — Future developments in the Balkans, by
a diplomatist. — etc.
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Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 21: Zur britischen Tarifreformbewegung.
— Das deutsche Ausfuhrgeschäft. — etc. — No. 22: Zölle und Lebenskosten,
von Dr. Eugen v. Philippovich — Wirtschaftsverhältnisse im südöstlichen
Bulgarien. — ete. — No. 23: Frankreich in Nordafrika, von Dr. Marcel
Fischel. — Das türkische Scheckgesetz. — Wirtschaftsverhältnisse in Portugal.
— etc. — No. 24: Die russischen Eisenbahnbauten und Projekte. — Wirt-
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garischen Handelsministerium. Jahrg. 9, März 1914, Heft 3: Das Exposé des
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jahr 1914/15. — Ungarns Finanz- und Kreditwesen im Jahre 1912. — Das Budget
des kgl. ungarischen Ackerbauministeriums für das Finanzjahr 1914/15. — Ungarns
KE TEE TE
Die periodische Presse des Auslandes., 137
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— Die Landstraßen in Ungarn im Jahre 1912. —
Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k.k. Statistischen Zentral-
Kommission. Jahrg. 19, 1914, II—III Februar-März-Heft: Geburten und Sterbe-
fälle in den größeren Städten Oesterreichs im Jahrzehnt 1901—1910 und in den
Jahren 1910, 1911, 1912, von Prof. Dr. Karl Drexel. — Wirtschaftsstatistische
Chronik. Rückblick auf das Jahr 1913. — etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels-
ministerium. Jahrg. 15, April 1914, Heft 4: Arbeiterschutz in Fabriken und Werk-
stätten (Griechenland). — Einschränkung der Kinder-, Jugendlichen- und Frauen-
arbeit (Frankreich). — Errichtung eines Bergamtes (Vereinigte Staaten von
Amerika). — Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten (Norwegen). — Städtische und
staatliche Arbeitslosenunterstützung in Budapest. — Städtische Arbeitslosenfür-
sorge im Deutschen Reiche. A. Dresden, B. München, C. Neuköln. — Sozial-
versicherung (Oesterreich, Sozialversicherungsausschuß des Abgeordnetenhauses).
— Unfallversicherung der Bergarbeiter (Oesterreich). — Arbeitskonflikte in
Kanada 1912 und 1913. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im
März 1914. — Die Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreich im Jänner
nnd Februar 1914. — Die Arbeitslosigkeit in Wien bei den der Gewerkschafts-
kommission Oesterreichs angegliederten Verbänden in den Jahren 1910—1913. —
Städtische Arbeitslosenfürsorge im Deutschen Reiche. A. Straßburg 1911/12; B.
Erlangen 1909—13. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ
der Gesellschaft Oesterreichischer Volkswirte. Bd. 23, 1914, 1. und 2. Heft: Die
wirtschaftlichen Konjunktur- und Depressionswellen in Oesterreich seit dem Jahre
1896, von Dr. Emil Brezigar. — Der Grund und Boden als Produktionsfaktor der
galizischen Landwirtschaft in der Gegenwart, von Otto Pawluch. — Verteidigung
und Ergänzung der Böhm-Bawerkschen Preistheorie, von Ludwig Mezey. — Nach-
wort, von Eugen v. Böhm-Bawerk. — Ueber das Bankkontokorrent und dessen
wirtschaftliche Bedeutung, von Fritz Hönig. — Unbedeckte Banknoten und ihre
Einwirkung auf die Warenpreise, von Prof. Dr. Josef Pazourek. — etc.
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Rivista della beneficenza pubblica. Anno 42, Gennaio 1914, No. 1: L’assi-
stenza alle famiglie numerose codificata in Francia. — La assicurazione per le
malattie degli operai, di dott. Vincenzo Magaldi. — ete. — Febbraio, No. 2: La
cassa di risparmio di Bologna nella previdenza e nella beneficenza, di Giuseppe
Dalla Favera. — La assicurazione per le malattie degli operai (Continuazione), di
dott. Vincenzo Magaldi. — etc.
Rivista Italiana di Sociologia. Anno 18, Fasc. 2, Marzo-Aprile- 1914:
Ragioni storiche e recenti tendenze della politica commerciale, di G. Luzzatto. —
La filosofia del diritto come scienza autonoma, di G. Solari. — La storia e l’edu-
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verzekeringsbedrijf, door P. van Geer. — De migratiebeweging van Amsterdam,
mede in verband met de inkomstenbelasting, door Mr. J. Reitsma. — etc.
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sorgung, von Dr. Zitzen. — Die. Abänderung des § 100q der Gewerbeordnung des
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Eugen Lanske. — etc.
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nomique de la période 1895—1913, par (prof.) Jean Lescure. — La Katanga au
point de vue économique, par (prof.) Léon Hennebicq. — etc.
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von (Geh. Rat) Prof. Dr. Robert Meyer. — Der Bayerische Staatshaushalt, von
(Ministerialrat) Prof. Dr. Friedrich Zahn. — Die amtliche Statistik in deutschen
Parlamenten. Nach den Plenarverhandlungen über die Etats von Statistischen
Aemtern, von Fritz Burgdörfer. — etc.
Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. 40, 1914, Heft 2: Nochmals die offene
Handelsgesellschaft als juristische Person, von Josef Kohler. — Zur Lehre von
der ungerechtfertigten Bereicherung, von (Amtsrichter) K. Lassen. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Königl. Preußischen Ministerium
der öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914, Mai und Juni, Heft 3: Die wirtschaftliche
Lage Rußlands an der Hand des Entwurfes zum Reichsbudget 1914, von Dr.
Mertens. — Die finanzielle Selbstverwaltung der Staatsbahnen in Italien und der
Schweiz. Eine etatsrechtliche Studie (Schluß), von (Reg.-Rat) Schapper. — Die
Eisenbahnen der asiatischen Türkei, von (Dipl.-Ing.) M. Hecker. — Die Eisen-
bahnen der Erde 1908—1912. — Die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen und
de Wilhelm-Luxemburg-Bahnen im Rechnungsjahr 1912. — Die vereinigten
preußischen und hessischen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahr 1912. — etc.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Mai 1914, Heft 8: Die Aufgaben
des Preußischen Landtages gegenüber den Erfordernissen der inneren Kolonisation.
Besprochen auf der Konferenz der Gesellschaft zur Förderung der inneren Koloni-
sation am 24. März 1914: Das Gesetz über das Fideikommißwesen und die Inter-
essen der inneren Kolonisation. Besprochen von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. Sering
und Dr. Frhr. v. Reibnitz. — Das Vorkaufsrecht des Staates, zugunsten der Sied-
lungspolitik und andere Fragen aus dem Grundteilungsgesetz. Besprochen von
(Justizrat) Wagner. — Die Belastung der Besiedlungsunternehmer durch Steuern
und öffentlich-rechtliche Leistungen (insonderheit Schullasten) und sonstige Hinder-
nisse bei der praktischen Durchführung der Siedlungstätigkeit. Besprochen von
(Reg.-Assess.) Frhr, v. Gayl. — Die im preußischen Landtage zur Förderung der
inneren Kolonisation gestellten Anträge. Besprochen von (Ober-Reg.-Rat) Katte
und (Präs. des Oberlandeskulturgerichts) Dr. Metz. —
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Jahrg. 10, 1913, Heft 6:
Was kosten die minderwertigen Elemente dem Staate und der Gesellschaft?, von
Prof. Dr. J. Kaup. — Rassenwertung in der hellenischen Philosophie (Forts.), von
Dr. med. Fritz Lenz. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr-
gang 14, 1914, No. 10: Die deutsche Auslandshochschule.. — Entwicklung des
deutschen Außenhandels im Jahre 1913 (IV.). — Das Einfuhrscheinsystem und
der Schutz der nationalen Arbeit. — etc.
Bank, Die. Mai 1914, Heft 5: Die Bank mit den 300 Millionen, von Alfred
Lansburgh. — Sein und Aussichten einer Europäisierung des chinesischen Geld-
wesens (Forts.), von Dr. Hermann Schwarzwald. — Finanzpresse, von Ludwig
Eschwege. — Das Sparkassenwesen einiger europäischer Staaten in Gesetzgebung,
Einrichtungen und Ergebnissen (Schluß), von (Geh. Reg.-Rat) Dr. Max Seidel.
— Schnellverkehr und Bodenmonopol. — Kritik der Emissionsstatistik. — etc.
Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre.
Jahrg. 10, Mai 1914, No. 2: La clause d’arbitrage, par Léopold Dor. — Das inter-
nationale Finanzproblem des Balkans und der asiatischen Türkei. Vortrag, ge-
halten in der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft
und Volkswirtschaftsiehre zu Berlin am 28. März 1913, von Rudolph Said-
Ruete. — ete.
140 Die periodische Presse Deutschlands.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, Mai 1914, No, 5: Kommunal-
politik, von (Univ.-Prof.) Dr. Wilh. v. Blume. — Gartenland als Armenunter-
stützung. von H. Mankowski. — Die Entwicklung der Zweckverbände in Preußen.
— etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21,
1914, No. 10: Arbeitslosenversicherung in Bayern. — ete. — No. 11: Wissen-
schaftliches Betriebssystem, Fabrikwohlfahrtspflege und Berufsberatung, von Dr.
Altenrath. — Die Abwässerfrage in volkswirtschaftlicher Hinsicht, von Prof. Dr.
P. Rohland. — etc.
Export. Jahrg. 36, 1914, No. 20: Die deutsch-asiatische Dampferlinie, von
Prof. Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R.
Jannasch. — Handel und Wirtschaftslage in Südafrika. — etc. — No. 21: Zur
Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Brasilien und seine Be-
ziehungen zu Deutschland im Jahre 1913. — etc. — No. 22: Das Ende der Re-
publik der Mitte, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Zum deutsch-österreichischen
Handelsvertrag. — Deutschlands Außenhandel. — Generalbericht über die wirt-
schaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — etc. — No. 23: Zur Welt-
wirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R, Jannasch. — Der türkische Handel. — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 23: Albanien, von Spiridion
Goptevid. — Die Umwertung der Nationalität, von Samuel Lublinski. — etc. —
No. 24: Das Bevölkerungsproblem der Großstadt, von ©. Z. Klötzel. — etc.
Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 21: Die internationale
Regelung des gesetzlichen Arbeiterschutzes (Schluß), von Dr. v. Stojentin. — Die
Zunabme der mittleren Lebensdauer im Deutschen Reiche. — etc. — No. 22: Zum
Ablauf der Handelsverträge. — Reichstag und Landtag über die Arbeiterverhält-
nisse der Großeisenindustrie, von Dr. Reichert. — etc. — No. 23: Eine wissen-
schaftliche Arbeit über die Löhne und Lebenskosten des deutschen Arbeiters.
Eine Kritik von Dr. Th. Sehmer. — Das Lebensalter der Industriearbeiter nach
der Berufszählung vom 12. Juni 1907. — etc. — No. 24: Delegiertenversammlung
des Zentralverbandes Deutscher Industrieller am 4. und 5. Juni 1914 in Köln
(vorläufiger Bericht). — ete.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 3: Ueber die Be-
ziehungen zwischen der physikalischen Bodenbeschaffenheit und der Ertragsfähig-
keit der Getreidearten, von Dr. Gottlob Stempel. — Einfluß der sozialen Gliede-
rung der Genossenschaftsmitglieder auf die Tätigkeit der ländlichen Spar- und
Darlehnskassen, von (Landwirtschaftslehrer) J. Zimmer. — Untersuchungen über
die Akkordlöhnung in der Landwirtschaft, von Dr. v. Esden-Tempski. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 156, Juni 1914, Heft 3: Offener Brief über
das Verhältnis von Rußland und Deutschland, von Prof. Dr. Paul v. Mitrofanoff,
mit Vor- und Nachwort des Herausgebers. — Klagen unseres Volkes über den
deutschen Zivilprozeß, von (Landrichter) Dr. Bovensiepen. — Bedenken gegen
das Grundteilungsgesetz, von Dr. Georg Wilhelm Schiele. — ete.
Kartell-Rundschau Jahrg. 12, April 1914, Heft 4: Kartellrechtliche
Studien, von (Rechtsanw.) Dr. Rudolf Wassermann. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Juni 1914, Heft 6: Der staatsbürgerliche
Jugendunterricht, von Elisabeth Gnauck-Kühne. — Die deutsche Elektrizität auf
dem Weltmarkt, von Dr. Clemens Heiß. — Der Wert der Ziegenzucht für den land-
wirtschaftlichen Kleinbetrieb in Deutschland, von Dr. Hugo Kühl. — Die sozial-
hygienische Entwicklung Italiens seit 1888, von Marg. Weinberg. — etc.
Monatsblätter, Koloniale. Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonial-
recht und Kolonialwirtschaft. Jahrg. 16, Mai 1914, Heft 5: Die „schwarze Ge-
fahr“ in den afrikanischen Schutzgebieten, unter besonderer Berücksichtigung
Deutsch-Südwestafrikas, von (Major a. D.) Kurt Schwabe. — Statistik der far-
bigen Bevölkerung von Deutsch-Afrika (Schluß), von Dr. Hermann. — Schutz-
vertrag und Enteignungsrecht, von Dr. jur. K. ‚Wolzendorff. — Koloniales Gesetz-
und Verordnungsrecht 1913/14, von (Oberbürgermeister) Dr. Külz. — Die Boden-
verfassung Aethiopiens (Forts.), von Friedrich J. Bieber. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 10: Die politische Krise und die
Reichstagswahlen 1914 in Schweden, von Otto Järte. — Ein Wort zur Agrarfrage,
Die periodische Presse Deutschlands. 141
von Wilhelm Kolb. — Richter und Rechtsanwälte, von Wolfgang Heine. — Ge-
werkschaften und Genossenschaften, von Heinrich Stühmer. — etc. — Heft 11:
Kaiserhoch, von Wolfgang Heine. — Der deutsche Reichstag, von Edmund Fischer.
— Dampfersubvention und Parteientwicklung, von Max Schippel. — Die jüdische
Neukolonisation Palästinas, von Dr. Ludwig Quessel. — Die neuen Tarifverträge
im Zentralverband deutscher Konsumvereine, von Franz Feuerstein. — Grundfragen
eines einheitlichen Arbeitsrechts, von Rudolf Wissell. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1637: Die Gefahr der
Unternehmungen in überseeischen Ländern. — Der Grundirrtum der Bodenreformer.
— etc. — No. 1638: Die Konzentration im Bankwesen und die Privatbankiers, —
Die Amortisationshypothek. — ete. — No. 1639: Die Störungen des Wirtschafts-
lebens durch die auswärtige Politik. — Die Amortisationshypothek. — etc. —
No, 1640: Das Provisionskartell im Bankgewerbe. — ete. — No. 1641: Das Ka-
pital iu der Politik. — etc.
Rechtsschutz, Gewerblicher und Urheberrecht. Jahrg. 19, Mai 1914,
No. 5: Technische Beisitzer in Patentprozessen, von Prof. Dr. jur. et phil. E.
Kloeppel. — Immaterielles Güterrecht und Persönlichkeitsrecht, von (Kechts-
anwalt) H. Marquardt. — etc.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 20: New Yorker Geschäftsleben. VI. Eigen-
artige Berufszweige, von Hermann Max Boldt. — Organisation, Betrieb und Buch-
führung (II.), von Prof. Dr. Fr. Schär. — ete. — Heft 21: Deutschlands Groß-
schiffahrt, von Ludwig Alinger. — etc. — Heft 22: Der Weltbankier. — Inter-
ventionspolitik, von Myson. — etc. — Heft 23: Bauschwindel. — Unsere Groß-
banken (11.), von G. B. — ete. — Heft 24: B. E. W. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Juni 1914, No. 6: Zur Frage der Elektri-
zitātsmonopole, ein gesetzgeberischer Vorschlag, von (Reg.-Rat a. D.) Victor
Szezesny. — Gemischte wirtschaftliche Unternehmungen in Hamburg, von (Amts-
tichter) Dr. Matthaei. — Die Belastung der Kommunen mit Reichs- und Staats-
geschäften, von (Bürgermeister) Dr. Vigelius. — Postkreditbriefe, von (Post-
direktor) Müller. — Zur Psychologie und Ethik der Berufe und Stände. 1. Der
Großunternehmer, von Prof. Dr. v. Wiese. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Juni 1914: Japan und der Konflikt zwischen
Mexiko und der nordamerikanischen Union, von einem Botschafter a. D. — Zeitung,
Publikum und öffentliche Meinung, von Ernst Posse. — Die Entwicklung Ru-
Dies unter König Carol und der Balkankrieg, von (Kgl. rumän. Ministerpräs,
a. D.) Demeter A. Sturdza. — Die Beziehungen der äußeren und inneren Politik
Öesterreich-Ungarns, von (Feldmarschalleutnant a. D.) v. Wannich. — etc.
Revne, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Juni 1914, No. 3: Die Be-
herrschung der Massenenergien (II.), vom Herausgeber. — Der Parlamentarismus
an der Arbeit, von Dr. M. Ritzenthaler. — Zwei Rassenideale, von Ph. Stauff.
— etc:
Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 3: Zur Erneuerung der Handels-
verträge, von Anton Heutmann. — Gewerkschaft und Volkswirtschaft, von Dr.
A. Retzbach. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, Juni 1914, Heft 9: Die Eisenbahnpolitik
des Fürsten Bismarck, von G. C. — ete.
Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Mai, Heft 5: Die Arbeiterfrage in
Südafrika. — Zur Entvölkerungsfrage Unyamwezis, von (Missionssuperintendent)
M. H. Löhner, — Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ruandas, von
(Pastor und Missionar) K. Roehl. — etc.
: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft
im Deutschen Reiche. Jahrg. 38, 1914, Heft 2: Die Tatsachen der Lohnbewegung
in Geschichte und Gegenwart, von Gustav Schmoller. — Die Stellung der Wert-
urteile in der Nationalökonomie, von Eduard Spranger. — „Die berufliche und
soziale Gliederung des deutschen Volkes“ nach der Berufszählung vom 12. Juni
1907, von Paul Kollmann. — Die österreichische Volkszählung vom 31. Dezember
1910, von Paul Martini. — Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen zur
napoleonischen Zeit, von Eugen Tarle. — Die Genossenschaft deutscher Bühnen-
angehöriger und ihre wirtschaftliche Bedeutung für das Theater, von Rudolf
142 Die periodische Presse Deutschlands.
Spuhl. — Das Problem der öffentlichen Arbeitslosenversicherung nach seinem
gegenwärtigen Stande, von Ernst Bernhard. — Die neueren Agrarreformen und
die Pachtgenossenschaften in Rumänien, von Constantin Maltezianu. — Der Kampf
um das Petroleum, von Oswald Schneider. — Aus 100 Jahren deutscher Eisen-
und Stahlindustrie, von Rudolf Keibel. — Die Ergebnisse des zweiten deutschen
Soziologentages, von Walther Köhler. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 10: Der Kinematograph im Dienste
der Unfallverhütung, von (Reg.-Baumeister) Ernst. — etc. — Heft 11: Unfall-
verhütung und Fortbildungsschule, von (Gewerberat) Dr. Müller. — Gewerbe-
krankheiten in England im Jahre 1913. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 4,
Juni 1914, Heft 6: Liegt die heutige Verwertung der preußischen Staatsdomänen
im allgemeinen Interesse?, von (Bürgermeister) Pipberger. — Das neue Gesetz über
die Statistik der Getreidevorräte und Müllereierzeugnisse in Deutschland. — Ein
Jahrfünft der Privatlebensversicherung in Deutschland, von Franz Xaver Rayl.
— etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl.
Statistischen Amte. 23. Jahrg., 1914, Heft l: Anordnungen für die Reichs-
statistik 1913. — Zur Statistik der Preise. — Krankenversicherung (1908—12).
— Erntestatistik für das Jahr 1913. — Schlachtvieh- und Fleischbeschau im
4. Vierteljahr 1913. — Zulassung von Wertpapieren an den deutschen Börsen
1913. — Statistik der Schuldverschreibungen der deutschen Bodenkreditinstitute.
31. Dezember 1912. — Die Bestands- und Kapitalsänderungen der deutschen
Aktiengesellschaften und Gesellschaften m. b. H. (1913). — Bodenseefischerei im
Jahre 1913. — Die überseeische Auswanderung 1913. — Reichserbschaftssteuer-
statistik 1912. — Die Kraftfahrzeuge im Deutschen Reiche 1912/13 und Zählung
am 1. Januar 1914. — Zur amtlichen Kenntnis gelangte schädigende Ereignisse
beim Verkehr mit Kraftfahrzeugen (1. Oktober 1912 bis 30. September 1913). —
Vergleichende Darstellung zwischen der Kraftfahrzeugbestands- und -Unfall-
statistik (1. Oktober 1912 bis 30. September. 1913). — Branntweinbrennerei und
Branntweinbesteuerung 1912/13. — Produktion der Kohlen-, Eisen- und Hütten-
industrie im Jahre 1912. — Produktion der bergbaulichen Betriebe und der Eisen-
industrie Luxemburgs im Jahre 1912. — ete.
Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 12,
Heft 1 und 2: Handwerk und Hofrecht. Eine Entgegnung, von G. v. Below. —
Der Untergang der norwegischen Schiffahrt im Mittelalter, von Alexander Bugge.
— Zur Entstehung des Deutschtiroler Bauernstandes im Mittelalter, von O, Stolz.
— Eine amtliche Darstellung der Anfänge der österreichischen Arbeiterbewegung,
von Julius Bunzel. — etc.
Weltrerkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Mai 1914, No. 2:
Vergleichende Betrachtung über die Bodenertragsintensität in verschiedenen Län-
dern, von Dr. Hans Bernhard. — Die deutschen Siedlungen in Britisch-Kaffraria,
von (Geh. Reg.-Rat) Dr. Max Seidel. — Die Kautschukkrisis, von (Direktor) A.
W. Bloem. — Die erste internationale Postverbindung durch Deutschland, von
(Oberpostsekretär) Fritz Lathe. — Der Marseille-Rhone-Kanal, von Dr. F.
Guckenmuß. — etc.
Wirtschafts-Zeitung. Jahrg. 10, 1914, No. 10: Internationale Handels-
kammerkongresse, von Dr. Otto Brandt. — Die Einwirkung politischer Krisen auf
die Wirtschaftslage, von (Redakteur) Leo Benario. — Hilfe für die Arbeitslosen,.
von (Ingen.) Alfred Striemer. — ete. — No. 11: Die Volksversicherung, von P.
Ruscheweyh. — Weiterer Schutz des Privateigentums auf den Meeren?, von E.
Fitger. — Internationale kaufmännische Schiedsgerichte, von Simon L. Bern-
heimer. — Berliner Schmuckfedern, von Dr. Engel. — etc. — Beilage: Das
Sprachstudium an den Handelshochschulen, unter besonderer Berücksichtigung der
kaufmännischen Diplomprüfung, von Prof. Dr. Ch. Glauser. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 8: Auswärtiges Amt. — Zum
Problem der Moral (Marx und Kant), von C. Notter. — Wohnungsfrage und Ar-
beiterschaft, von Max Sachs. — Die Organisationsform der Gewerkschaften, von
Jacob Heinen. — etc. — No. 9: Der Minister für Wahlrechtsreform“, von
Die periodische Presse Deutschlands. 143
Konrad Haenisch. — Zum Problem der Moral (Marx und Kant) (Forts.), von
C. Notter. — Die italienische Partei und der Kampf gegen den Schutzzoll, von
Agostino Lanzillo.. — ete. — No. 10: Des Mbret Glück und Ende. — Sozial-
demokratie und Verstaatlichung, von H. Laufenberg. — Zum Problem der Moral
(Marx und Kant) (Schluß), von C. Notter. — Das Ende der liberalen Aera in
Württemberg, von Hermann Mattutat. — ete. — No. 11: Die gewerkschaftliche
Organisationsform, Von Xaver Kamrowski. — Sozialdemokratie und Verstaatlichung
(Schluß), von H. Laufenberg. — Taylorsystem und Arbeiterschaft, von Ernst
Meyer. — Bürgerliche Sozialpolitiker, Gewerkschaften und Klassenkampf, von
Paul Lange. — Innere Kolonisation in Oldenburg, von Joseph Kliche. — etc.
Zeitschrift des K. Bayerischen Statistischen Landesamts. Jahrg. #6,
1914. No. 2: Aufgaben und Leistungen der Polizeistatistik. — Der Viehstand
Bayerns auf Grund der Viehzählung vom 1. Dezember 1913. — Die Tarifverträge
in Bayern am Ende des Jahres 1912. — Krankenbewegung und Sterbefälle in
den bayerischen Heilanstalten in den Jahren 1911 und 1912. — Die Reichserb-
schaftssteuer in Bayern 1907—1911. — Statistik der Preise im Jahre 1913. —
Bayerische Verbände von Arbeitgebern, Angestellten und Arbeitern im Jahre 1912.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jahrg. 70, 1914, Heft 2:
Betrachtungen über die Kompetenzverteilung in den modernen Staaten, von Dr.
Bruno Beyer. — Zur Geschichte des Bergrechts von der ältesten Zeit bis auf
die Gegenwart, von Prof. Dr. Adolf Arndt. — Der Kampf um die Arbeits-
leistung in Australien und Amerika, von Dr. Junghann. — Gesindegerichte, von
(Ratsassess. a. D.) Dr. jur. Georg Müller. — Fehlerquellen in der Statistik der
Nationalitäten, von Waldemar Mitscherlich. — Die Wirksamkeit des britischen
Arbeitslosenversicherungsgesetzes, von H. Fehlinger. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 35, 1914, Heft 7:
Literaturbericht. Rechtsgeschichte. Berichterstatter: (Reichsarchivrat) Dr. H. Knapp.
— Strafrecht. Allgemeiner Teil. Berichterstatter: Prof. Dr. N. Hermann Kriegs-
mann. Besonderer Teil. Berichterstatter: (Oberlandesgerichtsrat) Dr. A. Feisen-
berger. — Strafprozeß. Berichterstatter: Prof. Dr. Ernst Beling und (Gerichts-
assessor) Dr. Ed. Kern. — Gefängniswesen. Berichterstatter: (Erster Staatsanwalt)
A. Klein. — Militärstrafrecht. Berichterstatter: (Kriegsgerichtsrat) E. Steidle.
— etc. 8 Se hi}
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Juni
1914, Heft 3. Das Institut der Sicherungsübereignung und seine buchtechnische
Behandlung, von (Handelsschuldirektor) Dr. R. Caleb. — Kredit- und Zahlungs-
vermittlung der Ueberseebanken, von Walter Brandt. — Die Passivkonten im
„Rahmen der Zweikontentheorie, von Seb. Puff. — Finanzierungspraxis, Von (Red.)
Arthur Lauinger. — etc. — Beiblatt: Normative Warenkunde, von Dr. Benno
Jaroslaw. — Entstehung und Verwirklichung des Handelsschulgedankens im 18. und
19. Jahrhundert in Berlin, von E. Nicklaus. — Zur psychologischen Grundlage
des Taylor-Systems, von Dr. M. Picard. — Der Weg zum Kaufmann in den
Vereinigten Staaten Amerikas, von Prof. Rudolf Anschütz. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg- 5, 1914, Heft 6: Die Preis-
kurve und das Teuerungsproblem (2. Teil II), von Dr. Lorenz Glier. i
Bedeutung des Krieges bei den Kulturvölkern (II. Schluß), von 8. R. Steinmetz.
— Sozialhygiene und Eugenik (II), von W. Schallmeyer. — etc.
144
Erklärung:
Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät
der deutschen Universität in Prag über den Angriff
Prof. Dr. Max Webers gegen Prof. Dr. Paul Sander.
In seiner Sitzung vom 22. Mai 1914 beschäftigte sich das Professoren-
kollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der deutschen Uni-
versität in Prag mit den ehrenrührigen Angriffen, welche Professor Max
Weber in Heidelberg gegen Dr. Paul Sander, Professor der Wirtschaftsgeschichte
der Prager deutschen Universität, gerichtet hat. Berichterstatter war ein Fakul-
tätsmitglied, das nicht der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft,
Kunst und Literatur in Böhmen angehört, weil diese insofern an der vorliegen-
den Angelegenheit beteiligt ist, als sie die Drucklegung der Salzschen „Ge-
schichte der böhmischen Industrie in der Neuzeit“ abgelehnt hatte. Auf Grund
des in dieser Sache erstatteten Berichtes wurde einstimmig die Grundlosig-
keit dieser Angriffe anerkannt und folgende vom Referenten beantragte Kund-
gebung angenommen:
1. Das Professorenkollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fa-
kultät der deutschen Universität in Prag bedauert die maßlosen und schon ihrer
Form nach unzulässigen Angriffe, welche Prof. Max Weber gegen Prof. Paul
Sander wegen dessen Kritik des Buches „Geschichte der böhmischen Industrie
in der Neuzeit“ von Arthur Salz gerichtet hat, erklärt, daß sich diese An-
griffe auf die schriftstellerische und persönliche Ehre Sanders nach reiflicher
Nachprüfung des von Weber beigebrachten Materials als vollkommen grundlos
und unberechtigt darstellen, und gibt seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß die
wissenschaftliche und sittliche Integrität Sanders außer jedem Zweifel steht.
2. Für eine Disziplinaruntersuchung gegen Professor Sander liegt kein
Anlaß vor, und es bedarf auch keiner gerichtlichen Klage, um etwa Sander der
Fakultät gegenüber wegen der gegen ihn gerichteten Angriffe zu rehabilitieren.
Zugleich wurde beschlossen, zur Aufklärung der Oeffentlichkeit die Aus-
führungen des Berichterstatters zu veröffentlichen, was hiemit geschieht.
Der Dekan
der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der deutschen
Universität in Prag v. Mayr.
Die ausführliche Begründung dieser Entscheidung ist in einer im Selbst-
verlage der Prager Fakultät erschienenen Broschüre enthalten. Herr Prof.
Max Weber hat bereits eine Gegenantwort in einer selbständigen Publikation in
Aussicht gestellt
Die Redaktion.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Stolzmann, DieKritik des Subjektivismus an der Hand dersozialorganischen Methode. 145
II
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand
der sozialorganischen Methode.
Rudolf Stolzmann,
Ehrendoktor der Staatswissenschaft.
Inhalt: Einleitung. 1. Der Ausgangspunkt der subjektivistischen Lehre und
ihr „Elementarfall“. 2. Der „Subjektivismus‘“ der Wertlehre, ihr „Passe-partout“ und
ihre Werteinheit. 3. Der Preis als Resultante subjektiver Wertschätzungen. 4. Die
„Komplikationen“ des subjektivistischen Preisgesetzes, zunächst die für „beliebig käuf-
liche Güter‘. 5. Die „Kosten“ in der subjektivistischen Preislehre. 6. Das Wesen und
der Ursprung des Kostenbegriffs: Kausalität oder Teleologie? 7. Die Unzulänglichkeit
des Kostenbegriffs in der subjektivistischen Preislehre. 8. Der Wert der „komplemen-
tären“ Güter. Das Gesetz der Zurechnung und Verteilung.
Die theoretische Nationalökonomie wird mit Recht auch die
„systematische“ genannt. Denn sie hat die Aufgabe, den von der
Wirtschaftsgeschichte vorbereiteten Stoff in ein grundsätzliches
„System“ von fruchtbaren Begriffen zu bringen, das dann wieder der
Wirtschafts politik als handliches Werkzeug dienen kann. So steht
sie im Zentrum der Gesamtdisziplin. Sie hat ihr die Elemente der
Erkenntnis zu bieten, ihr klares und schlichtes Einmaleins.
Wie soll ihr aber diese Aufgabe gelingen, wenn sie nun seit
einem halben Jahrhundert durch den hartnäckigen Streit ihrer beiden
Schulen, der objektivistischen und der subjektivistischen,
in ihren eigenen Grundvesten erschüttert wird? Die Ueberwindung
dieses Dualismus ist heute für sie und die ganze Nationalökonomie
zur Lebensfrage geworden. Da aber nach Lage der Sache an ein
Niederringen des einen der beiden Gegner durch den anderen nicht
zu denken ist, wird nur ein Friedensschluß helfen, der keinen Sieger
und keinen Besiegten kennt: die streitenden Prinzipien haben sich
der Einheit eines höheren Prinzips unterzuordnen, das weit
genug ist, um die lebenskräftigen Bestandteile beider Lehrmeinungen
in sich aufzunehmen und sie zu einem zeitgemäßen Neubau zu-
sammenzufügen — nicht eklektisch äußerlich, sondern innerlich or-
ganisch, im Hegelschen Dreitakte immanenter Entwicklung.
Das Prinzip, das ich meine, ist nicht neu. Es ist das Sozial-
prinzip, der soziale Gedanke, der in der Lehre vom wirtschaft-
lichen Seinsollen und auf dem Gebiete der praktischen Politik schon
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID). 10
146 Rudolf Stolzmann,
heute gesiegt hat. Wie dort die „soziale Frage“ als ein Problem
der Organisation erkannt wird, so muß in der Lehre vom wirt-
schaftlichen Sein die bestehende Volkswirtschaft als ein „Orga-
nismus“ erfaßt werden; aber, um alle naturalistische Mißdeutung
schon an der Schwelle abzuweisen, nicht als ein Organismus im
Sinne eines Naturgebildes, das man seinem Gange zu überlassen hat,
sondern als ein historisch variables Zweckgebilde, als eine geistige
Schöpfung, die, trotz aller ihrer naturgegebenen Bedingun-
gen, ein Menschenwerk bleibt, und deshalb auch von den Menschen
geändert und gebessert werden kann.
Diese Betrachtungsweise, die ich kurz als sozialorganische
bezeichnen will, ist der Sache nach schon von den Historikern
der ethischen Richtung, von Knies an bis zu Schmoller, gehandhabt,
und auch in der theoretischen Nationalökonomie ist sie von
Rodbertus, Schäffle und Wagner angebahnt und gefördert worden.
Energischer hat sie dann wieder der Verfasser dieser Zeilen in seiner
„Sozialen Kategorie“ vom Jahre 1896 geltend gemacht, und damit
der Forderung Stammlers in dessen gleichzeitig erschienenem Werke
„Wirtschaft und Recht‘ entsprochen: „endlich einmal expressis ver-
bis in den nationalökonomischen Grundlegungen auf die sozi-
ale Regelung als letzte sozialwissenschaftliche Erkenntnisbe-
dingung hinzuweisen, diese dann aber auch bei aller Durchfüh-
rung nationalökonomischer Lehre in klarer Entschlossenheit fest-
zuhalten und zielbewußt zu verwerten“. Diese Grundidee, für die
auch Karl Diehl in seinen Abhandlungen, 1897, S. 813 ff., und 1902,
S. 87 ff., dieser Jahrbücher, und in seinen sonstigen Schriften ein-
tritt, ist dann von mir 1909 im „Zweck in der Volkswirtschaft“
vertieft und ausgebaut. Die Volkswirtschaft wird dort nach dem
Vorgange Stammlers als sozialorganisches Zweckgebilde dargestellt,
dessen Stoff (Materie) die oben berührten Naturbedingungen, d. i.
die technischen und psychologischen Elemente der sogenannten rein-
ökonomischen oder natürlichen Kategorie, bilden, und dessen
Form sich aus den Elementen der sozialen, auch wohl als „histo-
risch“ bezeichneten Kategorie ergibt, mit anderen Worten, aus der
durch Sitte und Recht geregelten Wirtschaftsordnung. Die Volks-
wirtschaft ist dann eben die Einheit jener beiden Kategorien, kurz:
der „geregelte Stoff“, und die oben formulierte Forderung einer
Zusammenfassung der subjektivistischen und objektivistischen Ele-
mente in einer übergeordneten Einheit würde damit erfüllt sein.
Wenn die Zeichen nicht trügen, hält diese Methode bereits ihren Einzug.
Ich will aus der großen Masse der neuesten Literatur vor allem ein Wer
hervorheben: Ammon, „Objekt und Grundbegriffe. der theoretischen National-
ökonomie“, Wien u. Leipzig 1911, das mit der Grundtendenz und dem Inhalte
meiner „Sozialen Kategorie“ so auffällig übereinstimmt, daß es sehr wohl den-
selben Titel führen könnte, obgleich der Verfasser weder Stammler noch mich
zu kennen scheint. Ich kann mir das nach dem ganzen Inhalte der Schrift.
und nach der eigenen Bemerkung Ammons auf S. 410 nur dadurch erklären,
daß er seinerseits wieder von Komorzynski angeregt worden ist, der nach einem
Briefe an mich vom Jahre 1896 bei den Vorstudien für sein 1903 erschienenes
Werk über den „Kredit“ durch „immer und immer wiederholte Lektüre“ meines
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 147
Buches nach der Richtung der sozialorganischen Betrachtungsweise hin ganz
erheblich beeinflußt worden ist. — Neuerdings hat dann ein so ausgesprochener
Subjektivist wie Liefmann, Bd. 1913, S. 613 dieser Jahrbücher, eingeräumt,
daß gerade meine Untersuchungen zeigen, wie man „auch“ von der sozialen
Betrachtungsweise aus bei richtiger Beobachtung der Dinge „zu richtigen Er-
klärungen gelangen kann“. — dlich weise ich hin auf O. Spann: „Der
Dees er Nationalökonomie“ in der Zeitschr. f.d. ges. Staatswissensch.
1908, S. 1ff., ganz besonders aber auf O. v. Zwiedinek in demselben Bande,
S. 587ff.; „Kritisches und Positives zur Preislehre“, Forts. 1909, S. "gtt,
sodann im Archiv f. Sozialw. u. Sozialpolitik, 1914, S. 1ff.: „Ueber den
Subjektivimus in der Preislehre (Ueberlegungen im Änschluß an Liefmanns
Preistheorie)“. v. Zwiedinek gelangt, trotz seiner — mit Spann — noch immer
von den „Handlungen der Subjekte“ ausgehenden analytischen Methode, zu einer
eindringlichen Verwerfung der subjektivistischen Einseitigkeiten und ist schritt-
weise dem Standpunkte der sozialorganischen Betrachtung so nahe gekommen
daß man ihm von dort aus — nach Durchbruch einer nur noch dünnen und
mehr äußerlich methodischen Scheidewand — beinahe die Hand reichen kann,
Nach dem Gesagten sehe ich meine nächste Aufgabe in der
Kritik des herrschenden Subjektivismus, der dann in einer weiteren
Abhandlung die Kritik des Objektivismus und der Versuch seiner
Versöhnung oder — weniger optimistisch — seiner Verschmelzung
mit dem Subjektivismus zu einer sozialorganischen Einheit folgen
wird. Soweit ich hierbei mit der Kritik einzusetzen habe, kann sie
nicht immer in Friedenstöne ausklingen, ich hoffe aber, daß mir die
betroffenen Autoren das Zeugnis strenger Sachlichkeit nicht vor-
enthalten werden. Es gilt das besonders von einem Schriftsteller,
dem die Wissenschaft zu großem Danke verpflichtet ist, ich meine
v. Böhm-Bawerk. Ist er es doch, dessen bewundernswerter Scharf-
sinn und dessen gewandte Feder der subjektivistischen Lehre die
abschließende Vollendung und den Reiz eines harmonischen Kunst-
werks verliehen hat, eines Kunstwerks „aus einem Guß‘“. Er selbst
und der Leser werden es also natürlich finden, wenn sich meine
Kritik vielfach kurzweg an diejenige greifbare Form des Subjekti-
vismus hält, die er nun einmal von seinem Meister erhalten hat.
1. Der Ausgangspunkt der subjektivistischen Lehre und ihr
‚„Elementarfall“.
Der wesentlichste Unterschied zwischen der von mir vertretenen
sozialorganischen und einer subjektivistischen Methode liegt in
ihrem Ausgangspunkte. Jene beginnt mit der Zergliederung des
volkswirtschaftlichen Organismus als eines primären Ganzen, sie
legt seine organischen Funktionen dar und endigt mit der Lehre
vom Werte, der nur das Ergebnis der immanenten Zwecke der
Volkswirtschaft darstellt, die Quintessenz ihrer sozialorganischen
Zweckfunktionen und deren kurzen Ausdruck im Lapidarstil
(„Zweck“, S. 209, 527). Diesubjektivistischen Lehren nehmen
den umgekehrten Weg. Bei ihnen steht — wie bei den Klassikern
formal — auch sachlich die Wertlehre an der Spitze des Systems,
ja der Wert bzw. der Preis „organisiert“ erst seinerseits die Volks-
wirtschaft, wie der neueste Subjektivist sagt: Liefmann.
10*
148 Rudolf Stolzmann,
Nun habe ich schon „Zweck“, S. 702, die Wahl des Ausgangs-
punktes als das unveräußerliche Urrecht jeder Theorie bezeichnet.
Er muß nur zum richtigen Ende führen und seinen Zweck erfüllen.
Ueber diesen Zweck herrscht Einigkeit. Auch die Theoretiker des
Subjektivismus geben zu, daß ihre Wertlehre, obwohl „Zentral-
problem“ der ganzen Nationalökonomie, doch nicht Selbstzweck sei,
sondern nur Mittel im Dienste eines höheren Zweckes, der Erklärung
der vollen sozialen Wirklichkeit. „Von der Wissenschaft“, sagt
v. Böhm S. 324, Jahrgang 1892 dieser Jahrbücher, „verlangt man,
daß sie unserer, der wirklichen Welt, den Spiegel vorhalte...
Robinson ist uns ein ‚Probierbengel‘, der eigentliche Schauplatz
unserer Theorie ist die volle sozialwirtschaftliche (!) Wirklichkeit.
Unsere Werttheorie wäre keinen Schuß Pulver wert, und wir würden
nicht eine einzige Seele im Publikum zu ihr bekehren, wenn wir
nicht imstande wären, zu zeigen, daß sie nicht bloß auf Robinsonaden,
sondern auf die volle lebendige Wirklichkeit paßt.“ Ganz folgerecht
weist er deshalb dem objektiven Tauschwerte, dessen Gesetze, wie
er richtig bemerkt, mit denen des Preises zusammenfallen, die
Rolle des „Erklärungszieles“, dem subjektiven Werte die eines
wissenschaftlichen Erklärungswerkzeuges zu. Damit im Ein-
klang steht es, wenn er jetzt, in der neuesten (3. Auflage) seiner
„Positiven Lehre des Kapitalzinses“, S. 219, sich „zugunsten eines
einheitlichen Wertbegriffs“ entscheidet, während er früher Neu-
mann, dem Vater der unglücklichen Antithese „objektiver und sub-
jektiver Wert‘ beipflichtete, der gegen die Zusammenfassung beider
in einen Begriff ausgeführt hatte, sie laufe auf dasselbe hinaus, als
wenn man aus einem Schwarzwaldbauer und einem Vogelbauer einen
„Bauer im allgemeinen“ zusammendestilliere. Demgegenüber hatte
ich schon, „Soziale Kategorie“, S. 19—23, die Einheit des Wert-
begriffes und der Werterklärung geltend gemacht. Im wirklichen
Leben, sagte ich dort, hat jedes Gut auch nur einen Wert und
einen Dreis Was man seine Unterarten nennt, sind nur wissen-
schaftliche Hilfsbegriffe (Kategorien) zur Erfassung und Bemessung
dieses einen unteilbaren Wertes.
Wenn nun auch v. Böhm-Bawerk nachträglich die Einheitlichkeit
des Wertes äußerlich anerkannt hat, so scheint er den Dualismus
innerlich noch lange nicht ausgezogen zu haben. Erkennt er doch
auch jetzt nur sehr „dürftige gemeinsame Erscheinungsmerkmale“
zwischen subjektivem und objektivem Werte an. Die „Geltung der
Güter im Wirtschaftsleben‘“ (so lautet eine neuere einheitliche For-
maldefinition v. Wiesers) sei eine Geltung recht verschiedener Art,
weil sie „aus einem verschiedenen Tatbestand‘ hervorgehe, dem
zwei „in ihrem Wesen recht stark differenzierte Erscheinungs-
gruppen“ entsprächen. Daß der Tatbestand der einen auf den der
anderen einen kausalen Einfluß übe (er denkt hierbei wohl an den
objektiven Tauschwert als „Resultante‘“ der subjektiven Wert-
schätzungen) gehöre auf ein ganz anderes Blatt und habe mit der
Frage der Zusammenfassung beider Werte genau so wenig zu tun,
Die Kritik des Subjektivimus an der Hand der sozialorganischen Methode. 149
als etwa die Tatsache, daß der Regen das Leben und die Entwicklung
der Pflanzen kausal beeinflußt, irgendeinen Titel dafür gebe, den
Regen und die Pflanzen in einen übergeordneten gemeinsamen Be-
griff zusammenzufassen. Das scheint mir im Widerspruch mit der
besseren Einsicht v. Böhm-Bawerks zu stehen, wonach objektiver und
subjektiver Wert „in einem Guß‘“ zu erklären seien, und mit der
Auffassung, wonach dem subjektiven Werte nur die Probe eines
„Werkzeuges“ für die Erklärung des objektiven Wertes, also, mit
v. Böhm-Bawerks Erlaubnis, des Preises zufalle, der doch glücklicher
weise eine durchaus gegebene eindeutige Tatsache des Lebens ist.
Ist er das zu Erklärende, so fällt er auch mit dem „Werte“ der
sozialen Wirklichkeit zusammen, er ist der Preis. Es gibt nicht
zwei „Erscheinungsgruppen“, sondern nur ein einziges zu erklärendes
Phänomen. Es gibt auch nicht, wie v. Böhm-Bawerk meint, be-
sondere Gesetze des subjektiven und besondere des objektiven
Wertes, sondern nur zwei verschiedene Kategorien oder Hilfs-
mittel des Denkens zur Erfüllung der einen Aufgabe, der Auffin-
dung der Gesetze des Preises, den wir Nationalökonomen „dem Publi-
kum‘ zu erklären haben. So entschieden die Kategorien, wie ich
eingehend gegen Dietzel im „Zweck“, $ 8, S. 112ff., klar zu machen
suchte, beileibe niemals in eins „zusammengefaßt‘‘ werden dürfen,
sondern ihren Erkenntniswert erst in der streng begrifflichen Schei-
dung von einander erhalten, so wenig ist andererseits die Zerhackung
der einheitlich gegebenen Phänomene in besondere Tatsachen-
gruppen erlaubt.
Die Vermengung der Kategorien mit den Phänomenen ist ja so
alt wie alle „Wertlehren“. Je nach der Richtung der Autoren
haben sie das Denkmittel „Wert“ nach ihrem Zwecke gemodelt.
Die Physiokraten haben den valor intrinsecus der ländlichen Er-
zeugnisse, die Klassiker und die Sozialisten den „Arbeitswert‘“,
die Epigonen und Exegeten der Klassiker den Kostenwert als „den“
Wert bezeichnet. Kein Wunder dann, wenn dieser Wert der Ge-
lehrsamkeit mit dem Werte der Wirklichkeit, das „Wertgesetz“ mit
dem „Preisgesetz“ nicht stimmen will, wie dies schon bei den
Klassikern (Soz. K., S. 62 ff.), ebenso bei Rodbertus (ebenda,
S. 73—74), dann aber ganz besonders grell bei Marx hervorgetreten
ist (ebenda S+ 93 und Zweck S. 546ff). Es ist deshalb begreiflich,
wenn Liefmann das verdächtige Wort „Wert“ am liebsten ganz
aus dem wissenschaftlichen Begriffsschatz ausscheiden möchte, nur
daß er ihn seinerseits doch wieder durch einen neuen Wert, den
„Ertragswert‘“, bereichert hat.
So beginnt denn die subjektive Wertlehre gleich mit der Ana-
lyse solcher künstlich konstruierter „Erscheinungsgruppen“, in denen
der rein subjektive Charakter des Werts in ungetrübter „Erschei-
nung“ hervortreten kann, recht abseits von jenem „eigentlichen
Schauplatz“ der Theorie, ungestört von allen Ablenkungen der so-
zialen Wirklichkeiten: noli tangere circulos meos! Wüstenreisende
150 Rudolf Stolzmann,
mit gemessenem Wasservorrat, einsame Jäger mit zwei Stücken
Brot oder zwei Patronen, besonders aber der Kolonist im Urwalde,
das sind die „Schauplätze“ und Versuchspersonen, an denen die
Subjektivsten klarzumachen suchen, daß „der ökonomische Cha-
rakter der Güter in keinerlei Weise an die menschliche Wirtschaft
in ihrer sozialen (!) Erscheinung geknüpft“ sei, „die Güter haben
Wert stets für bestimmte wirtschaftende Subjekte, aber auch nur
für solche einen bestimmten Wert“ (Menger). Ja, v. Böhm
hat nicht übel Lust, den Begriff „objektiver Tauschwert‘“ ganz
auszumerzen und ihn durch „Tauschkraft“ zu ersetzen, der dann
in einer Linie mit den „ganz nahe verwandten‘ übrigen, rein tech-
nischen „objektiven“ Werten: dem „Heizwert‘‘ von Holz und Kohlen,
dem „Düngwert‘“ der Düngmittel, dem „Gefechtswert“ der Kriegs-
schiffe usw. steht, in denen „jede Beziehung“ auf das Wohl und
Wehe eines Subjektes verbannt sei. Nur „der subjektive Wert ist die
Bedeutung, die ein Gut für die Wohlfahrtszwecke eines bestimmten
Subjektes besitzt“. Der objektive Tauschwert ist nur eine rein
objektive „Tatsache“, nämlich die „Fähigkeit, im Austausch eine
bestimmte Menge“, ein „Quantum“ anderer Güter, als Gegengabe
zu erlangen, z. B. 1 Pferd gegen 100 Gulden (v. Böhm-Bawerk
„Grundzüge“, Jahrg. 1886 dieser Jahrbücher, S. 4—8 und „Pos.
Theorie“, S. 211—220).
Die Ableitung des „wahren“, des subjektiven Wertes, nimmt dann v. Böhm
an jenem Beispiel des Kolonisten in folgender Weise vor: Sein Blockhaus steht.
„abseits von allen Verkehrsstraßen einsam im Urwalde“. Er ist ausgerüstet mit
dem gemessenen Vorrat von 5 Säcken Korn. Die objektiven und die subjektiven
Faktoren seiner Wertschätzungen sind gegebene, der objektive Faktor ist der
„Besitzstand“ der 5 Säcke Korn, mit der der Kolonist sich bis zur nächsten
Ernte behelfen muß, der subjektive Faktor ist die „Skala der Bedürfnisse“ in
seinem Kopfe, nach der er ihre Wichtigkeit bemißt. Nach dieser Skala weist er
den vorhandenen Gütervorrat der Reihe nach in die wichtigsten konkreten Ver-
wendungen ein, den ersten Sack bestimmt er für die Lebensfristung, den zweiten
zur Vervollständigung seiner Mahlzeiten, den dritten zur Mästung von Ge-
flügel, den vierten zur Erzeugung von Kornbranntwein und den fünften, um
zu seinem Vergnügen Papageien zu erhalten. Dann richtet sich der Wert eines
Sackes Korn nach dieser letzten Verwendung. Denn der Wert kann ja immer
nur die „Bedeutung sein, die ein Gut oder ein Güterkomplex als anerkannte
ak eines sonst (!) zu entbehrenden (!) Nutzens .... erlangt. Das
Maß des abhängigen Nutzens ist auch das Maß für den Güterwert.“ Dies
„erprobt“ sich, so erläutert v. Böhm, „am einfachsten daran, wieviel er (der Ko-
lonist) an Nutzen einbüßen würde, falls ihm ein Sack verloren (I!) ginge“
„Der Kolonist wird mit den übrig gebliebenen 4 Säcken die vier wichtigsten Be-
dürfniszweige decken, und nur auf die Gewinnung des unbedeutendsten letzten,
des ‚Grenznutzens‘ verzichten“, auf die Papageienhaltung, „und nach diesem
unbedeutendsten Nutzen wird er daher auch jeden einzelnen Sack seines Korn-
vorrats schätzen“.
An diesen und ähnlichen kasuistischen „Beobachtungen des
Lebens“ erläutern die Subjektivsten das, was sie den „Elementar-
fall“ nennen, den Fall der Bewertung gleichartiger Güter eines
gegebenen Vorrats, und leiten aus ihm denjenigen Lehrsatz ab, der
ihnen als der Angelpunkt der ganzen Wertlehre‘“ und „noch mehr
als dies: als der Schlüssel . . geradezu für alle Wirtschaftshandlungen
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 151
der Menschen, und somit (!) für die gesamte volkswirtschaftliche
Theorie“ erscheint: „die Größe des Werts eines Gutes bemißt sich
nach der Wichtigkeit desjenigen konkreten Bedürfnisses oder Teil-
bedürfnisses, welches unter den durch den verfügbaren Gesamt-
vorrat an Gütern solcher Art bedeckten Bedürfnissen das min-
dest wichtigste ist“, kürzer: „der Wert eines Gutes bestimmt sich
nach der Größe seines Grenznutzens“.
Aus dem großen Heere der Bedenken gegen diesen „Schlüssel“
kann ich hier nicht alle wiederholen, die ich an anderer Stelle schon
seit beinahe 20 Jahren vorgetragen und denen sich unter anderem an-
geschlossen haben: Schor, Jahrband 1902 dieser Jahrbücher, Schade
in den Annalen des Deutschen Reiches, 1906, S.234ff. Zu vergleichen
ist jetzt auch Liefmann „Archiv“, 1911, S. 1ff. und 406ff., be-
sonders S. 451ff. Ich will mich auf diejenigen Einwendungen be-
schränken, die mein Thema betreffen, weil sie sich aus der sozial-
organischen Betrachtung ergeben. Sie sind auch wohl diejenigen,
die bis zur Wurzel des Subjektivismus reichen. Sie betreffen die
Grundfrage, ob der aus dem Elementarfall abgeleitete Lehrsatz zur
Erklärung der sozialen Wirklichkeit hinüberführt, oder in
v. Böhm-Bawerks Worten, ob er einen „tragfähigen Unterbau für
die Erklärung der sozialwirtschaftlichen (!) Werterscheinungen‘“ ab-
zugeben geeignet ist. Dazu ist vor allem eine Prüfung erforderlich,
wie weit jener Lehrsatz „subjektiver“ Art ist, ja ob die Grenz-
nutzenlehre überhaupt noch den Anspruch erheben kann, eine
Nutzenwertlehre zu sein, endlich ob der ‚„Fortfallgedanke‘“, auf
den sie sich gründet, eine ausreichende Werteinheit und somit
in der Tat den Schlüssel oder — wie v. Böhm-Bawerk sagt — den
Passe-partout ergibt, der durch alle Verwicklungen der vielge-
paiga Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens siegreich hin-
urc Tt.
2. Der „Subjektivismus“ der Wertlehre, ihr „Passe-partout“
und ihre Werteinheit.
Schon mit dem „Subjektivismus“ der Lehre hat es seine eigene
Bewandtnis. Entlehnt sie doch ihr Rüstzeug recht wesentlich den
objektiven Faktoren, nämlich den „äußeren Umständen“ der
„konkreten Situationen‘, besonders den fixen „Vorräten‘“ gegebener
Quantitäten. Es sei klar, sagt schon Menger, „daß das Kriterium
des ökonomischen Charakters der Güter ausschließlich in dem Ver-
hältnis zwischen Bedarf und (!) verfügbaren Quantitäten derselben
zu suchen sei“. Und v. Böhm-Bawerk, Pos. Theorie, S. 225: „Jeden+
falls ist daran festzuhalten, daß Quantitätsverhältnisse allein
(!) es sind, welche darüber entscheiden, ob irgendein Gut bloß fähig
zu nützen, oder auch Bedingung des Nutzens für uns ist“, also
Wert hat, d. h. ob es „die unentbehrliche Bedingung, die conditio
sine qua non eines Wohlfahrtserfolges“ ist. Nur ein anderer Aus-
druck des Quantitätenbegriffs ist die „Seltenheit“, die Knapp:
152 Rudolf Stolzmann,
heit“; denn, sagt v. Böhm-Bawerk, die Nützlichkeit zeigt nur an,
wie hoch der Nutzen äußerstenfalls aufragen kann (abstrakter Ge-
brauchs- oder Gattungswert), die höhere Stufe des Nutzens ergebe
sich erst aus der Seltenheit. Diese entscheide darüber, bis zu
welchem Punkte der Nutzen „konkret und wirklich aufragt“. Ja,
sage ich, sie entscheidet dann doch aber auch darüber, bis wie weit
er herniederreicht, der Umfang des Gütervorrats bestimmt erst,
bis zu welchem Grenzbedürfnis herab seine Einweisung erfolgen
kann; kurz: er entscheidet über den „Grenznutzen‘“, der also nicht
„regiert“, sondern ein sekundäres Ergebnis ist, nicht Grund,
sondern Folge. Am anschaulichsten hat uns v. Wieser darüber belehrt,
wie sehr diese „objektiven Bedingungen des Güterdaseins den Güter-
wert beeinflussen“, zu vgl. „Zweck“, S. 700ff.
Aber selbst als „Ergebnis“ ist der Grenznutzen ein fragwürdiges
Wertmaß. Als solches müßte er doch einen Wert in sich tragen,
der geeignet wäre, ein tertium comparationis für die Vergleichung
des verschiedenen Nutzens der verschiedenen Güter abzugeben.
Dies ginge nicht anders als durch Messung an irgendeiner Intensi-
tätseinheit der Bedürfnisbefriedigung. Eine solche!) ist aber
bis heute noch nicht entdeckt worden. Man kann wohl sagen, daß
uns im Einzelfalle die eine Bedürfnisbefriedigung wichtiger (!) er-
scheint, als die andere; aber über diesen Komparativ kommt man
nicht hinaus. So ist es auch ganz unmöglich, den Nutzen, den der
letzte Sack Korn gewährt, auf eine Einheit mit dem Nutzen der
übrigen Säcke zu bringen; denn das, was man ihren (!) Grenz-
nutzen nennt, ist nicht „ihr“ Nutzen, sondern, wie v. Böhm-
Bawerk sonst sagt, „ein fremder (!) Nutzen, der Nutzen des letzten
Güterexemplares, das zur Vertretung (!) herangezogen werden kann“.
„Der Grenznutzen, der den Wert(?) eines Gutes bestimmt (?), ist
nicht identisch mit dem Nutzen, den es selbst tatsächlich stiftet ..
letzteres trifft nur zu entweder bei einzigen, oder bei denjenigen
1) Vergeblich hat sich v. Böhm-Bawerk S. 325, 8. 331 a. a. O. und neuerdings noch
einmal im Exkurs X bemüht, die mannigfaltigen Einwendungen zu widerlegen, die im Laufe
der Zeit, auch von mir (jetzt Zweck 8. 221), gegen die „Meßbarkeit der Gefühlsgrößen‘“
und gegen ihre praktische Verwendbarkeit als Wertmaßstab erhoben worden sind.
Er führt diese Einwendungen selbst ganz zutreffend vor: Intensitäten verschiedener
Bedürfnisse seien deshalb nicht untereinander meßbar, weil es an der gemeinsamen
Maßeinheit fehle. Wir vermögen nur immer im gegebenen Momente und bei ge-
gebenem Zustande unserer Mittel ein vergleichendes Urteil über den Grad der
Lust zu bilden, den zwei oder mehrere Güter befriedigen. Nicht eine absolute Mes-
sung, sondern nur eine komparative Vergleichung sei möglich. Wir können nicht
„urteilen, das Lustgefühl A sei z. B. dreimal so groß und stark als das Lustgefühl B“ —
v. Böhm-Bawerk erwidert 8. 333: „Ich glaube, wir können das wirklich oder mindestens
etwas ganz Aehnliches OI, „weil (?) wir im praktischen Leben unzählige Male in die Lage
kommen, zwischen mehreren Genüssen, die uns wegen der Beschränktheit unserer
Mittel OU) nicht gleichzeitig erreichbar sind, eine Wahl (sic) zu treffen‘, und wir urteilen
„geradezu darüber, um wievielmal der eine Genuß den anderen an Größe übertrifft“.
Aber ist das nicht eine Verrückung des Beweisgegenstandes? Die Frage ist doch die
nach dem Wertmaßstabe, mit welchem wir rechnen. Die Bedürfnisse ergeben
nicht den Wertmaßstab, sondern das tun die Mittel, auf welche die Bedürfnisse erst
angewiesen und projiziert werden. Der Maßstab bleibt ein objektiver.
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 153
Güterexemplaren, die zufällig gerade für den geringfügigsten Dienst
ausersehen waren“ (a. a. O., S. 262).
Damit verliert aber die ganze Grenznutzenlehre die Eigenschaft
einer Nutzenlehre, sie ist die Verneinung einer solchen, und der
gegenteilige Schein, der so lange und so viele geblendet hat, ist
dem verpönten „Objektivismus‘“ entnommen. Es bedarf der objek-
tiven Krücken und Stützen, in Gestalt eines heterogenen General-
nenners, um die fehlende Brücke zwischen Nutzen und Nutzen zu
schlagen, man ersetzt sie durch ein genial naives Hilfsmittel: es
wird im „Elementarfall“ einfach ein Vorrat gleicher und deshalb
natürlich an sich schon gleichwertiger Stücke fertiger Genuß-
mittel supponiert, und dann behauptet, sie seien gleichen Wertes,
weil (D sie gleichen Grenznutzen haben. Ebenso wird beim
(später zu behandelnden) Kostengesetze angenommen, daß fertige
Genußmittel verschiedener Art, die aus gleichartigen Pro-
duktionsmitteln hervorgegangen sind, die sogenannten „produktions-
verwandten‘ Güter, gleichwertig seien, nicht etwa bloß weil sie nur
„allotropische Modifikationen“ der gleichartigen Produktivgüter sind,
mit deren Besitze wir mittelbar auch ihre Produkte besitzen, sondern
weil sie als Kostengüter, als Mittelglieder, zunächst erst selbst ihren
Wert vom Grenznutzen der fertigen Produkte empfangen. So wird
in beiden Fällen die Ungleichheit des Nutzens durch das Hilfsmittel
gleichartiger Stücke überwunden. Während auf solche Weise etwas
„erklärt“ wird, was der Erklärung nicht bedarf, weil es eine nicht
erklärungsbedürftige Tatsache ist, nämlich die Wertgleichheit
gleicher oder produktionsverwandter Güter, bleibt das, was wirklich
erst der Erklärung bedarf, die Wertgleichung ungleichartiger oder
aus verschiedenen bzw. verschieden zusammengesetzten Produktions-
gütern hervorgegangener Güter, unerklärt. Natürlich, das theo-
retische Hilfsmittel versagt; denn, erklärt uns v. Wieser: „Kämen
Güter nicht in Vorräten gleicher Stücke vor, sondern nur immer
individuell besonders gestaltet, so könnte das Gesetz (das Grenz-
nutzengesetz) nicht gelten“. i
Was aber noch schlimmer: der einzige „Positiv“ in der Rech-
nung, der Nutzen des „letzten Stückes“ selbst, bleibt ungemessen
und unmeßbar, obgleich ihn die Grenznutzenlehrer immer mit Ziffern
in bestimmten Florinbeträgen ansetzen. Es bleibt also nur das übrig,
was v. Wieser als „oberste Wertregel“ bezeichnet: die Wertgröße
eines einzelnen und isolierten Gutes „wird mit dem Maße des
Interesses geschätzt, welches der Besitzer an der wichtigsten Ver-
wendung hat“ (Ursprung des Wertes, S. 121 ff.). Da aber die letztere
die einzige ist, die bei einem isolierten Gute in Betracht kommt,
so bleibt die „oberste Wertregel“ eine Tautologie ohne Erkenntnis-
wert: A = A, und also unbeziffert und unvergleichbar mit anderen
Gütern. Weil indessen nun der Grenznutzen, wie er aus dem Elementar-
fall entwickelt wird, nach v. Wieser nur ein verfeinerter Ausdruck,
nach v. Böhm-Bawerk, S. 244 nur eine „Verwicklung“ („Kompli-
kation“) jener obersten Wertregel ist, mit anderen Worten, „sein
154 Rudolf Stolzmann,
Begriff und Name erst bei der genaueren Erklärung in Aktion tritt,
welches unter mehreren in Frage kommenden das gesuchte ab-
hängige Bedürfnis ist“ (Jahrbücher 1892, S. 348), so fällt das
Grenznutzengesetz zugleich mit der obersten Wertregel, jedenfalls
hat es keinen höheren Erkenntniswert wie diese. Aber die Grenz-
nutzenlehre macht aus ihrer Not eine Tugend, sie glaubt etwas
Neues mit jener „Verwicklung“ gesagt und mit dem „Grenznutzen“,
den sie nun überall unbesehen als gegebenes Wertmaß der
Güter einsetzt, die Grundlage für eine neue, „moderne“ National-
ökonomie gefunden zu haben.
Der Grund dieser Selbsttäuschung liegt im Fortfallge-
danken, den v. Böhm-Bawerk als den Passe-partout der ganzen
Lehre bezeichnet und dem seinerseits wieder der „Abhängigkeits-
gedanke‘ zugrunde liegt: der Wert ist durch die kasuistische Unter-
suchung zu finden, welcher Wohlfahrtsgewinn in gegebener Lage
von einem Gute „abhängt“, und das ergibt sich — im Kolonisten-
beispiel — daran, wie viel an Nutzen der Kolonist einbüßen
würde, wenn (!) ihm ein Sack verloren ginge. Das ist dann
aber, wie ich dies alles S. K. S. 257ff. eingehender ausführte,
nicht mehr der Besitzstand der objektiv gegebenen Quantitäten,
um deren Bewertung es sich doch handelt, sondern bedeutet eine
mindestens in Gedanken vorgenommene Störung des Besitzstandes,
also einen gedanklichen Ausbruch aus diesem: zwei verschiedene
objektive Besitzstände werden miteinander verglichen. Der Fort-
fallgedanke enthält also eine Verrückung des Beweisgegenstandes,
er erklärt Phänomene einer gegebenen Wirtschaft aus denen
einer anderen mit anderem Besitz- und Quantitätenbestande. Es
ist das eine Verletzung des eigenen, innerlichsten Prinzips der
Lehre, des Quantitätenprinzips, das doch eben einen gegebenen und
festen Vorrat voraussetzt; der Passe-partout umgeht das Problem,
er ist zentrifugal, er erklärt die Wirtschaft nicht von innen heraus,
aus ihren eigenen Voraussetzungen, sondern mit Hilfe einer fremden
Wirtschaft, mit der er sie vergleicht. Dieser Differenzgedanke
muß ja auf Abwege führen, und es ist v. Komorzynski, der ihn —
unfreiwillig — ad absurdum geführt hat, indem er ihn ganz aus-
dachte und ihn uns dann in seiner ganzen Ueberspannung vorführte.
v. Komorzynski verallgemeinert ihn in der Art, daß er den Fort-
fall eines Gutes die Aenderung des ganzen Wirtschaftsplanes herbei-
führen läßt: der schließlich, durch Ueberwälzung vermittelte,
irgendwo haften bleibende Ausfall an Bedürfnisbefriedigung stellt
den Wert des geschätzten Gutes dar. Will man also den gegen-
seitigen Wert zweier Güter A und B feststellen, so müßte man
zuerst den Effekt der Wirtschaft ohne das Gut A und dann den-
jenigen einer anderen Wirtschaft ohne das Gut B feststellen ; beide
Güter haben gleichen Wert, wenn der schließliche Effekt in dem
Ausfall derselben Bedürfnisbefriedigung besteht. „Soviel Güter
Die Kritik des Subjektivimus an der Hand der sozialorganischen Methode. 155
und Gütermengen man bewerten, d. h. in ihren Werten vergleichen
will, so oft müßte diese Prozedur wiederholt werden, so oft müßte
die Wirtschaft in Gedanken aus ihrer Haut herausfahren — zum
Glücke nicht praktisch — sondern nur in der Theorie!“ Sollte,
so fuhr ich fort, nicht vielmehr dem Gedanken v. Wiesers beizu-
treten sein, den er — allerdings inkonsequent — nicht für die Be-
wertung der Genußmittel, sondern nur für die der Produktivgüter
geltend macht, daß es „nicht auf den Ertragsanteil ankomme, der
durch den Verlust eines Gutes verloren, sondern auf den-
jenigen, der durch seinen Besitz erreicht wird?“ Und: „die regel-
mäßige und entscheidende Annahme, auf die hin man den Wert
eines Gutes prüft, ist nicht die seines Verlustes, sondern die seines
ruhigen Besitzes und seines zweckentsprechenden Gebrauches“?
All dies habe ich nun in den „Zweck“ übernommen, S. 734 ff. und
75lff. Ich setzte hinzu: Worin ich mit v. Komorzynski differiere,
das ist, daB er den Passe-partout auf beide Fälle, auf den Fall
gleichartiger Genußmittel und den komplementärer Produktivgüter
gleichmäßig, ich ihn dagegen — aus den von Wieser für die Wert-
bestimmung der letzteren angeführten Gründen — auf keinen der
beiden Fälle angewandt wissen will.
Dagegen wendet sich nun v. Böhm-Bawerk (Pos. Theorie, S. 253, 254, Note 2
und Exk., S. 192, Note 2) mit einer persönlichen und einer sachlichen Eine
Die erstere geht dahin, daß ich eine „weitläufige und mißverständliche Pole-
mik angesponnen“, und daß ich „mit beharrlichem Mißgeschick den Grenz-
nutzentheoretikern just immer für Verfehlungen, die sie etwa begehen, meinen
Beifall auszusprechen pflege“, „ihnen eifrig beistimme“ und „ihre (?) Argu-
mente noch mit dem drastischen Bilde ausmale“, „daß die Wirtschaft so oft aus
ihrer Haut herausfahren müßte“, als ete. — Ich halte mich an die sachliche
Rüge, sie lautet, daß doch „auch eine Wirtschaft im Beharrungszustande keine
versteinerte, regungslose Wirtschaft“ sei. Wenn da der unaufhörliche Zugang
und Abgang von Gütern nicht sinn- und planlos erfolgen solle, so müsse man
erade in Hinblick auf solche in Frage kommende „Äenderungen in unserem
üterbestande“ Werturteile vornehmen und überlegen, ob und wofür man sein
Geld ( !) verwenden solle. Wenn Stolzmann, sagte, Böhm-Bawerk, ein Angebot auf
irgendein Stück seines Güterbesitzes erhielte, so könnte er schwerlich über die
Annahme oder Ablehn desselben rationellerweise schlüssig werden, ohne den
aktuellen Bestand seiner ürfnisbefriedigung „mit jenem Stück und ohne
den Kaufpreis (!) mit dem hypothetischen Stand seiner Bedürfnisbefriedi-
gung ohne jenes Stück und dafür (!!) mit dem Kaufpreis miteinander
zu vergleichen ; also ohne gerade jene Operation durchzuführen, die er als ein
us der Haut fahren der Wirtschaft‘ bezeichne! — Antikritik: Mein „Güter-
tand“ bleibt ja hier, ich erleide keinen Verlust, es findet nur innerhalb
des bleibenden Wertrahmens eine „Variante des möglichen Befriedigungsplanes“
statt, was doch einen grundverschiedenen Tatbestand bedeutet. v. Böhm-
Bawerk freilich identifizi bei er setzt sie gleich, so z.B. S. 194 Exk.,
wo er in einem Atem von einem Manne spricht, der „das in seinem Besitz be-
findliche Gut veräußern oder es für ern anderen Zweck verwenden
oder A? endlich durch einen Unglücksfall verlieren (!) würde“. Im übrigen
begeht hier v. Böhm-Bawerk einen Ausbruch aus der isolierten Wirtschaft,
von der ich doch Wieser und Komorzynski im Texte reden ließ. Da gibt es
keine „Kaufpreise“, überhaupt keine „Preise“. Wieder also, wie bei Marx,
eine Verwechslung mit dem nicht bezifferbaren Gedankending „Wert“ und dem
e der sozialen Wirklichkeit: „Preis“, das mit jenem gar nicht kommen-
ist. Ich sehe ganz ab von dem Zirkel, daß v. Böhm-Bawerk hier mit
dem Preise als gegebener Größe rechnet, während dieser ja erst als „Resul-
156 Rudolf Stolzmann,
tante‘ aus den rein subjektiven Wertungen erklärt werden soll. v. Böhm-
Bawerk führt hier, wie so oft (wir werden das oben belegen) ein Mixtum
compositum subjektiver und sozialer Betrachtung vor. Wenn ich solche höchst-
persönlichen Extrageschäfte, wie die Versilberung eines Hausgeräte, mache, die
überdies für die Erklärung des on Berufs- und arbeitsteiligen Organis-
mus der Volkswirtschaft „keinen Schuß Pulver wert“ sind, so wird doch dabei
einzig der Gedanke für mein Werturteil die entscheidende Richtung geben,
wie hoch sich sonst, im Marktverkehr, der Preis eines solchen stellt. Wie
sich dieser bildet, das ist ja eben die große Frage!
Der letalste Mangel im Fortfallgedanken ist aber die ganz
labile Größe desjenigen Güterquantums, das als „fortgefallen‘“ an-
genommen wird, mit einem Wort: es ist der Mangel einer brauch-
baren Werteinheit. Als solche bezeichnet die Grenznutzenlehre
bald „kleine oder kleinste Teilquantitäten‘ von Gütern, bald sprechen
sie von „Gütereinheiten“, „Exemplaren“, „Güterstücken“ usw. Alle
diese Worte schillern. Man könnte dabei zunächst — derb mate-
rialistisch — an die im Leben gebräuchlichen Gewichts- und Mengen-
einheiten: Pfund, Liter, Meter etc. denken, wie das ja auch mit
dem Back" im Kolonistenbeispiel zutrifft. Aber das darf doch
wohl nicht gemeint sein; die esoterische Lehre der Subjektivsten
hat vielmehr die Quantitäten im Auge, die — wie in der oben gegen
mich gerichteten Note — den Gegenstand eines Verkehrsaktes
bilden und deshalb je nachdem sehr verschieden sind. Man rechnet
nach Pfunden, aber man schätzt nicht danach. So kann und
muß also, je nach den zufälligen Umständen des „Aktes“, die
Schätzung ganz verschieden ausfallen. „Es kann“, sagt v. Böhm-
Bawerk S. 254, „vorkommen, daß die Wertschätzung einer größeren
Güterquantität mit der Wertschätzung der Gütereinheit‘‘ (was heißt
das?) „derselben Art nicht harmoniert, indem die größere Quantität
außer allem Verhältnis höher geschätzt wird“. Werde z. B. unserm
Kolonisten ein Kaufangebot von 3 Sack oder von 5 Sack gemacht,
so sei es „ganz natürlich“, daß ihm 3 Sack oder gar 5 Sack nur
um einen höheren Satz als ein Sack feil sein werden, da nun einmal
ihr Wegfall einen tieferen Eingriff in die Bedürfnisbefriedigung
des schätzenden Subjektes mache. Die ‚„niederste Schicht“, die den
Grenznutzen bestimmt, schließe dann eben wichtigere Bedürfnis-
befriedigungen aus, als die Papageienhaltung beim Verlust oder
Verkauf eines Sackes. Verkaufe ich z. B. alle 5 Sack, und setze
die Skala der Wichtigkeit, von der Lebenserhaltung herab bis zur
Papageienhaltung, auf 5, 4, 3, 2, 1 an, den ganzen Ausfall an Nutzen
also auf 5+4+3+2-+1, so sei diese Summe eben größer als
5x1. v. Wieser habe irrigerweise diese Rechnung (5x1) vorge-
nommen, abweichend von seiner sonst vorgetragenen besseren Ein-
sicht. Er sehe es fälschlich als ein „Axiom“ an, „daß der Wert
einer Summe von Gütern gleich sein müsse der Summe der
Einzelwerte ihrer Glieder“. Nun, ich meinte, daß man nach
Adam Riese auch in der Wirklichkeit so rechne und werte! Mag
sein, dürfte v. Böhm-Bawerk sagen, aber das schätzende Sub-
jekt muß im Einzelfalle anders und je nach der Situation ver-
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 157
schieden rechnen. „Die den subjektiven (D Wert (!) begründenden
Urteile... können ganz wohl sich wechselseitig ins Gehege kommen
und sich überdecken (!!). Das Gegenteil zu verlangen, heißt, die
‚Quadratur des Zirkels‘ zu verlangen“ (Exk., S. 200 und 213).
v. Böhm-Bawerk hat nun auch vom Standpunkte des allein
auf den Verlustgedanken gegründeten Grenznutzens, dieses theo-
retischen Gedankendinges, aus, mit der Behauptung der Inkon-
sequenz des Wieserschen „Axioms“ ganz recht. Ich begreife auch
sehr wohl, wie schmerzlich v. Böhm-Bawerk die Preisgebung des
Fortfallgedankens sein muß. v. Wieser, sagt er, gehe damit „grund-
sätzlich von dem Gedanken ab, der nicht nur einen Grundpfeiler (!)
der gesamten Theorie des Grenznutzens überhaupt bildet, sondern
den auch v. Wieser selbst als Fundament seiner Lehre nicht ent-
behren kann“; „es gibt keinen anderen Gedanken, durch den sich
sowohl die Größe des Wertes mit der Größe des Grenznutzens in
Verbindung bringen‘ ließe, es fehle sonst das indispensable „logi-
sche“ Zwischenglied.. Aber andererseits scheint mir doch auch
Wieser von einem sehr richtigen Gefühle darin geleitet zu sein,
daß die subjektiven Einzelschätzungen des Individuums mit den
„Werten“ des sozialen ‚Verkehrs ohne Ueber- oder Unterdeckung
„reinlich“ harmonieren müssen, wenn sie deren „Resultante“ er-
geben sollen. Sie werden im Einzelfalle häufig genug anders aus-
fallen, aber im Grundsatz müssen sie sich ihnen „anpassen“, sie
dürfen nicht schon in der Anlage heterogen sein. Jedes Wirtschafts-
subjekt muß als Glied des volkswirtschaftlichen Produktionspro-
zesses a priori seine Schätzungen so einrichten, daß es sie nach-
her bei der Liquidation auf dem großen Markte bewahrheitet findet.
Anders nach v. Böhm-Bawerks orthodoxem „Axiom“: „die den
subjektiven Wert der Produktivgüter“ (das gilt natürlich auch für
die fertigen Genußgüter) „begründende wirtschaftliche Zurechnung
des Ertrages.. steht unter ganz anderen logischen Bedingungen“.
— Hier gilt es also nun zu wählen, zwischen dem Wieserschen
und dem Böhmschen Axiom. Die Entscheidung kann vom Stand-
punkte der sozialorganischen Betrachtungsweise aus nicht zweifel-
haft sein. Das eine Axiom ist die theoretisch künstliche conditio
sine qua non der Grenznutzenlehre, das andere ist das der sozial-
organischen Wirklichkeit, das der realen Preisbildung. Aus all
den holden Drangsalen, die auch einem Marx die selbstgeschaffene
Antithese von „Wert“ und „Preis“ bereitet hat, werden auch die
Grenznutzenlehrer nicht ohne Preisgabe ihres Lehrfundamentes
herausgelangen können.
v. Böhm-Bawerk hat jetzt im „Exk.“, S. 19ff., eine sehr mühsame, un-
dankbare und angesichts der selbst betonten „Ueberdeckung“ vielleicht auch
überflüssige Aufgabe in Angriff genommen, die Widerlegung der W.schen
Behauptung von der Disk des Besitz- und des Fortfallg ankens.. Wenn
W. sage, so führt er aus, daß „es nicht auf den Ertragsanteil ankomme, der
durch den Verlust eines Gutes verloren, sondern auf jenen, der durch seinen
Besitz erreicht wird“, so habe W. „nicht wahrgenommen, daß dieser dialekti-
schen Antithese keine sachliche Antithese entspricht. Was durch den Verlust
158 Rudolf Stolzmann,
eines Gutes verloren wird, ist stets und notwendig genau identisch mit dem,
was durch seinen Besitz erreicht wird. Es sind das nur zwei verschiedene
Vorstellungs- oder Illustrationsformen für dieselbe Sache.“ — Da die Prüfung
der näheren Argumentationen v. Böhm-Bawerks über den Rahmen dieses
Aufsatzes gehen würde, und sie auch ohne Eingehen auf die (erst später zu
behandelnde) Lehre vom Werte der komplementären Güter nicht voll gewürdigt
werden könnten, so muß ich mich hier auf folgende Andeutungen beschränken.
v. Böhm-Bawerks Dialektik ist meines Erachtens nur durch die Zweideutigkeit
des Wortes „Besitz“ gestützt, das im Sprachgebrauch allerdings oft nur eine
dialektische Antithese von Fortfall bedeutet. Wenn z. B. Hamlet statt der
Antithese to be or not to be die gleichbedeutende Antithese: to have or not
to havo (das Jee? gebrauchen würde, so sagte er dann rein gar nichts über
den Wert und Inhalt des Lebens aus, den es im Falle „seines ruhigen Besitzes
und seines zweckentsprechenden Gebrauches“ haben könnte. Geht das Leben
„verloren“, so wird sein Wert (oder Unwert) recht auffällig, aber im einzelnen
erkannt wird er nur durch ganz andere Betrachtungen. Wenn v. Böhm-
Bawerk sagt, er habe vorher festgestellt, was das Subjekt durch den Besitz
eines Produktivgutes durch seine Erwerbun erlange, es habe also seine
Wertschätzung auf das gestützt, was „durch den Besitz erreicht“ werde, so
scheint er aich einer Täuschung hinzugeben. Er hatte sie zu allererst vorher
auf die Ertragsdifferenz zweier verschiedener Wirtschaften hypothetisch
verschiedenen Güterbestandes aufgestützt, nämlich auf den einer solchen, wo
das Gut vorhanden, und einer anderen, wo es fortgefallen, verloren war. Fällt
dann das Gut aus der ersteren fort, dann zeigt ja hinterher allerdings sein
Besitz an, was man durch seinen Fortfall verloren.
v. Wieser ist allerdings ‚inkonsequent‘“, wenn er den Fortfall-
gedanken, diesen „Grundpfeiler“ der Theorie, für die Bewertung der
komplementären Güter preisgibt, ohne einzusehen, daß er damit
die ganze Grenznutzenlehre ad absurdum führt. Denn mit dem
Pfeiler zerstört er das ganze Gebäude. Aber v. Böhm gerät trotz
seiner Konsequenz dafür seinerseits in das andere Dilemma, er
gelangt notwendig zur grundsätzlichen Diskrepanz der subjektiven
Schätzungen mit ihrer angeblichen Resultante. Er macht den ver-
geblichen Versuch, ihre Nichtkonsequenz durch die Behauptung
des Auseinanderfallens der „wirklich verteilten gegenüber den für
die subjektive Wertschätzung zugerechneten Quoten“ unschädlich
zu machen. Er behauptet, daß „die wirkliche Verteilung zwar
ganz und gar, ganz und voll aus den die subjektiven Wertschätz-
ungen bestimmenden Zurechnungsurteilen zu erklären“ sei. Aber die
Erklärung sei „zweistufig‘! „die Erklärung der faktischen Auf-
teilung der Produktionserträge, die sich durch die Preisbildung
vollzieht, gewinnen wir ebenso ganz und voll mittels der zweiten
Stufe unserer zweistufigen Erklärung, die uns die Resultante zu
suchen anweist aus denselben subjektiven Bewertungen der Pro- .
duktionsgüter, welche unsere erste Erklärungsstufe aus den sich
überdeckenden (!) Zurechnungsurteilen ableitete“ (Exk., S. 201 und
214). — Sehen wir denn zu, wie es mit dieser Resultantenbildung
auf der „zweiten Stufe“ bestellt ist; prüfen wir, ob es v. Böhm-Bawerk
gelungen ist, auf ihr den Preis als Resultantenbildung zu erklären,
oder ob es wahr ist, was ich in meinen beiden Büchern zu erhärten
suchte: Wert und Verteilung stammen aus einer Wurzel, der Wert
ist, um mit Rodbertus zu sprechen, nur das Medium der Verteilung.
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 159
3. Der Preis als Resultante subjektiver Wertschätzungen.
v. Böhm-Bawerk leitet im Anschluß an Menger sein „Preis-
gesetz“ aus folgendem Typus ab:
Auf dem Pferdemarkt erscheinen im beiderseitigen Wettbewerb die Per-
sonen A, bis A,, als Kauflustige, die je ein Pferd, das sie kaufen möchten,
verschieden, von 300 bis 150 fl. herab schätzen, und auf der anderen Seite die
verkaufslustigen Pferdebesitzer B, bis D, mit Schätzungen ihrer Pferde von
100—260 fl. herauf. Beide Teile schätzen so verschieden, weil ihre für den
subjektiven Wert maßgebenden individuellen Bedarfs- und Deckungsverhältnisse
an Waro und Preisgut (Geld) so verschieden sind. Zum Tausch gelangen dann
nur A, bis A,, welch letzterer ein Pferd auf 210, und B, bis B,, von denen
letzterer sein Pferd auf 200 schätzt. Denn nur bei diesen fünf „Paaren“ sind
die ökonomischen Bedingungen des Tausches gegeben: nur bei ihnen ist ein
Tauschgewinn möglich, das zu rie gilt ihnen mehr als das Her-
ebende. Von Ae, der auf 210 fl. schätzt, herauf und von De, der auf
215 fl. schätzt, herab, ist das nicht mehr der Fall, sie sind vom Bewerbe
ausgeschlossen, sie spielen nur die Rolle etwaiger Ueber- oder Unterbieter.
Deshalb stellt sich der allgemeine Preis zwischen 210 und 215, er wird begrenzt
und bestimmt durch die Höhe der subjektiven Wertschätzungen der Beiden
Grenzpaare. Jeder Marktpreis ist also, analog dem Grenzwert im „Ele-
mentarfall“, ein „Grenzpreis“, eingegrenzt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse
derjenigen Bewerber, die gerade am Rande des „Tauschenkönnens“ stehen.
Im Grunde, sagt v. Böhm-Bawerk, sei dieses Ergebnis kein
besonders neues, es sei der Kern des alten Gesetzes, wonach sich
der Preis durch Angebot und Nachfrage in der ‚Zone‘ bildet, wo
beide quantitativ gerade im Gleichgewicht stehen und sich
die Wage halten. Das Neue und Bedeutsame sei nur der in den
alten Rahmen gestellte „Gedanke, daß der Preis ganz und voll, von
Anfang bis zu Ende, das Produkt, die Resultante der sich auf dem
Markte begegnenden subjektiven Wertschätzungen der Leute von
Ware und Preisgut“ sei.
Ist dies Neue" richtig? Ist es durchschlagend, oder bleibt
die Deduktion nicht vielmehr mitten in der Analyse stecken? Ich
kann in der Tat v. Böhm-Bawerk nicht zustimmen, wenn er als ihr
„weitaus schwerwiegendstes Ergebnis‘ hinstellt, daß er „sämtliche
(!!) bei der egoistischen Preisbildung wirksamen Einflüsse in subjek-
tive Wertschätzungen aufgelöst‘ habe (S. 381). Die Analyse bricht
da ab, wo die eigentliche Sozialökonomie anfängt, d. i., wo der
Apparat des Subjektivismus versagt. Es mag dahingehen, wenn
Menger und v. Böhm-Bawerk für im übrigen autarkische Binnen-
wirtschaften mit zufälligem Austausch von Ueberschußpro-
dukten etc. Beispiele anführen wie folgendes S. 358: Wenn A
ein Pferd besitzt und es gegen 10 Eimer Wein vertauschen soll,
so kann und wird er es nur tun, „wenn die gebotenen 10 Eimer für
ihn (!) einen größeren Wert haben als sein Pferd“ und wenn der
andere Kontrahent entsprechend umgekehrt rechnet. Einen Er-
kenntniswert jedoch für die Erklärung der volkswirtschaftlichen
Verkehrgesetze von heute können nicht Resultanten von Wert-
schätzungen aus solchen Situationen haben, welche sich außer-
160 Rudolf Stolzmann,
halb des Zusammenhanges der sozialbedingten Verkehrsgemeinschaft
oder doch bei außerordentlichen Unterbrechungen derselben ab-
spielen. Die sozialorganisch bedeutsame Untersuchung kann erst
da anfangen, wo v. Böhm-Bawerk aufhört. Wir müssen fragen:
Weshalb können und müssen die A undB so schätzen? Wie kommt
es, fragt Liefmann, Archiv, a. a. O. S. 417, daß, obwohl vielleicht
100000 Konsumenten ein Bedürfnis nach Winterröcken haben,
gerade nur 20000 angeboten werden und der Preis sich allgemein,
sagen wir, auf 40 fl. stellt? Woher, so frage ich, bestimmt sich
das entscheidende „Verhältnis der subjektiven Wertschätzungen
von Ware und Preisgut?‘“‘ Warum haben die B ihre Pferde aufge-
zogen; was wollen sie damit erreichen? Wieviel Pferde brauchen
die A, weshalb schätzen sie wie angenommen? Weshalb haben
die Florinstücke für beide Teile einen kommensurablen Wert?
Wenn ich all diese Vorfragen unbeantwortet lasse und so vorher
alle objektiv-sozialen Faktoren aus der Beantwortung ausge-
schlossen habe, dann ist es allerdings kein Kunststück zu sagen,
man habe den Preis von Anfang bis zu Ende als das Produkt sub-
jektiver Wertschätzungen abgeleitet, und es „diktieren die wirt-
schaftlichen (?) Umstände des letzten Kontrahentenpaares der Ware
ihren Preis“.
Woher jene „Umstände“, oder wie sie v. Böhm-Bawerk nennt,
die „Bestimmungsgründe‘“ des Preises? v. Böhm-Bawerk führt sechs
solcher auf, nämlich je drei, die gleichmäßig auf seiten der Käufer
wie der Verkäufer entscheiden: 1) die Zahl der begehrten bzw.
ausgebotenen Güter, 2) die absolute Größe des subjektiven Wertes,
3) die des Preisgutes für beide Teile. Welches aber sind, so müssen
wir fragen, die Bestimmungsgründe der Bestimmungsgründe?
Von den sechs Preisbestimmungsgründen v. Böhm-Bawerks soll
sich der erste (die Zahl der auf die Ware gerichteten Begehrungen)
ergeben „einerseits durch die Ausdehnung des Marktes“, anderer-
seits durch die Art des Bedürfnisses, ob es, wie Kleider, Brot
und Fleisch, den Aufwand einer großen Masse von Stücken erheischt
oder nicht, wie Sanskrit-Grammatiken oder Federmesser. — Das
sind Tautologien, Tatsachenbeschreibungen, keine Erklärungen. Das-
selbe gilt von dem Begriffe der ausschlaggebenden „ernsthaften“,
„effektiven Käufer“ — „labile Größen“, wie v. Böhm-Bawerk selbst
sagt. — Nicht besser ist es mit der Bestimmung der Zahl, „in der
die Ware feil ist“. Die Masse der auf dem Markte vorhandenen
Waren, sagt er, werde bestimmt teils (!) durch rein natürliche
Verhältnisse, wie z. B. bei Grund und Boden und bei Bodenpro-
dukten, deren Reichlichkeit vom Ausfall der Ernte abhängt etc.,
teils (1) durch soziale (CD und rechtliche Verhältnisse, wie Mono-
pole, Kartelle, Koalitionen etc., teils CD und in besonders weitem
Umfange durch die Höhe der Produktionskosten, nach denen sich
die Zahl der auszubietenden „Exemplare“ richtet. — Eine recht
bunte Mischung von sozialorganischen und rein ökonomischen
Momenten, die überall nicht bis zur Wurzel der Erklärung reichen.
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 161
Ein gleiches trifft den Versuch, die „absolute Größe der sub-
jektiven Wertschätzungen der "Ware, zunächst bei den Kauf-
lustigen, zu bestimmen. Es gilt hier alles, was wir schon bei der
Kritik des Elementarfalles ausführten. Bemerkenswert ist nur
noch, wie v. Böhm-Bawerk über die dort erörterte Schwierigkeit
hinfortzukommen sucht, daß, je nach dem Fortfall großer oder kleiner
Mengen der „Gütereinheit‘“, sich der Wert ganz verschieden heraus-
stell. Die dadurch entstehende „Verwicklung‘‘ werde besonders
stark bei vorausgesetzter unendlicher Teilbarkeit der Marktware,
wie Mehl, Zucker etc. Der Gesamtbedarf jedes Konsumenten setze
sich dann aus einer Summe von Teilmengen zusammen, welche
nach dem Gesetze des Grenznutzens abnehmende Wichtigkeit haben.
Die Schätzungsziffern, sagt v. Böhm-Bawerk, gruppieren (!) sich
dann nicht nach Personen, sondern nach Teilmengen der auf
dem Markte gehandelten Waren. An Stelle der Wertschätzungen
des A, treten dann die Wertschätzungen von 300 fl. pro Stück,
und so herab bis zu den Wertschätzungen der „Grenzpaare‘“, deren
Rollen nunmehr ausgefüllt werden durch die subjektiven Wert-
schätzungen, die innerhalb beider Marktparteien auf die letzten
noch zum Umsatz gelangenden und die ersten vom Umsatz schon
ausgeschlossenen Teilmengen der Marktwaren gelegt werden. — Durch
diese entsprechend „weniger persönlich gehaltene Einkleidung des
Preisgesetzes“ wird aber meines Erachtens die Erklärung aus
einer subjektiven eine rein quantitativ statistische, sie wird reif
für eine „mathematische“ Darstellung mittels Kurven der
Kaufs- und Verkaufsbegehrungen, was aber die sachliche Er-
klärung um keinen Schritt fördert. Aus dem Tiegel des Kalküls,
sagt Wicksell, kommt kein Atom mehr Wahrheit heraus, als hinein-
gelegt wurde — was gegen alle Quantitätengleichungen gilt,
z. B. bei Schumpeter. Gegen Cassels „System simultaner Gleichun-
gen“, vgl. v. Zwiedineck, Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., 1909, S. 90.
Sachlich bleibt eben nun einmal die Unzulänglichkeit und
Unbestimmtheit der Werteinheit bestehen, nämlich der als fort-
gefallen gedachten letzten Güterquantität, die sich nach der jeweili-
gen Situation verschiebt und schwankt: es sind bald große, bald
kleine „Einheiten“, die den Gegenstand der einzelnen Rechts-
geschäfte (Aktionen) bilden. v. Böhm-Bawerk meint zwar S. 258,
daß von den zahllosen subjektiven Wertschätzungen im praktischen
Wirtschaftsleben ‚wohl der ganz überwiegende Großteil einzelne
Gütereinheiten (?) oder sonst kleine oder kleinste Quantitäten von
Gütern zum Gegenstand‘ habe, und es herrsche „daher auch die Wert-
schätzung nach dem Grenznutzen der Einheit weitaus vor.“ Abge-
sehen davon, daß der Begriff „Einheit“ die geschilderte Zwei-
deutigkeit in sich birgt, fährt nun v. Böhm-Bawerk selbst fort:
„Immerhin gibt es auch eine Minderheit von Fällen“, und zwar
„recht wichtige und interessante Fälle“, wo wir „große Gütermengen
oder sogar die Gesamtheit von Gütern bestimmter Art als ge-
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 11
162 Rudolf Stolzmann,
schlossene Einheit zum Gegenstand unserer wirtschaftlichen Ueber-
legung zu machen“ haben. Ueber das zahlenmäßige Vor-
kommen dieser Fälle will ich nicht streiten. Aber es sind in der
Tat „recht wichtige“ Fälle! Wir werden später sehen, welche ent-
scheidende Rolle sie spielen und wie diese Gesamtwerteinheiten den
sozialnotwendigen Rahmen bilden, innerhalb dessen erst die sub-
jektiven Schätzungen zur Bedeutung kommen. An dieser Stelle sei
vorerst nur auf die für die Volkswirtschaft bedeutsamste „Aktion“,
den Arbeitslohnvertrag, hingewiesen, der zwei solcher Gesamtein-
heiten zur Grundlage hat: es wird hier die Gesamtarbeitskraft
(Tages- pp. arbeit) gegen die Gesamtnahrungseinheit vertauscht, auf
die der Arbeiter im Lohne seine Anweisung erhält. Glaubt v. Böhm-
Bawerk wirklich, daß die „Kasuistik des Grenznutzens“ für das
„Verständnis“ dieser Fälle den „Schlüssel geboten“ hat? (S. 257).
Es bleibt ja nach ihr bloß die tautologische Wahrheit der „obersten
Wertregel“ übrig: jene Gesamtwerte sind „gleich dem Nutzen, den
sie bieten, analog wie bei der Schätzung der Güter, die überhaupt
nur in einem einzigen Exemplare verfügbar sind“. v. Böhm-Bawerk
sagt, es treffe da „der Gesamtnutzen des Vorrats schlechthin mit
seinem Grenznutzen zusammen“. Es liege aber „nicht etwa eine
Ausnahme vom Gesetze desGrenznutzens vor‘, sondern es fehle ihm
nur wegen der Enge des Tatbestandes gleichsam (?) der Spielraum
für seine (?) charakteristische Entfaltung“ — geradeso wie das
Primogeniturgesetz keine Ausnahme erleide, wenn einmal der
einzig geborene Sohn in die Rechte seines Vaters nachfolge. —
Ich kann diese Dialektik nicht gelten lassen. Es ist richtig, daß
sich der „Grenznutzen‘“ im Falle der Gesamteinheiten nicht ent.
falten“ kann, aber das kommt nicht von der „Enge“, sondern von
der Weite des Tatbestandes und von der Enge des Grenznutzen-
gedankens, der ihn erklären will.
Aber selbst dort, wo es sich nicht um Gesamteinheiten, sondern
um kleinere oder größere Einzelmassen von Gütern handelt, scheitert
„im praktischen Leben‘ der Fortfallgedanke und mit ihm die Grenz-
nutzenbetrachtung an der Unbestimmtheit und Zufälligkeit der
Werteinheiten. Aus der „Resultante‘ welcher Einzelaktionen soll
sich denn eigentlich der Preis ergeben, z. B. der des Kaffees? Soll
der „Weltkaffeepreis‘“ sich nach den Gewohnheiten der kaufenden
Hausfrauen gestalten, je nachdem es ihnen gefällt, das Lieblings-
getränk in mehr großen oder mehr kleinen Quantitäten einzukaufen ?
Wie ich schon S. K. 246, 248, 260 ausführte, ist der größte Vorwurf
gegen die Grenznutzenlehre der, daß sie nur einzelne wirtschaftliche
Akte und Beziehungen torsomäßig nicht nur aus dem Plane der
einheitlichen Wirtschaft des volkswirtschaftlichen Gesamtorganis-
mus, sondern auch aus dem Plane der Einzelwirtschaft heraus-
reißt, während doch in einer konstanten und stetigen Wirtschaft
auch nur konstante und stetige Größenmaße nütze sein können.
Bloße „Augenblicksrelationen“ im Geiste der Menschen, deren
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 163
„Interesse beweglich wie die Wolken um die Berge schwankt“
(Wieser), können unmöglich die „Resultante“ für sozialorganisch
bedingte Wertgesetze abgeben.
Geradezu verhängnisvoll für die Grenznutzenlehre ist aber
nun die Art, wie sie sich mit der Erklärung des Bestim-
mungsgrundes: „subjektiver Wert der Ware“ auf der Seite der
Verkäufer abfindet. Es ist auch ganz erklärlich, daß sie
hier versagen muß, weil sie eine Lehre vom subjektiven Ge-
brauchswert ist, von einem solchen im eigentlichen Sinne aber
beim Produzenten und Verkäufer eines Gutes nicht gesprochen wer-
den kann. Beide wollen es ja gerade nicht „gebrauchen“, sie
wollen es so schnell wie möglich loswerden, es ist für sie traurig,
wenn sie unabsetzbare Ladenhüter selbst verbrauchen müssen. Wenn
v. Böhm-Bawerk es nur als eine „beachtungswerte Besonderheit“
bezeichnet, daß heute „die meisten Verkäufe durch berufsmäßige
Produzenten und Händler stattfinden, die von ihrer Ware einen für
ihre persönlichen Bedürfnisse ganz unverwendbaren Ueberfluß (I!)
besitzen“, infolgedessen „für sie der subjektive Verbrauchswert
meistens ganz nahe an Null“ stehe, so mag das von dem Gesichts-
kreis des Subjektivismus aus als eine „Besonderheit“ scheinen, für
eine Erklärung der sozialen Wirklichkeit ist es das nicht, es ist
die Regel. Mit der Ueberschußproduktion hat es heute bei
dem Hineinwachsen der „autarkischen‘“ Einzelwirtschaften in eine
„sozusagen allarchische Bedürfnisbefriedigung‘‘ gründlich sein
Ende, wie uns dies kürzlich v. Zwiedineck a. a. O., S. 81 und 101,
sehr anschaulich geschildert hat. Das sollte eine „moderne“ Wert-
lehre mehr berücksichtigen! Bei „normalen“ Produktions- und Ab-
satzverhältnissen, von denen doch v. Böhm-Bawerk S. 406 selbst
spricht, wird der Preis nur „außer der vollen Kostendeckung noch
einen Geschäftsgewinn einbringen“. Er hat für den Verkäufer nur
diese Bestimmung, und hier hätte die Wertlehre einsetzen müssen:
Kosten und Geschäftsgewinn, das sind die Wertgrößen, von
deren Erlangung auf die Dauer der Gang der Volkswirtschaft ab-
hängt. Wir werden später sehen, wie das die „Objektivisten‘ viel
besser verstanden haben, welche Bedeutung andererseits aber auch
den subjektiven Wertschätzungen der Individuen für die Preisbe-
stimmung auch auf der Angebotsseite verbleibt. Für die Grenz-
nutzenlehre dagegen fällt jene ganze Seite der Betrachtung aus:
„Das Preisgesetz erfährt für die im ausgebildeten großen Markt-
verkehr zustande kommenden Preise eine große Vereinfachung (1!)
... es fallen die Wertschätzungen der Verkäufer aus dem ge-
schilderten Grunde ganz CD fort,“ man kann „für den großen volks-
wirtschaftlichen Marktverkehr mit ausreichender Genauigkeit be-
haupten, daß der Marktpreis bestimmt (!) wird durch die
Schätzungsziffer des letzten Käufers“. Des „letzten“;
denn weil die Käufer sehr zahlreich sind, so „verengt sich die Zone,
11*
164 Rudolf Stolzmann,
die von der Schätzungsziffer des letzten Käufers und jener des ersten
ausgeschlossenen Bewerbers begrenzt wird, fast auf einen Punkt“.
So kann sich denn auch der vorgeführte Typus der Preis-
bildung, genau wie der des Elementarfalls, in der Wirklichkeit
nicht „entfalten“. Die Lehre wird auf die Bestimmung des Preises
durch den letzten Käufer, den „Grenzkonsumenten“ zurückgedrängt
und gelangt so allerdings zu einer richtigen Tatsache des Lebens,
aber nicht zu ihrer Erklärung. Woher dieser „letzte Käufer“?
Das bleibt das ungelöste Rätsel. Und woher kennt ihn der „Händ-
ler“, der heute doch die Verbindung zwischen Produzenten und Kon-
sumenten vermittelt? v. Böhm-Bawerk sagt, er vertrete letztere
nur, er sei gewissermaßen nur der negotiorum gestor seiner —
vielfach (?) unbekannten — Klienten, deren Bedarfsverhältnisse
entscheidend seien. Deren?, ich denke, doch nur die desGrenzkäufers?
Wie soll es dann aber ‚schlechterdings keinen Unterschied machen,
ob ein Händler für 500 Kunden eines anderen Marktes auf eigenes
Risiko 500 Stück einer Ware zu 40 fl. aus dem Markte nimmt,
oder ob ihn jene 500 Kunden direkt und ausdrücklich beauftragt
haben, 500 Stück zu 40 fl. für ihre'Rechnung zu kaufen“? Will man
den Händler mit einem „Geschäftsführer ohne Auftrag“ vergleichen,
so kann er es nur im höheren Sinne, der den Funktionen des Handels
mehr gerecht wird, sein, im Sinne eines Beauftragten im sozialen
Auftrage, er ist der richtig kalkulierende Exekutor des objektiv
sozialen Wirtschaftsplanes, dessen richtig verstandenes Zweckge-
füge erst die Grenzgröße des entscheidenden letzten Käufers ergibt.
Dieser Mangel jeder sozialorganisch gerichteten Denkweise
wird endlich vollends bei der Bestimmung ‚des subjektiven (!)
Wertes des Preisgutes“, also praktisch: des Geldes, verhängnisvoll.
Es hängt nämlich nach v. Böhm-Bawerk selbst der subjektive Wert
des Geldes „vom gesamten Versorgungszustande der betreffenden Per-
sonen ab“, praktisch also heute vom Geldeinkommen, von der „Kauf-
kraft“; der Wert der Geldeinheit wird also... für den Reicheren
kleiner, für den Aermeren größer sein“. Er hat danach nur sub-
jektiven Tauschwert, der aber wie jeder solcher Tauschwert eine
hibrida, ein nichtssagender Zwitterbegriff ist, ein Gemisch subjek-
tiver und objektiver Momente. Er ist aufgeschobener Gebrauchs-
wert, und dieser hängt erst wieder davon ab, welche Güter ich auf
dem sozialen Markte dafür erstehen kann, setzt also den „Preis“
voraus, den er doch mit bestimmen soll. — Bei der Zergliede-
rung des „subjektiven ‘Wertes des Preisgutes für die Verkaufs-
lustigen“ gesteht v. Böhm-Bawerk hier alles Wünschenswerte
auch selbst zu, er wird beinahe „Objektivist“, indem er der „ob-
jektiven Tauschkraft.... des Geldes“ gerecht wird: bei den
geschäftlichen Verkäufen der Unternehmer geht der Gelderlös regel-
mäßig „nicht in ihren Haushaltungskonsum“ über, der Unternehmer
kalkuliert: Geld gegen Geld. Es „ist für den Preiskalkül belanglos“',
„ob die Einheit dieses durchlaufenden (!) Geldes, falls dasselbe im
Bedürfniskonsum verwendet würde, dort einen hohen oder einen
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand ner sozialorganischen Methode. 165
niedrigen Geldnutzen stiften würde“. Als „durchlaufende Post“
ist er aber objektiv sozialen Ursprungs, die subjektive Wertlehre
versagt: „In der geschilderten kasuistischen Konstellation (?!) schal-
tet sich der Einfluß des... subjektiven Tauschwertes.. aus.‘
Er ‚lebt nur wieder auf" bei einer „Störung im regulären Kreislauf
des Geschäftsbetriebes‘“, bei Bankrotten, „Notverkäufen und allge-
mein in Krisenzeiten“.
Dahin also flüchtet der „Grenznutzen“, der angebliche „Re-
gierer“. Ich denke nun, daß auch der Käufer das Geld als eine
nur „durchlaufende Post“ imSinne meiner Ausführungen ansieht, der
Geldwert ist nicht subjektiv, sondern sozial. Ich habe schon Saz,
Kat", S. 285 ff., die ganze Unzulänglichkeit der subjektiven Geld-
wertung (gegen Wieser) eingehend dargelegt, und ich freue mich,
daß jetzt v. Zwiedineck darauf hinweist, wie unbefriedigend heute
immer noch angesehenste Geldtheoretiker mit dem „Grenznutzen des
Geldes“ operieren, wie er denn auch so trefflich als das ungelöste
„Kardinalproblem“ der rein subjektivistischen Preiserklärung die
„Umsetzung der Gebrauchswerte in eine Geldziffervorstellung“ be-
zeichnet (Zw. a. a. O., S. 603—609, Jahresband 1908 u. S. 85 ff.
1909). Es ist erfreulich, daß jetzt auch v. Böhm-Bawerk die „sehr
guten und feinen Beobachtungen“ v. Wiesers lobt, die er neuerdings
über das „Zurücktreten der persönlichen (!) Schätzung des Geld-
wertes im geschäftlichen Kalkul“ gemacht hat (v. Böhm-Bawerk
S. 411), nur daß v. Böhm-Bawerk, wie wir sahen, dort nur eine
„kasuistische Besonderheit‘ wahrnimmt, wo es sich um ein grund-
sätzliches Versagen der Grenznutzenlehre handelt.
Alle diese „Ausnahmen“, Besonderheiten, kasuistischen Kom-
plikationen, Verwicklungen, mangelhaften „Entfaltungen“. des ato-
mistisch individualistischen Grenznutzengesetzes müssen sich nun
ins Ungemessene mehren, wenn der Elementarfall und die Ergebnisse
des Preisbildungstypus stufenweise auf die sozialen Verhältnisse
übertragen werden sollen. Ich gehe in der Reihenfolge vor, in der
v. Böhm-Bawerk und v. Wieser diese „Komplikationen“ behandeln.
Es sind drei solcher und zwar 1) die Komplikationen, die „die Mög-
lichkeit des Tausches“, 2) diejenigen, die sich durch die Möglichkeit
ergibt, „benötigte Ersatzexemplare rechtzeitig durch Produktion her-
zustellen“, wobei es sich 3) zuträgt, daß verschiedene Arten von
Kostengütern zur Produktion erforderlich sind. Die Komplikation
zu 1) führt zur Notwendigkeit, die „Wertgröße beliebig käuflicher
Güter“ zu bestimmen, die zu 2) führt zum „Kostengesetz“; die
zu 3) zum Gesetze des „Wertes der komplementären Güter“, zu
vgl. v. Böhm-Bawerk S. 253, 263—265.
4. Die „Komplikationen“ des subjektivistischen Preisgesetzes,
zunächst die für „beliebig käufliche Güter“.
Der Komplikation zu 1) — ich darf wohl hinzusetzen: auch
der anderen „ganz ähnlichen“ — kommt nun nach v. Böhm-Bawerk
166 Rudolf Stolzmann,
„für unsere durch hochentwickelten Tauschverkehr ausgezeichnete
Wirtschaftspraxis eine außerordentliche Tragweite zu“. „Ich möchte“,
sagt v. Böhm-Bawerk S. 264, „glauben, daß die Mehrzahl der sub-
jektiven Wertschätzungen, die überhaupt vollzogen werden, auf ihren
Anteil fällt.“*) Ich gehe noch weiter, ich meine, daß die große
Masse der Güter, die einen Marktpreis haben und deren Preisbe-
stimmung doch das Hauptproblem des Preisgesetzes ausmacht, gründ-
sätzlich nicht nach ihrem „subjektiven Gebrauchswerte‘“ geschätzt
wird. f :
Wir werden das näher sehen, wenn wir die einzelnen „Kompli-
kationsfälle“ betrachten, zunächst also den Fall der Wertbestim-
mung „beliebig käuflicher Güter“. Hier wird man, sagt v. Böhm-
Bawerk, den Ausfall eines Exemplars in aller Regel (nicht wie im
Elementarfall, wo wenigstens ein Gut derselben Gattung zum Ersatz
herangezogen wurde) auf eine ganz fremde Gütergattung wälzen, der
Verlust trifft den Grenznutzen der vertretenden fremden Güter, nach
diesem bemißt sich der Wert des zu schätzenden Gutes:
„Ein Beispiel. Ich habe einen einzigen Winterrock. Er wird mir ge-
stohlen.“ Je nach meinem Einkommen, „werde ich wahrscheinlich die ir
40 fl., die der neue Winterrock etwa kosten mag, aus meinem Kassenvorrat (|)
entnehmen“ und dafür eine andere größere oder kleinere a ee A
entbehren müssen, also etwa eine Luxusausgabe weniger bestreiten können, mic
einschränken, Sachen des Haushalts verkaufen oder versetzen und nur, wenn
ich das alles aus Armut nicht kann, mich schlecht und recht ohne Winterrock
behelfen. „Nur im letzten Fall wird also der Wert des Winterrocks bestimmt
durch den unmittelbaren Grenznutzen der eigenen Gattung; in allen anderen
Fällen durch den Grenznutzen fremder Güter- und Bedürfnisgattungen.“
v. Böhm-Bawerk hat die Bedenken gegen diese Gedankengänge
selbst herausgefunden, ihnen aber, wie er glaubt, die Spitze abge-
brochen. Die Bedenken liegen, wie er sagt, in einem scheinbaren
Zirkelschluß. Er bestehe darin, daß der Preis des Winterrockes
— 40 fl. — als eine fertig gegebene Größe behandelt und so der
subjektive Wert aus dem Preisstande, dann aber der Preisstand
wieder aus dem subjektiven Wert erklärt wird (Note S. 266).
v. Böhm-Bawerk glaubt diesen Vorwurf nun in der Preislehre
S. 397 ff. „bis auf den Grund“ entkräftet zu haben: „Es liegt kein
Zirkel vor. Und zwar deshalb nicht, weil die Schätzung nach „An-
schaffungskosten“ nicht unbedingt und ausnahmslos, sondern nur
1) „Dieser Satz“, sagt v. Böhm-Bawerk S. 264, Note 1, „hat Stolzmann nicht von
der Behauptung abgehalten, daß ich den ‚Regelfall’, den doch ‚der gleiche Wert un-
gleichartiger Güter’ bzw. die Schätzung nach Substitutionsnutzen darstelle, ‚zur Aus-
nahme stemple’ (Zweck S. 722 ff.)“. Hier liegt wohl ein Mißverständnis vor. Ich
billige gerade v. Böhm-Bawerks obigen Satz von der numerischen Ueberlegenheit
dieser Fälle. Meine Dialektik gipfelt darin, daß dieser wahre Satz in argem Kon-
trast damit stehe, daß der Elementarfall die „alles erleuchtende‘“ Regel des Grenz-
nutzens ergebe, „Regel“ hier nicht im äußerlichen numerischen, sondern im innerlich
theoretisch-systematischen, heuristischen Sinne, ganz in dem „Sprachgebrauche“, dessen
sich von Böhm-Bawerk selbst an anderen Stellen, so etwa S. 257 Abs. 3 („Ausnahme“-
„Begel‘) befleißigt. Was ich sachlich meine, ist doch wohl klar. Wozu der Wort-
streit? Wozu die lange Polemik in der Note 1, die schließlich in persönliche Bemer-
kungen ausläuft?
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 167
unter gewissen Voraussetzungen gehandhabt wird, und weil sie
wegen Mangels dieser Voraussetzungen gerade auf dem Markte selbst
nicht gehandhabt wird“. Der Winterrockverlierer baue seine Wert-
schätzung (40 fl.) nur auf eine vorläufige Voraussetzung, auf eine
bloße Vermutung auf, die nur „eine Art psychologischer Zwischen-
etappe, aber niemals die endgültige Richtschnur‘“ „unseres Verhal-
tens auf demjenigen Markte bilde, auf dem diese Vermutung reali-
siert werden will“. Erhält er auf diesem den Rock nicht um den
erwarteten Preis, so würde er deshalb nicht frieren und vielleicht
erkranken wollen; er „wird also — und dies ist das Ergebnis, auf
das es für unsere Preistheorie ankommt — zur Bildung der Preis-
resultante nicht nach Maßgabe des niedrigeren, auf die Voraus-
setzung eines bestimmten Marktpreises aufgebauten mittelbaren,
sondern nach Maßgabe des höheren unmittelbaren Grenznutzens
beitragen“.
Also doch aber des Grenznutzens des Winterrockes!
v. Böhm-Bawerk scheint aber an dieser Stelle ganz außer acht zu
lassen, daß er oben (S. 263) den Wert des Winterrockes erst durch
den subjektiven Wert, den „Substitutionsnutzen‘ des fremden Er-
satzgutes bestimmen läßt.. Woher bestimmt sich der letztere,
wie trägt also dieser zur Resultantenbildung bei? Das war das
thema probandi! Hier liegt die Schwierigkeit und die zu behan-
delnde „Verwicklung‘‘. Es fällt auf, daß v. Böhm-Bawerk hierüber
hinfortgeht, während er sie früher, so 1886 in den „Grundzügen“,
a. a. O. S. 515 ff., sehr wohl behandelt hat. Ob freilich mit Erfolg?
Er nennt es dort eine „ernste theoretische Schwierigkeit“, daß sich
„der Bestimmungsgrund: subjektiver Wert der Ware für den Käufer
unter der Hand in zwei Elemente aufzulösen droht, von denen das
eine — die Versorgungsverhältnisse in fremden Bedürfnis- und
Gütergattungen — dem zu schätzenden Gute ganz fremdartig ist,
während das zweite — noch fatalerer Weise — mit dem Marktpreis,
den es zu erklären helfen soll, identisch ist“. Es kommt hiernach
doch nicht bloß auf den Wert des Winterrockes, auf dessen Zirkel-
erklärung sich die obige „volle Aufklärung“ beschränkt und zurück-
zieht, sondern vor allem auf den ausschlaggebenden CD Wert der
e an, der jenen erst, als ,„Substitutionswert“, bestimmen
soll. ;
Wie ist diese neue Unbekannte in der Wertgleichung zu finden?
Doch auch nicht ohne den Marktpreis der Ersatzgüter, also nicht
ohne einen weiteren Zirkel in der Erklärung! Denn, wieviel ich
durch den Fortfall des Ersatzgutes, das doch ebenfalls Marktgut ist,
verliere, kann ich nur berechnen, wenn ich zuvor dessen Markt-
preis weiß, dem ja doch der „Marktpreis (für den Winterrock) ab-
geknappt wird“, oder in anderem Ausdruck, da wir den verlorenen
Winterrock „nach dem Grenznutzen schätzen, den der aufzubrin-
gende Kaufpreis von 40 fl. für uns hat“: diesen Grenznutzen. Wie
aber finde ich diesen? Nach v. Böhm-Bawerk durch die Lücke,
welche die zu zahlenden 40 fl. in meinem Einkommen bzw. in
168 Rudolf Stolzmann,
„meinem Kassenvorrat‘ reißen. Welche Lücke ist das? Das richtet
sich, kann sich nur richten nach dem Preis, den das Ersatzgut
irgendwelcher anderer Ersatzgüter hat, unter denen sich vielleicht
gar wieder der unglückselige Winterrock befindet. Der passe-partout
führt wieder einmal nicht zum Ziele. Ich muß, um dem Zirkel zu
entrinnen, erst vorher den Marktpreis sämtlicher in Betracht
kommender Güter, einschließlich des Winterrockes, wissen, wenn
ich herausbekommen will, wieviel „Grenznutzen‘“ durch die große
oder kleine Revolution angerichtet wird, die ein verlorener Winter-
überzieher ultimately anrichtet. Seinen subjektiven Wert (bei nicht
gestörtem Besitz- und Einkommensstande), d. h. die geeignete Grund-
lage einer Resultantenbildung für den Marktpreis, weiß ich dadurch
noch lange nicht, nämlich für den Marktpreis, der sich im regulären
Gange des volkswirtschaftlichen Organismus nach der Schwerkraft
der in ihm wirksamen sozialen Bedingungen ergeben muß. Der auf
dem Fortfallgedanken aufgebaute „Grenznutzen“ bleibt ein — viel-
leicht interessantes — curiosum für individualistische Sonderfälle —
sowohl bei eintretendem ‚Verlust von Vermögensbestandteilen als
auch vielleicht bei plötzlichem oder, was, wie wir oben sahen, nur
eine dialektische Antithese ist, bei allmählichem Vermögenszuwachs.
Nur für solche Fälle können wir diese Art „Grenznutzen“ an-
erkennen, und es will das wenig mit dem abschließenden Resümee
v. Böhm-Bawerks, S. 265, harmonieren: „Es zeigt eben durch alle
Verwicklungen hindurch jederzeit der kleinste Nutzen, der un-
mittelbar oder mittelbar an einem Gute hängt, den wahren Grenz-
nutzen und (?!) den Wert desselben an“. Nicht der Grenzmutzen
hat den Marktpreis „erklärt“, sondern die Marktpreise ergeben den
„Grenznutzen“, den ich unter außerordentlichen Umständen verliere
oder gewinne.
Was ich sonst schon gegen den Fortfallgedanken und auch be-
sonders oben hinsichtlich des ungelösten „Kardinalproblems“ (Um-
setzen der Gebrauchswerte in eine Geldziffervorstellung) ausgeführt
habe, trifft natürlich auch für diesen Fall zu. Im übrigen kann ich
auf meine viel eingehenderen Ausführungen in der Soz. K. und ver-
vollständigt im Zweck S. 722—729 verweisen. Ich führte dort
ganz ähnlich wie v.Zwiedeneck — zusammenfassend aus: Subjektive
Nutzenbetrachtung, Grenznutzen, Substitutionen u. dgl. auf der
einen Seite, objektiver Wert, Marktpreis der Güter, Wert des
Geldes (die 40 fl.!) sind nicht aneinander meßbar, sie sind hetero-
gen, sie kommen wie Hero und Leander nicht zueinander, ihre
Messung gegeneinander bleibt ein Quidproquo von „Preis“ und
„subjektivem Gebrauchswert“. Es müssen doch wohl schließlich
objektive, d. h. von den „Einzelschätzungen“ unabhängige Be-
dingungen sein, in deren Rahmen sich jene erst abspielen, und
die so erst den organischen Zusammenhang nicht bloß zwischen den
internen Schätzungen innerhalb derselben Wirtschaft, sondern auch
die soziale Brücke zwischen Wirtschaft und Wirtschaft, zwischen
Konsumenten und Produzenten, zwischen der Nachfrage und dem
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 169
Angebot herstellen. Die „alten“ Schulen suchten und fanden die
Brücke direkt in den Kosten, während ‚die Neuen“ sich erst ab-
mühen müssen, mit ihrem subjektiven „Erklärungswerkzeug“ auf
Umwegen bis zu den objektiven Elementen vorzudringen. Wir
mussen und wollen ihnen auf diesem dornigen Wege folgen; denn
in der Kostenwertlehre gipfelt der Kampf zwischen Objektivismus
und Subjektivismus. Wir sind damit an dem entscheidenden Punkte
unseres Themas angelangt. Wir wollen deshalb hier abbrechen mit
der Kritik der Lehre vom Werte der fertigen Genußmittel, der —
wie der Ausdruck lautet — zunächst „unabhängig von der Pro-
duktion“ abgeleitet wird. Mit dem Anerkenntnis der Tatsache,
da5 es die Kosten sind, die den Wert der allermeisten Güter von
ihrem Grenznutzen abziehen, verliert ja eigentlich die ganze Lehre
vom Wert und Preis der fertigen Genußgüter ihr praktisches Inter-
esse, und es könnte daher, wie ich „Zweck“ S. 729 sagte, für die
Grenznutzenlehre und für ihre Kritiker unnötig erscheinen, sich
mit der Betrachtung der Austauschverhältnisse jener Güter so lange
aufgehalten zu haben. Diesem Vorwurfe tritt v. Böhm-Bawerk
nun S. 268 damit entgegen: „das ‚später‘ in der Darstellung be-
deutet ... keinerlei ‚zuspät‘ für den Inhalt der Lehre“, es beruhe
auf Gründen didaktisch-methodischer Art. Wir wollen prüfen, ob
sich diese Sache wirklich so verhält, oder ob nicht vielleicht doch
das zeitliche posterius auch auf ein begriffliches posterius, nicht
et ein Spätkommen, sondern auf ein Versagen der Lehre hinaus-
t.
5. Die „Kosten“ in der subjektivistischen Preislehre.
Wir sahen, einen wie hohen Grad der Beeinflussung des Güter-
werts in der Wirklichkeit des Lebens v. Wieser den objektiven
Bedingungen des Güterdaseins zugestehen mußte. Aber, meint er,
es bleiben trotzdem die „Impulse“ der Schätzungen subjektive und
„erweisen damit (!) die Subjektivität des Ursprungs und Wesen
des Wertes“ (Nat. W. S. 178). Recht subjektiv-naiv führt dann
v. Böhm-Bawerk S. 265 die „Kosten“ durch folgende Erwägung
in die Betrachtung ein: „Ganz ähnliche kasuistische Komplikationen,
wie durch die Möglichkeit des Tausches, können (!) auch (!) da-
durch hervorgerufen werden, daß man (!) imstande ist, benötigte
Ersatzexemplare (!) rechtzeitig durch Produktion herzustellen.“ Wie
wenig auch v. Wieser dem ursprünglichen und ureigenen Wesen
der Kosten nahe kommt, ergibt sich schon aus der Definition, die
er von ihnen gibt. „Kosten“, sagt er, „sind Produktivgüter,
wenn dieselben bei einer einzelnen Widmung um ihrer ander-
weitigen (!) Verwendbarkeit willen als Aufwand eingesetzt werden“,
was Dietzel dann zu der Behauptung erweitert: „Kosten ist gleich-
bedeutend mit Nutzeneinbuße“, „Kosten ist ja nur ein kurzes
Wort für Nutzeneinbuße“, das ist, führte ich Zw. S. 703 aus, keine
Erklärung der Kosten mehr, das ist ihre begriffliche Vernichtung,
170 Rudolf Stolzmann,
die gänzliche Ueberwucherung der Kosten — durch die Nutzen-
betrachtung! ` >
Die Grenznutzenlehre geht wie überall auch in der Ableitung
des „Kostengesetzes“ von der Einzelwirtschaft aus. Wir charak-
terisierten das Gesetz schon oben S. 153 in Kürze. Einen ausführ-
lichen Auszug aus der Lehre findet der Leser in meinem „Zweck“,
S. 688—694.
Die Definition, die v. Böhm-Bawerk (S. 296) gibt, setzt für „Produktiv-
güter“ den Begriff „Produktivmittelgruppen“ ein, um vorläufig über die Tat-
sache fortzukommen, daß jedes Genußgut aus einer Reihe verschiedener
Produktivgüter (Arbeit, Boden etc.) hervorgeht. Die Definition lautet: „Der
Wert der Produktivmitteleinheit (Produktivmittelgruppe) richtet sich nach dem
Grenznutzen und Werte desjenigen Produktes, welches unter allen, zu deren
Erzeugung die Produktivmitteleinheit wirtschaftlicherweise hätte verwendet wer-
den dürfen, den geringsten Grenznutzen besitzt“, mit anderen Worten nach
dem Werte des „Grenzproduktes“, d. h. des Produkts, „dessen Grenznutzen der
kleinste ist“. Das führt dann aber zu der Folge, daß auch der Wert der
anderen, aus der gleichen Be gruppe gemeinsam hervorgegangenen,
also der sog. „produktionsverwandten“ Genußgüter, sich dem Werte ihrer
Produktivmittel anpassen muß: „die prinzipielle Identität von ‚Wert‘
und ‚Kosten‘ trifft daher auch bei ihnen zu.“ Nur das Grenzprodukt be-
stimmt den Wert seiner Kosten, die anderen produktionsverwandten Güter
müssen sich umgekehrt an den Wert des Produktionsmittels akkomodieren, „in
letzter Linio freilich nur an den Wert eines anderen, des Grenzprodukts;
aber in erster Linie auch an den Wert des Produktionsmittels, aus dem es
hervorgeht, und welches die Substitutionsverbindung (!) mit dem Grenzprodukt
vermittelt. Die Wertleitung vollzieht sich hier gleichsam in gebrochener Linie.
Erst geht sie vom Grenzprodukt zum Produktivmittel, fixiert dessen Wert,
und Se, dann in umgekehrter Richtung wieder empor zu den anderen Pro-
dukten, die aus ihm hergestellt werden können. ... ie der Mond das fremde
Sonnenlicht auf die Erde, so reflektieren die vielseitigen Kostengüter den Wert,
den sie von ihrem Grenzprodukt empfangen (|), auf ihre anderen Produkte.
De zu des Wertes liegt nie in ihnen, sondern außer ihnen im Grenznutzen
er Pr te “
„Und hiermit“ (?), fährt v. Böhm-Bawerk fort, „liegt auch die
ganze Wahrheit über das berühmte (I!) .Kostengesetz am Tage“.
Es ist nur eine „Abbreviatur“, wenn wir den Wert der Produkte
nach ihren Kosten bemessen. „Das Kostengesetz bildet nur einen
Inzidenzfall (D des wahren, allgemeinen Gesetzes vom Grenznutzen“.
Es ist wieder der passe-partout des Fortfallgedankens, der dies
alles erhärten soll: Denn, angenommen, es besitze jemand einen
größeren Vorrat von Produktivmittelgruppen, mit denen man nach
Belieben ein Genußgut der Gattung A mit einem Grenznutzen von
100, oder ein solches der Gattung B mit einem solchen von 120,
oder der Gattung O mit 200 herstellen kann, so werde man, wenn
ein Exemplar der letzteren Gattung verloren geht, den Ausfall auf
die Gattung A wälzen, von der man dann ein Exemplar weniger
erzeugt, um „sofort“ dafür ein neues Exemplar C herzustellen.
Unsere Kritik kann sich zunächst an das früher Gesagte an-
lehnen. Der wundeste Punkt ist das Fehlen einer brauchbaren
Schätzungseinheit. Wenn v. Böhm-Bawerk immer von ausgefallenen
„Exemplaren“ spricht, so war dies vom eigenen Standpunkte des
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 171
Grenznutzengesetzes eine unzulässige „Materialisierung“, „Objek-
tivierung“ des Wertes. Denn, wie uns Wieser belehrt, kommt es
ja lediglich immer auf die augenblickliche, durch eine vor-
zunehmende Geschäftsaktion (Kauf, Tausch etc.) bedingte Lage der
Wirtschaft an, die „im Geiste desjenigen, der sie führt, Reihen
von gleichartigen und gleichgroßen, weil auf gleichartige und gleich
große Objekte oder Mittel oder Akte mit gleicher Intensität ge-
richtete Strömungen des Interesses erzeugt“. Mit diesem Schwanken
der Genußgütereinheit müßte dann aber auch die Größe der sie
erzeugenden Produktivmitteleinheit schwanken, deren „Bild“ sie
ja nur ist. Und nun soll sich dieses wolkenhaft veränderliche
Augenblicksergebnis gar auf die „Resultantenbildung‘ für den großen
Markt der konstanten Volkswirtschaft übertragen, deren Preisgesetze
das „Erklärungsziel“ bilden! Der Gedanke ist gar nicht auszu-
denken, wie sich zu diesen unzähligen höchst persönlichen Augen-
blickserwägungen der Marktgänger immer auch die erforderlichen
Produktivmittelgruppen finden sollen. Eine arge Zumutung an die
Produktionstechnik und an die doch erforderliche Planmäßigkeit
der konstanten Privat- und Volkswirtschaft! Wie ist es auch nur
denkbar, auf welche Weise der Wirtschafter im Falle des Ver-
lustes eines Exemplars der Gattung C „sofort (D aus einer Pro-
duktivmitteleinheit... ein neues Exemplar C herstellen“ kann, da
man doch als Regel voraussetzen muß, daß der Wirtschaftsplan
auf die Erzeugung der drei Produkte A, B, C eingerichtet war,
daß A und B also ebenfalls genau wie C schon erzeugt daliegen,
die Produktivgüter also schon verbraucht sind? (Soz. K. S. 274).
Woher aber ferner der alles andere „bestimmende“ Wert des
Grenzproduktes? v. Böhm-Bawerk antwortet: Das „wissen wir
schon: es ist sein Grenznutzen“. Wie wenig dieses „Wißtum“
einen bezifferbaren und deshalb zur Erklärung des „Preises“ irgend-
wie brauchbaren „Wert“ ergibt, ist uns von oben S. 153 vollauf
bekannt. Was wir dagegen wissen, ist: die Grenznutzenlehre hat
den besten Teil ihrer Erklärung der objektiven Tatsache ent-
nommen, daß die produktionsverwandten Güter nur „allotropische
Modifikationen“ desselben Grundelements darstellen. Sie sind, wie
Wieser einleuchtend ausführt, gewissermaßen nur verschiedene
Formen desselben gemeinschaftlichen Produktivgutes, sie sind
gleichsam von einerlei Gattung: das Kostengesetz ist im Grunde
nichts anderes als die allgemeine „Regel der Wertschätzung
von Teilen eines gleichartigen Gütervorrats, nur in einer neuen
und besonderen Fassung“. Die Gleichheit der Kostenstücke er-
gibt ganz von selbst auch die Wertgleichheit der ungleichen
Produkte. Wir sind in unserer Bedürfnisbefriedigung letzthin
in Wahrheit von jenen, den Kostengütern „abhängig“. Es
gilt auch hier: „Kämen Güter nicht in Vorräten gleicher Stücke
vor, sondern immer nur individuell gestaltet, so könnte das Gesetz
nicht gelten“. Wozu also das ganze Gequäle des Fortfalls- und
Substitutionsgedankens? Wozu diese Mondscheintheorie, wozu die
172 Rudolf Stolzmann,
gebrochenen Strahlen? Die gleiche Sonne scheint über alle Wirt-
schaftsprodukte, gleiche Kosten entsprechen gleichem Werte. Nicht
die wirtschaftlichen Tatsachen bedürfen jener krummlienig ge-
wundenen Erklärung, sondern nur die Grenznutzentheorie, welche
statt direkt in die Sonne zu schauen, nur den milden Mond betrachtet,
ihre „gebrochene Linie“ und ihre „Substitutionen“ sind nur dialek-
tische Hilfskonstruktionen, um das Prinzip des Grenznutzens auf-
recht zu erhalten, welches aus der wahren Nutzwerttheorie wenig
mehr als den bloßen Namen entlehnt hat (S. K. S. 273).
Hiernach erledigt sich auch die neuerdings aufgeworfene Frage, ob, wie
v. Böhm-Bawerk oben und v. Wieser (Ursprung, S. 147ff.) meinen, die pro-
duktionsverwandten Güter ungleich hohen Grenznutzen und Wert haben
und dabei derjenige des geringwertigsten Produktes entscheide, oder:
ob — nach Schumpeter — die Gütereinheit überall den gleichen Grenz-
nutzen stifte, wenn anders — was doch das Rationelle — der Güterbesitz ein
Maximum an Nutzen gewähren solle. Die Frage, der v. Böhm-Bawerk jetzt
im „Exk.“, VIII, S. 222ff. eine sehr eingehende Erörterung widmet, ist nach
dem Gesagten, jedenfalls für die Preisbildung, deshalb gegenstandslos, weil der
Grenznutzen des geringwertigsten Produktes kein praktisches Wertmaß ergibt
und deshalb noch viel weniger von einer Meßbarkeit „der“ „Grenznutzen“
der verschiedenen Verwendungen untereinander die Rede sein kann. Ueber einen
bloßen Komparativ kommt man auch hier nicht hinaus: man weist die
ett e? so in die Produktion ein, daß kein Bedürfnis eher befriedigt wird,
bis nicht ein anderes wichtigeres seine Befrienlenng gefunden hat. Die Be-
zifferung der verschiedenen Bedürfnisintensitäten mit len (v. Böhm-Bawerk,
S. 225) ist ein Unding. Es gibt keine abstrakte Bedürfnisskala, die vorab in
den Lüften steht. Es ist immer nur, was so viele neuere Subjektivisten ver-
kennen, eine konkrete Skala gegeben, die ihren Ausdruck und „Wert“ in den
Kosten hat, mit anderen Worten in bezifferten Teilen des Geldeinkommens,
auf die man die Bedürfnisse projiziert. Das Wertmaß sind und bleiben die
Kosten. Die allein zu entscheidende und für unser Thema wichtigste Frage
ist nur die nach dem Wesen und Ursprung der „Kosten“. Wer hat diese
grundsätzlichste aller Fragen richtig gelöst: der Subjektivismus oder der Ob-
jektivismus? Oder ist die Löemg von beiden verfehlt worden’?
6. Das Wesen und der Ursprung des Kostenbegriffs:
Kausalität oder Teleologie?
Der Prioritätsstreit zwischen Nutzen und Kosten hat sich
bisher so gut wie ganz im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung
abgespielt, wenn man gleich gelegentlich anerkannte, daß es der Wert
seinem Begriffe nach mit dem Zweck zu tun habe. Ich vertrete
nun meinerseits die Ansicht, daß man den Streit um die Priorität
von Nutzen und Kosten nicht eher entscheiden, ja auch nur den
status causae et controversiae nicht früher instruieren kann, ehe
man nicht die methodische Vorfrage wegen der Priorität der Kausal-
und der Zweckbetrachtung beantwortet hat.
Die Wertlehre der Subjektivisten — von Menger an bis zu
Liefmann — bleibt unentwegt im Kausalitätsgedanken verankert.
Er gilt ihnen als der selbstverständliche Ausgangspunkt. So will
auch v. Böhm-Bawerk, welcher der Prioritätsfrage jetzt, besonders
im Exk. VIII, S. 235ff, in dankenswerter Ausführlichkeit auf den
Grund gegangen ist, nur untersuchen: „In welchem Sinne (D kann
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 173
man denn überhaupt einen einzelnen Umstand — sei es der „Grenz-"
nutzen“ oder die „Kosten“ — als die „Ursache“ oder den letzten
oder endgültigen Bestimmgrund des Güterwertes und seiner Größe
nennen?“
Er antwortet: „Es liegt auf der Hand, daß der ‚Grenznutzen‘ sowohl als
die ‚Kosten‘ nur Mittelglieder“ einer anderen noch weiter zurückliegenden
Kausalkette sind, in der sich dann ganz besonders die Begriffspaare Bedarf und
Deckung (Angebot und Nachfrage) oder mit anderen Worten, der Stand der
Bedürfnissc einer- und der verfügbaren Produktivkräfte andererseits hervor-
heben. Hinter ihnen wären dann aber vielleicht zahllose andere „koordinierte
Bestimmgründe des Wertes“ zu nennen, „fast ohne Ende“. Er führt solche —
auch hier ohne Unterscheidung der natürlichen und der sozialen Kategorien
— in bunter Mischung auf: Technik, Bildung, Fruchtbarkeit — Organisationen,
Rechts- und Eigentumsverhältnisse.. Wenn man aus ihnen dennoch einen
Umstand, den Grenznutzen oder die Kosten, nenne, so habe das „nur den
Sinn, daß man ein besonders ausgezeichnetes Mittelglied der schier endlosen
Kausalkette herausgreife ... ., in welcher die Wirkung (!) aller der Bestimm-
gründe sich zum letzten Male, gleichwie im Brennpunkte einer Sammellinse ver-
einigt.“ Im Grenznutzen wie analog in den Kosten „haben wir die Wirkung
aller der komplexen .. Umstände zum letzten Male einheitlich zusammen“.
Grenznutzen und Kosten „resultieren“ „aus dem Verhältnis von Bedarf und
Deckung“, ihnen stehen sie daher allerdings in einer gewissen Parität gegenüber.
Wie kann dann aber v. Böhm-Bawerk dennoch gegen Marshall polemisieren,
von dem der vielberufene Satz herrührt: „Wir können uns ebenso ernsthaft
darüber streiten, ob bei einer Scheere das obere oder das untere Blatt ein Stück
Papier durchschneidet, oder ob der Wert vom Nutzen oder von den Produk-
tionskosten bestimmt wird?‘ Und wie darf er Dietzel tadeln, der den Wert
der Produktivgüter und der Genußgüter sich „wechselseitig“ bedingen läßt?
v. Böhm-Bawerk antwortet: Wohl haben Bedarf und Deckung „kausale Pari-
tät“, aber nicht „Grenznutzen“ und „Kosten“. Sie sind zwar beide „die ge-
meinsame Folge einer und derselben dritten (bzw. vierten) Ursache, nämlich
von Bedarf und Deckung. Aber innerhalb dieses primären gemeinsamen „kau-
salen Verbandes‘ steht, wie etwa Sohn und Enkel trotz ihrer Abstammung von
denselben Großeltern, der Wert der Produktivgüter nicht vor und nicht neben,
sonderu hinter dem Wert der Produkte. Und der Grund? Er liegt in einem
„der einfachsten und unbestrittensten Gedanken unserer Wissenschaft, ... daß
die Menschen die Güter überhaupt nur als Mittel für ihre Zwecke ( !) schätzen“,
und „daß im Verhältnis von Mittel und Zweck der Zweck seine Wichtigkeit
dem Mittel mitteilt, und nicht umgekehrt ; daß z. B. ein Schiffbrüchiger einen
Schwimmgürtel hoch einschätzen werde, wenn und weil er sein Leben hoch ein-
schätzt, und nicht umgekehrt. Die Herstellung der Produktivgüter sei nur
Zwischenursache, nur nächster Zweck, Endzweck sei die Herstellung der
Genußgüter. er sei die „Wertquelle“, und weil der Wert der Genußgüter dieser
Quelle näher stehe, habe er auch die „kausale (?) Vorhand“.
Man beachte dieses Umspringen aus der Kausalitäts- in die
Zweckbetrachtung. Und eben darauf beruht doch auch das „Um-
wenden“ (Jahrbücher, 1892, S. 333), das er als einen Vorzug der
Grenznutzenlehre bucht, und das darin bestehe, daß sie zur Ver-
meidung des endlosen regressus — er sagt der Zirkelerklärung,
der Charybdis der Kostenwertlehre, welche dahin führe, daß die
Kosten immer wieder aus anderen Kosten erklärt werden müßten
— den Wert der Kostengüter von vornherein durch den Wert ihrer
Produkte bestimmen lasse. Dieses Umwenden und Umspringen
bei Festhaltung des Kausalitätsprinzips halte ich nun für logisch
unstatthaft. Auf seine Unzulässigkeit habe ich eingehend im
„Zweck“ z. B. S. 323ff schon hingewiesen. Entweder muß ich bei
174 Rudolf Stolzmann,
der Kausalbetrachtung streng stehen bleiben oder ich muß von
Hause aus mit der Zweckbetrachtung einsetzen; was ich aber nicht
darf, das ist die nachträgliche Einstückelung der Zweck- in die
Kausalbetrachtung. Ich darf nicht „Endzweck“ und „kausale
Vorhand‘“, also zwei ganz verschiedene Kategorien zusammenwerfen.
Ich darf nicht von der „kausalen bzw. CD teleologischen Ver-
knüpfung“ reden. Böhm-Bawerk hat auch kein Recht, sich hierfür
auf eine Stelle von Paulsens „Einleitung in die Philosophie‘, 1892,
S. 224) zu berufen: „Jeder teleologische Zusammenhang (!) ist
zugleich ein kausaler“. Hätte v. Böhm-Bawerk eine neuere Auf-
lage, etwa die mir vorliegende von 1907 eingesehen, so würde er
vielleicht nicht zu diesem Mißverständnis gekommen sein. Paulsen
meint mit dem kausalen Zusammenhang nur das, was man sonst
auch psychologische Kausalität nennt, er will damit sagen, daß
die Zweckidee ihrerseits wieder ein „durch assoziative Verbindung
Verursachtes“ ist (S. 240, 241). Aber Philosophen wie Logiker
werden sich gegen die Zumutung wehren, daß sich aus dem Zu-
sammenhang von Ursache und Zweck auch einfach eine Stellver-
tretung beider Kategorien durcheinander rechtfertigen lasse. Ferner:
Der „Zusammenhang“ besteht in der Tatsache, daß der Zweck nur
durch die Benutzung der kausalen Naturgesetze ausführbar ist,
der Zweck enthält, wie man sagt, eine „umgekehrte Kausalfolge;
aber dadurch wird doch nicht der Zweck zu einer causa.
Wenn der Endzweck entscheidet, so muß der Wert der Pro-
duktivgüter in einem Zuge mit dem Werte der Genußgüter aus
diesem Zwecke abgeleitet werden, und es ist schon eine unzu-
lässige Fragestellung v. Böhm-Bawerks, ob die eine Seite,
der Wert der Produkte „kausalen“ Vorrang habe, wie er meint,
oder ob — nach Marschall — kausale Parität herrsche. Wenn
v. Böhm-Bawerk S. 243 die „verfeinerte Problemstellung‘ so vor-
nimmt: „daß das Kausalverhältnis (!) zwischen dem Wert der Pro-
dukte einerseits und dem Wert der Produktivgüter andererseits
zu erforschen sei“, so ist zu erwidern, daß ein „Wert“ — als
Zweckbegriff — nicht causa eines Wertes sein kann, auch nicht
Zwischen-causa, sondern nur Zwischenzweck, medium, Mittel ; ebenso-
wenig wie man umgekehrt eine causa die Ursache eines Wertes
nennen darf. Denn, wie v. Böhm-Bawerk so treffend hervorhebt,
kann der Wert nicht produziert, nicht gewoben werden, wie ein
Stück Leinewand. Der Zweck ist gedachter und gewollter Erfolg,
also ein Gedankending, im Kopfe des Menschen zunächst.
Aber, so wird mir v. Böhm-Bawerk einwenden, dies Gedanken-
ding im Kopfe des Menschen, dieser „Zweck“ wird ja doch zu
einer causa, und zwar zu einer recht wirksamen, er wird zur
causa finalis, zur „psychologischen Ursache“, und meine ganze
Polemik laufe auf ein müßiges Wortgeplänkel hinaus. Er könnte
hinzufügen, daß man es im Ausdrucke des praktischen Lebens so-
wohl wie in der Sprache der Logik, die auch von einer causa
finalis (Zweckursache) rede, mit der Auseinanderhaltung der allge-
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 175
meineren Antithese „Grund—Folge‘“ und ihrer Unterart „Ursache—
Wirkung“ nicht so genau nehmen. Die Replik dagegen liegt auf der
Hand, und ich will hier auch gar nicht lange von der Richtigkeit des
Begriffs der „psychologischen Kausalität“ handeln, welche z. B.
Stammler a.a.0. — jetzt 3. Auflage S.332—339 — mit treffenden
Gründen verwirft. Mag man also ruhig einmal annehmen, daß
die Grenznutzenlehre — und zwar von Hause aus — sachlich,
ganz nach meinem Verlangen, mit dem Zwecke operiere, so würde
sich die Streitfrage nur auf ein anderes, und zwar viel tieferes
Problem hinüberspielen, auf das Problem: Welcher „Zweck“
kommt für die Nationalökonomie, für die Erklärung sozialer Wirk-
lichkeit, in Betracht?
Hier scheiden sich die Wege des ‚„Subjektivismus‘“ von denen
der sozialorganischen Betrachtung für immer. Jener würde dann
die Zwecke eines isoliert gedachten, dieser dagegen die dessozialen
Individuums, als eines Gliedes der volkswirtschaftlichen Gemein-
schaft zum Ausgangspunkt haben. Es handelt sich also um das
alte große Problem vom Verhältnis des Individual- zum Sozial-
prinzip, dem seinerseits wiederum die tiefere erkenntnistheoreti-
sche Frage nach dem Verhältnis und der Berechtigung der natur-
wissenschaftlichen oder der sozialwissenschaftlichen Betrachtungs-
weise zugrunde liegt.
v. Böhm-Bawerk verteidigt und vertritt die erstere: „Alle Sach-
güter“, sagt er schon im Band I, S. 269, „nützen dem Menschen
durch die Betätigung der Naturkräfte, welche in ihnen liegen...
all ihr Wirken...ist ein Wirken von Naturkräften nach Natur-
gesetzen... sie sind solche ausgezeichnete Gestaltungen der Ma-
terie, welche eine Lenkung der in ihnen wohnenden Naturkräfte
zum Vorteil des Menschen gestatten“. Dem Einwande, „daß jene
Auffassung eine naturwissenschaftliche und keine wirtschaftliche
sei‘, begegnet er mit der Behauptung, daß „in diesen Fragen“ ‚eben
die Wirtschaftswissenschaft der Naturwissenschaft das Wort lassen
muß. Der Grundsatz der Einheit aller Wissenschaft fordert dies...
Der Erklärungsbereich der 'Wirtschaftswissenschaft ist eingebettet (D
zwischen die Erklärungsbereiche der Psychologie einerseits und der
Naturwissenschaften andererseits... .“.
Bei sozialorganischer Betrachtung stellt sich die Sache um-
gekehrt. Für sie ist die Naturwissenschaft nur eine Hilfswissen-
schaft, die kausale, naturwissenschaftliche Betrachtung einschließ-
lich der psychologischen ist „eingebettet“ in die sozialökonomische.
Nicht ‚innerhalb des Rahmens der Naturgesetze“ vollzieht sich das
Produzieren, Verteilen und Werten, sondern innerhalb des sozial-
organischen, durch den Zweckplan der Volkswirtschaft bedingten
Wertrahmens lenkt der Mensch die Naturkräfte, als deren beseelter
Beherrscher, zu seinen Zwecken. Die Einheit der Nationalökonomie
mit den anderen Wissenschaften ist nicht durch eine naturwissen-
schaftliche Betrachtung gegeben, sie ist keine Natur-, sondern wie
alle Gesellschaftswissenschaften eine Geistes-, eine Kulturwissen-
176 Rudolf Stolzmann,
schaft, eine Sozialwissenschaft, wie neuerdings Diehl in der Zeitschr.
f. Rechtswissenschaft, diesjähriger Band, S. 305ff., überzeugend
betont hat. Das Individuum ist in die planmäßige Organisation des
sozialen Körpers, seine Zwecke sind in die des letzteren eingebettet.
Es kann seine Zwecke, die allerdings schließlich auf unmittel-
bare Bedürfnisbefriedigung gehen, nur auf einem Umwege erreichen,
nämlich innerhalb des ‘großen Planes, der ihm seine Rolle zuweist,
Die Wissenschaft, die Nationalökonomie, hat nichts anderes zu
tun, als diesem Gange der zu erklärenden Dinge zu folgen. Erst
so liefert sie uns ein Abbild der Wirklichkeit: Alle Wertung geht
zwar von den Individuen aus, darin behält die Grenznutzenlehre
und alle Theoretiker, die mit ihr die Analyse vom subjektiven
Standpunkte aus beginnen, volles Recht. Die große Frage bleibt
nur, woher das Subjekt die Motive seiner Wertungen bezieht;
„organisieren“ diese von sich aus die Volkswirtschaft, entnehmen
die „subjektiven“ Wertschätzungen von innen her, aus den höchst-
persönlichen Beziehungen der isoliert gedachten Binnenwirtschaft
heraus, ihren autarkischen Ursprung, oder aber auch — und zwar
im entscheidenden Punkte — aus den Zweckbeziehungen des sozialen
Gefüges, das vor ihm da ist und ihm nur die Funktion eines
Gliedes übrig läßt? (Zw. S. 756).
Von Interesse ist hier die Stellung einiger neuerer Nationalöko-
nomen zur Frage vom Verhältnis der subjektivistischen und sozial-
organisch-objektiven Faktoren. Cassel — Tüb. Zeitschr., 1899,
S. 395ff. — läßt die Preise durch ein „System von Gleichungen“ be-
stimmt werden, deren Koeffizienten sowohl die subjektiven wie die
objektiven Faktoren darstellen, so daß man „von einem Vorrang der
einen oder der anderen“ überhaupt nicht sprechen könne. Natürlich,
Gleichungen geben, wie oben ausgeführt, nur formale Wahrheiten,
die Koeffizienten sind gleichwertige Quantitäten, sie sind Schemen,
und Cassels eigene Aeußerung, S. 455, enthält die beste Selbstkritik
für den anspruchsvollen Titel seiner Abhandlung: „Grundriß (I)
einer elementaren Preislehre (!)“. Die Aeußerung, die ich meine,
lautet:: „es soll eben eine mathematische Gleichung nichts anderes
sein, als ein kurzer und exakter Ausdruck für das, was man schon
im voraus weiß“, oder, setze ich hinzu, was man hier eben nicht
weiß, nicht erklärt hat. Neben all den Vorzügen Cassels — ich
meine seine scharfsinnigen Bemerkungen kritischer Art — bietet
er für die positive Erkenntnis der Dinge wenig, viel Mathematik,
aber zu wenig Nationalökonomie. — Dann folgt O. Spann, der in
seiner vorbildlich gewordenen Abhandlung, Tüb. Zeitschr., 1908,
S. 1 ff.: „Der logische Aufbau der Nationalökonomie“ — in ähn-
licher Weise wie Gol — die logischen Elemente der Gesell-
schaftswissenschaft gründlich erörtert, dabei aber wiederum wenig
Nationalökonomie und viel Logik und Methodisches bringt, hierbei
auch, infolge seines durchaus subjektivistischen Ausgangspunktes,
allzuviel neugeprägte, künstliche und fremdsprachige Ausdrücke
à la Knapp an die Stelle der von den Objektivisten seit A. Smith
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 177
üblichen einsetzt. Wozu z. B. statt der tausend Jahre hindurch be-
währten und eingelebten alten Ausdrücke von Ursache, Wirkung usw.
der einer fremden Wissenschaft entnommene Ausdruck „Funktion‘“?,
dessen kautschukartiges Wesen v. Böhm-Bawerk, Exk., S. 238, so
treffend kritisiert. — Es ist dann v. Zwiedineck, der (in den beiden
Abhandlungen in derselben Zeitschrift, 1908, S. 587 ff., und 1909,
S. 1 ff.), die Spannschen Begriffe nach der objektivistischen Rich-
tung erweitert und damit brauchbarer gemacht hat. Dieser, um die
Entwicklung der Preislehre besonders verdiente Schriftsteller ist
recht typisch für den Uebergang unserer Wissenschaft aus der all-
zulangen Episode der übersubjektivistischen Schulrichtung zu einem
(durch Einfügung der subjektivistischen Faktoren) zeitgemäß
reformierten, sozialen Objektivismus. Zwar geht er methodisch,
wie nun einmal alle jüngeren Nationalökonomen, die aus der Schule
der Subjektivisten hervorgegangen sind, vom Subjekt aus. Er tadelt
Cassel, weil dieser den Vorrang der subjektiven Kategorien
leugnet, der Preis bleibt ihm „gegenüber dem (subjektiven) Wert
unter allen Umständen ein sekundäres Phänomen; denn sein Bestand
und seine Größe“, sagt er, „sind Wirkungen (!) einer Mehrheit sub-
jektiver Vorstellungen, Urteile und des Verhaltens einer Mehrheit
von Subjekten. Das ergibt sich mit Notwendigkeit aus der Aner-
kennung der Willensprimates (?) überhaupt“ (S. 601, 602). Wenn
er daher auch anerkennt, daß die Preislehre unter der Tendenz, die
teleologische Betrachtungsweise auszuschalten, zu kurz ge-
kommen sei, so will er doch den Terminus ‚„teleologisch“ nur rein
formal angewendet wissen, nur als heuristisches Prinzip für die
Aufdeckung der Kausalbeziehungen. Er hat sich also grundsätz-
lich noch keineswegs von der Spannschen Anschauung emanzipiert,
wonach es sich auch „bei den sozialen Erscheinungen ... nicht um ein
System von Zwecken, sondern um ein System von Mitteln für ge-
gebene Zwecke, also lediglich nicht um einen Zweckzusammenhang,
sondern um einen Zusammenhang der Mittel handle, der
seiner Natur nach nur kausal sein könne“ (Spann, S. 9, u. Zwied.,
S. 591).
In der Sache geht v. Zwiedineck allerdings viel weiter wie
Spann. Dieser prägt den neuen Begriff der „übergreifenden
Funktion“, welche er darin sieht, daß sie von den „monogenetischen
Individualgebilden“, welche ein System von selbständigen Hand-
lungen der Individuen bilden, zu dem Systeme der „polygeneti-
schen oder Kongregalgebilde führt, also zu einem Systeme „not-
wendiger Wechselbedingtheit der übergreifenden Funktionalbe-
ziehungen“ und „polygenetischer Anpassungen‘, das aber immerhin
noch ein kausales System der Mittel,, von innerer Selbständigkeit
bleibe, wenn auch mit „komplementären Zielen“ (a. a. O. S. 28 ff.).
Demgegenüber betont v. Zwiedineck, S. 591 ff., daß eine „sozial-
wissenschaftliche Behandlung“ der Preislehre „nicht bei den Ergeb-
nissen des Zusammenwirkens komplementärer Kräfte“ und ihrer
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 12
178 Rudolf Stolzmann,
„individuellen Funktionalbeziehungen“, also der, wenn auch noch so
gehäuften, aber dennoch isolierten Preisphänomene stecken bleiben
dürfe, sondern „die Funktion der Preise im Gesamtzusammenhang
als Teil der Gesamtfunktionalbeziehungen erfassen“ müsse — neben-
bei ein Beleg für die erwähnte Umständlichkeit dieses neuen „Stils“.
v. Zwiedeneck markiert denn auch — im Sinne der von mir kürzer
als „sozialorganisch‘‘ bezeichneten Betrachtungsweise — die durch-
aus soziale Bedingtheit der Wertschätzungen des Subjekts, das
der Autarkie verlustig, jetzt sozusagen in eine „allarchische Be-
dürfnisbefriedigung“ eingefesselt sei: die Werturteile des Subjekts,
sagt er, sind entfernt nicht mehr ausschließlich subjektive Willens-
regungen, sondern ein Produkt der Erziehung, des Lernens und der
Anpassung an die objektiv bedingten, dem Subjekt der Außenwelt
oktroyierten‘“ historischen Preisbildungsfaktoren. Erst auf sie
baue das Individuum seinen eigenen Wirtschaftsplan auf. Deshalb
verlangt v. Zwiedineck geradezu eine „Vervollständigung des ana-
lytischen Materials“ der Preisbildungselemente durch eine histo.
rische Kategorisierung“ (a. a. O. 1909, S. 81, 88—90).
Wie anders hier v. Böhm-Bawerk! Zwar spricht auch er Bd.II,
S. 341 ff., von diesem Anpassen und Anlernen des Individuums, das
die Werturteile in der Regel „fix und fertig vorfindet‘“, ohne sie
erst „von Grund aus neu aufbauen“ zu müssen. Wir sind ‚darin
durch ununterbrochene Uebung erstaunliche Virtuosen geworden“.
Den Grund aber sieht er darin, daß „wir (!) schon früher einmal ein
Urteil“ über den Wert des zu schätzenden Gutes „uns“ gebildet
haben, das wir nur im Gedächtnis festzuhalten brauchen, oder man
folgt sogar „nur dem Urteile anderer, die in ähnlichen Situationen
sich bewegen.“ Aber damit, sage ich, ist doch noch gar nichts über
den eigentlichen Ursprung der Wertungen bewiesen, weil diese
Ausführungen für jede Wertlehre zutreffen und deshalb für keine
etwas beweisen, am wenigsten gerade für den subjektivistischen Ur-
sprung der Werturteile im Sinne der Grenznutzenlehre, und es ist
deshalb wohl kaum die Apotheose dieser Lehre am Schlusse der
v. Böhm-Bawerkschen Ausführungen gerechtfertigt: „Und Jahr-
tausende, ehe die Wissenschaft die Lehre vom Grenznutzen auf-
stellte, war der gemeine Mann gewohnt, Güter zu erstreben und
abzulassen ... mit Rücksicht auf den Zuwachs oder Abfall von
konkretem Nutzen, der an jedem Gute hängt: er praktizierte mit
anderen Worten die Lehre vom Grenznutzen (!) früher als die
Theorie sie entdeckte“. (!) Es bleibt die Frage ungelöst, ob und
wieweit dem Individuum die Maßstäbe seiner Wertungen von
außen kommen, weil sie hinter seinem Rücken gebildet werden, und
es sie erst hinterher zu seinen eigenen macht, indem es sie in die
Autonomie seines Willens aufnimmt. Nur diese Autonomie hat denn
auch wohl v. Zwiedineck mit dem oben zitierten Ausdruck „Willens-
primat“ gemeint. Wie das Individuum ethisch Selbstzweck ist,
so muß es auch in der Volkswirtschaft als souveräner Beherrscher
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 179
seiner Willensregungen anerkannt werden, selbst wenn und insoweit
seine „Impulse“ durch die sozialen Notwendigkeiten bestimmt werden.
Das Individuum bleibt der Träger, das Gefäß der sozialen Ideen,
in das sie aufgenommen und in dem sie verwirklicht werden. In
dieser Zwischenrolle geht von den Individuen allerdings eine kausale
Wirkung aus, sie sind die Räder der großen Maschine, die ohne
sie stille steht, und deren Zwecke mit ihren Zwecken solidarisch
sind.
Aber diese Autonomie des Individuums bleibt doch nur eine
formale Wahrheit, und das Individuum selbst ein unbeschriebenes
Blatt Papier, ein leerer Formalbegriff, der seinen Inhalt, seine Fül-
lung und seine Aufgaben erst aus den psychologischen und tech-
nischen Faktoren, dann aber — was für die Sozialökonomie ent-
scheidet — aus den sozialen Bedingungen und Aufgaben emp-
fängt (Zweck, S. 141 ff.) Dem hat die Theorie nachzugehen,
und ihr Programm muß darin bestehen, den wirtschaftlichen Phä-
nomenen und ihren Gesetzen aus der sozialen Kategorie heraus
näher zu kommen (S. K., S. 422), oder wie es jetzt v. Zwiedeneck
ausdrückt, ihnen „vom sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkte
aus zu Leibe zu rücken“ (a. a. O. S. 18).
Es ist ein seltsamer Anachronismus, daß die ‚Modernen“
heute noch und besonders heute wieder in der Lehre vom volkswirt-
schaftlichen Sein, dessen fortschreitende Sozialisierung mit Händen
zu greifen, in den subjektiven Naturalismus zurückfallen, während
doch in der Lehre vom Seinsollen, in der Ethik, der soziale Ein-
schlag im kategorischen Imperativ Kants immer mehr erkannt wird,
wie z. B. Simmel in seinen Kantvorlesungen 1905, S. 95 und 108,
die philosophische Sublimierung des Freiheitsenthusiasmus und da-
mit der subjektivistischen Persönlichkeitsidee bei Kant als eine
nur seinem Jahrhundert eigentümliche Form der Denkrichtung
charakterisiert, die ihren Kern unberührt läßt. Diesem sozialen Kern
muß dann endlich auch die theoretische Nationalökonomie nach-
gehen, sie darf die Volkswirtschaft nicht länger als ein bloßes
„System von Handlungen menschlicher Individuen‘ betrachten,
auf das sich die Volkswirtschaft immer von neuem „aufbaut“, son-
dern es ist a priori der Kern und das Wesen der „polygenetischen
Funktionalbeziehungen der gesellschaftlichen Gebilde“ und vor allem
des Kongregalgebildes höchster Ordnung, der Rechts- und Wirt-
schaftsordnung aufzuweisen, in die sich die „Handlungen“ der Einzel-
personen erst einfügen, um dann erst a posteriori ihre „kausalen“
Wirkungen auszuüben. „Es ist wirklich nicht auszudenken“, sagt
v. Zwiedineck S. 91 treffend, „wie die Preise der einzelnen Ver-
kehrsobjekte auf den Märkten zustande gebracht werden sollten,
wenn etwa eines Tages alle Erinnerung für jeden vorherigen Preis
(und damit teilweise natürlich auch für gewisse Kosten) erloschen
wäre! Das aber ist das Problem, das die extremen Subjektivisten
lösen zu können glauben und das sie zu lösen imstande sein müßten“.
12*
180 Rudolf Stolzmann,
Es zeigt deshalb sicher einen Fortschritt, wenn v. Zwiedineck,
S. 83, in Anlehnung an Schmoller, Grundr. II, S. 110, das „Träg-
heitsgesetz des Verkehrs‘ aufstellt, wonach sich als unentbehrlicher
Ausgangspunkt für die individuellen Schätzungen ein objektives
Faktum, der bisherige Preis, der Marktpreis von gestern,
erweist, von dem alles Werten auf der Angebots- wie auf der Nach-
frageseite ausgehen muß, und dem sich alles Werten, Disponieren
und Spekulieren „anzupassen“ hat: die Wertung richtet sich
nach dem Preis und hinge sonst in den Lüften.!) Aber dieser ana-
lytisch richtige Gedanke dringt dennoch immer nur bis zu einer
Zwischenwahrheit vor. Der Preis von gestern ist ebenso gut wie
der Preis von heute erst das zu Erklärende. Die Kräfte, die ihn
organisch gebildet haben, wirken alle Tage von neuem, sie reformieren
und korrigieren ihn, genau wie das für den anderen formalen Quan-
titätsbegriff: Angebot und Nachfrage zutrifft („Zweck“, S. 716),
die erst ihrerseits als die gehorsamen Diener der höheren sozial-
organisch bedingten Produktions- und Verteilungszwecke ihre Schul-
digkeit tun. Hier führt der subjektivistisch-kausale Ausgang die
Analyse nicht weiter, hier muß der heterogene „Zweck der Volks-
wirtschaft“ als Erklärungsmoment einsetzen, der statisch die früheren
Preise geschaffen und sie dynamisch immer nach seinen eigenen
immanenten Gesetzen reformiert und wandelt.
Der Zweckgedanke, mit dem also auch v. Böhm-Bawerk einsetzt,
ist deshalb an sich richtig, aber er kommt zu spät. Er ist inhaltlich
nicht ausgedacht, weil er ganz und gar im naturalistischen Erdreich
subjektivistisch-mechanischer Betrachtung stecken bleibt. Der Zweck,
als die entscheidende „Wertquelle‘“, ist nicht subjektivistisch, sondern
sozial. v. Böhm-Bawerk sagt: „Wenn wir nur als Tatsache wissen,
daß ein bestimmtes Produkt für uns (?!) Wert hat, können wir daraus
mit völliger Zuverlässigkeit das weitere Urteil ableiten, daß die Pro-
duktionsmittel.. für uns (!) ebenfalls wertvoll sind“ (Exk., S. 254).
Der Pluralis: „wir“ und die Bewertung der Güter nach dem Wohl-
fahrtsgewinn „für uns“ klingt sozial, ist es aber nicht, weil dahinter
zunächst immer nur die Privatschätzung des isoliert gedachten Einzel-
individuums in einer außerordentlichen Einzelsituation steht, dem
unerschöpflichen Eldorado des Subjektivismus, so oben in der Situ-
ation gar eines Schiffbrüchigen. Normalerweise, d. h. für den zu
erklärenden Marktpreis wird der Wert eines Rettungsgürtels nach
seinen Produktionskosten geschätzt, das bedeutet: nach dem Zwecke
der andern, die ihn herstellten, und zwar lediglich für ihren
Zweck, nämlich zum Zwecke ihres Lebensunterhalts oder ihres
1) v. Zwiedineck sagt a. a. O. S. 89 treffend: Das eigenartige Zusammenwirken
individueller mit Umweltselementen ist eine Wechselwirkung „ohne Anfang und Ende“.
„Aber der Anfang dieses Kausalnexus tritt doch aus dem Dämmerlicht (!) der Unbe-
stimmbarkeit etwas heraus, wenn die energetische Qualität der Marktpreise, ihr Behar-
rungsvermögen und ihre sozusagen (!) polypragmatische Bedeutung Beachtung findet.“
Zum Ziele kommt man meines Erachtens nur, wenn man an Stelle des „Kausalnexus“
den Zweckgedanken einsetzt. Der Zweck ist dann der „Anfang“.
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 181
Kapitalgewinns. Die wahre soziale Wertquelle ist im sozialen
Produktionsplane zu suchen, der die Produktion für andere, aber doch
mittels der Produktion vor allem die eigene Genußbefriedigung mittels
des Anteils bezweckt, den das produzierende Subjekt durch Liqui-
dation seiner Wertanweisung (in Gestalt von Lohn, Gewinn etc.) vom
gemeinsamen Sozialprodukt aus den Marktbeständen erreicht, zu ver-
gleichen schon S. K. S., 11 und 12, und v. Zwiedineck, S. 100 ff.
Das ist heute der Zweck der Produktion, und der Wert ist allerdings
ein Zweck, aber der Zweck der sozialen Auseinandersetzung. Es ist
ein Unding, den „Wert“ in der heutigen Wichtigkeit als Resul-
tante unsozialer, höchst individualistischer Elemente zu erklären,
Der Wert ist ein Reflektions-, ein Zweckbegriff, aber die Zwecke,
das Reflektieren des Individuums, sind durchaus von den Zwecken
des sozialen Organismus abhängig.
Dieser „Zwieschlächtigkeit‘‘ der Zwecke entspricht eine solche
des Güterwertes. Zwei Seelen wohnen in ihm, eine rein ökonomisch
technisch-psychologische und eine soziale, Das Einzelgut ist nicht
nur ein isoliertes, für die einzelne Bedürfnisbefriedigung bedeutsames
Stück Natur, sondern ein lebendiges organisches Stück der Volkswirt-
schaft, deren Leben und Wesen sich in seinem Werte wieder-
spiegelt (Zw., S. 6—7). So auch im Produktivgut. Ich produziere
ein Gut für den konkreten Nutzen („Wohlfahrtszweck‘“) anderer,
für mich produziere ich damit nur einen Wert, dessen Wesen in
seinem Charakter als Liquidationsmittel für die soziale Entlohnung
meines Dienstes liegt, zu welchem Zwecke andere ihrerseits ihre
Dienste für ihre Zwecke geleistet haben. Die „Wirksamkeit“ der
Produktivgüter, ihr Zweck, ihr Nutzen, sogar ihre „Nutzung“ —
was v. Böhm-Bawerk in der Kritik dieses letzteren Begriffes so ganz
übersieht und erst von Komorzynski wieder (vergleiche S. 146) in
Uebereinstimmung mit meinen Ausführungen in der S. K. und im
Zweck ins Licht gestellt hat — ist danach ein doppeltes: sie begreift
nicht bloß die Auslösung „naturaler Kräfteleistungen“, wie v. Böhm-
Bawerk sagt, sondern vor allem jenen sozialorganischen Nutzen für
den Hersteller, den v. Böhm-Bawerk unter den Tisch fallen läßt,
den Nutzen und die Kraft, als „Magnet“ den einen Teil des National-
produkts an sich zu ziehen. Wie diese zweite Seele im Werte der Pro-
duktivgüter den Subjektivisten entgeht, wird uns klar werden, wenn
wir nun die Rolle untersuchen, die die Kosten in ihrer Preislehre
spielen.
7. Die Unzulänglichkeit des Kostenbegriffs
in der subjektivistischen Preislehre.
„Die Wert- und Preisbildung“, sagt v. Böhm-Bawerk S. 413, Bd. II,
nimmt ihren Ausgang von den subjektiven Wertschätzungen der fertigen Pro-
dukte durch ihre Konsumenten. Sie bestimmen die Nachfrage nach diesen
Produkten, der als Angebot zunächst (1!) die Vorräte der Produzenten an ferti-
ger Ware“, schließlich aber, „vermöge des Nachschubs, den sie immerfort
aus der Produktion erfahren“, die gegebenen und fixen Vorräte an originären
Produktivkräften gegenüberstehen, aus denen sie alle letzthin entstehen, nämlich
182 Rudolf Stolzmann,
die Bodenkräfte und Arbeitsleistungen ; denn bis zu ihnen führt die Kausal-
kette vom Schlußprodukt durch die Zwischenprodukte zurück : „die originären
Produktivkräfte der Nation drängen sich der Reihe nach in die lohnendsten
Verwendungen und empfangen (!) von der letzten derselben ihren Wert und
Preis.“ Die Produktion ist einem riesigen Pumpwerk zu vergleichen. Jeder
Bedürfniszweig hat sein besonderes Saugrohr in das Reservoir der originären
Produktivkräfte eingesenkt und sucht daraus, konkurrierend mit allen andern
Zweigen, seine Deckung an sich zu ziehen. ... So saugen alle Bedürfnisse
mit der durch ihre Schätzungsziffern angezeigten Kraft.“ Je größer die Menge
der disponiblen Produktivkräfte ist, in je tiefere Schichten kann die Ver-
sorgung der Bedürfnisse herabsteigen. Können z. B. als die letzten Bedürf-
nisse noch diejenigen bedeckt werden, die den Arbeitstag nur mit einem Gulden
bezahlen, so wird sich demgemäß auch der Marktpreis der Arbeit einheitlich
auf einen Gulden fixieren. Auch für den großen sozialen Markt also „regieren“
zwar die Kosten den Wert, aber sie sind „nicht die endgültige, sondern immer
nur eine Zwischenursache des Güterwerts. In letzter Linie geben sie nicht
ihren Produkten den Wert, sondern sie empfangen ihn von ihnen“.
. Die Einwendungen, die wir oben gegen die Lehre vom sub-
jektiven Kostenwert und gegen die Preislehre überhaupt erheben
mußten, rücken hier in ein viel schärferes Licht. Die Subjektivisten
verkennen, daß in der Sozialwirtschaft hinter jedem Produktions-
faktor ein Mensch steht. Der Weg zum Produktivgut führt hier
immer nur über die Person seines Inhabers, wir sind also nicht wie
Robinson von den Dingen, sondern von ihren Besitzern abhängig,
die uns die Produktivgüter nur unter Bedingungen darbieten, Diese
Bedingungen bestimmen auch den Wert. Und zwar kann der dau-
ernde, organische Wert nicht anders bestimmt werden, als wie
durch die Umstände, die eine nachhaltige Produktion und eine.
dauernde, sozialnotwendige Vergeltung für die Besitzer der Pro-
duktivfaktoren gewährleisten. Im sozialen Organismus haben nur die
Vergeltung erheischenden Produktivmittel einen Wert, und auch
diesen nur nach Maßgabe der notwendigen Höhe dieser Ver-
geltung. Dagegen sagt v. Böhm-Bawerk S. 419: „Ob der Arbeitstag
einen Gulden oder drei Gulden wert ist, hängt davon ab, wie viel
das Produkt wert ist, das man in einem Arbeitstage hervorbringen
kann, und zwar das „letzte“, mindest gutbezahlte Produkt, zu dessen
Hervorbringung nach Versorgung aller besser honorierten Verwen-
dungen noch Arbeit entsprechender Qualität übrig ist.“ An diesem
Satze, der so besonders kraß wirkt, weil er den Produktionsfaktor
betrifft, der die höchstpersönlichste Leistung eines lebenden
Menschen, des Arbeiters, betrifft, wird besonders klar, wie wenig
sich die „subjektive“ Lehre gemeinhin um das subjektive Moment
der Kostenwertung kümmert, d. h. um die Personen, die hinter
den Produktivfaktoren stehen. Hier hätte der Zweckgedanke ein-
setzen müssen, aber nicht einseitig, sondern es waren zwei Zwecke
zu berücksichtigen, der Zweck der Konsumenten und der der Produ-
zenten. Der erstere steht bei der sozialen Produktion im Hinter-
grunde, vornan steht der Zweck des Produzenten, die Erlangung einer
Abfindung, einer Wertanweisung auf die anderen Marktgüter, an
deren Erzeugung er selbst unmittelbar nur in Ausnahmsfällen mit-
gewirkt hat. Und über diesen beiden Zwecken steht ein dritter
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 183
Zweck, ein Zweck höherer Ordnung, der organische „Zweck der
Volkswirtschaft‘, der jene beiden Zwecke erst einheitlich zu-
sammenfaßt. Alle diese Zwecke sind mitnichten schon „gegebene“,
so daß es nur auf die Mittel ankomme, welche die Volkswirtschafts-
lehre als ein bloßes „System der Mittel“ kausal zu betrachten
habe (Zw., S. 774). Hier hat es mit der „formalen“ Teleologie sein
Ende, es bleibt die größte und vornehmste Aufgabe der National-
ökonomie, Wesen, Inhalt und Zusammenstimmen aller jener Zwecke
zu erklären.
Statt dessen wird von den extremen Subjektiyisten die ganze
„nationale Produktion“ nur vom einseitigen Zweckstandpunkte der
Konsumenten aus betrachtet; sie vergessen, daß nicht nur für
Menschen, sondern in allererster Linie von Menschen produziert
wird. Sie machen so viel Wesens von der „Subjektivität‘ der wer-
tenden Konsumenten und vernachlässigen darüber die Zwecke der
Produzenten als Subjekte, als Menschen. Die Menschen, die hinter
den Produktivfaktoren stehen, die Grundeigentümer, die Unternehmer-
Kapitalisten, die Arbeiter, lebende, begehrende Wesen, keine Pa-
goden und Schemen, sie alle „empfangen“ nicht nur, sie geben und
fordern. Sie entscheiden mit der Macht ihrer sozialen Position,
ob die von ihnen zur Produktion hergegebenen Boden-, Kapital- und
Arbeitsleistungen „einen Gulden‘, drei oder viele „wert“ sind. Hinter
den subjektiven Schätzungen der Individuen steht im Konkurrenz-
system immer der ganze Zwang der sozialen Verhältnisse, die ab-
schließend bestimmen, wie hoch und wie niedrig die Wirtschafts-
subjekte schätzen können, dürfen und müssen. Es war ein grandioser
Fehler, die Wertschätzungen der Verkäufer auszuschalten und die
Preisbildung auf die der Käufer, der ‚letzten‘ Käufer, zurückzuführen.
Die ganze Volkswirtschaft ist dann nur ein großer Ausverkauf
fertiger Waren, oder, da sie nur allotropische Modifikationen der
originären Produktivfaktoren darstellen, schließlich (!) dieser Fak-
toren, deren „Umwandlung“ und Ueberlieferung an die Konsumenten
die Zwischenunternenmer nur von Stufe zu Stufe „vermitteln“.
Die letzthin maßgebendenOriginärfaktoren, auf welche die Betrach-
tung zurückgeht, sind also ebenso „fix“, wie die fertigen Genuß-
güter, die aus ihnen hervorgehen. Ihre Mengen, Vorräte, Reser-
voirs, dann die „Masse“ der in einem Marktgebiet verfügbaren Waren
und wie die sonstigen mechanischen Quantitäts- und Summenbegriffe
alle lauten, entscheiden nach Umfang und Zahl. Umfang und Zahl
entscheidet auch darüber, bis zu welcher Tiefe der Grenznutzen und
der Grenzpreis herabgedrückt wird. „Jedenfalls ist hier“, sagt
v. Böhm-Bawerk S. 405, „in der Beeinflussung der Zahl der ver-
fügbaren Waren, der Ansatzpunkt zu suchen, von dem aus die Kosten
jenen bekannten weitreichenden Einfluß auf die Höhe der Güterpreise
üben ...“ „Die vergrößerte Menge“, sagt v. Böhm-Bawerk, Exk.
S.257, „bewirkt eine stärkere Sättigung der nach Produkten .. . be-
stehenden Bedürfnisse; dadurch (?) wird der Grenznutzen und Wert
der Produkte, und weiterhin endlich der durch ihn vermittelte (!)
184 Rudolf Stolzmann,
Grenznutzen und Wert des Produktivgutes herabgedrückt.“ Wenn
er nun fortfährt: „Die Vermehrung der Masse des Produktiv-
gutes kann aber den Wert des Produktes nicht von sich allein (!)
aus... drücken“, so ist das freilich unbestritten, damit ist doch aber
die notwendige Würdigung dieses „andern“ Faktors, des eigentüm-
lichen und ursprünglichen Wertes des Produktivgutes, nicht er-
ledigt.
Es fehlt die Würdigung des Zwecks, den die Besitzer der
Produktivgüter verfolgen und zwar verfolgen müssen gemäß des
höheren Zwecks.der Volkswirtschaft, deren nachhaltiger und dauern-
der glatter Fluß nicht bloß von der Kaufkraft der zahlungs-
fähigen Konsumenten, sondern mindestens ebenso wohl von der
gleichmäßigen Verkaufskraft der Produzenten abhängt, d. i.
von ihrem Einkommen. Denn wir sahen, die Bedingung der
ganzen Produktionstätigkeit besteht in der Erzielung dieses Ein-
kommens, sie ist der Zweck in der Volkswirtschaft. Die Kaufkraft
der Konsumenten kann nicht bestimmt werden ohne die Verkaufskraft
der Produzenten und umgekehrt. Sie stehen in Wechselwirkung,
aber diese ist keine kausale. v. Böhm-Bawerk hat ganz Recht, wenn
er in diesen Jahrbüchern, 3. F., III. Bd., 1892, S. 359, sagt, daß der
Satz: der Wert der Produktivgüter wird durch den Wert der Produkte
bestimmt, und zugleich umgekehrt ein Zirkel, eine Todsünde gegen
die Logik seien: eine wechselseitige Kausalität derart, daß von
zwei und denselben Dingen jedes die Ursache des andern sei. Aber
wohl möglich und sogar begrifflich notwendig ist eine Wechselwirkung
in einem „Organismus“, dessen Wesen gerade in einer solchen
Wechselwirkung der Glieder und des Ganzen besteht, aber nicht im
Sinne der Kausal-, sondern der Zweckidee. Da die Volkswirtschaft
ein organisches Zweckgebilde ist, kann ihr Organismus ohne die
Zweckidee nicht verstanden werden. Während uns der Kausalitäts-
gedanke hier aufs Trockene führt, liefert der Zweckgedanke die
sehr einfache Lösung der Wechselwirkung: Zwei Werte, d. h.
zwei Zwecke sind gleich, weil sie einem dritten gleich sind, dem
Zwecke des übergeordneten sozialen Ganzen; Produktivgüter und
Produkte sind nach ihrem Werte und Zwecke gleich — nicht wie
v. Böhm-Bawerk Exk. S. 251 sagt, weil letztere einer dritten „Ur-
sache“, nämlich dem Verhältnis von Bedarf und Deckung, sondern weil
sie einem und demselben organischen Einheitszwecke entstammen.
Dann bedarf es nicht des verfehlten — nicht organischen — „Um-
wendens“. Im Lichte des organischen Zweckgedankens stellt sich
der Wert der Produktivgüter als antizipierter Konsumtions- und
Einkommenswert dar, der im Werte der Produkte nur realisiert
wiedererscheint, sie gehorchen beide nur demselben organischen
Zweckprinzip, das auf der stetigen Erneuerung der Kauf- und der
Verkaufskraft beruht. Dieser gemeinsame Zweck der Volkswirt-
schaft ist jene „Sonne“, von der sie in einem Strahle beide ihr
Licht erhalten.
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 185
So behält denn Marshall mit seinem Scherenbeispiel Recht, es
muß nur teleologisch begründet werden. Bei der Kausalbetrachtung
der Grenznutzenlehre dagegen bleiben beide Seiten der großen
volkswirtschaftlichen Gleichung unbestimmt, es bleibt die große Frage
ungelöst, woher Arm und Reich, woher die „Kaufkraft“ der alles
bestimmenden Konsumenten. Auch hier, auf der Konsumentenseite,
zeigt sich wieder die Tatsache, daß sich der Subjektivismus, ohne
es zu sehen, in seichten Objektivismus verflacht: Die Nachfrage
ist ebenso fix und objektiv gegeben, wie wir es beim Angebot sahen.
Reich und Arm, die natürlich — ein bloßes Gesetz des fertigen
Marktes — die Kostengüter und ihre allotropischen Modifikationen
in Gestalt der Genußgüter, sich gegenseitig konkurrierend, „an sich
saugen“, sind mit ihrem Einkommen starrmechanisch gegeben; wo-
her sie es haben und wie es sich organisch aus dem großen Gefüge
erneuert, das bleibt ein Rätsel. Es scheint fast, als ob die Volks-
wirtschaft nur für Rentner da wäre mit fixem Vermögen und
fixer Kaufkraft — kaufkräftige Guldenbesitzer, deren Guldenmenge
gleichsam vom Himmel geschneite Fixa der Nachfrage darstellen.
In Wahrheit stehen Nachfrage und Angebot in einem organischen Zu-
sammenhang. Sie sind teleologisch a priori aufeinander abgestimmt.
Das „Aufsaugen“ ist erst erklärlich, weil die organischen Vor-
bedingungen dazu gegeben sind (Zweck S. 764).
Es ist bisher viel zu wenig beachtet worden, daß die Gedankenbrücke
vom subjektivistischen Wertbegriffe zum „Preise“ eigentlich nur auf einer for-
malen Analogie, auf einem bildlichen Gleichnisse beruht. So nennt v. Böhm-
Bawerk das Kostengesetz „nur eine auf eine spezielle Erscheinungsgruppe an-
gepaßte spezielle Aussageform“ des Gesetzes vom Grenznutzen: „Die Ge-
dankengänge . . gleichen sich Zug für Zug, nur daß hier“ (beim sozialen Kosten-
gesetz) „vermöge des Dazwischentretens des Tausches, vermöge der Ueber-
setzung (?) des Phänomens aus der Einzelwirtschaft in die Gesellschaft, um
jedes Glied des Gedankenganges sich reichere Verwicklungen‘“ (wieder das so
oft beobachtete Verlegenheitswort !) „schlingen“. „Es vollzieht sich hier ein-
fach das große Gesetz des Grenznutzens.“ Dieses laute, „daß der vorhandene
Vorrat der Güter immer der Reihe nach in die lohnendsten (!) Verwendungen
eingewiesen wird, und daß die letzte, abhängige Verwendung den Wert De-
stimmt“. „Im erweiterten Rahmen des Marktes“ dagegen werde nun „Alles
nicht mehr unmittelbar auf die subjektiven Bedürfnisse, sondern durch deren
Vermittlung auf das Geld bezogen, das gleichsam (!) den neutralen gemein-
samen Nenner für die nicht mehr unmittelbar vergleichbaren Bedürfnisse und
Empfindungen verschiedener Subjekte abgibt. Jetzt erscheinen als die loh-
nendsten D Verwendungen nicht mehr diejenigen, die den absolut intensivsten
Bedürfnissen, sondern jene, die den höchsten Geldschätzungsziffern ent-
sprechen, also die bestbezahlten (!) Verwendungen; und der Wert, der
araus (?) hervorgeht, ist objektiver Tauschwert.‘“
Ich brauche hier die oben nachgewiesene Unzulänglichkeit des
„großen Grenznutzengesetzes“ nicht von neuem aufzuweisen, ebenso
nicht diejenige des Resultantengedankens im allgemeinen, endlich
auch nicht die des „neutralen“ Generalnenners „Geld“, der, ein
deus ex machina, das Vergleichbare mit dem Unvergleichbaren, „ver-
mitteln“ soll, den subjektiven „Wert“ mit dem objektiven Preis.
Ich beschränke mich darauf, die Ausführbarkeit jener „Ueber-
186 Rudolf Stolzmann,
setzung“ aus dem Subjektiven ins Soziale zu beleuchten. Hier sind
nun, wie ich Zweck S. 715 und 719 näher begründete, nur zwei
Gedankenbrücken vom einen zum andern denkbar, die Resul-
tantenidee und die Analogie.
Prüfen wir die Anwendbarkeit der ersteren und nehmen einmal
an, es gäbe irgendeinen Robinson oder mehrere solcher Robinsons,
die nach dem Grenznutzengesetze „werten“. Wie kommen dann auf
dem großen Markte alle die robinsonartig gedachten, autarkischen
Einzelwirtschafter zueinander, die mit ihren subjektivistischen Grenz-
und Fortfallserwägungen im Vereine die preisbestimmende Resul-
tante ergeben sollen? Aber da belehrt uns ja schon v. Böhm-Bawerk,
S. 416 und Note, selbst, daß ihre — subjektiv intensivsten — Be-
dürfnisse leider nicht mit den „bestbezahlten‘‘ Verwendungen zu-
sammentreffen. Denn es drängt sich ein ganz fremdes Element in den
Gang der Erklärung, die „Kaufkraft“, also ein Objektivum, und
zwar ein vom „subjektiven“ Standpunkte aus genetisch und inhalt-
lich unerklärtes. Aber nicht genug damit, es springt die Erklärung
in eine fremde Kausalreihe hinüber, die nicht mehr der Nachfrage-,
sondern der Angebotsseite entstammt, und zwar geschieht dies mittels
desjenigen Begriffs, der in v. Böhm-Bawerks Dialektik das alleinige
Verbindungsglied mit dem subjektiven Grenznutzengesetze bildet,
es geschieht mit dem tertium comparationis der „lohnendsten Ver-
wendungen“. Ja, aber wem „lohnen‘ denn nun diese Verwendungen
in der Gesellschaft, wie sie dort dem Robinson „lohnten“? Doch
nicht mehr dem wertenden Konsumenten, sondern vor allem dem
Produzenten. Wie v. Wieser, Nat. W., S. 54 u. 57, richtig er-
kennt, ist hier der persönliche Nutzen der „Unternehmer“ das ent-
scheidende Prinzip. Statt der Dinge, die am meisten nützen
können, werden diejenigen erzeugt, welche man am besten bezahlt.
Es ist „dem privaten Unternehmer nicht um den höchsten Nutzen
für die Gesellschaft, sondern um den höchsten Wert für sich (!)
zu tun, der zugleich sein höchster Nutzen ist.“ Damit macht dann
also der objektive Kostenfaktor und mit ihm das bestimmende Preis-
bildungsmoment der Angebotseite sein unveräußerliches Recht geltend,
die Dialektik hatte sie nur interimistisch ausgeschaltet.
Was aber von ihr übrig bleibt, ist dann nur der rein äußerlich
formale Gedanke der Analogie. Es bleibt nur ein dialektisch sehr
interessantes Gleichnis übrig, die Vergleichung zwischen dem Nutzen
der Gesellschaft und dem des konsumierenden Individuums. Aber
diese Vergleichung hat keinen sachlichen Boden. Robinson wertet,
eine Gesellschaft wertet nicht, sie ist ein Abstraktum, und der
gesellschaftliche Wert wäre eine jener unzulässigen Idealisierungen,
vor denen v. Böhm-Bawerk sonst so energisch warnt (Bd. 1, S. 341).
Es fehlt auf dem großen Markte das einheitliche Subjekt der
Schätzung, und auf der Kostenseite der einheitliche fixe und gegebene
Vorrat an Produktivmitteln. Was die erstere Seite betrifft, so sagt
schon v. Wieser: „Dort, in der isolierten Wirtschaft, wurden mit
dem gegebenen Vorrat die wichtigsten Bedürfnisse, von oben nach
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 187
unten gereiht, befriedigt; hier, bei der Preisbildung, kommen die
tauschfähigsten Kaufbewerber, von oben nach unten gereiht, zum
Tausche, und wie dort der Grenznutzen, so entscheidet hier der
Grenzkäufer“. „Wie es hier Grenzbedürfnisse gibt, gibt es
dort Grenzexistenzen unter deren Niveau die Fristung des
Lebens höchstens noch gnadenweise zugestanden wird“ (a. a. O.
S. 58). Das ist aber alles nur ein Spiel mit Worten, um den
Grenzgedanken zu retten, eine gedankliche, keine reale Vergleichung,
es bedeutet nichts anderes, als die phantasievolle Parallele zwischen
einzelnen, subjektiven Teilwertungen, die im Kopfe des Robinson
ihr Spiel treiben, mit ganzen Menschen, nämlich mit den In-
dividuen als Teilen des großen Robinson, als den man sich — unge-
bührlicherweise (Zweck, Sa 367 und 707) — die Volkswirtschaft
vorstellt. Und gar auf der Angebotsseite (der Kostenseite) fehlt es
an jedem tertium comparationis. Der nationale" Vorrat an origi-
nären und produzierten Produktionsmitteln, der nationale Produk-
tionsfonds oder, wie ihn v. Böhm-Bawerk in der Zinslehre begriff-
lich umwandelt, der „nationale Subsistenzfonds“, ist ein zur Ver-
gleichung ganz untauglicher bloßer Summenbegriff. In der Volks-
wirtschaft ist eben mit der autarkischen Robinsonwirtschaft die
Keimzelle der subjektivistischen Betrachtung gespalten, das theo-
retisch ausgedachte „Individuum“ auseinander gesprengt und mit ihm
seine Einzelwirtschaft, seine Gesamtbedürfnisse, sein Gesamtvorrat.
Es tritt ein begrifflich und sachlich heterogenes novum an die Stelle.
So an Stelle der Kostengüter und ihrer rein-ökonomischen Dreiteilung
jetzt die soziale Dreigliederung der Personenklassen, die hinter den
Kostengütern stehen, die Klassen der Arbeiter, Grundbesitzer und
Kapitalisten, und an Stelle der einzelnen Bedürfnisse die der werten-
den „Existenzen“ ebenderselben Personenklassen, aus denen —
abgesehen von den Personen mit sogenannten „abgeleitetem‘“ Ein-
kommen, sowohl die Konsumenten wie die Produzenten bestehen.
Wir stoßen hiermit auf ein organisches Moment, das bisher nicht
bloß von den subjektivistischen, sondern oft auch von den objekti-
vistischen Theoretikern so auffallend vernachlässigt worden ist, näm-
lich auf die sozialnotwendig gebotene, aber auch gegebene große volks-
wirtschaftliche Gleichung, von der Leben und Gedeihen des sozialen
Körpers abhängt, auf die Gleichung von Nutzen und Kosten, Kauf-
kraft und Verkaufskraft, Konsumtion und Produktion. Kurz, es
handelt sich um das Soll und Haben der großen volkswirtschaftlichen
Bilanz und das Aufgehen dieser ihrer aufeinander angewiesenen
Posten. Sie kann nur erklärt werden durch die sozialorganisch
wirksamen Schwerkräfte des volkswirtschaftlichen Organismus, die
zu einem großen „Ziele streben“. „Zielstrebigkeit‘ will ich das ein-
mal nennen, statt „Zweck“ oder „Telos“, um den sogenannten „Tele-
ophoben‘“ nicht wehe zu tun, die bei dem Worte „Teleologie“ immer
gleich nervös werden. Ich habe das Wort „Zielstrebigkeit“ auch
schon im „Zweck“ öfters angewendet. Es stammt wie der Ausdruck
Teleophobie sogar von einem „Naturforscher“, dem berühmten v. Baer
188 Rudolf Stolzmann,
und wird von Paulsen a. a. O. S. 240, an der oben erwähnten Stelle
empfohlen, die v. Böhm in Bezug genommen hat.
Jenes organische Verhältnis zwischen beiden Seiten der Gleichung
ist von der Grenznutzenlehre mit ihrem rein subjektivistischen Denk-
apparate natürlich nicht erfaßbar. Statt uns das Stimmen der
Gleichung aus jener Zielstrebigkeit des sozialen Körpers zu erklären,
stoßen bei ihr Konsumenten und Produzenten, Angebot und Nach-
frage blind aufeinander. Sie sind eben da, und ihr Verhältnis zu-
einander ist ein zufällig mechanisches. Es fehlt die verbindende Ein-
heit. Der einzige Ansatz zu einer solchen findet sich höchstens in
ihrer Theorie von den „komplementären Gütern“. Wir gelangen
damit zu der dritten und letzten „Komplikation“ des Wert- und
Preisgesetzes.
8. Der Wert der „komplementären“ Güter. Das Gesetz der
Zurechnung und Verteilung.
„Die Theorie vom Werte der komplementären Güter“, so sagt
v. Böhm-Bawerk, „bietet den Schlüssel (!) zur Lösung... des Pro-
blems der Verteilung der Güter... in der heutigen Gesellschafts-
form... sie legt den durchgreifendsten Bestimmungsgrund für die
Höhe der Honorierung bloß, die jeder der drei Faktoren (Arbeit,
Boden, Kapital) für sich erlangt... und leitet zur Höhe der drei
Einkommenszweige Arbeitslohn, Grundrente, Kapitalzins“. — Der
Weg zu diesem Ziele geht wieder von der Betrachtung der Einzel-
wirtschaft aus, und der Führer auf diesem Wege ist wieder der
passe-partout des Fortfallgedankens. In der Einzelwirtschaft, so
geht die Erklärung, ergibt sich der Wert in dem zu untersuchenden
„komplizierten“ Falle, nämlich in dem Falle, daß „verschiedene Arten
von Produktivgütern zur Produktion erforderlich sind“, dadurch,
daß man sich das zu schätzende Produktivgut als fortgefallen denkt,
der Ausfall an Bedürfnis ergibt seinen Wert. Man beachte: wie
beim einfachen Kostengesetze und dem Wertgesetze der „produktions-
verwandten“ Genußgüter die objektiv gegebene Gleichheit der Kosten-
güter die Brücke abgab, so wird hier umgekehrt vom objektiv ein-
deutig gegebenen, als fix gedachten Wert eines einzelnen Genußguts
ausgegangen, der den Produktivgütern „zugerechnet“ wird. Beim
Kostengesetz war dann die Schwierigkeit, daß zur Herstellung selbst
des kleinsten Gutes in aller Regel das Zusammenwirken mehrerer
Produktivgüter (Arbeit, Natur, Kapitalgüter) erforderlich ist, zunächst
dadurch umgegangen, daß das Produkt immer nur als aus einem
Produktivgut, aus Eisen, aus Arbeit pp. oder nur aus gleich-
artigen „Produktivmittelgruppen“ hervorgegangen angenom-
men wurde, eine bloße Hypothese, die im Leben kaum irgendwo zu-
treffen wird, die man aber als vorläufige Annahme hingehen lassen
könnte. Ebenso könnte man die andere Hypothese als solche tole-
rieren, nach der in der Lehre vom Werte der komplementären Pro-
Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 189
duktivgüter vorausgesetzt wird, daß sie nur ein Gut oder eine
Güterart hervorbringen. Was aber nimmermehr zugelassen werden
kann, ist eine Vereinigung und Vermengung beider Methoden und
ihrer gesonderten Ergebnisse in der Weise, daß das aus der Hypo-
these gleichartiger und deshalb gleichwertiger Kostenstücke für die
Wertbestimmung der Glieder der Nutzenseite gewonnene Ergebnis
rückwärts wieder für die Erklärung der Kostengüter verwertet wird,
wenn diese — wie beim Problem der komplementären Kostengüter —
eben verschiedenartig sind. Das tun aber, wie ich „Zweck“ S. 742
bis 745 und schon vorher „S. K.“ S. 275ff. ausführlicher nach-
gewiesen habe, sowohl v. Wieser wie v. Böhm-Bawerk. So füst
v. Böhm-Bawerk bei der abschließenden Lehre von der „Auf-
saugung‘' der nationalen Produktivkräfte dem Satze, nach dem der
Marktpreis der speziellen Ware, z. B. eines Eisenprodukts, die
Schätzungsziffer für die Beteiligung an der Nachfrage des Pro-
duktivguts Eisen abgibt — ganz ähnlich wie v. Wieser — den
Worten „Marktpreis seiner speziellen Ware“ in der Klammer hinzu:
„beziehungsweise (!) der nach dem Gesetze der komplementären
Güter auf das Eisen entfallende Anteil des Marktpreises“ (Bd. 2,
S. 414).
Aber viel verhängnisvoller noch wie beim allgemeinen Kosten-
gesetze ist für die Lehre des Wertes der komplementären Produktiv-
güter die Schwierigkeit der „Uebersetzung‘ dieser Lehre von der
Einzelwirtschaft in die gesellschaftlichen Verhältnisse. In der allge-
meinen Kostenlehre machte die Grenznutzenlehre wenigstens noch
den (leider mißglückten) Versuch, das subjektive Kostengesetz
für die Preislehre sozial umzuwandeln, so fügte v. Böhm-Bawerk in
seine Preislehre das besondere Kapitel IV, S. 411ff, über „das
Kostengesetz‘ ein. Eine solche Einfügung für das Gesetz der kom-
plementären Güter“ fehlt in der Preislehre ganz. Es fehlt der
Versuch, die aus der Einzelwirtschaft gewonnenen Sätze auf die hete-
rogene Volkswirtschaft zu übertragen; und ich kenne keinen Punkt
in der ganzen Grenznutzenlehre, der einen größeren Widerspruch
herausfordert, als die mit soviel Zuversicht vorgetragene Meinung,
als habe sie das Wertgesetz der komplementären Güter auch als ein
soziales für die bestehende Volkswirtschaft begründet, so wenn
v. Böhm-Bawerk gar das ganze Ricardosche Grundrentengesetz „mit
ein paar Federstrichen‘ ersetzen will, nämlich eben durch das Gesetz
der komplementären Güter.
Oder irre ich mich in meiner Behauptung, daß die Grenznutzen-
lehre die Herausarbeitung des sozialen Gesetzes der komplementären
Güter verabsäumt habe? Hat sie diese Aufgabe nicht etwa doch bei-
läufig in der subjektiven Wertlehre miterledigt, so z. B. v. Böhm-
Bawerk im Kapitel VI, I. Absch., S. 276 ff? — Es werden dort drei
Arten „‚komplementärer‘ Güter geschildert und zwar 1) solche, die
nur gemeinschaftlich zu benutzen sind, wie z. B. ein Paar Hand-
schuhe. Dann gehe, sagt v. Böhm-Bawerk, durch den Verlust (!)
190 Rudolf Stolzmann,
eines Handschuhes der ganze Wert des Paares verloren, der übrig
gebliebene Handschuh ist wertlos. Ganz richtig, aber hier sieht
man so recht die schon oft hervorgehobene Unzulänglichkeit des
passe-partout und damit der ganzen subjektiven Wertbetrachtung
für die soziale Resultantenbildung, die zum Preise" führen soll.
Der Handschuh kaufende Grenznutzenlehrer würde große Augen
machen, wenn der Handschuhmacher ihn beim Worte nähme und ihm
nur einen Handschuh mit den Worten gäbe, es habe ja dieses ein.
zelne Stück den vollen Gesamtwert der Gruppe“. — Den zweiten
Fall, „daß die einzelnen Güter der Gruppe auch außerhalb ihrer
gemeinsamen Verwendung einen wenn auch geringeren Nutzen zu
stiften imstande sind‘, habe ich schon oben S. 158 kurz mitberührt.
Für uns interessiert hier eigentlich nur der dritte Fall, er betrifft
ganz besonders den Wert der Produktivgüter und seine etwaige
Uebersetzung ins Soziale: „Einzelne Glieder der Gruppe sind nicht
bloß subsidiär zu andern Zwecken verwendbar, sondern auch durch
andere Exemplare ihrer Art ersetzlich.“ „Z. B. zum Bau eines
Hauses sind der Baugrund, Ziegel, Balken und Arbeitsleistungen
komplementär“. Der Baugrund ist unersetzlich, die übrigen, d. h.
diejenigen, welche man in der Praxis die „Kosten“ nennt, sind
ersetzlich. „Die Aufteilung geht nunmehr in der Art vor sich, daß
aus dem durch den Grenznutzen der gemeinsamen Verwendung be-
stimmten (!) Gesamtwert der ganzen Gruppe zunächst den ersetz-
lichen Gliedern ihr fixer (!) Wert vorweg zugeteilt, und der — je
nach der Größe des Grenznutzens variable — Rest den nicht ver-
tretbaren Gliedern als ihr Einzelwert zugerechnet wird.‘ Das sei in
der Praxis der häufigste Fall, denn „die überwiegende Mehrzahl der
komplementären Güter ist als marktgängige (!) Ware beliebig ersetz-
lich: die Leistungen der Lohnarbeiter, die Rohstoffe usw.“ In der
Praxis ziehe man also „vom Gesamtertrage“, vom „gemeinsamen Er-
trägnis (Wert, Preis oder Güter? frage ich) die „Kosten“, d. h.
die Aufwände für die ersetzbaren Produktivmittel von gegebenem
Substitutionswert ab... den Rest schreibt man als ‚Reinertrag‘ (ich
frage wie oben) dem oder den nicht vertretbaren Gliedern zu: der
Bauer seinem Boden, der Bergwerkbesitzer seinem Bergwerk, der
Fabrikant seiner Fabrik, der Kaufmann seiner Unternehmertätigkeit.“
So wird also „die Sache von der Einzelwirtschaft auf den
Markt hinübergespielt!“ Und das soll nun den „Schlüssel“ zum
Problem der sozialen Verteilung abgeben! In Wahrheit wird uns
nur das Verhältnis eines Subjektes zu seinen Gütern vorgeführt,
während doch das soziale Problem der Verteilung das Verhältnis
verschiedener, in Arbeitsteilung verbundener Subjekte zueinander
betrifft. Woher weiß v. Böhm-Bawerk ferner den Wert" des Ge-
samterträgnisses (denn auf diesen kommt es an), der „zugeteilt“,
„zugerechnet“ wird, den Wert des dividendus? Es soll einfach sein
„Grenznutzen“ sein: „Der Gesamtwert der vollständigen Gruppe
richtet sich in der Regel nach der Größe des Grenznutzens, den
Die Kritik des Bubjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 191
sie in ihrer Vereinigung zu stiften imstande ist“. Und dieser Grenz.
nutzen‘ wird dann S. 283 gar noch mit Zahlen „beziffert“, z. B.
das Haus mit Grund und Boden, also — nebenbei gesagt — wieder
ein isoliertes Gut, wo sich nach dem oben Gesagten ein Grenz-
nutzen gar nicht „entfalten“ kann. Ich brauche’v. Böhm-Bawerk nur
die Frage vorzulegen, wie er dies Wertobjekt mittels des „Grenz-
nutzens‘ berechnen will, und zwar mittels des passe-partout? Und
wie soll die „Bezifferung‘‘ in dem sozialen „Generalnenner‘“ Geld
vor sich gehen? Ich verstehe nicht, wie sich das alles von der
Einzelwirtschaft auf den Markt „hinüberspielen‘ soll.
Von all den Einwendungen, die ich schon oben und ausführ-
licher in der „S. K.“ und zuletzt im „Zweck“ S. 741—755 vor-
geführt habe, sei nur noch folgende hervorgehoben: die Ergeb-
nisse aus der Einzelwirtschaft mit geschlossenem Güterbestande be-
weisen gar nichts für die Ableitung von sozialen Regeln der Ver-
teilung. Das Einzelsubjekt steht nun zwar mitten in der Volkswirt-
schaft, aber es bleibt mit seinen subjektiven Schätzungen ein Robin-
son, eine theoretisch isolierte Felseninsel mitten im reichen Gewoge
der sozialen Umgebung! Und wenn wenigstens an diesem Robinson
mit seinem subjektivistischen Scheuklappenstandpunkte festgehalten
würde! Aber nun setzt — eine arge Vermischung der Kategorien —
plötzlich der Einfluß von außen ein, Robinson richtet sich nach dem
„Marktpreis“, wenn auch nur nach dem der „ersetzlichen Glieder‘
— ein Zirkel, dem wir nun wohl genugsam schon begegnet sind.
Keine Spur von Erklärung darüber, wie Arbeiter, Kapitalisten und
Bodenbesitzer sich im Getriebe des großen Marktes. zueinander
stellen, und welches soziale Netz der Beziehungen sich für sie aus
dem „Besitz“ je ihrer drei spezifischen Produktionsfaktoren er-
geben müssen. Die subjektiven Betrachtungen können uns allen-
falls veranschaulichen, wie sich das Individuum im fertigen Bau der
Sozialwissenschaft häuslich einrichtet, wertet und einfügt, aber den
Bau selbst in seinem eigentlichen Wesen können sie uns nicht er-
klären. Mit der bloßen Resultante ist es nichts und noch weniger mit
der „zweistufigen“ Erklärung. Der Schritt von der isolierten zur
sozialen Stufe ist zu weit, er führt zum Straucheln. Auch die ge-
schilderte gleichnisartige Analogie führt auf Abwege. In der
organischen Volkswirtschaft gibt es keine „Ueberdeckung“ der
Schätzungen, in ihr bestimmen sich der Wert, die Zurechnung und
die Verteilung in einem Zuge. Sie bestimmen sich nicht nach den
zufälligen Augenblicksschätzungen bei den „Einzelakten‘“ der Indi-
viduen, sondern es richten sich umgekehrt diese „Akte“ nach den
organischen „Funktionen“, die ihnen durch die ganze Anlage der
Wirtschaftsordnung und durch den gleichmäßigen und geregelten,
planmäßigen Gang des großen Zweckorganismus vorher gegeben
sind. Sie sind lediglich seine Vollstrecker. „Welche Verkennung
der Gesetze dieses sozialen Gefüges, sie als Resultante der ein-
zelnen Kauf-, Tausch- und aller der übrigen „Akte“ der sozialen
192 Stolzmann, Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode.
Produktion und Verteilung zu behandeln, statt die Betrachtung mit
jenen Gesetzen zu beginnen und demgemäß aus ihnen erst den
Anstoß zu allen Wirtschaftsakten der Individuen untereinander zu
entnehmen !“ („Zweck“ S. 737).
Der Subjektivismus ist heute an einem toten Punkte angelangt,
aber er hat seine Rolle noch. lange nicht ausgespielt und wird sie
nie ausspielen. Recht muß ihm werden, mehr denn er verlangt,
aber in ganz anderer Weise als nach der atomistischen Anschauung
seiner heutigen Vertreter: durch Einfügung in die sozialorganische
Betrachtung und Hand in Hand mit dem angefeindeten Objektivis-
mus. Nur auf diesem Boden kann die machtvolle soziale Position
des Individuums und des Individualprinzips seine gebührende
Würdigung erfahren. Im einzelnen soll hierüber sowie über alle oben
nur angedeuteten Probleme unsere nächste Abhandlung positive Aus-
kunft erteilen.
Miszellen, 193
Miszellen.
III.
Die Arbeitszeit in der Großeisenindustrie.
Bearbeitet nach den Jahresberichten der Königlich Preußischen
Regierungs- und Gewerberäte für 19131).
Von Dr. Friedrich Syrup.
Alljährlich seit dem Inkrafttreten der „Bekanntmachung des Reichs-
kanzlers, betreffend den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie,
vom 19. Dezember 1908“ ?) sind die Ergebnisse der Untersuchungen der
Preußischen Regierungs- und Gewerberäte über die Arbeitsverhältnisse
der Eisenhüttenarbeiter in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und
Statistik besprochen worden 8). Bei dem lebhaften Interesse, das nicht
nur von seiten der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern
auch im Reichstag und in der Presse den Erhebungen entgegengebracht
wird, erscheint es geboten, auch in diesem Jahre die wichtigsten
Untersuchungsergebnisse hier kurz festzulegen. Während die ersten
dieses Gebiet behandelnden Berichte der Regierungs- und Gewerberäte
sich naturgemäß darauf beschränken mußten, in großen Zügen ein Bild
der Arbeitsregelung in der Großeisenindustrie zu geben, dringen die
neuesten Erhebungen immer tiefer in diese sozialpolitisch hochinter-
essanten Verhältnisse ein und zeitigen Ergebnisse, die besonders wertvoll
zur Beantwortung der Frage sind, ob die bisherigen Schutzvorschriften
genügt haben, um schädlichen Auswüchsen dieser Arbeitsverhältnisse
wirksam entgegenzutreten.
I. Das Anwendungsgebiet.
Die Zahl der Großeisenwerke hat sich gegenüber den Aufzeichnungen
des Vorjahres wenig verändert. 5 Stahlwerke, 2 Puddelwerke und
1) Jahresberichte der Preußischen Regierungs- und Gewerberäte und Berg-
behörden. Berlin (R. v. Deckers Verlag) 1914.
2) Die Bekanntmachung ist im Reichsgesetzblatt für 1908 auf S. 650 ver-
öffentlicht und in Conrads Jahrbüchern auf 8. 229 des 44. Bandes (III. Folge)
abgedruckt. Sie wird im folgenden kurz als Großeisen-Bekanntmachung be-
zeichnet werden.
3) Vgl. Kestner im Band 40, S. 68ff., Wiskott im Band 42, 8. öllff.,
Band 44, S. 229ff., Band 46, S. 39 ff. -
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 13
194 Miszellen.
4 Walzwerke haben ihren Betrieb eingestellt, dagegen sind 1 Preßwerk
und 4 Walzwerke hinzugekommen. Im übrigen wurde das Anwendungs-
gebiet der Großeisen-Bekanntmachung durch das Ausscheiden zweier
an Maschinenfabriken angegliederter Martinstahlwerke (S. 236)1) und
durch die Einbeziehung von fünf kleineren Hochofenbetrieben (S. 467)
berührt. Weitere Verschiebungen in der Zahl der Anlagen sind lediglich
auf eine andere Einteilung und Gruppierung der Betriebsabteilungen
zurückzuführen. d
Die im $ 1 der Großeisen-Bekanntmachung vorkommenden Begriffe
„Nebenbetrieb“ und „unmittelbarer betriebstechnischer Zusammenhang“
ließen in Einzelfällen noch immer Zweifel über die Abgrenzung des
Anwendungsgebietes der Bekanntmachung aufkommen. Im Vorjahre
war bei einem Großeisenwerke des Regierungsbezirkes Oppeln die
Anwendung der Großeisen-Bekanntmachung auf verschiedene Neben-
betriebe des Werkes durch Richterspruch verneint worden. Da nach
der Auffassung der zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten das Amts-
gericht dabei den Begriff des unmittelbaren betriebstechnischen Zu-
sammenhanges verkannt hatte, wurde im Berichtsjahre gegen dasselbe
Werk ein neues Verfahren vor dem Landgericht anhängig gemacht.
Das Urteil der Strafkammer erging dahin, daß in dem fraglichen Hütten-
werke die Kokerei, die elektrischen Zentralen, der Lokomotivbetrieb
und die Gleisunterhaltung unter die Großeisen-Bekanntmachung fallen,
während die Verladung, die Materialienverwaltung und die Prüfanstalt
aus dem Geltungsbereich der Vorschriften ausscheiden. Die gegen
dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom Reichsgericht durch Er-
kenntnis vom 13. Januar 1914 verworfen. In den Gründen gibt das
Reichsgericht ausführliche Erläuterungen 2) zu den Begriffen „Neben-
betrieb“ und „unmittelbarer betriebstechnischer Zusammenhang“. Es
dürfte aber verfehlt sein, diese in Ansehung eines Einzelfalles erfolgten
Ausführungen des Reichsgerichtes dahin auszulegen, daß nunmehr in
allen Großeisenwerken die Kokereien, elektrischen Zentralen unter die
Bekanntmachung fallen, dagegen Verladung, Materialienverwaltung den
Bestimmungen nicht unterliegen. Ebenso wie z. B. einzelne mit Groß-
eisenwerken verbundene Kokereien aus besonderen Gründen nicht den
Vorschriften unterliegen, finden andererseits die Bestimmungen auf eine
große Zahl von Verladungen, Materialienverwaltungen, Prüfanstalten
zweifelsfrei Anwendung.
Die Zusammenstellung I auf S. 195 gibt die Zahl der Betriebe und
der Arbeiter der Großeisenindustrie an. Bei den im Aussterben be-
griffenen Puddelwerken, den Thomas- und Bessemerstahlwerken und
den Röhrengießereien sind die Belegschaften zurückgegangen. Dagegen
lassen die Hochofen-, Tiegelstahl-, Hammer-, Preß- und Walzwerke eine
1) Seitenzahlen ohne nähere Bezeichnung weisen auf die Jahresberichte der
Regierungs- und Gewerberäte für 1913 hin.
2) Das Urteil wird demnächst in den Entscheidungen des Reichsgerichtes
veröffentlicht werden.
195
Miszellen.
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196 Miszellen.
beträchtliche Vermehrung ihrer Arbeiter erkennen. Seit den 5 Jahren,
während derer von den Gewerbeaufsichtsbeamten die Aufzeichnungen
über die Großeisenindustrie gemacht werden, ist die Zahl der be-
schäftigten Arbeiter ständig gewachsen.
Zunahme der Arbeiterschaft
gegenüber dem Bestande von
1909 in Proz.
Jahr Zahl der Arbeiter
An der Zunahme der Arbeiter im letzten Jahre sind vornehmlich
die Werke der Regierungsbezirke Düsseldorf (+ 4352), Arnsberg (43402)
und Coblenz (41213) beteiligt. Obwohl ein besonders in der zweiten
Hälfte des Berichtsjahres deutlich bemerkbarer Umschwung der ge-
schäftlichen Lage eintrat, haben Arbeiterentlassungen in größerem Um-
fange nicht stattgefunden, nur wurde für abgehende Arbeiter zum Teil
kein Ersatz eingestellt.
II. Die regelmäßige Arbeitszeit.
In der Dauer der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sind geringe
Veränderungen gegenüber dem Vorjahre eingetreten. In einem Rohr-
walzwerk des Regierungsbezirkes Oppeln sind für die Generatorwärter
und Dreher 8-stündige Arbeitszeiten eingeführt (S. 211). Ein Walz-
werk des Bezirkes Düsseldorf verkürzte die bisher 13-stündige Arbeits-
zeit auf 12 Stunden (S. 483). Im Bezirk Arnsberg ging eine Röhren-
gießerei nach technischer Vervollkommnung der Betriebseinrichtungen
von 13- zu 12-stündigen Schichten über (S. 388). Andererseits wurde
in der Warmwalzwerksabteilung eines Feinblechwalzwerkes desselben
Regierungsbezirkes an Stelle des bisherigen 3-schichtigen Betriebes
der 2-schichtige Betrieb eingeführt, die Arbeitszeit also von 8 auf
12 Stunden verlängert (S. 388). Auch in einem Tiegelstahlwerk des
Bezirkes Arnsberg arbeiten sämtliche Arbeiter, von denen ein Teil im
Vorjahre eine 11-stündige Arbeitszeit hatte, nunmehr in 12-stündigen
Schichten (S. 388).
Diese wenigen, geringfügigen Verschiebungen in der Dauer der
Arbeitszeit sind durch besondere örtliche Betriebsverhältnisse veranlaßt.
Nach wie vor ist in allen Betriebszweigen der Großeisenindustrie, wie
die Uebersicht auf S. 197 zeigt, die 12-stündige Arbeitszeit bei weitem
vorherrschend. 97,9 Proz. aller Arbeiter werden in 12-stündigen,
1,5 Proz. in 8-stündigen Schichten beschäftigt.
Selbst bei den Reparaturwerkstätten, die zum Teil selbständige
mechanische Werkstätten, wie Drehereien, Schmieden bilden, ist eine
Miszellen.
197
Gesamt- Zahl der Arbeiter, deren regelmäßige Arbeits-
s zahl der zeit einschließlich der Pausen betrug
Art der Betriebe beschäf- in Stunden
tigten
Arbeiter |13 |j12,| 12 [usj hijiolo]| 8 |6
1 Ka 3|4| 5 |e| |s|əl10]11 |12
A. Hochofenwerke —| 23| 30209| — | — |—|—|—| 364
B. Hochofengießereien —| —| 2020| — | — |-|-— — Le
C. Röhrengießereien —| — | 5361|127| — |-/——| — le
D. I. Thomas- und Bessemer-
stahlwerke 6443 |— 6 443| — | — | —
D. II. Martinstahlwerke 25022 |—| — | 24824| — |198 |—|—|—| — |—
D. III. Tiegel- und andere Stahl-
werke 2848 |—| —| 2693| — |155|—|—|—| — —
E. Puddelwerke 3904 |—| —| 3904| — | — _— — In
F. Hammer- und Preßwerke 12235 |107| 52| 11903) — | 173 | ——| — |—
G. Walzwerke 79435 ')254| 97 | 75 936| — | 54 |—|—|—13020174
H. Gemischte Betriebe 28245 |—| —| 28 103| — | — |70135|37| — |—
I. Keparaturwerkstätten 32724 37| 25| 32647) — | 15|—|—|—| — |—
Zusammen | 228 960')|398| 197 |224 043, 127 | 595 |701353713384174
Verkürzung der Arbeitszeit bisher nicht eingetreten, obwohl in den
gleichartigen Anlagen der Metall- und Maschinenindustrie in den letzten
Jahren eine ständig fortschreitende Verkürzung der Arbeitszeit zu
verzeichnen war. Die Arbeitgeber der Großeisenindustrie scheuen sich,
selbst in den Betriebsabteilungen, in denen eine Verkürzung der 12-
stündigen Arbeitszeit betriebstechnisch ohne Schwierigkeiten durch-
führbar ist, zu dieser Maßnahme zu greifen, um nicht die einzelnen
Arbeitergruppen des Werkes ungleichmäßig zu behandeln.
Im Hinblick auf das Streben der Arbeiterorganisationen nach
Einführung des Achtstundentages erregen die vorhandenen 8-stündigen
Arbeitszeiten, deren Ansätze allerdings verschwindend sind, besondere
Aufmerksamkeit. Wie aus der vorstehenden Uebersicht erkennbar ist,
kamen 8-stündige Schichten nur in Hochofen- und Walzwerken vor.
Sie bilden jedoch, wie die folgende Zusammenstellung zeigt, keine ört-
liche Eigentümlichkeit eines bestimmten Industriebezirkes, sondern ver-
teilen sich auf 8 Regierungsbezirke.
Zahl der Arbeiter mit 8-stündiger Arbeitszeit
Art der im Regierungsbezirk
insge-
Betriebe e samt
Oppeln Ke une eg Coblenz es Trier |Aachen
1 Eee IE ER 9 | 10
A. Hochofenwerke 58] — 264 PEN SE — — | 42 364
G. Walzwerke 1052 | 195 — 907 | 516 197 153 — |3020
Zusammen | 1110 | 195 | 264 | 907 | s16 | 197 | 153 | 42 |3384
1) 75 Walzwerksarbeiter, deren Arbeitszeiten 8
und 12 Stunden betrugen
(S. 390), blieben unberücksichtigt.
198 Miszellen.
In den Hochofenwerken hatten sich in erster Linie die Gichter
und Eisenträger dieser Regelung zu erfreuen. In einem dieser Werke
wiesen außerdem die Koksbrenner, in einem anderen die Erzlader und
Erzverwieger die kurzen Arbeitszeiten auf. Die Walzwerke mit 8-
stündigen Schichten waren Feinblechwalzwerke, deren Betrieb an die
Arbeiter der Warmwalzgerüste zumeist so hohe körperliche Anforderungen
stellt, daß die Walzmannschaften eine 12-stündige Arbeitszeit nicht
aushalten.
a) Pausen,
Die als Uebergangsbestimmungen gedachten Ausnahmen der höheren
Verwaltungsbehörden, kürzere als !/,-stündige Arbeitsunterbrechungen
auf die Gesamtdauer der Pausen anrechnen zu dürfen, sind in den
letzten Jahren ständig zurückgegangen. Nachdem im Berichtsjahre auch
im Regierungsbezirk Arnsberg eine wesentliche Einschränkung der
früheren Ausnahmen erfolgt ist, werden jetzt noch von den genannten
Ausnahmen betroffen:
im Regierungsbezirk Oppeln 48 Hochofenarbeiter (früher 2495 Arbeiter)
a P ` Arnsberg 715 Stahlwerksarbeiter
F ei 685 Walzwerksarbeiter (früher 2360 Arbeiter)
FR ww Aachen 220 Stahlwerksarbeiter
insgesamt 1668 Arbeiter
Die Zahl der Arbeiter, für die derartige Ausnahmen bewilligt
waren, betrug somit nur noch 0,7 Proz. aller Arbeiter der Großeisen-
werke gegenüber von 1,5 Proz. am Ende des Jahres 1911. Unter
diesen Umständen erscheint es unbedenklich, daß der am Schluß dieser
Abhandlung abgedruckte Entwurf der neuen Großeisen-Bekanntmachung !)
die früher gegebene Möglichkeit, kürzere als 1j,-stündige Pausen auf
die Gesamtdauer der Pausen anzurechnen, beseitigt. Für diese be-
absichtigte Aenderung ist in erster Linie die Erwägung maßgebend
gewesen, daß kürzere als 1/,-stündige Pausen dem Arbeiter keine wirk-
liche Ruhe gewähren.
Von der weiteren Ausnahmebefugnis der höheren Verwaltungs-
behörden, eine Abkürzung der I1-stündigen Mittags- oder Mitternachts-
pause zu genehmigen, ist ebenfalls im geringeren Maße Gebrauch ge-
macht worden. Die am Schlusse des Berichtsjahres bestehenden Ver-
hältnisse sind aus der Uebersicht auf S. 199 erkennbar.
Der erwähnte Entwurf der neuen Großeisen-Bekanntmachung läßt
die Ausnahmebestimmungen über die Verkürzung der Hauptpause zu-
nächst noch bis auf weiteres bestehen, aber in der neuen Fassung ?)
ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Verkürzungen der Mittags-
pause nur noch ausnahmsweise in solchen Fällen bewilligt werden
1) Vgl. S. 223. Der Entwurf ist während der Drucklegung dieses Aufsatzes
vom Bundesrat angenommen, und die neue Bekanntmachung ist im Reichsgesetz-
blatt für 1914 auf S. 118 veröffentlicht worden.
2) Vgl. $ 3, Abs. 2 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes
Miszellen. 199
Zahl der Arbeiter, Proz. der in
deren Mittagspause be- Spalte 4 an-
schränkt wurde gegebenen Ar-
Art der Betriebe auf die Dauer insgesamt |beiter zur Ge-
samtzahl der
bis bis beschäftigten
1/, Stunde |°/, Stunden Arbeiter
1 = Sei Ce Er Eer 5
A. Hochofenwerke L 115 2408 3523 10,3
B. Hochofengießereien — — — —
C. Röhrengießereien 129 — 129 2,2
D. I. Thomas- und Bessemerstahl-
werke 2 026 164 2 190 30,0
D. U. Martinstahlwerke 4 063 427 4490 16,7
D. III. Tiegel- und andere Stahlwerke 120 — 120 4,0
E. Puddelwerke 795 629 1424 35,0
F. Hammer- und Preßwerke * 120 287 407 3,2
G. Walzwerke 3 173 5230 8 403 9,9
H. Gemischte Betriebe 532 198 730 1,5
Zusammen | 12073 9343 | 21416 | 9,4
sollen, in welchen ein dringendes Bedürfnis dazu nachgewiesen wird.
Nach dem Entwurf sollen ferner die Genehmigungen zur Abkürzung
der Hauptpause nur dann erteilt werden, wenn „sich in unmittelbarer
Nähe der Arbeitsstelle gut eingerichtete Räume zum Einnehmen der
Mahlzeiten befinden“. Dadurch wird den Arbeitern die Möglichkeit
gegeben, die ihnen verbleibende Freizeit wirklich zum Ausruhen aus-
nutzen zu können. Dies ist nur möglich, wenn die Speise- und Aufent-
haltsräume in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstelle liegen, weil den
Arbeitern andernfalls noch die Zeit für den Hin- und Rückweg verloren
gehen würde.
Da andererseits der Entwurf den Zeitraum, innerhalb dessen die
Hauptpause gewährt werden muß, um eine Stunde verlängert, so wird
für eine ganze Reihe von Werken das Bedürfnis, die Hauptpause für
einzelne Arbeiter abzukürzen, nicht mehr vorliegen. Sollte der Ent-
wurf, wie zu erwarten ist, vom Bundesrat angenommen werden, so wird
vom 1. Dezember dieses Jahres!) ab die Zahl der in der letzten Ueber-
sicht nachgewiesenen Arbeiter voraussichtlich erheblich kleiner werden.
III. Die Ueberarbeit.
a) Die statistischen Unterlagen.
Einen Ueberblick über den Umfang der in dem letzten Jahre vor-
gekommenen Ueberarbeit geben die Zusammenstellungen II und III
auf S. 200 ff, die dem Anhange der Jahresberichte (S. 822 ff.) ent-
nommen sind.
Während in den früheren Berichten starke Klagen über die Un-
genauigkeit der Listenführung laut wurden, gewinnt man jetzt den Ein-
1) Vgl. $ 7, Abs. 2 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes.
200
Miszellen.
Zusammenstellung II.
Arbeitszeit und Ueberarbeit
(Nach Aufsichts-
2 d EE "heiter (Spalte)
SG | Dauer der regel- | 3° = |Arbeiter (Spalte r
È mäßigen Arbeits- |; SZ haben durch- Zahl Gar Ate
= 4 E55 PAR Ueberstunden
13 schicht = ` q schnittlich monat- e
E . Em S r (einschl. Pausen)
Aufsichtsbezirk | „ | (einschl. Pausen )| 553 5 lich Ueberarbeit
3 E ` S geleistet? | `
_ für E
EN 2 2 EI di davon an
$ Je Stunden Se > Ag Zahl | Proz. | insgesamt Sonntagen
1 | 2 3 4 5 6 7 8 9
Potsdam a| 12 473 473 125 | 26. 19 660 2881
Stettin 1 12 895 895 87 10 17 773 16 179
Liegnitz 2 12 517 517 23 4 4482 183
Oppeln 67/8, 9, 10, 12| 32 393| 32393] 14291 | 44 | 3237059) 1725670
Magdeburg 2 12 1071| 1266 413 | 33 49713 48 063
8 195
Schleswig 2 12 360 360 210 | 58 35 899 21523
Hildeshelm A 12 4172| 4172 988 | 24 180 522| 146740
Osnabrück und | 11 12 4459| 4723| 2234 | 50 536 096| 124 966
- Aurich 8 264
Münster 1 12 505 505 175 | 35 33 179 12 297
Arnsberg 171 13 69| 61 261| 31870 | 52 | 7088 126| 2960 331
12"), 23
12 59 734
12 und 8 75
WON 379
8 907
6 74
Wiesbaden 4| 12 635 635 140 | 22 20 048 14 368
Coblenz 25 12 6523| 7109| 2452 | 34 446 068| 134652
11 70
8 516
Düsseldorf 189|) ik 174| 76 560| 38476 | 50 |r0257 425| 5 420643
12 76 062
11%, 127
197
Cöln 16 13 329 4191 IJI | Ai 351 614| 173730
12 3 801
114 61
Trier 129 12 28 171| 28479] 11338 | 40 | 2252080| ı 206 941
11h 155
153
Aachen Io 12 5454| 5496| 2509| 46 617 934| 402 180
8 42
Zusammen 1913 |636 13, 398229 035| 107042 | 47 |25 147 678|12 411 347
12") 197
em 192 832
12 und 8 75
ri 127
WA 595
I1 70
8 2274
6 74
8, 9, 10, 12| 32393
Zusammen 1912 |631 — — |219711| 106269 | 48 124 603 707|11 502 409
Zusammen 1911 [632 _ — |208210| 97938 | 47 |21229371| 9433 262
Bemerkung: Die Bruchzahlen der Textübersichten sind in ganze Zahlen ab-
Die Ueberstunden und Ueberarbeitsfälle der Reparaturarbeiter der Betriebe im
verrechnet worden.
Miszellen.
in der Großeisenindustrie.
bezirken geordnet.)
201
ae Von den in Spalte 5 aufgeführten Arbeitern sind wievielmal Ueberstunden
iche Dauer der lei l
Ueberarbeit geleistet worden ?
für SE mehr | mehr | mehr | mehr
d | 2
Tag reg bis zu E Cum KSC als als als als über über-
R 1 Stunde 3 bis | 4 bis | 5 bis | 6 bis | 7 Std. haupt
und Arbeiter 2 Std. | 3 Std. |, gta. 5 Sta. |8 Sta. |7 Std P
in Stunden
10 | ı 12 | 13 14 15 16 17 18 19 20
0,43 | 2,12 8 492 4285 892 163 5o 120 A) 189 14232
0,56 | 3,78 183| 393 112 7 27| 65 17 1121 1994
0,58 | 1,02 3 192 478 37 35 10 14 I 2 3769
0,62 | 3,05 64 187| 173 129| 125 124 166 006| 15 997| 24 185| 7905| 128941) 705 474
0,33 | 2,00 198 1568| 2688 1093) 1290, 1458 1084 1269| 10648
0,47 | 2,44 2454 1405 643 236|) 734 577| 3600 1924 8333
0,50 | 2,87 3 135 5237), 6323| 1112 918| 3325 90 10653] 30793
0,66 2,39 34 109) 75732| 11239| 7103| 3729| 4075| 1822| 20257) 158066
0,52 | 2,29 1 603 2674 793 721 68 335 66 1 610 7870
0,61 | 2,85 | 734 983| 913 369| 165 443 |212 487| 41 495| 51893| 62 814| 246345 2428 829
0,39 | 2,26 275 884| 423| 624 65| 573 13 972| 3829
0,49 | 2,04 66086) 69010| 12782| 10059 7768| 5083| 2185 9674| 182647
0,73 | 3,61 | 850314|1 oro 654| 149 431 |116 628| 59 098| 69 168| 63 531| 439 578 2 758 402
0,56 | 2,85 | 370411) 34169| 6597| Bessa 2862| 2809 2209 12691) 106937
0,54 | 3,00 | 133 233| 148328| 78 730| 52134| 22 461| 23 698| 16244 100966| 575794
0,68 | 3,86 | 11247| 711361 8755| 3934 3866| 7139| 4274| 29499| 139850
0,64 | 3,18 |1950732|2 512 451| 570012 |580 9701160 438|194 517]162 656|1 005 691]7 137 467
0,63 | 3,02 |1 880 595|2 443 210| 612 287 |598 772|185 606 198 5871147 768| 939 576 7 006 401
0,59 | 2,92 |1 645 385|2 122 123| 534 463 |516 363/164 385|189 217|124 170| 783 7426 079 848
gerundet worden.
Regierungsbezirk Trier sind unter den Reparaturwerkstätten der gemischten Betriebe
9g0 19|£9t HES|LLg alter zzı z|Szg SEISgE Sto 1 lze‘z leono Izgz ££t 6 |14£ 6zz 12] oe |66LtS| Zv |g£6 26 jorz goz] rer «
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204 Miszellen.
druck, als ob die Führung und Einreichung der statistischen Nach-
weisungen nur in Ausnahmefällen zu Beanstandungen Veranlassung
gegeben haben. Die üblichen Fehler bei den Eintragungen der Ueber-
arbeit verschwinden, wie mehrere Berichte übereinstimmend ausführen,
nachdem die Aufstellung der Uebersichten gut eingearbeiteten Werks-
beamten übertragen wird. Sie treten aber wieder auf, wenn neue
Schreibkräfte mit diesen Arbeiten betraut werden, so daß eine ständige
Nachprüfung der Eintragungen durch die Gewerbeaufsichtsbeamten
nötig ist. Verschiedentlich konnten diese Beamten dabei die erfreu-
liche Wahrnehmung machen, daß die Betriebsleiter dem Ueberstunden-
wesen eingehendes persönliches Interesse entgegengebracht und auf
Vermeidung aller unnötigen Ueberarbeit mit Nachdruck hingewirkt
haben. Dem Betriebsleiter eines Preßwerkes im Regierungsbezirke
Oppeln gelang es, trotz steigender Beschäftigung die Ueberstundenzahl
auf den 10. Teil zu vermindern.
Auch in diesem Jahre wurde jedoch wiederum ein Fall von wissent-
lich unrichtiger Führung des Ueberarbeitsverzeichnisses festgestellt
(S. 888). Da sich dieser Täuschungsversuch auf eine einzelne Betriebs-
abteilung eines Hüttenwerkes beschränkte, so ist ihm keine allgemeine
Bedeutung beizulegen. Betriebsleiter und Meister wurden zu empfind-
lichen Geldstrafen verurteilt.
Bereits im Vorjahre sind an dieser Stelle!) die mehrfachen Ver-
suche der Werksleitungen erwähnt worden, die Zahl der Ueberstunden
in den Verzeichnissen künstlich herabzudrücken. Dabei wurde be-
sonders auf ein Werk des Düsseldorfer Bezirkes hingewiesen, das durch
einen Nachtrag zur Arbeitsordnung alle an Sonntagen regelmäßig wieder-
kehrenden Arbeiten ihrer Eigenschaft als Ueberarbeit zu entkleiden
versucht hat. Zu welcher Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse
eine derartige Umgehung der Vorschriften führen kann, zeigen die
Feststellungen des vorliegenden Berichtes (S. 483). In dem erwähnten
Werke sind in der Zeit vom 1. Januar bis 30. November 1913 minde-
stens 527 880 Arbeitsstunden an Sonn- und Festtagen verfahren, aber
auf Grund des erwähnten Nachtrages zur Arbeitsordnung nicht in das
Ueberarbeitsverzeichnis eingetragen worden. Das Werk hat insgesamt
rund 900000 Sonntagsüberarbeitsstunden aufzuweisen. Hieraus erklärt
sich ohne weiteres das Interesse der Werksleitung an dem Verschwinden
dieses Teiles der Sonntagsarbeit aus den Ueberarbeitsverzeichnissen.
Die neuen Vorschriften des Bundesrats werden voraussichtlich ?2) diesen
Verschleierungsversuchen wirksam entgegentreten, indem sie bestimmen,
daß jede an Sonn- und Festtagen während der gesetzlich festgelegten
Ruhezeit geleistete Arbeit in die Ueberarbeitsverzeichnisse einzu-
tragen ist 3).
b) Der Umfang der Ueberarbeit.
Die Gesamtzahl der geleisteten Ueberstunden ist im Berichtsjahre
wiederum gestiegen, und zwar um 2,2 Proz. gegenüber dem Vorjahre.
1) Jahrbücher, Bd. 46, 8. 43.
2) Vgl. Anmerkung auf S. 198.
3) Vgl. $ 2, Abs. 1 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes.
Miszellen. 205
Ein Vergleich der Ueberstundenzahlen der letzten 3 Jahre ergibt fol-
gendes Bild:
Zahl der Ueberstunden
Jahr Zunahme Zunahme Zunahme
insgesamt | gegenüber jan Werktagen gegenüber | an Sonntagen| gegenüber
1911 1911 1911
in Proz- in Proz. in Proz.
3 4 5 | 6 | 7
"Tat
1911 | 21 229 371 — 11 796 109 — 9 433 262 —
1912 | 24 603 707 16 13 IOI 298 II II 502 409 22
1913 | 25 147 678 19 12 736 331 8 12 411 347 32
Bei den Ueberstunden an Sonntagen ist ein weiteres nicht uner-
hebliches Anwachsen zu verzeichnen, dagegen ist die Werktagsüber-
arbeit wahrscheinlich infolge der ungünstigen Konjunktur der zweiten
Hälfte des Jahres 1913 zurückgegangen. Verfolgen wir die Abnahmen
der Ueberstunden an Werktagen in den 4 größten Eisenhüttenbezirken,
deren Ueberstundensummen einzeln dem Gesetz der großen Zahlen ent-
sprechen, so stellen wir fest, daß das Abschwellen allerdings in allen
4 Bezirken, aber in recht verschiedenem Umfang aufgetreten ist. Der
Abfall der Ueberstunden an Werktagen beträgt:
in Düsseldorf 24 210 Stunden 0,5 Proz.
„ Arnsberg 14 327 e 035. e
„ Oppeln 192 500 = 11,3 a
„ Trier 143 574 Be 12,1 ir
Der Rückgang dieser Werktagsüberarbeit ist, wie erwähnt, in
erster Linie auf die schlechte Konjunktur, die ein Bedürfnis nach pro-
duktiver Ueberarbeit weniger hervortreten ließ, zurückzuführen. Die
ungünstige wirtschaftliche Lage, wie sie in der Abnahme der Werk-
tagsüberstunden zum Ausdruck kommt, machte sich den oberschlesischen
Hüttenwerken, die bekannterweise unter besonders ungünstigen Pro-
duktions- und Absatzverhältnissen leiden, das ganze Jahr hindurch
fühlbar, während sie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet erst im
Herbst deutlicher in die Erscheinung trat. Natürlich haben sich die
Verhältnisse in den einzelnen Betrieben sehr verschieden gestaltet, wie
der Arnsberger Bericht an mehreren Beispielen ausführt (S. 389).
Werke, die wegen ihrer Lage fern von größeren Städten dauernd mit
Arbeitermangel zu kämpfen hatten, die größere Umbauten vornahmen
oder vorwiegend für Eisenbahnbedarf arbeiteten, verzeichneten eine Zu-
nahme an Ueberstunden, während in einer Reihe anderer Werke, die
in erster Linie die dem freien Wettbewerb unterliegenden Erzeugnisse
herstellten, eine Verminderung der Ueberarbeit auftrat.
Die Zahl der Ueberarbeitsfälle insgesamt und an Sonntagen
ist aus den Zusammenstellungen II und III erkennbar. Die folgende
Uebersicht gibt die an Werktagen vorgekommenen Ueberarbeitsfälle
an. Zugleich ist in Spalte 4 berechnet, welcher Prozentsatz der Ge-
samtüberstundenzahl an Werktagen auf die einzelnen Gruppen der
Ueberarbeitsfälle, die je eine oder mehrere Stunden in Anspruch nehmen,
ungefähr entfällt.
206 Miszellen.
Proz. der gesamten werk-
Ueberarbeitsfälle tägigen Ueberstunden, die
a an Werktagen ne sich für die einzelnen
Ds mit einer Dauer Gruppen der Ueberarbeits-
fälle errechnen
1 | 2 | 3 | 4
1 bis zu 1 Stunde 1912 355 15,0
2 [von 1 bis 2 Stunden 2 447 827 38,4
3 se, 2. Aë e 503 860 11,9
4 8% o 521 692 16,4
5 » 4.5 D 51 802 2,0
6 vw "BR of ” 40 943 1,9
7 D „7 D 9953 0,6
8 von mehr als 7 Stunden 215 019 13,8
9 insgesamt | 5703 451 100,0 Proz. =
12 736 331 Stunden
Mehr als die Hälfte der Werktagsüberstunden (53,4 Proz.) wurden
somit von Ueberarbeitsfällen bis zu 2 Stunden in Anspruch genommen.
Die Dauer der Arbeit ist hierbei bis 14 Stunden gestiegen. 81,7 Proz.
der Ueberstunden entfielen auf Ueberarbeitsfälle bis zu 4 Stunden.
Der Einfluß der Bestimmungen über die 8-stündige Mindestruhezeit,
die eine nur 4-stündige Ueberarbeit ohne Verschiebung der nächsten
Schicht gestattet, ist in dem auffallenden Unterschied der Zahlen in
Reihe 4 und 5 der Uebersicht unverkennbar.
Bemerkenswert ist endlich, daß 13,8 Proz. aller Ueberstunden an
Werktagen auf Ueberstundenfälle von mehr als 7 Stunden oder Ar-
beitsschichten von mehr als 19 Stunden entfielen. Trotz des allge-
meinen Rückganges der werktägigen Ueberarbeit hat die Zahl dieser
Ueberarbeitsfälle von mehr als 7 Stunden (215019) um 7318 gegen-
über dem Vorjahre (207 701) zugenommen.
Der schon mehrfach erwähnte Entwurf der neuen Großeisen-Be-
kanntmachung wird hier voraussichtlich tiefgehende Veränderungen zu-
folge haben. Indem er eine 10-stündige Ruhezeit vorschreibt!), werden
künftig nur Ueberarbeiten bis zu 2 Stunden ohne Verschiebung des
Beginns der nächsten Schicht möglich sein. Wären die Bestimmungen
des Entwurfes schon im Jahre 1913 in Kraft gewesen, so hätte bei
den in Reihe 3 und 4 der vorstehenden Uebersicht nachgewiesenen
1025552 Fällen der Beginn der nächsten Schicht verschoben werden
müssen. Unter der gleichen Voraussetzung wären weiter die in Reihe 5
bis 8 aufgeführten 317 717 Fälle von mehr als 4-stündiger Ueberarbeit
— abgesehen von den durch Notfälle verursachten Ueberarbeiten —
überhaupt unzulässig gewesen ?).
c) Die Sonntagsarbeit insbesondere.
Wie bereits gesagt, ist das Anwachsen der gesamten Ueberstunden
auf die Vermehrung der Sonntagsarbeit zurückzuführen.
1) Vgl. § 4, Abs. 1 des auf 8.223 abgedruckten Entwurfes.
2) Vgl. § 4, Abs. 2 des auf 8.223 abgedruckten Entwurfes.
Miszellen. 207
Zunahme (gegenüber 1911) |Anteil der Sonntagsüber-
Jahr ae stunden an den Gesamt-
DEE Zahl | Proz. überstunden in Proz.
ES ES ER eege) 3 Er er en
1911 9433 262 — — 44,9
1912 | 11502409 2 069 147 22 46,8
1913 | 12411347 2 978 085 32 49,3
Die Erhöhung der Sonntagsüberstunden ist bei allen Betriebsarten
der Großeisenwerke festzustellen. So ist innerhalb der letzten beiden
Jahre die Zahl der Ueberstunden an Sonntagen z. B. in den Hochofen-
werken um 18 Proz., in den Martinstahlwerken um 48 Proz., in den
Walzwerken um 30 Proz., in den Reparaturwerkstätten um 31 Proz.
angewachsen. Die Gründe für diese ständige Zunahme der Sonntags-
arbeit sind zum größten Teil in dem Bestreben mancher Betriebsleiter
zu suchen, die Instandsetzungs- und Erneuerungsarbeiten möglichst auf
die mehr Bewegungsfreiheit bietenden Sonn- und Feiertage zu ver-
legen. Allerdings stehen diesem Bemühen die allgemeinen Sonntags-
ruhebestimmungen ($ 105b ff. der Gewerbe-Ördnung) entgegen, wonach
nur solche Arbeiten an Sonntagen gestattet sind, die an Werktagen
nicht vorgenommen werden können!), Die Ueberwachung der Durch-
führung dieser Vorschriften begegnet aber in der Großeisenindustrie
ungewöhnlichen Schwierigkeiten. Die Entscheidung, ob die Arbeit am
Sonntag vorgenommen werden muß, liegt bei dem Betriebsleiter, der
hierfür die strafrechtliche Verantwortung trägt. Die Nachprüfung durch
die Gewerbeaufsichtsbeamten kann nur von Fall zu Fall unter ein-
gehender Berücksichtigung aller Begleitumstände erfolgen. Daß bei
dieser Sachlage ein größerer Bruchteil der Fälle von Sonntagsarbeit,
die im Jahre 1913 die Zahl von fast 11/, Mill. erreichten, nachgeprüft
werden kann, erscheint ausgeschlossen. Die Beamten sind auf Stich-
proben angewiesen. Aber auch diese Stichproben sind in ihren Schluß-
folgerungen nicht einfach, denn das Urteil der Beamten kann sich nicht
auf die Feststellung beschränken, ob die Sonntagsarbeit überhaupt
an Werktagen hätte vorgenommen werden können, sondern bei jeder
Sonntagsarbeit ist nachzuprüfen, ob die fragliche Arbeit ohne un- `
verhältnismäßige Unzuträglichkeiten am Werktage ausführ-
bar war. Dieser Begriff ist so dehnbar, daß die richterliche Ent-
scheidung zumeist zweifelhaft ist. Mittels der allgemeinen Sonntags-
ruhebestimmungen dürfte daher dem ständigen Anwachsen der Sonn-
tagsarbeit in der Großeisenindustrie nicht wirksam entgegengetreten
werden können.
Die oben angeführten 12411347 Sonntagsüberstunden verteilen
sich auf 1434016 Fälle. Im Durchschnitt hat somit jeder Fall von
Sonntagsarbeit 82/, Stunden gedauert. Ungefähr 83 Proz. aller Sonn-
tagsüberstunden entfielen auf Arbeiten, die länger als 6 Stunden, also
länger als eine halbe Schicht dauerten, so daß bei den Sonntagsarbeiten
1) Vgl. Jahrbücher, Bd. 44, 8. 248.
208 Miszellen,
nicht kurze, sondern ganz überwiegend recht ausgedehnte Beschäftigungs-
zeiten vorkamen, die eine wesentliche Beeinträchtigung der Sonntags-
ruhe der Arbeiter mit sich brachten. In den Berichten von Arnsberg
(S. 400) und Wiesbaden (S. 451) werden verschiedene Arbeiter be-
zeichnet, die aus besonderen Anlässen 36 Stunden hintereinander ge-
arbeitet haben.
Eine genaue Unterscheidung der Werktags- und Sonntagsüberarbeit
ist zur Erfassung der Arbeiterverhältnisse in der Großeisenindustrie
nötig, denn die Wirkung der Werktagsüberarbeit auf den Arbeiter ist
eine andere als die der Sonntagsüberarbeit. Bei den an Werktagen
geleisteten Ueberstunden, die im Zusammenhang mit der regelmäßigen
Arbeitsschicht stehen, ist die Möglichkeit einer augenblicklichen Ueber-
anstrengung des Arbeiters durch übermäßige Ausdehnung der Arbeits-
zeit gegeben. Die Ueberarbeitsstunden an Sonntagen bringen dagegen,
soweit sie nicht im Anschluß an eine regelmäßige Werktagsschicht,
sondern begleitet von einer voraufgehenden und nachfolgenden Ruhe-
zeit vorgenommen werden, in erster Linie eine Beeinträchtigung der
Sonntagsruhe und Erholung des Arbeiters mit sich. Die Statistik der
Gewerbeaufsichtsbeamten hat daher von vornherein die Sonntagsüber-
arbeit von der Gesamtüberarbeit geschieden. Doch sind von verschie-
denen Seiten Wünsche geäußert worden, die Abgrenzung in den
statistischen Nachweisungen noch schärfer hervortreten zu lassen.
Die Nachprüfung, in wieweit diesen Wünschen Rechnung getragen
werden kann, erscheint jetzt geboten, da der Entwurf der veränderten
Fassung der Großeisen-Bekanntmachung an sich schon Aenderungen in
den statistischen Ermittelungen mit sich bringt). Von der gesunden
Auffassung ausgehend, daß als regelmäßige Arbeit nur die an den 6 '
Werktagen der Woche erfolgende Beschäftigung des Arbeiters anzu-
sehen ist, wird künftig jede Sonntagsarbeit — gleichviel welcher Art —
in die Nachweisungen aufzunehmen sein. Infolgedessen wird die Ziffer
der Sonntagsüberarbeitsstunden in den statistischen Uebersichten durch
die Wechselschichten vermehrt werden.
d) Die Belastung der Arbeiter.
Mit dem Anwachsen der Ueberstunden hat auch in diesem Jahre
die Zahl der Arbeiter, die im monatlichen Durchschnitt an der Ueber-
arbeit beteiligt waren, nicht Schritt gehalten. Infolgedessen ist die
durchschnittliche Dauer der Ueberarbeit, wie sie für die letzten 3 Jahre
in den Schlußsummen der Spalten 9 und 10 der Zusammenstellung III
angegeben ist, sowohl für den Tag, wie für den Sonntag gestiegen.
Nach Umrechnung dieser Zahlen auf das Jahr ergibt sich, daß auf
jeden an der Ueberarbeit beteiligten Arbeiter (Spalte 3 der Zusammen-
stellung III) im Jahre insgesamt 235 Ueberstunden, darunter 191 Sonn-
tagsüberstunden entfielen. Die Belastung mit Ueberarbeit machte somit
bei einem Vollarbeiter, der an 300 Tagen des Jahres je 12 Stunden,
insgesamt im Jahre also 3600 regelmäßige Arbeitsstunden leistet,
1) Vgl. $ 2, Abs. 1 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes.
Miszellen. 209
6,5 Proz. der regelmäßigen Arbeitszeit aus, gegen 6,4 Proz. im Vorjahre
und 6 Proz. im Jahre 1911.
Zur Gewinnung der Durchschnittsziffern (Spalte 9 und 10 der Zu-
sammenstellung III) ist die Summe aller Ueberstunden im Jahre auf
die durchschnittlich im Monat an der Ueberarbeit beteiligten Arbeiter
verteilt worden. Diese rechnerische Gegenüberstellung ist deshalb an-
fechtbar, weil die zur Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter in jedem
Monat nicht die gleichen sind, obwohl. eine große Zahl der Arbeiter
allmonatlich Ueberstunden verfahren, und andererseits viele Arbeiter
das ganze Jahr hindurch mit keiner Ueberarbeit beschäftigt werden.
Von anderer Seite ist daher der Vorschlag gemacht, die Ueberstunden
auf alle im Werke tätigen Arbeiter zu verteilen. Folgt man dieser
Anregung, so entfallen im Jahr auf jeden Arbeiter 110 Ueberstunden,
und die Erhöhung: der regelmäßigen Arbeitszeit durch Ueberarbeit be-
trägt 3,1 Proz. Natürlich ist diese Rechnung ebenfalls fehlerhaft, denn
betriebstechnisch ist es leider nicht möglich, alle Arbeiter des Werkes
zu den Ueberstunden heranzuziehen. Der richtige Wert, der sich an
Hand der Unterlagen nicht ermitteln läßt, liegt zwischen 6,5 Proz. und
3,1 Proz. Im übrigen haben diese theoretischen Durchschnittsziffern
nur insofern Wert, als sie einen handlichen Maßstab zum Vergleich der
Ueberstundenziffern der einzelnen Jahre geben und für diesen Zweck
ist es richtiger, die Ueberstunden auf die mit Ueberarbeit belasteten
Arbeiter zu verteilen, wie dies in den Berichten der Gewerbeauf-
sichtsbeamten geschieht, da so der Prozentsatz der zur Ueberarbeit
herangezogenen Arbeiter (Spalte 4 der Zusammenstellung III) in der
Durchschnittsziffer mit zum Ausdruck kommt.
In Fortführung seiner vorjährigen, mehr stichprobenartigen Er-
hebungen über die Belastung der Arbeiter gibt der vorliegende Bericht
des Regierungs- und Gewerberates in Düsseldorf in dankenswerter
Weise sehr umfangreiche Untersuchungen, die einen tiefen Einblick in
die Arbeitsverhältnisse der Großeisenindustrie gestatten. Diese auf
alle Großeisenarbeiter des Düsseldorfer Bezirkes ausgedehnten Unter-
suchungen verdienen schon an sich besondere Beachtung, da in dem
genannten Bezirk ein Drittel (76560) aller Hüttenarbeiter tätig ist. Sie
gewinnen aber noch dadurch an Bedeutung, daß sie durch ähnliche
Untersuchungen aus den beiden nächst bedeutungsvollen Eisenhütten-
bezirken Arnsberg und Oppeln ergänzt, und daß ihre Ergebnisse durch
die Untersuchungen dieser Bezirke bestätigt werden. Die genannten
Berichte bringen wichtiges Material zur Beantwortung folgender Fragen:
1) Wieviel Fälle sind im Laufe des Jahres vorge-
kommen, in denen einzelne Arbeiter innerhalb ein und
desselben Monats erstens zu 60 und mehr, zweitens zu
90 und mehr Ueberstunden herangezogen wurden?
Zur Beantwortung dieser Frage sind im Düsseldorfer Bezirk die
Arbeiter aller Werke während des ganzen Jahres verfolgt. Im Bezirk
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 14
210 Miszellen.
Oppeln umfaßt die auf die Monate Januar und August beschränkte
Untersuchung sämtliche Hüttenwerke außer einem großen Werk, dessen
Direktor grundsätzlich jede Auskunft verweigert, zu der er nicht durch
gesetzliche Vorschriften verpflichtet ist. Im Regierungsbezirk Arns-
berg wurden die Erhebungen nur auf die Werke zweier Gewerbeinspek-
tionen ausgedehnt.
Es muß an dieser Stelle davon abgesehen werden, die nach ein-
zelnen Betriebsarten getrennten Untersuchungsergebnisse hier im ein-
zelnen wiederzugeben. Nur die Haupt- und Nebenbetriebe einerseits
und die Reparaturwerkstätten andererseits sind wegen ihrer grund-
legenden Unterschiede in der folgenden Uebersicht getrennt auf-
geführt.
Zahl der Fälle, in denen Arbeiter
iwi Regi Zahl der be- monatlich an Ueberstunden ge-
ET EUER? schäftigten Ar- leistet haben
Betriebe bezirk beiter
G 60 und mehr | 90 und mehr
Stunden Stunden
1 | 2 3 4 5
Haupt- u. Neben-| Düsseldorf 64 731 13 740 1185
betriebe Oppeln !) 25 694 3 456 480
Arnsberg 10 495 1917 168
Zusammen 100 920 19 113 1833
Reparaturwerk- | Düsseldorf 11 829 9 600 799
stätten Oppeln 2981 2628 150
Arnsberg 1787 1089 80
l Zusammen | 16 597 13 367 | 1029
Die Zusammenstellung ergibt, daß bei Belegschaften von 100920
(Haupt- und Nebenbetrieben) und 16587 (Reparaturwerkstätten) Köpfen
einzelne Arbeiter in 19113 und 13367 Fällen eine mehr als 60-stündige
monatliche Ueberarbeit geleistet hatten, und daß sich darunter 1833
und 1029 Fülle befanden, in denen die monatliche Belastung des
Einzelarbeiters mehr als 90 Ueberstunden betrug. An diesen Fällen
hoher Inanspruchnahme sind die Arbeiter der Reparaturwerkstätten bei
weitem am stärksten beteiligt. Doch auch die Arbeiter der Haupt- und
Nebenbetriebe sind einer derartig großen Beanspruchung durch Ueber-
arbeit in erheblichem Umfange ausgesetzt worden.
Bei der Besprechung der monatlichen Belastung der Einzelarbeiter
mit Ueberstunden scheidet der Bericht des Regierungs- und Gewerbe-
rates in Oppeln nicht nur die Fälle von mehr als 60 und 90 Ueber-
stunden aus, sondern gibt auch die Fälle von mehr als 30 Ueberstunden
an. Wir gewinnen dadurch folgendes recht anschauliche Bild für einen
einzelnen Monat (Januar 1913):
1) Die Zahlen für den Regierungsbezirk Oppeln sind durch Multiplikation
der auf 2 Monate beschränkten Berichtszahlen mit 6 gefunden worden.
Miszellen. 211
Zahl der Arbeiter in den
Lfd.
No. Bezeichnung der Arbeiter Haupt- und | Reparatur-
Nebenbetrieben| werkstätten
1 |Zahl der beschäftigten Arbeiter 25 629 2878
2 [Zahl der zur Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter!) 10 252 1992
Darunter Zahl der Arbeiter,
3 die bis zu 30 Ueberstunden im Monat verfuhren 8 187 888
4 „ 30 bis 60 D D D D 1706 906
5 „ 60 bis 90 D D D D 310 175
6 | mehr als 90 sehr ie e, d 49 23
Die Zahlen der beiden vorstehenden Uebersichten geben von der
tatsächlichen Belastung der Arbeiter insofern noch kein klares Bild,
als sie in ziemlich weit begrenzten Gruppen zusammengefaßt sind.
Diese Lücke suchen die Berichte der Bezirke Düsseldorf und Arnsberg
auszufüllen, indem sie zahlenmäßig die durchschnittliche Inanspruch-
nahme der hochbelasteten Arbeiter in jedem Monat feststellen, zugleich
aber auch die sonntägliche Ueberarbeit von der Gesamtüberarbeit
trennen.
Von der Wiedergabe dieser Zusammenstellungen, die wie die
früheren Uebersichten die beiden Gruppen „Arbeiter mit einer monat-
lichen Ueberarbeit von mehr als 60 Stunden“ und „Arbeiter mit einer
monatlichen Ueberarbeit von mehr als 90 Stunden“ scheiden, muß hier
abgesehen werden. Das Ergebnis der Untersuchungen läßt sich dahin
zusammenfassen, daß die durchschnittliche Belastung der Arbeiter der
ersten Gruppe im Düsseldorfer Bezirk zwischen 68 und 75, im Arns-
berger Bezirk zwischen 61 und 81 Ueberstunden schwankte, während
bei den Arbeitern der zweiten Gruppe im Düsseldorfer Bezirk durch-
schnittliche Leistungen von 92 bis 106 und im Arnsberger Bezirk von
94 bis 117 Ueberstunden zu verzeichnen waren.
Besondere Beachtung beanspruchen die in den Uebersichten wieder-
gegebenen Feststellungen, wie sich jene Ueberstunden auf Werk- und
Sonntage verteilen.
Bei den Fällen von 60- und mehrstündiger monatlicher
Ueberarbeit betrug:
1) die Höchstzahl der Werktagsüberstunden:
im Düsseldorfer Bezirk 51 Stunden bei gleichzeitig 24 Sonntagsüberstunden
„ Arnsberger ge 66 a D D II D
2) die Höchstzahl der Sonntagsüberstunden:
im Düsseldorfer Bezirk 58 Stunden bei gleichzeitig 16 Werktagsüberstunden
» Arnsberger ne 43 D D D 29 D
Bei den Fällen von 90- und mehrstündiger monatlicher
Ueberarbeit betrug:
1) Die Zahlen in Reihe 2 sind nach Maßgabe der Prozentziffern für das
ganze Jahr errechnet.
14*
212 Miszellen.
1) die Höchstzahl der Werktagsüberstunden:
im Düsseldorfer Bezirk 84 Stunden bei gleichzeitig 16 Sonntagsüberstunden
„ Arnsberger D 99 D D D 7 D
2) die Höchstzahl der Sonntagsüberstunden:
im Düsseldorfer Bezirk 79 Stunden bei gleichzeitig 21 Werktagsüberstunden
„ Arnsberger ” 40 D D D 61 D
Die Gegenüberstellung zeigt, daß in diesen Fällen ungewöhnlich
hoher Belastung die Ueberstunden keineswegs vorwiegend auf die Sonn-
tage entfielen. Dabei sei nochmals ausdrücklich bemerkt, daß die oben
angegebenen Zahlen Durchschnittsziffern aller Höchstfälle der einzelnen
Monate sind. Einzelfälle, bei denen das einseitige Ueberwiegen von
Werktags- oder Sonntagsüberarbeit noch schärfer hervortritt, werden
von den Durchschnittsziffern verwischt.
2. Wie oft im Jahre sind die einzelnen Arbeiter
zu derartig ungewöhnlichen monatlichen Ueberstunden
herangezogen?
Eine Durchsicht der Ueberarbeitsverzeichnisse, in denen die ein-
zelnen Arbeiter mit Namen und Werksnummer aufgeführt sind, zeigt,
daß in den einzelnen Monaten stets ein großer Prozentsatz derselben
Arbeiter zur Ueberarbeit herangezogen wird. Allerdings erscheinen
manche Arbeiter, die in der Ueberarbeitsliste des einen Monats ver-
zeichnet waren, in den Listen der nächsten Monate nicht, da sie in
eine andere Betriebsabteilung versetzt oder infolge Krankheit und Un-
fall auf längere Zeit arbeitsunfähig gewesen sind. Trotzdem läßt sich
in den Ueberarbeitslisten eine große Zahl Arbeiter das ganze Jahr
hindurch verfolgen. Die Gründe dieser unliebsamen Erscheinung sind
schon früher gestreift, besondere Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit
einzelner Arbeiter, Drängen der strebsamen jungen und kräftigen Leute
nach der gut bezahlten Ueberarbeit; unzureichende Betriebsstätten und
Arbeitsmittel in einzelnen Werksabteilungen (besonders Reparatur-
werkstätten), Gleichgültigkeit und Günstlingswirtschaft der unteren
Werksbeamten, Zuweisung von Ueberstunden statt Lohnerhöhung
u. dgl. Ein zahlenmäßiger Nachweis, wie viele Arbeiter einen Monat
wie den anderen zur Ueberarbeit herangezogen werden, und wie viele
nur gelegentlich oder in Ausnahmefällen Ueberstunden leisten, läßt sich
infolge der Verschiebungen innerhalb der Einzelbetriebe an Hand der
Ueberarbeitsverzeichnisse kaum mit der erforderlichen Genauigkeit durch-
führen.
Nun haben aber die Gewerbeaufsichtsbeamten des Regierungs-
bezirkes Düsseldorf sich im Berichtsjahre der recht mühevollen Auf-
gabe unterzogen, bei 12170 Fällen, in denen einzelne Arbeiter mehr
als 60-stündige Ueberarbeit im Monat geleistet hatten, nachzuprüfen,
auf wieviel Köpfe sich diese Fälle verteilt haben, oder wie oft im
Laufe des Jahres die einzelnen Arbeiter von solchen Ueberarbeiten be-
troffen wurden. Die in dem Bericht des Düsseldorfer Bezirkes nach
Miszellen. 213
Betriebsarten gegliederten Untersuchungsergebnisse sind nachstehend
für alle verschiedenen Betriebsabteilungen zusammengefaßt:
ns ee
Zahl der Arbeiter, die 60- und mehrstündige monatliche Ueberarbeit
(einschließlich der Sonntagsarbeit) geleistet haben in
ıl|2)3]|1|41I5|6| 7) 8) 9 | 10 | 11 | 12 [zusammen
Monaten
2997 1040| 569 | 382 | 236 | 113 | 61 | sa | 33 | 33 | 22 | 24 | 5562
Zahl der Arbeiter, die in den nachgewiesenen Fällen von 60- und mehr-
stündiger monatlicher Ueberarbeit eine Ueberarbeit von 90 Stunden und
darüber geleistet haben in
1 |213] 4153|66] 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 [zusammen
Monaten
ao lao as Mas lg eier 8
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß an den nachgeprüften
12170 Fällen von mehr als 60-stündiger monatlicher Ueberarbeit
5562 verschiedene Arbeiter beteiligt waren. Eine derartig ausgedehnte
Ueberarbeit haben 2997 Arbeiter nur imal, 1040 2mal, 569 3mal,
382 4mal usw. und scHließlich 24 12mal im Verlauf der 12 Monate
des Jahres geleistet. 24 Arbeiter wurden also allmonatlich zu
mindestens 60 Ueberstunden herangezogen. Die aufgeführten Fälle von
mehr als 90-stündiger Ueberarbeit im Monat verteilten sich auf 525 Ar-
beiter in der Weise, daß 410 Arbeiter Imal, 80 2mal usw. und schließ-
lich einer 11mal von ihr betroffen wurden.
Stellen wir an Hand der letzten Zusammenstellung beispielsweise
fest, daß 113 Arbeiter in 6 Monaten des Jahres je mindestens 60 Ueber-
stunden gemacht haben, so dürfen wir nicht annehmen, daß diese
113 Arbeiter in den übrigen Monaten von jeder Ueberarbeit freigelassen
wären, sondern wir wissen nur, daß die Zahl der Ueberstunden in den
übrigen Monaten die Grenze von 60 nicht erreicht hat. Im Düssel-
dorfer Bericht ist für eine Anzahl hochbelasteter Arbeiter unter An-
gabe ihres Berufes im einzelnen nachgewiesen, wie sich ihre Ueber-
arbeitsleistung auf die verschiedenen Monate verteilt. Der Bericht
führt dazu ausdrücklich aus, daß die sich auf 36 Arbeiter erstreckende
Uebersicht keineswegs eine erschöpfende Zusammenstellung der schlimm-
sten Fälle von Ueberarbeitsbelastung darstelle, sondern daß ähnliche
Fälle unter den Großeisenarbeitern des Düsseldorfer Bezirkes noch in
großer Menge vorkämen. Sie treten aber nicht nur in den Düssel-
dorfer Hüttenwerken auf, sondern der Arnsberger Bericht verzeichnet
ganz ähnliche Fälle!). In der folgenden Zusammenstellung ist eine
Anzahl dieser Fälle außergewöhnlich hoher Ueberarbeit für Arbeiter
der verschiedensten Betriebsabteilungen wiedergegeben.
1) Auch im Regierungsbezirk Oppeln sind gleichartige Fälle festgestellt, aber
nicht einzeln im Bericht mitgeteilt. Vgl. Anmerkung zu 8. 214.
214 Miszellen.
Die Angaben über den Beruf des Arbeiters in Spalte 4 bestätigen die
schon früher von dem Regierungs- und Gewerberat in Düsseldorf her-
vorgehobene Tatsache, daß zwar die hochbelasteten Arbeiter zum Teil
nur eine körperlich wenig anstrengende, durch zahlreiche Pausen unter-
brochene Arbeit zu verrichten haben, daß aber ein großer Teil dieser
Leute eine Tätigkeit ausübt, die ihrer Natur nach keineswegs als leicht
anzusehen ist. Der Regierungs- und Gewerberat in Arnsberg hebt dabei
noch besonders hervor, daß an jenen Fällen außergewöhnlich hoher
Ueberarbeit auch Arbeiter beteiligt waren, von deren Arbeitsfrische und
Aufmerksamkeit im Dienst unter Umständen Leben und Gesundheit
ihrer Mitarbeiter abhängen. Daß die Summe der Ueberstunden des
unter Nummer 1 der Uebersicht aufgeführten Hochofenarbeiters noch
übertroffen werden kann, erscheint kaum glaublich, trotzdem führt der
Bericht des Oppelner Bezirkes einen Lokomotivheizer an, der 1363 Ueber-
stunden im Jahr gemacht hat?). Die Bedeutung dieser Ziffer wird erst
klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein an jedem Werktag des
Jahres regelmäßig 12 Stunden beschäftigter Arbeiter insgesamt 3672 Ar-
1) A bezeichnet Arnsberg, D Düsseldorf.
2) Die Ueberstunden dieses Lokomotivheizers betrugen in den einzelnen Mo-
naten: Dezember 119 (28), Januar 125 (27), Februar 92 (0), März 124 (28),
April 69 (0), Mai 1161/, (381/,),. Juni 921/, (16), Juli 108 (28), August 145
(48), September 1241/, (28), Oktober 128 (26), November 1191/, (38). Die in
Klammern beigefügten Zahlen besagen, wieviele der Ueberstunden auf Sonn- und
Festtage entfielen.
us ER
DH Monatliche Ueberstundenzahlen 2383
SIED > =] SE
7 [5 ¥| Betriebsabteilung | Beruf des Arbeiten | $ AWE Bee
gjss E = - u e BS
SIE DEI = EI2|8 158285
e EES ÉIEEIE EIS EIERE
AEAEAEAEAEIEAEAEIEAEAEIERE
RSR 3 | 4 5/16|]7|8]|97/10|11]12]13] 14 15 |16| 17 18
D |Hochofenwerk Stichlochmassenformer |106| 101
A sp Hochofenschlosser 83| 70
D |Thomasstahlwerk |Kranführer 72| 60
D » Maschinist 72| 60
D D Schlosser 85| 61
D |Walzwerk Kranführer 96| 60
A ” Maschinist 82| 92
A n Walzwerkschlosser 88| 89
D D Zuschläger 79| 60
A |Gießerei Gießereiarbeiter 59| 68
A |Kesselbetrieb Kesselhausmaschinist | 76| 82
D |Reparaturwerkstatt|Schlosser 102|109
D |Elektr.. Rep.Wrkst.|Motorenwärter 84 114
D |Elekr) Abteilung |Elektrotechniker 91/102
A |Bahn etrieb Lokomotivführer 84| 56
A D Weichensteller III|II3
D „ Bahnarbeiter 135|116
Miszellen. 215
beitsstunden aufweist, daß also jene 1363 Ueberstunden nicht weniger
als 37 Proz. der normalen Arbeitsstunden ausmachen.
Daß eine einmalige monatliche Ueberlastung des Arbeiters ohne
Wissen und Willen der Betriebsleitung vorkommt, ist leicht verständ-
lich. Es erscheint aber ausgeschlossen, daß derartige, das ganze Jahr
hindurch auftretende Wiederholungen von Ueberlastung einzelner Ar-
beiter ohne Kenntnis und Einverständnis der verantwortlichen Betriebs-
leiter erfolgen konnten.
3. Wird die Ueberarbeit durch Minderarbeit
ausgeglichen?
Im Anschluß an die letzten Jahresberichte der Gewerbeaufsichts-
beamten hat sich ein lebhbafter Meinungsaustausch über die Frage ent-
wickelt, ob bei den Arbeitern der Großeisenindustrie die Ueberarbeit
durch Minderarbeit ausgeglichen wird. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß in den Eisenhüttenwerken die Fehlstunden, d. h. diejenigen
Stunden, welche die Arbeiter weniger als ordnungsmäßig verfahren,
einen ungewöhnlich großen Umfang annehmen. Auch die Berichte der
(Gewerbeaufsichtsbeamten haben auf diese unerwünschte Erscheinung
und ihre Gründe verschiedentlich hingewiesen. Der Arbeiterwechsel
ist auf den Großeisenwerken recht groß. Nach früheren Erhebungen
der Gewerbeaufsichtsbeamten betrug der jährliche Abgang für 100 Ar-
beiter z. B. in der niederrheinischen Hüttenindustrie 91 bzw. 86. Unter
den Belegschaften befinden sich viele ungelernte, zum Teil ausländische,
sozial unter dem Durchschnitt stehende Arbeiter, die oft aus mangelndem
Pflichtgefühl ihre Dienstobliegenheiten wenig ernst nehmen und leicht,
besonders unter dem Einfluß des Alkohols, zu willkürlichen Feier-
schichten geneigt sind. Weiter entspringen vielfach Fehlstunden aus
Betriebsstörungen, die infolge der Technik der Arbeitsvorgänge in der
Eisenhüttenindustrie häufiger als in den meisten anderen Industrien
vorkommen, und aus Störungen in der Zufuhr von Rohmaterialien, die
bei der Bewegung so großer Massengüter unvermeidlich sind.
Endlich verdienen hier die zahlreichen Unfälle und Erkrankungen
unter den Eisenhüttenarbeitern weitgehende Berücksichtigung. Man
rechnet, daß im Laufe des Jahres auf 100 Arbeiter durchschnittlich
17 Unfälle entfallen, von denen allerdings kaum der zehnte Teil ent-
schädigungspflichtig ist, die aber auch bei leichten Verletzungen zu-
meist Feierschichten bedingen. Weiter kann man annehmen, daß bei
100 Eisenhüttenarbeitern im Jahre 50—80 Krankheitsfälle einschließ-
lich der durch Unfälle verursachten Erkrankungen mit einer durch-
schnittlichen Krankheitsdauer von 14—20 Tagen auftreten, daß also im
Mittel auf jeden Arbeiter etwa 132 durch Krankheit verursachte Minder-
arbeitsstunden im Jahr entfallen. Zu diesen verschiedenen Ursachen
treten noch in Zeiten schlechten Geschäftsganges die durch fehlende
Aufträge veranlaßten Feierschichten. So führt der Oppelner Bericht
ein Feineisenwalzwerk an, das z. B. im Mai vorigen Jahres 12, im
216 Miszellen.
Juni 18, im Juli 13, im August 15, im September 19 und im Oktober
16 Schichten ausfallen lassen mußte. Aus allen diesen Gründen ist bei
den Belegschaften der Eisenhüttenwerke mit einer ungewöhnlich hohen
Ziffer von Fehlstunden zu rechnen, und es ist zweifelsfrei, daß diese
den verschiedenen Ursachen entspringende Minderarbeit in vielen Fällen
zur Ueberarbeit Veranlassung gibt.
Will man jedoch, wie dies von verschiedenen Seiten getan ist,
Minder- und Ueberarbeit gegeneinander aufrechnen, um so festzustellen,
ob die durch Ueberstunden erfolgte Belastung der Arbeiter durch Fehl-
stunden ausgeglichen wird, so dürfte besondere Vorsicht geboten sein,
um Trugschlüsse zu vermeiden. Einwandfrei ist die Aufrechnung einer
Feierschicht gegen eine sonntägliche Ueberschicht, sofern beide bei
demselben Arbeiter in gleichen, begrenzten Zeiträumen, etwa 2 Wochen
vorgekommen sind. Hat ein Arbeiter an einem Sonntag Ueberarbeit
geleistet, und macht er dafür in der vorhergehenden oder folgenden
Woche an einem Werktag eine Feierschicht, die nicht durch Krank-
heit verursacht wird, so ist die Beeinträchtigung seiner sonntäglichen
Ruhezeit durch die Feierschicht ausgeglichen. Grundsätzliche Bedenken
sind aber gegen den vorbehaltlosen Ausgleich von Minderarbeit und
Werktagsüberarbeit geltend zu machen. Es ist zweifelhaft, ob
Ueberstunden, die im Anschluß an eine regelmäßige 12-stündige
Schicht verfahren werden und die Kräfte der Arbeiter im höheren
Maße, als normale Arbeitsstunden beanspruchen, durch unregelmäßig
auftretende, verlängerte Ruhezeiten überhaupt ausgeglichen werden
können. Jedenfalls müssen Ueberstunden und Fehlstunden, wenn sie
sich in ihren Wirkungen auf den Arbeiter aufheben sollen, in eng be-
grenzten Zeiträumen liegen. Noch wichtiger für die Zulässigkeit der
Ausgleichsrechnung ist eine weitere Voraussetzung. Will man Minder-
und Ueberarbeit gegeneinander aufrechnen, so darf man nicht die
Summe der Fehl- und Ueberstunden der ganzen Belegschaft er-
mitteln und in Beziehung setzen, sondern man muß den einzelnen
Arbeiter zur Grundlage der Gegenüberstellung machen. Es leuchtet
ohne weiteres ein, daß ein stark zu Ueberstunden herangezogener Ar-
beiter nicht dadurch entlastet wird, daß bei einem anderen Arbeiter
viel Feierstunden vorgekommen sind.
Einer Statistik, welche die Minder- und Ueberarbeit der ganzen
Belegschaft eines Werkes summarisch gegenüberstellt, kann von vorn-
herein die Beweiskraft dafür, daß die Belastung der Arbeiter mit
Ueberarbeit durch Minderarbeit ausgeglichen wird, abgesprochen werden.
Auf diesem Gebiete führt nicht eine Massenstatistik, sondern nur die
individualisierenden Einzeluntersuchungen zum Ziel. Derartige sehr
eingehende Erhebungen finden sich in dem Bericht des Düsseldorfer
Regierungs- und Gewerberates.
Für ein großes gemischtes Hüttenwerk des Regierungsbezirkes
Düsseldorf sind innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten die Zahl
der Ueberstunden einerseits und die Zahl der freiwillig, wegen Krankheit
oder wegen militärischer Dienstleistung versäumten Stunden anderer-
seits ermittelt worden.
Miszellen. 217
Ueberstunden | Fehlstunden
Monat | davon
ona: A davon an |,
i t | t z wegen
TE | Sonntagen | "BesAm freiwillig 1. RTE | militärischer
Krankheit Di au
ienstleistung
ta 3 4 E Uae 7
Januar 56 818 22 137 89 560 26 580 62 980 —
Februar 52 188 20 754 83 380 28 070 55 310 -=
März 60 989 26 825 75 920 26 450 49 200 270
April 55411 22 003 72 610 25 260 47 350 —
Mai 49 949 20 591 69 920 25 620 43 760 540
Juni 55 145 25 279 79 340 24 240 52 610 2 490
Juli 53 153 21557 81 030 28 680 51950 400
August 59 882 25 716 83 350 27 180 54 730 1440
September 50 997 20 362 92 260 29 210 56 530 6520
Oktober 51465 20 988 91 350 28 680 54 350 8 320
|
Zusammen | 545997 | 226212 | 818720 | 269970 528 770 | 19 980
Dieser Gesamtübersicht entnehmen wir zunächst, daß den 545 997
Ueberstunden 818720 Fehlstunden gegenüber stehen. Ziffernmälig
reichen die Ueberstunden noch lange nicht aus, um den durch Feier-
schichten entstandenen Fehlbetrag zu decken. Hierbei ist zunächst
jedoch zu berücksichtigen, daß von den 818720 Fehlstunden nicht
weniger als 548750 oder 67 Proz. auf Erkrankungen und militärische
Uebungen entfallen. Da außerdem unter den als freiwillig gefehlt auf-
geführten Stunden sich erfahrungsgemäß noch eine erhebliche Zahl von
Stunden befinden, die infolge kürzerer Erkrankungen ohne Kranken-
schein oder aus sonstigen dringenden Anlässen versäumt worden sind,
so können die sogenannten Bummelschichten für die Ueberarbeit nur
im verhältnismäßig geringen Umfang verantwortlich gemacht werden.
Aus der vorstehenden Gesamtübersicht weitere Schlüsse etwa auf
den Vergleich von Minder- und Ueberarbeit zu ziehen, vermeidet der
Düsseldorfer Bericht wohlweislich. Den dahin zielenden Untersuchungen
ist vielmehr der Einzelarbeiter zugrunde gelegt, und zwar sind für
dasselbe Werk die Ueber- und Fehlstunden aller derjenigen Arbeiter
ermittelt worden, die in mindestens 6 Monaten eine 60- oder mehr-
stündige monatliche Ueberarbeit geleistet haben. Hierfür kamen 47
Arbeiter in Betracht, deren Ueber- und Minderarbeit in der Uebersicht
auf Seite 218/219 einander gegenübergestellt sind. Die Reihenfolge’der
Arbeiter in der Zusammenstellung hat sich nach der Zahl der Monate,
in denen sie 60- und mehrstündige monatliche Ueberarbeit geleistet
haben (Spalte 15), gerichtet.
Die Nachweisung ergibt, daß den von den 47 Arbeitern geleisteten
37490 Ueberstunden (30341 an Werktagen, 7149 an Sonntagen)
nur 5210 versäumte Stunden gegenüberstehen, von denen über-
dies mehr als die Hälfte — 2730 — auf Erkrankungen, 700 auf mili-
tärische Dienstleistungen und nur 1780 auf freiwillige Ver-
säumnis entfallen.
218
Miszellen.
Uebersicht der Ueber- und Fehlstunden der Arbeiter,
6 Monaten eine 60- oder mehrstün
Ueberstunden
No. S Art der
Seng De- |Januar| Fe- e F A g
el 1913 | bruar März | April | Mai | Juni | Juli |August
1l 2 3 4 5 6 7 as | 9 |w] u|
1 | Teerer 6o — |20 —| 12 — 5 —| 41 — | 64 —| 67 — | 17 —| 71 —
2 | Schlosser 63 — |bo 8| 12 —| 36 AAT 14| 29 —| 57 18| 54 12| 60 —
3 e 70 26 |66 13| 51 9| 52 26|47 18| 44 18|49 22| 73 20 66 18
4 | Kranführer 37 13 |53 7| 39 6| 40 21162 20| 25 13\4ı 13| 60 19 68 20
5 | Schlosser 65 33 |66 36 | 53 7 48 24| 41 21| 48 28| — — | 85 Au 57 14
6 | Hilfsarbeiter 70 49 |42 27| 58 26| 64 41| 53 21| 51 23| 62 24| 56 2388 23
7 | Kranführer — — |47 14| 31 7| 78 2996 8| 41 885 22| 67 12 88 12
8 | Schlosser 43 24 |29 24| — — 13 956 7| 93 23|72 17| 93 25 63 15
9 o 74 20 \5o 12| 42 6| 63 bo 6| 58 1462 14| 61 1342 6
10 | Vorarbeiter 70 20 |43 13| 51 26| 79 12| 60 14| a5 27163 25| 65 12176 24
11 FF 74 34 |59 24| 55 28| 49 18| 87 32| 44 20| 73 24| 76 285| 68 24
12 | Dreher 78 31 |57 19| 60 17| 80 41| 54 11| 79 28| 55 21| 41 16\63 26
13 | Scherenarbeiter |73 — |81 — | 60 —| 38 —| 64 — | 34 7 78 — | 70 —| 58 —
14 | Schmied 81 21 |77 6| 6r ai 90 3238|72 6| 40 52 13| 63 658 16
15 | Maschinist 83 27 |67 12| 75 15| 72 26159 22| 65 2363 35| 51 18| 59 23
16 | Vorarbeiter 74 40 |62 18| 73 24| a5 1662 25 | 55 8|78 35| 66 15| 76 37
17 | Hilfsarbeiter šo &|57 7| 59 — 1101 —| 50 — | 66 —| 64 24| 74 —| 90 18
18 | Kranführer 56 26 |74 13| 68 13| 74 6\40 13| 72 6| 14 6| 82 1463 13
19 | Hilfsarbeiter 57 21 |66 14| 62 14| 64 1766 14| 31 371 21| 71 1452 —
20 | Kranführer — — |28 —| 72 6 73 20/89 28| 43 6,76 14 6o 1963 6
21 | Schlosser 65 31 |33 12| 33 10| 61 22| 60 35| 52 235| 67 37| 47 15| 74 23
22 D 37 25 |70 23| 73 23| 33 15| 59 15| 60 14 63 27| 66 23172 23
23 St 60 23 |49 17| 47 23| 65 21| 61 28| 82 33 90 44| 53 18| 67 27
24 D 47 30 |54 25| 67 17| 52 1973 8/109 40| 65 20| 75 24| 72 23
25 | Maschinist 88 — |73 — | 81 —| 63 — 85 — | 66 — 44 — | 68 — 56 —
26 | Kranführer 77 19 |79 13 57 6| 63 6172 6| 53 1355 15| 74 13| 76 14
27 |Scherenarbeiter |60 — |42 — | 77 —| 80 —| 74 —| 72 — 78 — | 99 — 36 —
28 | Zuschläger 62 6 |76 6| 68 14| 59 19 58 13| 66 25140 6| 70 13175 22
29 | Schlosser 49 23 |51 22| 6r 21 76 —| 94 — | 62376 — 98 — 92 —
30 | Kranführer 73 18 |56 13| 75 12| 77 18| 48 18| 46 —| 80 30| 78 12|86 20
31 | Vorarbeiter 75 — |72 7|76 759 778 —|74 775 7| 89 789 —
32 |Scherenarbeiter |68 — |82 — | 92 —| 74 — 80 — | 84 — 85 — |101 — | 88 —
33 | Hilfsarbeiter 71 — |84 —| 49 —| 66 —| 62 — | 63 — 62 — | 83 — | 81 —
34 |Scherenarbeiter |72 — |81 7| 90 --\ 86 — 86 — | 78 — 46 — | 76 — % —
35 | Maschinist 79 20 |65 6| 60 19| 52 19/67 19| 64 6,83 23| 65 8|8ı 19
36 | Kranführer 82 26 |88 6| 75 6| 81 27/62 8| 48 14 59 13| 76 14184 13
37 |Scherenarbeiter |49 12 |58 16| 90 —| 92 — 90 — | 84 — 88 — |102 —| 90 —
38 | Schmied 86 20 |76 6| 66 14| 59 19/61 13| 38 6/68 23| 69 13| 70 17
39 | Dreher 77 27 |67 19| 59 19| 67 21163 27| 48 1367 23| 70 19| 71
40 | Bohrer 64 13 |79 19| 63 19| 62 19 49 20| 53 13,67 19| 81 236 82 17
41 | Kranführer 75 20 |51 19| 70 19| 62 18|80 21 101 22 97 26| 61 16|76 8
42 | Schlosser 83 33 |72 13| 67 21| 67 19/87 26| 39 13| 71 23| 75 21| 72 19
43 | Vorarbeiter 72 27 |80 26| 79 27| 89 41| 78 31 106 35| 87 32| 92 28| 75 25
44 |Scherenarbeiter |66 — |78 — | 86 — EA —| 84 — | 80 — 81 — |102 — 82 —
45 | Vorzeichner 76 — |83 7| 91 —| 92 —| 88 — | 84 — 91 — |110 — 98 —
46 |Scherenarbeiter |72 — |73 7| 84 —| 84 — 85 — | 78 — 83 — |102 — % —
47 | Vorzeichner 78 — |78 — 100 —| 86 —|89 — | 81 — 83 — |101 — | 86 —
Die liegenden Zahlen beziehen sich auf Sonntagsarbeit.
` Miszellen. 219
die in den auf S. 211 erwähnten Werken mindestens in
dige Ueberarbeit geleistet haben.
Mehr als 60 Summe d. Feierschichten E g
monatliche | monatlich Wegen Freiwillig Bi 2E
Ueberstunden |Weniger| Ueber. |Krankheit gefeierte Uebung | $ 2
N a ei stunden ins-| gefeierte gefeierte SI
o- | Zahl| S tunden í s : z
Sep- | Ok- vem- Kam? betragen-| gramt 8 SE £ SE 3 a5 Zë
tember| tober der der ge = Lë s Lë ba Ki
ber | Mo- | Ueber- |den Ueber- © ER E ER 8 1833 pe
ke b
nate | stunden | arbeit ZS a| g |i? 3 EE EE
1 1 | 1 1 1 17 1 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25
|
49 4|40 | 7|70|—| — 110
Angaben fehlen
6| 601 3 | 301 — | — 90
— | —| 7 70| 26 |2 330
=) ze: 10| — | — 10
10 | tool 2| 20 — | — 120
45 1450| 3 | 30| — | — | 480
el e KE 50
ı | 110| 2| 20 — | — 130
10 | 100| 2| 20 — | — 120
| — | —| 20 | 200 — | — 200
—| 6| ol 6| 6 —|— | ı20
20 | 200| 5 | 50 — | — 250
— | —| 4| | — | — 40
15 | 150| 6| 60 — | — 210
ee T 20 — | — 20
— | —| Al 4o| 15 |150 | 190
rr | ml — | — — | — 110
Se El ech el > 390
18 | 180) 9 9 — | — 270
| 7| 70- ı 10 — | — 80
= 28 10 — | — 10
—| —| 8 80 29 |290 | 370
=| —| E 10 — | — 10
E We Ee, 10 — | — 10
LES SS 2 ëss 30
6| Gol —| — — | — 60
Angaben fehlen
— | —| 2| 2) —| — 20
— — 4 40 — | — 40
35: 1359] | 20 = Le 379
6| ol —| — | — 60
15 | 150 — | — — | — 150
— | —| io | 100 — | — 100
— | — 2 20 — | — 20
6 | 60| 30 | 300| — | — 360
— | —| 2| oa —|— 20
— | —| 8| Bol — | — 80
RE a i
i Faan 7 OFT 70
— | —| 2 20 — | — 20
Zusammen |37 490 7149| — |2730] — |1780| — |700 | 5210
220 Miszellen.
Um dem Einwurf zu begegnen, daß diese ungewöhnlichen Er-
gebnisse möglicherweise auf mangelhafte Dispositionen einer einzelnen
Werksleitung zurückzuführen seien, sind zwei weitere Werke des
Düsseldorfer Bezirkes den gleichen Untersuchungen unterzogen worden.
In dem einen Werke haben 63 Arbeiter, die sämtlich in mindestens
6 Monaten des Berichtsjahres eine 60- und mehrstündige monatliche
Ueberarbeit geleistet haben, insgesamt 48453 Ueberstunden ver-
fahren; aber nur 3150 Stunden versäumt. In dem anderen Werke
belief sich die Summe der Ueberstunden von 19 in der gleichen
Weise belasteten Arbeitern auf 14334, die der versäumten
Stunden auf 1340.
Allerdings sind in den zuletzt angeführten statistischen Ueber-
sichten nur die versäumten vollen Schichten verzeichnet, während
man erwarten kann, daß die Arbeiter zum Teil auch einzelne Stunden,
viertel oder halbe Schichten versäumt haben. Sodann sind in den
Uebersichten die Pausen, wie es die Großeisen - Bekanntmachung vor-
schreibt, in die Ueberstundenzahl einbegriffen, während bei den Fehl-
stunden und Feierschichten die versäumten Arbeitsstunden ausschließ-
lich der Pausen verrechnet sind. Dies ist nur insoweit berechtigt, als
auch bei den Ueberarbeitsfällen von kurzer Dauer die reine Arbeits-
zeit ohne Pausen zum Ausdruck kommt. Durch diese Verschiedenheit
in der Grundlage der Berechnung der Ueberarbeit einerseits und der
Minderarbeit andererseits, wird die Gegenüberstellung beider erschwert.
Diesem Mangel wäre nur dadurch abzuhelfen, daß sowohl die Ueber-
wie die Minderarbeit ohne Rücksicht auf die Arbeitspausen ermittelt
würde, was aber praktisch große Schwierigkeiten bieten dürfte. End-
lich fehlen in beiden Uebersichten diejenigen Fehlstunden, die durch
Betriebsstörungen veranlaßt sind. Allerdings besteht die Möglichkeit,
daß aus diesem Grunde keine Feierstunden bei den 47 Arbeitern vor-
gekommen sind. Dagegen ist es kaum wahrscheinlich, daß in der
vorletzten auf die ganze Belegschaft bezogenen Uebersicht die durch
Betriebsstörungen veranlaßten Feierstunden unberücksichtigt bleiben
durften.
Diese Ausstellungen. sind jedoch nicht geeignet, das Gesamtbild
der Uebersichten wesentlich günstiger erscheinen zu lassen. Der
Regieruugs- und Gewerberat in Düsseldorf faßt sein Urteil über
die vorstehenden Ermittelungen dahin zusammen, daß für die am
stärksten mit Ueberstunden belasteten Arbeiter von
einem irgendwie nennenswerten Ausgleich der Ueber-
arbeit durch Minderarbeit tatsächlich keine Rede sein
könne. Diese Auffassung deckt sich mit den Ausführungen des Re-
gierungs- und Gewerberates in Oppeln. Auch dieser kommt auf Grund
der im dortigen Bezirk gemachten Erhebungen zu der von ihm von
vornherein erwarteten Feststellung, daß gerade die fleißigsten Arbeiter
sich zu den gutbezahlten Ueberstunden drängen, ohne auf ihre Ge-
sundheit Rücksicht zu nehmen, und daß diese Arbeiter sich
keineswegs für lange Ueberarbeitszeiten durch frei-
williges Feiern entschädigen.
Miszellen. 221
Es ist zu hoffen, daß die im Entwurf der neuen Großeisen - Be-
kanntmachung vorgesehenen Bestimmungen !) über die Mindestdauer
der Ruhezeit und Höchstdauer der Arbeitszeit nach ihrem Inkrafttreten
dazu beitragen werden, die Unzuträglichkeiten bei der Belastung des
Einzelarbeiters zu beseitigen.
e) Die Verteilung der Ueberarbeit.
Die in den früheren Berichten des Regierungs- und Gewerberates
in Hildesheim durchgeführte Scheidung der Arbeiterschaft in Wechsel-
und Tagschichter ist auch im vorliegenden Bericht beibehalten. Die
Gegenüberstellung bietet insofern Neues, als die beiden großen Werke
dieses Bezirkes infolge der ungünstigen Konjunktur einen Rückgang
an Ueberstunden von 33 Proz. zu verzeichnen hatten. Die Ueber-
arbeitsstunden an Werktagen gingen bei den Tagschichtern um 36
Proz., bei den Wechselschichtern um 38 Proz. zurück; der Abfall der
Sonntagsüberstunden betrug bei den Tagschichtern 30 Proz., bei den
Wechselschichtern 33 Proz. Bie Zahl der zur Ueberarbeit herange-
zogenen Tagschichter nahm um 6 Proz., die der Wechselschichter um
13 Proz. ab. Der günstigere Abfall der Ueberstunden bei den Wechsel-
schichtern ist somit aufgehoben durch die ungünstigere Verteilung auf
weniger Köpfe, so daß die durchschnittliche Belastung der an der
Ueberarbeit beteiligten Wechselschichter von dem Rückgang der Ueber-
stunden nicht berührt wurde.
Der Bericht aus Oppeln hat bei der Feststellung der Zahl der am
höchsten mit Ueberarbeit belasteten Arbeiter diejenigen Leute be-
sonders herausgehoben, die an jedem zweiten Sonntag eine 24-stündige
Wechselschicht verfahren müssen. Diese Arbeiter leisten statt wöchent-
lich 72 Arbeitsstunden (6 Arbeitstage zu je 12 Stunden) regelmäßig
84 Stunden, so daß sie im Monat schon zu 48 über das Durchschnitts-
maß hinausgehenden Arbeitsstunden herangezogen werden.
Unter diesen Arbeitern befanden sich:
im Monat; Januar: 167 die mehr als 30—60 Ueberstunden geleistet hatten,
D » August: 275
D „ Januar: 8
Agua Ta 2 60—90 D D ”
e S er u D » » 90 Ueberstunden geleistet hatten.
IV. Die 8-stündige Ruhezeit.
Als die 8-stündige Ruhezeit in der Großeisen-Bekanntmachung an-
geordnet wurde, war an diese Vorschrift die Erwartung geknüpft
worden, daß sie zu einer Verminderung der Werktagsüberarbeiten von
ehr als 4 Stunden Dauer beitragen würde. Diese Hoffnung hat sich
nicht erfüllt. Im Berichtsjahre trat noch mehr als früher das Bestreben
der Werke in die Erscheinung, derartig lange Ueberarbeiten an den
Wochentagen von Montag bis Freitag zu vermeiden, um nicht zwecks
1) Vgl. § 4 des auf S.223 abgedruckten Entwurfes.
299 Miszellen.
Einhaltung der 8-stündigen Ruhezeit den Beginn der nächsten Schicht
verschieben zu müssen. Aber leider wurde nicht der naheliegende
Ausweg, der bei gutem Willen der Betriebsleitungen in vielen — nicht
allen — Fällen gangbar ist, beschritten, nämlich die langdauernden
Ueberarbeiten auf mehrere Köpfe zu verteilen und so die Beanspruchung
des einzelnen Arbeiters zu verringern, sondern die langen Ueberarbeiten
wurden im Anschluß an Schichten angeordnet, denen ein Sonn- oder
Festtag folgte. An diesen Tagen ist die Dauer der Arbeitszeit fast
unbeschränkt, da erst die vor dem Beginn der Montagsschicht inne-
zuhaltende Mindestruhe der Sonnabendsüberarbeit ein Ziel setzt. Diesem
gekennzeichneten Bestreben der Werke entgegenzutreten, bieten die
Bestimmungen des Entwurfes der neuen Bekanntmachung ausreichende
Handhabe!). Außerdem schreibt der Entwurf an Stelle der bisherigen
8-stündigen Ruhezeit eine solche von 10 Stunden vor?) Bei der
schweren Arbeit, die in der Großeisenindustrie im allgemeinen üblich
ist, erscheint die 8-stündige Ruhezeit nicht ausreichend. Ueberdies
haben die Arbeiter, wenn sie 8 Stunden nicht beschäftigt werden dürfen,
noch keineswegs 8 Stunden wirkliche Ruhe; denn davon geht noch
die nicht unbeträchtliche Zeit für die Wege von und nach der Arbeits-
stätte und für dringende häusliche Arbeiten ab. Die im Entwurf vor-
gesehene 10-stündige Ruhezeit trägt diesen Umständen in angemessenerer
Weise Rechnung.
V. Schluß.
Schon vor dem Erlaß der Großeisen-Bekanntmachung war festgestellt
worden, daß in einem großen Teil der Großeisenindustrie die Arbeitszeit
einzelner Arbeiter infolge ausgedehnter Ueberarbeit so lange gedauert
hatte, daß darin eine Gefahr für die Gesundheit der Arbeiter erblickt
werden mußte. Behufs Bekämpfung der übermäßigen Ausdehnung der
täglichen Arbeitszeit war an die Spitze der Großeisen-Bekanntmachung
die Vorschrift der Ueberarbeitsverzeichnisse gestellt worden. An die
Bestimmung war die Hoffnung geknüpft, daß die Werks- und Betriebs-
leiter, die sich durch die Verzeichnisse einen leichten Einblick in die
vorkommende Ueberarbeit verschaffen können, Anlaß nehmen würden,
einer unangemessenen Ausdehnung der Arbeitszeit durch Ueberarbeit
entgegenzutreten. Auf diese Weise wäre die nicht unerhebliche Arbeit,
die den Werken aus der Aufstellung der Ueberarbeitsverzeichnisse er-
wächst, den Betrieben selbst zu Nutzen gekommen, denn die Abstellung
ungeeigneter Arbeitszeiten liegt sicherlich im richtig verstandenen
Interesse der Werke. Diese Hoffnung hat sich aber, wie die letzten
Untersuchungsergebnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten erwiesen haben,
im allgemeinen nicht erfüllt.
Einzelne Werksleiter haben allerdings, nachdem sie sich durch
Einsicht in die Ueberarbeitsverzeichnisse die ihnen vorher fehlende
genaue Kenntnis der vorkommenden Ueberarbeit verschafft hatten, mit
1) Vgl § 4 des auf B 223 abgedruckten Entwurfes.
2) Vgl. $4 des auf 8. 223 abgedruckten Entwurfes.
Miszellen. 223
Erfolg durchgreifende Maßnahmen getroffen, um derartige Mißstände
abzustellen. Die Mehrzahl der Arbeitgeber hat jedoch dies Interesse
vermissen lassen, obwohl sie nicht im Unklaren darüber gelassen
waren, daß ein schärferes gesetzliches Einschreiten unvermeidlich sein
würde, wenn sie nicht selbst ohne gesetzlichen Zwang den klar zutage
liegenden Mißständen entgegentreten würden.
Unter diesen Umständen wird es die Großeisenindustrie sich selbst
zuzuschreiben haben, wenn der Gesetzgeber sich gezwungen sieht,
wesentlich schärfere Bestimmungen zu erlassen, um den Gesundheits-
gefährdungen der Hüttenarbeiter, wie sie in den übermäßigen Arbeits-
zeiten zu erblicken sind, mit Nachdruck entgegenzutreten.
Der dem Bundesrate zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf einer
neuen Bekanntmachung, betreffend den Betrieb der Anlagen der
Großeisenindustrie, hat folgenden Wortlaut 11:
Bekanntmachung
betreffend den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie.
Auf Grund der Së 120f., 139b der Gewerbeordnung hat der Bundesrat
olganda Bestimmungen über den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie
erlassen :
1. Die nachstehenden Bestimmungen finden Anwendung auf die folgen-
den Werke der Großeisenindustrie: Hockotanwacke, Hochofen- und Röhren-
ießereien, Stahlwerke, Puddelwerke, Hammerwerke, Preßwerke und Walzwerke.
Sie finden Anwendung auf alle Betriebsabteilungen dieser Werke einschließlich
derjenigen Reparaturwerkstätten und Nebenbetriebe, die mit ihnen in einem um
mittelbaren betriebstechnischen Zusammenhange stehen.
$ 2. Alle Arbeiter, die über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit
H 134b Abs. 1 Nr. 1 Gewerbeordnung) hinaus oder an Sonn- und
esttagen beschäftigt werden, sind mit Namen in ein Verzeichnis einzu-
tragen, daß für jeden einzelnen über die Dauer seiner regelmäßigen täg-
lichen Arbeitszeit, seiner Arbeit an Sonn- und Festtagen und der
Ueberstunden, die er an den einzelnen Werktagen geleistet hat, genau Auskunft
gibt. Als Arbeit an Sonn- und Festtagen gilt dabei alle Arbeit,
die innerhalb der nach $ 105b Abs. 1 der Gewerbeordnung in
jedem Betrieb zu gewährenden 24-stündigen oder 36-stün-
digen Ruhezeit geleistet wird. Das Verzeichnis ist nach dem Schlusse
pos Monats dem Gewerbeaufsichtsbeamten einzusenden. Der höheren
erwaltungsbehörde bleibt es vorbehalten, nähere Bestimmungen über seine
Form zu erlassen.
Die höhere Verwaltungsbehörde kann auf Antrag diejenigen Unternehmer
von der Füh dieses Verzeichnisses befreien, welche die Lohnlisten nach
einem genee Muster führen lassen, ihre Einsicht dem Gewerbe-
aufsichtsbeamten jederzeit gestatten und ihm die von der höheren Ver-
waltungsbehörde bezeichneten Auszüge aus den Lohnlisten einreichen.
§ 3. In allen Schichten, die länger als 8 Stunden dauern, müssen jedem
Arbeiter Pausen in einer Gesamtdauer von mindestens 2 Stunden gewährt
werden. Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde
kommen auf diese Pausen nicht in Anrechnung.
Eine der Pausen (Mittags- oder Mitternachtspause) muß mindestens eine
Stunde betragen und zwischen das Ende der fünften und den Anfang der
zehnten Arbeitsstunde fallen. In Fällen, wo dies die Natur des Betriebes oder
Rücksicht auf die Arbeiter geboten erscheinen lassen, kann die höhere Verwal-
1) Der Entwurf ist während der Drucklegung dieses Aufsatzes vom Bundes-
rat angenommen, und die neue Bekanntmachung ist im Reichsgesetzblatt für 1914
auf S. 118 veröffentlicht worden.
224 Miszellen.
tungsbehörde ausnahmsweise auf besonderen Antrag unter Vorbehalt des
Widerrufes gestatten, daß diese Pause — unbeschadet der Gesamtdauer der
Pausen von 2 Stunden — bis auf eine halbe Stunde beschränkt wird, wenn
sich in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstelle gut eingerich-
tete Räume zum Einnehmen der Mahlzeiten befinden.
Wenn Rücksichten auf die Arbeiter dies geboten erscheinen lassen, und die
Schicht nicht länger als 11 Stunden dauert, kann die höhere Verwaltungs-
behörde in gleicher Weise gestatten, daß die Pausen auf 1 Stunde beschränkt
werden.
Soweit dies zur Vermeidung von Betriebsgefahren nötig und die Ein-
stellung von Ersatzarbeitern mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist,
können die Arbeiter angehalten werden, während der Pausen in der Nähe der
Arbeitsstelle zu bleiben, um in dringenden Fällen zur Hilfeleistung bereit
zu sein.
$ 4. Jedem Arbeiter, dessen regelmäßige Schicht länger
als 8 Stunden dauert, ist nach Pasndigung seiner Arbeitszeit
eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 10 Stunden
zu gewähren, bevor er wieder beschäftigt werden darf.
Abgesehen von den regelmäßigen echselschichten darf
die Arbeitszeit, die zwischen zwei solchen Ruhezeiten liegt,
auch durch Ueberarbeit nicht über 16 Stunden einschließlich
der Pausen ausgedehnt werden.
Zu einer 24-stündigen Wechselschicht dürfen Arbeiter
nur herangezogen werden, wenn sie 12 Stunden vorher und
12 Stunden nachher von jeder Arbeit frei gelassen werden.
$ 5. Die Bestimmungen der $$ 3, 4 finden keine Anwendung auf Arbeiten,
die in Notfällen unverzüglich vorgenommen werden müssen. Sind solche
Arbeiten in Abweichung von den Bestimmungen der Së 3, 4 ausgeführt worden,
so ist dies dem Gewerbeaufsichtsbeamten unter Angabe der
Betriebsabteilung, der Gründe für die Notstandsarbeiten und
der Zahl der dabei beschäftigten Arbeiter binnen 3 Tagen schriftlich
anzuzeigen.
Wenn Naturereignisse oder Unglücksfälle den regelmäßigen Betrieb eines
Werkes unterbrochen haben, können Ausnahmen von den Bestimmungen der
§$ 3, 4 auf die Dauer von 4 Wochen durch die höhere Verwaltungsbehörde,
auf nee Zeit durch den Reichskanzler zugelassen werden.
§ 6. In den im 8 1 bezeichneten Werken muß an einer in die Augen
fallenden Stelle eine Tafel ausgehängt werden, die in deutlicher Schrift diese
Bekanntmachung wigdergibt:
Wenn auf Grund der Absätze 2 oder 3 des § 3 von der höhe-
ren Verwaltungsbehörde eine Ausnahme gestattet wird, so
ist außerdem eine Abschrift der Verfügung der höheren Ver-
waltungsbehörde innerhalb der Betriebsstätte an einer den
beteiligten Arbeitern leicht zugänglichen Stelle auszuhängen.
§ 7. Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1.Dezember
1914 in Kraft und an Stelle der Bekanntmachung vom 19. De-
zember 1908 (RGBl. S. 650).
Die auf Grund des $ 3 der Bekanntmachung vom 19. De-
zember 1908 gestatteten Ausnahmen bleiben, wenn ihre Dauer
nicht auf einen kürzeren Zeitpunkt beschränkt ist, bis zum
30. November 1914 in Geltung, treten aber am 1. Dezember
1914 sämtlich außer Kraft. :
Miszellen. 225
IV.
Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonats-
bilanzen und der Jahresschlußbilanzen inländischer
Kreditbanken nebst Deckungsziffern
für das Jahr 1913.
Vorbemerkungen.
Infolge der überaus günstigen Entwicklung, welche die deutsche
Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten genommen hat, sind die
Anforderungen an die Banken, denen die Beschaffung der erforder-
lichen Kapitalien in erster Linie obliegt, außerordentlich gewachsen.
Das Bestreben, diese Ansprüche in möglichst weitem Umfange zu be-
friedigen, hatte schon seit langem im Bankgewerbe einen scharfen
Wettbewerb hervorgerufen und dazu geführt, daß die Kreditinstitute
im Vertrauen auf die stete Hilfsbereitschaft der Reichsbank immer
knapper disponierten und dem Erfordernis, selbst angemessene Kassen-
beständo oder Guthaben bei der Reichsbank dauernd bereitzuhalten,
immer weniger Rechnung trugen. Die Nöte des Herbstes 1907 hatten
zum ersten Male in aller Deutlichkeit den Ernst dieser Entwicklung
gezeigt. Es gab zu denken, in welcher Weise in jenen Tagen der
amerikanischen Goldkrisis auf den Goldvorrat der europäischen Noten-
banken eingestürmt wurde, wie die deutsche Reichsbank, obwohl sie
innerhalb eines Zeitraumes von 10 Tagen ihren Diskont von 51/, auf
71/ Proz. erhöht hatte, kaum die Bedürfnisse der Banken befriedigen
konnte und fast an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit anlangte.
Unter dem Eindruck dieser Vorgänge wurde der in den Jahren 1908
und 1909 zusammengerufenen Bankenquetekommission die Aufgabe zu-
gewiesen, die Stellung der Reichsbank im Rahmen der veränderten wirt-
schaftlichen Entwicklung zu beleuchten. Auch die Frage nach der
gesetzlichen Regelung des Depositenwesens wurde ihr vorgelegt in
der Erkenntnis, daß die hervorgetretenen Mißstände gerade mit dieser
Frage eng zusammenhingen, und daß unserer Volkswirtschaft in erster
Linie eine Besserung der Liquidität, d. h. eine Besserung des Verhält-
nisses der leicht greifbaren Mittel zu den Verpflichtungen nottue. Das
Ergebnis dieser Verhandlungen konnte Exzellenz Havenstein in seinem
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 15
226 Miszellen.
an die Kommissionsmitglieder gerichteten Schlußwort, wie folgt, zu-
sammenfassen `
„Meine Herren, ich hoffe und wünsche mit Ihnen, daß es auch bei
uns nicht notwendig sein wird, diese gesetzlichen Maßnahmen zu
treffen, daß das freie Wollen und das eigene Tun und die klare Er-
kenntnis, daß wir gewissen Schäden gegenüberstehen, daß wir eine
gesunde Fortbildung unserer Kreditorganisation und unserer Volks-
wirtschaft notwendig brauchen, sich immer stärker geltend machen
werden !“
Die Reichsbank, welcher die Sorge um die Aufrechterhaltung der
Währung vom Gesetzgeber anvertraut ist, hat seither — im Bewußtsein
ihrer Verantwortung als letzte Liquiditätsgarantin — alle Bestrebungen
unterstützt, die dazu dienen konnten, dem vorschwebenden Ziele, Er-
höhung der Liquidität der Volkswirtschaft, näherzukommen. Der erste
Schritt auf dem Wege dahin bestand darin, daß sich zunächst die
Berliner Großbanken — mit Ausschluß der Berliner Handelsgesell-
schaft — und späterhin eine größere Anzahl anderer Banken bereit
erklärten, an einer durch die Reichsbank zu besorgenden Veröffent-
lichung von Zweimonatsbilanzen teilzunehmen, um der Fachpresse und
dem interessierten Publikum in kürzeren Zeiträumen als bisher Ein-
blick in ihren Status und ihre Kreditpolitik, insbesondere die Ver-
wendung der fremden Gelder zu gewähren. Von dieser zweimonatlichen
Gegenüberstellung der mehr oder weniger flüssigen Bilanzen der ein-
zelnen Banken muß, wie auch der Reichsbankpräsident erst jüngst
in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1914 ausführte, zugleich eine
erzieherische Wirkung auf die verantwortlichen Bankdirektoren aus-
gehen im Sinne einer liquideren Gestaltung des Status der von: ihnen
geleiteten Institute.
Das Schema dieser Zwischenbilanzen war in den Verhandlungen der
Banken unter Mitwirkung der Reichsbank einheitlich ausgestaltet worden
und diente in seiner erweiterten Form am 30. März 1912 zum ersten
Male als Grundlage der allgemeinen Zwischenbilanzveröffentlichungen
von 86 inländischen Kreditbanken und 4 Hypothekenbanken nach dem
Stande vom 29. Februar 1912. Der Umfang der Beteiligung ist zweifel-
los von vornherein günstig beeinflußt worden durch die auf Grund
des § 44 Abs. 1, 2 des Börsengesetzes unter dem 4. Juli 1910 (Reichs-
gesetzblatt S. 917) erlassene Bundesratsverordnung betreffend die Zu-
lassung von Wertpapieren zum Börsenhandel; $ 4 Ziff. 5 dieser Ver-
ordnung bestimmt nämlich, daß künftig Aktien nur von solchen in-
ländischen Kreditbanken zum Börsenhandel neu zugelassen werden,
„welche die Verpflichtung übernehmen, neben der Jahresbilanz regel-
mäßig Bilanzübersichten zu veröffentlichen.“ Die Vorschriften über
die Form und den Zeitpunkt dieser Veröffentlichungen finden sich in
der Verordnung des Reichskanzlers vom 30. Juni 1911, welche eine
Abänderung der denselben Gegenstand betreffenden Verordnung vom
8. Juli 1910 darstellt. Das darin vorgeschriebene Schema stimmt mit
dem überein, auf das sich die Banken in ihren Beratungen mit der
Reichsbank geeinigt hatten; die Uebersichten sind für den letzten Tag
Miszellen. 227
des 2., 4., 6., 8. und 10. Monats das Geschäftsjahres der Bank auf-
zustellen und spätestens am letzten Tage des folgenden Monats zu ver-
öffentlichen.
Was nun den Wert der Bilanzen für die Kritik anlangt, so wird
man sich vor Augen halten müssen, daß aus den Bilanzziffern ein
Urteil über die Qualität der einzelnen Posten natürlich nicht gewonnen
werden kann; denn die Ziffern sagen nichts über den inneren Wert der
betreffenden Aktiv- und Passivposten aus. Es soll aber auch nicht der
Geschäftstätigkeit der Banken bis ins kleinste nachgegangen werden;
vielmehr zeigt die ganze Geschichte des Werdens der Bilanzveröffent-
liehungen, daß es den Schöpfern dieser Einrichtung ferngelegen hat,
eine Kontrolle der Solidität der Institute in ihren einzelnen Ge-
schäftszweigen zu schaffen, sondern daß immer nur der Gedanke maß-
gebend gewesen ist, Anhaltspunkte für die Beurteilung der Liquidität
zu gewinnen. Die Bedeutung einer schematischen, regelmäßig wieder-
holten Veröffentlichung liegt in der dadurch gegebenen leichteren Ver-
gleichsmöglichkeit. Diese erstreckt sich nicht nur auf die Ausdehnung
der wesentlichen Geschäftszweige für jede einzelne Bank, sowie auf
das Verhältnis der einzelnen Geschäftszweige zu den entsprechenden
Bilanzposten der übrigen Banken für ein und denselben Zeitpunkt,
sondern auch auf die zeitliche Entwicklung. Die fortlaufende Statistik
läßt die Entwicklungstendenzen erkennen, denen die Banken im ein-
zelnen, in Gruppen oder in ihrer Gesamtheit unter dem wechselnden
Einfluß der Konjunktur und der etwa veränderten Prinzipien der
Geschäftsführung unterworfen sind.
In der Natur der Dinge liegt es freilich, daß die Vergleichbarkeit
gerade der wichtigsten Bilanz, der Jahresschlußbilanz, mit den Zwischen-
bilanzen nur beschränkt sein kann. Denn während jene eine voll-
ständige Abschlußrechnung einschließlich des gesamten Gewinn- und
Verlustkontos enthält, sind diese genau genommen nur Rohbilanzen,
Ausweise, bestehend in einer Abschrift der Bücher ohne Bekanntgabe
des spezifizierten Gewinn- und Verlustkontos. Zum Teil mögen in ihnen
die Gewinne unter sonstigen Passiven verbucht sein, zum Teil mögen die
Gewinne überhaupt erst, soweit es sich um Umsatzprovision und Zinsen
handelt, am Vierteljahres-, Halbjahres- oder Jahresschluß zur Fest-
stellung gelangen. Immerhin wird hinsichtlich der Vergleichbarkeit der
Jahresschlußbilanzen mit den Zwischenbilanzen manches gewonnen sein,
wenn alle Banken sich dazu entschlossen haben werden, das gemein-
same Schema auch den Jahresschlußbilanzen zugrundezulegen.
Die im folgenden gegebene Zusammenfassung der 5 Zweimonats-
bilanzen sowie der Jahresschlußbilanz für 1913 ist in entgegenkommen-
der Weise von der Statistischen Abteilung der Reichsbank zur Ver-
fügung gestellt worden, und zwar nach einem Schema, das gegenüber
dem in den Veröffentlichungen des Reichsanzeigers zur Verwendung
gelangten Muster eine wesentliche Vereinfachung durch Zusammen-
ziehung einzelner Positionen erfahren hat und zur Erleichterung des
Ueberblicks in dieser konzentrierten Form gewählt wurde.
15*
228 Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonatsbilanzen und der Jahres-
Beträge in Millionen Mark?) Ak-
Kasse, fremde Geldsorten und Coupons.
Guthaben bei Noten- und Abrechnungs-
(Clearing-)Banken
i Bank
Bemsiohnung der Ban Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 20./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
Laufende No.
|
I. Inländische
1 | Deutsche Bank 82,5 96,7 |114,2 83,0 90,7 127,4
2 | Direction der Disconto-Gesellschaft 15,6 24,9 40,8 19,3 29,5 49,7
3 | Dresdner Bank 32,4 32,0 51,1 28,2 35,7 68,6
4 | Bank für Handel und Industrie 18,3 31,6 42,1 35,0 30,9 48,4
5|A. Schaaffhausen’scher Bankverein 10,6 12,7 17,4 13,9 14,6 25,0
6 | Nationalbank für Deutschland 7,2 6,9 10,1 7,8 8,7 14,6
7 | Commerz- und Disconto-Bank 11,4 12,2 15,5 11,9 12,6 17,3
8 | Mitteldeutsche Creditbank 4,7 5,9 5,5 5,8 4,8 9,0
9 | Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt 8,9 10,1 12,6 ER: 9,5 15,9
10 | Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co. | 3,8 5,1 4,4 4,1 4,3 9,8
11 | Rheinische Creditbank, Mannheim 4,8 5,6 6,7 4,7 4,7 7,1
12 | Rhein.-Westfäl. Disconto-Ges. 2,9 3,5 4,3 3,5 3,8 7,4
13 | Essener Credit-Anstalt 6,2 7,8 12,6 7,2 7,0 20,0
14 | Bergisch Märkische Bank 5,7 10,8 9,1 6,3 6,9 12,2
15 | Mitteldeutsche Privat-Bank, Aktienges. 3,9 5,4 6,1 4,0 4,8 9,6
16 | Norddeutsche Bank in Hamburg 5,3 7,3 3,2 ERT 5,1 4,8
17 | Pfälzische Bank 3,7 4,2 6,0 3,8 5,6 71
18 | Schlesischer Bankverein 2,8 3,8 4,9 2,1 2,7 73
19 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 1,5 6,5 2,4 1,3 2,8 4,2
20 | Hannoversche Bank 1,7 2,0 3,7 1,6 2,1 5,1
21 | Vereinsbank in Hamburg 3,7 8,2 5,4 5,4 5,0 7,9
22 | Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 3,8 3,8 3,8 3,2 3,8 6,7
23 | Deutsche Effecten- E Wechsel-Bank 2,1 3,0 3,6 2,1 2,1 2,8
24 | Deutsche Vereinsbank 0,9 1,6 2,3 1,0 1,1 2,2
25 | Rheinische Bank 0,5 0,5 1,5 0,6 0,7 1,0
26 | Ostbank für Handel und Gewerbe 2,3 2,5 2,9 2,1 | 24 4,0
27 | Norddeutsche Creditanstalt 1,6 1,5 2,2 1,6 | 1,9 3,3
28 | Allgemeine Elsässische Bankgesellsch. 2,2 3,2 3,0 1,8 2,1 3,0
29 | Mittelrheinische Bank ) 0,4 0,5 0,7 0,7 0,4 1,1
30 | Magdeburger Bank-Verein 1,0 1,1 1,4 0,8 1,2 2,8
31 | Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Aktg.°) 1,8 1,2 1,6 0,9 1,4 1,6
32 | Braunschw. Bank u. Creditanstalt A.-G. 0,6 0,7 1,8 0,5 0,7 2,4
33 | Chemnitzer Bank-Verein 0,9 1,1 0,8 0,7 0,6 1,0
34 | Osnabrücker Bank 1,4 1,6 1,8 1,4 1,5 2,0
35 | Danziger Privat-Actien-Bank 1,1 1,1 1,3 È$ Sg 2,0
36 | Anhalt-Dessauische Landesbank 0,8 0,7 1,2 0,5 0,9 1,5
37 | Hildesheimer Bank 1,4 0,8 1,4 0,8 0,7 1,8
38 | Stahl & Federer Aktiengesellschaft 1,2 1,1 1,4 0,9 1,2 1,8
39 | Westholsteinische Bank 1,6 3,0 2,2 2,0 2,4 2,6
40 | Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 0,406 | 0,594 | 0,346 | 0,577| 0,276 1,119
41 | Königsberger Vereins-Bank 0,258 | 0,263 | 0,320) 0,229 0,278 | 0,544
42 | Privatbank zu Gotha 0,909 | 0,997 | 1,464 | 1,180 | 0,873 1,415
43 | Schlesische Handels-Bank Aktienges.?) 0,469 | 0,480 | 0,582 | 0,291) 0,486 | 0,582
44 | Württemb. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. 0,866 | 0,556 | 0,547 | 0,939 | 0,464 | 0,858
45 | Märkische Bank *) 0,708 | 0,631 _ 0,573 | 0,699 _
46 | Mülheimer Bank 0,189| ouni 0,198] 0,167) 0,199 | 0,436
47 | Commerz-Bank in Lübeck 0,644 | 0,573 | 0,764 | 0,669 | 0,662 1,052
48 | Löbauer Bank 0,852 | 0,412) 0,474| 0,318 | 0,377 0,761
49 | Holsten-Bank 1,044| I,156| 1,226 | 1,025 | 1,109 1,500
50 | Westfälisch-Lippische Vereinsbank Aktges. 0,215 | 0,224| o,s47| 0,154 | 0,230 | 0,526
51 | Bank f. Handel und Gewerbe 0,118 | 0,089| 0,124 | 0,076 | 0,114 | 0,165
52 | Braunschweiger Privatbank Aktges. 0,320 | 0,376 | 0,557 | 0,489 | 0,268 1,046
53 | Elberfelder Bankverein 0,192 | 0,227 | 0,237 | 0,237 | 0,180 0,296
54 | Mannheimer Bank, Aktges. 0,168 | 0,156) 0,272| 0,145 | 0,166 | 0,246
55 | Rostocker Bank 0,709| 0,692 | 1,324 | 0,665 | 0,728 =
56 | Vogtländische Bank 0,870 | 1,408 | 0,912| 1,237 | 1,023 kg
` schlußbilanzen inländischer Kreditbanken nebst Deckungsziffern für das Jahr 19131). 229
. tiva.
Reports und Lombards gegen börsengängige
Wertpapiere. Vorschüsse auf Waren und
Wechsel und unverzinsliche
Sohatzanwoisungen Warenverschiffungen
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12.
1913 1913
ee | 5 i |
Kreditbanken.
700,4 | 678,8 | 650,3 | 663,1 | 688,4 1639,4 | 463,0 | 436,4 | 379,5 | 353,6 | 406,0 450,0
267,4 266,0 230,6 274,8 272,8 [257,5 200,2 190,3 157,2 136,6 166,1 |238,8
303,1 | 304,9 | 318,0 | 352,8 | 385,9 |375,9 | 258,2 | 245,9 | 206,8 | 203,1 | 203,9 |235,7
| 147,7 169,4 150,2 191,9 201,7 |185,0 139,9 121,2 105,7 106,8 116,8 (127,7
310,2 | 116,3 106,3 120,2 126,8 |113,5 54,4 47,2 35,9 35,3 34,3 31,8
73,8 75,0 78,5 81,7 84,9 | 88,0 70,4 68,2 57,9 62,4 61,7 | 49,7
61,2 68,5 67,2 79,8 89,1 75,7 108,1 103,4 110,8 100,2 100,1 |107,7
41,4 39,6 30,9 40,6 46,3 40,8 20,9 23,0 20,6 27,7 27,7 28,4
98,3 91,1 755 102,8 112,4 91,2 21,6 20,5 20,3 15,6 16,5 29,8
34,0 37,8 38,2 46,2 47,5 | 52,4 37,9 32,0 32,1 29,0 34,2 | 39,2
62,5 59,1 54,1 67,0 68,9 | 64,0 47,2 47,3 48,8 48,8 47,1 | 51,8
38,4 34,1 30,9 35,2 37,3 | 37,1 64,8 61,0 59,3 58,0 58,5 | 63,8
50,1 55,0 60,6 58,6 63,2 | 68,3 34,4 | 34,6 33,4 34,4 32,6 | 31,8
64,8 51,8 46,5 70,4 63,8 | 74,0 77,2 74,6 774 76,7 74,1 | 77,6
34,0 36,4 27,1 34,9 33,9 | 35,2 86,6 77,1 79,9 74,7 85,9 | 91,7
70,6 66,7 72,9 74,1 76,2 | 742 37,6 31,7 33,9 31,1 32,3 | 41,3
35,9 35,3 34,0 40,0 39,1 39,0 8,2 8,4 8,6 14,8 24,4 29,7
50,4 45,1 41,4 52,1 51,5 | 52,9 14,5 17,2 14,3 17,4 17,8 | 24,4
26,4 29,3 26,9 27,7 32,1 | 31,5 31,0 30,3 29,5 27,2 25,5 25,8
22,9 20,1 16,6 18,9 19,6 17,5 9,9 8,3 9,8 10,4 12,9 12,0
38,5 41,0 39,9 45,2 45,0 | 42,4 25,9 21,5 23,0 24,6 25,4 | 26,7
19,7 16,6 15,8 15,8 16,8 17,2 57,0 56,4 54,9 55,3 61,1 61,1
27,2 29,3 15,4 23,8 24,8 23,3 3,6 3,4 3,3 3,0 2,7 3,7
16,0 16,1 12,0 15,7 14,8 14,1 7,4 7,5 6,0 4,6 5,2 7,5
11,6 10,6 7,9 11,7 12,5 12,8 1,8 1,6 1,2 1,5 1,6 1,6
39,5 | 35,2 34,9 | 38,6 38,1 | 44,8 11,4 9,6 9,8 8,8 Ba | ımı
22,1 24,6 20,8 23,5 25,6 22,6 16,7 13,4 11,% 11,8 15,4 16,2
30,0 29,8 29,0 27,9 26,0 28,5 26,5 26,8 25,9 27,1 26,7 25,8
5,3 4,9 4,3 4,8 4,5 5,2 17,7 18,6 18,5 18,0 19,0 19,1
13,1 12,4 7,5 9,6 12,5 12,6 16,3 14,7 13,7 9,5 12,3 | 17,4
10,1 9,0 10,5 11,2 12,7 10,5 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1
14,5 13,1 10,5 11,3 14,8 | 13,5 8,7 9,1 9,8 9,1 8,2 9,1
8,3 7,2 5,9 7,8 8,3 8,7 3,8 4,5 5,0 5,0 4,8 47
12,0 9,8 10,4 13,3 14,4 15,2 SR -= > dE 0,1 Fe
14,4 15,9 13,9 18,0 14,9 11,1 10,2 7,3 6,0 6,0 6,6 11,0
6,7 6,9 5,8 6,3 7,6 8,8 10,3 10,2 10,5 10,3 9,9 10,0
11,3 10,7 9,3 9,7 8,2 9,8 2,2 2,4 2,2 1,8 2,8 2,3
5,4 7,2 7,8 9,6 9,3 8,9 9,5 9,4 9,0 9,2 9,8 9,6
15,8 14,1 14,2 15,8 20,0 18,6 1,6 1,6 1,5 1,6 1,7 1,9
3,304 1,950 2,579 2,754 1,432| 2,318 0312| oa Gänn 0,316) 0,338) 0,320
9,098 9,744| 10,205) 11,280) 9,660| 10,373 3,350| 3,544] 3,406] 2,840) 2,920) 3,323
4,923 4,990 4,989 5,897 5,748| 5,406 = — 6,771 6,593 6,666! —
6,901 5,609| 4,910 6,761 7,856| 4,855 6,374 6,277 6,395 5,592 5,212) 6,455
6,943 5,650| 6,0001) 6,972] 6,474 6,870 4,784| 4,447 4,489| 4,458] 4,549) 4,746
3,192 237| — 2,560 2551| — 5,669 5,597] — 5816| 5,8861 —
3,552 3,326) 3,169| 2,796| 2,907| 3,268 6,894) Baal Gan Beigl 6,448] 6,200
6,227 5,685] 5,689) 5,826] 5,883] 6,055 3,264| 3,581] 3,376] 3,147) 3,058] 3,047
2,843 2,265 2,405 2,621 2,423| 2,406 2,223 2,075 2,211 2,138 1,942| 2,046
6,505 6,192| 4,854] 7,301 8,227| 7,401 1,834 2,268 2,446| 2,124 2,146) 1,946
3,888 3,907| 3,254| 4,415) 3,896) 4,789 3,869) 3,584| 4,071] 4,002| 3,859] 3,977
2,821 2,677 2,877 2,496 2,972| 3,483 2,155 1,555 1,406 1,340 1,566| 1,142
4,790 5,489| 3,848] 3,672] 3,894] 4,064 1,052) 1,072] 1,092] 1,006] 1,187] 0,980
1,299 1,318) 1,445] 1,481 1,887| 1,818 2,235| 2,281 2,285| 2,167 2,472) 2,423
3,614 3,583| 3,738| 3,167| 3,426| 3,385 2,318 2,252 2,281 2,449 2,484 2,600
3,250 3.853| 3,861] 3,36| 2,975) — aen 0,82] oun 0,210] Gänn —
9941 8,127 9,763| 11,442 9,947 — 0,335! 0,302 0,314 0,818 0818| —
330 Beträge in Millionen Mark" Aktiv:
Nostroguthaben bei Banken und Bankfirmen.
Eigene Wertpapiere Debitoren in laufender Rechnung
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.| 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 1913
6 l 7 Enea]
I. Inländische
105,38 |157,7 |ı56,6 |160,5 Jjı61,7 161,2 754,1 800,7 771,8 | 769,6 726,2 |700,2
29,0 | 30,8 | 33,5 | 347 | 32,9 | 30,1 | 448,5 | 453,6 | 478,7 | 489,3 | 486,9 |462,5
57,7 52,8 50,6 54,0 53,1 42,6 700,0 | 698,4 718,1 704,6 | 706,5 [686,2
52,4 |562 | 548 |590 | 584 | 544 | 4548 | 501,7 | 517,4 | 514,6 | 496,0 |491,6
42,0 | 422 |443 | 48,4 |446 | 37,3 | 361,8 | 349,9 | 348,0 | 357,9 | 349,7 |356,6
28,1 27,8 26,3 28,6 28,8 29,3 212,9 217,9 215,5 209,1 210,6 [194,9
30,8 26,9 27,5 26,5 29,2 28,1 218,1 231,5 236,0 236,2 228,4 |238,0
13,8 | 14,1 14,9 | 14,23 | 13,8 | 13,6 | 135,0 | 136,8 | 136,8 | 138,7 | 143,1 [144,2
22,3 21,2 19,2 22,9 22,1 23,1 279,4 279,9 287,6 283,7 280,9 |286,5
16,1 14,3 14,1 15,2 14,8 14,8 179,6 | 176,6 | 172,9 | 179,6 | 179,4 jı72,8
15,3 14,8 15,9 17,9 17,8 16,4 238,4 232,2 228,1 221,4 212,5 |225,8
15,1 14,9 14,8 14,4 14,3 12,9 141,5 | 137,8 | 138,0 | 139,2 | 134,3 [136,9
18,6 18,4 20,2 20,0 20,0 20,1 152,9 155,6 152,7 165,9 164,0 |160,9
12,9 13,1 12,9 13,5 13,9 12,9 198,6 | 206,8 | 201,8 | 202,4 | 204,1 |195,4
13,0 12,0 11,8 12,3 11,8 13,2 117,9 | 115,8 | 119,7 120,8 | 119,1 |116,6
9,8 7,4 8,7 6,4 7,6 6,8 135,0 | 138,5 | 130,1 | 129,0 | 137,1 139,5
14,1 13,5 12,8 14,1 13,9 13,6 178,7 180,9 179,2 176,6 168,6 |165,8
20,8 22,7 22,4 24,8 24,1 23,4 109,5 | 112,7 | 113,2 | 110,0 | 110,1 [109,1
3,0 3,4 3,9 4,8 4,6 3,9 81,9 75,9 80,6 83,9 94,1 | 94,9
5,6 5,1 4,8 5,1 5,7 5,2 63,3 63,7 62,6 66,3 66,3 | 63,9
8,4 BA 8,2 9,7 9,7 9,9 65,8 67,4 68,5 58,4 62,8 | 66,3
9,9 9,8 10,2 10,6 10,4 10,8 61,6 63,0 67,5 66,6 64,8 | 62,5
2,4 4,2 4,3 3,7 3,7 4,4 50,2 46,4 51,1 49,3 47,0 | 52,3
2,4 2,4 2,4 2,5 2,4 2,5 50,4 49,2 54,9 52,1 53,6 51,7
2,8 2,7 3,5 3,8 3,5 3,6 72,3 72,6 72,4 73,9 73,2 68,6
13,4 13,1 12,0 13,4 13,0 12,3 56,6 61,9 61,6 65,6 66,4 | 64,9
7,8 7,5 7,4 7,6 7,6 7,5 52,1 52,0 53,5 58,6 54,1 54,4
3,9 3,5 3,8 3,5 3,8 . 3,8 44,0 44,0 49,5 47,3 48,9 | 47,6
1,5 1,5 2,1 2,4 2,3 2,4 37,3 36,0 36,0 36,8 37,8 39,2
2,8 2,3 2,4 3,2 3,0 3,0 29,3 26,7 27,9 37,2 32,1 27,7
7,3 7,1 6,7 7,0 7,0 6,7 45,0 44,9 47,2 47,5 46,0 47,1
3,2 3,3 3,7 3,2 3,1 3,0 25,1 23,9 23,7 25,9 26,8 24,0
2,8 2,9 2,8 3,2 3,2 3⁄3 23,2 22,6 23,4 23,4 23,3 22,5
3,9 3,7 3,8 4,1 4,3 4,3 48,5 49,2 47,4 47,0 47,3 46,5
2,6 2,7 2,6 2,7 2,7 2,7 32,3 31,0 29,9 28,8 28,4 28,6
3,7 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 29,7 28,8 29,2 29,5 29,6 28,4
3,2 2,9 2,8 2,5 2,3 2,7 23,7 24,2 24,6 21,2 20,9 19,3
0,8 0,9 0,8 0,9 1,2 1,1 26,2 24,8 25,7 22,7 22,0 20,6
3,4 3,4 3,4 3,3 3,3 3,3 44,9 44,5 46,0 46,0 45,1 | 47,6
1,610| 1,500| 1,516| 1,965| 1,864| 1,665] 14,194) 16,459] 14,592| 13,918) 14,202| 14,168
1,695 | 1,668| 1,651| 1,873| 1,840| 1,749| 13,988] 12,784] 12,267| 11,801) 13,783| 13,292
0,981 | 0,897 Gan) 0,916| 0,866 | 0,920| 19,474| 19,099] 12,592] 12,244 13,676| 20,509
2,761| 3,660) 3,420| 4,828| 4,200| 3,420| 10,920) 10,067) 11,117] Bang 8,286] 11,070
0,729| 0,833 | 0,721| 1,022| 1,090| 1,0783 14,427) 15,545] 15,764| 17,171) 15,501] 15,649
0285| 0281| — 0375| 0389| — 12,240) 12,198] — 11,371 10,989 —
0,483 | 0,457 | 0,455 | 0,600| 0,610) 0,606| 11,014] 10,853] I1,670| 11,297) 11,766| 12,880
0,105 | 0,155 | 0,156 | 0,084| 0,065 | O,104| 12,829) 12,355| 13,553| 15,185] 15,622| 13,688
1,276| 1,229| 1,333| 1,373| 1,250| 0,988] 25,853] 25,419| 25,487] 24,973] 25,092] 25,564
0,405) 0,409) 0,401) 0,398| 0,502) 0,6567 19,884| 18,757| 19,609) 19,645] 18,519] 19,390
0,471| 0,491| 0,518| 0,561 | 0,488) O,474| 14,621) 15,069] 14,918| 14,860) 15,845| 15,065
0,507 | 0,452 | 0,449 | 0,467) 0,455 | 0,598| 10,064 9,898] 9,898| IO,601) 11,461| 11,8366
1,108 | 0,740| 0,656| 0,765| 0,843| 0,914 9,524| 9,336) 10,612| 11,655| 12,292) 11,183
0,387 | 0,384 | 0,372| 0,416| 0,17) 0,456 9,467) 9,186) 9,27] Saeul Bänn 9,129
0,435 | 0,505 | 0,476| 0,485| 0,522| 0,508| 17,744) 17,755] 17,791] 18,811] 18,814| 19,114
5405| 5,565 | 5,5386 | 5419| 5770| — 12,867| 12,861] 12,091| 12,410) 12,431| —
5509| 5,893| 5211| 5261| 5260| — 28,348) 30,085] 30,519) 29,988] 30,286| —
(Fortsetzung). 231
Nicht eingezahltes Aktienkapital. Konsortialbeteili-
gungen. Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken u. $
Bankfirmen. Bankgebäude. Immobilien u. sonst. Aktiva. ,
onii von Bezeichnung der Bank E
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. E
1913 S
8 | 9 |10
Kreditbanken.
165,9 172,1 172,9 170,8 172,8 | 167,4 | Deutsche Bank
181,8 209,5 191,9 189,7 194,6 | 199,6 | Direction der Disconto-Gesellschaft
117,7 120,3 123,8 130,3 130,5 | 129,1 | Dresdner Bank
82,5 77,8 78,8 73,5 74,1 71,0 | Bank für Handel und Industrie
88,2 90,2 96,0 86,5 94,7 82,0 IA. Schaaffhausen’scher Bankverein
51,8 52,4 55,8 55,1 57,7 49,5 | Nationalbank für Deutschland
37,8 40,5 38,7 39,4 40,3 40,9 | Commerz- und Disconto-Bank
21,5 23,3 27,4 22,9 25,7 22,8 | Mitteldeutsche Creditbank
54,5 60,0 59,4 57,7 58,0 49,5 | Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt
34,7 37,1 32,0 34,2 33,9 29,9 | Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co. | 10
42,3 47,7 48,8 44,7 50,2 46,3 | Rheinische Creditbank, Mannheim 11
53,4 54,4 55,3 55,9 56,5 53,9 | Rhein.-Westfäl. Disconto-Ges. 12
16,7 32,5 32,6 30,5 30,4 15,9 | Essener Credit-Anstalt 13
21,3 22,3 21,0 19,9 20,2 19,8 | Bergisch Märkische Bank 14
23,8 25,2 25,9 25,3 27,4 25,9 | Mitteldeutsche Privat-Bank Aktienges. 15
22,0 24,8 24,4 24,3 26,8 22,8 | Norddeutsche Bank in Hamburg 16
17,1 16,4 16,8 16,4 16,6 16,4 | Pfälzische Bank 17
16,9 17,0 18,7 16,3 17,2 15,7 | Schlesischer Bankverein 18
18,1 20,6 20,1 19,2 19,4 18,1 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 19
11,0 10,8 10,4 10,8 I1,1 9,9 Hannoversche Bank 20
31,8 29,9 34,0 30,9 35.8 33.7 | Vereinsbank in Hamburg 21
10,5 10,3 10,6 10,7 11,2 10,2 Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 22
7,8 8,6 9,1 9,2 8,9 8,2 | Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 23
7,1 7,4 7,8 7,8 8,3 7,7 | Deutsche Vereinsbank 24
9,3 9,8 9,1 8,2 8,5 7,6 | Rheinische Bank 25
7,9 8,3 10,2 8,5 11,1 7,4 | Ostbank für Handel und Gewerbe 26
4,3 4,9 5,2 6,7 6,9 3,5 | Norddeutsche Creditanstalt 27
3,6 3,9 2,5 2,5 2,6 2,6 | Allgemeine Elsässische Bankgesellsch. 28
3,3 3,2 2,9 2,9 3,8 2,9 | Mittelrheinische Bank 29
5,0 5,2 5,0 5,2 5,5 4,8 | Magdeburger Bank-Verein 30
2,8 3,1 2,7 2,6 3,0 2,8 |Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Aktg.®) 31
3,7 3,9 3,9 3,9 4,1 3,6 | Braunschw. Bank u. Creditanstalt A.-G. 32
2,6 2,6 2,7 2,6 2,9 2,9 | Chemnitzer Bank-Verein 33
3,8 4,3 44 4,4 4,4 3,9 |Osnabrücker Bank 34
3,1 3,2 4,4 4,8 4,8 2,7 | Danziger Privat-Actien-Bank 35
Son D au
6,5 6,6 6,8 6,7 6,9 6,3 | Anhalt-Dessauische Landesbank 36
6,2 7,0 6,9 7,7 8,9 7,6 | Hildesheimer Bank 37
2,1 2,3 2,3 2,3 2,8 2,5 |Stahl & Federer Aktiengesellschaft 38
1,0 1,0 0,9 0,9 1,0 0,9 | Westholsteinische Bank 39
5,957 5,813 5,996 5,766 6,094| 5,892] Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 40
0,402 0,447 0,511 0,635 0,733| 0,321| Königsberger Vereins-Bank 41
1,754 1,920 2,011 2,106 2,190| 1,713] Privatbank zu Gotha 42
2,871 2,871 1,491 1,375 1,355| 1,477|Schlesische Handels-Bank Aktienges. °) 43
2,333 2,085 2,330 2,272 2,505| 2,104] Württemb. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. |44
0,930 1,011 — 1,165 1,248) — Märkische Bank *) 45
1,992 2,037 2,202 2,237 2,260 1,288] Mülheimer Bank 46
2,953 2,946 2,862 2,900 2,904| 2,894] Commerz-Bank in Lübeck 47
0,840 0,867 0,705 0,897 1,081 1,074| Löbauer Bank 48
0,986 1,059 1,119 1,196 1,252) 0,960| Holsten-Bank 49
1,758 1,719) 1,561 1,818 1,882] 1,524] Westfälisch-Lippische Vereinsbank Aktges. |50
0,869 0,960| 1,073] 0,976) 0,944] 0,879| Bank f. Handel und Gewerbe 51
1,248 1,269 1,483 1,863 1,397| 1,042| Braunschweiger Privatbank Aktges. 52
0,280| oan 0,24) 0,57] 0,478] 0,308| Elberfelder Bankverein 53
0,248| 0,67] 0,50) 0,5181 0,590| 0,478| Mannheimer Bank, Aktges. 54
3,392| Ann 3,550) 3,886] 3,602) —- |Rostocker Bank 55
0,860 0,902 0,827 0,921 1,005 — Vogtländische Bank 56
232
Beträge in Millionen Mark °)
„| Laufende No.
ww
>».
Miszellen.
Aktiva
Bezeichnung der Bank
Mecklenburgische Bank
Mecklenburgische Spar-Bank
Vereinsbank in Zwickau
Oberlausitzer Bank zu Zittau
Oldenburgische Spar- & Leih-Bank
Plauener Bank Aktienges.
Vogtländische Credit-Anstalt Aktges.
Coburg-Goth. Credit-Ges.
Norder Bank Aktienges.
Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges.
Creditverein Neviges
Krefelder Bank, Actien-Ges.
Oldenburgische Landesbank
Niederlausitzer Bank, Aktienges.
Potsdamer Credit-Bank
Westdeutsche Vereinsbank
Kattowitzer Bankverein Aktges.
Neuvorpomm. Spar- u. Cred.-Bank A.-G.
Weseler Bank, Akt.-Ges.
Barmer Creditbank
Oberschlesischer Credit-Verein
Geestemünder Bank
Zentral-Bank Aktienges.
Heilbronner Gewerbekasse A. G.*)
Bremer Bank-Verein
Emmericher Creditbank A.G.
Gronauer Bankverein
Leipziger Vereinsbank *)
Rheiner Bankverein
Sauerländischer Bankverein A.-G.
Neustädter Bank
Forbacher Bank Aktienges.
Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven
Osterholz-Scharmbecker Bank
Radevormw. Volksbank Garschagen & Co.
Summe der inländischen Kreditbanken |278,9
Davon entfallen auf:
8 Berliner Großbanken
die übrigen inländischen Kreditbanken
Deutsche Orientbank
Deutsche Ueberseeische Bank
Deutsche Palästina-Bank
Summe der Ueberseebanken | 64,1
Bayer. Hypotheken- & Wechselbank
Bayerische Vereinsbank
Bayerische Handelsbank
Württembergische Vereinsbank
Summe der Hypothekenbanken | 13,1
Kasse, fremde Geldsorten und Coupons.
Guthaben bei Noten- und Abrechnungs-
(Clearing-)Banken
Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1,200 | 1,254
0,874 | 0,557
0,275| 0,806
0,580 | 1,276
0,648 | 0,523
0,568 | 0,717
0,075 | 0,088
0,105 | 0,121
0,087 | 0,106
0,060 | 0,149
0,066 | 0,086
0,755 | 0,945
0,176 | 0,164
0,272 | 0,264
0,066 | 0,057
0,152 | 0,172
0,260 | 0,278
0,104 | 0,140
0,035 | 0,078
0,085 | 0,058
0,270 | 0,097
0,079 | 0,112
0,114 | 0,081
0,094 | 0,1883
0,008 | 0,007
0,0388 | 0,021
0,418 | 0,340
0,082 | 0,064
0,020 | 0,042
0,048 | 0,182
0,047 | 0,179
0,028 | 0,086
f
9,0
59,6 D
349,6 432,4 300,7 334,4 =
182,6 |222,8 1|296,8 [205,0 227,5 360,2
96,3 126,8 135,6 95,7 [106,9 _
II. Uebersee-
10,1 9,8 9,8 7,7 9,4
52,6 55,4 51,8 53,8 51,7
1,4 1,5 1,2 1,2 1,0 2,7
| 66,7 | 61,7 | 62,7 | 621 |718 |
III. Hypotheken-
4,0 4,0 3,8 4,0 4,0 5,0
2,8 3,6 4,1 3,1 2,9 6,6
3,7 3,1 3,6 3,1 3,7 4,6
2,6 6,7 3,1 2,9 3,0 4,6
| 17,4 | 14,6 | 13,1 | 13,6 | 20,8 |
Miszellen. 233
(Fortsetzung).
Kaaft Reports und Lombards gegen börsengängige
Deg und reg ng Wertpapiere. Vorschüsse auf Waren und
se Warenverschiffungen
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.| 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 _ 1913
H l 5
4,396) 4766| 4,714| 4,067) 4,742 — 0,422| 0,391 0,421 1,037| 0,847|
10,295| 10,495| 9,949| 10,383| 10,255! 10,640 0,315| 0,353| 0,683) 0,00) 0,451
8,es3| 7,736| 7,535) 8,276 7,747 9,858 5,845) 5,2561 5,203| 5,257) 5,287
1,857| 1,070) 1,399| 2,084) 1,814 0,900 0114| 0,116] 0,1293) 0,126] 0,134
18,804| 15,453] 16,150] 15,169] 16,072 19,424 0,389| 0,958] ©,615| 2,223| 2,195
1705| Län 1,782] 2,166] 2,122) 2,188 2,7360) 2,799| 2,7283] 3,208| 2,977
3,055) 3,167) 3,908) 3,828] 3,880 — 1,131 1,148) 1,172] 1,011] 0,928
0,409) 0404| 0,367] 0,298] 0,360 0,419 — — — — —
2,025| 1,671) 1,862| 2,457| 2,906 2,589 0,012| 0,015 — _ 0,068]
1,856| 1,607 1,497 1,507 1,508) 1,791 0,379) 0,04 0,19] 0,327] 0,340)
1,216) 1,350) 1,421 1,243 1,273 1,619 0,454) 0,75| 0,18] 0,339] 0,328
0,841) 0,891] 0,859) 0,761] 0,889 — 0,945| oni 0,885) 0,946] 0,853
Real 7,018) 5,706 5,076] 8,580 8,618 — — — — —
©,951| 0,910| 0,813 1,009 1,055) 1,168 1,914 1,675 2,119 1,939| 2,026
1,855| 1,598| 1,369 1,701 1 Ann! 1,170 2,392) 3,054 2,836| 2,509| 2,837
1,456) 1,186] 0,881] 0,864) 0,927| 0,806 0,4069| 0,85 0,433] 0,07) 0,461]
1,391] 1,989] 1,528 1,847 2,189 2,108 — — — — — |
4,061| 3,885| 3,922| 4469| 4,054 — 0,108| 0,065 0,128| 0,113| 0,122
0,881) 0,864 1,247 1,188| 0,995 0,963 1,045 1,062 1,097 1,119 1,164
1,585) 1,389) 1,418 1,579 1,386| 1,265 0,057| 0,049| 0,061] O,148| 0,197
1192| 0,71) 0,889) 0,441] 0,597 0,985 0,007) 0,007 0,008) 0,010) 0,009
0,768) 0,736| 0,859| Ginn 0,923! 0,929 0,6898 0,629 0,667) 0,577) 0,439
0,948) 1,006) 1,068 1,116 1,243 1,097 0,564| 0,28 0,651| 0,585| 0,637)
1,427 1,347 -= 1,588 1,408) — 0,853 1,109 — 1,393 1,259|
0,320| 0,383 oan 0,348] 0,386 0,381 0,998| 0,904 0,930) 0,763] 0,968
0,332| 0,201 0,388| 0,354 0,409 0,735 0,088| 0,088 0,076| 0,108| 0,101
1,578) 1,58] 0,454 1,129| 0,991, 1,211 0,500) 0,500
2,121| 2734| — 2,944| 2,814 2,912 0,102 9,144 — 0,188) 0,108]
2,145| 1,464 1,7566 2,100) 1,440 1,665 0,170| 0,140, 0,113) 0,183| 0,168
0,502) 0,50) 0,392| ©0,298| 0,347) — — — | — = =
0,732| 0,766| 0,785 0,749| 0,64 — = =
0,755| 0,664] 0,847 0,381 1,2901 — SS =
0,267) 0,329) 0,461 0,280 0,231| 0,200 0,480) 0,468
0,107| 0,085 0,084 0,105 0,069) — 0,009 0,012
0,462| 0,62] 0,89) 0,467| 0,460) 0,460 — =
0,477) 0,492] 0,400
0,008) 0,009] 0,009
2785,8 2753,83 |2582,7 2921,38 [3040,7 — [2087,5 [1966,5 1803,5 |1747,4 |1876,4
1705,1 |1718,6 |1632,0 |1805,0 1895,98 (1775,9 [1315,2 (1235,7 |1074,4 |1025,8 |r116,8
1080,7 [1034,7 | 950,7 |1r116,3 [1144,8 — 772,3 | 730,8 | 729,1 | 721,6 | 759,6
banken.
12,7 14,5 16,9 16,4 17,8 | 131 28,8 26,1 23,4 25,0 43,8
144,3 | 1424 | 141,3 | 136,2 | 137,3 [124,4 13,1 14,5 11,9 11,0 8,6
7,8 6,7 5,0 40 3,8 | 48 28,5 | 324 | 33,4 | 23,6 | 24,4
164,8 | 163,6 | 163,2 | 156,8 | 158,9 [141,8 | 70,4 | 73,0 | 68,7 | 59,6 | 76,8
banken.
34,8 | 43,7 | 41,8 50,0 44,9 | 41,8 3,1 3,2 3,3 3,0 3,0 3,1
21,2 23,9 25,1 36,0 30,7 32,5 = — — — — —
18,7 17,1 | 16,4 19,9 .| 20,0 | 20,8 0,9 0,8 0,8 0,8 1,1 1,1
21,8 27,2 22,1 26,9 19,3 | 26,4 9,0 7,6 7,9 82 | Bi 71
s | 112,5 | 105,4 | 132,8 | 114,9 l121,0 | 13,0 | 11,6 | 12,0 | 12,0 | 12,3 | i13
234
Beträge in Millionen Mark °)
Miszellen.
Aktiva
28./2. | 30./4. | 30./6.
Eigene Wertpapiere
Bilanzübersicht vom
Debitoren in laufender Rechnung
Nostroguthaben bei Banken und Bankfirmen.
Bilanzübersicht vom
31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 1913
6 T i]
|
0,854 | 0,955| 0,961 13,141| 13,167) 12,082] 12,114] 12,306 —
2,132 | 2,235 | 2,254 23,360| 23,402) 22,780) 24,748| 25,407| 24,017
2,227 | 2,320 | 2,697 14,786| 15,076 15,320] 15,766] 16,629) 16,021
0,500) 0,556 | 0,570 9,832) 10,194| 10,468| 10,178| 10,365) 10,818
3,258 | 3,385 | 3,384 34,638| 34,994| 35,821] 36,426) 36,763| 37,710
0,758| 0,714 | 0,718 10,806| 10,212] 9,981] 9,738| 10,433| 11,117
0,517 | 0,572 | 0,582 8,646 9,055 8,701 8,765 9,4801 —
2,141 | 2,145 | 2,148 5,0183| 4,977) 4,812] 5,088] 4,956] 5,019
0,916 | 0,917 | 1,064 10,359| 10,523| 10,693) 10,706] 10,494 10,861
0,345 | 0,341 | 0,352 6,075 6,046| 6,327 6,375 5,965 5,902
0,7138 | 0,773 | 0,758 5,172] 5,040 5,1569) 5,186) 5,068, 4,631
0,219| 0,243 | 0,248 3,868) 3,786] 3,818] 3,761) 3,574 —
3,639 | 3,650 | 3,578 51,201 50,612) 49,806| 49,457) 50,883| 52,051
0,585 | 0,622 | 0,579 4,995| 5,234) 5,999| 5,742] 5,359| 7,432
0,280 | 0,591 | 0,588 4,794| 4,899| 5,156) 5,359) 5,701) 5,966
0,256 | 0,256 | 0,257 4,018| 3,911 3564| 3,3601 3,361] 3,853
0,623 | 0,625 | 0,628 5,389| 5,434) 5,111 5,020| 4,836) 4,995
0,842 | 0,816 | 0,790 4455| 5,365) 4,887] 4,659] 5,59 —
1,147 | 1,253 | 1,208 3,6580| 3,414 2,908] 2,997) 3,218] 3,658
0,164 | 0,163 | 0,168 3,045 2,982| 3,017] 3,126] 3,172) 3,125
0,442 | 0,451| 0,439 3,056| 3,360) 2,982) 3,598) 3,407) 3,558
1,896 | 1,987 | 1,926 9,612] 9,455 9,575) 9454| 9,536] 9,583
0,174| 0,146 | 0,149 3,261 3,295| 3,396) 3,5251 3,540) 3,485
— 0,717 | 0,729 3130| 3,253] — 3,040| 3,028] —
1,118| 1,106 | 1,069 5,318| 4,959) 4,820) 5,083| 4,734| 5,077
0,290 | 0,288 | 0,291 2,487 2,260| 2,287 2,298| 2,180] 1,877
0,006 | 0,006 | 0,006 2,704| 3,0861 2,6300 2,165| 2,670] 2,391
— 0,245 | 0,245 0,9389| 0,921 _ 0,939) 0,984 0,831
0,157 | 0,157 | 0,157 2,467 2,647| 2,749 1,842| 3,320] 4,410
0,007 | 0,007 | 0,004 1,062 0,990 0,950 1,023 1,006) —
0,209 | 0,202 | 0,200 3,800| 3,5861 3,856] 3,831] 3,876) —
0,581 | 0,786 | 0,660 0,904| 0,975 1,066 1592| 0,938 —
0,123 | 0,160 | 0,120 3,864| 3,6481 3,786] 3,901) 4,131] 4,125
0,041| 0,046 | 0,047 0,923| 0,818) 0,962 0,944 0,21 —
0,152 | 0,152 | 0,152 0,998| 0,989) 0,983) 0,992) oan 1,012
707,0 1743,8 1739,2 — 16507,9 16609,1 16636,1 6662,4 |6583,6 -—
408,6 |426,0 |422,5 1396,5 [3284,9 [3389,9 (3422,3 |3420,1 |3347,4 |3274,2
298,4 Dua Dës — [3223,0 |3219,2 |3213,8 |3242,3 |3236,2 =
II. Uebersee-
0,9 1,2 1,1 1,1 38,9 43,2 38,7 39,9 40,8 | 36,2
8,0 8,2 8,3 8,3 93,4 94,0 91,2 97,8 99,5 | 93,8
6,9 40 4,1 3,8 42,7 49,3 55,7 57,8 56,0 | 30,5
| 15,8 | 13,4 | 13,5 | 13,2 | 175,0 | 186,5 | 185,6 | 195,5 | 196,3 160,5 |
II. Hypotheken-
24,5 27,1 23,0 20,9 76,0 78,7 87,1 85,7 89,1 93,4
6,4 8,4 7,6 7,1 104,9 104,0 109,86 112,0 115,6 |119,6
15,0 | 14,0 | 13,9 12,8 93,5 93,9 | ,95,0 93,9 94,6 | 94,9
1,5 2,8 2,2 2,3 88,2 88,9 89,4 87,1 | 87,6 92,7
| 47,4 | 52,3 | 46,7 | 43:1 | 362,6 | 365,6 | 381,1 | 378,7 | 386,9 |400,6 |
EE Ee
(Fortsetzung).
Miszellen. 235
Nicht eingezahltes Aktienkapital. Konsortialbeteili-
gungen. Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken u. =
Bankfirmen. Bankgebäude. Immobilien u. sonst. Aktiva 3
Bllansübenisht vom Bezeichnung der Bank 2
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 3
1913 a
8 l 9 10
5,518 6,229 6,208 6,429 6,486 — [Mecklenburgische Bank 57
12,998) 13,090) 13,423) 13,502) 13,463) 16,385] Mecklenburgische Spar-Bank 58
0,654 0,661 0,719 0,763 0,812 0,582] Vereinsbank in Zwickau 59
0,628 0,892 0,890 0,979 0,979 0,973] Oberlausitzer Bank zu Zittau 60
8,473 8,695 8,546 9,006 8,726 7,493] Oldenburgische Spar- E Leih-Bank 61
0,611 0,656 0,850 0,694 0,779 0,563| Plauener Bank Aktienges. 62
0,483| 0,527 0,677 0,725 0,765 — | Vogtländische Credit-Anstalt Aktges. 63
0,135 0,127 0,135| 0,141 0,155 0,101] Coburg-Goth. Credit-Ges. 164
0,358 0,541 0,339 0,372 0,368 0,298] Norder Bank Aktienges. 65
0,306 0,379 0,400 0,371 0,411 0,264] Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 66
0,392 0,405 0,366 0,437 0,451 0,364] Creditverein Neviges 167
1,596 1,608 1,579 1,602 1,612 — Krefelder Bank Actien-Ges. 68
2,978 3,004 3,123 3,247 3,437 2,500] Oldenburgische Landesbank 69
0,351 0,383 0,296 0,385 0,376 0,273| Niederlausitzer Bank, Aktienges. 70
0,550 0,592 0,848 0,713 0,724 0,497| Potsdamer Credit-Bank 71
0,574 0,573 0,573 0,573 0,583 0,390| Westdeutsche Vereinsbank 72
0,073 0,073 0,088 0,103 0,127 0,082] Kattowitzer Bankverein Aktges. 73
0,179 0,801 0,821 0,850 0,869 — Neuvorpomm. Spar- u. Cred.-Bank A.-G. 74
0,117 0,123 0,133 0,143 0,148 0,104| Weseler Bank, Akt.-Ges. 75
0,153 0,166 0,180 0,195 0,209 0,128] Barmer Creditbank 76
0,053 0,059 0,072 0,078 0,087 0,041] Oberschlesischer Credit-Verein 77
0,607| 0,619) 0,640) 0,656 0,8731 0,597| Geestemünder Bank 78
0,107 0,111 0,129 0,146 0,161 0,070] Zentral-Bank Aktienges. 79
0,397| 0406 — 0,427 0,4205 — |Heilbronner Gewerbekasse A. G. *) 80
0,421 0,421 0,421 0,421 0,421 0,421] Bremer Bank-Verein 81
0,097 0,118 0,147 0,163 0,178 0,080| Emmericher Creditbank A. G. 182
0,697 0,690 0,698 0,707 0,701 0,695] Gronauer Bankverein 83
0,487| 0500| — 0,532 0,5562] 0,478] Leipziger Vereinsbank *) 184
0,389 0,420 0,396 0,404 0,403 0,396] Rheiner Bankverein 85
0,348| 0,353] 0,361 0,374 0,381 — [|Sauerländischer Bankverein A.-G. 86
0,711 0,775 0,748 0,761) 0,780 — Neustädter Bank 87
0,534 0,476 0,478 0,490 0,533 — Forbacher Bank Aktienges. 88
0,108 0,109 0,115 0,122, 0,127 0,041] Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 89
0,036 0,036| 0,036 0,036 0,036 — Osterholz-Scharmbecker Bank 90
0,047 0,049! 0,065 0,071 0,076 0,075| Radevormw. Volksbank Garschagen & Co. |91
1273,2 |1354,5 1354,6 [1328,7 |1377,2 — Summe der inländischen Kreditbanken
Davon entfallen auf:
746,8 | 786,1 784,7 767,8 | 790,2 762,3 |8 Berliner Großbanken
526,4 | 568,4 | 569,9 561,1 587,0 — die übrigen inländischen Kreditbanken
banken.
13,4 14,4 13,6 14,0 14,4 13,4 | Deutsche Orientbank 1
8,1 7,5 8,8 7,8 ZA 8,1 | Deutsche Ueberseeische Bank 2
0,7 1,2 0,6 0,7 0,6 1,6 | Deutsche Palästina-Bank 3
22,2 | 23,1 | 23,0 | 22,3 | 22,4 23,1 | Summe der Ueberseebanken
banken,
1197,9 |1198,6 |1209,3 |1199,9 |1204,1 |1215,3 | Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 1
510,2 | 512,7 | 514,8 | 510,0 | 512,8 | 516,9 | Bayerische Vereinsbank 2
414,5 | 417,5 | 421,6 | 424,0 | 426,8 | 426,0 | Bayerische Handelsbank 3
59,8 58,8 61,1 59,4 60,4 56,5 | Württembergische Vereinsbank 4
2182,4 2187, [2206,58 |2193,3 12204, 2214,7 | Summe der Hypothekenbanken
236 Beträge in Millionen Mark ?) Pas-
E Aktienkapital und Reserven
©
= Bezeichnung der Bank SS S
£ Bilanzübersicht vom
S 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12.
kel I mm 0000
1913
2 3 |l
I. Inländische
1 | Deutsche Bank 310,0 312,5 312,5 312,5 312,5 312,5
2 | Direction der Disconto-Gesellschaft 281,3 281,3 281,3 281,3 281,3 [281,3
3 | Dresdner Bank 261,0 261,0 261,0 261,0 261,0 261,0
4 Bank für Handel und Industrie 192,0 192,0 192,0 192,0 192,0 |192,0
5| A. Schaaffhausenscher Bankverein 179,2 179,2 179,2 179,2 179,2 |169,9
6 | Nationalbank für Deutschland 105,8 106,0 106,0 106,0 106,0 |106,0
7 | Commerz- u. Disconto-Bank 98,5 99,0 99,0 99,0 99,0 99,0
8 | Mitteldeutsche Creditbank 69,1 69,5 69,2 69,2 69,2 | 69,1
9 | Allgem. Deutsche Cred.-Anstalt 150,6 156,6 156,6 156,6 156,6 |156,7
10 | Barmer Bankverein, Hinsberg Fischer & Co. | 116,1 | 116,1 116,1 116,1 116,1 116,1
11 | Rhein. Creditbank, Mannheim 113,8 113,8 113,8 113,8 113,8 112,2
12 | Rhein. Westfäl. Disconto-Ges. 113,4 113,4 113,4 113,4 113,4 113,4
13 | Essener Credit-Anstalt 95,1 116,2 116,2 116,2 116,2 |116,2
14 | Bergisch Märkische Bank 104,4 104,6 104,6 104,6 104,6 |104,6
15 | Mitteldeutsche Privat-Bank Aktges. 68,0 68,2 68,2 68,2 68,2 | 68,2
16 | Nordd. Bank in Hamburg 64,5 64,5 64,5 64,5 64,5 65,0
17 | Pfälzische Bank 60,8 60,8 60,8 60,8 60,8 60,8
18 | Schlesischer Bankverein 69,3 70,0 70,0 70,0 70,0 70,0
19 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 54,3 54,3 54,3 54,3 54,3 54,3
20 | Hannoversche Bank 45,8 45,8 45,8 45 8 45,8 45,7
21 | Vereinsbank in Hamburg 43,6 43,6 43,6 43,6 43,6 43,9
22 | Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 36,9 36,9 36,9 36,9 36,9 | 36,8
23 | Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 33,2 33,2 33,2 33,2 33,2 | 33,2
24 | Deutsche Vereinsbank 33,9 33,9 33,9 33,9 33,9 33,9
25 | Rheinische Bank 31,4 31,7 31,7 31,7 31,7 29,9
26 | Ostbank f. Handel und Gewerbe 31,2 31,4 31,4 31,4 31,4 31,4
27 | Norddeutsche Creditanstalt 27,5 27,6 27,6 27,6 27,6 27,8
28 | Allgem, Elsässische Bankgesellsch. 22,9 22,9 22,9 22,9 22,9 23,2
29 | Mittelrheinische Bank 23,2 23,2 23,2 23,2 23,2 23,2
30 |Magdeb. Bankverein 18,6 18,7 18,7 18,7 18,7 18,7
31 | Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Akte. °) 10,6 10,6 10,6 16,3 16,3 10,6
32 | Brschw. Bk. u. Kreditanst. A.-G. 16,6 16,6 16,6 16,6 16,6 16,6
33 | Chemnitzer Bank-Verein 18,4 18,4 18,4 18,4 18,4 18,2
34 | Osnabrücker Bank 18,9 18,9 18,9 18,9 18,9 18,9
35 | Danziger Privat-Actien-Bank 17,5 17,6 17,6 17,6 17,6 17,6
36 | Anhalt-Dessauische Landesbank 14,1 14,1 14,1 14,1 14,1 14,1
37 | Hildesheimer Bank 16,2 16,2 16,2 16,2 16,2 16,2
38 | Stahl & Federer Aktienges. 12,5 12,5 12,5 12,5 12,5 12,6
39 | Westholsteinische Bank 14,6 14,7 14,7 14,7 | 14,7 14,7
40 | Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 10,383) 10,333] 10,333| 10,333) 10,333| 10,333
41 | Königsberger Vereins-Bank 12,190) 12,289| 12,289| 12,282 12,277| 12,275
42 | Privatbank zu Gotha 11,674| 11,674| 11,674) 11,674 11,674| 11,678
43 | Schlesische Handels-Bank Aktienges. °) 10,247| 10,247| 10,247| 10,296, 10,296| 10,207
44 | Württ. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. 13,412] 13,512] 13,512) 13,512) 13,512| 13,512
45 | Märkische Bank *) 10,100| 10,100) — 10,100 10,100| —
46 | Mülheimer Bank 9,998| 10,024) 10,024| 10,024 10,024| 10,024
47 | Commerz-Bank in Lübeck 9,560 9,560 9,560 9,560 9,560 9,560
48 | Löbauer Bank 9,238 9,300 9,300 9,300 9,300, 9,300
49 | Holsten-Bank Bou 8,630] Beau Bean Bonn 8,630
50 | Westfälisch-Lippische Vereinsbk. Aktges. 7,540 7,570 7,570 7,570 7,570| 7,570
51 Bank f. Handel u. Gewerbe 6,650 Dono 6,650) 6,650, 6,650, 6,725
52 | Braunschweiger Privatbank Aktges. 6,430| 6,630 6,530 6,630 6,630; 6,630
53 | Elberfelder Bankverein 6,660) ©,660| 6,560] 6,660) 6,660 6,660
54 | Mannheimer Bank, Aktges. 6,100| 6,100 6,100) 6,100) 6,100 6,100
55 | Rostocker Bank 6,1641 Giel Big Biet 6,164) —
56 | Vogtländische Bank 9,529 9,529 9,529 9,529 9,529 —
57 | Mecklenburgische Bank 5,336 5,350 5,350 5,350] 5,850 —
58 | Mecklenburgische Spar-Bank 6,000) 6,050] 6,050) 6,050) 6,050, 6,050
siva. 237
Kreditoren
überhaupt innerhalb 7 Tage fällig
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
_28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 1913
4 l 5
Kreditbanken.
1592,4 |1723,9 |1630,6 |1619,0 j1610,2 |1580,0 917,3 |1034,4 994,8 | 945,3 | 915,8 941,8
596,2 | 667,8 | 647,2 | 654,9 | 672,2 | 674,0 | 290,4 | 335,9 | 308,8 | 298,0 | 305,1 1336,83
903,2 | 914,5 | 917,4 | 949,4 | 966,1 | 958,4 | 474,3 | 501,7 | 482,7 | 492,5 | 487,7 [509,1
544,4 604,8 601,7 621,0 615,9 607,7 218,6 295,7 269,7 274,4 275,9 |284,6
363,7 362,2 351,4 358,9 | 357,4 344,2 113,6 115,1 105,8 108,9 104,4 |104,1
258,1 | 264,3 | 265,0 | 262,2 | 265,1 | 240,7 79,2 89,1 79,1 75,7 81,1 | 92,8
287,1 295,2 | 309,5 | 303,1 307,0 316,0 134,6 148,9 140,4 131,2 147,7 |159,9
113,9 | 118,2 107,9 | 123,8 132,8 130,8 44,0 46,0 44,0 45,1 47,1 56,8
235,5 243,1 232,0 243,7 253,0 252,2 140,2 149,6 138,1 144,0 148,5 |145,9
116,6 116,8 111,8 120,1 116,4 121,3 66,7 68,0 68,1 71,7 69,6 76,9
182,9 | 187,7 | 185,4 | 186,0 | 189,7 | 184,6 | 92,5 | 944 | 88,8 | 85,5 | 80,8 | 94,5
128,0 | 121,4 | 119,1 | 120,5 | 120,2 | 120,8 54,5 57,2 52,6 54,8 56,0 | 59,4
145,8 156,3 162,4 161,9 164,1 166,0 97,9 101,4 107,0 107,1 108,5 113,0
220,9 227,2 216,7 228,0 223,7 231,4 123,6 130,2 122,9 130,6 128,8 |137,5
161,5 | 160,8 156,7 162,5 | 168,0 170,8 85,8 87,6 85,3 85,9 91,7 | 99,1
148,5 | 149,0 | 148,4 | 144,9 | 152,4 | 145,5 48,8 52,4 51,7 43,4 46,0 | 50,5
120,8 | 127,3 | 124,8 | 128,2 | 128,5 | 132,7 34,9 40,8 39,9 41,0 41,6 | 44,0
132,0 | 137,4 132,4 139,9 | 140,5 | 147,9 108,4 118,9 110,9 100,9 100,2 |105,6
56,4 60,7 61,1 60,2 68,9 66,7 20,0 23,6 22,7 20,6 28,3 | 23,8
SA | 45,3 | 447 | 47,5 | 49,2 | 48,5 | 33,5 | 28,8 | 32,7 | 32,4 | 32,6 | 32,6
106,4 Inte | 112,9 | 109,2 (usa | 121,9 | 452 | 50,0 | 53,5 | 424 | 46,8 | 63,8
90,7 88,3 89,6 89,3 89,9 89,3 24,1 26,3 28,4 28,9 31,7 32,8
29,8 33,7 25,2 31,4 29,9 33,0 8,0 9,8 6,7 IL 9,5 9,3
19,8 21,1 21,2 20,2 20,1 21,1 12,3 16,4 15,3 13,2 10,5 11,0
39,1 40,1 38,2 39,5 42,2 40,8 14,5 14,9 15,8 13,8 14,6 | 15,8
87,9 | 86,0 | 864 | 904 | 90,7 | 98,5 | 50,0 | 495 | 48,9 | 51,9 | 511 | 57,8
67,2 66,8 63,3 68,6 70,8 70,8 28,9 28,3 28,0 31,4 32,1 31,9
77,3 78,3 81,1 76,3 75,1 74,3 40,5 43,0 44,7 40,7 40,4 | 43,9
21,0 21,3 24,2 24,0 24,0 22,7 7,8 6,2 6,6 7,5 7,4 6,6
36, | 33,9 | 337 | 407 | 388 | 35,9 | 255 | 24,5 | 244 | 291 | 28,6 | 27,2
43,1 47,0 48,3 44,7 46,1 48,3 36,2 35,5 34,9 34,2 33,9 | 34,9
35,8 35,0 33,7 33,0 36,6 36,0 20,5 20,1 19,1 19,1 22,3 | 21,4
19,1 18,5 18,2 20,0 20,1 20,2 8,3 8,7 8,8 9,5 9,3 | 10,0
441 44,3 43,3 44,3 45,2 45,8 15,1 16,0 16,1 15,6 16,7 -| 16,1
41,0 39,2 35,8 37,5 35,9 37,3 22,1 20,8 19,3 19,3 19,1 20,4
41,5 40,8 41,3 49,5 41,2 41,5 12,0 12,8 13,0 13,2 13,8 13,5
27,3 27,3 25,9 21,9 22,1 23,1 10,2 10,6 10,5 8,1 7,2 8,7
23,3 24,5 25,9 25,7 25,7 25,4 16,5 17,6 17,8 18,0 17,7 17,2
52,6 52,5 52,8 54,8 58,4 58,6 18,7 18,5 18,9 20,9 24,0 | 23,9
10,660| 10,376) 10,000| 10,239| 9,616| 10,082 7,341 6,547 6,355 6,672) 6,120] 6,427
15,108| 14,538) I4,291| 14,390) 14,432] 15,576 9,006 8,986 9,172 8,065 7,7711 9,258
13,849] 14,374| 15,141] 14,792) 15,783] 15,716 10,628] 11,271! 11,855) 11,036) 11,852| 11,484
14,672| 12,802| IT,aog 12,194| 13,889) 489) Gong 6,545] 7,1800) 6,550 Dänn 7,393
8,341) 8850| 8,361) 8,815) "aal 8962| Gaul 6,07 7,128) 7,298) Donn 7,872
9,516) 9,244 — 8,107 8,097 == 2,447 2466| — 2,121 2,042 =
10,036| 9,714| 10,477| 9,551 9,869| 10,114] 4,022| 4,028| 4,4129] 3,678 3,820| 4,072
13,167| 13,046| 13,295) 13,843] 14,212) 14,758 7,095 5,627 6,523 7,127 7,806| 6,963
20,879| 20,306| 20,872| 20,631] 20,523) 20,834 5,743 5,840 5,778 5,853 6,193| 5,695
20,296| 19,887| 19,591| 20,698| 20,928| 21,521 7,068| 6,862 6,410 7,566 7,673) 8,255
13,241) 13,261) 12,762) 13,791| 13,838| 14,194] 5,052] 5,085) 4,1387) 4,763| 4,335) 5,119
7,910| 7,408 7,090) 6,889 7,608| 8423| 3,919 4,059) 4,084 3,6701 4,303] 5,079
10,572) 11,132| 10,723) 11,275 11,462] 11,544 6,2151 6,962] 6,541 6,863 6,971) 7,580
4,934) 5,294| 5,336) 4,991) 4,740) 5,092] Zänn 2,566| 2,378] 2,365| 2,504] 2,859
13,498) 13,971) 13,715| 13,989) 14,158] 14,504 2,048| 2,153] 2,236 2,109| 2,141] 2,636
19,322| 19,247) 19,495| 19,114| 19,019 — 4,081 4,144 5,006 4,985 5,101 ==
32,368) 33,159) 34,526| 35,286| 34,072 — 16,380| 17,128| 18,539| 18,775| 17,787) —
18,591| 19,369| 19,141] 18,723| 19,221 = 4436| 4,369) 4,410) 4,092] Aan —
43,316) 43,997] 43,904| 44,905! 45,438] 48,241 7183| 7,775) 9,896| 7,468| 7,688] 9,972
Beträge in Millionen Mark" Passiv:
138
e i Summe der Passiva
Akzepte und Schecks, Sonstige Passiva (übereinstimmend mit der Summe der Aktiva)
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 1913
6 l 7 |
L Inländische
368,8 306,0 302,2 269,1 323,1 353,1 2271,2 2342,4 2245,3 2200,6 2245,8 |2245,6
265,0 226,0 204,2 208,2 229,3 282,9 1142,5 1175,1 1132,7 1144,4 1182,8 |1238,2
304,9 278,8 290,0 262,6 288,5 318,7 1469,1 1454,3 1468,4 1473,0 1515,6 [1538,1
159,2 | 161,1 | 154,8 | 167,8 | 170,0 | 178,4 895,6 957,9 948,5 980,8 977,9 | 978,1
123,8 117,1 117,3 124,1 128,1 132,1 666,7 658,5 647,9 662,2 664,7 | 646,2
79,8 77,4 73,1 76,5 81,3 79,3 443,7 447,7 444,1 444,7 452,4 | 426,0
81,8 88,8 87,2 91,9 93,7 92,7 467,4 483,0 495,7 494,0 499,7 | 507,7
55,2 54,5 59,0 56,9 59,4 58,8 237,3 242,2 236,1 249,9 261,4 | 258,7
92,9 83,1 86,0 91,5 89,8 87,1 485,0 482,8 474,8 491,8 499,4 | 496,0
73,4 70,5 65,8 72,1 81,6 81,0 306,1 302,9 293,7 308,3 314,1 | 318,4
113,8 105,2 103,2 104,7 97,7 114,6 410,5 407,7 402,4 404,5 401,2 411,4
74,7 70,9 70,1 72,3 71,1 777 316,1 305,7 302,6 306,2 304,7 311,4
38,0 31,4 33,5 38,5 36,9 35,4 278,9 303,9 312,1 316,6 317,2 | 317,6
55,2 47,6 46,9 56,6 54,7 55,9 380,5 379,4 368,2 389,2 383,0 | 391,9
49,7 43,4 45,1 40,8 46,7 53,2 279,2 271,9 270,0 271,5 282,9 | 292,2
66,8 62,9 60,3 58,8 68,2 78,9 279,8 276,4 273,2 268,2 285,1 289,4
76,1 70,6 71,8 76,7 78,9 78,1 257,7 258,7 257,4 265,7 268,2 271,6
13,6 10,6 12,5 12,8 12,9 14,8 214,9 218,0 214,9 222,7 223,4 | 232,7
51,2 51,0 48,0 49,6 54,8 57,4 161,9 166,0 163,4 164,1 178,0 | 178,4
17,5 18,4 17,4 19,8 22,1 19,4 114,4 109,5 107,9 113,1 117,7 | 113,6
24,1 21,0 22,5 21,4 24,5 21,1 174,1 176,4 179,0 174,2 183,2 186,9
32,9 34,2 36,3 36,0 40,8 41,9 160,5 159,4 162,8 162,2 167,6 168,0
30,3 28,0 28,4 26,5 26,1 28,5 93,3 94,9 86,8 91,1 89,2 94,7
30,5 29,2 30,3 29,6 31,4 30,7 84,2 84,2 85,4 83,7 85,4 85,7
27,8 25,5 25,7 28,5 26,1 25,0 98,3 97,3 95,6 99,7 100,0 95,2
12,0 13,2 13,6 14,7 17,2 14,6 131,1 130,6 131,4 136,5 139,8 | 144,5
9,9 9,5 9,4 13,6 13,1 9,4 104,6 103,9 100,3 109,8 111,5 | 107,5
10,0 10,0 9,7 10,9 12,1 13,3 110,2 111,2 113,7 110,1 110,1 110,8
21,3 20,2 17,1 18,4 20,1 24,0 65,5 64,7 64,5 65,6 67,3 69,9
12,3 9,8 5,5 6,1 9,6 13,7 67,5 62,4 57,9 65,5 66,8 68,3
7,9 7,8 9,9 8,3 7,8 9,9 66,6 65,4 68,8 69,3 70,2 68,8
3,4 2,4 2,6 4,3 4,5 3,0 55,8 54,0 52,9 53,9 57,7 55,6
4,1 4,0 4,0 4 1 46 4,5 41,6 40,9 40,6 42,5 43,1 42,9
6,7 5,4 5,6 7,0 7,9 7,2 69,7 68,6 67,8 70,2 72,0 71,9
5,2 44 4,1 5,9 5,1 3,2 63,7 61,2 58,1 61,0 58,6 | 58,1
2,1 1,8 1,6 2,2 3,1 2,9 57,7 56,7 57,0 56,8 58,4 58,5
4,5 4,5 5,1 5,6 5,0 4,2 48,0 48,0 47,2 43,7 43,3 43,5
9,1 8,7 8,6 7,4 7,9 6,5 44,9 45,7 47,0 45,6 46,1 44,5
11 0,4 1,2 0,6 0,4 1,6 68,3 67,6 68,2 69,6 73,5 74,9
4,790 5,918 5,026 4,724 4,247 5,062 25,783 26,627 25,359 25,296 24,196) 25,477
2,038 1,623 1,780 1,986 2,505 1,751 29,336 28,445 28,360 28,658 29,214| 29,602
2,518 1,855 1,916 2,420 2,612 2,569 28,041 27,903 28,731 28,886 30,019| 29,963
5,377 5,915) 6,260 4,687 3,190 6,199 30,296 28,964 27,915 27,177 27,375| 27,859
7,829 7,254 7,978) 10,502] 9,240 8,825 29,582 29,116 29,851 32,829 30,583| 31,299
3,308| 2,751 — 3,653| 3,550) .— 23,024 22,095 — 21,860 21,747] —
4,090 3,666 4,135 4,192 4,297 4,525 24,124 23,404 24,636 23,767 24,190) 24,663
3,295 2,639| 3,545 4,408| 4,417 2,477 26,022 25,245 26,400 27,811 28,189| 26,790
3,270] 2,661| 2,443] Zänn 2,342] 2,705 33,387 32,267 32,615 32,320 32,165| 32,839
1,762| 1,324 1434| 2,361 2,197 1,713 30,658 29,841 29,655 31,689 31,755) 31,864
4,041) 4,163) 4,237 4444| 4,797| 4,541 24,822 24,994 24,569 25,805 26,200) 26,305
1,974 1,568| 2,08% 2,417) 3,254] 2,480 16,534 15,626 15,822 15,956 17,512| 17,628
1,040| 0,520 0,895 1,045 1,234 1,055 18,042 18,282 18,248 18,950 19,326) 19
2,266 1,735 1,894 1,921 2,327 2,248 13,860 13,689 13,890 13,572 13,727| 13,930
4,935| 5,047) 5,188) 5,836) 5,744] 5,677 24,527 24,518 25,003 25,875 26,002| 26,281
0,295 0,501 0,402 0,498 0,654 — 25,781 25,912 26,061 25,776 25,837| —
3,971| 3,524| 3,491] 4,352| 4,238 — 45,863 46,212 47,546 49,167 47,839) —
0,939 1,100 1,243| 1,116 1,251 = 24,866 25,819 25,734 25,189 25,822
0,842 0,638 0,682 1,599 1,743 0,741 50,158 50,685 50,636 52,554 53,231] 55,032
(Fortsetzung).
Durch Spalte 3 der Aktiva sind gedeckt: 23
Ka
Die Kreditoren über- Die innerhalb 7 Tage
haupt (Sp. 4) fälligen Kreditoren (Sp. 5) EI
mit Prozent | mit Prozent Z
Bilanzübersicht vom p 3 Bezeichnung der Bank =
ARREBEIHE E |s|s E
> EH eler SCH, el E E
S S S ei SS 5 g S g e = SS EI
1913 1913 5
8 l Ge Ee 10 11
Kreditbanken.
%2! 56| 70| 51| 5,6] 8,1] 90 oul 11,5| 8,8 Deutsche Bank 1
2,6 37|63| 3,0144 | 741 54| 74! 132| 65 Direction der Disconto-Gesellschaft 2
36 35| 56| 30| 3,7 | 7,21 6,8] 6,41 10,6) 5,7 Dresdner Bank 3
3»4 | 52| 7,0| 5,6| 5,0 | Bol Bal 10,7| 15,6 | 12,7 Bank für Handel und Industrie 4
2,91 35| 49| 39| 42 | 73| 93] 11,0) 16,4 | 12,8 A. Schaaffhausenscher Bankverein 5
2,8 2,6) 3,8 30| 3,3 | 6,1] 90) 7,7) 12,8 | 10,4 Nationalbank f. Deutschland 6
4,0 | 41) 50) 39| 41 | ssf Bal Bal 10,6 | 9,2 Commerz- u. Disconto-Bank 7
An. 50| 5,1| 4,7| 3,6 | 6,9]10,7| 12,8| 12,6 | 12,9 Mitteldeutsche Creditbank 8
3842| 54 3,8 3.8 6,31 6,3 | 6,7 ER? 6,3 Allgem. Deutsche Cred.-Anstalt 9
Barmer Bankverein Hinsberg Fischer & Co. | 10
Rhein. Creditbank, Mannheim 11
Rhein. Westfäl. Disconto-Ges. 12
Essener Credit-Anstalt 13
Bergisch Märkische Bank 14
Mitteldeutsche Privat-Bank Aktges. 15
s| Nordd. Bank in Hamburg 16
Pfälzische Bank 17
Schlesischer Bankverein 18
Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 19
Hannoversche Bank 20
Vereinsbank in Hamburg 21
Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 22
Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 23
Deutsche Vereinsbank 24
Rheinische Bank 25
Ostbank f. Handel und Gewerbe 26
Norddeutsche Creditanstalt 27
Allgem. Elsässische Bankgesellsch. 28
Mittelrheinische Bank 29
Magdeb. Bank-Verein 30
Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Akte Pn |31
Brschw. Bk. u. Kreditanst. A.-G. 32
Chemnitzer Bank-Verein 33
Osnabrücker Bank 34
Danziger Privat-Actien-Bank 35
Anhalt-Dessauische Landesbank 36
Hildesheimer Bank 37
Stahl & Federer Aktienges. 38
Westholsteinische Bank 39
Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 40
Königsberger Vereins-Bank 41
Privatbank zu Gotha 42
Schlesische Handels-Bank Aktienges 5) 43
Württ. Bankaust. vorm. Pflaum & Co. 44
Märkische Bank *) 45
Mülheimer Bank 46
Commerz-Bank in Lübeck 47
Löbauer Bank 48
Holsten-Bank 49
Westfälisch-Lippische Vereinsbk. Aktges. 50
Bank f. Handel u. Gewerbe 51
Braunschweiger Privatbank Aktges. 52
Elberfelder Bankverein 53
Mannheimer Bank, Aktges. 54
33 Zeil 39| 34137 | 7,6] 58, 74| 6,4 | 56
2,6 30| 36| 235| 25| 38] 52| Sai 7,5| 55
2,3, 2,9 3,6) 2,9| 3,2 | 6,1] 5,3 6,1) 8,2 6,4
42 | 50| 78| 44
26| %7| 42| 28/32 | 5,3] 46| 8,3] 7,4 | 48
2,4 34| 39| 2,4129 | 5,61 4,6| Bäi 7,1
3,6 49| 2,2, 2,3| 3,3 | 3,3[10,8| 14,0) 6,2| 755
BI: 33| 48| 30| 44 | 5,3[10,7| 20,4) 15,1 | 93
2,2 Zeil 3,7| 1,5) 1:9 | 4,9| 2,6) 2,8) 4,4 | 21
2,6 10,7) 3,9) 2,2| 3,4 | 6,3] 7,4| 27,7) 10,5 | 0,6
33 | 43| 8,2| 3,4 | +3 10,6] 51| 6,8 11,2| 50
24 7°4| 48| 49) 43 | 6,5| 8,1 16,4) 10,2 | 12,7
42 | 3| 43| 36| 3,6 | 7,5|15,9) 14,3) 13,5 | 150
7,12 8,8 14,4| 6,7| 79 | 8,5 126,4 | 30,4| 54,0 | 19,0
44 | 7,5 /10,8| 48| 5,3 110,6] ze 9,6| 15,0 | 74
2,3 | 23| 0| 1,5) 56 | 2,41 3.4| 36| 10,0 | 43
2,6| 2,9) 3,3|
2,3 | 2,3) 35| 2334|27 | 47] 54| 54| Bol 52
29| 41| 37| Sal zl „ol 551 74 68| %5
1,9 | 2,2| 3,1| 2,8| 5,7 | 49] 52| 77| 11,4 | Bé
28| 31| 41l 2,1] 3,0| 79| 40| 4,3
2,7 | 2,5| 3,41 230| 31| 3,41 36) 3,3) 47| 36
1,8 ' 1,9| 3,8| Tal 38 | 6,7 A) 33 68| 24
ap 59| HI| 33| 32| 51f11,0| 12,5) 8,8| 7,0
3,2 | 36l 4,2| 32| 33| 431 94| 98| 11,3| 90
2,6 | 2,8 36| 332| 33| 53| 48| 53| 67| 62
Zi 1,8; 2,9| 1,3| 21 | 36| 6,8| 5,6 g| 39
50 28| Säi 37| 33| 9134| 71| 13,4 | 99
53| #6) 53| 35| #6 | 70] 76| 64| al 50
31| 5,7) 42| 36| 41| 45f BBI 16,2| 11,6 | 95
3857| 35| 56| 29 151] Sal oui sel 87
1,8| 2,2| 1,6| 2,9 | 3,5| 2,9| 2.9 3,5 2,8
6,9) 97| 7,6| 5,6 | 90] 8,6| 8,91 12,3 | 10,2
32 | 38| Seil 2,4|3,5| SI 78| 7,31 Bal 44
44 | 6,7| 6,5 110,71 59 | Df Sail Bal zl 12,9
7»4 | BI — | 7,1 | 8,6 | — |28,9| 25,61 _ | 27,0
2,4 2,81 1,8| 2,0 | 42| 47| Aal 44| #5
49| 44| 57| 48| 47 | Zil 91| 102| nal 94
Së Sall 2,3| 1,5 3,8 | 361 61| 71| 82| 54
5:1 | 58| 6,3| 5,01 5:3 | 7,0|14,8| 16,8| 19,1 | 13,5
1,6 | 1,7| 29| 1,1| 1,7 | 37| 43| 44| Gel 32
x
Ò
G
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SR
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x
©
| 55
3-7 | 36| 6,8] 3,5| 3:8 | — baal 16,7| 26,5 | 13,3 Rostocker Bank
2,7 | 42| 26| 35| 30| — | 53| 82| Aal 66 Vogtländische Bank 56
3:6 | 2,6| 79| 31| 3,5 | — baal 11,4| 34,1 | 13,1 Mecklenburgische Bank 57
2,8 | 2,9! 45| 2,9! 3,1 | 2,9'16,7| 16,1| 20,1 | 17,2 13,9| Mecklenburgische Spar-Bank 58
240
Beträge in Millionen Mark?)
Miszellen.
Passiva
E Aktienkapital und Reserven
E)
Ki i k
S EE Bilanzübersicht vom
3 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12.
1913
1] 2 | 3
59 | Vereinsbank in Zwickau 6,939 6,979 6,979 9,979| 6,979
60 | Oberlausitzer Bank zu Zittau 3,480 5,000 5,000 5,000 5,000
61 | Oldenburgische Spar- u. Leih-Bank 6,000] 6,0001 6,000] 6,000) 6,000
62 | Plauener Bank Aktienges. 4,610 4,610 4,610 4,610 4,610
63 | Vogtländische Credit-Anstalt Aktges. 4,193 4,748 4,743 4,743 4,143
64 | Coburg-Goth. Credit-Ges. 4,889 4,889 4,889 4,889 4,889
65 | Norder Bank Aktienges. 2,999| 2,999| 4,009| 4,009| 4,009
66 | Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 3,208 3,262 3,262 3,262 3,262
67 | Creditverein Neviges 3,701 3,730 3,730 3,730 3,730
68 | Krefelder Bank, Actien-Ges. 3,169 3,169 3,169 3,169 3,169
69 | Oldenburgische Landesbank 3,725| 3,742 3,742) 3,742] 3,742
70 | Niederlausitzer Bank, Aktienges. 2,725 2,765 2,765 2,765 2,765
71 | Potsdamer Credit-Bank 3,062| 3,082| 3,082] 3,082] 3,082
72 | Westdeutsche Vereinsbank 2,6661 2,7112] 2,712] 2,7182) 2,718
73 | Kattowitzer Bankverein Aktienges. 2,248 2,268 2,268| 2,268 2,268
74| Neuvorpomm. Spar- u. Credit-Bank A.-G. 1,080| 2,208] 2,203] 2,208] 2,208
75| Weseler Bank Akt.-Ges. 2,810 2,810 2,810 2,810 2,810
76 | Barmer Creditbank 2,045 2,045 2,045 2,045 2,045
77 | Oberschlesischer Credit-Verein 2,180) 2,180] 2,180] 2,1801 2,180
78 | Geestemünder Bank 2,245| 2,245 2,2451 2,245 2,245
79 | Zentral-Bank Aktienges. 1,560 1,560 1,560 1,560 1,560
80 | Heilbronner Gewerbekasse A.-G.*) 1,520 1,550 — 1,550 1,550
81 | Bremer Bank-Verein 1,270) 1,270) 1,270) 1,270| 1,270
82 | Emmericher Creditbank A.-G. 1,280) Lë 1,230| 1,280) 1,280|
83 | Gronauer Bankverein 1,189 1,148 1,148 1,148 1,148|
84 | Leipziger Vereinsbank *) 1,380| 1,399 — 1,399| 1,899,
85 | Rheiner Bankverein 1,132 1,134 1,134 1,134 1,184]
86 | Sauerländischer Bankverein A.-G. 1,014 1,024 1,024 1,024 1,024
87 | Neustädter Bank 0,847] 0,847] 0,847 0,847] 0,847
88 | Forbacher Bank Aktienges. 0,518] 0,518| 0,525] 0,525) 0,525)
89 | Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 0,196| 0,501] 0,501] 0,501] 0,501
90 | Osterholz-Scharmbecker Bank 0,260 0,260 0,260 0,260 0,260,
91 | Radevormwalder Volksbank, Garschagen & Co. 0,250| 0,250) 0,2501 o,250| 0,230!
Summe der inländischen Kreditbanken 3246,9 |3277,9 |3265,5 |3284,3 |3284,2 —
Davon entfallen auf:
8 Berliner Großbanken 1496,8 |1500,4 |1500,1 |1500,1 |1500,1 [1490,8
die übrigen inländischen Kreditbanken 1750,1 |1777,5 1765, |1784,2 |1784,1 —
II. Uebersee-
1 | Deutsche Orientbank 33,6 33,8 33,8 33,8 33,8 33,8
2| Deutsche Ueberseeische Bank 38,2 | 38,8 | 38,8 | 38,8 | 38,8 | 38,8 |
3 | Deutsche Palästina-Bank 22,9 23,5 23,5 23,5 23,5 23,5
Summe der Ueberseebanken I 947 | 961 | 91 | 9,1 | 961 |961 |
IH. Hypotheken-
1 Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 118,9 131,0 131,2 | 131,2 131,4 |131,8
2| Bayer. Vereinsbank 66,8 67,8 76,4 76,5 76,4 76,4
3 | Bayerische Handelsbank 58,6 59,0 59,0 59,0 59,0 | 58,5
4 | Württembergische Vereinsbank 53,4 53,7 53,7 53,7 53,7 53,7
‚Summe der Hypothekenbanken | 297,7 | 311,5 | 320,3 | 320,4 | 320,5 |319,9
Miszellen. 241
(Fortsetzung).
Kreditoren
überhaupt innerhalb 7 Tage fällig
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. 31./12.
1913 1913 z
4 l ze i 5
24,448| 23,158 23,000), 23,724| 24,723] 26,186] 13,462| 12,135 12,195| 12,802| 14,013) 15,005
8,608 8,212 8,122 8,609 8,749 8,316 3,810 3,747 3,784] 4,208 4,057) 3,416
58,316) 57,862 57,509) 58,538) 59,557) 63,808 8,869 8,604 8,866 9,530 9,889) 10,598
11,063) 10,926 10,670 11,243) 11,386) 12,193 6,512 6,585 6,185. 7,294 7,548| 8,216
9,249 9,373, 9,624 9,520| 10,287 _ 6,123 6,070 Sang 6,940 7,109 —
2,538 2,684 2,554 2,552 2,504 2,552 1,078 1,161 1,051 1,156 1,126| 1,054
10,502) IO,566 9,592) 10,242| 10,419| 10,736 2,190 2,038 1,813. 2,361 2,308, 2,270
5,240 5,245 5,237 5,300 5,087 5,033 2,012 2,052 1,865 1,971 1,921| 1,993
3,936 4,138 3,980 3,898 3,753 3,940 1,890 2,026 2,032 1,945 1,906) 2,039
3,901 3,978 3,770 3,618 3,520| — 1,018 1,140 1,023) 1,017 1,061] —
62,522! 60,409) 57,804| 56,873| 61,060| 63,584] 14,139| 11,546| 11,469 11,400| 12,846| 14,050
5,860 6,038 7,109 6,918 6,554 6,850 3,378 3,759 3,549 3,828 4,090| 4,089
6,881 7,622 7,173 7,447 7,120! 7,453 3,533 4,387 4,009 4,149 4,121] 3,302
3,591 3,241 2,515 1,920 2,065 1,991 0,873 0,948 0,818 0,730 0,912| 0,799
4,651) 5,489 4,599 4,983 5,136) 5,241 3,977 3,894 4,165 3,851 4,022| 4,292
Bann 8,728 8,542 8,570 8,733) — 3,078 3,321 3,163 3,118 3106|) —
3,841) 3,818 3,767 3,712 3,7381) 4,081 0,689 0,740 0,701 0,621 0,662| 0,737
2,503 2,504 2,617 2,634 2,577 2,524 1,220 1,305 1,381 1,352 1,334| 1,313
2,121 2,256 2,271 2,359 2,309 2,753 1,298 1,167 1,210 1,357 1,361| 1,767
11,500) TII,148| 11,072| 10,985| 10,837| 11,118 4,134 3,806 3,856 3,949 3,870) 4,011
3,193 3,293 3,643 3,638 3,557 3,711 0,246 0,292 0,301 0,398 0,246| 0,317
4,712 4,882 _ 4,951 4,664 — 1,640 1,818 _ 1,772 1,901 —
6,905 6,670 6,280 6,315 6,232 6,510 2,620 2,554 2,485 2,644 2,447| 2,557
1,938 1,857 1,745 1,763 1,605 1,693 0,164 0,440) 0,35€ 0,328 0,434) 0,428
4,044 4,204 2,824 2,863 3,050 2,895 2,396 2,104 1,859 1,978 1,9891| 1,829
3183| 3,215 — 3,158| 3,155| 3,185] 0,429| 0,483 E 0,436) 0,440| 0,459
3881| 3,612] 4,024) 3,158| 3,9831 4,700] 2,569) 2,591 2,729) 2,254 2,433) 2,741
oeisl 0,652) 0,659| 0,592] 0,602 — 0,1751 oun 0,186) oun 0152 —
4549| 4,567) 4721| 4,25] 4,507 — 0,335| 0,359| 0,502| 0,35 0,286) —
2225| 2,240 2,478| 2,085] 2,843 — 0,452) 0,827 1,082 1,259 1436| —
4335| 4184| 4,331) 4,346| 4,388) 4,562] 0,591| Gänn oan 0,5$2| oe 0,642
0,905| 0,849| 0,866| 0,888) 0,823 — 0,064| 0,142| 0,080) 0,149] 0,087| —
1,407 1,409 1,434 1,402 1,390 1,132| onge 0.25| 0,022] oun 0,009) 0,006
7859,1 18181,0 |7991,2 |8133,9 |8224,8 — [3807,98 |4161,3 |3993,7 |3933,7 |3955,2 =
4658,1 4950,98 14830,6 |4892,3 4926,72 |4851,8
3201,0 |3230,1 3160,68 |3241,6 |3298,1 —
2271,9 |2566,9 |2430,8 |2370,9 |2364,9 |2485,3
1536,0 |1594,4 |1562,9 |1562,8 |1590,3 E
261,0 265,8 255,2 257,0 250,3 241,6 131,3 131,4 123,3 123,6 119,4 |123,6
56,3 68,4 72,6 63,0 63,9 34,7 9,2 10,9 11,9 8,2 9,2 9,4
381,6 | 403,6 | 393,7 | 385,4 | 402,4 | 356,5 187,5 | 193,4 | 182,1 | 175,2 172,1 |180,4
64,3 69,4 65,9 65,4 88,2 80,2 | 47,0 51,1 46,9 43,4 43,5 | 47,4
|
50,3 56,4 59,6 61,1 59,7 57,7 39,1 46,0 47,5 50,0 47,3 | 46,6
608 | 67,9 67,1 72,4 69,6 73,5 45,6 51,4 50,6 54,0 51,0 | 541
63,5 | 650 | 66,8 | 69,6 | 69,2 | 69,9 | 41,8 | 445 | 45,2 | 471 | 45,8 | 45,6
55,6 66,9 60,7 62,3 54,7 61,6 31,6 41,4 | 36,3 35,3 33,9 39,8
230,2 | 256,2 | 254,2 | 265,4 | 253,2 | 262,7 «| 158,1 183,3 | 179,6 | 186,4 178,0 |180,1
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 16
242 Beträge in Millionen Mark”) Passiva
Akzepte und Schecks. Sonstige Passiva Rummo- der Patita
P S 8 (übereinstimmend mit der Summe der Aktiva)
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. 30./4. 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.
1913 1913
i 6 L 7 |
r e = — ne s Së
2,072 1,478 1,492 2,004 1,985 2,104 33, RA 31,615 31,471 32,707 33,687) 35,269
0,635 0,474 0,554| 0,604 0,458) 0,600 12,723 13,686 13,676) 14,213 14,207| 13,919
1,983 1,198 1,621 2,143 2,691 1,488 66, 299 65,055 65,130 66,681 68,248] 71,391
1,500 1,073 1,209 1,102 1,488 1,467 17.173 16,609 16,489) 16,955 17,484| 18,263
0,989 1,045 1,051| 1,17% 1,282 — 14,431| 15,161 15,418 15,435 16,312| —
0,553 0,166 0,111; 0,255 0,285| 0,35% 7,780| 7,139 7,554 7,696 7,678 7,798
0,300 0,240 0,420 0,444 0,643 0,440 13,801| 13,805 14,021 14,695 15,071| 15,185
0,590 0,389 0,633 0,457 0,325 0,401 9,038 8,896 9,132| 9,019 8,674 8,696
0,423 0,224 0,407| 0,438 0,493 0,416 8,060) 8,092 8, 117| 8,066 7,976 8,094
0,461 0,363 0,530| 0,583| 0,559 — 7,531 7,510 7,460) 7,370 7248| —
1,323 1,316 1,600 2,448 2,695 0,368 67,570 65,467 63,146] 63,063 67,497| 67,689
0,301 0,139 0,175 0,208 0,290 0,278 8,886 8,936 10,049 9,891 9,609 9,893
0,450 0,363 0,504 0,579| 0,747 0,417 10,393 11,067 10,759 II „108| 11,549| 10,906
0,593 0,367 0,547 0,874 0,870 1,095 6, 840 6,320 5,774 5,506) 5,647 5,798
0,718 0,545) 0,647 0,447 0,449 0,553 7,617 8,302) 7,514 7,698| 7,853 8,062
0,265 0,205| 0,281 0,502 0,571 — 9,784 11,136) 11,026 11,275] 11,507 —
0,241 0,081 0,100 0,257 0,270 0,282 6,892 6,709] 6,677, 6,779 6,861 7,183
0,431| 0,279 0,325| 0,601 0,567 0,284 4,979, 4,828] 4,987} 5,280| 5,189 4,938
0,145 0,041 0,050) 0,118| 0,135| 0,257 4,746 4,477 4,501 4,657) 4,624 5,190
0,1389| 0,044 0,506 0,356) 0,561 0,282 13,884| 13,437 13,823 13,586 13,643] 13,645
0,368 0,370| 0,19] 0,540) 0,787 0,454 5,121] 5,223 5,622 5,733| 5,904 5,732
0,490 0,538 — 0,795 0,727 -— 6,722 6,970| — 7,296 6,941 —
0,111 0,085| 0,196) 0,195 0,222 0,190 8,280) 7,975 7,746 7,780 7,724 7,970
0,090 0,147| 0,224 0,222 0,276 0,136 ‚258 3,234 3,199 3,215) 3,111 3,089
0,340 0,359| 0,382 0,528| 0,710 0,643 5,523 5,711 4,354| 4,539 4,908 4,688
0,544 0,270 — Dänn 0,457 0,311 4,907 4,884| — 4,956 5,011 4,895
0,347 0,146| 0,094| 0,157 0,431 0,963 5,360 4,892 5,252 4,749| 5,548 6,797
0,107 0,066 0,081 0,129| 0,121 ES 1,739 1,742 1,764 1,745| 1,747| —
0,103 0,054 0,128| 0,109| 0,095 _ 5,499 5,468 5,696 5,581| 5,449) —
0,054 0,076 0,073| 0,127 0,127 —- 2,797 2,834 3,076 3,337 3495|) —
0,062 0,026 0,143| 0,147 0,166 0,050 4,893 4,711 4,975 4,994 5,055 5,118
— 0,002 0,020| 0,020| 0,025 -— 1,165 1,111 1,146 1,168 1,108) —
0,018) 0,018| 0,016 0,047 0,043 0,033 1,675| 1,677| 1,700) 1,699 1,688 1,716
2491,7 |2282,0 |2259,6 |2286,1ı |2442,5 | — [13 597,7 13 740,9 lı3 516,3 |13 704,3 13 951,5 —
1438,6 |1309,8 (1288,1 [1257,1 |1373,5 |1496,2 | 7593,5 | 7761,1 | 76188 | 7649,5 | 7800,3 |7838,8
1053,1 | 972,2 | 971,5 |1029,0 |1069,0 — | 6004,2 | 59798 | 5897,5 | 6054,8 | 6151,28 —
II. Uebersee-
7,1 5,8 3,0 5,0 5,3 5,7 105,0 109,0 102,7 104,2 127,3 119,7
20,7 17,5 18,5 18,8 23,7 23,1 319,9 322,1 312,5 314,6 312,8 303,5
8,4 5,5 6,7 4,8 2,5 3,1 87,6 97,4 102,8 91,3 89,9 61,3
36,2 | 28,8 | 28,2 28,6 | 31,5 | 31,9 | 512,5 | 528,5 | 518,0 | soi | 530,0 | 484,5 |
IH. Hypotheker
1175,0 |1166,4 |1179,0 |1177,4 |1177,0 |1190,5 1 344,2 1 353,8 1 369,8 | 1369,7 | 1368,1 |1379,5
518,1 | 514,6 | 516,5 | 520,6 | 523,6 | 532,8 645,7 650,3 660,0 669,5 | 669,6 | 682,7
425,4 | 425,1 426,6 | 427,1 431,9 | 431,3 547,5 549,1 552,4 555,7 | 560,1 559,7
73,9 70,1 78,7 71,3 72,2 | 74,3 182,9 190,7 185,1 187,3 | 180,6 189,6
2192,4 |2176,8 |2192,8 |2196,4 |2204,7 |2228,9 | 2 720,3 2743,9 | 2767,3 | 2782,2 | 27784 |2811 |
1) Nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Zweimonatsbilanzen zusammengestellt. Die Bilanzübersich
nicht durchweg das für die Zweimonatsbilanzen vorgeschriebene Schema in Anwendung gekommen ist, so konnten de
für den Schluß des Jahres 1913 nur für die 8 Berliner Großbanken gezogen worden.
2) Bei den Banken mit einem Aktienkapital von über 10 Mill. M sind die Ziffern der Uebersichtlichkeit ha
3) Die Jahresschlußbilanz fällt auf den 30. Juni 1913.
4) Die Bilanzübersichten der Märkischen Bank in Bochum, der Heilbronner Gewerbekasse und der GE
stellung nicht enthalten.
(Fortsetzung). 243
Durch Spalte 3 der Aktiva sind gedeckt:
\ Die Kreditoren über- | Die innerhalb 7 Tage S
H haupt (Sp. 4) | fälligen Kreditoren (Sp. 5) zZ
| mit Prozent mit Prozent a
Bilanzübersicht vom z 7 Bezeichnung der Bank E
a aléiéläiëlazlalsélg ga È
| ass slsisiëëlslsissg 3
1913 1913
| 8 ff: 9 I. 10 11
3,61 2,4! 2,0| tal 2,1] 38| 6,5| 4.6 3,8 2,5| 3,7 Vereinsbank in Zwickau 59
a ae 3,7) 3,6, 34| 39| 6f zer Sai 77| 69) Bai Oberlausitzer Bank zu Zittau 60
9,9, 2,2| 1,3| 09| 19| 13| 60| 14,8; Bal 55| 21,7) Oldenburgische Spar- u. Leih-Bank 61
Së 48) 47| 39| 40| 67| 99| 78, 77| Gol 6,0 Plauener Bank Aktienges. 62
6,1) 76| 46| Së Gë — | 92| mt 66| 77| 95| Vogtländische Cred.-Anstalt Aktges, 63
30) 3.3| 39| 2,9| 26| 57] 70| 7,6, 94| 6,4 | 57 Coburg-Goth. Credit-Ges. 64
1,0| 1,1) 2,21 2,4| 17| 2,31 48| 5,9, 116 | 103| 715] Norder Bank Aktienges. 65
17| 2,0 2,8| 19| tal 2,91 43| Säi 77| 50| 5&1 Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 66
1,5, 36| 2,0| 2,3| 2,7, 83] 32| 714, 39| 45| 54 Creditverein Neviges 67
| 1,7| 2,2| 2,9| 1,6| 2321 — | 6,5| 75| 20,7) 5,6| 73 Krefelder Bank Actien-Ges. 68
zl 26| 14| 13157 1,8 Säi 82] 71| 64| 80| Oldenburgische Landesbank 69
Ap 27| 33| 2,81 33| 56| 52| 44| 65| 51| 52 Niederlausitzer Bank Aktienges. 70
40) 35| 66| 32| 40| PÉ| 77| 60| 117| 57| 74| Potsdamer Credit-Bank 74
281 1,8| 2,7| 2,4] 2,8; 40| zë 60| Bäi 6,3| 6al Westdeutsche Vereinsbank 72
"Al Fr 36) 21| 25| 5f hr 39| 237| 59| Kattowitzer Bankverein Aktienges. 73
El 31, 5:0) 4:3) 36| — f 8,5] Bä 13,5 | 11,8 | 10,1 Neuvorpom. Spar- u. Credit-Bank A.-G. 74
2,71 3:7) 39| 233| 34| 55f15,1| 18,9| 20,7 | 13,5 | 193| Weseler Bank Akt.-Ges. 75
1,4| 31| 5,6, 2,6| 2,4| 7:2] 2,9| 6o| 106| 5,12) 47 Barmer Creditbank 76
1,5| 2,6| 4,8, 36| 3,7 58| 2,7| 51| 89| 6,2) 6,3, Oberschlesischer Credit-Verein 77
i 214| 09| 1,7; 1,8| tal 1,61 6,1) 2,6) 48| 50! 38| Geestemünder Bank 78
2,5 3,4, 6,0! 5,9| 49| 738 ]32,1| 38,4| 72,8 | 54,0 | 70,7] Zentral-Bank Aktienges. 79
24 2,7) — | 37| 230| — | 70| 45| — | 1092| 6,1 Heilbronner Gewerbekasse A.-G. *) 80
1,41 2,7! 2,4 17| 23| 34] 36| 72| Gol 41| 60 Bremer Bank-Verein 81
Gë 04| 0,6, 0,5| gët Gäil tal 16) | 2,7| Gë Emmericher Creditbank A.-G. 82
"e Gë 05| 59| tal 33| 30f 1,6] Te Bal z,6|.20 Gronauer Bankverein 83
13,0 106| — | 5,2) 9,9110,5196,3 | 70,41 — | 37,4 | 751 Leipziger Vereinsbank *) 84
oB 18| 2,0) 8| 5| 37f 25 30| 28| Zë Rheiner Bankverein 85
Aë 6,4| Bäi 73| 15| — [14| 23,3] 29,0 | 243| 59 Sauerländischer Bankverein A.-G. 86
09: 2,9| 2,1| obi 1,12) — f12,8| 36,8| 19,5 | 11,3 | 17,1) Neustädter Bank 87
212 Bel Ae 5,1] 2,6) — |10,4| 21,6) 9,6 | ı10| Si Forbacher Bank Aktienges. 88
08 0,9| 1,5, 99) rtl 48] 47| 71| mei 6,6 | 7,4 Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 89
Zë 13| 2,0, 32| 32| — [391| 7,8] 28,3 | 18,8 | 29,9 Osterholz-Scharmbecker Bank 90
11| 8| DÉI 1,2) 1,5| 1,3 [57,1 108,7) 50,0 |t13,3 |233,3/300,0| Radevormwalder Volksbank, Garschagen & Co. | 91
36'431 sa| 37| prl — |73) 84 10,8| 76| sai — |Summe der inländischen Kreditbanken
N Davon entfallen auf:
39 451 6,1] 42! 4,6 7,4|80| Ba 12,2) 86| 9,6, 14,5] 8 Berliner Großbanken
30. 39l 431 30] 32| — f 6,3| 80 87| 61) oi — [die übrigen inländischen Kreditbanken
« banken.
15,6/14,2 113,9 [11,7 110,6 |11,3 21,4 19,2] 19,6 | 17,6 | 21,6, 10,1 Deutsche Orientbank 1
20,1 120,8 20,1 120,9 20,6 24,6140,0| 42,2) 41,6 43,5 | 43,3) 48,2] Deutsche Ueberseeische Bank 2
2,5, 2,3 | 1,6) 19| 16| 7,7l15,3| 14,2| 9,8, 15,0 | 11,3| 28,5 Deutsche Palästina- Bank 3
16,8 116,5 [15,7 116,3 |15,4 [29,0l341| 34,5! 33,9 | 35,8 | 36,1] 39,5] Summe der Ueberseebanken
` banken.
7:9| 71| 6,4| 6,6| 6,6| 8,7 10,1 | Sal 8,1| 8,0| 8,4| 10,8] Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 1
461 5,3l 62| 42| 42| aal 62| 70) 82| 57| 57| 12,3] Bayer. Vereinsbank 2
P 53| 48| 54| 45! 53| 6,6] 8,7) zo 80| 66] Sol roi Bayer. Handelsbank 3
4,7!10,0| so| 4,6, 5,5! 7,41 8,2| 16,1| 8,4 | 8,2 | 88| 11,8 Württembergische Vereinsbank 4
s7] 68l 581 aol 531 zol 82l aal 82| 70| 7,6] zl Summe der Hypothekenbanken
: vom 31. Dezember 1913 sind
aus den Jahresberichten der Banken entnommen. Da indessen
betreffenden Ziffern nicht für alle Banken ermittelt werden; aus diesem Grunde sind die Summen
mur mit einer Dezimalstelle gegeben worden.
"Vereinsbank für den 30. Juni 1913 sind in der im Reichsanzeiger veröffentlichten Zusammen-
16*
244 Miszellen.
V
Die japanische Statistik als wissenschaftliches
Quellenmaterial.
Von Heinrich Waentig.
Die handelspolitische Expansion der europäischen Kulturvölker im
fernen Osten hat sich bisher fast ganz auf der Oberfläche bewegt. Zu
einer wissenschaftlichen Erschließung seines geistigen Wesens, seiner
sozialen Einrichtungen, oder auch nur seines Wirtschaftslebens hat sie
kaum geführt. Man lasse sich über diesen Tatbestand nicht durch
das Anschwellen der Literatur hinwegtäuschen, in der übrigens die
deutsche nur einen bescheidenen Raum einnimmt. Sie ist zum großen
Teil ein Reden und Schreiben, ja gelegentlich geradezu ein Phanta-
sieren über Dinge, die man nicht wirklich kennt, und deren Schattenbilder
man nicht zu deuten weiß. Dies ist für uns verhängnisvoll; denn die
mancherlei diplomatischen Mißgriffe unserer fernöstlichen Politik im
Verlaufe der letzten Jahrzehnte sind im tiefsten Grunde auf solche Un-
wissenheit zurückzuführen, die einer vorwiegend von Gefühlsmotiven ge-
leiteten Taktik die Wege ebnen mußte. Es ist höchste Zeit, daß wir
uns hiervon emanzipieren.
Freilich begegnen alle Versuche, tiefer in das Wesen der Völker
des fernen Ostens einzudringen, außerordentlichen Schwierigkeiten, die
sich keineswegs in den rein sprachlichen erschöpfen. Wirklich er-
schlossen wird uns der Orient dereinst nur durch die Orientalen selber
werden, nachdem wir sie für unsere wissenschaftlichen Ideale gewonnen
und in ihrem Sinne erzogen haben. Darin, nicht so sehr in den mittel-
baren, immerhin fragwürdigen handelspolitischen Vorteilen, die sich
möglicherweise daraus ergeben können, liegt das Interesse, das wir
heute daran haben, einen möglichst großen Teil der Begabtesten unter
ihnen als Schüler an unsere Hochschulen zu fesseln. Dennoch kann
auch von unserer Seite schon heute einiges geschehen, indem wir uns
bemühen, das bereits vorhandene und offen zu tage liegende Tatsachen-
material sorgfältig zu sammeln, es auf seinen wissenschaftlichen Wert
hin zu prüfen und methodisch zu verarbeiten.
Verhältnismäßig am günstigsten hierfür liegen die äußeren Be-
dingungen auf dem Gebiete der japanischen Kultursphäre. Als
wissenschaftliche Einfallspforte des fernen Ostens wird Japan noch
lange eine überragende Stellung behaupten, auch wenn es in seiner poli-
tischen und wirtschaftlichen Bedeutung in Bälde durch China verdrängt
werden sollte. Die vergleichsweise geringe Ausdehnung des ganzen
Reiches, die Entwicklung eines weitverzweigten Verkehrswesens, der
Miszellen. 245
hohe Grad der persönlichen Sicherheit, die Einheitlichkeit in Sprache und
Sitte, sie alle ermöglichen es schon heute dem Forscher, mit Leichtigkeit
auch in die entferntesten Winkel des Landes vorzudringen und sich
durch den Augenschein von den bestehenden Verhältnissen zu überzeugen.
Endlich ist in den letzten Jahrzehnten hier auch eine Sozialwissenschaft
entstanden, deren Vertreter allmählich mit wachsendem Erfolge die west-
lichen Methoden zur Aufklärung der Zustände ihrer Heimat anzuwenden
beginnen.
Letzteres ist im besonderen auf dem Gebiete der Statistik ge-
schehen. Aus dürftigen Keimen ist im Laufe der Jahre ein stattlicher
Baum emporgewachsen, dessen Zweige sich über das ganze weite Feld
sozialen Geschehens auszubreiten begonnen haben. Nicht, daß sich bis-
her die japanische Statistik ernstlich mit derjenigen der großen west-
lichen Kulturnationen messen könnte. Dazu fehlt es dem emporstreben-
den Volke vorläufig ebenso sehr an den erforderlichen Geldmitteln wie
an der nötigen Zahl gründlich geschulter Arbeitskräfte. Um so wichtiger
dürfte es sein, sich einmal von der praktischen Bedeutung des bisher Ge-
leisteten Rechenschaft zu geben, besonders auch die Zuverlässigkeit des
verfügbaren Zahlenmateriales, soweit dies möglich, einigermaßen festzu-
stellen. Dies soll im folgenden geschehen. Ich beginne mit einer
Aufzählung der wichtigsten statistischen Publikationen, ohne auf Voll-
zähligkeit meiner Liste Anspruch zu erheben, um daran später einige
erläuternde Bemerkungen anzuknüpfen !).
Amtliche Statistik.
A. Ausgelöste Statistik (Publikationen selbständiger statistischer
Aemter).
I. Statistisches Zentralamt des Staatsministeriums.
1) Nihon teikoku tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch des Kaiser-
reiches Japan). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint jährlich seit Meiji 15
(1882) ?). Sprache japanisch.
2) Nihon teikoku tokei tekiyo. Mit dem Nebentitel Résumé Sta-
tistique de l’Empire du Japon. Verkürzte Ausgabe der unter 1) genannten
1) Die folgende Liste wurde mit Unterstützung von Herrn Prof. Takano, Ver-
treter der Statistik an der Kaiserl. Universität Tokyo, entworfen und von diesem, so-
wie Herrn Prof. Hanabusa, Direktor des Statistischen Zentralamtes, im Druck nachge-
prüft, wofür ich den beteiligten Herren auch an dieser Stelle meinen verbindlichen
Dank ausspreche. Ein solcher gebührt auch Herrn Dr. Hack in Tokyo für einige
Beiträge.
2) Die japanische Zeitrechnung deckt sich nicht mit der christlichen. Sie zählt
nach nengo (Jahresnamen), Perioden von verschiedener Länge, die sich gelegentlich,
seit Meiji aber immer, mit den Regierungszeiten der Kaiser decken, und deren Namen
durch Kaiserliches Edikt bestimmt werden. Die hier in Betracht kommenden sind die
Perioden Meiji (Aera der Erleuchtung) und Taisho (Aera der großen Gerechtigkeit),
deren erstere die Zeit von 1868—1912, deren zweite die Jahre 1912 ff. umfaßt. Zu
merken ist, daß Beginn und Ende der nengo nicht mit dem heute auch in Japan auf
den 1. Januar verlegten Beginn des Kalenderjahres zusammenfallen, so daß z. B. das
Jahr 1912 sowohl Meiji 45 (bis zum Tode des verstorbenen Kaisers) wie Taisho 1 zitiert
wird. Taisho 2 umfaßt dann das ganze Kalenderjahr 1913.
246 Miszellen.
Publikation. Erscheint jährlich seit Meiji 20 (1887). Sprache japanisch
und französisch.
3) Nihon teikoku jinko tokei, seit Meiji 39 (1906) unter dem ver-
änderten Titel Nihon teikoku jinko seitai tokei (Statistik des Bevölke-
rungsstandes im Kaiserreich Japan). Erscheint seit Meiji 34 (1901)
alle 5 Jahre. Sprache japanisch und mit dem 2. Bande auch französisch
mit dem Nebentitel Etat de la Population de l’Empire du Japon.
4) Nihon teikoku jinko dotai tokei. Mit dem Nebentitel Mouvement
de la population de l’Empire du Japon. Erscheint seit Meiji 35 (1902)
jährlich. Sprache japanisch und französisch.
5) Nihon teikoku shi in tokei. Mit dem Nebentitel Statistique
des Causes de Décès de l’Empire du Japon. Erscheint seit Meiji 42
(1909) jährlich. Sprache japanisch und französisch.
Außer diesen periodischen Publikationen des Statistischen Zentral-
amtes verdienen eine Anzahl monographischer Darstellungen hervor-
gehoben zu werden, und zwar im besonderen die folgenden !):
1) Eisei tokei ni kwansuru byogazu narabini tokeihyo (Statistische
Tabellen und graphische Darstellungen aus der Sanitätsstatistik). Meiji 44
(1911). Sprache japanisch.
2) Nihonjin no seimei ni kwansuru kenkyu (Untersuchung über die
Lebensdauer der Japaner). Meiji 45 (1912). Sprache japanisch.
3) Ishin igo teikoku tokei zairyo isan (Archiv für statistisches
Material des Kaiserreiches seit der Restauration). Erscheint seit Taisho 2
(1913) unregelmäßig in japanischer Sprache, und zwar wurden bisher
die folgenden Hefte veröffentlicht:
a) Minyuchi ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material über
das private Grundeigentum). Behandelt die Daten der Periode seit
Meiji 13 (1880). Taisho 2 (1913).
b) Genju jinko seitai ni kwansuru tokei zairyo. Furoku: Jinko
tokei zairyo ni kwansuru hokirui (Statistisches Material über den Stand
der Wohnbevölkerung. Anhang: Gesetzliche Bestimmungen über das
Material der Bevölkerungsstatistik). Behandelt Daten der Periode
seit Meiji 5 (1878) und enthält auch Material über die Berufsverteilung.
Taisho 2 (1913).
c) Keiji hikokumin ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material
über die im Strafprozeß Angeklagten). Behandelt Daten der Periode
seit Meiji 15 (1882). Taisho 2 (1913).
d) Jinko dotai ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material
über die Bevölkerungsbewegung). Behandelt Daten der Periode seit
Meiji 5 (1872). Taisho 2 (1913).
4) Kyusei dengen byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel
Statistique des Décès par Maladies épidémiques aiguës pendant 1899—1908.
Taisho 2 (1913). Sprache japanisch und französisch.
5) Chiho jinko nenreibetsu shiboritsu oyobi sono kijitsu (Alters-
Sterbekoeffizient in den einzelnen Verwaltungsbezirken).
1) Aus früherer Zeit seien kurz erwähnt eine Krankheitsstatistik der Staatsdruckerei
von Meiji 36 (1903) und eine Statistik der Berufssterblichkeit in Tokyo und Osaka von
Meiji 37 (1904), beide japanisch.
Miszellen. 247
a) Do fu ken betsu (in den einzelnen Verwaltungsbezirken).
Taisho 2 (1913). a
b) Dai tokwai oyobi sonotano shudan betsu (in Großstädten und
den anderen Teilgebieten der betreffenden Verwaltungsbezirke).
Taisho 3 (1914).
Sprache japanisch.
6) Kokyuki shikkwan ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel
Statistique des Décès par Affections de l’Appareil respiratoire pendant
1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch.
7) Icho byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique
des Décès par Affections de l’Appareil digestif pendant 1899—1908.
Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch.
8) Jinzoen ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique
des Décès par Néphrite pendant 1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache
japanisch und französisch.
9) Ninshin oyobi san ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel
Statistique des Décès par Maladies puerp6rales pendant 1899—1908.
Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch.
10) Gan ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique des
Décès par Cancer pendant 1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache ja-
panisch und französisch.
11) Mansei densen byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel
Statistique des Décès par Maladies épidémiques chroniques.
a) Rai ni yoru shibo tokei (Décès par Lèpre pendant 1899—1908).
b) Baidoku ni yoru shibo tokei (Décès par Syphilis pendant
1899—1908).
Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch.
Als geschichtlich bedeutungsvoll sei hervorgehoben:
Kai no kuni genzai nimbetsu shirabe (Erhebung über dis Bevölke-
rung der Provinz Kai). Meiji 15 (1882). Diese Statistik zeigt die
Ergebnisse der im 13. Jahre Meiji (1879) vom Tokeiin, dem Vorgänger
des jetzigen statistischen Zentralamts des Staatsministeriums, durch-
geführten Zählung der Bevölkerung der Provinz Kai, eines der ersten
derartigen Versuche in Japan.
I. Statistisches Amt des Generalgouvernements
von Formosa.
1) Taiwan sotokufu tokeisho (Statistik des Generalgouvernements
von Formosa). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 32 (1899)
jährlich. Sprache japanisch.
2) Rinji Taiwan koko chosa (Außerordentliche Volkszählung von
Formosa). Enthält die Ergebnisse der Volkszählung in Formosa von
Meiji 38 (1905). Meiji 39—41 (1906—1908). Sprache japanisch. Dazu:
Rinji Taiwan koko chosa kijitsu hobun (Textliche Darstellung der
außerordentlichen Volkszählung von Formosa). Meiji 41 (1908). Sprache
japanisch. Dasselbe auch englisch unter dem Titel:
The special Population Census of Formosa 1905. Report of the
Committee of the Formosa Special Census Investigation. Tokyo 1909.
248 Miszellen.
3) Taiwan jinko dotai tokei (Statistik der Bevölkerungsbewegung
auf Formosa). Erscheint seit Meiji 39 (1906) jährlich. Sprache japanisch.
Dazu:
Taiwan jinko dotai tokei kijitsu hobun (Textliche Darstellung der
Bevölkerungsbewegung auf Formosa). Erscheint seit Meiji 39 (1906)
jährlich. Sprache japanisch.
4) Taiwan genju jinko tokei (Statistik der Wohnbevölkerung von
Formosa). Erscheint seit Meiji 39 jährlich. Sprache japanisch.
B. Nicht ausgelöste Statistik.
I. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten.
1) Kaigai kakuchi zairyu hompojin shokugyo betsu hyo (Tabelle der
an verschiedenen Orten des Auslandes wohnenden Japaner nach Be-
rufen). Erscheint seit Meiji 42 (1909) unregelmäßig. Sprache japanisch.
2) Tsusho isan (Sammlung von Handelsberichten). Erscheint seit
Meiji 36 (1903) sechsmal monatlich, seit diesem Jahre zweimal wöchent-
lich. Sprache japanisch.
II. Ministerium des Innern.
1) Naimu tokei hokoku (Statistischer Bericht des Ministeriums
des Innern). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 20 (1887)
jährlich. Sprache japanisch.
2) Eisei kyoku nempo (Jahrbuch des Gesundheitsamtes). Erscheint
seit Meiji 11 (1878) jährlich. Sprache japanisch und englisch.
3) Doboku kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Bau-
amtes). Erscheint seit Meiji 26 (1893) jährlich. Sprache japanisch.
4) Nihon teikoku kowan tokei (Statistik der Häfen und Buchten
im Kaiserreich Japan). Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache
japanisch.
IH. Finanzministerium.
1) Okura nempo (Jahrbuch des Finanzministeriums). Allgemeinen
Inhaltes. Erscheint seit Meiji 9 (1876) jährlich. Sprache japanisch.
2) Financial (and Economic, seit 1902) Annual of Japan, seit 1903
auch französisch unter dem Titel Annuaire financier et économiste du
Japon, seit 1904 auch deutsch unter dem Titel Finanzielles und wirt-
schaftliches Jahrbuch von Japan. Erscheint seit 1901 jährlich.
3) Shuzei kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Steuer-
amtes). Erscheint seit Meiji 18 (1885) jährlich. Sprache japanisch.
4) Sembai kyoku nempo (Jahrbuch des Monopolamtes). Behandelt
im besonderen das Tabak-, Salz- und Kampfermonopol. Erscheint seit
Meiji 31 (1898) jährlich. Sprache japanisch.
5) Ginkoka hokoku (Bericht des Bureaus für Bankwesen). Er-
scheint seit Meiji 13 (1880) jährlich, seit Meiji 14 (1881) unter dem
Titel Ginko kyoku hokoku (Bericht des Bankamtes), seit Meiji 26
(1893) unter dem Titel Ginko eigyo hokoku (Berichte über das Bank-
wesen), endlich seit Meiji 39 (1906) unter dem Titel Ginko oyobi
tampotsuki shasai shintaku jigyo hokoku (Bericht über Bankwesen und
Miszellen. 249
Vermögensverwaltung in verpfändbaren Schuldscheinen). Sprache ja-
panisch.
6) Ginko soran (Ueberblick über die Banken). Erscheint seit Meiji
27 (1894) jährlich. Sprache japanisch.
7) Dai Nihon gaikoku boeki nempyo, mit dem Nebentitel Annual
Return of the Foreign Trade of the Empire of Japan. Erscheint seit
- Meiji 15 (1882) jährlich. Sprache japanisch und englisch.
8) Dai Nihon gaikoku boeki geppyo, mit dem Nebentitel Monthly
Return of the Foreign Trade of the Empire of Japan. Erscheint seit
Meiji 16 (1883) monatlich. Sprache japanisch und englisch.
9) Dai Nihon gaikoku boeki taishohyo, mit dem Nebentitel Return
of the foreign trade of the Empire of Japan for the... years from
. to... . Erscheint seit Meiji 18 (1885) unregelmäßig. Sprache
japanisch und englisch.
10) Dai Nihon gaikoku boeki gairan (Uebersicht über den japa-
nischen Außenhandel). Erscheint seit Meiji 22 (1889) jährlich. Sprache
japanisch.
11) Kinyu jiko sankosho (Materialien über Fragen des Geldmarktes).
Erscheint seit Meiji 35 (1902) unregelmäßig. Sprache japanisch.
12) Osaka zohei kyokucho nempo (Jahrbuch des Direktors des Münz-
amtes in Osaka). Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache
japanisch. Gleichzeitig erscheint seit 1875 eine englische Ausgabe
unter dem Titel Report of the Director of the Imperial Mint, Osaka.
13) Kokusai tokei Aempo (Statistisches Jahrbuch des Staatsschulden-
wesens.) Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch.
14) Chihosai tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Kommunal-
schuldenwesens). Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache ja-
panisch.
IV. Kriegsministerium.
1) Dai Nihon teikoku rikugun tokei nempo (Statistisches Jahrbuch
des Kriegsministeriums im Kaiserreich Großjapan). Allgemeinen In-
haltes. Erscheint seit Meiji 24 (1891) jährlich. Sprache japanisch.
V. Marineministerium.
1) Kaigun nempo (Jahrbuch des Marineministeriums). Allgemeinen
Inhaltes. Erscheint seit Meiji 18 (1885) jährlich. Sprache japanisch.
VI. Justizministerium.
1) Nihon teikoku shiho keiji tokei nempo (Statistisches Jahrbuch
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Kriminalsachen).
Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache japanisch.
2) Nihon teikoku shiho minji tokei nempo (Statistisches Jahrbuch
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Zivilsachen). Er-
scheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache japanisch.
3) Nihon teikoku shiho toki tokei nempo (Statistisches Jahrbuch
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Registerwesen). Er-
scheint seit Meiji 20 (1887) jährlich. Sprache japanisch.
250 Miszellen.
4) Shihosho kangoku kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch
der Abteilung für Gefängniswesen im Justizministerium). Erscheint seit
Meiji 36 (1903). Sprache japanisch.
VII. Unterrichtsministerium.
1) Mombusho nempo (Jahrbuch des Unterrichtsministeriums). All-
gemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache
japanisch.
VIII. Ministerium für Ackerbau und Handel.
1) Noshomu tokei nempo. Mit dem Nebentitel Statistical Report
of the Department of Agriculture and Commerce. Allgemeinen Inhalts.
Erscheint seit Meiji 17 (1884) jährlich. Sprache japanisch und englisch.
2) Noshomu tokei hyo (Statistische Tabellen des Ministeriums für
Ackerbau und Handel). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 19
(1886) jährlich. Sprache japanisch und englisch.
3) Sangyo kumiai yoran (Uebersicht über die Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften). Erscheint seit Meiji 37 (1904) jährlich. Sprache
japanisch.
4) Noshomu shoko iho (Berichte über Handel und Industrie). Er-
scheint seit Meiji 38 (1905) monatlich. Sprache japanisch.
5) Zenkoku seishi kojo chosa hyo (Tabellen über die Erhebungen
in Textilfabriken des ganzen Landes). Erscheint seit Meiji 39 (1906)
jährlich. Sprache japanisch. =
6) Hompo kogyo ippan (Ueberblick über den japanischen Bergbau).
Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch und eng-
lisch.
7) Tokkyo kyoku nenkan (Jahrbuch des Patentamtes). Erscheint
seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch.
8) Sanrin tokei hyo (Statistische Tabellen über das Forstwesen).
Erscheint seit Meiji 41 (1908) jährlich. Sprache japanisch.
9) Hoken nenkan (Jahrbuch des Versicherungswesens). Erscheint
seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch.
10) Suisan tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch über die Meeres-
produktion). Erscheint seit Meiji 43 (1910) jährlich. Sprache japanisch.
11) Zenkoku kojo tokei (Fabrikstatistik des ganzen Landes). Er-
scheint seit Meiji 31 (1898) unregelmäßig. Sprache japanisch.
12) Kojo chosa tokei hyo (Statistische Tabellen der Erhebungen über
die Fabriken). Erscheint seit Meiji 35 (1902) unregelmäßig. Letzte
Publikation Taisho 2 (1913). Sprache japanisch.
13) Kojo eisei oyobi saigai tokei hyo (Statistische Tabellen über
den Gesundheitszustand und die Unfälle in Fabriken). Meiji 35 (1903).
Sprache japanisch.
14) Kojo saigai tokei (Fabrikunfallstatistik). Meiji 41 (1908).
Sprache japanisch.
15) Kojo oyobi shokko (Fabriken und Fabrikarbeiter). Erscheint
seit Meiji 41 (1908) unregelmäßig. Letzte Publikation Meiji 43 (1910).
Sprache japanisch.
Miszellen. 251
16) Chikusan tokei (Viehstatistik). Erscheint seit Meiji 42 (1909)
unregelmäßig. Letzte Publikation Taisho 1 (1912). Sprache japanisch.
17) Kojo tokei fu ken betsu hyo (Statistische Tabellen der Fabriken
nach Verwaltungsbezirken). Meiji 44 (1911). Sprache japanisch.
IX. Verkehrsministerium.
1) Teishinsho nempo (Jahrbuch des Verkehrsministeriums). All-
gemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 21 (1888) jährlich. Sprache
japanisch.
2) Tetsudo kyoku nempo, später unter dem Titel Tetsudo sakugyo
kyoku nempo, jetzt unter dem Titel Tetsudoin nempo (Jahrbuch des
Eisenbahnamtes). Erscheint sei Meiji 20 (1887) jährlich. Sprache ja-
panisch.
3) Tetsudoin tokei zuhyo (Graphische Darstellung und Tabellen
der Statistik des Eisenbahnamtes). Erscheint sei Meiji 33 (1900) jähr-
lich. Sprache japanisch.
4) Yubin chokin kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des
Postsparkassenamtes). Erscheint seit Meiji 24 (1891) jährlich. Sprache
japanisch.
5) Tsushin tokei yoran (Statistischer Ueberblick über das Nach-
richtenwesen). Erscheint seit Meiji 31 (1898) jährlich. Sprache ja-
panisch.
X. Kolonialstatistik (mit Ausnahme derjenigen Formosas).
1. Hokkaido.
Hokkaido tokeisho (Statistik von Hokkaido). Allgemeinen Inhalts.
Erscheint seit Meiji 25 (1892) jährlich. Sprache japanisch.
2. Kwangtung.
Kwanto sotokufu tokeisho (Statistik des Generalgouvernements
Kwangtung). Allgemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 40 (1907) jähr-
lich. Sprache japanisch.
3. Korea.
a) Chosen tokwanfu tokei nempo, später unter dem Titel Chosen
sotokufu tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Generalgouvernements
Korea). Allgemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich.
Sprache japanisch.
b) Kwankoku tetsudo kwanri kyoku nempo (Jahrbuch des korea-
nischen Eisenbahnamtes). Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache
japanisch.
c) Chosen tokwanfu tsushin jigyo nempo, später unter dem Titel
Chosen sotokufu tsushin jigyo nempo (Jahrbuch für das Kommunikations-
wesen des Generalgouvernements Korea). Erscheint seit Meiji 41 (1908)
jährlich. Sprache japanisch.
d) Kwankoku shisei nempo (Jahrbuch der koreanischen Verwaltung).
Erscheint seit Meiji 41 (1908) jährlich. Sprache japanisch.
Dazu seit 1908 eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel
Annual Report on reforms and progress in Chosen.
252 Miszellen.
e) Zeimu tokei (Statistik des Steuerwesens). Erscheint seit Meiji
43 (1910) jährlich. Sprache japanisch.
XI. Statistik der Verwaltungsbezirke.
Sämtliche Regierungsbezirke (Fu oder Ken)!) des japanischen Stamm-
landes geben von Amts wegen statistische Jahrbücher (tokeisho, -nempyo,
-zensho) allgemeinen Inhalts heraus. Diese sind fast ausnahmslos bloße
Tabellenwerke ohne textliche Verarbeitung. Ihre Aufzählung im ein-
zelnen darf unterbleiben.
Für die neuere Zeit sei erwähnt:
Keishicho jimu nempyo, später Keishicho tokeisho (Statistik des
Polizeipräsidiums, d. h. von Tokyo). Allgemeinen Inhaltes für Tokyo
Stadt und Regierungsbezirk. Erscheint seit Meiji 11 (1878) jährlich.
Sprache japanisch.
Außer diesen statistischen Jahrbüchern veröffentlichen die Regie-
rungsbezirke unter entsprechendem Titel noch gelegentlich Sonderpubli-
kationen über Polizei und Gefängniswesen, Schulwesen, Gesundheits-
wesen, Industrie usw.
XII. Städtestatistik.
1. Tokyo.
a) Tokyoshi tokei nempyo (Statistisches Jahrbuch der Stadt Tokyo).
Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 36 (1903) jährlich. Sprache
japanisch, seit Meiji 40 (1907) japanisch und englisch mit dem Neben-
titel Annual Statistics of the City of Tokyo.
b) Tokyoshi shisei chosa (Allgemeine Volkszählung der Stadt Tokyo,
und zwar von Meiji 41, d. h. 1908). Sprache japanisch. Im einzelnen:
Gempyo (Tabellen), 5 Bände, Meiji 42—43 (1909—1910).
Gaisu hyo (Allgemeine Zahlen), Meiji 42 (1909).
Shokugyo betsu genzai jinko hyo (Tabellen der ortsanwesenden Be-
völkerung nach Berufsklassen.. Meiji 44 (1911).
Hirei hen (Verhältniszahlen), Meiji 45 (1912).
2. Kyoto.
a) Kyotoshi tokeisho (Statistik der Stadt Kyoto). Allgemeinen In-
halts. Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch.
b) Kyotoshi rinji jinko chosa yokei hyo (Allgemeine Tabellen der
außerordentlichen Volkszählung der Stadt Kyoto, u. zw. von Meiji 44,
d. h. 1911). Taisho 1 (1912). Sprache japanisch. Der die Berufs-
zählung behandelnde 2. Band ist unterdessen (Taisho 2, d. h. 1913)
ebenfalls erschienen, doch ist er noch nicht in meine Hände gelangt,
so daß ich seinen genauen Titel nicht anzugeben vermag.
3. Osaka.
a) Osakashi tokeisho (Statistik der Stadt Osaka). Allgemeinen In-
halts. Erscheint seit Meiji 33 (1900) jährlich. Sprache japanisch.
Dazu eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel Statistical
Abstract for Osaka. Erscheint seit 1907 jährlich.
: 1) Die Verwaltungsbezirke der drei großen Städte Tokyo, Kyoto und Osaka
heißen Fu, die übrigen Ken.
Miszellen. 253
4. Yokahama.
a) Yokohamashi tokeisho (Statistik der Stadt Yokohama). Allgemeinen
Inhalts. Erscheint seit Meiji 36 (1903) jährlich. Sprache japanisch.
Dazu eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel Summary
of the Yokohama City Annual Statistics. Erscheint seit 1903 etwa
alle 2 Jahre.
5. Kobe.
a) Kobeshi tokeisho (Statistik der Stadt Kobe). Allgemeinen In-
halts. Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch.
b) Kobeshi rinji shisei chosa yokei hyo (Allgemeine Tabellen der
außerordentlichen Volkszählung der Stadt Kobe, und zwar von Meiji 41,
d. h. 1908). Meiji 42 (1909). Sprache japanisch.
c) Kobeshi rinji shisei chosa jinko oyobi shokugyo tokei hyo
(Statistische Tabellen der Bevölkerung und Berufe der außerordent-
lichen Volkszählung der Stadt Kobe, und zwar von Meiji 41, d. h. 1908).
Meiji 43 (1910). Sprache japanisch.
6. Kumamoto.
a) Kumamotoshi tokeisho, später unter dem Titel Kumamotoshi
tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch der Stadt Kumamoto). Allgemeinen
Inhalts. Erscheint seit Meiji 32 (1899) jährlich. Sprache japanisch.
b) Kumamotoshi shokugyo tokei (Berufsstatistik der Stadt Kumamoto,
und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 41 (1908). Sprache japanisch.
c) Kumamotoshi shoko eigyo tokei (Gewerbestatistik der Stadt
Kumamoto, und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 42 (1909).
Sprache japanisch.
d) Kumamoto shimin nenrei oyobi enji mibun betsu ichiran hyo
(Tabellarische Uebersicht über die Einwohner der Stadt Kumamoto nach
Alter und Personenstand, und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 41
(1908). Sprache japanisch.
Außer den genannten veröffentlichen noch eine ganze Reihe anderer
Städte alljährlich statistische Jahrbücher in japanischer Sprache, wie
Shizuoka seit Meiji 34 (1901), Nagoya seit Meiji 36 (1903), Kofu seit
Meiji 38 (1905), Fukui seit Meiji 41 (1908), Hakodate seit Meiji 41
(1908), Kanazawa seit Meiji 42 (1909), Wakayama seit Meiji 43 (1910),
Niigata seit Meiji 44 (1911) usw.
Wegen ihrer Bedeutung für die Berufsstatistik seien in diesem Zu-
sammenhange noch zwei Publikationen genannt:
1) Sapporoku kusei chosa (Volkszählung der Stadt Sapporo, und
zwar von Meiji 42, d. h. 1909). Meiji 43 und 44 (1910 und 1911).
Sprache japanisch.
2) Niigataken Sadogun gunsei chosa temmatsu oyobi gempyo (Text-
liche Darstellung und Tabellen der Volkszählung des Bezirks Sado im
Regierungsbezirk Niigata, und zwar von Meiji 42, d. h. 1909). Meiji 45
(1912). Sprache japanisch.
Private Statistik.
‚ Neben der großen Zahl amtlicher Publikationen nehmen die mehr
privaten Charakters einen verhältnismäßig bescheidenen Raum ein. Zu
254 Miszellen.
erwähnen wären die Statistischen Jahrbücher der Handelskammern, unter
denen diejenigen von Tokyo und Kyoto, Osaka und Nagoya, Yokohama,
Kobe und Nagasaki hervorragen. Weiter die regelmäßigen bzw. gelegent-
lichen Veröffentlichungen der großen Banken, insbesondere der Nippon
Ginko (Bank von Japan) und der großen Produkten- und Effektenbörsen,
namentlich der in Tokyo und Osaka. Als beliebte Quelle der Infor-
mation für Ausländer sei das vom Japan Year Book Office in Tokyo
seit 1905 alljährlich herausgegebene Japan Year Book allgemeinen In-
halts erwähnt. Als Zeitschriften die folgenden:
1) Tokei shushi (Statistische Zeitschrift), herausgegeben von der Tokyo
tokei kyokai (Statistischer Verein von Tokyo). Erscheint seit November
des Jahres Meiji 13 (1880), zuerst unregelmäßig, seit Dezember 1881
als Monatsschrift. Sprache japanisch.
2) Statistic zasshi, später unter dem Titel Tokei gaku zasshi (Zeit-
schrift für statistische Wissenschaft), herausgegeben von der Statistic
sha, später Tokei gaku sha (Verein für statistische Wissenschaft). Er-
scheint seit Meiji 19 (1886) als Monatsschrift. Sprache japanisch.
3) Taiwan tokei kyokai zasshi (Zeitschrift des Vereins für for-
mosanische Statistik), herausgegeben von der genannten Vereinigung.
Erscheint seit Meiji 36 (1903) alle zwei Monate und seit Meiji (1909)
allmonatlich. Sprache japanisch.
Ueberblickt man diese Liste, so fällt zunächst geschichtlich in die
Augen, daß die moderne japanische Statistik in ihren Anfängen kaum
über die Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreicht !).
Die Begründung eines besonderen statistischen Amtes am 24. Dezember
1871, das zunächst als Unterabteilung einer umfassenderen Behörde ins
Leben trat, leitet die Entwicklung ein. Etwa um dieselbe Zeit be-
ginnen dann auch einzelne Ministerien, so das Finanzministerium, das
Justizministerium, das Unterrichtsministerium, statistische Jahrbücher
herauszugeben. Ein am 17. Mai 1876 in Tokyo abgehaltener statistischer
Kongreß sucht durch die Aufstellung gewisser leitender Grundsätze den
gemeinsamen Arbeiten im ganzen Lande eine einheitliche Richtung zu
geben. Aber erst die Errichtung des Tokei in als selbständiges
statistisches Zentralorgan am 30. Mai 1881 bringt die entscheidende
Wendung. Seitdem hat sich die japanische Statistik, die seit 1899
auf den internationalen statistischen Kongressen auch durch eigene
Repräsentanten vertreten ist, vor allem in die Breite entwickelt. Doch
scheint die finanzielle Bedrängnis der letzten Jahre auch auf diese
Bestrebungen lähmend eingewirkt zu haben.
Sucht man sich nun über das bisher Erreichte ein Urteil zu
bilden, so ist in formeller Hinsicht folgendes hervorzuheben:
1) Genaueres darüber vgl. in einem Nihon teikoku chuo tokei kikwan enkaku
ichiran (Ueberblick über die Geschichte des Statistischen Zentralamtes des Kaiserreichs
Japan) betitelten Aufsatz von Jiro Takahashi in der Januarnummer der Tokei shushi
von Meiji 44 (1911), welcher die geschichtliche Entwicklung des Amtes von 1871
bis 1911 behandelt.
Miszellen. 255
Die herrschende Sprache ist die japanische, so daß die über-
wiegende Mehrzahl der vorliegenden Publikationen direkt nur dem-
jenigen zugänglich ist, der nicht nur die japanische Umgangssprache,
sondern auch die chinesische Zeichenschrift versteht. Doch gibt es Aus-
nahmen. Einige der wichtigeren Veröffentlichungen liegen auch in fremd-
sprachigen Ausgaben vor, wobei für einige Aemter das Französische
(z. B. Statistisches Zentralamt des Staatsministeriums), für andere das
Englische (z. B. Finanzministerium, Ministerien für Ackerbau und Handel),
das Deutsche nur verschwindend selten (z. B. im Jahrbuch des Finanz-
ministeriums) als Vermittler dient. Und zwar handelt es sich dann ent-
weder um durchaus fremdsprachige Veröffentlichungen (z. B. Financial
and Economic Annual of Japan, Report of the Director of the Imperial
Mint), die neben japanischen derselben Art herlaufen, oder um solche,
die in Tabellen und Text das Japanische und eine der europäischen
Sprachen gemischt enthalten (z. B. einige Publikationen des Statistischen
Zentralamtes). Immer aber sind es dann solche Statistiken, welche die
Japaner aus wissenschaftlichen oder praktischen Gründen dem Aus-
land zugänglich zu machen wünschen, ein Moment, das unter Umständen
ins Gewicht fallen kann.
2) In der Gesamtmasse der statistischen Publikationen tritt bis auf
die neueste Zeit die ausgelöste Statistik verhältnismäßig zurück. Neben
dem Statistischen Zentralamt des Staatsministeriums kommt als selb-
ständiges statistisches Amt nur noch dasjenige des Generalgouverne-
ments von Formosa in Betracht. Das ist bedeutungsvoll, weil solche von
anderen Behörden losgelöste statistische Aemter im allgemeinen ein
höheres Maß von Objektivität gewährleisten, und wichtig besonders in
Japan, wo eine gewisse Neigung, die Ergebnisse der Statistik, erforder-
lichenfalls mit den erwünschten Modifikationen, in den Dienst der Politik
zu stellen, noch längst nicht ausgestorben ist.
3) Die vorliegenden statistischen Publikationen sind zum erheblichen
Teile reine Tabellenwerke ohne textliche Darstellung. Darunter befinden
sich erstaunlicherweise auch solche, wie die allgemeine Volkszählung der
Stadt Tokyo von 1908, die eine gründliche Verarbeitung wahrlich ge-
lohnt hätte, und viele statistische Jahresberichte, besonders städtische.
Eingeweihte verweisen zur Erklärung auf den Mangel finanzieller Mittel.
Doch ist das keineswegs der einzige Grund, wie dies z. B. das ent-
gegengesetzte Vorgehen Kumamotos beweist. Jedenfalls erschwert der
erwähnte Umstand nicht nur die Benutzung, sondern er hat die weitere
unerwünschte Folge, daß viele Tabellenwerke so gut wie unkontrolliert
bleiben. Bringt doch gerade ihre systematische Verarbeitung die vor-
handenen Lücken oder Fehler am klarsten zu Tage.
In materieller Hinsicht wären die folgenden Punkte zu betonen :
1) So sehr sich, wie sogleich des weiteren zu erörtern sein wird,
die japanische Statistik in die Breite entwickelt hat, so fehlt ihr bis-
her doch jene solide Grundlage, wie sie allein durch regelmäßig wieder-
kehrende Volkszählungen geschaffen werden kann. Eine im Jahre 1872
durchgeführte Aufnahme der Bevölkerung hat noch immer keine Nach-
256 Miszellen.
folgerin gefunden. Bis auf die Gegenwart dient sie als Basis für die
spätere Fortschreibung, die durch eine möglichst sorgfältige Registrierung
der Bevölkerungsbewegung, verbunden mit periodischen Aufnahmen der
Registerbevölkerung nach Verwaltungsbezirken auf Grund der amtlichen
Register, ermöglicht wird. Eigentliche Volkszählungen haben seither nur
in Teilgebieten des japanischen Reiches stattgefunden. So im Jahre
1879 in der Provinz Kai, im Jahre 1905 auf der Insel Formosa, endlich
besonders in einigen größeren Städten, wie Kumamoto im Jahre 1907,
Tokyo im Jahre 1908, Kyoto im Jahre 1911. Und zwar sind mit diesen
allgemeinen Volkszählungen begrenzter Gebiete zum Teil auch Berufs-
und Gewerbezählungen verbunden worden, unter denen wegen ihrer
Wichtigkeit wiederum die Berufszählung der Stadt Tokyo eine besondere
Stellung einnimmt.
2) Im übrigen hat die japanische Statistik die verschiedensten Ge-
biete in den Bereich ihrer Betrachtungen einbezogen. Neben der Be-
völkerungsstatistik hat das Statistische Zentralamt des Staatsministeriums
im besonderen die Sanitätsstatistik gepflegt. Bei der nicht ausgelösten
Statistik nimmt den breitesten Raum die Statistik des Finanzministeriums
und die des Ministeriums für Ackerbau und Handel ein. Ersteres ver-
öffentlicht außer der eigentlichen Finanzstatistik auch eine Reihe von
statistischen Berichten über Geld- und Bankwesen und im Anschluß an
die Zollerhebuug auch über die Bewegung des Außenhandels. Auffal-
lend ist, daß unter den Sonderpublikationen des Ministeriums für Acker-
bau und Handel die eigentlich landwirtschaftlichen eher zurücktreten.
Um so kräftiger ist die Industrie- und Bergbaustatistik entwickelt, und
in der neuesten Zeit beginnt die großindustrielle Arbeiterfrage auf die
Richtung dieser Untersuchungen bedeutsam einzuwirken.
3) Noch eine letzte wichtige Frage bleibt zu erörtern: Welches
Maß von Glaubwürdigkeit ist dem uns mitgeteilten Ziffernmaterial und
seiner textlichen Verarbeitung beizumessen? Eine allgemein gültige
Antwort hierauf läßt sich nicht geben; sie wird sich von Fall zu Fall
verschieden gestalten. Was nun zunächst die für alle Statistik grund-
legenden Ergebnisse der amtlichen Bevölkerungsstatistik betrifft, so hat
sich darüber Rathgen bereits 1887 ausführlicher verbreitet !). Und da
das damals bestehende System der Erhebung des Bevölkerungsstandes
und der Bevölkerungsbewegung zwar verfeinert, in seinen Prinzipien
aber unverändert geblieben ist, so haben im wesentlichen seine damaligen
Ausführungen noch heute ihre Richtigkeit. Zu ihrer Ergänzung möge
folgendes dienen ?).
Die japanische Bevölkerungsstatistik unterscheidet eine Rechts- und
eine Wohnbevölkerung (honseki jinko und genju jinko), von welch letz-
1) K. Rathgen, Ergebnisse der amtlichen Bevölkerungsstatistik in Japan, in den
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Bd. IV,
S. 322 ff., bes. S. 323.
2) Vgl. hierzu N. Hanabusa in Mouvement de la Population de l’Empire du Japon
1899, Tokyo 1902, Préface; in État de la Population de l’Empire du Japon au 31. 12.
1903, Tokyo 1906, Introduction; und in Mouvement de la Population de (Empire du
Japon 1899—1908, Tokyo 1912, Preface und pp. 19*ff. (Abdruck der betreffenden
Ministerialverordnung und der dazu gehörigen Reglements.)
Miszellen. 257
terer sie außer den Individuen auch die Haushalte (genju kosu) erhebt 1).
Sie stützt sich dabei, wie gesagt, nicht auf eine eigentliche Volkszählung,
wohl aber auf eine im Anschluß an die Reorganisation der Familienregister
im Jahre 1872 erfolgte Aufnahme der Rechtsbevölkerung. „Ce registre“,
sagt Hanabusa, „a été créé d'après le procédé d'un véritable recense-
ment de la population. On releva alors la population présente en lin-
scrivant sur le registre des familles dans chaque localité ou se trouvait
le chef de famille. Ceux qui habitaient en dehors de leur propre domi-
cile étaient inscrits sur le registre des familles et aussi sur un registre
spécial comme émigrants temporaires (kiriu).“ Eine Wiederholung dieser
Bevölkerungsaufnahme in irgend welcher Form hat, wie gesagt, nicht
stattgefunden. Vielmehr erfolgt die Ermittlung des Bevölkerungsstandes
späterer Jahre mit Hilfe eines Rechenverfahrens. „La population lé-
gale“, heißt es weiter, „est calculée d’après les résultats des inscriptions
ou des radiations faites par les déclarations de naissances et de décès
de chaque année ainsi que des changements de domicile; depuis 1872
jusqu’en 1898 (excepté 1877 et 1878) on a publié tous les ans le chiffre
de la population de chaque commune, de chaque arrondissement et de
chaque district (do, fu et ken), calculé de cette manière; depuis 1898
on relève tous les cinq ans la population d'après le No. 1 des Instruc-
tions du Cabinet Impérial de cette même année.“
Die statistisch wichtige Reform des genannten Erlasses vollzog sich
in Verbindung mit einer grundsätzlichen Reorganisation des standesamt-
lichen Registerwesens. Die bisherige Dezentralisation des Zählungs-
prozesses bei den Ortsbehörden wurde durch eine Zentralisation desselben
beim Statistischen Zentralamte ersetzt. Hatten die ersteren bis Anfang
1899 für jede einzelne Gemeinde statistische Tabellen angelegt, so daß
der Zentralinstanz nur deren Weiterverarbeitung verblieb, so wurden sie
nunmehr angewiesen, die von ihnen geforderten Auskünfte über Ehe-
schließungen, Ehescheidungen, Geburten, Todesfälle usw. nach den
standesamtlichen Registern und anderen authentischen Dokumenten in
eigens zu diesem Zwecke gelieferte Zählkarten einzutragen und diese
in dreimonatlichen Zwischenräumen an die Zentralstelle einzusenden.
Sicherlich war damit wenigstens die Statistik der Bevölkerungsbewegung
auf eine neue Basis gestellt.
1) „La population légale“, erklärt Hanabusa, „est celle qui a son domicile dans
une ‚commune (shi, cho et son ou grande ville, ville et village); c’est-A-dire celle qui
y est inscrite sur un registre appelé Koseki ou registre des familles. On inscrit sur ce
registre, sauf des cas particuliers, chaque famille formée de ses propres membres.
D’après lesprit de la loi sur le registre des familles, promulguée en 1871, il résulte
que les inscriptions de tous les membres devront être faites, sauf des cas particuliers,
sur le livre de lieu ou se trouve l'habitation du chef de famille, soit qu’il s’y trouve,
soit qu'il habite une autre commune. Plus tard, par un changement apporté à lap-
plication de cette loi, cette inscription a pu être faite en dehors du lieu de résidence
du chef de famille. Mais tous les membres d’une famille doivent toujours être inscrits
sur le même registre que leur chef. La population résidente est au contraire celle qui
est fixée dans une localité. Le ménage de cette population mest pas non plus le même
que la famille de la population légale. Il est l'unité d'un moyen d'existence et signifie
feu dE TN On le relève dans le lieu où il se trouve. (Etat de la population ete.,
D .
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 17
258 Miszellen.
Was endlich die Wohnbevölkerung betrifft, so ist diese überhaupt nie-
mals regelrecht erhoben worden. Seit dem Jahre 1885 hat man ihren Stand
alljährlich oder in fünfjährigen Intervallen derart veröffentlicht, daß man
der Zählung die berechneten Ziffern der Rechtsbevölkerung zugrunde legte
und diese mit Hilfe der Zahlen der zeitweilig Zu- oder Abgewanderten
und der in Kasernen, Gefängnissen und Kriegsfahrzeugen vorhandenen
Effektivbestände korrigierte.
Die Zuverlässigkeit all dieser Daten hängt demgemäß allein von der
Genauigkeit der Listenführung und des Meldewesens, und soweit die
Statistik des Bevölkerungsstandes in Frage steht, von der Solidität der
ersten Grundlage ab, auf der sich das ganze weitere Kalkül aufbaut. Daß
diese eine recht fragwürdige ist, wird von dem Leiter des Statistischen
Zentralamtes keineswegs bestritten. „On n’a plus le moyen d'apprécier
l’exactitude des chiffres de 1872; mais on y remarque plus ou moins
les traces des doubles emplois et des omissions.“ Aber auch für die
übrigen Zahlen möchte er sich nicht verbürgen. „De plus“, fährt er
fort, „les résultats du mouvement quon emploie comme éléments de
calcul ne sont pas toujours exacts, car on compte tous les ans un
nombre assez considérable de naissances ou de décès déclarés tardive-
ment par négligence ainsi que des radiations d'individus ayant deux
domiciles et des inscriptions d’individus sans domicile.“ Und diese Un-
sicherheit steigert sich eher noch bei der Wohnbevölkerung. „En géneral“,
heißt es an anderer Stelle, „les chiffres incertains de la population ré-
sidente proviennent de l'inexactitude des registres d’6migration en d’im-
migration temporaires. Cette inexactitude résulte principalement de la
fréquence des déplacements aussi bien que de lexécution du travail
par le personnel des mairies.“ Neuere Ministerialverfügungen hätten
dem Unwesen zu steuern gesucht; da ihnen aber die rückwirkende Kraft
fehle, so sei man noch weit davon entfernt, exakte Verhältniszahlen der
Zu- und Abgewanderten zu erhalten. Nach alledem versteht man es, wenn
auch Hanabusa eine Volkszählung fordert, und wundert sich fast ein wenig,
wenn er hinzufügt, der Unterschied zwischen Kalkül und Wirklichkeit
sei doch nicht groß genug, um uns die allgemeine Lage der japanischen
Bevölkerung nicht erkennen zu lassen.
Besonders charakteristisch für den heutigen Zustand ist der Unter-
schied zwischen Rechts- und Wohnbevölkerung. In manchen Bezirken
mit starkem Bevölkerungswechsel, wie z. B. in Tokyo, durchaus natür-
lich, müßte sich diese Differenz bei einigermaßen genauer Listenführung
für das ganze Land ausgleichen, oder einen Ueberschuß zugunsten der
Rechtsbevölkerung ergeben, weil diese ja außer den in der Heimat
lebenden auch alle diejenigen Japaner umfaßt, die, obwohl in die Ko-
lonien oder in das Ausland abgewandert, ihren rechtlichen Wohnsitz im
Mutterlande behalten. Tatsächlich ergibt sich jedoch aus den erwähnten
Gründen regelmäßig eine Differenz zugunsten der Wohnbevölkerung. Zu
Rathgens Zeiten, d. h. im Jahre 1885, ziemlich unbedeutend, nämlich für
ganz Japan 106082 (37868987 Rechtsbevölkerung gegen 37975069
Wohnbevölkerung), hat sich dieser Zwiespalt im Laufe der Jahre derart
gesteigert (2153682, nämlich 49588804 Rechtsbevölkerung gegen
Miszellen. 259
51 742486 Wohnbevölkerung im Jahre 1908) 1), daß diese Ziffern eigent-
lich einen rein imaginären Charakter angenommen haben ?).
Jedenfalls stehen für den Fall einer allgemeinen Volkszählung, die
über kurz oder lang doch einmal kommen muß, allerhand Ueberraschungen
bevor. Einen gewissen Vorgeschmack des zu Erwartenden gewähren
die folgenden Zahlen). Es ergab die schon mehrfach erwähnte Volks-
zählung vom 1. Oktober 1908 für die Stadt Tokyo eine tatsächliche
Bevölkerungszahl von 1626103 Einwohnern. Für den 31. Dezember
desselben Jahres bezifferte das städtische Statistische Amt die Rechts-
bevölkerung auf 1139029, die Wohnbevölkerung auf 2168151; das
Polizeipräsidium die Rechtsbevölkerung auf 894203, die Wohnbevölke-
rung auf 1468068, und zwar in allen Fällen für die 15 inneren
Stadtbezirke, zu deren Einwohnerzahl die zuerst genannte Volkszählung
noch 37984 auf der Wasserfläche (suimen) hausende Personen hinzu-
gerechnet hat, die in den beiden anderen Zählungen jedenfalls nicht be-
sonders genannt sind. Ein Kommentar erübrigt sich.
Wenn also Rathgen vor 30 Jahren noch mit einigem Rechte sagen
konnte, im allgemeinen dürften die Bevölkerungszahlen richtig sein,
obschon einiger Unterschied bestehe zwischen den großen Städten
oder den straff verwalteten Bezirken der Mitte und des Nordens
und den Landbezirken oder den entlegeneren Bezirken des Südens,
so gilt das heute nicht mehr in demselben Maße. Die japanische
Bevölkerung in allen ihren Teilen, immer weiter und schneller in den
Wirbeltanz des kapitalistischen Produktions- und Verkehrsprozesses
hineingezogen, widerstrebt dem altertümlichen Erhebungsverfahren, das
sich unter stabileren Lebensverhältnissen sehr wohl bewähren mochte.
Rechts- und Wohnbevölkerungsziffern, darauf berechnet, sich zu ergänzen
und zu kontrollieren, klaffen immer weiter auseinander und führen
sich wechselseitig ad absurdum. So ist denn die Durchführung
einer allgemeinen Volkszählung nach modernen Prinzipien unumgäng-
lich notwendig, wenn nicht in absehbarer Zeit die ganze japanische
Statistik, soweit sie mit der Statistik des Bevölkerungstandes irgendwie
in Zusammenhang steht, ein Wahngebilde werden soll.
Dennoch wäre es verfehlt, dieses kritische Ergebnis zu verallge-
meinern und unbesehen auf alle anderen Teilgebiete der japanischen
Statistik zu übertragen. Denn nur eine eindringende wissenschaft-
liche Detailforschung wird hier die Grundlage für ein abschließendes
Urteil liefern können, wie Grünfeld das mit Erfolg für die Statistik
der japanischen Auswanderung versucht hat?). Was ich selber dazu
beizusteuern habe, wird zu gegebener Zeit am geeigneten Orte vor-
1) Résumé Statistique de l’Empire du Japon, 27. Année, Tokyo 1913, pp. 10 ff.
2) Uebrigens beschränkt sıch dies keineswegs auf die bloße Bevölkerungszahl. So
erwähnt Hanabusa z. B., daß für 1903 das Verhältnis von Männern und Frauen bei
der Rechtsbevölkerung 102 zu 100, bei der Wohnbevölkerung 103 zu 100 betrug.
3) Tokyoshi shisei chosa, I., Gempyo, p. 4. The seventh Annual Statistics of the
City of Tokyo, Tokyo 1910, pp. 113ff. Keishicho tokeisho, Tokyo 1909, pp. 63 ff.
4) Ernst Grünfeld, Die japanische Auswanderung. Supplement zu den Mit-
teilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Bd. XIV,
Tokyo 1913, 8. 11 ff.
17*
260 Miszellen,
gebracht werden. Hier will ich dem bisher Gesagten abschließend nur
noch einige allgemeine Betrachtungen anfügen.
Der überspannten Japanbegeisterung vergangener Jahre ist heute
eine ebensolche Japanskepsis gefolgt, und es ist Mode geworden, allen
Lebensäußerungen des Inselvolkes mit Mißtrauen zu begegnen. Wenn
nun für die Zuverlässigkeit einer Statistik neben der technischen Schu-
lung des damit befaßten Personales im besonderen auch die Lauterkeit
maßgebend ist, mit der sich alle Beteiligten die Lösung ihrer gemein-
samen Aufgabe angelegen sein lassen, so ist zunächst zu betonen, daß
die Japaner schon aus dem Bestreben heraus, von den Europäern auch
auf diesem Gebiete als ebenbürtig anerkannt zu werden, gegen früher
erhebliche Fortschritte gemacht haben.
Allerdings ist einschränkend zu bemerken, daß die seminaristische,
d. h. die eigentlich wissenschaftliche, Ausbildung des jugendlichen Nach-
wuchses auf den japanischen Universitäten noch zu wünschen übrig läßt und
im allgemeinen keinesfalls mit der in Deutschland erreichten auf gleiche
Stufe zu stellen ist !). Wenn also von Männern, wie Hanabusa, Takano und
ihresgleichen, geleitete und kontrollierte Arbeiten unser volles Vertrauen
verdienen, so gilt das doch nicht ohne weiteres von allen anderen;
auch scheint mir das häufige Fehlen einer textlichen Verarbeitung des
gebotenen Tabellenmateriales darauf hinzudeuten, daß man sich hie und
da im wissenschaftlichen Sattel noch nicht so recht zu Hause fühlt.
Bedenklich ist es weiter, daß in der Masse des japanischen Volkes
der strenge Wahrheitssinn noch unentwickelt ist. Man begnügt sich
nur zu gern mit einem Ungefähr, wenn sich nur allenfalls dabei leben
läßt. Gerade aber, daß dies in unserer modernen Welt, wo man doch auch
eine Rolle spielen möchte, nicht mehr geht, diese wichtige Erkenntnis wird
dem gelehrigen Volke durch seine wirtschaftlichen wie politischen Er-
fahrungen mit unbarmherziger Härte eingehämmert. Genau, wie die
Japaner also zu lernen im Begriffe sind, daß es sich auf die Dauer nicht
zahlt, dem Auslande kontraktwidrige Waren zu liefern, da man dadurch
seine Kunden verliert, so werden sie immer deutlicher einsehen und
haben es bereits getan, daß es keinen Zweck hat, denen durch ge-
färbte Statistiken Sand in die Augen zu streuen, auf deren Vertrauen
man vielleicht einmal angewiesen ist, oder gar sich in wichtigen An-
gelegenheiten selbst etwas vorzuspiegeln. Und weil das so ist, habe
ich die Ueberzeugung, daß die japanische Statistik, alles in allem ge-
nommen, heute schon besser ist als ihr Ruf.
1) Um dem dringendsten Bedürfnis zu genügen, wurde 1882 unter dem Namen
Kyoritsu tokei gakko eine statistische Schule gegründet, die von 1882—1885 im ganzen
36 Statistiker ausbildete. Sie besteht meines Wissens heute nicht mehr.
Miszellen. 261
VI.
Erklärung.
Wie ich erfahre, hat Herr Major Haushofer einen Ausdruck meiner
im Märzheft dieser Zeitschrift erschienenen Besprechung seines Buches
Dai Nihon anders aufgefaßt, als er gedacht war, obwohl der darauf
folgende Satz doch ausdrücklich dazu bestimmt ist, ihm alles Ver-
letzende zu nehmen. Ich trage kein Bedenken zu erklären, daß mir
nichts ferner gelegen hat, als den Verfasser persönlich verletzen zu
wollen, und nehme daher den, wie es scheint, in seiner Tragweite miß-
verständlichen Ausdruck „ein leiser Hauch der Unwahrhaftigkeit“ zurück.
Dagegen halte ich meine sachlichen Ausstellungen, namentlich so-
weit sie den nationalökonomischen Teil des Buches, insonderheit die
Methode der Materialbeschaffung und Materialverarbeitung betreffen,
in ihrem vollen Umfange aufrecht.
Waentig.
262 Literatur.
Literatur.
I.
Verhandlungen des ständigen Arbeitsbeirates über
den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Regelung
der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit.
Wien 1913. 416 SS.
Besprochen von Prof. Dr. P. Arndt, Frankfurt a. M.
Diese Veröffentlichung des k. k. Arbeitsstatistischen Amts in
Wien enthält einen Bericht über die Verhandlungen des österreichi-
schen Arbeitsbeirates und des von diesem eingesetzten Heim-
arbeiterausschusses über den vom österreichischen Handels-
ministerium im Jahre 1911 ausgearbeiteten Entwurf eines Gesetzes be-
treffend die Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit
der Kleider-, Schuh- und Wäschewarenerzeugung. In 4 Plenar- und
9 Ausschußsitzungen, die in einem Zeitraum von 11/, Jahren (Dez.
1911 bis Mai 1913) stattfanden, wurde der Entwurf beraten. Der Bei-
rat nahm an ihm wichtige Aenderungen vor und redigierte ihn neu.
Der Hauptinhalt seiner Vorschläge war folgender (nach einer Zusammen-
fassung des Obmanns des Heimarbeiterausschusses, Dr. M. Hainisch;
vgl. S. 279 ff.): Zur „Evidenzhaltung“ der Heimarbeiter hat jeder
Unternehmer, der ‚„Stückmeister‘‘ oder Heimarbeiter beschäftigt, diese
Tatsache der Gewerbebehörde anzuzeigen und ihr eine Liste der be-
schäftigten Personen vorzulegen; eintretende Aenderungen sind der Be-
hörde von Zeit zu Zeit mitzuteilen. In den Räumen, in denen Heim-
arbeit übergeben und übernommen wird, sind die Arbeitsbedingungen
durch Plakat ersichtlich zu machen. Die Stückmeister sollen Lie-
ferungsbücher, die Heimarbeiter Lohnbücher bekommen. Ferner
ist eine Inspektion der Räume, in denen die Heimarbeit stattfindet,
sowohl durch den Gewerbeinspektor wie auch durch den Amtsarzt vor-
gesehen; unter Umständen — wenn die Räume besonders gesundheits-
schädlich sind, oder wenn eine Epidemie herrscht — kann die Arbeit
in den Räumen untersagt werden. Den Heimarbeitern wird verboten,
fremde Hilfskräfte zu halten. Kinder unter 12 Jahren dürfen
gar nicht, über 12 Jahren nur gelegentlich mitarbeiten. Der „Schwer-
punkt des Entwurfes“ liegt nach Hainisch in dem „Eingriff in
das Lohnverhältnis“. In allen Bezirken, in denen eine größere
Zahl von Heimarbeitern beschäftigt wird, sollen vom Handelsminister
Literatur. 263
Heimarbeitskommissionen, sogenannte Distriktskommissionen —
in Deutschland sagen wir „Lohnämter‘“ — bestellt werden, die sich
aus 6 Gruppen (3 Unternehmergruppen und je 1 Gruppe der „Stück-
meister“, der „Werkstattgehülfen der Stückmeister‘‘ und der „Heim-
arbeiter“) von mindestens 3 und höchstens 6 Personen und ebenso-
vielen Ersatzleuten zusammensetzen. Die Kommission „hat für die ihr
zugewiesenen Produktionszweige Mindestlöhne für die Werkstatt-
gehülfen der Stückmeister und die Heimarbeiter, Mindestpreise für
die von den Stückmeistern ihren Auftraggebern zu liefernden Waren und
sonstige Arbeitsbedingungen festzusetzen“. Zum Zustandekom-
men solcher Satzungen ist die Zustimmung sämtlicher Gruppen erfor-
derlich; innerhalb jeder Gruppe entscheidet die Mehrheit. Die Distrikts-
kommissionen sollen ferner als Einigungsämter fungieren, unter Um-
ständen Schiedssprüche fällen, Gutachten abgeben und Erhebungen ver-
anstalten können. Ueber den Distriktskommissionen der einzelnen Er-
werbszweige soll je eine Zentralkommission stehen, „der eine
Ueberprüfung der Beschlüsse der Distriktskommissionen zufallen
würde, die also auch solche Satzungen abändern dürfte, und deren
Tätigkeit darauf gerichtet sein soll, daß keine Ungleichmäßigkeit statt-
finde und nicht etwa ein Distrikt gegen den andern Lohnpolitik mache“.
„Eine tief einschneidende "Bestimmung ist die, daß, falls die Zentral-
kommission sich nicht einigen kann, der Vorsitzende derselben be-
rechtigt ist, zu dirimieren und aus eigener Machtvollkommenheit eine
Minirnallohnsatzung zu erlassen. Doch kann er dies wieder nur unter
der Kontrolle des Handelsministeriums; denn dem Handelsminister
steht das Recht zu, diese Satzung aufzuheben.“ Endlich werden die
Heimarbeitskommissionen ermächtigt, „die zwischen Unternehmern und
Arbeitern zustande kommenden Kollektivverträge nicht nur für
diese Vertragsteile, sondern auch für alle Angehörigen der betreffenden
Branche, also auch für die Außenseiter, rechtsverbindlich zu
machen“ (S. 111).
Die Beschlüsse dieser Berater des österreichischen Handelsministe-
riums lassen also an Radikalismus nichts zu wünschen übrig: Staatliche
Festsetzung von Mindestlöhnen und Rechtsverbindlichkeit der Kollektiv-
verträge für alle Gewerbeangehörigen! Höchstens hätte man noch die
sofortige Unterdrückung der Heimarbeit beschließen können! Tatsächlich
bezeichneten mehrere einflußreiche Mitglieder des Arbeitsbeirates, na-
mentlich der Gewerkschaftssekretär und Reichsratsabgeordnete Smitka,
die „gänzliche Abschaffung der Heimarbeit“ als das zu erreichende Ziel
und betonten, es „dürfe keinesfalls die Heimarbeit (durch Reformen)
lebensfähiger gemacht werden“ (S. 138, 177, 191). Sie glaubten aber,
daß ein gesetzliches Verbot der Heimarbeit einweilen noch nicht durch-
führbar sei, und zogen es daher vor, die Heimarbeit durch scharfe
„Schutz“-Maßregeln allmählich konkurrenzunfähig zu machen.
Bemerkenswert ist, daß in den langen Sitzungen des Beirats und
seines Ausschusses gegen die staatliche Festsetzung von Mindestlöhnen,
die übrigens auch schon im Entwurf des Handelsministeriums vor-
gesehen war, kein ernster grundsätzlicher Widerspruch erhoben
264 Literatur.
wurde; einige Unternehmervertreter äußerten nur gelegentlich ziemlich
schüchtern dieses oder jenes Bedenken gegen die als wichtigstes Heil-
mittel vorgeschlagene Maßregel, schickten sich dann aber bald in das,
wie es schien, Unvermeidliche. Die Debatte betraf nicht den Grundsatz
der autoritativen Festsetzung von Löhnen, sondern nur technische
Einzelheiten der Anwendung des Grundsatzes (Zentralisation oder
Dezentralisation, Befugnisse der lokalen und nationalen Kommissionen,
Abstimmung, Geschäftsgang, Befugnis und Wahl des Vorsitzenden der
Kommissionen, Anwendung des Gesetzes auf weitere Heimarbeitszweige
usw.). Die sehr wohl aufzuwerfende Frage, ob die staatliche Fest-
setzung von Mindestlöhnen den Heimarbeitern nicht mehr Schaden
als Nutzen bringen würde, wurde überhaupt nicht gestellt, offenbar,
weil man sie für überflüssig hielt. Der Ausschuß-Obmann Dr. Hai-
nisch gestand in einem seiner Berichte (S. 146), er habe lange ge-
braucht, um sich von der „Notwendigkeit“ des „autoritativen Eingriffes
in den Lohnvertrag‘‘ zu überzeugen; was er aber in seinen Berichten
zur Begründung seiner heutigen Meinung vorbrachte, ist äußerst dürftig.
Am Schluß der Hauptberatung (S. 270) wies er „zur Begründung der
Notwendigkeit der Festsetzung von Minimallöhnen‘“ auf die „ungeheure
Verbreitung der Tuberkulose“ gerade in jenen Gegenden hin, „wo
die schlechtesten Löhne gezahlt werden“. Da müßte doch zunächst der
ursächliche Zusammenhang zwischen Tuberkulose, deren Ver-
breitung wahrscheinlich auf eine ganze Reihe von Gründen zurückzu-
führen ist, und Heimarbeit nachgewiesen werden, und es wäre weiter zu
beweisen, daß die staatliche Festsetzung von Minimallöhnen das Lohn-
niveau jener Gegenden erhöhen und dadurch eine Einschränkung der
Tuberkulose hervorrufen kann, und außerdem, daß kein anderes
wirtschaftliches Mittel zu diesem Zwecke verfügbar ist.
Dies war nämlich das zweite Argument zur Begründung der
Mindestlöhne: „Anders kann man dem Heimarbeitsprobleme nicht an
den Leib rücken“ (Hainisch, S. 167). „Wer sich ernstlich mit dem
Heimarbeiterproblem beschäftigt, wird sich der Einsicht nicht ver-
schließen können, daß sich die Sozialpolitik hier in einer Zwangslage
befindet, und daß die Gesellschaft von einer Art Notrecht Gebrauch
macht, wenn sie Maßregeln auf einem Gebiet ergreift, das sonst dem
Spiele widerstreitender Interessen voll und ganz überlassen wird“ (Hai-
nisch, S. 146). Alle diese Gedankengänge sind anfechtbar. Wenn
es feststeht, daß zwei Mittel (freier Wettbewerb und Organisation) nicht
helfen, so ist damit noch nicht bewiesen, daß ein drittes Mittel (staat-
licher Zwang) hilft. Die staatliche Erzwingung höherer Löhne zerstört
in den Fällen, in denen die niedrigsten Stundenlöhne gezahlt werden,
nämlich bei geringer individueller Leistungsfähigkeit (ungelernte Frauen,
Greise, Krüppel, Jugendliche) und in technisch rückständigen In-
dustrien wie der Handweberei einfach die Arbeitsgelegenheit, raubt
also den Heimarbeitern auch noch das Wenige, was sie bis dahin haben;
und in den übrigen Fällen, in denen es sich um lebensfähige Industrien
und leistungsfähige Arbeitskräfte handelt, vermag sie das Lohnniveau
nicht oder nur unwesentlich zu erhöhen. Ich glaube das deutlich an
Literatur. 265
dem Beispiel der Heimarbeiter des rhein-mainischen Wirtschaftsgebietes
im Schlußbande unserer Frankfurter Monographiensammlung (, Die
Heimarbeit im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet“, Bd. III, 2, S. 575
—669, Jena, G. Fischer, 1914) gezeigt zu haben. i
Das dritte Argument zugunsten der Mindestlöhne war das Bei-
spiel Englands. Nun, wie die englischen Experimente ausfallen
werden, weiß jetzt noch niemand. Wer aber den Autoritätenbeweis
führen will, sollte sich neben England, dessen Sozialpolitik unter dem
Druck der Arbeiterpartei, von der die liberale Regierung abhängig ist,
in den letzten Jahren in ein sozialistisches Fahrwasser geraten ist,
doch auch Deutschlands erinnern, in dem man sozialpolitische Pro-
bleme wahrhaftig nicht leicht zu nehmen pflegt, wo aber die staatliche
Festsetzung von Mindestlöhnen noch im Jahre 1911 mit Entschieden-
heit akgelehnt worden ist, trotzdem das Zentrum, die Sozialdemokratie
und einige Volksparteiler im Reichstag eifrig für sie eingetreten waren.
Man darf sich auch nicht dadurch beirren lassen, daß in Oester-
reich wie allerwärts „die Arbeiterschaft‘“ die Festsetzung von
Mindestlöhnen für die Heimarbeiter befürwortet. Denn „Arbeiterschaft“
bedeutet doch hier im wesentlichen nur einige sozialistische Theoretiker
und Führer der großstädtischen Fabrikarbeiter. Diese aber können als
Vertreter der Heimarbeit ebensowenig anerkannt werden wie etwa
Großindustrielle als Vertreter des Handwerks. Die Fabrikarbeiter sind
ja vielfach die Konkurrenten der Heimarbeiter, und ihre Vertreter
streben meistens auch offen nach der Vernichtung der Heimarbeit, wo-
mit den Heimarbeitern der denkbar schlechteste Dienst erwiesen würde.
In den weitaus meisten Fällen kann und will eben der Heimarbeiter
— noch mehr vielleicht die Heimarbeiterin — nicht in die Fabrik gehen.
Auch dieses wichtige Moment, das von so vielen Sozialpolitikern über-
sehen wird, ergibt sich mit aller Klarheit aus unseren Untersuchungen
der Heimarbeit des rhein-mainischen Wirtschaftsgebietes wie aus den
Erhebungen Bittmanns über die Heimarbeit Badens.
Ziemlich ausführlich wurde in den Wiener Beratungen die tech-
nische Durchführbarkeit der Festsetzung von Mindestlöhnen be-
Sprochen, Man kam zu dem Ergebnis, daß in der Kleider-, Schuh-,
Wäsche-, Kürschnerwaren- und Kappenerzeugung die technischen
Schwierigkeiten überwunden werden könnten. Mir scheint indessen,
daß man die Hindernisse auch hier erheblich unterschätzt hat. Um wie
viele oft wechselnde Muster handelt es sich in diesen Erwerbszweigen,
und wie verschieden sind die Lebensverhältnisse in den Gegenden
Oesterreichs, in denen sie bestehen! Da glaubt man mit einigen wenigen
Sitzungen der Heimarbeitskommissionen in weiten Abständen durch-
zukommen! Weder der Vorsitzende der Kommission noch die Behörde,
sagte Smitka (S. 228), werde zugeben, daß etwa schon nach einem
Jahre eine Abänderung der festgesetzten Löhne versucht werde; ebenso
sprach sich Dr. Hainisch (S. 226) dahin aus, nicht nur die Unter-
nehmer, sondern auch der Unparteiische (Vorsitzende) und das Handels-
ministerium würden sich gewiß dagegen wehren, „daß jedes Jahr oder
gar alle sechs Monate die Lohnfrage aufgeworfen werde“. Wie sollen
266 Literatur.
aber bei einer so schwerfälligen Handhabung die notwendigen An-
passungen an die Erfordernisse der Konjunktur, der Mode usw. möglich
sein? Schließlich stieß auch der Wiener Ausschuß bei seinen Beratungen
auf eine Schranke, über die er trotz aller Zuversicht nicht hinweg
konnte. Bei der Erörterung der Frage, ob es zweckmäßig sei, auch der
Heimarbeit des Posamentiergewerbes den „Schutz“ des Gesetzes an-
gedeiheu zu lassen, teilte ein „Experte“, ein Großhändler, mit, daß er
37000 verschiedene Muster führe: Tressen, Hutfedern, Perlen usw.
(S. 396). Bei dieser Angabe entfiel auch den Zielbewußtesten der Mut,
für diese verschiedenen Warenarten in einigen Kommissionssitzungen
„autoritative“ Mindestlöhne auszurechnen. Der Obmann Dr. Hai-
nisch sagte in seinem Schlußwort resigniert, „es würde jedenfalls
außerordentlich schwer sein, das Prinzip der Minimallöhne auf alle
diese Muster auszudehnen‘, und der Ausschuß beschloß, von der An-
wendung des Gesetzes auf das Posamentiergewerbe Abstand zu nehmen.
Alles in allem, das Problem der staatlichen Festsetzung von
Mindestlöhnen ist auch in Oesterreich trotz der Beschlüsse des „ständigen
Arbeitsbeirates‘‘ noch lange nicht spruchreif. Alle Hauptfragen dieser
„Reform“ bedürfen noch weiterer gründlicherer Prüfung.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 267
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Haret, Sp. C., Mécanique sociale. Paris 1910. 80. 256 SS.
Verf. sucht die Gesetze der theoretischen Mechanik auf die Er-
scheinungen des gesellschaftlichen Lebens und die gesellschaftliche Ent-
wicklung anzuwenden. Es kann sich dabei aber immer nur um eine
Beschreibung der sozialen Vorgänge in den der Mechanik entnommenen
Begriffen und Ausdrücken handeln. Gewiß ist es gestattet, bildlich die
Ursachen der sozialen Aenderungen Kräfte und die Aenderungen selbst
Bewegungen zu nennen, aber dabei ist nicht zu vergessen, daß diese
Analogien nur in einem ganz abstrakten Sinne zutreffen und daß aus
ihnen keinerlei neue Erkenntnisse über das Wesen und den inneren
Zusammenhang der sozialen Erscheinungen abgeleitet werden können.
Denn in Wirklichkeit sind diese ihrem ganzen Wesen nach von den
theoretisch-mechanischen Vorstellungen verschieden. Die Dynamik kennt
nur gegebene räumliche Bewegungsquantitäten und „Kräfte“ in dem
Sinne vorgeschriebener Aenderungen von Bewegungsquantitäten und
die Statik hat es nur mit der gegenseitigen Aufhebung von Be-
wegungsquantitäten zu tun. Schlüsse aus solchen konkreten Begriffen
lassen natürlich keine konkrete Anwendung auf soziale Zustandsände-
rungen und Zustände zu. Verf. nimmt drei Gattungen von sozialen
Kräften an, wirtschaftliche, intellektuelle und moralische, und läßt
diese nach den drei Achsen eines Koordinationssystems wirken. Man
kann nun noch zugeben, daß diese drei Aenderungsursachen sich im
sozialen Leben zu einer gemeinschaftlichen Wirkung vereinigen, aber
weiter besteht keine Vergleichbarkeit zwischen dieser Vereinigung und
der Zusammensetzung in den gleichartigen und nur nach Richtung;
und Größe verschiedenen mechanischen Bewegungen. Verf. selbst findet
eine Schwierigkeit in der Anwendung des Prinzips der Trägheit auf
die sozialen „Bewegungen“. Es müßte hiernach ja, wenn die auf ein
Individuum wirkende „Kraft“ verschwindet, die demselben erteilte Be-
wegung gleichmäßig und in gleicher Richtung fortdauern. Er nimmt
diesen Satz nur „provisorisch“ an und erwartet seine Bestätigung von
dem Fortschreiten der Wissenschaft. Die Schwierigkeit entsteht aber
einfach aus der Bildlichkeit des Begriffs „Bewegung“ im Sinne von
„sozialer Zustandsänderung“. Die durch irgendeine Ursache herbei-
geführte Zustandsänderung bringt einen neuen Zustand, der fort-
dauert, bis eine neue Aenderung eintritt, der aber selbst keine Be-
wegung oder Aenderung ist. Wenn ein junger Mann unter dem Einfluß
gewisser Motive ein Handwerk erlernt und nun imstande ist, selbständig
Meister zu werden, so geht er in einen anderen Zustand über, in dem
er möglicherweise stationär bleibt. Auch alle übrigen mechanischen
268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Prinzipien, wie das d’Alembertsche Prinzip, das Prinzip der Erhaltung
der Energie, das Prinzip der kleinsten Wirkung usw., lassen sich nur in
ganz abstrakten Verallgemeinerungen auf die sozialen Erscheinungen
anwenden und die in ihren Formeln vorkommenden Geschwindigkeiten,
Quadrate der Geschwindigkeiten und solche Größen enthaltenden Inte-
grale haben für jene Erscheinungen keinerlei wirkliche Bedeutung,
weil eben die sozialen Aenderungen keine wirklichen räumlichen Be-
wegungen sind. Verf. hofft zwar viel von der Zukunft, aber tatsächlich
begnügt er sieh mit einer gewissermaßen bildlichen Darstellung des
sozialen Lebens und der sozialen Entwicklung nach dem Schema der
Prinzipien der Mechanik. Für Leser, die mit diesen Prinzipien einiger-
maßen vertraut sind, haben diese Ausführungen auch ohne Zweifel ein
gewisses Interesse, und da Verf. Professor an einer technischen Hoch-
schule ist, so hat er wohl zunächst an die Anschauungsweise der
Ingenieure gedacht. In den letzten Abschnitten des Buches treten
übrigens die mechanischen Formeln mehr und mehr zurück und der
Inhalt besteht hauptsächlich aus soziologischen und kulturgeschicht-
lichen Betrachtungen, die sich nur mehr oder weniger an die Termino-
logie der Mechanik anlehnen.
Göttingen. W. Lexis.
Michels, Robert, Probleme der Sozialphilosophie.
Bd. XVIII der Sammlung „Wissenschaft und Hypothese“. Leipzig und
Berlin, 1914. 204 SS.
Robert Michels ist eine interessante Persönlichkeit unter den mo-
dernen Soziologen. In seinem Kopfe gährt eine Fülle von Ideen, eige-
nen und fremden, und da er viel gelesen, mancherlei erlebt hat — seine
Vergangenheit ist für einen Gelehrten sehr abwechslungsreich — und
über eine große Fähigkeit der Darstellung verfügt, so weiß er in seinen
zahlreichen Büchern und Aufsätzen die mannigfachsten Fragen, die
das soziale Leben der Menschen stellt, in interessanter Weise zu formen
und zu beleuchten. Ein Musterbild dieser Methode geistvoller Be-
handlung gesellschaftlicher Phänomene bietet die vorliegende Schrift,
die übrigens — schon mit Rücksicht auf die Sammlung, in deren Rahmen
sie erscheint — mehr für ein großes Publikum als für engere Fach-
kreise bestimmt ist, und daher mit vollem Bewußtsein jede syste-
matische Gliederung des Stoffes ebenso vermeidet, wie jede auch nur
halbwegs erschöpfende Erörterung der gestellten Probleme. Der Ver-
fasser bescheidet sich von vornherein’ damit, „sachlich neue Streiflichter‘
auf alte Probleme geworfen zu haben. Es handelt sich also im Grunde
um eine Sammlung von Essays über einzelne Fragen der Soziologie —
— dieser Ausdruck wäre zweckmäßiger als der vom Verfasser gewählte
„Sozialphilosophie“ —, deren jeder ein für sich bestehendes Ganzes
darstellt; und nur bei aufmerksamer Lektüre lassen sich die Fäden
verfolgen, welche die Aufsätze untereinander verbinden: den Essay über
die Kooperation mit jenem über „Solidarität und Kastenwesen“; den
letztgenannten mit jenem über die „zeitliche Widerstandsfähigkeit des
Adels“, und diesen wieder mit jenem über Eugenetik usf. Besondere
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269
Erwähnung scheint uns der Aufsatz über die Kooperation zu verdienen,
der vor allem eine logische Gliederung der Formen der Arbeiterkoopera-
tion versucht, die historische Notwendigkeit des Entstehens neuer Ver-
bände als Reaktion gegen die atomisierenden Tendenzen des Kapitalis-
mus darlegt, die Bedeutung des ideellen Faktors in der modernen Ver-
bandsbildung betont, und vor allem auf das in jeder Kooperation
steckende negative Element — den Gegensatz der verbundenen Indi-
viduen gegen die Antagonisten hinweist. Auch das Kapitel über die
internationale Bourgeoisie ist sehr anregend; es beschäftigt sich vor-
wiegend mit der verschiedenartigen Wertung sozial bedeutsamer Quali-
täten — Besitz, Bildung, Herkunft — bei den verschiedenen Na-
tionen und forscht nach den Gründen für das verschiedenartige Ver-
halten ihrer Kaufleute im Welthandel. Allein jeder Versuch einer
detaillierten Inhaltsangabe muß versagen, weil das Charakteristische
der Schrift eben nicht in einer erschöpfenden Behandlung der gewählten
Themen, sondern in geistreichen Bemerkungen besteht. Nicht selten
entläßt freilich Michels den Leser am Schlusse eines Kapitels mit
neuen Fragen, die eigentlich erst auf die Größe und Bedeutung der auf-
geworfenen Probleme hinweisen.
Wien. KarlPribram.
Pesl (Rechtsanw.), Dr. D., Der Mindestlohn. München u. Leipzig, Duncker
u. Humblot, 1914. gr. 8. VI—403 SS. M. 10.—.
Spann, Prof. Dr. Othmar, Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre.
Berlin, J. Guttentag, 1914. gr. 8. XVI—354 SS. M. 9.—.
Nogaro, (prof.) B., Éléments d'économie politique. T. 2: Répartition. Con-
sommation. Doctrines. Paris, M. Giard et E. Brière, 1914. 18. 269 pag. fr. 4.—.
Gini, prof. Corrado, L'ammontare e la composizione della ricchezza
delle nazioni. Torino, fratelli Bocca, 1914. 8. 709 pp. 1. 10. (Biblioteca di
scienze sociali, vol. 62.)
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Schneider, Oswald, Bismarcks Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Schmoller
und Sering. Heft 166. 1912.
Aus dem Problem „Bismarck als Nationalökonom“ gibt die Schrift
einen Ausschnitt: die Finanzpolitik und die (äußere) Wirtschaftspolitik
vornehmlich von. 1871—1890 wird übersichtlich und verständig ge-
schildert. Da in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Quellen-
schriften zur Aera Bismarck erschienen sind, vermag Verf. ältere
Darstellungen in wertvoller Weise zu ergänzen. In seiner Kritik ist
Verf. nicht immer glücklich. Die ungünstige Bewertung der Mit-
arbeiter des Kanzlers ist etwas schematisch ausgefallen. Ob man Del-
brück als „gerieben“ bezeichnen darf, will uns doch recht zweifelhaft
erscheinen. Daß Bismarck Reichsministerien errichten wollte (nicht
bloß Reichsämter, S. 51), ist eine Verkennung seiner Verfassungs-
anschauungen. Wenn S. 252 gerügt wird, daß mit den Agrarzöllen
nicht gleichzeitig eine Grundsteuerentlastung durchgeführt wurde, so
schließt sich der Verf. der durchaus irrtümlichen Auffassung Bis-
marcks von der Wirkung der preußischen Grundsteuer an. Anderer-
270 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
seits heißt: es S. 275: „Im besonderen hat er in der Finanzpolitik das
feste Fundament gelegt, auf dem die Reichsfinanzen immer ruhen
werden, auf indirekten Steuern und Zöllen.‘“ Diese Versicherung kann
heute niemand für alle Zukunft geben. Sind wir durchaus sicher, daß
das Reich in abermals 35 Jahren noch immer allein aus Agrarzöllen
eine viertel Milliarde Mark beziehen wird? Und wenn nicht — wird
sich der Minderertrag immer aus indirekten Steuern ergänzen lassen ?
Der Verf. hat seinem Buche den Untertitel gegeben: Eine Dar-
stellung seiner (Bismarcks) volkswirtschaftlichen Anschauungen. So wert-
voll und brauchbar die Schrift sonst ist, diese Darstellung ist sie
uns vollkommen schuldig geblieben. Handlungen eines Staatsmannes
lassen sich in zeitlicher Begrenzung und auf einzelnen Gebieten schildern,
Anschauungen aber nicht. Bismarcks nationalökonomische Ge-
dankengänge stammen zum guten Teil aus seiner Jugendzeit, und wer
nicht genetisch hierauf eingeht, wird immer nur momentane Einzel-
heiten erfassen. Vor allem aber wird Verf. in keiner Weise der genialen
Totalität in Bismarcks wirtschaftlichem Wirken gerecht. Er kannte
nur ein Ziel: Festigung des Reiches. Und deshalb will er Schutz-
zölle, um die wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, die bedenk-
lichen Folgen der Arbeitslosigkeit zu beseitigen, um die Massen von den
direkten Steuern entlasten und ihnen umgekehrt die positiven Wohl-
taten der Sozialpolitik zuwenden zu können. Wer deshalb Bismarcks
Wirtschaftspolitik schildern will, ohne auf die Sozialpolitik einzugehen,
kann, wie in diesem Falle, wertvolle Detailarbeit bieten, aber nie-
mals ein Bild, das der überragenden Größe eines Bismarck entspricht.
Halle a. S. Georg Brodnitz.
Bikel, Dr. Herm., Die Wirtschaftsverhältnisse des Klosters St. Gallen
von der Gründung bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Studie. Mit 1 Plan
des Klosters St. Gallen. Breisgau, Herdersche Verlagshandlung, 1914. gr. 8. XIV—
351 SS. M. 7.—.
Frank, Dr. S., München-Gladbach, die Stadt der Benediktiner, das nieder-
rheinische Manchester. M.-Gladbach, L. Boltze, 1914. gr. 8. VIII—288 SS. mit
Taf. und 2 Plänen. M. 7,50.
Katona, B&la, Die Volkswirtschaft Ungarns. Finanzielles und national-
ökonomisches Jahrbuch 1913. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr. 8.
301 SS. M. 5.—.
Godart, Felix, La Roumanie agricole. Bruxelles, Louis Vogels, 1914.
21X 13,5. figg., cartes, diagramme. 42 pag. fr. 0,75.
Ashley, William James, The economic organisation of England. An
outline history. London, Longmans. Cr. 8. 222 pp. 2/.6.
Griewe, W. F., History of South America, from the first human existence
to the present time. Cleveland, Central Publishing House. 12. $ 2.—.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Grotjahn (Priv.-Doz.), Prof. Dr. A., Geburten-Rückgang und Geburten-
Regelung im Lichte der individuellen und der sozialen Hygiene. Berlin, Louis
Marcus, 1914. gr. 8. XIV—371 SS. M. 6.—.
Le Pointe, H., La colonisation française au pays des Somalis. Ouvrage
orné de 10 illustrations hors texte. Paris, Jouve et Cie., 1913. 8. 105 pag., carte
et gravures. fr. 2,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 271
%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Pöller, Richard, Die Gefahren des Bergbaues und die Gruben-
kontrolle im Ruhrrevier. München 1914.
Der Verfasser hat sich mit großem Fleiß bemüht, in die äußerst
schwierige Materie einzudringen; aber es ist ihm nicht gelungen, sie
zu beherrschen, weil ihm die dazu nötigen technischen Kenntnisse und
Erfahrungen fehlen. Von Mangel an Erfahrungen zeugt es vor allen
Dingen, daß der Verfasser alle Aeußerungen der Tagespresse, nament-
lich der „Bergarbeiterzeitung‘, des „Bergknappen“ und des „Techni-
schen Grubenbeamten‘“, sowie der Broschüren von G. Werner, dem
Vorsitzenden des gar nicht mehr existierenden Deutschen Steigerver-
bandes, über Mißstände im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau
kritiklos mitteilt, also von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein scheint,
während er amtliche Publikationen anzweifelt und herabsetzt.
So wird auf Seite 29 und 30 eine Mitteilung der Bergarbeiter-
zeitung vom 12. März 1910 über angebliche ungünstige Einflüsse der
Bohrhämmer und Schrämhämmer auf das Nervensystem der Berg-
arbeiter wiedergegeben und daran die Bemerkung geknüpft, ob eine
Verbesserung an diesen Apparaten die Zerrüttung der Nerven der
Bergleute verhindern würde, sei mehr als fraglich, denn auch geringe
Stöße, in rascher Folge geführt, müßten das Nervensystem angreifen.
Dann heißt es wörtlich: „Der Geschäftsbericht des Allgemeinen Knapp-
schaftsvereins in Bochum pro 1910 bestreitet allerdings diesen un-
günstigen Einfluß der Abbauhämmer auf die Bergleute, dem ist in-
sofern aber keine entscheidende Bedeutung beizumessen, weilseine Grund-
lage auf einer zu kurzen Beobachtungszeit beruht; denn in dem Be-
richtsjahr standen die Abbauhämmer erst kurze Zeit (1—1!/, Jahre)
und nur vereinzelt in Anwendung.‘ Nach Ansicht des Verfassers ist also
dieser amtliche Bericht für das ganze Jahr 1910 weniger beweis-
kräftig als die Zeitungsnotiz vom 12. März 1910, die sich nur auf
einen kleinen Teil dieses Jahres bezieht.
Ferner wird auf Seite 63 und 64 an dem amtlichen Bericht der
Bergbehörde über das Schlagwetterunglück auf der Zeche Radbod,
der als „diplomatisch geschickt abgefaßt‘ bezeichnet wird, eine Kritik
geübt, die der Grenze des Zulässigen nahekommt.
Von Mangel an Erfahrung zeugt es auch, wenn der Verfasser auf
Seite 65 seiner Verwunderung darüber Ausdruck gibt, daß nur ein
sehr geringer Prozentsatz der von der Bergarbeiterzeitung gebrachten
Berichte über Mißstände der verschiedensten Art auf den einzelnen
Gruben durch die Verwaltungen berichtigt worden ist. Der Verfasser
bemerkt dazu: „Hier ist sicher ein großes Stück sozialer Arbeit zu
leisten für die Bergbehörde. Geht man den Klagen behördlicherseits
nach und die Arbeiter wissen das, dann werden sie in ihren Angaben
von selbst vorsichtig werden.“ Man kann den Verwaltungen wirklich
nicht zumuten, daß sie alle übertriebenen und entstellten Zeitungs-
nachrichten berichtigen. Was die Stellung der Bergbehörde anbetrifft,
so mag der Verfasser belehrt werden, daß diese Behörde jede Zeitungs-
nachricht über angebliche Mißstände im Bergbau genau prüft und,
972 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
sofern sie begründet ist, energisch Abhilfe schafft. Das pflegen dann
aber die Zeitungen nicht zu bringen, weil keine Sensation damit ver-
bunden ist.
Der letzte Abschnitt der Schrift beschäftigt sich auf 35 Seiten
sehr eingehend mit dem Institut der Sicherheitsmänner. Ueber das
Resultat seiner Untersuchungen scheint der Verfasser aber selbst nicht
ganz klar zu sein. Er empfiehlt, die Sicherheitsmänner dadurch un-
abhängig von den Zechen zu machen, daß sie vom Staate bezahlt
werden, und meint, als staatlich bezahlter Beamter würde der Sicher-
heitsmanı zur unparteiischen Ausübung seiner Amtspflicht erzogen
und somit Parteiwünsche beseitigt werden. Aus diesen Gründen emp-
fiehlt der Verfasser eine staatliche Anstellung der gewählten Arbeiter,
wogegen man, nebenbei bemerkt, die schwersten staatsrechtlichen Be-
denken geltend machen muß. Dann aber fährt er wörtlich fort: „Wir
sehen aber nicht ein, daß es unter allen Umständen Arbeiter sein
müssen; es gibt so viele Kontrollorgane im Bergbau, wie wir erfahren
haben, und wenn diese zur objektiven Ausübung ihrer Pflichten tatsäch-
lich gelangten, würde dasselbe erreicht, wasdurch gewählte Arbeiter erreicht
werden soll. Nicht auf das Mittel, sondern auf die Erfüllung des Zweckes
kommt es an. Geht man, um die Grubenkontrolle zu verbessern, nicht
dazu über, die Steiger zu Staatsbeamten zu machen oder die staat-
lichen Kontrollorgane zu reformieren, so dürften sich staatlich be-
soldete Arbeiterkontrolleure nach den Verhältnissen, wie sie heute liegen,
empfehlen.“
Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß
gegen den Vorschlag, die Steiger, also die Beamten der Privatgruben,
zu Staatsbeamten zu machen, ebenso schwere staatsrechtliche Bedenken
geltend zu machen sind, wie gegen die staatliche Anstellung der ge-
wählten Arbeiterkontrolleure.
Den Zweifel an der objektiven Ausübung der Pflichten der Kon-
trollorgane zu begründen, hält der Verfasser nicht für nötig. Wie er
sich eine Reform der staatlichen Kontrollorgane denkt, sagt er nicht.
Zum Schluß empfiehlt er noch Prämien für die Verhütung von Un-
fällen, wie sie sich in 2 Fällen beim Kalisalzbergbau und beim Eisen-
erzbergbau bewährt haben.
Das Institut der Sicherheitsmänner ist vom preußischen Minister
für Handel und Gewerbe am Schluß seiner Antwort auf die Inter-
pellation über das Unglück auf der Zeche Minister Achenbach im
Abgeordnetenhause am 3. Februar 1914 in geradezu klassischer Weise
gekennzeichnet worden. ‘Dieses Institut wird man nicht weiter aus-
bauen.
Es kann nur wiederholt werden, daß die Frage der Verhütung
und Verminderung der Unfälle im Steinkohlenbergbau zu den aller-
schwierigsten gehört. Es bedarf des ernsten Zusammenarbeitens der
Bergbehörde einerseits und der Bergwerksbesitzer, ihrer Beamten und
Arbeiter andererseits, um die Gefahren des Bergbaues wirksam zu be-
kämpfen. So einseitig abgefaßte Schriften wie die vorliegende tragen
leider nicht dazu bei.
Halle a. S. Schrader.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273
Perlmann, Louis, Die Bewegung der Weizenpreise und ihre
Ursachen. München und Leipzig 1914. 73 SS.
Die vorliegende Schrift gehört zu denen des Vereins für Sozial-
politik, welche den Untersuchungen über die Preisbildungen gewidmet
sind. Verf. gibt zunächst eine internationale statistische Uebersicht über
die Entwicklung der Weizenpreise, um dann den Hauptabschnitt in
in Angriff zu nehmen, die Ursachen der Preisbewegung näher zu unter-
suchen, wobei er die täglichen, monatlichen, jährlichen Preisbewegungen,
schließlick die Entwicklung der 10-jährigen Durchschnitte ins Auge
faßt. Besonders gut durchgeführt ist die Untersuchung über den
Einfluß der Börse, speziell des Terminhandels auf die Preisbewegung.
Nicht zu folgen vermögen wir dem Verf. bei seiner Vergleichung der
Weizenpreise mit dem gesamten Preisniveau, wobei er zu einer großen
Uebereinstimmung derselben gelangt, die er uns zu überschätzen scheint;
einmal schon nach den von ihm gegebenen Zahlen, noch mehr aber,
weil die Indexzahlen, die er heranzieht, doch in hohem Maße gerade
durch die Getreidepreise gemacht werden. Das ganze Schriftchen ist
durchaus lesenswert. J. ©.
Kubelka (Ober-Forstr.), Aug., Die Ertragsregelung im Hochwalde auf
waldbaulicher Grundlage. Wien, Wilhelm Frick, 1914. gr. 8. V—37 SS. M. 2.—.
Mommsen (Zuchtdir.), Christian, Stellung und Aufgaben der Viehzucht
und Viehhaltung in der modernen, intensiven Ackerwirtschaft. (Arbeiten der
deutschen Gesellschaft für Züchtigungskunde, Heft 17.) Hannover, M. u. H.
Schaper, 1913. gr. 8. VII—145 SS. mit 5 farb. Karten. M. 4.—.
Paulus, Gerh., u. (Bergassessor) A. Over, Berg-Recht und -Verwaltung.
Hand und Lehrbuch für Praktiker und Studierende, sowie zum Selbstunterricht
leichtfaßlich dargestellt. Potsdam, Bonneß u. Hachfeld, 1914. gr. 8. III, 255, 89,
74 u. 6 SS. mit 4 Tab. M. 7.—.
Rümker (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. v., Die deutsche Landwirtschaft, ihre
Bedeutung u. Stellung im In- und Auslande. Berlin, Paul Parey, 1914. gr. 8.
58 SS. M. 1,20.
Schönfeld, Dr. Rud., Die Kohlen- und Eisenerzfrage der Gegenwart und
Zukunft. (Diss.) Dresden, E. Wulffen, 1914. gr. 8. XI, 101 u. 42 SS. mit 9 Fig.
und 1 farb. Karte. M. 3,60.
Siebenlist (Forstamtsassessor), Th., Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika.
Berlin, Paul Parey, 1914. gr. 8. VI—118 SS. mit 4 Taf. M. 4.—.
Credit (le) agricole. Encouragements à la petite propriété rurale. Le
crédit individuel à long terme en faveur des petites exploitations. Le bien de
famille insaisissable. But. Organisation. Fonctionnement. Paris, Impr. nationale,
1914. 8. 114 pag. (Ministère de l'agriculture. Service du crédit, de la coopération
et de la mutualité agricoles.)
Marcillac, marquis de, Les syndicats agricoles. Leur action économique
et sociale. Paris, J. Gabalda, 1913. 18. IX—265 pag. (Économie soicale.)
Cantrill, T. C., Coal mining. London, Cambridge Univ. Press. 12. 168 pp,
1/.—.
Livingston, @., Field crop production. London, Macmillan. Cr. 8. 6/.—.
Enciclopedia (Nuova) agraria italiana, in ordine metodico, diretta
dal dott. Vittorio Alpe, ing. Mario Zecchini, dott. Mario Soave. Disp.
136 (fine della viticoltura, del prof. Domizio Cavazza). Torino, Unione tipo-
grafico-editrice, 1914. 8. p. 513—563. 1. 1. la dispensa.
Jaia, prof. Goffredo, La questione cotoniera e la coltura del cotone in
Italia. Roma, tip. Unione ed., 1914. 8. 134 pp.
Valenti, Ghino, Studi di politica agraria (Rimboschimento e proprietà
collettiva, l’enfitensi, la campagna romana, il latifondo in Sicilia, l'Italia agricola
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 18
274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nel cinquantennio. Roma, Athenaeum (Città di Castello, &. Lapi), 1914. 8.
XLVII—570 pp. 1.6.—.
Landbouw, Onze koloniale. Twaalf populaire handboekjes over Nederl.-
Indische landbouwproducten, onder redactie van J. Dekker. Haarlem, H. D.
Tjeenk Willink en Zoon. gr. 8. Per serie (6 dltjes) VII. J. Verhagen, De koffie-
cultuur. 8 en 86 blz. m. 38 fig. tusschen tekst. fl. 1,50.
5. Gewerbe und Industrie.
Köhler, Walter, Die Deutsche Nähmaschinenindustrie. Mün-
chen und Leipzig (Duncker u. Humblot) 1913. 330 SS. Preis geh. 8 M.
Das Arbeitsgebiet der Industrie, insbesondere der Maschinen-
industrie, hat in den letzten Jahrzehnten einen derartigen Umfang an-
genommen und die einzelnen Zweige weisen derartige Verschieden-
heiten unter sich auf, daß eine gesamte Darstellung vorläufig kaum
möglich scheint. Es ist deshalb mit Freude zu begrüßen, daß in
letzter Zeit eine Anzahl von Monographien über einzelne Industrie-
zweige veröffentlicht worden sind. Diese Monographien, die bald die
geschichtliche, bald die technische und wirtschaftliche Entwicklung
eingehender verfolgen, werden für eine spätere zusammenfassende Be-
handlung wertvolles Material darstellen. Die vorliegende Arbeit von
Köhler über die deutsche Nähmaschinenindustrie hat den Vorzug, von
einem Eingeweihten geschrieben zu sein; der Verfasser steht in naher
Beziehung zu einer unserer größeren Nähmaschinenfabriken. Leider
hat aber auch er dieselbe Erfahrung machen müssen, die bei derartigen
Arbeiten sich immer wieder wiederholt, daß nämlich Angaben von
manchen industriellen Unternehmungen nur sehr schwer und zum Teil
gar nicht zu erhalten sind.
Die Vertrautheit mit dem zu bearbeitenden Stoff kommt Köhler
besonders bei der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung zu-
gute. Er konnte hier, gestützt auf die Berichte seiner persönlichen
Bekannten, schildern, wie sich der Bau der Nähmaschine vom reinen
handwerksmäßigen Betrieb bis zur modernen Massenfabrikation ent-
wickelte. Auch die Darstellung der, zunächst recht kümmerlichen, finan-
ziellen Verhältnisse ist von großem Interesse.
Die darauf folgende Beschreibung der Konstruktion und der Fabri-
kation hat den Vorzug des Strebens nach klarer und verständlicher
Darstellung. Leider scheint dem Verfasser jedoch der Ueberblick über
die technische Seite und insbesondere die Kenntnis der Arbeitsverfahren
in ähnlichen Industrien zu fehlen. So kommt es, daß er häufig allge-
mein Bekanntes mit Umständlichkeit neu beschreibt und häufig auch
schief, zum Teil sogar unrichtig widergibt. Dieser technische Teil
hätte ohne Schaden wesentlich kürzer gehalten werden können, denn
für den Fachmann ist an keiner Stelle etwas Neues zu finden und für
den Nichtfachmann dürfte die Beschreibung zu ausführlich sein. Da-
gegen wäre es wohl angebracht gewesen, auf den technischen Zusammen-
hang der Nähmaschinenfabrikation mit dem Bau von Schreibmaschinen,
Fahrräderu und ähnlichen Fabrikaten etwas einzugehen.
Die Besprechung der deutschen Gewerbe- und Berufszählungen
zeigt, daß hieraus wertvolle Ergebnisse nicht, oder wenigstens vorläufig
nicht zu erwarten sind und daß derartige allgemeine Statistiken be-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 275
sonders dann, wenn die Fragestellung nicht unbedingt klar und ver-
ständlich ist, sehr leicht irreführen können. Interessant sind die von
einzelnen größeren Unternehmungen gelieferten Zahlen über die Zu-
sammensetzung der Arbeiterschaft. Es geht aus diesen Zahlen unter
anderem hervor, daß die Teilung in gelernte und ungelernte Arbeiter
seit 1885 annähernd gleich geblieben ist. In diesen Jahren hat sich
die Entwicklung zur ausgesprochenen Massenfabrikation vollzogen und
doch beschäftigten z. B. Seidel u. Naumann 1885 44,6 Proz. gelernte
Arbeiter und 1910 45,1 Proz.
Die zahlenmäßige Behandlung der Lohnverhältnisse gibt auf Grund
der denı Verfasser zugänglichen Lohnlisten recht wertvolles Material,
besonders da die Entwicklung der Löhne bis zum Beginn der Näh-
maschinenindustrie verfolgt wird.
Den allgemeinen Ausführungen über die Lohnformen, insbesondere
Akkordarbeit und das Kolonnensystem wird man jedoch kaum beistimmen
können. Der Gruppenakkord ist nicht dadurch begründet, daß ein Arbeiter
mehrere Maschinen bedienen muß, sondern er ergibt sich bei solchen Ar-
beiten, die nicht gut von einem einzelnen Arbeiter, sondern besser von
einer Arbeitergruppe erledigt werden. Läßt sich nicht der Anteil der
einzelnen Arbeiter wohl aber die Gesamtarbeit in Akkord vergeben, so
findet eben das Kolonnensystem Anwendung. Hierbei wird der Gesamt-
verdienst der Gruppe aus dem Akkordvertrag berechnet, und die Ver-
teilung unter die Arbeiter geschieht — regelmäßig nach Festsetzung der
Fabrik — nach einem bestimmten Schlüssel. Daß der Gruppenführer
der Fabrik gegenüber allein verantwortlich ist und die Verteilung nach
eigenen Ermessen vornimmt, dürfte auch in der Nähmaschinenindustrie
nur selten vorkommen.
Im letzten Abschnitt wird der Vertrieb der Nähmaschinen behandelt
und hier wendet sich der Verfasser nach einer Besprechung der üb-
lichen Vertriebsarten an die deutsche Nähmaschinenindustrie mit der
Aufforderung, gemeinsam den Kampf mit der amerikanischen Kon-
kurrenz, d. h. mit der Singer Co., aufzunehmen. Er führt aus, daß
auf dem Weltmarkt nur zwei Konkurrenten vorhanden sind, das ist
die Singer Co. und die deutsche Nähmaschinenindustrie. Die Deutschen
sind dadurch im Nachteil, daß hier 24 verschiedene Fabrikate unter
verschiedenen Namen und mit verschiedenen Konstruktionen gegen die
geschlossene Singer Co. zu kämpfen haben. Diesen Nachteil gleicht
die technische Ueberlegenheit der deutschen Fabriken kaum aus und
die einzige Möglichkeit, im Wettkampf nicht zu unterliegen, sieht der
Verfasser in der Kartellierung. Er wünscht, daß bei aller Selbständig-
keit der einzelnen Fabriken das deutsche Fabrikat unter einheitlichem
Namen durch eine einheitliche Vertriebsorganisation verkauft werden soll.
Berlin-Steglitz. Zitzlaff.
Blattner, Dr. E., Lehrbuch der Elektrotechnik. II. (Schluß) Teil. 2. Aufl.
Bern, K. J. Wyß, 1914. 8. VII—379 SS. mit 317 Fig. im Text und auf 3 Taf.
M. 8.—. i L ATI)
Brauer (Dipl.-Handelslehrer), Kurt, Die Organisation der Korbwaren-
industrie und des Korbwarenhandels im Deutschen Reiche. München u. Leipzig,
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. V—68 SS. M. 2.—.
18*
276 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Braunkohlenindustrie, Die deutsche. I. Bd. Handbuch für den
deutschen Braunkohlenbergbau, hrsg. v. G. Klein. 2. neubearb. Aufl. 16 u. 17. Lfg.
Halle a. S.. Wilhelm Knapp, 1914. Lex.-8. 8. 641—720 SS, mit Abbildungen und
4 Tafeln, je M. 2.—.
Giessmann, Wilh., Die Unternehmerverbände in der deutschen Seifen-
industrie. Leipzig, A. Deichert, 1914. 8. 123 SS. M. 3.—.
Heimarbeit, Die, im rheinmainischen Wirtschaftsgebiet. Monographien,
hrsg. im Auftrage des wissenschaftlichen Ausschusses der Heimarbeitausstellung
Frankfurt a. M., 1908 v. Prof. Dr. Paul Arndt. III. Bd. 2. Teil. Mit einem Be-
richt über die Heimarbeitausstellung v. J. H. Epstein. Jena, Gustav Fischer.
1914. 8. VII u. 8. 261—696 mit 1 farb. Karte. M. 7.—.
Industrie, Die, der Oberpfalz in Wort und Bild. Hrsg. von der Handels-
kammer Regensburg, 1914. Regensburg, J. Habbel, 1914. 41,5X 29,5 cm. VIII—
240 SS. mit Abbildungen. M. 6.—.
Meerwein, Dr. Georg, Die Entwicklung der Chemnitzer bzw. sächsischen
Baumwollspinnerei, von 1789—1879. Berlin, Emil Ebering, 1914. gr. 8. 106 SS.
M. 2,80.
Stöckle (Dipl.-Ing.), Dr. Gust., Der Eisenbau, eine volkswirtschaftliche
Studie. Zürich, Speydel u. Wurzel, 1913. 8. VII—152 SS. mit 3 (1 farb.) Karten-
skizzen, 5 Tab. und 3 (1 farb., 2 Kurven-) Taf. M. 4,50.
Clouzot, H., Le métier de la soie en France (1466—1855), suivi d'un
historiqua de la toile imprimée (1759—1815). Ouvrage orné de 62 planches et
facsimile. Paris, impr.-edit. Devambez., 1914. Folio. 182 pag.
Akers, C. E., The rubber industry in Brazil and the Orient. Illustrated.
London, Methuen. Cr. 8. 336 pp. 6/.—.
Falco, Aug., L’industria dello zucchero di barbabietola; tesi di laurea.
Torino, A. Viretto, 1913. 8. 110 pp.
Mastrangelo, dott. Vito, L’industria pugliese e i suoi prodotti. Roma,
tip. Unione ed., 1914. 8. 59 pp.
6. Handel und Verkehr.
Hirsch, Julius, Die Filialbetriebe im Detailhandel (unter haupt-
sächlicher Berücksichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in
Deutschland und Belgien). Heft I der „Kölner Studien zum Staats-
und Wirtschaftsleben“. Bonn (A. Marcus u. E. Weber) 1913. XVI und
295 SS. Preis broschiert 6 M.
Vorliegende Arbeit ist eine treffliche Analyse des Filialsystems
im Detailhandel, und zwar in den drei Handelszweigen der Nah-
rungsmittel — hier besonders auch des Kaffees und der Schoko-
lade —, des Tabaks und der Schuhwaren; außerdem wird auch
das Filialsystem der Waren- und Kaufhäuser einer Würdigung
unterzogen.
Was das Buch von Anfang bis Ende fesselnd macht, ist die außer-
ordentlich klare Systematik, mit der das gewaltige Material, das
herangezogen werden mußte, aufgearbeitet worden ist, so daß man sich
durch die vielgestaltige Materie mit Leichtigkeit hindurchfindet. Ich
glaube das deswegen besonders hervorheben zu dürfen, weil diese
Systematik dem Buch auch dann noch einen großen anderen als rein
historischen Wert beläßt, wenn sein Zahlenmaterial veraltet ist:
sie zeigt zukünftigen Bearbeitern ähnlicher Probleme deutlich den ein-
zuschlagenden Weg. —
Der Gang der Arbeit kann folgendermaßen skizziert werden: In
einem I. einleitenden Teil setzt der Verf. sich zunächst mit dem Be-
griff der Filiale im allgemeinen auseinander, der wie so manche
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 277
wirtschaftswissenschaftliche Begriffe, die gleichzeitig im praktischen
Leben eine große Rolle spielen, keineswegs eindeutig feststeht. Die
Begriffsbestimmung des Detailhandelfilialbetriebs im speziellen
dagegen ergibt sich dem Verf. dann leicht. Daran schließt sich eine Er-
örterung über die Arten der Filialen (Voll-, Halb-, Schein-Filialen
usw.) und eine Darlegung der „Entwicklungstendenzen im
Handel als Vorbedingungen für das Filialwesen“. Hier
erweckt besonderes Interesse der Abschnitt über den „Konzentra-
tions- und Verschmelzungsprozeß im Gebiet des Handels‘,
Hand in Hand mit dem eine Ersetzung der selbständigen kleinen Detail-
handelsbetriebe geht: Konsumvereine; Angliederung der Handels-
funktioner an den Produktionsbetrieb; großkapitalistischer
Detailhandelsbetrieb; Einflüsse von seiten Unbeteilig-
ter, wio Arbeitgeber (Werkkonsumanstalten) und öffentliche Körper-
schaften (Versorgung der unteren Volksschichten mit wichtigen Lebens-
mitteln durch Masseneinkauf durch die Kommunen).
Teil II bringt dann die „Darstellung der Großfilialbe-
triebe...‘ selbst — innerhalb der oben angegebenen Branchen. Hier
wird regelmäßig erörtert die Entstehung und nach Möglichkeit
(soweit Material zugänglich ist) die Ausbreitung des Filialwesens.
Es findet die Organisation des Filialbetriebes ihre eingehende Be-
schreibung (die Filiale selbst, der Revisionsbezirk, die Zen-
tralverwaltung usw.). Soweit angängig, werden Angaben über
Kalkulation der Unkosten und Gewinne und über das Per-
sonal gemacht; Vorteile und Nachteile des Filialbetriebssystems
werden an der Hand reichen Materials geschildert. Besonders zu
danken ist es dem Verf., daß er für den Nahrungsmittelhandel
und für die Tabakbranche die Bedeutung des Filialbetriebsystems
für die Gesamtheit des jeweiligen Handelszweiges auseinanderzulegen
sich bemüht hat. (In der Schuhwarenbranche liegen die Verhältnisse
nach Aussage des Verf. noch zu undeutlich, als daß darüber zurzeit ein
Urteil gefällt werden könnte.) Die betr. Ausführungen z. B. für den
Nahrungsmittelhandel (Verschlechterung des Detailistennach-
wuchses, Einwirkungen auf die Zahl der Konkurrenten, auf die Betriebs-
formen, den Großhandel, die Industrie und die Konsumenten) geben ein
treffendes Bild von den mit der Rationalisierung dieses Zweiges des
Erwerbslebens verbundenen privat- und volkswirtschaftlichen Licht-
und Schattenseiten.
Teil III bringt zunächst statistische Angaben über die Ver-
breitung. Größe usw. der Filialbetriebe; und zwar sowohl für das
Reich, wie für einzelne Städte; die Angaben über letztere verdienen
das größere Interesse, weil — die deutsche Reichsstatistik in diesem
Punkt höchst undurchsichtig ist. (Hirschs Klagen über die Statistik des
Handelsgewerbes stehen übrigens nicht allein; ef. z. B. Paul Behm
„Der Handelsagent“, Berlin 1913.)
In einem zweiten Abschnitt dieses Teiles wird dann noch einmal
die prinzipielle Bedeutung dieses Handelsbetriebssystems erörtert: für
Produktion, Handel und Konsumenten.
278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Letztlich auch die sozialpolitische Bedeutung: 1. Mittel-
standsproblem und Filialwesen. — 2. Filialwesen und Angestellte.
Unter Punkt 1 behandelt der Verf. die Bedrängung des Kleinkaufmänni-
schen Handelsstandes durch das Filialwesen und spricht seine Ueber-
zeugung dahin aus, daß ein Filialverbot hier nichts zu helfen ver-
mag, im Gegenteil die Lage weiter Kreise der im Handelsgewerbe be-
schäftigten Personen nur verschlimmern muß, weil die offene Filiale
ja leicht umgangen werden kann, indem an Stelle des eigentlichen
Filialleiters der Scheinselbständige tritt — unter weit schwereren
Bedingungen und Sicherheitsleistungen. — Unter Punkt 2 erfahren
vornehmlich ihre Behandlung „das Klasseninteresse der Ange-
stellten“ und „die wachsende Differenzierung der Angestellten-
schicht....“; hier kommt zum Ausdruck 1) daß zwar das ganze
„Chargensystem‘ innerhalb der Großfilialbetriebe den Wunsch
nach Unselbständigkeit, d. h. Beamtencharakter im Mittelstande
stärkt, daß aber gleichzeitig mit zunehmender Ausbildung des Klassen-
interesses in den Angestelltenkreisen selbst sich auch die Neigung
zum Klassenkampf entwickelt; 2) daß aber mit der an der Hand
des „Chargensystems‘‘ zunehmenden Differenzierung natürlich auch die
Fähigkeit der Angestellten zum Klassenkampf wieder geschmälert wird,
besonders auch auf dem Wege, daß eine Reihe von Chargen" beinahe
wieder den Charakter der Abhängigkeit verlieren; so der Revisor und
Rayonchef, die oft genug aus den unteren Stellen langsam aufsteigen. —
Wenr im vorhergehenden kurz auf wichtige Seiten des Buches
hingewiesen ist, so erschöpft sich mit diesen doch seine Bedeutung meines
Erachtens nicht: Sondern ebenso wichtig als der tatsächlich gedruckte
Text scheint mir das zu sein, was man zwischen den Zeilen lesen kann
— lesen muß: In dieser Form des kapitalistischen Filialbetriebs-
systems ist, wie heute die Dinge liegen, dem Konsumvereins-
wesen ein Gegner erstanden, dessen Stärke und Bedeutung für die Zu-
kunft zwar noch nicht ziffernmäßig abzuschätzen, aber doch schon
deutlich zu ahnen ist.
Man kann den Konsumverein als die wichtigste (mögliche)
Maßnahme einer ernstgemeinten sozialen Bewegung bezeichnen, sofern
er richtig verstanden wird, d. h. sofern die Erübrigungen des Konsum-
vereins nicht als Dividenden wieder ausgezahlt, sondern gespeichert
und zum weiteren Ausbau der Leistungen des Konsumvereins verwendet
werden: Kauf von Grund und Boden zum Häuserbau und Einrichtung
eigner Produktion. Wird der Konsumverein so gehandhabt, so wächst
er mit jedem Jahr mehr aus der Sphäre des Konkurrenzkampfes heraus,
da er den. Bedarf seiner Mitglieder immer vollkommener zu decken
vermag, und da gleichzeitig seine Mittel zu möglicher Konkurrenz
immer gewaltiger werden, so daß man nicht leicht versucht sein wird,
ihn zum Kampf zu reizen. Anders hingegen, wenn die Erübrigungen
des Konsumvereins als Dividende alljährlich wieder ausgeschüttet werden.
Es werden dann nicht nur ihm Kräfte entzogen, sondern, indem die
Kaufkraft der Mitglieder gestärkt wird, wird auch die kapitalistische
Wirtschaftsordnung gestärkt, die der Konsumverein doch gerade ein-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 279
schränker will. Aber diese augenblickliche Stärkung der Kaufkraft
ist das Wenigste — das Wesentliche liegt im folgenden: das Funktio-
nieren des Konsumvereins basiert auf der Ausschaltung der Zwischen-
handelsgewinne — und nicht zum wenigsten der der kleinen Detaillisten.
Je mehr nun bei gleichzeitiger Dividendenausschüttung des Konsum-
vereins privatwirtschaftlich kapitalistische Handelsbetriebe entstehen, die
wie der Konsumverein den kleinen Detailhandel ausschalten, also auch
preisregulierend wirken, desto mehr versinkt der Konsumverein in
die Sphäro des Konkurrenzkampfes; denn einmal wird der Konsumverein
seinen Mitgliedern immer weniger direkte Vorteile durch billigere Preise
bieten können; zum andern wird sein Ziel, Erübrigungen zu machen,
immer schwieriger — und das alles, weil der momentane privatwirt-
schaftliche Vorteil, den die Ausschüttung der Dividende bietet, durch
ein Rabattsystem auch vom kapitalistischen Handelsbetrieb (wirklich
oder scheinbar) geleistet zu werden vermag. — Anders ausgedrückt, je
länger der Konsumverein dabei verharrt, Dividenden auszuschütten,
und je mehr der rationelle Filialgroßbetrieb (mit eignener Produktion)
gleichzeitig dem Konsumenten dieselben Dienste leisten oder doch zu
leisten scheint, wie der Konsumverein, desto mehr nimmt dieser sich
die Möglichkeit, überhaupt noch wesentliche Erübrigungen zu machen,
desto schwerer muß mit fortschreitender Entwicklung also eine Re-
organisation des Konsumvereinswesens im streng sozialen Sinne werden;
d. h. der Konsumverein verliert dann immer mehr den Charakter, einer
der wichtigsten oder sogar der wichtigste (weil natürlichste) Weg zum
Sozialismus zu sein.
Der Verf. hat nur ganz unter der Hand dies eben angedeutete
Problem der Konsumvereine berührt (ef. z. B. p. 112/13); mit Recht:
er mußte, sollte das Buch nicht seinen ursprünglich vorgesetzten, be-
schreibenden Charakter verlieren, sich Grenzen ziehen. Aber das Pro-
blem ist da — und selten wird man so stark daran erinnert, als bei
der Lektüre des Buches von Hirsch; hier atmet jede Seite die Kraft
des rationalen Prinzips, sich unbarmherzig durchzusetzen; und man
fühlt deutlich: Nur, wenn der Sozialismus das rationale Prinzip un-
bedingt und ganz zu seinem eignen macht, es also zu noch größerer
Blüte bringt, als der Kapitalismus, kann er den Sieg über diesen er-
ringen.
Berlin. K. Marcard.
Krakauer, Dr. V., Ueber den gerechten Preis für Eisenbahn-
leistungen. Graz (Deutsche Vereins-Druckerei) 1913.
Ueber das schwierige Thema hat der scharfsinnige, die ganze
einschlägige Literatur beherrschende Verfasser — Sekretär und Bureau-
vorstand der k. k. Nordbahndirektion — eine theoretische Abhand-
lung von nicht geringer Qualität geschrieben. „Daß von einem ge-
rechten Preis für die Gesamtheit von Eisenbahnleistungen..... ge-
sprochen werden kann, wenn die.... innerhalb eines bestimmten
Zeitraumes (Geschäftsjahres) erzielten Einnahmen nebst der Deckung
der Betriebsausgaben auch die Verzinsung des Anlagewertes ermög-
280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
lichen“: diese einzig haltbare Theorie des gerechten Preises für Eisen-
bahnleistungen stellt der Autor auf und beweist auch ihre Richtigkeit.
Wie in jedem einzelnen Fall sich der gerechte Preis gestalten müßte,
dafür könne keine Theorie Regeln aufstellen. Wenn nun aber als
Aequivalent für die einzelne Eisenbahnleistung ein gerechter Preis
theoretiscl: nicht gefunden werden könne, so lasse sich doch die Ge-
samtheit der Eisenbahnleistungen theoretisch entsprechend bewerten.
Nicht das Anlagekapital, sondern nur der Anlagewert käme aber
bei dieser Theorie in Frage als eines der beiden Fundamente, auf
denen die Tarifbildung der Eisenbahnen beruhen müsse. Da im Be-
griff Anlagewert „implicite der Ausschluß der Leistung einer Tilgung
enthalten‘ ist, verstehe es sich von selbst, „daß eine Belastung des
Verkehrs mit einer Tilgungsquote.... mit den Erfordernissen einer
gerechten Preisbemessung unvereinbar ist“. Der Eisenbahnanlagewert
an sich bleibt sich ja auch tatsächlich durchaus gleich, ob und wieviel
Passivvermögen getilgt wird. Wenn ich den Autor hier richtig ver-
stehe, hätte z. B. die badische Staatsbahn (auch beim besten Willen
dazu) schon deswegen nie einen theoretisch gerechten Preis einfordern
können, weil sie das Institut der Eisenbahnschulden-Tilgungskasse zur
Bereitstellung von Tilgungsquoten förmlich zwang. Der Anlagewert
besteht für den Verfasser 1) aus dem Wert des „physischen Eisenbahn-
besitzes“ und 2) aus der „Bewertung aller jener (immateriellen) Tat-
sachen und Verhältnisse, welche auf die Verdienstmöglichkeit der Bahn
von Einfluß sind“.
Ueber die Selbstkostentheorie und die Werttheorie als Ausgangs-
punkt für die Bemessung der Beförderungspreise ist wohl noch selten ein
so vernichtendes Urteil wie hier gefällt worden. Werden diese zweifels-
ohne falschen Theorien jetzt aber auch wirklich tot sein ?
Wie verhalten sich nun — wenn Referent noch diese Frage auf-
werfen darf — unsere deutschen Eisenbahnverhältnisse zur 'Theorie
des Verfassers? Außer der preußisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft
steht es mit dem „Unternehmergewinn‘“ der übrigen deutschen Eisen-
bahnverwaltungen nicht sonderlich gut. Diese Bahnen leben darum
aber auch mehr oder weniger streng nach der Theorie des gerechten
Preises. Die große norddeutsche Verwaltung dagegen? — Man sieht:
„Eine vollständige Theorie über den gerechten Preis für Eisenbahn-
leistungen ist daher in allen Fällen auch für die Praxis von außer-
ordentlicher Wichtigkeit.
München. Ernst Müller.
Uhlich, Theodor, Die Vorgeschichte des Sächsischen Eisen-
bahnwesens. Abhandlungen aus dem volkswirtschaftlichen Seminar der
Technischen Hochschule zu Dresden. 6. Heft. München und Leipzig
(Duncker u. Humblot) 1913. Preis geh. 3 M.
Es ist erklärlich, daß der Gedanke der Schaffung von Dampf-
bahnen, wie er um den Beginn des vorigen Jahrhunderts auftauchte,
mit schier zahllosen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nur langsam
überwand er all die Vorurteile und Bedenken, die sich ihm entgegen-
stellten. Einen Einblick in die damaligen Verhältnisse, wie sie dem
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 281
Bau der ersten sächsischen Eisenbahnen voraufgegangen sind, gewährt
die vorliegende Abhandlung. Obwohl sie kaum mehr als eine bloße
Aneinanderreihung der aus zahlreichen Werken, Akten und Aufzeich-
nungen entnommenen Tatsachen ist, gibt sie doch über wirtschaftliche
und technische Verhältnisse der ersten Eisenbahnanfünge Sachsens manch
interessanten Aufschluß. In dieser Hinsicht können beispielsweise die
Erörterungen über das seinerzeit nicht verwirklichte Projekt einer
Salzbahn von Dürrenberg nach Leipzig, einer Bahn, die vornehmlich
zur Beförderung des Salzes aus der preußischen Saline Dürrenberg
nach Leipzig gebaut werden sollte, erwähnt werden. Auch die Kenn-
zeichnung der Stellung Friedrich Lists zu den sächsischen Eisenbahn-
plänen ist interessant. Der Verfasser gelangt zu dem Schlusse, daß den
Eisenbahngedanken nicht List nach Sachsen gebracht, wohl aber daß
er ihm im richtigen Zeitpunkt praktisch gangbare Wege gewiesen habe.
Wirkungsvoller wäre die Arbeit, wenn die zahlreichen, gewiß mit
Fleiß zusammengetragenen Tatsachen vom Verfasser mehr als ge-
schehen verarbeitet und dann um so flüssiger und für den Leser fesseln-
der dargestellt wären. Einem Hauptzweck derartiger Abhandlungen,
das allgemeine Verständnis für das Verkehrsmittel Eisenbahn zu fördern,
wäre damit in erhöhtem Maße gedient worden.
Halle (Saale). Paul Ritter.
Ajam (Unterstaatssekretär), Maurice, Das deutsch-französische Wirt-
schaftsproblem. Ein Weg zur Verständigung. Ins Deutsche übersetzt von Fr.
Schubert. Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. VIII—128 SS. M. 3.—,
Bildungswesen, Das kaufmännische, in der Schweiz. Dargestellt vom
eidgenössischen Handelsdepartement und von den Handelslehranstalten für die
schweizerische Landesausstellung in Bern 1914. Zürich, Orell Füßli, 1914. Lex.-8.
VIII—650 SS. mit Abbildungen und 2 farbigen Kartenskizzen .M. 12.—.
Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1909. Jahresberichte über den Wirt-
schafts- und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber- und
Arbeiterorganisationen. II. Teil. Jahrbuch der Weltwirtschaft 1909. Statistik über
den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. V—403 SS.
M. 21—.
Doerr (Handelsschul-Dir.), Alex, u. Johs. Buschmann, Der Kauf-
mann in Beruf, Staat und Leben. Ausg. B. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8.
VIII—438 SS. M. 3.—.
Drahn, Ernst, Geschichte des deutschen Buch- und Zeitschriftenhandels.
Hrsg. von der Ausstellungskommission des Zentralvereins deutscher Buch- und Zeit-
schriftenhändler aus Anlaß der „Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und
Graphik in Leipzig“. Berlin, Geschäftsstelle des Zentralvereins deutscher Buch-
und Zeitschriftenhändler, 1914. gr. 8. 80 SS. mit 5 Abbildungen. M. 1.—.
Encyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. von v. Röll. 2. vollständig
neubearbeitete Auflage. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1914. Lex.-8. öl. und
52. Lieferung. 6. Bd. S. 1—96 mit Abbildungen. Je M. 1,60.
Engelbrecht, Heinz, Die Dampfschiffahrt unserer Zeit. Berlin-Char-
lottenburg, C. J. E. Volckmann, 1914. 8. 100 SS. mit 53 Abbildungen. M. 1,50.
Großmann, Henryk, Oesterreichs Handelspolitik mit Bezug auf Galizien
in der Reformperiode 1772—1790. (Studien zur Sozial-, Wirtschafts- u. Verwal-
tungsgeschichte, hrsg. v. Prof. Dr. Karl Grünberg, Heft 10). Wien, Carl Konegen,
1914. XVII—510 SS. M. 12.—.
Hammerbacher, Die Konjunkturen in der deutschen Eisen- und Ma-
schinengroßindustrie. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der Konjunkturen, unter
hauptsächlicher Berücksichtigung der Zeit von 1892—1911. München, R. Olden-
bourg, 1914. gr. 8. 120 SS. mit eingedruckten Kurven. M. 4.—.
282 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hammermann, Dr. Emil, Der Elbe-Trave-Kanal. (Probleme der Welt-
wirtschaft Hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms, Heft 20.) Jena, Gustav Fischer,
1914. Lex.-8. IX—106 SS. mit 1 farb. Karte. M. 3,50.
Hartrodt, Dr. Georg, Die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der
Buchführung für den praktischen Gebrauch dargestellt. Berlin, Puttkammer u.
Mühlbrecht, 1914. gr. 8. 70 SS. M. 1,60.
Jastrow, Prof. Dr. J., Textbücher zu Studien über Wirtschaft und Staat.
1. Bd. Handelspolitik. 2. verm. Aufl. Berlin, Georg Reimer, 1914. kl. 8. X—
193 SS. M. 3.—.
Jüdel, Dr. Max, Der französische Getreidemarkt. (Volkswirtschaftliche
Abhandlungen der badischen Hochschulen, hrsg. von Karl Diehl, Eberh. Gothein,
Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Alfr. Weber, Otto v. Zwiedineck-Südenhorst, Heft 26.)
Karlsruhe, G. Braun, 1914. gr. 8. XI—195 SS. M. 3,80.
Jürgens, Dr. Adolf, Zur Schleswig-Holsteinischen Handelsgeschichte des
16. und 17. Jahrhunderts. (Abhandlungen zur Verkehrs- und Seegeschichte. Im
Auftrage des Hansischen Geschichtsvereins hrsg. von Dietr. Schäfer, Bd. 8.) Berlin,
Karl Curtius, 1914. 8. XVI—316 SS. M. 9.—.
Kucklentz, Dr. Karl, Das Zollwesen der deutschen Schutzgebiete in
Afrika und der Südsee. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr.8. VI—
191 SS. M. 4,50.
Rosemeyer (Ing.), Jos., Der Rheinseekanal. Vorschläge über die besten
Ausführungsmöglichkeiten, erwachsenden Kosten sowie über die Vorteile dieser
Seewasserstraße. Köln, J. G. Schmitz, 1914. Lex.-8. 77 SS. mit 1 Plan und
4 Tafeln. M. 3.—.
Rudorff, Dr. Eberh., Entwicklung und Aussichten des Stettiner Handels
(1886—1912). Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr. 8. 64 SS. M. 1,60.
Schär (Dir.), Prof. Dr. Joh. Friedr., Buchhaltung und Bilanz auf wirt-
schaftlicher, rechtlicher und mathematischer Grundlage für Juristen, Ingenieure,
Kaufleute und Studierende der Privatwirtschaftslehre. 2. stark erweiterte und
völlig umgearb. Aufl. Berlin, Julius Springer, 1914. gr. 8. XVI—299 SS. M. 7.—.
Signer, Dr. Hans, Die treibenden Kräfte der schweizerischen Handels-
politik. Zürich, Gebr. Leemann u. Co., 1914. 8. 269 SS. M. 5,10.
Wegener (Handelshochschul-Doz.), Prof. Dr. Georg, Der Panamakanal.
Seine Geschichte, seine technische Herstellung, seine künftige Bedeutung. (Volks-
wirtschaftliche Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der volkswirt-
schaftlichen Gesellschaft in Berlin, No. 282.) Berlin, Leonhard Simion, 1914.
gr. 8. 36 SS. M. 1.
Zollkompaß, 1. Bd., Rumänien. 3. Teil: Der Zolltarif. 2. Ausg. Red.
und hrsg. vom k. k. Handelsministerium. Wien, Manz, 1914. Lex.-8. VII—174 88.
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Lewin, Harry Grote, The British railway system: outlines of its early
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Galli Angelini, dott. Gius., La politica commerciale italiana nei ri-
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Luzzatto, Gino, Le recenti tendenze della politica commerciale e le loro
ragioni storiche. Scansano, tip. degli Olmi, di ©. Testori, 1914. 8. 26 pp.
Kist, J. G., Beginselen van handelsrecht volgens de Nederlandsche wet.
’s-Gravenhage, Boekhandel vrhn. Gebr. Belinfante. Deel III. Handelsverbintenissen
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7. Finanzwesen.
Käding, Emil, Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den
Rheinlanden während der Jahre 1815—40. (Studien zur rheinischen
Geschichte. 8. Heft.) Bonn (Marcus und Weber) 1913.
Die vorliegende Schrift strebt die Lösung zweier Fragen an, die in
dem Zeitraume von 1816—60 die politische Diskussion in den neu für
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 283
Preußen gewonnenen Rheinlanden wiederholt stark bewegt haben.
Einmal, ob die staatlichen Lasten hier zur Zeit der Franzosenherrschaft
niedriger waren als nach der Besitzergreifung durch Preußen, und
ferner, ob nicht in dem neuen Staatsverbande die westlichen Provinzen
zugunsten der östlichen eine höhere Steuerlast aufbringen mußten.
David Hansemann vor allem war als scharfer Kritiker des preußischen
Systems aufgestanden, und hatte in seiner bekannten Schrift „Preußen
und Frankreich" (1834) mit Geschick den Standpunkt seiner Heimat-
provinz vertreten. In einer sorgfältigen Analyse der beiden in Ver-
gleich gesetzten Steuersysteme kommt Verf. hinsichtlich des ersten
Punktes zu einer Ablehnung der Behauptungen Hansemanns. Der
Steuerdruck des französischen Regimentes ist sogar stärker gewesen.
Auch an den von Hansemann zur zweiten Frage beigebrachten Zahlen
nimmt Verf., der seine Berechnungen auf einer breiteren Basis aufgebaut
hat, einige Abstriche vor, pflichtet ihm aber doch der Hauptsache nach
bei. Die Rheinlande sind in dieser Periode, vornehmlich wegen ihrer
abweichenden, zum Teil aus der französischen Zeit stammenden Grund-
steuerverfassung und der Exemtionen der Rittergüter des Ostens stärker
belastet gewesen. Man wird den Berechnungen des Verf., zumal er
sich über ihren nur approximativen Wert keinen Illusionen hingibt,
zustimmen, und der in Aussicht gestellten Fortsetzung der Untersuchung,
vor allem ihrer Ausdehnung auf die Grundsteuerverhältnisse der ganzen
preußischen Monarchie, mit Interesse entgegensehen dürfen.
Halle. Gustav Aubin.
Desloges, Dr. Fel., Vergleichende Darstellung der Schuldentilgung in den
deutschen Staaten. Diss. Erlangen, Palm u. Enke, 1914. 8. VIII—91 S55. M. 1,50.
Fernow (Geh. Ob.-Finanzrat, vortr. Rat), A., Ergänzungssteuergesetz. Text-
ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister. (Guttentags Sammlung preußischer
Gesetze, No. 13.) 5. verm. und verb. Aufl. Berlin, J. Guttentag, 1914. kl. 8.
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Knebusch (Rechtsanw.), Dr., Die mecklenburgische Einkommen- und Er-
gänzungssteuer. Systematisch dargestellt. Wismar, Felix Hedicke, 1914. 8. 168 SS.»
M. 1,75.
Loeck (Reichsbevollmächt., Geh. Reg.-Rat), P., Reichsstempelgesetz vom
3. Juli 1913. Mit den gesamten Ausführungsbestimmungen, unter besonderer Be-
rücksichtigung der Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und des Reichs-
gerichts. 12. umgearb. und verm. Aufl. (Guttentags Sammlung deutscher Reichs-
gesetze. Textausgaben mit Anmerkungen, No. 18.) Berlin, J. Guttentag, 1914.
8. X—658 SS. M. 8—.
Pensch, Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896, betr. die direkten Per-
sonalstenern samt den Nachtragsgesetzen, den Vollzugsvorschriften und sonstigen
einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung der Gesetzes-
materialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshofs-Judikatur erläutert und
mit einem Inhaltsverzeichnisse, sowie einem alphabetischen Generalsachregister ver-
sehen. Unter Mitwirkung von Franz Jaroš hrsg. 4. vollständig umgearb. Aufl.
Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 2. Lieferung. S. 81—159. M. 1.—.
Siegfried, Dr. Bernh., Repetitorium der Finanzwissenschaft. Bern,
Stämpfli u. Cie., 1914. 8. 98 SS. M. 3.—.
Wolf (Geh. R.), Prof. Dr. J., Die Steuerreserven in England und Deutsch-
land. Ein Beitrag zur Frage der „Richtungsgrenzen‘‘ beider Staaten. (Finanz-
wirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von Reichsrat Prof. Dr. G. v. Schanz und Geh.
Reg.-Rat Prof. Dr. J. Wolf. Heft 13.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1914. Lex.-8.
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984 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Bigwood (prof.), Georges, Les finances belges en 1913. Paris, M. Giard
et E. Brière, 1914. 25 X 16,5. 46 pag. fr. 1,50.
Landry, A., et B. Nogaro, La crise des finances publiques en France,
en Angleterre, en Allemagne. Paris, F. Alcan, 1914. 16. 272 pag. fr. 3,50.
Marion (Marcel), Histoire financière de la France depuis 1715. T. I.
1715—1789. Paris, A. Rousscau. gr. in-8. fr. 12,50.
Seligman (prof.) Edwin R. A., Essais sur l’impöt. Traduction frangaise,
d’après la 8e édition américaine par Louis Suret. T. 2: Problèmes fiscaux con-
temporains; Evolution de l'impôt; Revenus d'État et revenus locaux; Finances
d'État et finances fédérales; Précision dans les impositions; Classification des re-
venus publics; Réformes récentes; Ouvrages récents; rapports américains sur
l'impôt; l'Impôt fédéral sur le revenu de 1913. Paris, M. Giard et E. Brière
1914. 8. VII—619 pag. 2 Vol. fr. 30.—.
Bilancio (Il) del regno d'Italia negli esercizi finanziari dal 1862 al
1912—13. (Ragioneria generale dello Stato.) Roma, tip. Unione ed., 1914. 8.
662 pp.
Prancis (De), Gerbino Giov., Le imposte sul trasferimento della
proprietà immobiliare per atti tra vivi e la deduzione dei debiti ipotecari, con
speciale riguardo al diritto tributario italiano. Milano, F. Vallardi, 1914. 8. VII—
182 pp. 1.4.—.
Ruggiero, Silvio, La imposta di ricchezza mobile nella teoria e nella
pratica del credito. Milano, Società editrice libraria (tip. Indipendenza), 1914.
8. VI—392 pp. 1.9.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Lederle, K., Die Lebensversicherung, unter besonderer Berück-
sichtigung ihrer rechtlichen Beziehungen zum ehelichen Güterrecht,
Erb- und Konkursrecht, sowie ihrer Besteuerung. Heidelberg (Carl
Winter) 1913. 228 SS.
Der Titel des vorliegenden Buches ist trotz seiner Länge vielleicht
etwas zu eng gefaßt, indem es sich nicht um eine allgemeine Dar-
stellung der Lebensversicherung handelt, sondern um eine rein juristische
Arbeit. Der Verfasser will dem in der Praxis stehenden Juristen das
schwierige Gebiet der Lebensversicherung näher bringen und ihn über
den Stand ihrer wichtigsten rechtlichen Probleme unterrichten. Diesem
„Zweck dient eine überaus eingehende Behandlung aller Rechtsfragen,
die sich aus dem Lebensversicherungsvertrag ergeben. Der Verfasser
geht allgemein vom VVG. als der Rechtsordnung für die Lebensversiche-
rung aus und behandelt exakt den Inhalt dieses Vertrages nach den
Bestimmungen des VVG., sowie die möglichen Begleiterscheinungen,
wie Aenderung und Beendigung des Versicherungsverhältnisses; ferner
besonders ausführlich die recht schwere Materie der Bezeichnung eines
bezugsberechtigten Dritten. Von den übrigen Abschnitten ist die Be-
ziehung der Lebensversicherung zum ehelichen Güterrecht von beson-
derem Interesse, da hierüber noch wenig publiziert ist. Dem kurzen
Abschnitt über die Besteuerung ist eine Uebersicht über die einzelnen
Abgabengesetze angefügt. Die beigegebene Erklärung der Berechnungs-
weise von Prämienreserven ist für den Juristen wohl unverständlich,
zumal die Darstellung von der sonst üblichen Bezeichnungsweise der
Versicherungsrechnung abweicht. Im übrigen sind aber die Ausfüh-
rungen so klar und mit genauer Angabe der Literatur und Rechts-
sprechung versehen, daß sie nicht nur eine willkommene Unterstützung
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 285
in der Rechtspraxis sind, sondern überhaupt eine beachtenswerte Be-
reicherung der Bearbeitung des Privatversicherungsrechts bilden.
Mannheim. H. Meltzer.
Beusch, Dr. Paul, Das Bankwesen. (Staatsbürger-Bibliothek. Heft 39.)
M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 72 SS. M. 0,40.
Bunzl (Rat), Otto, Der Wiener Rentenmarkt 1884—1914. Wien, Manz,
1914. ern VI—112 SS. m. 2 Tab. M. 2,10.
Burckhardt, Dr. C. F. W., Zur Geschichte der Privatbankiers in der
Schweiz. (Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von
der Kommission der Abteilung ‚„Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Institut
Orell Füßli, 1914. gr. 8. 35 SS. M. 1,60.
Fäs, Dr. Emil, Die Berücksichtigung der Entwertung des stehenden Ka-
pitals durch den Erneuerungsfonds bei den schweizerischen Ilauptbahnen vor ihrer
Verstaatlichung (aus „Archiv f. Eisenbahnwesen‘“). (Mitteilungen aus dem handels-
wissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich, hrsg. von Prof. Dr. G. Bach-
mann. Heft 24.) Zürich, Schultheß u. Co., 1914. gr. 8. 100 SS. M. 2.—.
Forstreuter, Dr. Conr., Eine Reichsdepositenbank. (Volkswirtschaft-
liche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen, hrsg. von Prof. Wilh. Stieda.
III. Folge. Heft 9.) Leipzig, Veit u. Comp., 1914. gr.8. VII—162 SS. M. 5.—.
Grigorovitza, Dr. Eudoxe, Der Betriebskredit der Großlandwirte in
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Helfferich, Emil, Die niederländisch-indischen Kulturbanken. (Probleme
der Weltwirtschaft, hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Heft 21.) Jena, Gustav
Fischer, 1914. Lex.-8. IX—223 SS. M.7.—,
Hilbert (Assist), Dr. Hans, Technik des Versicherungswesens (Ver-
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1914. kl.8. 157 SS. M. 0,90.
Lindecke, Dr. Otto, Die Beschaffung der zweiten Hypotheken mit Hilfe
der Gemeinden. Anhang: Städtische Grundrentenanstalten. Verfaßt im Auftrage
des „Rhein. Vereins für Kleinwohnungswesen“. 3. ergänzte Aufl. Düsseldorf,
Schmitz u. Olbertz, 1914. gr. 8. IV—216 SS. M. 4.—.
Loosli, C. E., Die schweizerischen lHypothekenbanken. (Mitteilungen
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Zürich, Schultheßd u. Co., 1914. erg 34 SS. M. 0,40.
Lüscher-Burckhardt, R., Die schweizerischen Börsen. (Hrsg. aus An-
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teilung ‚„Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Institut Orell Füßli, 1914. gr. 8.
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Salings Börsenpapiere. Ein Handbuch für Bankiers und Kapitalisten.
2. (finanzieller) Teil. Börsen-Jahrbuch für 1914/15. Bearb. von Ernst Heinemann,
Dr. Georg Tischert, Joh. Weber, Th. Stegemann. 38. Aufl. Berlin, Verlag für
Börsen- u. Finanzliteratur, 1914. 8. LXXIX—2360 SS. M. 20.—
d’Avout, Bernard, Vers la petite propriété. Le crédit immobilier en
Belgique et en France. Dijon, Darantiere, 1914. 24,5 x 16,5. 2ff.+275 pag.
fr. 5,90. ` SE Zu
Bechmann, René, La réforme bancaire aux États-Unis. Essai histori-
que et critique. Paris, libr. Dalloz, 1914. 8. 237 pag. fr. 8.—.
Gerard, Max-L., Les moyens financiers de l'industrie belge. Bruxelles,
129, rue de la Victoire, 1914. 24 X 16, 1ff. + 26 pag. fr. 1.—.
Kaufmann, Dr. E., La banque en France (considérée principalement au
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fr. 14. (Bibliothèque internationale d'économie politique).
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Schultheß u. Co., 1914. gr. 8. IV—72 SS. M, 1,20.
286 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Sigrain, G., Les banques suisses. Paris, H. le Soudier. 8. fr. 1,50.
Hart, Heber L., The law of banking. London, Stevens. 3rd ed. 8.
1228 pp. 32/—.
Falco, Alb., Corrispondenza bancaria. Milano, U. Hoepli, 1914. 24,
338 pp. 1.3.—.
Rossetti, Car, Il regime monetario delle colonie italiane. Roma, E.
Loescher e C., 1914. 8. 143 pp. 1l. 3.—.
9. Soziale Frage.
Dewavrin und Lecarpentier, La Protection legale des tra-
vailleurs aux Etats-Unis avec exposé comparatif de la Législation fran-
çaise. Paris 1913. On 348 SS.
Die Arbeitergesetzgebung der Vereinigten Staaten setzt dem Streben,
sich mit ihr näher bekannt zu machen, die große Schwierigkeit ihrer
territorialen Zersplitterung entgegen, da sie ganz überwiegend nicht
vom Bunde, sondern von den Einzelstaaten ausgeht, diese aber (die
auch für das gesamte bürgerliche und Verwaltungsrecht zuständig
sind) einen quantitativ und qualitativ so verschiedenartigen Gebrauch
von ihrer gesetzgeberischen Zuständigkeit gemacht haben, daß ein Bild
von buntester Mannigfaltigkeit entstanden ist. Glücklicherweise be-
schränkt sich die großindustrielle Entwicklung des Landes auf zehn
Staaten, die 7—8 Zehntel der Gesamtproduktion und eine entsprechende
Quote der Arbeiterschaft der Union repräsentieren. Dies erleichtert
einigermaßen den Verfassern ihr Werk und auch dem Leser dessen
Studium. Immerhin variiert der Entwicklungsgrad der sozialen Gesetz-
gebung so stark, daß manche der Unionsstaaten darin noch auf dem
Nullpunkt stehen, während andere hinter der gleichartigen Gesetz-
gebung der großen europäischen Industrievölker keineswegs zurück-
geblieben sind. Das hochentwickelte Wirtschaftsleben der Union ver-
dient es aber in reichem Maße, auch von der sozialpolitischen Seite
näher betrachtet zu werden. Die Verfasser haben sich der nicht ge-
ringen Mühe unterzogen, diesen Einblick von dem grundsätzlichen
Standpunkt aus, daß eine praktische Sozialreform den wirtschaftlichen
Fortschritt nicht hindert, sondern fördert, durch ihre erschöpfende und
sehr sorgfältige, dazu gut gegliederte und übersichtliche Arbeit zu er-
schließen. Sie umfaßt den außerordentlich ausgedehnten Bereich dieses
gesetzgeberischen Problems in allen seinen wesentlichen Teilen, jeden
zwar ausgiebig, aber doch in verhältnismäßig knappem Rahmen be-
handelnd. So bildet es eine Art Fortsetzung des älteren Werkes „L’ouv-
rier américain“ von Levasseur, 1878, dessen Andenken es gewidmet ist,
und eine Ergänzung zu Leroy-Beaulieus „Les Etats-Unis au 19 siöcle“,
1909. Jedem Abschnitt ist am Schluß ein Vergleich mit der entsprechen-
den französischen Sozialgesetzgebung beigegeben.
Die Darstellung geht aus vom Arbeitsvertrag im allgemeinen, der,
ganz wie bei uns, von den Gesetzgebern der Union nur unter dem Ge-
sichtspunkte rein individueller Beziehungen zwischen dem einzelnen
Arbeiter und Arbeitgeber geregelt ist. Namentlich stützt sich auch dort
der sehr verbreitete Arbeitstarifvertrag lediglich auf die Kraft der beider-
seitigen Organisationen. Weiter wird die Gesetzgebung über folgende
Materien behandelt: die Arbeitszeit, den Arbeitslohn, die gesundheit-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 287
liche und sonstige Sicherheit der Arbeit, die Heimarbeit, die Gewerbe-
aufsicht, die Berufsunfälle, den Frauen- und Kinderschutz, die Ein-
wanderung und Verwendung ausländischer Arbeitskräfte, die Arbeit
in gewissen besonderen Gewerben (Bergbau, Eisenbahnen, öffentliche
Betriebe), den Schutz der freien gegen die Gefangenen-Arbeit, die Or-
ganisation des Arbeitsnachweises, den Schutz der moralischen und politi-
schen Arbeiterrechte, die Wohlfahrtseinrichtungen, das gewerbliche Aus-
bildungswesen, die Koalitionen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in
ihrer vereinsrechtlichen Seite, ihrem Außen- und Innenleben, endlich
die Arbeitskonflikte und ihre friedliche Beilegung. Im Schlußwort
wird ein Vergleich zwischen der sozialen Gesetzgebung der Union nebst
ihrer gerichtlichen Auslegung und derjenigen Frankreichs gezogen.
Als Anhang ist ein Ueberblick über die neueste, die Jahre 1910—13 um-
fassende Arbeitergesetzgebung des Bundes und der Einzelstaaten bei-
gegeben.
Aus dem reichen Inhalt sei das Folgende hervorgehoben. In 24
Staaten ist ein Höchstarbeitstag, doch nur in einem von ihnen (Mon-
tana) für die gesamte Industrie, sonst nur für einzelne Zweige derselben
zwingend vorgeschrieben, während 17 Staaten zwar einen allgemeinen
Höchstarbeitstag von 8—10 Stunden, doch gleichsam nur als frommen
Wunsch festsetzen, da jeder Einzelarbeitsvertrag die Arbeitszeit ab-
weichend festsetzen kann. Die organisierte Arbeiterschaft kämpft seit
langem für die gesetzliche Einführung des allgemeinen obligatorischen
Achtstunden-Arbeitstags.. Einige Staaten stellen die böswillige Ver-
weigerung der Zahlung geschuldeten Lohnes unter Geld- und sogar
Gefängnisstrafe. Ja, in Kalifornien wird sie gegenüber Arbeitern,
öffentlicher Betriebe sogar als Verbrechen behandelt. Die in Amerika
sehr übliche Verpfändung von Lohnforderungen für Gelddarlehen ist
begreiflicherweise vielfach mit wucherischen Mißbräuchen verknüpft,
gegen welche die Gesetzgebung einschreitet. Ebenso originell wie
praktisch ist dabei die Bestimmung in Kolorado, daß solche Verpfän-
dung sich rechtsgültig nicht über die nächstfolgenden 30 Tage hinaus
erstreckt und für einen verheirateten Mann von der Zustimmung seiner
Frau abhängt. Außer den Lohnzahlungen in Warenbons werden auch
diejenigen in Form von Anweisungen mit bestimmten Fälligkeitstagen
sowi2 die Einbehaltung von Lohnteilen zu späterer Austeilung als
„Gratifikationen‘“ oder unter dem Deckmantel von allerhand Zwangsbei-
trägen im Gesetzgebungswege bekämpft. Dagegen fehlt fast völlig die
gesetzlicho Regelung der strafweisen Lohnabzüge und der sonstigen
Verhängung von Geldstrafen durch den Arbeitgeber. Das sweating-
System und ebenso die eigentliche Heimarbeit sind auf Grund der
Feststellung erschreckender Zustände und Mißbräuche zunächst in Mas-
sachusetts und nach dessen Beispiele von den elf bedeutendsten industri-
ellen Staaten auf der Grundlage der Konzessionspflicht und der gewerbe-
polizeilichen Aufsicht geregelt worden. Am besten durchgeführt ist diese
Regelung in New York und Pennsylvanien. Mehrere Zehntausend
der übelsten Arbeitsstätten dieser Arten sind dank diesem Vorgehen
geschlossen worden, das die Verfasser als vorbildlich für die französische
288 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gesetzgebung anempfehlen. Gelobt werden auch die sehr verschieden-
artig organisierte Gewerbeaufsicht und ihre Erfolge. Die Regelung
der Unfallentschädigungen hat sich im Anschluß an das englische
System der allmählich verschärften Haftung des Arbeitgebers, doch
viel langsamer und schwächer als in England, bisher in 17 Staaten
entwickelt. Im Staate New York ist die Haftung sogar noch vom
Nachweise des Verletzten abhängig, daß er alle schuldige Sorgfalt auf-
gewendet hat, und zudem auf bestimmte Verursachungsumstände be-
schränkt. Im Schutze der arbeitenden Frauen fehlt wunderbarerweise
überall und völlig der wichtige Wöchnerinnenschutz. Trotzdem und
obwohl ferner das französische System in der Union nicht besteht, wo-
nach die Arbeitszeit der Frauen auch auf „gemischte“ Betriebe (in
denen Frauen und Männer zusammen arbeiten) Anwendung findet, wird
die Regelung der Frauen- und Kinderarbeit im ganzen für besser als in
den meisten Ländern Europas erklärt. Von besonderem Interesse,
namentlich wegen des gegenwärtigen andauernden Konfliktes auf diesem
Gebiete zwischen der Union und Japan, ist die Schilderung der Motive
und der geschichtlichen Entwicklung der die Einwanderung fremder,
namentlich rassenfremder Arbeitskräfte betreffenden Gesetzgebung. In
der Darstellung des Verhaltens der Gesetzgebung gegenüber der organi-
sierten Arbeiterbewegung, den Arbeitskämpfen und den Versuchen und
Einrichtungen zu deren friedlicher Beilegung erreicht die Darstellung
ihren Höhepunkt.
Nach dem Gesamteindrucke vom Inhalt des Werkes kann man
sagen, daß in zwei wichtigen Hinsichten die Gesetzgebung der Union
ganz besonderen Anlaß zu ergiebiger Entfaltung gehabt hat und noch
hat. Einmal durch die außerordentlich bunte Zusammensetzung der aus
allen möglichen Ländern eingewanderten und nach Nationalität, Sprache,
Sitte usw. nichts weniger als homogenen, vielmehr äußerst differen-
zierten Arbeitermassen, die naturgemäß weit größere Gefahren auf
allen Gebieten der Arbeitsbetätigung für deren einzelne Angehörigen
in sich schließt als in national einheitlicheren und von Zuwanderungen
weniger beeinflußten Volkswirtschaften. Sodann durch die große Rolle,
welche dio beiderseitigen Organisationen und die Konflikte zwischen
ihnen, vor allem die Streiks, in der Union spielen. Die Schwere, wie
die eigenartigen, oft grotesken Erscheinungsformen der letzteren und
die vielen mit ihnen verknüpften Mißbräuche bedingen eine ent-
sprechende vielseitige Stellungnahme und Spezialisierung der Gesetz-
gebung. Je mehr in den alten Kulturländern die Arbeitskonflikte an
Zahl, Umfang und Schärfe zunehmen, um so interessanter und um so
wichtiger wird das Studium der gleichzeitigen und gleichartigen Er-
scheinungen schwereren und raffinierteren Charakters in der neuen
Welt, für das dieses Werk eine vortreffliche Unterlage darbietet.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
Meyer, Paul, Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. Jena
(Gustav Fischer) 1914. 112 SS.
Verf. behandelt zunächst die Arbeitslosenbeschäftigung historisch
und theoretisch, um dann festzustellen, was in den letzten Jahren
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 289
namentlich von den Städten durch die Inangriffnahme von Notstands-
arbeiten geschehen ist, und welche Ergebnisse dadurch erzielt sind.
Auch wer sich mit der Frage näher beschäftigt hat, wird namentlich
in dem zweiten Teile manches Neue und Interessante finden. Es wird
festgestellt, daß die größeren Städte bei uns in dem Notstandsjahr
z. B. 1908/09 sehr umfassende Notstandsarbeiten unternommen haben,
unter Zusetzung sehr beträchtlicher Summen, doch vermißt Verf. ein
einheitliches, zielbewußtes Vorgehen und verlangt ein planmäßiges wohl-
geordnetes System in der städtischen Verwaltungstätigkeit. Er geht aber
hierüber noch hinaus und fordert das Eingreifen des Staates, was unserer
Ansicht nach doch nur ganz ausnahmsweise verlangt werden kann. Auch
die vom Verf. verlangten sozialen Kommissionen in den Industriezentren
mit staatlicher Unterstützung scheinen uns über das richtige Maß
hinauszugehen, doch müssen wir hervorheben, daß Verf. ein Recht auf
Arbeit nicht anerkennt. ` J. Conrad.
Anstaltsfürsorge, Die, für körperlich, geistig, sittlich und wirtschaft-
lich Schwache im Deutschen Reiche in Wort und Bild. IV. Abteilung. Deutsche
Krüppelheime. Hrsg. von (Dir. Pfr.) Hoppe. Halle a. S., Carl Marhold, 1914.
Lex.-8. VII—159 SS. M.5.—.
Armenwesen, Das gesetzliche und organisierte freiwillige, in der Schweiz.
Hrsg. von der ständ. Kommission der schweizerischen Armenpfleger-Konferenzen.
2 Bde. M. 11,20. 1. Bd. Schmid, Dr. C, A., Das gesetzliche Armenwesen
in der Schweiz. Das Armenwesen des Bundes, sämtl. Kantone und der schweizeri-
schen Großstädte. Mit Sachregister X—369 SS. M. 6,40. — 2. Bd. Wild (Pfr.),
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VII—294 SS. M. 4,80. Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8.
Bittmann, Karl, Arbeiterhaushalt und Teuerung. Jena, Gustav Fischer,
1914. gr. 8. XVII—181 SS. M. 5.—,
Fischer (Reichstagsabgeord.) Edm., Frauenarbeit und Familie. (Aus:
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Güttler, Dr. Gerh., Die englische Arbeiterpartei. Ein Beitrag zur Ge-
schichte und Theorie der politischen Arbeiterbewegung in England. Jena, Gustav
Fischer, 1914. gr. 8. X—211 SS. MB
Hanauer, Dr. W., Die hygienischen Verhältnisse der Heimarbeiter im
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für Hygiene, und einer Einführung von Prof. Dr. M. Neißer. Jena, Gustay Fischer,
1914. 8. 56 SS. M. 1.—.
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Hornek (Magistr.-Ober-Kommissär), Dr. Rud., Die Gewerkschaften und
die öffentliche Arbeitslosenversicherung. Im Auftrag des Wiener Magistrats ver-
faßt. Wien, Gerlach u. Wiedling, 1914. gr. 8. 51 SS. M. 0,50.
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Von Emil Lederer. (Aus: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik.) Tü-
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Kundgebung, Oeffentliche, für Fortführung der Sozialreform. Ver-
anstaltet am 10. Mai 1914 in Berlin von der Gesellschaft für soziale Reform.
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1914. 8. 66 SS. M. 0,50.
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reich Sachsen. (Freie Beiträge zur Wohnungsfrage im Königreich Sachsen, hrsg.
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Dritte Folge Bd. XLVIII (CI. 19
290 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dresden-A, Zentralstelle für Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen, 1914.
Lex.-8. 128 und 27 SS. mit 2 farb. Taf. u. 1 Karte. M. 3,50.
Totomianz, Dr. V., Theorie, Geschichte und Praxis der Konsumenten-
organisation. Vom Verfasser bewirkte Umarbeitung des russ. Originals. Berlin,
R. L. Prager, 1914. Lex.-8. V—280 SS. und 1 Tab. M.7.—.
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Hrsg. von (Geh. Med.-Rat) Prof. Dr. C. Fraenken. 26. Liefg. VII. Bd. 2. Abt.
Gewerbehygiene. Bearb. von Agn. Bluhm, F. Curschmann, E. Günther u. a.
Allgemeiner Teil. 3. Abt. Koelsch, Dr. Fr.: Allgemeine Gewerbepathologie und
Gewerbehygiene. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1914. Lex.-8. III und S. 205
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1914. 18. 180 pag. fr. 2,50.
Waterkeyn, Jean, Le probleme de l'alcool en Belgique. La solution:
Une société nationale concessionnaire du monopole. Suivi d'une consultation juridi-
que, par Mre Alphonse Leclercq. Anvers, Aug. van Nylen, 1914. 22X 15,5.
136 pag. fr. 2,50.
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Bericht über das 19. Geschäftsjahr der preußischen Zentralgenossen-
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Wuttig, Dr. Mart, Die Organisation des genossenschaftlichen Geldaus-
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dankens. Berlin, Julius Springer, 1914. 8. 26 SS. M. 0,60.
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Keller (Wirkl. Legat.-Rat, vortr. Rat), Dr. F. v., u. (Amtsrichter) Dr. P.
Trautmann, Kommentar zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.
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Köhler (Ministerialdir., stellvertr. Bundesratsbevollm.), Dr. L. v., (Ober-
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Dr. W. Schall, Reichsversicherungsordnung nebst Einführungsgesetz mit Er-
läuterungen. Erg.-Bd. I. Teil. Vorschriften für das Reich. 1. Liefg. Aus-
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M. 2,80.
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Strafverfolgung. Eine polizeirechtliche Studie auf der Grundlage des preußischen
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Universität Marburg, hrsg. von Prof. Dr. W. Schücking. Heft 19.) Marburg a L.,
Adolf Ebel, 1914. 8. 117 SS. M. 2,80.
Küppers, Dr. Paul, Kommunalverwaltung und Presse. Vortrag. Leipzig,
Gustav Fock, 1914. 8. 70 SS. M. 1,20.
Kuziatin, Dr. Witaly, Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten
rechtsvergleichend dargestellt. (Strafrechtliche Abhandlungen, begründet von Prof.
Dr. Hans Bennecke, hrsg. von Geh. Hofrat Prof. Dr. v. Lilienthal. Heft 179.)
Breslau. A. Kurtze, 1914. gr. 8. X—123 SS. M. 3,20.
Ledl, Art., Studien zur älteren athenischen Verfassungsgeschichte. Heidel-
berg, Carl Winters, 1914. 8. VII—422 SS. M. 10.—.
Lüttich, Dr. Georg, Bundesrat und Reichstag bei der Kolonialgesetz-
gebung. (Kolonialrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Prof. Hub. Naendrup. Heft 5.)
Münster, Franz Coppenrath, 1914. Lex.-8. X—114 SS. M. 3.—.
Maier, Dr. Hans, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen der konstitutio-
nellen Theorie. Tübingen, J. ©. B. Mohr, 1914. gr. 8. VIII—83 SS. M. 2.—.
Mayer, Otto, Deutsches Verwaltungsrecht. 1. Bd., 2. Aufl. (Systematisches
Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Hrsg. von Prof. Dr. Karl Binding.
KE Se l. Bd.) München, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XIV—401 SS.
19*
292 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Meyer (Sem.-Prorekt.), Dr. Friedr., Deutsche Staatsbürgerkunde auf ge-
schichtlicher Grundlage. Verfassung, Verwaltung, Recht, wirtschaftliches Leben,
geistiges Leben. In geschichtlicher Entwicklung dargestellt. Halle a. S., Buch-
handlung des Waisenhauses, 1914. 8. VI—140 SS. M. 2,40.
Neuhaus (Dir.), Dr. Georg, Uebersicht über die Verfassungsgeschichte
der Stadt Cöln seit der Römerzeit und über ihre Verwaltung im 20. Jahrhundert.
Im Auftrage des Oberbürgermeisters bearb. Köln, Paul Neubner, 1914. Lex.-8.
VII—216 SS. mit eingedruckten Kartenskizzen, 6 (2 farb.) Plänen und 10 Taf.
M. 3.—.
Sachs, Loth., Die Entwicklungsgeschichte des bayerischen Landtags in
den ersten 3 Jahrzehnten nach der Verfassungsgebung 1818—1848. Im Zusammen-
hang mit der allgemeinen politischen Geschichte jener Zeit. Würzburg, Gebr.
Memminger, 1914. 8. 166 SS. M. 2.—.
Schmid, Dr. Matth., Verfassung und Verwaltung der deutschen Städte.
(Aus Natur und Geisteswelt, 466. Bdchen.) Leipzig, B. G. Teubner, 1914. kl. 8,
IvV—118 SS. M. 1—.
Stieglitz, Dr. Leop., Die Staatstheorie des Marsilius v. Padua. Ein Bei-
trag zur Kenntnis der Staatslehre im Mittelalter. (Beiträge zur Kulturgeschichte
des Mittelalters und der Renaissance. Hrsg. von Walt. Goetz, Bd. 19.) Leipzig,
B. G. Teubner, 1914. gr. 8. IV—56 SS. M. 2.—.
Stier-Somlo, Prof. Dr., Kommentar zur Reichsversicherungsordnung
und ihrem Einführungsgesetz. Vom 19. Juli 1911. 4. Lieferung. Berlin, Franz
Vahlen, 1914. Lex.-8. S. 497—736. M. 4,50.
Wolzendorff (Privat-Doz.), Dr. Kurt, Der Gedanke des Volksheers im
deutschen Staatsrecht. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Eine
Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der gesamten Staats-
wissenschaften, No. 4.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr. 8. XII—63 SS.
M. 1,60. `
Commercial laws of the world. Vol. 4. Brazil. Compiled by R. Octavio
and de Langgaard Menezes. Translated by J. N. Marsden. London, Sweet and
Maxwell. Royal 8. 490 pp. £. 2.—.
Geldart, W. M., The present law of trade disputes and trade unions.
London, Milford. 8. 61 pp. 6/.—.
Jones, Tom Bruce, One hundred reasons against Home Rule. 2nd. ed.
London, Oliver and Boyd. Cr. 8. 136 pp. 6/.—.
Borsi, prof. Umb., Corso di diritto amministrativo e scienza dell’ammi-
nistrazione. Fasc. I. Macerata, tip. F. Giorgetti e C., 1914. 8. p. 1—62.
de Hoon, H., De kinderwetten in België en in Nederland. Antwerpen, De
Nederlandsche Boekhandel. 25X 16,5. 96 blz. fr. 1,50.
12. Statistik.
Allgemeines.
Herbst, Dr. Rich., Die Methoden der deutschen Arbeitslosenstatistik.
(Deutsches statistisches Zentralblatt, Heft 6.) Leipzig, B. G. Teubner, 1914. gr. 8.
VI—183 SS. M. 5.—.
Mayr (Unterstaatssekr. z. D.), Prof. Dr. Georg v., Statistik und Gesell-
schaftslehre. 1. Bd. Theoretische Statistik. 2. umgearb. und vermehrte Auflage,
(Aus: „Handbuch d. öffentl. Rechts“, Einleitungsband.) Tübingen, J. C. B. Mohr,
1914. Lex.-8. VII—357 SS. M. 9.—.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik des Rigaischen Handels (Rigas Handel und Schiff-
fahrt). Jahrg. 1912. Hrsg. von der handelsstatistischen Sektion des Rigaer Börsen-
Komitees, unter der Leitung des Sekretärs desselben, Bruno v. Gernet. 2. Abteilung.
Rigas Handelsverkehr auf den Eisenbahnen. Riga, E. Bruhns, 1914. 36X29 cm.
XVIII—72 SS. M. 7.—.
Grunenberg, Dr. A., Das Religionsbekenntnis der Beamten in Preußen.
1. Bd. Die höheren staatlichen Beamten. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht,
1914. gr. 8. 443 SS. mit 11 Taf. M. 11,20.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 293
Jahrbuch, Statistisches, deutscher Städte. In Verbindung mit Drs.
Badtke, W. Beukemann, Berendt u. a. hrsg. von (Dir.) Prof. Dr. M. Neefe. 20.
Jahrgang. Breslau, Wilh. Gottl. Korn, 1914. gr. 8. XVI—907 SS. M. 17,50.
Statistik des Deutschen Reiches. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte.
264. Bd. Bestand der deutschen Binnenschiffe am 31. Dezember 1912. 29 und
130 88. M. 2.—. — 271. Bd., Auswärtiger Handel im Jahre 1913. Der
Verkehr mit den einzelnen Ländern im Jahre 1913, unter Vergleichung mit
den 4 Vorjahren. 19. Heft. Canada, Vereinigte Staaten von Amerika. 80 S55.
(Vollständig M. 14.—.) Einzelpreis M. 1.—. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht,
1914. 33,5x 26,5 cm.
Versicherungs-Statistik für 1912 über die unter Reichsaufsicht
stehenden Unternehmungen. Hrsg. vom Kaiserl. Aufsichtsamt für Privatversiche-
rung. Berlin, J. Guttentag, 1914. Lex.-8. 83 u. 402 SS. mit 1 Taf. M. 10.—.
Oesterreich-Ungarn.
Statistisches Handbuch des Königreiches Böhmen;
II. Ausgabe (Deutsche Ausgabe). Zusammengestellt vom Statistischen
Landesbureau des Königreiches Böhmen. Prag (Selbstverlag) 1913.
Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des
Königreiches Böhmen, Bd. XVIII, Heft 2: Anbau- u. Ernte-
statistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der landwirtschaft-
lichen Industrie im Königreiche Böhmen für die Betriebsperiode 1911/12.
Erster Teil: Text. Deutsche Ausgabe. Prag (Selbstverlag) 1913.
Ungeachtet des großen Arbeits- und Kostenaufwandes, den die
jedesmalige Herausgabe eines Handbuches erfordert, hat das Statistische
Landesbureau des Königreiches Böhmen der I. Ausgabe seines „Sta-
tistischen Handbuches“ vom Jahre 1912 schon im Juli 1913 eine
II. Ausgabe folgen lassen. Die in böhmischer und deutscher Sprache
der Oeffentlichkeit übergebene II. Ausgabe will hinsichtlich ihres Um-
fanges nicht nur eine Ergänzung der ersten sein, vielmehr dieser als
ebenbürtiges, selbständiges und in einzelnen Teilen durch vollständig
neue Tabellen erweitertes Ganzes gegenüberstehen und die erste Aus-
gabe im wesentlichen entbehrlich machen. Beide Ausgaben zusammen
stellen eine systematische Zusammenfassung der offiziellen Daten über
das Königreich Böhmen überhaupt dar.
In 18 Hauptabteilungen und zahlreichen Unterabteilungen bietet
die vorliegende Ausgabe des Handbuches die Aufarbeitung eines reichen
statistischen Materials in nahezu 400 Tabellen. Eine besonders ein-
gehende Behandlung haben dabei die Abteilungen Gewerbe, Industrie
und Handel, Landwirtschaft, Finanzen, Schülwesen und Bildungsan-
stalten, Kredit und Versicherungswesen erfahren. Neben einer detail-
lierten systematischen Inhaltsübersicht am Anfang des Tabellenwerkes,
finden sich bei den einzelnen Uebersichten regelmäßig genaue Quellen-
angaben für das in denselben verarbeitete Zahlenmaterial. Auch ist
in der systematischen Inhaltsübersicht ein Zusammenhang der II. Aus-
gabe des Handbuches mit der ersten hergestellt, insofern als jeweils auf
die Aufschriften der entsprechenden Tabellen der ersten Ausgabe Bezug
genommen ist, so daß hieraus der Wegfall alter und die Bereicherung
der II. Ausgabe durch neue Tabellen leicht erkennbar wird. Zu ein-
zelnen der im Handbuch behandelten Abteilungen gibt ein Anhang eine
Vervollständigung, in dem ergänzend die Daten aus jenen Quellen zu-
994 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sammengestellt sind, welche während der Drucklegung des Handbuches
erschienen waren. Auf diese Weise sucht das Handbuch auf den wich-
tigsten Gebieten auch den neuesten statistischen Erhebungen Rech-
nung zu tragen. — Ein Vergleich des „statistischen Handbuches‘“ des
Königreiches Böhmen mit dem „statistischen Jahrbuch“ für den preußi-
schen Staat in großen Zügen nach Inhalt und Gliederung des Stoffes,
läßt — unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich hier um ein
Handbuch, dort um ein Jahrbuch handelt — nur unwesentliche Unter-
schiede hervortreten. Dagegen sind letztere erheblicher mit Bezug auf
äußere Form, Anordnung der Tabellen und Aufarbeitung des Zahlen-
materials in den Tabellen. —
Wio in den Vorjahren, werden in dem an zweiter Stelle genannten
Band XVIII, Heft 2 der Mitteilungen des Statistischen Landesamtes
des Königreiches Böhmen die Ergebnisse der Anbau- und Ernte-
statisti: mitgeteilt. Die textliche Darstellung im ersten Teil des Heftes
behandelt unter besonderer Berücksichtigung der Witterungs- und Vege-
tationsverhältnisse in der Wirtschaftsperiode 1911/12, die Anbau- und
Ernteflächen, die Ernteergebnisse des Feld- und Wiesenbaues und den
böhmischen Hopfen-, Wein- und Obstbau im Jahre 1912. Von be-
sonderem Interesse ist eine im Anschluß an die Anbau- und Ernte-
statistik gegebene Darstellung der Produktionsergebnisse, Steuererträg-
nisse u. a. der drei wichtigsten Zweige der landwirtschaftlichen In-
dustrie Böhmens, der Bier-, der Spiritus- und der Rübenzuckerindustrie.
Ein Anhang über die Ergebnisse der Bienenzucht in Böhmen im Jahre
1912 (Angaben über die Zahl der Bienenstöcke, Honig- und Wachs-
erträgnisse, Honig- und Wachspreise) und ein vorläufiger Bericht über
die Ernte der Hauptgetreidearten im Jahre 1913 (Ernteflächen in Hek-
taren, durchschnittlicher Hektarertrag und Gesamtertrag an markt-
fähigen Körnern für die Hauptgetreidearten in den einzelnen natür-
lichen Gebieten des Königreiches) beschließen den textlichen Teil des
Heftes. — Der zweite Teil bietet in 4 Haupttabellen über die ursprüng-
lichen Anbauflächen im Jahre 1912, die Ernteflächen des Jahres 1912,
die Ernteergebnisse 1912 und die Rübenzuckerproduktion Böhmens in
der Betriebsperiode 1911/12, die zahlenmäßigen Unterlagen für die
textliche Darstellung. Dem Heft ist ein Bericht über die Tätigkeit
des Statistischen Landesamtes für das Königreich Böhmen im Jahre
1912 beigefügt.
Halle. Thieme.
Gebarung, Die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des
Gesetzes vom 28. Dezember 1887, betr. die Unfallversicherung der Arbeiter, er-
richteten Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1911. Vom Minister des
Innern dem Reichsrate mitgeteilt in Gemäßheit des $ 60 des zitierten Gesetzes.
Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. III—227 SS. M. 3.—.
Koväcs (Minist.-Sekr.), Alois, Die Morbidität und Mortalität der Ar-
beiter in Ungarn. (Schriften der ungarischen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiter-
schutz. Ungarische Sektion der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Ar-
beiterschutz. Heft 11.) Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. 25 SS. M. 0,80.
Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentralkommission.
92. Bd. 2. Heft. Statistik des Sanitätswesens in den im Reichsrate vertretenen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 295
Königreichen und Ländern für die Jahre 1907, 1908, 1909 und 1910. Bearbeitet
von dem Bureau der k. k. Statist. Zentralkommission. Wien, Carl Gerolds Sohn,
1914. 36xX26,5 cm. XXI—408 SS. M. 15.—.
Schweiz.
Entwicklung, Die, des schweizerischen Außenhandels in den Jahren
1886—1912. (Schweizerische Handelsstatistik.) Hrsg. vom schweizerischen Zoll-
departement. XXVIII—413 SS. M. 7.—. — Dasselbe. Graphische Darstellungen
des Verkehrs mit den wichtigsten Handelsartikeln. Tableaux graphiques du mouve-
ment des principaux articles de commerce. (In deutscher und französischer Sprache.)
24. Bl. M.6. Bern, A. Francke, 1914. gr. 8. d
Frankreich,
Statistique generale de la France. Annuaire statistique. 32 vol. 1912.
Paris, Impr. nationale, 1913. Grand in-8. LIX—600 pag.
Statistique generale de la France. Statistique internationale du mouve-
ment de la population d'après les registres de l'état civil. Second volume. Anndes
1901 à 1910. Ouvrage accompagné de sept tableaux graphiques. Paris, Impr.
nationale, 1913. Grand in-8. XXXVIII—463 pag. (Ministère du travail et de la
prévoyance sociale.)
13. Verschiedenes.
Ewald, Walther, Dr. med., Privatdozent in Frankfurt a. M.,
Soziale Medizin, Ein Lehrbuch für Aerzte, Studierende, Medizinal-
und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen.
2. Bd. Mit 75 Textfiguren. Berlin, Julius Springer. 26 M., geb.
28,50 M.
Der erste Band dieses umfangreichen Lehrbuches der Sozialen
Medizin ist in unserem Sammelreferat, oben Bd. 46, Heft 5, Seite 691,
besprochen. Der zweite Band liegt jetzt vor und behandelt — außer
einem kleinen Kapitel über den Arbeiterschutz — lediglich die soziale
Versicherung. Ueber die systematische Anlage des Werkes habe ich in
dem Sammelreferat gesprochen, und Näheres ist darüber noch in einem
Aufsatz der Deutschen Vierteljahrsschrift für Oeffentl. Gesundheits-
pflege, Bd. 46, S. 254 fg., nachzulesen.
Der jetzt vorliegende zweite Band ist ein Werk von bewunderungs-
würdigem Fleiße und großer Sachkenntnis. Es ist ein wahrhaft sozial-
medizinisches Werk, weil es unter gründlicher Beherrschung der Ver-
sicherungsgesetzgebung die Statistik ihrer Erfolge und ihres Gebarens
heranzieht und diesen ganzen sozialwirtschaftlichen Komplex unter
medizinischen, sozialversicherungsärztlichen Gesichtspunkten behandelt.
Da werden also nicht bloß Gesetzesbestimmungen kommentiert, sondern
mit der Medizinalstatistik und den Fragen der Heilbehandlung praktisch
dargestellt. Ueberall zieht der Verfasser auch die Entscheidungen der
Behörder: heran. Namentlich äußert er sich zu der schwierigen Arzt-
frage, zu den Problemen der Simulation und Rentenhysterie, Dauer
und Art der Behandlung, zu dem Begriff des Betriebsunfalles, der Be-
urteilung einer Verminderung der Erwerbsfähigkeit, dem Heilverfahren.
Der Arzt reicht hier dem Sozialstatistiker die Hand und es entsteht
ein wirklich lebendiges Bild von den gesetzlichen und tatsächlichen
Leistungen der Träger der Versicherung. Das umfangreiche Werk
erfreut sich wohlgeordneter Gliederung und eines guten Sachregisters,
296 Die periodische Presse des Auslandes.
so daß es als Handbuch für Aerzte, Sozialstatistiker, Verwaltungs-
beamte (namentlich der Versicherungsbehörden), für Juristen, die mit
der Versicherungsgesetzgebung zu tun haben, von großer Wichtig-
keit ist.
Ein solches zusammenfassendes Werk auf Grund des neuesten
Standes der Gesetzgebung — auch das Angestelltenversicherungsgesetz
ist eingeschlossen — existiert meines Wissens noch nicht. Sehr in-
struktiv ist auch der einleitende Ueberblick über die Entstehung der
sozialen Versicherung mit einer geschickt gemachten graphischen Dar-
stellung.
Auf Einzelheiten einzugehen ist ganz unmöglich. Stichproben aus
dem 700 Seiten starken Band zeigen seine Zuverlässigkeit. Nur scheint.
die Literatur nicht bis in die allerneueste Zeit berücksichtigt zu sein,
was mit der allmählichen und natürlich langsamen Fertigstellung dieses
Buches zusammenhängt. Das gleiche gilt stellenweise von den sta-
tistischen Ergebnissen. Das ist jedoch bei der Bewältigung dieses
riesenhaften Stoffes, wenn ihn ein Einzelner von der volkswirtschaft-
licheu wie von der medizinischen Seite aus erschöpft, nicht anders mög-
lich. Daß Ewald die Sozialversicherung von diesen beiden Seiten aus
zusammenfassend als ein einheitliches Ganzes darstellte, ist ein so
großes Verdienst, daß man über das Fehlen der allerneuesten Angaben
hinwegsehen muß und sich sehr wohl mit denen begnügen muß, die bei
der Bearbeitung vollständig und zuverlässig vorlagen — das sind aber
oftmals noch die Zahlen von 1910 und 1911. Dieser Band wird —
weit mehr als der erste Band des ganzes Werkes — von dauernder Be-
deutung gefunden werden und von dem Fleiß wie der Sachkunde des
Verfassers hervorragendes Zeugnis ablegen. Alexander Elster.
Bauer, Wilh., Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grund-
lagen. Ein Versuch. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr. 8. VII—335 SS. M. 8.—.
Collier, Price, Deutschland und die Deutschen. Vom amerikanischen Ge-
sichtspunkt aus betrachtet. Uebers. von E. v. Kraatz. Braunschweig, George
Westermann, 1914. gr. 8. III—360 SS. M. 4,50.
Tews, J., Ein Jahrhundert preußischer Schulgeschichte. Volksschule und
Volksschullehrerstand in Preußen im 19. und 20. Jahrhundert. Leipzig, Quelle u.
Meyer, 1914. 8. XII—270 SS. M. 3.—.
Ziegler, Theob., Menschen u. Probleme. Reden, Vorträge und Aufsätze.
Berlin, Georg Reimer, 1914. gr. 8. IX—424 SS. M. 7.—.
Craik, Henry, The state in its relation to education. New and revised
ed. London, Macmillan. Cr. 8. 210 pp. 3/.6.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de Statistique et de Législation comparée. 37e Année, mai 1914:
L'exploitation du monopole des allumettes en 1912. — L'exploitation du monopole
des tabacs en 1912. — Les produits de l'enregistrement, des domaines et du timbre
constatés et recouvrés, en France, pendant l’exercice 1912 (suite et fin.). —
La caisse nationale d'épargne en 1912. — Le commerce extérieur. — etc.
Journal de la Société de Statistique de Paris. 55e Année, juin 1914, No. 6:
Les émissions et remboursements d'obligations des six grandes compagnies de
Die periodische Presse des Auslandes. 297
chemins de fer en 1913, par Alfred Neymarck. — La circulation de la monnaie
en France, par G. Roulleau. — Chronique agricole, par Marcel de Ville-Chabrolle.
— Chronique des questions ouvrières et des assurances sur la vie, par Maurice
Bellom. — etc.
Journal des Economistes. 73e Année, juin 1914: Les risques de guerre et
les charges militaires, par Yves Guyot. — Le fisc et les societes, par Etienne
Falk. — Les relations de l'État et des grandes compagnies de chemins de fer
jasqu’ à la fin des concessions. — La production de l'or et les échanges inter-
nationaux, par N. Mondet. — Société d’&conomie politique (Reunion du 5 juin
1914): L’impöt et les titres étrangers. Communication de M. François Marsal. — etc.
Mouvement Social, Le. 39e Année, juin 1914, No. 6: L'organisation
scientifique du travail: Le système Taylor: I. Les principes, par M. Porton. —
Autour de l’ide& syndicale: paroles de Rome, par J. Zamanski. — États-Unis: Trusts
et tarifs, chömage, syndicalisme, travail des femmes, salaire minimum, accidents,
par G. Desveaux. — etc.
Réforme Sociale, La, 34e Année, mai 1914, No. 81: L'organisation de la
bienfaisance aux Etats-Unis, par Paul Escard. — L’enfance malheureuse en France
(suite). La protection legale de l’enfance, par Frédéric Charpin. — Société
d'économie sociale (Séance du 9 mars 1914): Les crises d'essor économique et
la situation actuelle. Communication de M. le baron Charles Mourre. — Le mou-
vement économique et social, par F. Lepelletier. — ete.
Revue d'économie politique. 28e Année, mai-juin 1914, No. 3: Les limites
de l'association coopérative de consommation, par Prof. Dr. Totomianz. — La circu-
lation monétaire française et le mouvement des prix, par Charles Rist. — Le
blé et le pain. Coopération et intégration, par A. Dugarçon. — La prescription
de la contribution patronale établie par la loi sur les retraites ouvrières et
paysannes, par Pierre Moride. — etc.
Revue internationale de Sociologie. 22e Année, juin 1914, No. 6: Le ca-
ractère du peuble japonais, par Téruaki Kobayashi. — Société de Sociologie de
Paris (Séance du 13 mai 1914): Le libéralisme religieux. Communication de l'abbé
P. Naudet. Observations de Paul Raphael, Ch. Rabany, P. Grimanelli, Th. Joran,
P. Naudet. — etc.
Science Sociale, La. 29e Année, 116e fascicule, Mai 1914: Le Bauer
du Münsterland, par H. Hemmer et P. Descamps. — 117e fascicule, juin 1914:
Le remembrement de la propriété rurale à l'étranger, par G. Hottenger.
B. England. 7
Century, The Nineteenth and after. July 1914, No. 449. The principal
lesson of the Balkan wars, by Max Waechter. — Throughts on the land question,
by Henry Seton-Karr. — Is the House of commons just? by William Gascoyne-
Cecil. — ete.
Journal, The Economic. Vol. XXIV, June 1914, No. 94: The labour move-
ment and the strike of 1913 in New Zealand, by Prof. J. Hight and G. G.
Hancox. — Wages in Yorkshire in the seventeenth and eighteenth centuries, by
H. Heaton. — The report on Indian finance and currency in relation to the gold
exchange standard, by Prof. J. S. Nicholson. — etc.
Journal of the Institute of Bankers. Vol. 35, Part VI, June 1914: Report
of the council and proceedings at the annual general meeting (Session 1913-14).
— Gold reserves, by the Right Hon. Frederick Huth Jackson. — Some disabilities
affecting banks as trustees, by J. H. Philipps. — etc.
Review, The Contemporary. July 1914, No. 583: The reconstruction of the
constitution, by D. V. Pirie. — The insurance act at work, by Sydney Webb
and Rose Gardner. — School children as wage earners, by Miss N. Adler. —
The moral protection of the young, by Mary H. L. Bunting. — etc.
Review, The Fortnightly. July 1914, No. 571: The Albanian tangle, by Dr.
E. J. Dillon. — The lords and the bill, by Philalethes. — The Imperial muddle:
admiralty and dominions, by Archibald Hurd. — The tribute of modern Britain,
by L. G. Chiozza Money. — Why not two Irish parliaments?, by H. Hamilton
Fyfe. — ete.
Review, The National. July 1914, No. 377: Some impressions of the Ulster
volunteers, by the Earl Percy. — The Unionist party and the general election,
298 Die periodische Presse des Auslandes.
by Lord Willoughby de Broke. — The cabinet et the Empire, by W. J. Courthope.
— Notes on earned and unearned incomes, by W. H. Mallock. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. Handels-
museums. Bd. 29, 1914, No. 25: Ernteaussichten, Geschäfts- und Wirtschaftslage
in Rumänien, von Leopold Fischl. — Oesterreich-Ungarns Handelsbeziehungen zu
Japan. — ete. — No. 26: Die temporäre Aufhebung der Getreidezölle, von (Reg.-
Rat) Prof. Dr. Josef Gruntzel. — Die Organisation des Pariser Exporthandels.
— etc. — No. 27: Die Geschäftslage in der Türkei, von Gustav Herlt. — Die
französische Automobil- und Aeroplanindustrie. — etc. — No. 28: Chroniken über
das Wirtschaftsjahr 1913. — Der Schiffahrtsverkehr in den französischen Häfen.
— etc.
Mitteilungen, Volkswirtschaftliche aus Ungarn. Hrsg. vom Königl. ungar.
Handelsministerium. Jahrg. 9, April 1914, Heft 4: Handel und Industrie im Jahre
1913. I. Die Tätigkeit des Ungarischen Kaufmännischen Landesverbandes. II. Die
Tätigkeit des Bundes der Ungarischen Fabrikindustriellen. — Die ungarischen
Genossenschaften im Jahre 1912. — Die öffentlichen Lieferungen der staatlichen
Behörden, Munizipien und Gemeinden im Jahre 1912. — Die staatliche Industrie-
förderung in Ungarn im Jahre 1912. — Die ungarischen Industrieunternehmungen
in Form von Aktiengesellschaften. — Die ungarischen Eisenbahnen im Jahre 1912.
— etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels-
ministerium. Jahrg. 15, Mai-Juni 1914, Heft 5: Sozialpolitische Bestimmungen
der österreichischen Personalsteuernovelle. — Schutz des Lebens und der Sicher-
heit der Arbeiter in industriellen Betrieben in den Niederlanden (Gesetze und
königl. Erlaß). — Arbeiterschutz in der Großeisenindustrie (Deutsches Reich). —
Staatliche Arbeiterfürsorge in Bayern. — Arbeitsbeirat (Oesterreich). — Schutz
der Auswanderer (Italien). — Sozialversicherung (Oesterreich). — Gewerk-
schaften in Ungarn 1912. — Gewerkschaften in Italien 1911 und 1912. — Arbeits-
konflikte in Finnland und Schweden 1913. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung
in Oesterreich im April 1914. — Staatliche Arbeitsvermittlung in England 1913.
— Die Arbeitslosigkeit in Wien bei den der Gewerkschaftskommission Oesterreichs
angegliederten Verbänden in den Jahren 1910—13 (Schluß). — Städtische Arbeits-
losenfürsorge im Deutschen Reiche (Freiburg i. B. 1912 und 1912, Mannheim). —
Arbeitslosenzählungen im Deutschen Reich (Freiburg i. B., Hannover). — Arbeiter-
versicherung im Deutschen Reich 1912. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLVIII, Maggio
1914, No. 5: Lo sviluppo di Catania, di Ettore Inclimona. — Osservazioni critiche
sul „metodo del Wolf‘ per lo studio della distribuzione dei redditi, di C. Bresciani-
Turroni. — Il frumento in Italia, di Gaetano Pietra. — etc.
Rivista della beneficenza pubblica. Anno 42, Marzo 1914, No. 3: La
questione ospitaliera, di (Avv.) Giuseppe de Capitani d’Arzago. — Le questioni
della pubblica assistenza in parlamento. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door M. J. L. de Bruyn Kops. 63. jaarg, Juni
1914, No. 6: Nog eens hervorming van de staats-begrooting (II), door A. van
Gijn. — etc.
H. Schweiz.
Blätter, Schweizerische, für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. 21,
1913/14, Heft 15/16: Die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenen-Versicherung auf
genossenschaftlich-sozialer Grundlage, von A. Drexler. — Staatsrechtliche Ent-
wicklungstendenzen in Oesterreich-Ungarn, von Dr. Sigismund Gargas. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 299
J. Belgien.
Revue, Économique internationale. Vol. II, juin 1914, No. 3: L'industrie
cotonniere, par W. A. Balmforth. — Le problème cotonnier, par Stephane De-
craene. — Le projet de loi sur le credit populaire et sur le credit à long
terme en France, par (Prof.) Bertrand Nogaro. — Le de@velloppement des contrats
collectifs en France, par Roger Picard. — Production économique de l'électricité
dans les regions industrielles, par Fernand Courtoy. — etc.
M. Amerika.
Journal, The American, of Sociology. Vol. XIX, May 1914, No. 6: The
social gradations of capital, by Albion W. Small. — Functional industrial re-
lationships and the wage rate, by Paul L. Vogt. — Assimilation in the Philippines,
as interpreted in terms of assimilation in America, by Albert Ernest Jenks. —
Effects of geographic conditions upon social realities, by Edward C. Hayes. —
The sociology of recreation, by J. L. Gillin. — etc.
Journal, The Quarterly, of Economics. Vol. XXVIII, May 1914, No. 3:
The trust problem, by E. Dana Durand. (I. The necessity of prohibition or regu-
lation. II The possibility of preventing combination.) — Davenport's economics
and the present problems of theory, by Alvin S. Johnson. — Fire insurance rates
and state regulation, by W. F. Gephart. — Rent under the assumption of
exhaustibility, by L. C. Gray. — Home Rule in taxation, by Horace Secrist.
— etc.
Magazine, The Bankers. 68th year, Vol. 88, June 1914, No. 6: The federal
reserve board. — Sobriety as an element of banking efficiency. — Stocks — as
they are, by Franklin Escher. — Modern financial institutions and their equip-
ment. — etc.
Politicae Science Quarterly. Edited by the Faculty of Politicae Science
Columbia University. Vol. 29, June 1914, No. 2: The position of parliament, by
C. D. Allin. — The federal reserve system, by E. E. Agger. — Davenport’s
economics, by J. Maurice Clark. — etc.
Peview, The American Economic. Vol. IV, June 1914, No. 2: Movements
of negro population as shown by census of 1910, by John C. Rose. — Present pro-
blems in Canadian banking, by W. Swanson. — The proposed German petroleum
monopoly, by Dana G. Munro. — Loans on life insurance policies, by W. F.
Gephart. — The discount versus the cost-of-production theory of capital valuation,
by Harry Gunnison Brown. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks-
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 6: Die Vereins- und Versammlungsfreiheit der
Beamten nach deutschem Vereins- und Beamtenrecht, von (Reg.-Assessor) Dr.
Hans Pasquay. — Gedanken über die Möglichkeit von Modernisierungen der Staats-
verwaltungstechnik (Fortsetzung), von (Bezirksamtsassessor) Max Zwiebel. —
Der Fortschritt in der Regelung des öffentlichen Verdingungswesens, von Dr. Rich.
Dohm. — Die Beistandspflicht der ordentlichen Gerichte gegenüber den Ver-
waltungsbehörden und Verwaltungsgerichten. Mit besonderer Berücksichtigung der
preußischen und reichsrechtlichen Bestimmungen (Schluß), von (Referendar) Dr.
Heinz Maus. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Ministerium der
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914, Juli und August, Heft 4: Die Zinspflicht
beim Eisenbahnfrachtvertrage nach internationalem, deutschem und österreichischem
Frachtrecht, von (Reg.-Rat) Dr. jur. Ernst Blume. — Erweiterung und Ver-
300 Die periodische Presse Deutschlands.
vollständigung des preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1914. — Der Etat
der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung für das Etatsjahr 1914, von Tele-
mann. — Die Eisenbahnen der asiatischen Türkei (Forts.), von (Dipl.-Ing.) M.
Hecker (III. Geschichtliche Entwicklung. IV. Finanzielle und rechtliche Grund-
lagen). — Deutschlands Getreideernte im Jahre 1911 und die Eisenbahnen. — Die
Kgl. bayerischen Staatseisenbahnen in den Jahren 1911 und 1912. — Wohlfahrts-
einrichtungen der Kgl. bayerischen Staatseisenbahnen im Jahre 1912. — Wohl-
fahrtseinrichtungen der Kgl. württembergischen Verkehrsanstalten im Jahre 1912.
— Die Eisenbahnen in Dänemark im Betriebsjahr 1912/13. — etc.
Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). 16. Erg.-Heft.
Bericht über die 4. Hauptversammlung der Vereinigung für exakte Wirtschafts-
forschung vom 21. März 1914.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Juni 1914, Heft 9: Die Vertrags-
formen zwischen der dänischen Regierung und ihren Husmänd, von Dr. J. Frost.
— Die polnischen Land- und Parzellierungsbanken in den Jahren 1911 und 1912
(Schluß), von Dr. jur. et rer. pol. Reitzenstein. — Deutsche Arbeiterzentrale und
innere Kolonisation. — etc.
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 7, Juli 1914, Heft 4:
Altes und Neues zur Erkenntnistheorie, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Josef
Kohler. — Soziale Entwicklung der Neuzeit (Forts.), von Prof. Dr. Julius Makare-
wicz. — Philosophie und politische Oekonomie bei den Merkantilisten des 16.—18.
Jahrhunderts (Forts.), von (Wirkl. Staatsrat und ord. Prof.), Dr. Wladislaw
Frencowič Zaleskij. — Probleme der Sozialphilosophie, von (Universitätsprof.)
Dr. Stephan Bauer. — Der juristische Begriff der Trennung von Staat und Kirche,
von Prof. Dr. J. K. J. Friedrich. — etc.
Archiv für soziale Hygiene und Demographie. Bd. 9, 1914, Heft 3 u. 4:
Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse der österreichischen Arbeiter, von Dr.
phil. Siegfried Rosenfeld. — Zur Reform der deutschen Irrenstatistik, von Dr. jur.
Hans Roemer. — Rassenhygiene, von (Amtsgerichtsrat) Dr. E. Wilhelm. — Die
Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten in dem ersten Jahrzehnt dieses
Jahrhunderts. Mit einem Rückblick auf die bisherige Entwicklung (Forts.), von
Dr. med. E. Roesle. — etc.
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 38, 1914, Heft 3:
Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie, von Werner Som-
bart. — Die englische Agrarreform (Schluß), von Prof. Hermann Levy. — Ko-
pernikus’ Münz- und Geldtheorie, von Prof. J. Jastrow. — Die ökonomische und
sozialpolitische Bedeutung des Taylorsystems, von Dr. E. Lederer. — Die Heim-
arbeit in Frankreich und ihre gesetzliche Regelung, von Paul Louis. — Die soziale
Funktion der Teuerung, von W. Eggenschwyler. — Politik und Oekonomie im
Briefwechsel Marx-Engels, von Ed. Bernstein. — Die Gewerkschaftsbewegung
in Oesterreich, die Kämpfe zwischen Unternehmern und Arbeitern und die sozial-
politische Gesetzgebung im Jahre 1913/14. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 4, Juli 1914, Heft 1: Weltwirtschaft-
liche Forschung und Lehre, von Prof. Dr. Bernhard Harms. —Weltpost und
Welttelegraphie, ihre Entwicklung und völkerrechtliche Regelung (Forts.), von
(Oberpostrat) Sieblist. — Die Durchführung des Weltpennyportos, von Arved
Jürgenson. — Die Türkei in der Weltwirtschaft, von Gustav Herlt. — Sibirien.
Unter besonderer Berücksichtigung der Befruchtung des internationalen Wirt-
schaftslebens (Agrarprodukte) durch dieses Land, von Dr. Otto Goebel. — Nieder-
ländisch-Ostindien im letzten Jahrhundert, von Prof. Dr. Fr. Hoffmann. — Die
internationale Organisation des Bananenhandels, von Karl Fricke. — Die jüdische
Kolonisation Palästinas, von Hirsch Weinberg. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg.
14, 1914, No. 11/12: Die deutsche Auslandshochschule (II.). — Eine handels-
politische Erklärung des Bundes der Industriellen. — Russische Zollpolitik. — etc.
Bank, Die. Juni 1914, Heft 6: Der Zusammenschluß der Privatbankiers,
von Alfred Lansburgh. — Sinn und Aussichten einer Europäisierung des chinesi-
schen Geldwesens (Schluß), von Dr. Hermann Schwarzwald. — Reform des
Die periodische Presse Deutschlands. 301
schweizerischen Bankwesens, von A. L. — Tochtergesellschaften, von Ludwig
Eschwege. — etc.
Blätter, für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre.
Jahrg. 10, Juni 1914, No. 3: Internationale Jugendfürsorge, von (Zivilgerichtspräs.)
Dr. Alfred Silbernagel. — Das internationale Finanzrecht, von (Reg.-Rat) Dr.
Lauterbach. — Vergleichende Darstellung der Mitwirkung der Parlamente an der
Staatsgesetzgebung. Vortrag von Prof. Dr. Adolf Arndt, gehalten am 25. April
1914 in der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und
Volkswirtschaftslehre zu Berlin. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, Juni 1914, No. 6: Zur Neu-
regelung der Besteuerung des Wertzuwachses in Preußen, von (Assess.) Dr. J.
Schoelkens. — Steuerrechte der Wohnsitzgemeinden gegenüber Steuerpflichtigen
mit mehrfachem Wohnsitz. — Die Aufgaben der Gemeinden im Kriegsfalle. — etc.
Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, Mai-Juni 1914, No. 9—12
(Sonderheft: Presse und Volkswirte): Wirtschaftliche Interessenvertretungen und
Tagespresse, von Paul Liman, Albert Haas, Arthur Dix u. a. — Der Volkswirt als
Handelsredakteur, von A. G. Schulz-Winterfeld.e — Kaufmannschaft und Presse,
von Arthur Norden. — Der Inhalt der Zeitung und die Wertung des journalisti-
schen Standes, von Dr. Paul Stoklossa. — Die Entwicklung der deutschen Fach-
presse, von Dr. P. — Reklamewesen (zum Thema: Wirtschaftspsychologie und
praktische Volkswirte), von Dr. Rudolf Albrecht. — etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21.
1914, No. 12: Kritische Betrachtung zum Taylorsystem, von Dr. Gerhard Al-
brecht. — Einige weitere Bemerkungen über Wesen, Bedeutung und Durchführung
des Taylorsystems, von Dr. Altenrath. — ete. — No. 13: Das Wohlfahrtsamt der
Mittelpunkt der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege, von (Stadtrat) Paul.
— Bestrebungen der Selbsthilfe zur Bekämpfung der Lebensmittelteuerung, von
Dr. Gerhard Albrecht. — etc.
Export. Jahrg. 36, 1914, No. 24: Der Panamakanal, seine Freunde und
seine Gegner, von Dr. R. Jannasch. — Zur Frage der Gefährdung des Panama-
kanals. Eine Erwiderung, von Dr. phil. Otto Lutz, mit den gleichzeitigen Ent-
gegnungen von (Obering.) Ewald. — etc. — No. 25: Die Zukunft des Dreibundes,
von Dr. Frhr. v. Mackay. — Zur deutschen Getreideausfuhr. — Die deutsche
Presse und die weltwirtschaftlich-politischen Bestrebungen Deutschlands, von
O. Sperber. — Der Wettbewerb um den ägyptischen Handel. — etc. — No. 26:
Zur Vorbereitung der Handelsverträge. — Handelspolitisches aus den nordischen
Ländern. — Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Die
Wirtschaftslage in Südafrika. — Die Wirtschaftslage in Argentinien. — etc. —
No. 27: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — General-
bericht über die wirtschaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — Die
französischen Eisenbahnen in der Asiatischen Türkei. — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 25: Chauvinismus, von Ingolf
Askevold. — etc. — No. 26: Die Bugra, von (Bibliothekar) Dr. Willy Pieth.
— etc. — No. 28: Orientalische Kulturelemente im abendländischen Milieu, von
Dr. Max R. Funke. — etc.
Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 25: Delegierten-
versammlung des Zentralverbandes Deutscher Industrieller am 4. und 5. Juni 1914
in Köln (vorläufiger Bericht). — Kongreß für gewerblichen Rechtsschutz. —
ete. — No. 26: Die Kommunalabgaben in Preußen und die öffentlich-rechtliche
Belastung der deutschen Industrie. Vortrag, gehalten von Dr. rer. pol. R. Kind,
gelegentlich der Versammlung der Delegierten des Zentralverbandes Deutscher In-
dustrieller 5. Juni 1914. — Zur Entwicklung der britischen Volkswirtschaft (der
Viehstand Großbritanniens und Irlands von 1872—1912). — Das Volksvermögen
Oesterreich-Ungarns. — ete. — No. 27: Der sozialdemokratische Gewerkschafts-
kongreß. — Die Kommunalabgaben in Preußen und die öffentlich-rechtliche Be-
lastung der deutschen Industrie. Vortrag von Dr. Kind (Schluß). — Das
Lebensalter der Industriearbeiter nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907
(Forts.). — etc. — No. 28: Zur Frage der Anwendbarkeit und Zweckmäßigkeit
des Taylorsystems oder der wissenschaftlichen Betriebsführung für Deutschland,
302 Die periodische Presse Deutschlands.
von (Reg.-Rat) Dr. ing. Selter. — Großbritannien, die Vereinigten Staaten von
Amerika und Deutschland in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung von 1893—1913.
— Die steuerliche Gefährdung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung.
— ete.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 4: Beobachtungen
über die Unkrautbekämpfung durch Kainit. Nach Versuchen und unter Mit-
wirkung von Prof. Dr. Th. Remy, bearb. von Dr. J. Vasters. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 157, Juli 1914, Heft 1: Neues über 1813,
von Hans Delbrück. — Deutsche Volksernährung im Kriege, von (ord. Honorar-
prof.) Dr. Carl Ballod. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, Mai 1914, Heft 5: Zur Frage des zi-
vilistisch-organisatorischen Charakters der Kartellorganisation (Erwiderung auf
die „Kartellrechtlichen Studien“ des Rechtsanwalts Dr. Rud. Wassermann), von
Dr. S. Tschierschky. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Juli 1914, Heft 7: Die neueste Entwicklung
des Finanzwesens und der Steuerlast in Deutschland, England und Frankreich, von
Dr. Paul Beusch. — Produktionserhebungen, von Dr. Heinrich Pudor. — Partei-
programm und sozialistische Gewerkschaften, von Dr. Fanny Imle. — Das Problem
des Geburtenrückgangs, von Dr. Hans Rost. — Die Industrie und die zukünftige
deutsche Handelspolitik, von Dr. Wohlmannstetter. — etc.
Monatsblätter, Koloniale Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonial-
recht und Kolonialwirtschaft. Jahrg. 16, Juli 1914, Heft 7: Dreißig Jahre Deutsch-
Ostafrika, von Hans Zache. — Der wirtschaftliche Wert der deutschen Kolonien,
von Dr. A. Schulte im Hofe. — Die Tanganjikabahn, von Hubert Henoch. —
Die finanzielle Organisation der Lokalverwaltung im ostafrikanischen Schutzgebiet,
von (Finanzdirektor a. D.) Dahlgrün. — Der Stand der Selbstverwaltung in
Deutsch-Ostafrika, von Dr. Rülz. — Das Bergrecht Deutsch-Ostafrikas, von (Berg-
assessor) Liesegang. — Die Einnahme-Gesetzgebung, von Deutsch-Ostafrika, von
(Finanzdirektor a. D.) Dahlgrün. — Das Verordnungsrecht des Kaisers in den
Kolonien, von Dr. Aloys Petri. — etc. `
Monatshefte, Sozialistische, 1914, Heft 12 und 13: Die Gewerkschaften
und das Lohnproblem, von Eduard Bernstein. — Schutz dem Koalitionsrecht!,
von Wolfgang Heine. — Politik in Gewerkschaften, die Bureaukratie und das
Unternehmertum, von Max Schippel. — Die Volksfürsorge und ihre Gegner, von
Adolph von Elm. — Gewerkschaften und Sozialpolitik, von Paul Umbreit. — Das
Scheitern der staatlichen Förderung der Arbeitslosenversicherung in Bayern, von
Johannes Timm. — Zur Frage des Arbeitsnachweises, von Hugo Poetzsch. —
Landarbeiterverband und Landarbeiteransiedlung, von Dr. Arthur Schulz. — Or-
ganisationsfragen der Gewerkschaften, von Robert Schmidt. — Die gegenseitige
Unterstützung der Gewerkschaften bei Streiks und Aussperrungen, von Heinrich
Stühmer. — Arbeitersekretariate und Behörden, von Rudolf Wissell. — Die fach-
gewerbliche Ausbildung der Arbeiterin, von Paul Thiede. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1642: Die Verteilung
des Grundbesitzes in Preußen und das Fideikommißwesen. — Ueber die Vereinigung
deutscher Privatbankiers. — Die knappschaftliche Krankenversicherung im deut-
schen Bergbau. — Die Amortisation der ersten Hypothek vom Standpunkt des
städtischen Hausbesitzes. — etc. — No. 1643: Ein neues Syndizierungsprogramm
in der Eisenindustrie. — Die Stellung der Hypothekenbanken am Hypotheken-
markte. — etc. — No, 1644: Die Barreserven der Kreditbanken. — Zur Ver-
stadtlichung der Berliner Elektrizitätswerke. — Die Rangfolge von Hypotheken,
von Dr. jur. Richard Kahn. — etc. — No. 1645: Die deutschen Emissionen im
Halbjahr 1914. — Reichserbschaftssteuerstatistik. — etc.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 25: Stückzinsen, von B. G. — etc. —
Heft 26: Barreserven. — Außenreklame, von Alfred Dambitsch. — ete. — Heft 27:
Finanzwissenschaft. — Genußscheine der G. m. b. H., von C. Steiner. — etc. —
Heft 28: Chamberlain. — B. E. W., von G. B. — etc.
Rechtsschutz, Gewerblicher und Urheberrecht. Jahrg. 19, Juni 1914,
No. 6: Die Rechtskraft im Patenterteilungsverfahren unter vergleichender Dar-
stellung der Rechtskraft im Zivilprozeß, im Verfahren der freiwilligen Gerichts-
Die periodische Presse Deutschlands. 303
barkeit und im Verwaltungsstreitverfahren (mit Berücksichtigung des vorläufigen
Entwurfs eines Patentgesetzes, von (Kammergerichtsrefr.) Dr. Walther Rasch. —
Der Schutz des kinematographischen Urheberrechts in Rußland, von (Gerichtsass.)
Dr. Albert Hellwig. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Juli 1914, No. 7: Kriegwirtschaftslehre —
Kriegswirtschaftsrecht, von Dr. Arthur Blaustein. — Uebertragung der Verwal-
tungsrechtsprechung an die ordentlichen Gerichte?, von (Öberlandesgerichtsrat)
E. Becker. — Eine Schicksalsstunde des preußischen Staates, von (Magistratsrat)
Paul Wölbling. — Die Angestelltenerfindung, von (Rechtsanw.) H. Marquardt.
— Die österreichische Strafgesetzreform und der industrielle Streikschutz, von
Dr. Franz Eidlitz. — Zur Psychologie und Ethik der Berufe und Stände. II. Der
Börsianer, von Prof. Dr. S. P. Altmann. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Juli 1914: Die Macht des Goldes und der
Krieg, vou (General der Infanterie z. D.) Frhr. v. Falkenhausen. — Reichsländi-
sches, von M. v. Köller. — Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und
der Balkankrieg (Forts.), von (Kgl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A.
Sturdza. — Zeitung, Publikum und öffentliche Meinung (Schluß), von Ernst
Posse. — Die Psychologie der Massen und die Panik im Kriege, von H. Sartorius.
— Die Vorteile einer Freihandelszone zwischen dem Schwarzen Meere und der
Adria für Europa und den Welthandel mit dem Orient, von Prof. Dr. Max
Eckert. — etc.
Revue, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Juli 1914, No. 4: Staat,
Kirche, Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander, vom Herausgeber. — Die
Einheitsschule, eine dringende Gefahr für unser Volkstum, von Prof. Dr. H. G.
Holle. — Rassennot — Rassenschutz, von O. Diethart. — Zur Frage der Herkunft
und Ausbreitung der Indogermanen, von Hans Wolfgang Behm. — ete.
Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Juni, Heft 6: Die sozialen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse Ruandas (Forts.), von (Pastor und Missionar) K. Roehl.
— Tripolitanien, Italiens jüngste Kolonie. — Zur Frage der Enteignung der
Duala, von P. Halbing. — ete.
Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 12: Berufsgenossenschaftstag in
Leipzig, von Dr. jur. W. Brandis. — ete. — Heft 13: Die Rauchwarenzurichterei
und -färberei und ihre Entwicklung im Bezirk der Kreishauptmannschaft Leipzig,
von (Gewerberat) Reichhardt. — Bestrafung der Arbeiter wegen Verstoßes gegen
die Unfallverhütungsvorschriften auf Grund der $$ 851 und 870 der RVO., von
H. Zacharias. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für Deutsche Beamte). Jahr-
gang 4, Juli 1914, Heft 7: Liegt die heutige Verwertung der preußischen Staats-
domänen im allgemeinen Interesse? (Schluß), von (Bürgermeister) Pipberger. —
Einnahmen und Ausgaben des Reiches und der deutschen Bundesstaaten. — Die
Wirkung des Reichsimpfgesetzes. — Frankreich und seine ausländischen Arbeiter,
von Franz Xaver Ragl. — Die Tilgungshypothek in den Städten. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom
Kaiserl. Statist. Amte. 23. Jahrg., 1914, Heft 2: Auswärtiger Handel 1913 (und
1909—1913). — Schlachtvieh- und Fleischbeschau 1913. — Die Finanzen des Reichs
und der deutschen Bundesstaaten (1913 und 1911). — Zur Statistik der Preise
(Viehpreise, Lebensmittelpreise, Kohlenpreise). — Kohlenversorgung einiger Städte
(1913). — Streiks und Aussperrungen. 1. Vierteljahr 1914, vorl. Uebersicht (und
Jahr 1913). — Schlachtvieh- und Fleischbeschau im 1. Vierteljahr 1914. —
Kriminalstatistik (Heer und Marine) 1913. — Güterverkehr der deutschen Binnen-
wasserstraßen 1913 (vorläufige Zahlen). — ete.
Weltverkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Juni 1914, No. $:
Ein voraussichtlich schädlicher Einfluß des Panamakanals auf die nordamerikanische
Schiffahrt, von Dr. Richard Hennig. — Die Entwicklung der Schiffahrt nach den
deutschen Kolonien, von W. Ross. — Die Nationalisierung der russischen Aus-
wanderung, von (Hauptmann) Rottmann. — Die natürlichen Vorbedingungen der
weltwirtschaftlichen Zukunft Südamerikas, von Prof. Guillermo Supercaseaux. —
Vergleichende Betrachtung über die Bodenertragsintensität ın verschiedenen Län-
dern (Schluß), von Dr. Hans Bernhard. — etc.
304 Die periodische Presse Deutschlands.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 12: Mehr Licht!,
von (Geh. Reg.-Rat) Dr. v. Böttinger. — Eine praktische Aufgabe der Finanz-
wissenschaft, von Dr. Hermann Deite. — Die Budapester Effektenbörse, von
(Börsenrat) Felix Schwarz. — etc. — No. 13: Der Einfluß der Kommunalsteuern
auf den Städtebau, von Prof. Dr. Carl Koehne. — Aufgaben und Tätigkeit der
Handelskammern auf dem Gebiete des Außenhandels, von (Synd.) Dr. Arthur
Blaustein. — etc. — Beilage. Scheck oder Reichskassenschein?, von Götz
Martius. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 12: Die Gewerkschaftstheorie des
Marxismus, von Gustav Eckstein. — Die beste Gewerkschaftsorganisation, von Adolf
Braun. — Ein deutsches Arbeitsnachweisgesetz?, von Theodor Leipart. — Christ-
liche Gewerkschaften, Zentrum und Kirche, von H. Limbertz. — Die Reichs-
versicherungsordnung in der Praxis, von Friedrich Kleeis. — etc. — No. 13:
Die edlen und erlauchten Herren. — Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels.
Beiträge zu ihrer Biographie, von N. Rjasanoff. — Zur Geschichte der amerikani-
schen Arbeiterbewegung, von Algernon Lee. — Kleinstaatliche Verpreußung, von
Franz Filip. — ete. — No. 14: Handelspolitische Aussichten, von Spectator. —
Banken und Depositengeld, von H. Ullmann. — etc. — No. 15: Massendemon-
strationen vor Gericht, von K. Kautsky. — Die deutschen Gewerkschaften und
ihr Kongreß, von Adolf Braun. — Neue Tendenzen in der englischen Arbeiter-
bewegung, von August Mai. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 35, 1914,
Heft 8: Bedingte Verurteilung der Trinker(,‚Pollardsystem“). Vortrag, gehalten in
der Forensisch-psychiatrischen Vereinigung zu Dresden, von (Amtsrichter a. D.)
Dr. Otto Bauer. — Der Antrag des Staatsanwalts auf Freisprechung, von (Rechts-
anwalt) Siegfried Bleeck. — Der Allgemeine Fürsorge-Erziehungstag in Halle,
15.—17. Juni 1914. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 14, Juli 1914,
Heft 4: Zur Frage der Belastung der deutschen Industrie durch die Arbeiter-
versicherung, von (Reg.-Rat) Branchart. — Tilgungsversicherung, von Dr. Karl
Kirchmann. — Die Geltung des Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertrags-
gesetzes in den deutschen Schutzgebieten, von (Reg.-Rat) Dr. jur. Wegerdt. —
Die Kollektiv-Unfallversicherung der Studierenden usw. an den deutschen Hoch-
schulen, von Wilhelm Schmidt. — Landwirtschaftlich-genossenschaftliche Lebens-
versicherungsunternehmungen, von Dr. jur. Wuttig. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7," Juli
1914, Heft 4: Die amerikanische Bankreform, von Dr. Georg Obst. — Das Institut
der Sicherungsübereignung und seine buchtechnische Behandlung (Schluß), von
(Handelsschuldir.) Dr. R. Caleb. — Zur Frage der „Rentabilität des Unternehmens
als Ganzes“, von Dr. Ernst Pape. Mit einem Nachwort von Prof. Dr. L.Nicklisch.
— etc. — Beiblatt. Negerkultur, Negerbehandlung und afrikanische Wirt-
schaft, von Dr. Paul Rohrbach. — Konkurrenzklausel und Kündigung, von Dr.
Heinz Potthoff. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 7 und 8: Die
Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik zur Reallohnfrage, von (Bergwerks-
direktor) Dr. jur. et phil. Herbig. — Die Weltwirtschaftslehre, von A. Sartorius
Frhrn. v. Waltershausen. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfederindustrie (I.),
von W. Th. Linnenkohl. — Sozialhygiene und Eugenik (II.), von W. Schallmayer.
— Die Preiskurve und das Teuerungsproblem, (2. Teil, III.), von Dr. Lorenz Glier.
— Das Sparen bei den Sparkassen und den Kreditgenossenschaften, von D. Beusch,
— Reaktionäre Nationalökonomie? — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Unser treuer Mitarbeiter, der Geheime Oberregierungsrat
Prof. Dr. Wilhelm Lexis, ist uns am 24. August d. J. in
seinem 78. Lebensjahre durch den Tod entrissen worden, nachdem
er 23 Jahre Mitherausgeber dieser Jahrbücher gewesen ist. Wir
beklagen mit der ganzen wissenschaftlichen Welt den Verlust
einer. unersetzlichen Kraft. Durch seine Vielseitigkeit, sein
umfassendes, gründliches, stets präsentes Wissen stand er in
der Gegenwart fast unerreicht da. Seine Studien haben sich
außer auf Nationalökonomie auf Jurisprudenz, Mathemathik
und Naturwissenschaften erstreckt. Er beherrschte die Haupt-
kultursprachen, das Französische wie seine Muttersprache. Auf
dem Gebiete der Statistik, des Geldwesens, des Handels gehörte
er zu den ersten Autoritäten. Seine umfassenden Kenntnisse
befähigten ihn aber auch über weit davon abliegende Fragen
ein maßgebendes Urteil abzugeben, wie eine große Zahl der
wertvollsten Artikel in diesen Jahrbüchern beweist. Seine all-
gemeine Volkswirtschaftslehre, die sehr bald eine zweite Auflage
erlebte, wird als reife Frucht jahrzehntelanger Arbeit auf Grund
steter, sorgfältigster Verfolgung der wirtschaftlichen Vorgänge
im In- und Auslande dauernd eine bedeutsame, gedankenreiche
Fundgrube für jeden Nationalökonomen bilden.
Dem liebenswürdigen, offenen, edeldenkenden Menschen
werden wir stets ein treues, dankbares Gedenken bewahren.
Die Redaktion.
Blank, Fabrikantenkartelle d. Textilbranche im Konflikt mit d. Abnehmerverbänden. 305
II.
Die Fabrikantenkartelle der Textilbranche
im Konflikt mit den Abnehmerverbänden.
Von
Dr. jur. Blank, Bonn.
Die letzten Jahre haben in der Textilindustrie wie kaum in
einem anderen Produktionszweig den Zusammenschluß der Inter-
essenten zu Konventionen gezeitigt. Das ist um so auffälliger, als
gerade in dieser Industrie ihrer inneren Struktur nach wohl am
wenigsten die Voraussetzungen der Kartellierung gegeben sind. Man
zählt gegenwärtig etwa 60 solcher Konventionen — die bloßen
Konditionskartelle nicht mitgerechnet —, welche zwar nicht das
feste Gefüge und die umfassende Regelung aufweisen, wie die be-
kannten Kartelle unserer Schwerindustrie, aber doch als Interessen-
gemeinschaften unter schweren Kämpfen mit der Abnehmerschaft
ihre Existenzberechtigung erwiesen haben. Wenn der Kampf der
Interessentenverbände in der Textilbranche gegenwärtig oft Formen
annimmt, die eine objektive Betrachtung vermissen lassen, so ist
daran vor allem der Umstand schuld, daß über die Entstehungs-
gründe der Konventionen, sowohl der Produzenten wie der Abnehmer,
die widerstreitendsten Ansichten bestehen. Bei genauerer Betrach-
tung scheint es aber, daß für die Produzenten die Aufnahme des
Kampfes nur ein Mittel zur Wahrung ihrer Existenz ist, die durch
ihre Abhängigkeit vom Handel bedroht wird. Diese Gebundenheit
liegt im Wesen der Industrie begründet; gerade darum verleiht sie
dem Handel ein Uebergewicht, das nur mit dem Einsatz der ver-
einigten Kräfte der Fabrikanten sich auf ein erträgliches Maß zurück-
führen läßt.
Mit dem Uebergang von der Kunden- zur Marktproduktion
entfällt für den Fabrikanten die Möglichkeit, Produktionsfunktion
und Verteilungsfunktion in einer Hand zu vereinigen. Das muß
1) Das Material zu vorstehenden Ausführungen entstammt der Abhandlung von
v. Beckerath, Die Kartelle der Deutschen Seidenwebereiindustrie, sowie den Mit-
teillungen der Kartell-Rundschau, im übrigen den eigenen Erfahrungen des
Verfassers in der Textilindustrie.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 20
306 Blank,
sich in erhöhtem Maße geltend machen, je mehr die Produktion sich
von billiger Stapelware emanzipiert und sich dem feineren Genre zu-
wendet. Die Hausindustrie der Textilbranche früherer Jahrzehnte
hat dem Fabrikbetriebe Platz gemacht und unsere Industrie ist in
erfolgreichen Wettbewerb insbesondere mit der französischen ge-
treten. Crefeld konkurriert mit Lyon; Barmen, Eibenstock, Plauen
mit den französischen Zentren der Besatzindustrie St. Etienne (Galons),
Calais (Spitzen), St. Chamond (Litzen, Verschnürungen). Diese Ver-
feinerung der Produkte bedingt eine Differenzierung des Produktions-
prozesses, da man von der billigeren Stapelware trotz der zu-
nehmenden Bedeutung höherwertiger Erzeugnisse nicht absehen kann,
und damit auch eine Komplizierung des technischen Apparates. Das
Gegenstück hierzu liegt in der Unbeständigkeit des Marktes, dem
raschen Modewechsel. Selbst wenn es durch ein vervollkommnetes
System von Vertretern und Reisenden einer Fabrik gelänge, über
den Stand der Nachfrage jeweils zutreffend unterrichtet zu sein, so
wäre damit nicht viel gewonnen, da für den Modewarenfabrikanten
nicht so sehr der gegenwärtige Stand als vielmehr die zukünftige
Gestaltung der Nachfrage von Bedeutung ist.
Damit wird aber ein fast unberechenbarer Faktor in die Pro-
duktion hineingetragen, ein Risiko, das nur derjenige zu tragen ver-
mag, der den maßgebenden Faktoren der Nachfragebildung dauernd
durch seinen Geschäftsverkehr nahegerückt ist: der Zwischenhandel.
Mag auch für ihn im Einzelfall die Möglichkeit, die Mode monate-
lang im voraus zu beurteilen, oft nur eine beschränkte sein, seiner
gesamten Tätigkeit nach ist er jedenfalls hierzu viel eher imstande,
als der vom Produktionsprozeß persönlich und wirtschaftlich völlig
in Anspruch genommene Fabrikant. Man könnte einwenden, daß
zuweilen die Fabrikanten selbst es in der Hand haben, die Richtung
der Nachfrage zu bestimmen. Gerade zurzeit veranstaltet ein Kon-
sortium französischer Besatzfabrikanten eine Sammlung — bisher
sind 50000 frcs. eingegangen; auch die deutschen Interessenten
werden jetzt zur Beteiligung aufgefordert — zu dem Zweck, durch
geeignete Beeinflussnng der Pariser Modellhäuser und Publikation
ihrer Modelle in Modezeitschriften eine Wiederkehr der im argen
liegenden Besatzmode herbeizuführen. Solche Maßregeln, die übrigens
schon früher mit Erfolg von den Seidenbandfabrikanten angewandt
wurden, gehören aber zu den Ausnahmen, allein schon wegen der
Kosten und der Schwierigkeit gemeinsamen Vorgehens. Der Erfolg
ist auch nur sehr schwer im voraus zu beurteilen.
Zur zeitlichen Unbeständigkeit der Nachfrage tritt die lokale
Differenzierung des Marktes. Sie vor allem ist es, die eine Bildung von
Verteilungszentren notwendig macht. Denn abgesehen davon, daß es
die Kosten der Fabrikation über alle Maßen steigern würde, wollte der
Fabrikant mit der zersplitterten Abnehmerschaft in direkte Verbindung
treten, wäre es für ihn unmöglich die Vielheit der kleinen Bestellungen,
welche ihm solche unmittelbare Bearbeitung der letzten Detailkund-
schaft bestenfalls einbringen könnte, mit den technischen Voraus-
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 307
setzungen seines Betriebes zu vereinigen. Die Kosten der Vor-
richtung der Webstühle für kleine Orders, die mannigfachen Wünsche
der Kundschaft hinsichtlich Qualität, Dessin, Farbenzusammen-
stellungen u. a. verbieten größeren Betrieben eine solche Art des
Geschäftsverkehrs von selbst. All das führt mit Notwendigkeit zur
Abtrennung der Verteilungsfunktion von der Fabrikation. Damit
ist auch die Macht gekennzeichnet, welche dem Zwischenhandel,
soweit er in den Händen der Grossisten und Großdetaillisten liegt,
heute innewohnt.
Den Schlüssel zur Beurteilung der Ursachen der Konventions-
bildung gerade in der Textilindustrie bietet demnach in erster Linie
die überwiegende Machtstellung des Handels. Gegenstand seiner
Politik ist heutzutage weniger die Preisbildung als das Konditionen-
wesen. Dem entspricht es auch, daß in der Industrie, mit der wir
es hier zu tun haben, die Kartellbewegung nicht so oft die Ueber-
produktion an sich, als die Uebelstände in der Handhabung der
Konditionen zum Ausgangspunkt nimmt. Gewiß wird damit indirekt,
d.h. in ihrer Wirkung auch die planlose Produktionsweise getroffen,
da durch sie gerade die Fabrikanten gezwungen werden, im Wett-
bewerb um die Kundschaft jede Bedingung zu akzeptieren; das Ziel
der Konventionsbildung ist aber zunächst meist die Regelung der
Konditionen selbst. Dabei mag es von Bedeutung sein, daß ein
Konditionskartell keine so feste Vereinigung der Produzenten dar-
stellt wie die Syndikate unserer Schwerindustrie, und darum ihre
Begründung in dem Selbständigkeitsdrang der Fabrikanten geringere
Hindernisse findet. Der Vorteil aber, den der Handel aus möglichst
kulanten Konditionen zu ziehen vermag, ist in erster Line weniger
ein rein finanzieller als ein Machtzuwachs bei der Risikoverteilung.
Durch lange, nicht fest umgrenzte Ziele, die Einrichtung der Kon-
signationsläger, der Optionen!) u. a. ist es den Händlern möglich,
das Geschäftsrisiko auf die Fabrikanten zurückzuwälzen, die nun-
mehr den Schaden, der aus Abflauen der Mode in einem Artikel-
genre, aus Abnahme der Kaufkraft des Publikums in Luxusartikeln,
aus Veränderungen der Rohstoffpreise entsteht, zu tragen haben.
Um so freier darf natürlich die Spekulationslust des Handels walten.
Die Bedarfskäufe treten gegenüber den reinen Spekulationsbestellungen
zurück, die durch den langen Kredit, den die Fabrikanten gewähren,
angeregt werden; langfristigen Lieferungsaufträgen werden keine
Bedenken entgegengesetzt; falls die Spekulation mißlingt, ist nicht
der Handel der leidtragende Teil. Außerdem aber bildet ein derart
spekulativ aufgebautes Geschäft den Boden für Existenzen ohne ge-
sunde finanzielle Basis. Gerade diese lassen sich am leichtesten von
den Fabrikanten zu Bestellungen auf Vorrat animieren, ohne im ge-
ringsten zu wissen, ob sie die Waren werden absetzen können, da
es sich doch letzten Endes um eine Ware handelt, die jederzeit ihren
1) D. h. Festlegung der Preise für längere Zeiträume ohne Abnahmepflicht der
Kunden.
20*
308 Blank,
Wert verlieren kann. Das Bedenklichste aber ist, daß die Fabrikanten
infolge der künstlich gesteigerten Nachfrage die Berührung mit dem
tatsächlichen Marktbedürfnis verlieren nnd dadurch zur Ueber-
produktion angeregt werden. Je stärker sich aber diese Nachfrage
in der stillen Saison äußert, desto mehr wächst für die Fabrikanten
die Versuchung, für die Hauptsaison auf Lager zu arbeiten. Er-
füllen sich die Erwartungen nicht, so sind die Vorräte entwertet;
sofern die Waren in Konsignation geliefert sind, strömen sie zurück
und erhöhen die Kalamität; war die Spekulation aber richtig, so
bleibt der Gewinn für den Fabrikanten doch hinter den Erwartungen
zurück, denn die Ueberschwemmung des Marktes infolge der aus-
gedehnten Lagerproduktion treibt zum Wettkampf um die Kund-
schaft, zu einem Unterbietungsverfahren, das dem Engroshandel in
erster Linie den Erfolg der ganzen Spekulation sichert, kann er doch
den einen Fabrikanten gegen den anderen ausspielen. Nicht nur
billigste Preise, sondern vor allem kulanteste Bedingungen verlangt
der Grossist. Das muß er allein schon deswegen tun, weil er seinen
Detailabnehmern in letzterer Beziehung weitestgehende Konzessionen
machen muß, Welche Wirkung unter solchen Verhältnissen jede
Anspannung am Geldmarkt haben muß, liegt auf der Hand; natur-
gemäß konzentriert sie sich letzten Endes auf den Fabrikanten.
Nun kann ja dieser, schon im Interesse der besseren Preise, direkten
Anschluß an den Detailhandel suchen, sofern er nicht befürchten
muß, hierdurch in Differenzen mit seiner Engroskundschaft zu ge-
raten. Natürlich kommen aber für ihn nur die größeren Detaillisten
in Frage, aus Gründen, die wir bereits erwähnten, vor allem die
Warenhäuser und größeren Einkaufsvereinigungen; aber wenn hier
die Preise an sich auch besser sind, so wird dieser Vorteil dadurch
wieder ausgeglichen, daß diese Abnehmer mit Erfolg versuchen, ander-
weitige Lasten auf den Produzenten abzuwälzen. So tritt z. B. bei
den Warenhäusern zu dem gewöhnlichen Skonto, der zwischen 2
und 10 Proz. schwankt, infolge der Warenhaussteuer noch eine Extra-
belastung des Fabrikanten in Gestalt eines Warenhausskonto von
jeweils 1—3 Proz., und zuguterletzt wird die Zubilligung einer
Umsatzprämie verlangt. Auf die besonders rigorosen und für den
Fabrikanten Zeit und Gewinn raubenden Vorschriften betreffs
Packung, Etikettierung, Aufmachung u. a. kann hier nicht näher
eingegangen werden. Unter diesen Umständen gewinnt auch der
Vorteil des Geschäftsverkehrs mit den Grossisten an Bedeutung,
der darin liegt, daß hier die Art der Aufträge sich besser den
technischen Voraussetzungen des Fabrikbetriebes anpaßt. Um Be-
triebsverluste zu vermeiden, ist erheblichere Größe des einzelnen
Auftrags nach Muster, Farbstellung, Breite etc. erforderlich. Kurze
Ketten und daher häufige Vorrichtung der Webstühle, jedesmal mit
1—3-tägigem Stillstand des Stuhles verbunden, verbieten sich von
selbst. Darum auch ist es für den Fabrikanten wünschenswert, auf
Nachorders rechnen zu können, da er so die Stühle zur Lagerpro-
duktion ausnutzen kann; im wesentlichen kommen hier natürlich
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 309
Stapelartikel in Frage. Insbesondere in der Besatzindustrie macht
nicht die einmalige größere Bestellung den Nutzen aus, sondern die
Aufnahme des Artikels zur Nachbestellung. Auch liegen hier für
den Fabrikanten Vorteile in der zeitlichen Verteilung der Orders
der Grossisten; sie fallen in der Hauptsache auf Frühjahr und
Herbst. Der Fabrikant kann danach seine „Musterung“!) auf diese
beiden Saisons konzentrieren, während die Detailkundschaft sich in
ihren Musterwünschen an eine derartige Einteilung weniger gebunden
hält, eine fortlaufende Musterung aber die Generalkosten ganz
wesentlich erhöht. Trotzdem ist die Umgehung des Großhandels
besonders durch die neuerliche Entwickelung der Detailkundschaft
gefördert worden. Das Hervortreten der Warenhäuser und Einkaufs-
organisationen hat die Grenzen, welche früher Engros- und Detail-
handel trennten, verwischt. Diese neuen Faktoren erfüllen in weit-
gehendem Maße die Bedingungen, denen früher nur die Grossisten
gerecht werden konnten: Anpassung an die technischen Erfordernisse
der Fabrikation. Es gibt heute Einkaufsorganisationen der De-
taillisten, welche imstande sind, größere Orders zu erteilen als
mancher Grossist. .
In dem Maße, wie Grossisten und Großdetaillisten für den
Fabrikanten unentbehrlich geworden sind, wächst aber auch der
Druck, den die Mißstände im Verhältnis von Produktion und
Zwischenhandel auf die Fabrikanten ausüben: die fasche Risiko-
verteilung infolge Ueberproduktion. So wächst aus der natürlichen
Machtstellung des Zwischenhandels und seiner Konditionspolitik auch
die Kartellierung der Textilindustrie hervor. Einen doppelten Wider-
stand gilt es dabei zu überwinden, einerseits in der inneren Struktur
der Textilindustrie überhaupt, andererseits in der geringen Eignung
des Produkts zur Konventionsbildung. Bestimmend für die Art der
Preisbildung ist der Umstand, daß es sich hier um einen Modeartikel
handelt. Die unvermittelt einsetzende und ebenso plötzlich stag-
nierende Nachfrage, ihre kurze Dauer, zwingt zu größtmöglicher
Ausnutzung der Hochkonjunktur. Das raubt die Möglichkeit einer
gleichmäßigen Kalkulation, auf der allein Preislisten, wie sie z. B.
eine Preiskonvention voraussetzt, sich aufbauen könnten. Zudem
ist es nicht gesagt, daß die Modelaune nur bestimmte Artikel eines
Fabrikanten entwerten kann, vielmehr kommt es häufig vor, daß
ganze Genres, die Gegenstand eines speziellen Betriebes sind, von
der Nachfrage vernachlässigt werden. Die Schablonisierung, die
jeder Kartellbildung mehr oder minder anhaftet, müßte also zu
dauernden Unstimmigkeiten mit diesen Betrieben führen. Denn für
sie hätte eine Preiskonvention nur die Bedeutung, daß sie durch
eine zurückhaltende Preispolitik bei steigender Konjunktur in dem
betreffenden Artikel ihren Gewinn beschränkte, ohne ihnen dafür
bei dem meist schnell einsetzenden Abfall der Nachfrage irgendeine
Entschädigung zu bieten. Denn wenn irgendwo, so ist es in einer
1) Die Herstellung der Musterkollektionen.
310 Blank,
Modebranche wie der Textilindustrie ausgeschlossen, in der Preis-
politik dem Rückgang der Nachfrage nicht sofort Rechnung zu
tragen. Gewiß treten diese Schwankungen mit voller Schärfe nur
in der Nouveautefabrikation auf. Der Grund liegt ohne weiteres
zutage. Bei Artikeln dieser Art wird der Wert nicht so sehr durch
das aufgewendete Stoff- und Arbeitsquantum bestimmt als durch die
Originalität des Dessins und die Frage, ob dieses den jeweiligen
Modegeschmack trifft. Damit ist aber nicht gesagt, daß bei Stapel-
waren Preisschwankungen keine Rolle spielen. Wohl ist hier die
Mode nicht in gleichem Maße wie bei Nouveautes wertbestimmender
Faktor, dafür aber wird die Unsicherheit der Preisgebarung durch
eine andere Tatsache bedingt, die unsere Textilindustrie wie kaum
einen anderen Produktionszweig beeinflußt: die Abhängigkeit vom
ausländischen Rohstoffmarkt. Ist es für den Fabrikanten nur in
Ausnahmefällen möglich, auf die Mode bestimmenden EinfluB zu
gewinnen, so tritt ihm hier ein Moment entgegen, welches seine
Kalkulationen jeden Augenblick täuschen kann. Denn die Preise,
welche er hier sans facon zu akzeptieren hat, sind das Ergebnis von
Tatsachen, über die er keinen Ueberblick gewinnen kann, zumal sie
meist auf unberechenbaren Spekulationen beruhen. Wenn gesagt
wurde, daß auch die innere Struktur der Textilindustrie der Kar-
tellierung widerstrebt, so steht auch dies im Zusammenhang mit der
Eigenart der Modeware. Mit dem Uebergang der Industrie vom
einfacheren Stapelgenre zum höherwertigen Nouveauteprodukt voll-
zieht sich in der Struktur der Industrie eine Gewichtverschiebung
zugunsten des Mittel- und Kleinbetriebes. Hochwertige Ware be-
dingt feinere Differenzierung der Produktionstechnik. Im Rahmen
des Großbetriebes würde das aber die Herstellung einer übergroßen
Menge von Warenarten, Mustern und Qualitäten bedeuten, mit
anderen Worten eine Verteuerung, welche die übrigen Vorteile des
konzentrierten Betriebes in Frage stellen müßte. Daraus erklärt sich
auch die Beobachtung, daß die Textilindustrie so wenig Neigung
zur Aktienunternehmung hat. In der gesamten Wuppertaler Besatz-
fabrikation existiert z. B. nur eine Aktiengesellschaft. Nicht die
Kapitalzusammenballung ist entscheidend für den Produktionserfolg,
sondern die individuelle Geschicklichkeit des Unternehmers in der
Verwendung eines mittleren Kapitals. Eine Ausnahme macht die
Sammet- und Sammetbandbranche, wo die höhere Qualität der Ware
nicht in gleicher Weise ausschlaggebend für die Produktionstechnik
ist!) Was in den anderen Textilzweigen aber die räumliche Zer-
splitterung der Unternehmungsweise für die Ausbreitung des Kartell-
gedankens bedeutet, wird klar, wenn man bedenkt, daß ein Kartell
nichts anderes ist, als die Fixierung des Durchschnittswillens seiner
Mitglieder?). Die Schwierigkeit einer Einigung in Anbetracht der
Selbständigkeitsgelüste der einzelnen wird noch dadurch gesteigert,
1) v. Beckerath, Die Kartelle der deutschen Seidenweberindustrie, S. 176/177.
2) Tschierschky, Kartellrundschau, 1909, S. 770.
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 311
daß die Absatzinteressen außerordentlich differenziert sind. Und
ob, selbst nach Bildung einer Konvention, die Mitglieder die ihnen
durch den Vertrag auferlegten Bedingungen einhalten, ist eine Frage,
deren Beantwortung mit Steigen der Mitgliederzahl immer schwieriger
wird. Eine Folge der Zersplitterung in den Produktions- und Absatz-
interessen ist es auch, daß die Stellung gerade der kleineren Fabri-
kanten zu einem Kartell, das auch Großunternehmer umfaßt, zu-
nächst ablehnend ist. So sehr im Interesse der kleineren Produ-
zenten ein Zusammenschluß zu wünschen ist, so oft ist bei ihnen
die Empfindung maßgebend, sie dürften es nicht riskieren, sich einem
von Großunternehmern beherrschten Kartell zu unterwerfen, schon
aus dem Grunde, weil diese oft zur Preisgestaltung eine andere
Stellung einnehmen als die kleineren Betriebe. Auch liegt für die
kleineren Unternehmer, die meist durch Nachgiebigkeit in den Kon-
ditionen allein ihre Kundschaft halten, der Gedanke nahe, daß die
größeren durch Festlegung der Bedingungen sich von einer unan-
genehmen Konkurrenz befreien wollen. Dennoch geht es zu weit,
wenn behauptet wird, die Konventionen dienten in erster Linie den
Interessen der großen Fabrikanten. Denn diese vermögen sich den
übertriebenen Forderungen der Abnehmer gegenüber dank ihrer
größeren Kapitalkraft besser zu wehren als die Kleinunternehmer.
Für diese besteht aber auch nicht in dem Maße wie oft befürchtet,
die Gefahr, innerhalb der Konvention ihre Kundschaft zu verlieren,
die nun nicht mehr zu so kulanten Bedingungen bedient werden
darf. Denn in Anbetracht der durch das Kartell geschaffenen Ein-
heitlichkeit der Konditionen hat der Abnehmer vielmehr ein Interesse
daran, den kleineren Fabrikanten zu bevorzugen, da bei diesem seine
Aufträge eine individuellere Behandlung erfahren.
Wenn trotz dieser Hemmungen der Kartellgedanke auch in der
Textilindustrie siegreich vorgedrungen ist, so ist das in erster Linie
den Ansprüchen der Abnehmer zuzuschreiben, denen das Ueberangebot
ermöglichte, über die Wahrung berechtigter wirtschaftlicher Interessen
hinaus ihre Macht zur Geltung zu bringen. Den unmittelbaren Anlaß
zur Konventionsbildung in der Textilindustrie hat das Auftreten der
Warenhäuser gegeben. Sofern sie noch größere Konzessionen ver-
langten, als bisher üblich, fanden sie bald Nachahmung seitens der
anderen Abnehmerkreise. Namentlich der kleine Fabrikant hatte am
meisten zu leiden unter den Extrakonditionen, die seine sämtlichen
Kunden nun verlangten. Während bisher ein Kassenskonto von
2 Proz. bis zu 30 Tagen nach Schluß des Lieferungsmonats usance-
mäßig war, forderte z. B. der Verband der Detailgeschäfte der Textil-
branche einen solchen von 4 Proz., bei Nettoregulierung nach 120 Tagen.
An sich ist ja schon ein Fortschritt erzielt, wenn es gelingt, eine
Einheitskondition für eine ganze Branche festzusetzen. Auch kann
man mit einigem Recht behaupten, daß der 4-proz. Skonto viel stärker
auf pünktliche Kassaregulierung hinwirke, als der bisherige 2-proz.
Damit sind aber die Vorteile, die nicht ausschließlich dem Zwischen-
handel zugute kommen, erschöpft. Vor allem die Frage, wie ein
312 Blank,
solcher Skonto sich in der Kalkulation äußern müsse, ist von be-
denklicher Tragweite für den Fabrikanten. Bei der Höhe eines
solchen Skontos ist es ganz ausgeschlossen, denselben bei der Kalku-
lation außer acht zu lassen. Ein 4-prozentiger Aufschlag läßt sich
aber nicht bei allen Warenarten in gleicher Weise durchführen.
Wohl ist es möglich, bei besseren Qualitäten den Skonto auf den
Abnehmer abzuwälzen, Stapelware aber muß, um überhaupt auf Ab-
nehmer rechnen zu können, aufs äußerste kalkuliert sein, da der
Fabrikant einer sachverständigen Kundschaft gegenüber steht, die
jede Ueberschreitung des Preisminimums zu kontrollieren vermag,
und bei dem Wettkampf der Produzenten um die Kundschaft es
nicht nötig hat, mehr als den Minimalpreis zu zahlen. Mit der
Forderung des 4-proz. Skontos geht Hand in Hand das Verlangen
nach Erweiterung des Zahlungsziels. Die Vertreter dieser Forderung
meinen, durch scharf umgrenzte Ziele sei für die minder kapital-
kräftigen Elemente des Detailhandels eine wesentliche Verschlechte-
rung ihrer Lage gegeben. Von einer solchen Aenderung zum Nach-
teil der Detaillisten kann aber schon deswegen keine Rede sein,
weil bisher das Ziel von 3 Monaten das usancemäßige war und der
Detailhandel dabei recht erfreulich gedeihen konnte. Für den Fabri-
kanten im besonderen ist eine allgemeine Erweiterung des Zieles
unannehmbar, da er in den meisten Fällen seinerseits von Lieferanten
abhängig ist, die an der 3-monatigen Frist festhalten; muß er seinem
Abnehmer ein längeres Ziel bewilligen, so wird ihm nichts weiter
bleiben, als Barkredit in Anspruch zu nehmen, mit anderen Worten
für die Zeit, die er seinem Kunden zinsfreien Kredit gewährt, selbst
Zinsen zu zahlen. Eine solche Verteuerung bedeutet aber für den
Fabrikanten viel mehr als die entsprechende Vergünstigung für den
Kunden; denn der Fabrikant hat sowieso mit äußerst kalkulierten
Preisen zu rechnen; außerdem aber ist sein Kapitalbedarf natur-
gemäß ein ganz anderer als der des Abnehmers, allein schon in An-
betracht der Lohnsummen, die wöchentlich bereit zu halten sind.
Den gleichen Zweck, die zinsfreie Zahlungsfrist zu erweitern, ver-
folgt auch die Forderung der Valutenverschiebung. Man wird nicht
ohne weiteres eine solche Maßregel als einseitig die Abnehmer be-
günstigend verwerfen können, da es ja schließlich auch für den
Fabrikanten von Vorteil ist, sein Lager zu räumen. Entscheidend
sind hier aber die besonderen Verhältnisse im Einzelfall. Zu diesen
Hauptstreitpunkten treten noch mancherlei Extrabelastungen, die vor
der Regelung durch die Fabrikantenkartelle verbreitet waren. Es
war keine seltene Erscheinung, daß Kassenskonto noch nach In-
anspruchnahme des ganzen Ziels abgezogen wurde, daß die Valuta
der Lieferung je nach dem Belieben des Grossisten gestellt werden
mußte. Vollends die Zahlungsweise bereitete den Fabrikanten die
größte Verlegenheit; denn es war bei der Engroskundschaft üblich
geworden, mit langsichtigen Wechseln ohne Diskontabzug zu regu-
lieren. Zu alledem traten die Folgen, die das Retourenwesen für
die Risikoverteilung hatte; der Abnehmer nahm die Ware gewisser-
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 313
maßen nur in Konsignation, auch wo dies nicht besonders vereinbart
war; der Fabrikant hatte letzten Endes zu sehen, wo er für unver-
käufliche Retouren Abnehmer fand. Noch eine andere Forderung
droht, nach dem Vorgang der Warenhäuser, Schule zu machen, die
Umsatzprämie. Man ist davon ausgegangen, daß die Warenhäuser
und großen Spezialgeschäfte erhöhte Kosten für ihre Büros zu decken
haben. Wenn man all diese Ansprüche näher betrachtet, besonders
auf die Stichhaltigkeit der Behauptung hin, es handle sich nur um
Abhilfe gegenüber schwerer Notlage, so berührt es eigentümlich,
daß sie gerade von denjenigen Faktoren erhoben werden, die heut-
zutage eine bedeutende Machtstellung gegenüber den Produzenten
einnehmen: Grossisten und Großdetaillisten. Es drängt - offenbar
eine Machtfrage hier zur Lösung und die Stellung der Fabrikanten ist
nicht die günstigste. Das bringt schon die Existenz der „Miniatur-
fabrikanten“ mit sich, die um jeden Preis Bestellungen aufnehmen,
um überhaupt beschäftigt zu sein. Von einer gesunden Kalkulation
ist allzuoft keine Rede. Daß diese Kategorie von Produzenten über
kurz oder lang an ihrem eigenen System zugrunde geht, ist kein
Grund, darüber hinwegzusehen, daß sie die Gesamtinteressen der
Fabrikanten durch Unterstützung der Abnehmerbestrebungen nach-
haltig schädigt. Denn die Abnehmer betrachten diese Schicht von
Fabrikanten als Faktoren der Preisbildung, wozu ihnen aber ihrer
Entwicklung nach die Qualifikation fehlt.
Als Gegengewicht gegenüber den vorhin gekennzeichneten An-
sprüchen der Abnehmerkreise muß demnach die Kartellbewegung in
der Textilindustrie beurteilt werden. Denn gegen solche Mißstände
kann der einzelne nicht auftreten, da er in diesem Falle Gefahr
läuft, seine Kundschaft an andere Fabrikanten zu verlieren, die in
der Nachgiebigkeit gegen die Abnehmerforderungen weitergehen.
Wo aber eine Konvention besteht, tritt der Abnehmer nicht so leicht
mit übertriebenen Zumutungen an den einzelnen Fabrikanten heran,
da er weiß, daß diese doch abgelehnt werden müssen. So läßt sich
die in den letzten Jahrzehnten besonders stark wachsende Kartell-
bildung in der Textilindustrie erklären; allerdings bietet der nume-
rische Fortschritt keinen Gradmesser für die Konsolidierung.
Tschierschkyt) zählte 1909 60 Kartelle unter Ausschluß der
Konditionskartelle, während die Denkschrift der Reichsregierung
1905/06 nur 31 Textilkartelle aufführt. Nach Tschierschkys Er-
mittelungen darf man annehmen, daß die Mehrzahl der heutigen
Textilkartelle sich nur mit der Konditionsregelung befaßt. Es ist
unter diesen Umständen nicht wunderbar, wenn man beim Ver-
gleich mit den Fabrikantenkonventionen anderer Branchen von dem
bisherigen Stande der Entwicklung in der Textilindustrie keine allzu
hohe Meinung hat. Die bloße Konditionsregelung hat aber jeden-
falls ihre Berechtigung als Durchgangsstadium, das Ziel muß aller-
dings die Weiterbildung in der Richtung der Preiskartelle bleiben;
1) Kartellrundschau, 1909, 8. 763.
314 Blank,
dieser Notwendigkeit wird die wachsende Uebermacht der Abnehmer
Geltung verschaffen. Den Anfang zu einer solchen Entwicklung
zeigen unter anderem die Seidenbandkonvention, der Ver-
band deutscher Juteindustrieller, ferner die Preisbindungen
in der Krawattenstoff- und Krawattenfabrikation. Grundlage der
Preisfestsetzung ist in der Regel eine Kalkulationsbasis, welche die
Preise in Beziehung setzt zu einem gegebenen Stande der Material-
preise, der Arbeitslöhne, sowie zu festen Sätzen für Arbeitsverlust,
Spesen und Nutzen. Ein Beispiel aus neuerer Zeit bieten die Preis-
normierungen des Barmer Verbandes von Hutartikelfabri-
kanten (gegr. Dezember 1913). Wichtiger fast als bloße Preisrege-
lung ist die Einflußnahme auf den Stand des Angebots, wie sie sich
der Verband deutscher Juteindustrieller, G. m. b. H., zur Aufgabe
gemacht hat. Da eine zahlenmäßige Kontingentierung mit Rück-
sicht auf die Freiheit der Produktion sich nicht empfahl, hat dieses
Kartell seinen Mitgliedern Beschränkungen auferlegt, hinsichtlich
der Vergrößerung ihres Betriebes sowie der Arbeitszeit. Außerdem
wird vierteljährlich im voraus durch Majoritätsbeschluß eine Ein-
schränkungsquote festgelegt.
Ihrem loseren Gefüge entsprechend haben die Konditionskartelle
den Abnehmern mannigfache Konzessionen machen müssen. Nicht
nur, daß der Warenskonto') in den meisten Fällen durchgedrungen ist,
sei es auch öfters nur unvollkommen, in Gestalt einer Erhöhung des
Kassenskontos, auch der letztere ist vielfach erheblich gesteigert
worden, so z. B. bis auf 6 Proz. nach 30 Tagen in den Bedingungen
der Vereinigung der Kragensamtfabrikanten. An dem
für den Produzenten günstigsten Schema von 2 Proz. nach 30 Tagen
und Nettoregulierung nach 90 Tagen haben unter anderen festhalten
können der Verband der Seidenstofffabrikanten Deutsch-
lands, der Bergische Fabrikanten-Verband, der Ver-
band Sächsischer Wirkwarenfabrikanten. Der Verband
Deutscher Samt- und Plüschfabrikanten hat sich gegen-
über der Vereinigung der Deutschen Samt- und Seidenwarengroß-
händler verpflichten müssen, keinem Abnehmer im deutschen Zoll-
gebiet günstigere Konditionen als die genannten einzuräumen. Meist
haben aber weitergehende Zugeständnisse gemacht werden müssen,
die allerdings hier nicht im einzelnen aufgeführt werden können.
Erwähnt sei noch die besondere Bedeutung des Warenskontos im
Verhältnis zum Kassenskonto. Es erscheint ja an sich gleich, ob
2 Proz. Kasseskonto und 2 Proz. Warenskonto oder 4 Proz. Kassa-
skonto unter Ausschluß des Warenskontos berechnet wird; die Be-
deutung der Maßregel liegt aber in der Hinausschiebung des zins-
freien Ziels. Durch Hinausschiebung der Valuta kann außerdem
noch ein ganz bedeutender Spielraum gewonnen werden. Ziemlich
allgemeine Ablehnung haben die Ansprüche der Abnehmer hinsicht-
a 1) Ein Abzug, der, im Gegensatz zum Kassenskonto, ohne Rücksicht auf den
Zeitpunkt der Regulierung erfolgt.
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 315
lich der Option und der Konsignationsläger erfahren, auch ist das
Zahlungsmittel meist in einer Art und Weise geregelt worden, welche
die früheren Gepflogenheiten der Grossistenkundschaft in bezug auf
die Zahlung mit Wechseln ausschließt. Auch was das Musterwesen
anlangt, ist eine für den Fabrikanten erträgliche Regelung im all-
gemeinen durchgesetzt worden. Meist werden die Muster zum
vollen Preise des betreffenden Artikels berechnet und nur ein
zwischen 1 und 1!/, Proz. schwankender Musterskonto in Abzug
gebracht. Zunehmende Bedeutung gewinnt gegenwärtig noch die
Einrichtung der Umsatzbonifikation. Eine solche findet sich z. B.
in den Verkaufsbedingungen des Verbandes Deutscher Samt- und
Plüschfabrikanten, und zwar mit dem Charakter einer ausschließ-
lichen Begünstigung der Vereinigung der Deutschen Samt- und
Seidenwarengroßhändler; ferner gewährt die Vereinigung der Kragen-
samtfabrikanten ganz allgemein eine Vergütung dieser Art, welche
von 4 Proz. bei einem Maximalumsatz von 2500 M. bis auf 10 Proz.
bei mehr als 20000 M. Umsatz steigt. Auch der Ende 1913 ge-
gründete Verband von Barmer Hutartikelfabrikanten gewährt eine
solche Vergütung. Die Berechnung der Umsatzprämie geschieht nun
nicht in der Weise, daß jeder Fabrikant auf den Umsatz mit jedem
seiner Kunden den entsprechenden Prozentsatz vergütet. Dies würde
dazu führen, daß jeder Kunde möglichst alle Aufträge in einem
Genre einem Fabrikanten zuwenden würde, um einen möglichst
hohen Prämiensatz zu erhalten. Es wird daher der seitens eines
Kunden zu beanspruchenden Prämie die Summe der sämtlichen Um-
sätze zugrunde gelegt, die er mit Mitgliedern des Verbandes gemacht
hat; den auf diese Weise ermittelten Prozentsatz hat der einzelne
Fabrikant am Ende des Geschäftsjahres auf seinen Umsatz mit den
betreffenden Kunden zu vergüten. Auch hält man im allgemeinen
darauf, daß die zur Umsatzprämie berechtigenden Bezüge nur solche
sein dürfen, welche für den eigenen Betrieb des Bestellers bestimmt
sind. Es mag noch eine Bestimmung erwähnt werden, die sich
häufig in den Verkaufs- und Lieferungsbedingungen der Konventionen
findet und darum größeres Interesse gerade gegenwärtig beanspruchen
kann, da die Rechtsprechung sich ausgiebig mit ihr beschäftigt hat,
nämlich die Festsetzung eines Schiedsgerichts unter Ausschluß des
Rechtsweges durch einseitige Erklärung in den Verbandskonditionen.
Eine zum Verbande Deutscher Damen- und Mädchen-
mäntelfabrikanten gehörige Firma hatte ihren Kunden durch
eingeschriebenen Brief mitgeteilt, daß sie von einem angegebenen
Zeitpunkte ab nicht mehr zu günstigeren als den in der Anlage mit-
übersandten Bedingungen verkaufen würde. Die letzteren enthielten
auch die Schiedsgerichtsklausel. Eine Kundenfirma weigerte sich
nun, in einem später entstandenen Streitfalle sich dem Schieds-
gericht zu unterwerfen, worauf die Konvention die Lieferungssperre
über sie verhängte. Das Kammergericht hat durch Urteil vom
12. Januar 1914 der Klage des Kunden auf Aufhebung der Sperre
stattgegeben mit der Begründung, daß auf Grund der einseitigen
316 Blank,
Erklärung in den Konventionsbedingungen eine Verpflichtung des
Kunden zur Unterwerfung unter das Schiedsgericht der Konvention
nicht besteht. Es kann als erfreulich bezeichnet werden, daß in
diesem Punkte, der in der Praxis eine so bedeutende Rolle spielt,
eine Klarstellung der Rechtsverhältnisse stattgefunden hat, die be-
gründeten Ansprüchen der Kundschaft gerecht wird. Denn es kann
nur zu einer schweren Beunruhigung des Marktes führen, wenn eine
einseitige Dekretierung seitens der Kartelle die Abnehmer dem
Schutz der ordentlichen Gerichte entzieht. Gerade für den viel
angefeindeten Ruf der Konventionen wäre es besser, wenn solche
Versuche, den ordentlichen Rechtsweg zu umgehen, unterblieben.
Wo dagegen die gemeinsamen Interessen von Fabrikant und Ab-
nehmer eine möglichst rasche Entscheidung, wie sie nur ein solches
aus Fachleuten zusammengesetztes Schiedsgericht treffen kann,
wünschenswert erscheinen lassen, und wo infolgedessen vertragliche
Festlegung erfolgt ist, wird man weder rechtlich noch wirtschaftlich
die gleichen Bedenken erheben können. Das gleiche gilt auch da,
wo durch Vertrag zwischen Fabrikant und Abnehmer der aus-
schließliche Verbandsverkehr vereinbart worden ist. Ist doch gerade
der Außenseiter eine der größten Gefahren jeder Kartellierung und
hieße es, die Existenz der Konventionen in Frage stellen, wollte
man grundsätzlich die Exklusivklausel und die Mittel zu ihrer
Durchführung (Order-, Lieferungssperre, Schutzskonto) verwerfen.
Bedenklicher, und zwar in Anbetracht des unsicheren Resultats,
müssen solche Sperren erscheinen in den Fällen, wo es sich um den
Kampf zwischen den Kartellen der Fabrikanten und der Abnehmer
handelt, wie wir es soeben noch in der Tuchbranche erlebt haben !).
Daß eine Mäßigung in den Ansprüchen am Platze ist, zeigt der
Umstand, daß die Fabrikantenkartelle im allgemeinen bei solchen
Sperren nicht günstig abschneiden; z. B. seinerzeit der Verband der
Seidenwarenfabrikanten Deutschlands, der Verband der Blusen- und
Kostümfabrikanten Deutschlands. Darum sollten auch Anlässe ver-
mieden werden zu Streitigkeiten, welche, ohne daß es sich um
Existenzfragen handelt, nur geeignet sind, die Mißstimmung gegen
die noch nicht sehr widerstandsfähige Kartellbewegung der Textil-
industrie zu steigern. Das gilt z. B. von Prozessen wegen Skonto-
restbeträgen von 7 bzw. 13 Pfg., die seinerzeit der Bergische Fabri-
kanten-Verband anstrengte. Es soll sich hierbei um eine Prinzipien-
frage gehandelt haben; ohne die Rechtsfrage zu berühren, kann man
feststellen, daß es für Verbände, die sich noch nicht in dominierender
Position befinden, ein taktischer Fehler ist, dem Gegner so wirk-
sames Agitationsmaterial zu liefern. Solche Maßregeln, wie diese
Prozesse, überschreiten die Grenzen der Abwehr ganz entschieden.
Derartige Fehlgriffe sind aber besonders dort zu vermeiden, wo die
innere Struktur der Industrie mehr als anderswo die Aussichten der
Kartellierung ungünstig beeinflußt, wie in der Wuppertaler Besatz-
1) Näheres hierüber findet sich weiter unten.
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmeryerbänden. 317
branche. Welche Schwierigkeiten sich hier ergeben haben, vermag
ein kurzer Ueberblick über den Entwicklungsgang des Bergischen
Fabrikanten-Verbandes zu zeigen.
Die Tatsachen, welche zur Begründung dieses Konditions-
kartells führten, sind zum größten Teile bereits oben unter den all-
gemeinen Ursachen der Konventionsbildung berührt worden.
Namentlich spielt hier die Abhängigkeit von der Engroskundschaft
mit. Dieser Zusammenhang wird dadurch beleuchtet, daß, als durch
Gründung des Bergischen Fabrikantenverbandes im Dezember 1906
das Uebergewicht der Grossisten in Frage gestellt war, diese im
Februar 1907 mit der Gründung des Großhändlerverbandes
in Garnen, Besatz-, Kurz- und Wollwaren e V. ant-
worteten. Im November 1907 trat der Großhändlerverband an die
Mitglieder des Fabrikantenverbandes heran mit der Frage, ob sie
geneigt seien, in Verhandlungen wegen eines Gegenseitigkeitsver-
trages einzutreten. Die Rückwirkung dieses Schrittes auf die De-
tailkundschaft, vereinigt im Verband Deutscher Detailge-
schäfte der Textilbranche (Sitz Hamburg) blieb nicht aus,
da diese ihren Ausschluß von der Lieferung befürchten mußten,
falls die Verhandlungen zu einem greifbaren Ergebnis führten. In
der Tat spielte auch hier der Geschäftsverkehr mit den Detaillisten
keine unbedeutende Rolle, da schließlich der Unterschied in der
Kaufkraft zwischen Grossisten und Großdetaillisten nur ein mini-
maler geworden war. Um so stärker mußten sich aber die Bedenken
der Fabrikanten gegen einen Exklusivvertrag mit dem Großhändler-
verband geltend machen, zumal sie im Falle des Vertragsschlusses
erst recht in die Abhängigkeit der Grossisten geraten würden. Die
Verhandlungen über diesen Gegenseitigkeitsvertrag ließen die tiefe
Spaltung erkennen, welche durch die Absatzfrage in den Reihen der
Fabrikanten entstanden war. In der Tat hätte der Gegenseitigkeits-
vertrag nur für diejenigen Fabrikanten von Wert sein können,
welche im wesentlichen nur mit Grossistenkundschaft zu rechnen
hatten. Für alle diejenigen aber, welche außer mit dem Engros-
handel ein bedeutenderes Geschäft mit der Detailkundschaft machten,
wäre eine Verminderung der Rentabilität infolge Einschränkung
ihres Kundenkreises unvermeidlich gewesen; diese letztere Kate-
gorie von Fabrikanten mag zur fraglichen Zeit wohl die Hälfte der
Wuppertaler Besatzfabrikanten ausgemacht haben. Zwar stellte sich
im Laufe der Verhandlungen heraus, daß es nicht Zweck der Ab-
machungen sein sollte, die Gesamtheit der Mitglieder des Fabrikanten-
verbandes in einen Exklusivvertrag mit dem Großhändlerverband
hineinzutreiben. Wenn jedoch an maßgeblicher Stelle damals die
Ansicht vertreten wurde, ebensowenig wie man einem einzelnen
Fabrikanten verbieten dürfte, mit seiner Kundschaft vertragliche
Abmachungen zu treffen, dürfe man eine Gemeinschaft daran hindern,
so beruht dies auf einer Verkennung der Grundlage eines Kartells;
denn es bedeutet in der Rückwirkung auf dieses ganz etwas
„anderes, wenn ein einzelner Fabrikant unter Verzicht auf einen
318 Blank,
Teil seiner Kundschaft mit dem Rest einen Exklusivvertrag schließt,
als wenn eine korporative Spaltung infolge des verschiedenartigen
Charakters der Kundschaft das Kartell erschüttert. Man muß aller-
dings berücksichtigen, daß der Gegenseitigkeitsvertrag mit dem
Großhändlerverband auch für Fabrikanten mit anderer als reiner
Engroskundschaft, insbesondere überwiegender Großdetaillistenkund-
schaft, nicht ohne weiteres unannehmbar war. Denn es ließen die
Bedingungen des Vertragsentwurfs außer dem Verkehr mit den ver-
einigten Grossisten auch den Verkehr mit den außerhalb des Groß-
händlerverbandes stehenden Grossisten zu, ferner mit der gesamten
deutschen Fabrikation (inklusive Konfektion), sowie mit einer ge-
wissen Zahl von Einkaufsvereinigungen, Warenhäusern, Spezial- und
Detailgeschäften. Es muß jedoch fraglich erscheinen, ob unter diesen
Verhältnissen der ganze Vertrag, den man hiernach ja kaum mehr
als Exklusivvertrag bezeichnen kann, für die Großhändler von Wert
gewesen wären; die Exklusivklausel hätte nur die Wirkung gehabt,
daß die wegen ihrer besonderen Absatzverhältnisse am Beitritt ver-
hinderten Fabrikanten ihre ganze im Großhändlerverband vereinigte
Kundschaft, ferner einen großen Teil ihrer Detailkunden — sofern
deren Verband den Abmachungen beigetreten wäre — verloren
hätte. Eine Spaltung innerhalb des Fabrikantenverbandes wäre allzu
leicht die Folge des Vertragsschlusses gewesen, und es kann nicht
als ein Schaden für das Fabrikanteninteresse bezeichnet werden, daß
die Verhandlungen wegen dieses Vertrages scheiterten. Die Lösung
der Differenzen ist dann in der Weise erfolgt, daß im Juli 1908
die Mitglieder der drei Abnehmerverbände: des Großhändler-
verbandes, des Verbandes Deutscher Detailgeschäfte
der Textilbranche und des Verbandes Deutscher Waren-
und Kaufhäuser die Bedingungen des Fabrikantenverbandes
anerkannten. Im übrigen wurde ihnen ein Regulierungsskonto von
2 Proz. zugebilligt, welcher denjenigen Abnehmern, denen die Inne-
haltung des 90-tägigen Ziels nicht möglich war, die andererseits die
ihnen hierdurch zur Last fallenden Zinsen nicht einkalkulieren
konnten, eine Entschädigung gewähren sollte In der Praxis stellt
dieser Skonto allerdings keine besondere Vergünstigung für die Mit-
glieder der genannten Abnehmerverbände dar, da fast jeder Kunde
diesen Extraskonto verlangt, trotzdem nach den Bedingungen des
Fabrikantenverbandes hierzu keine Verpflichtung besteht. Der
Gruppe der Abnehmerverbände sind noch beigetreten der Verband
Deutscher Krawattenfabrikanten sowie der Verband
Deutscher Strohhut- und Damenfilzhutfabrikanten.
Irgendein Abkommen bezüglich des ausschließlichen Geschäfts-
verkehrs zwischen dem Fabrikantenverband einerseits und den 5
Abnehmerverbänden andererseits wurde nicht getroffen. Jeder kann
liefern, an wen bzw. kaufen, von wem er will. Wie verhängnisvoll
eine Bindung der Fabrikanten hinsichtlich der Auswahl ihrer Kund-
schaft für die Einigkeit unter den Verbandsmitgliedern hätte werden
können, zeigt die im ersten Halbjahr 1908 einsetzende Tätigkeit
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 319
der „Freien Fabrikanten-Vereinigung“, welche als ihr
Ziel im Gegensatz zu den „übertriebenen Beschränkungen“ des
Bergischen Fabrikanten-Verbandes die „Wahrung der Freiheit des
geschäftlichen Eigenbetriebes der Mitglieder bei möglichster Zu-
friedenstellung der Kundschaft durch kulante Bedingungen“ hin-
stellte. Wenn auch die „Freie Fabrikanten-Vereinigung“ einen
maßgebenden Einfluß nicht hat ausüben können, so bleibt sie als
Symptom immerhin beachtenswert, da solche dezentralistische Ten-
denzen für eine so stark differenzierte Industrie wie die Wupper-
taler Branche typisch sind. Dem entspricht auch die Bildung be-
sonderer Interessenverbände außerhalb des Bergischen Fabrikanten-
Verbandes, ohne daß man dieselben durchweg geradezu als Kon-
ventionen bezeichnen könnte Das gilt z. B. vom Verein der
Wäschebandfabrikanten in Barmen, der sich in beschei-
denem Maße nur mit der Preisbildung befaßt; eine spezielle
Konditionsregelung kann er sich deshalb nicht zur Aufgabe machen,
weil seine Mitglieder größtenteils dem Bergischen Fabrikanten-
Verband angehören und dessen Bedingungen unterworfen sind.
Eine selbständige Gruppe bildet ferner die Vereinigung der
Wuppertaler Spitzenfabrikanten, sowie der Verein
Wuppertaler Schnürriemenfabrikanten, welch letzterer
sich im Januar 1909 vom Bergischen Fabrikanten-Verband getrennt
hat, insbesondere aber der schon mehrfach erwähnte Verband
von Barmer Hutartikelfabrikanten. Diese Vereinigung
besteht erst seit Dezember 1913. Ihr Verhältnis zu den Abnehmern
ist geregelt in einem Gegenseitigkeitsvertrag mit dem Verband
Deutscher Strohhut- und Damenfilzhutfabrikanten, welcher für
Deutschland den ausschließlichen Verbandsverkehr bei Strafe des
Verfalls des Schutzskontos zur Bedingung macht. Der genannte
Abnehmerverband, welcher früher zu den 5 oben erwähnten Kon-
trahenten des Abkommens mit dem Bergischen Fabrikanten-Verband
gehörte, ist demgemäß aus dieser Gruppe ausgeschieden. Gerade der
Verband von Hutartikelfabrikanten ist als Beispiel einer scharf ab-
gegrenzten Sondergruppe von Interesse, da durch seine Vereinbarung
mit den Abnehmern es anderen Wuppertaler Fabrikanten, die u. a.
auch die Maschinen zur Hutlitzenfabrikation besitzen, sich jedoch
nicht entschließen konnten, dieser kleinen Sondergruppe (zurzeit zählt
sie 18 Mitglieder) sich anzuschließen, unmöglich gemacht wird,
Kunden zu finden. Die Dinge sind jedoch hier noch in Fluß, so
daß eine definitive Stellungnahme zurzeit nicht angängig erscheint.
Aus einem doppelten Grunde sind die Verhältnisse in der Tuch-
branche von Interesse. Zunächst, weil hier erst in den letzten
Monaten ein ausnehmend heftiger Kampf zwischen Fabrikanten-
konvention und Abnehmerorganisationen stattgefunden hat; dann
aber besonders, weil hier die Widerstände, gegen, welche sich der
Konventionsgedanke durchsetzen mußte, in besonderem Maße der
starken Differenzierung der Kundschaft zuzuschreiben sind. Im
wesentlichen setzen sich die Abnehmer der Tuchfabrikanten zu-
320 Blank,
sammen aus Großkonfektionären, Tuchgrossisten und Tuchversendern !).
Eine einheitliche Konditionsregelung gegenüber allen drei Kate-
gorien begegnet besonderen Schwierigkeiten, da die beiden erstge-
nannten Gruppen gezwungen sind, ihren Abnehmern sehr langen
Kredit zu gewähren, die Tuchversender hingegen ihre Waren suk-
zessive während der Saison beziehen und sie größtenteils gegen
Nachnahme versenden, so daß sie oft schon erhebliche Beträge in
Händen haben, die erst nach Monaten an die Lieferanten abzuführen
sind. Wenn es dennoch gelungen ist, im Jahre 1912 eine Konven-
tion der Fabrikanten, die „Deutsche Tuchkonvention“ ins
Leben zu rufen, so erklärt sich das aus den besonderen Schäden,
welche in dieser Branche den Verkehr der Fabrikanten mit den Ab-
nehmern erschwerten. Man muß zwar berücksichtigen, daß der
Zwischenhandel in vielen Fällen durch seine eigenen Kunden zu be-
sonders weitgehenden Forderungen getrieben wird, da jene außer
dem üblichen Kassenskonto Umsatzprämien, ja Geschenke verlangen.
Tatsache ist aber, daß viele Zwischenhändler sich nicht mit den ihnen von
den Fabrikanten zugestandenen Preisermäßigungen, ausgedehnter Valuta
und erhöhter Rabattbewilligung begnügten, sondern darüber hinaus
bei der Regulierung, abweichend von den Vereinbarungen willkürliche
Abzüge machten, auch ihre Zahlungen in einer für die Fabrikanten
verlustbringenden Weise leisteten. Es ist dabei eine alte Erfahrung,
daß ein solches Gebaren einzelner Händler auch ihre an sich loyal
an den Vereinbarungen festhaltenden Konkurrenten zur Nachahmung
zwingt. Der Vorwurf eines einseitigen Vorgehens der Fabrikanten
läßt sich nicht aufrecht erhalten, angesichts der Tatsache, daß zu
diesen Verhandlungen Vertreter aus den Kreisen des Zwischenhandels
hinzugezogen waren. Die unmittelbare Folge dieses Zusammen-
schlusses der Fabrikanten war, wie schon in anderen Fällen beob-
achtet, eine Konzentration der Abnehmer. Es wurde eine „Ver-
einigung deutscher Tuchgroßhändler*“ in Berlin gegründet, welche
in Besprechungen mit dem „Verband Deutscher Tuchgroßhändler und
verwandter Branchen e. V.“ in München eintrat zum Zweck der
Fühlungnahme mit der Tuchkonvention. Andererseits bildete sich
auf seiten der Produzenten eine neue Vereinigung mit dem Zweck,
in Uebereinstimmung mit der Tuchkonvention vorzugehen: der „Ver-
band der Fabrikanten halbwollener (englischer) Stoffe“, Sitz Berlin.
Mit diesem traf der „Arbeitgeberverband der Herren- und Knaben-
kleiderfabrikanten Deutschlands e. V.“ ein Uebereinkommen, welches
sich auf die Zahlungskonditionen, die Musterfrage, Valuta und
Lieferung bezog, in dem insbesondere aber auch ein Kartellvertrag
vorgesehen wurde, kraft dessen sich die Kontrahenten gegenseitig
eine Liste der Außenseiter geben sollten, um deren Sperre zu er-
langen. Der genannte Arbeitgeberverband leitete im November 1912
auch Verhandlungen ein mit der Tuchkonvention zwecks Abänderung
der Konditionen und Abschlusses eines Kartellvertrages. An diesen
1) Letztere arbeiten mit den Schneidern.
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 321
Besprechungen hatten auch die „Vereinigung Deutscher Tuchgroß-
händler“ sowie die Tuchversender Anteil. Die Bedenken der Groß-
abnehmer gegen die Konditionen der Tuchfabrikanten lassen sich im
wesentlichen dahin zusammenfassen, daß die Zahlungsbedingungen
in Anbetracht der im Handel eingebürgerten Kreditwirtschaft zu
große Härten enthielten, ferner, daß eine Regelung des Musterwesens
im Sinne einer vollen Berechnung der Musterlieferungen im Gegen-
satz zum bisherigen Zustand zu wünschen wäre, da bisher einzelne
Grossisten durch Gratislieferungen bevorzugt worden seien; aller-
dings wurde anerkannt, daß diese Frage für die Fabrikanten wegen
der ausländischen Konkurrenz besonders heikel sei. Insbesondere
solle aber auch der direkte Verkehr der Fabrikanten mit den Detail-
leuren ausgeschlossen werden; denn dieser trage um so mehr zur
Schädigung der Grossisten bei, als diese im Verkehr mit den Detail-
leuren durch Konventionen in der Festsetzung der Konditionen ge-
bunden seien, die Fabrikanten hingegen nicht. Eine vorläufige
Einigung zwischen obenerwähnten Zwischenhändler- und Konfek-
tionsvereinigungen und der Tuchkonvention fand auch statt, so daß
diese ihre Konditionen im Februar 1913 in Kraft setzte. Die
Musterfrage war dahin geregelt worden, daß die Musterlieferungen
voll berechnet werden sollten, wogegen eine Vergütung von 1 Proz.
auf die Gesamtfaktur seitens der Fabrikanten zu berechnen wäre.
Allerdings machte sich bald eine Spaltung im Kreise der Abnehmer
geltend: die Grossisten — Tuchgrossisten und -Versender — ver-
langten von der Tuchkonvention Begünstigung gegenüber den
Konfektionären. Weiter aber löste die Tendenz der Großabnehmer,
die Lieferung der Tuchfabrikanten ganz für sich in Anspruch zu
nehmen, eine Gegenströmung im Lager der Detaillisten aus. Der
„Verband deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche* (Sitz Ham-
burg) vereinbarte Mitte 1913 mit dem „Allgemeinen Deutschen
Arbeitgeber-Verband für das Schneidergewerbe“ (Sitz München) ge-
meinsame Stellungnahme zur Abwehr von Maßregeln der Grossisten-
gruppe, welche die Nichtgrossistenabnehmer in der unmittelbaren
Lieferung seitens der Fabrikanten beschränkten. Im November
vorigen Jahres trat die „Interessengemeinschaft Deutscher Tuchgroß-
abnehmer“, bestehend aus dem „Arbeitgeber-Verband der Herren-
und Knabenkleiderfabrikanten Deutschlands e. V.“, dem „Verband
Deutscher Kleiderfabrikanten* (Sitz Rheydt), dem „Fabrikanten-
Verband der Berliner Knaben- und Burschenkonfektion“, der „Ver-
einigung Deutscher Tuchgroßhändler“ zu Berlin und dem „Verband
Deutscher Tuchversender und -Großhändler e. V.“ zu München, mit
den Delegierten der Tuchkonvention in Berlin in Unterhandlungen,
welche sich im wesentlichen um die Frage der Valutierung, der
Mustervergütung, der Post- und Eilgutsendungen drehte. In einigen
Punkten minderer Bedeutung sagten die Delegierten der Tuchkon-
vention unter Vorbehalt Abhilfe zu, in der Kardinalfrage der Valuten-
bestimmung hingegen wurde eine Einigung nicht erzielt. Das Gleiche
gilt von der kaum weniger entscheidenden Frage der Mustervergütung,
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 21
322 Blank,
welche die Abnehmer auf 2 Proz. festsetzen wollten, während die
Tuchkonvention mit Rücksicht auf ihre kleineren Kunden, welche
von einer Bezahlung der Musterlieferungen eine Bevorzugung der
großen Abnehmer befürchteten, hiergegen Bedenken erhob. Die
Weiterverhandlungen wurden einer Delegiertenkommission der Fabri-
kanten und Abnehmer überlassen. Im Dezember 1913 schien eine
endgültige Einigung zustande gekommen zu sein, doch waren die
Nachrichten hierüber verfrüht. Die Verhandlungen traten vielmehr
nun in ihr kritisches Stadium ein, das sie erst soeben verlassen
haben. In den Reihen der Fabrikanten machten sich Bedenken
gegen die unter Vorbehalt eingeräumten Zugeständnisse der Delegierten
geltend, in erster Linie beim „Aachener-Tuchfabrikanten-Verein“,
dem sich die Ortsvereine in Cottbus, Crimmitschau und Gera-Greiz
anschlossen. Man wies insbesondere darauf hin, daß wichtige Tuch-
versender, auf deren Kundschaft die Konvention nicht verzichten
könne, den Verbänden der Tuchversender und Tuchgrossisten nicht
angehörten. In einer Generalversammlung der Tuchkonvention im
Dezember 1913 wurden die zugunsten der Abnehmer vorgeschlagenen
“Aenderungen der Konditionen abgelehnt und die Angelegenheit zu
weiterer Verhandlung bis Anfang 1914 vertagt. Die Beratungen
der Tuchkonvention ließen deutlich die schroffen Gegensätze er-
kennen, welche die Differenzierung des Absatzes in die Reihen der
Fabrikanten hineinträgt. Während die Gruppe Forst und M.-Glad-
bach in erster Linie mit Konfektionskundschaft arbeitet, sind die
Hauptabnehmer der Gruppe Aachen, Gera-Greiz, Cottbus, Spremberg
die Tuchgrossisten und -Versender. Die nächste Folge des ab-
lehnenden Beschlusses der Tuchkonvention war die Erklärung der
Ordersperre seitens der Abnehmerverbände. Diese Maßregel benach-
teiligt die Fabrikanten in doppelter Richtung. Nicht nur daß die
Bestellungen ausbleiben; das würde sich schließlich durch die nach
Aufhebung der Sperre für die Abnehmer nötig werdenden Mehr-
bestellungen in etwa ausgleichen, sofern die Saison nicht bereits
verpaßt ist; aber dadurch, daß keine Orders erteilt werden, auch wenn
die Ansicht der neuen Kollektionen nicht verweigert wird, verlieren
die Fabrikanten den Anhaltspunkt für die Richtung der Nachfrage,
so daß aus dem Kampf um Konditionen ein volkswirtschaftlich be-
denklicher Zustand erwachsen kann, der in der Ueberfüllung des
Marktes mit unkuranter Ware gipfelt. Die vorübergehende Absatz-
stockung infolge der Ordersperre kann sich so zu einer Krise in
der Produktion erweitern, und man darf im Zweifel sein, ob hier
nicht Mittel und Zweck außer Verhältnis zueinander stehen. Trotz-
dem die Tuchkonvention ihre Bereitwilligkeit zu erneuten Verhand-
lungen erklärte — dieselben wurden am 11. Februar d. J. in Berlin
eröffnet —, weigerten sich die Abnehmerverbände, die Ordersperre
aufzuheben. Die Verhandlungen, die sich vor allem wieder mit der
Valuta- und Musterfrage beschäftigten, wiesen, wie zu erwarten
stand, nach wie vor eine erhebliche Divergenz der Meinungen auf.
Ein Beschluß auf Aufhebung der Ordersperre erging auch nicht,
Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 323
solange die Verhandlungen dauerten; es war von vornherein un-
wahrscheinlich, daß die Abnehmerverbände darauf verzichten würden,
diesen Druck auf den Gang der Beratungen auszuüben. Am
12. Februar ist in Berlin ein Kartellvertrag zwischen den gegneri-
schen Gruppen unter Aufhebung der Ordersperre zustande gekommen.
Die neuen Bestimmungen sollen von der Sommersaison 1915 ab in
Kraft treten. Die Mustervergütung beträgt für die ersten 2 Jahre
1 Proz., dann für gemusterte Ware 1!/, Proz. In der Valutafrage
wurde für die nächsten 2 Jahre eine Verschiebung der Valuta zu-
gunsten der Abnehmer bewilligt. Endlich hat die Tuchkonvention
ihre Bedenken wegen der Außenseiter zurückgestellt, da man diese
zum Eintritt in die Verbände zu zwingen hofft. Ob in diesem
Kartellvertrag das Interesse der Fabrikanten durchweg gewahrt worden
ist, kann nach allem, was bisher bekannt geworden ist, bezweifelt
werden. Ein den Fabrikanten günstiger Ausgang des Streits würde
jedenfalls als Ausnahmefall ganz besondere Beachtung verdienen.
Oh
324 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
u
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der kleineren
deutschen Bundesstaaten im Jahre 1913.
Von Dr. Stöwesand.
l. Bayern,
Gesetz- und Verordnungsblatt fürdas Königreich Bayern
1913.
Bekanntmachung vom 13. Januar 1913, betr. die Abänderung der
Rheinschiffahrts-Polizeiordnung. S. 5.
Der Erlaß der neuen Polizeiordnung ist zwischen Bayern, Baden, Elsaß - Loth-
ringen, Hessen, Preußen und den Niederlanden vereinbart worden. Sie tritt mit
1. April 1918 an Stelle der vom 22. März 1905.
Bekanntmachung vom 25. Januar 1913. Ausgabe von Schuld-
verschreibungen auf den Inhaber betr. S. 79.
Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München bringt 32000 auf den
‚Inhaber lautende 4-proz. unverlosbare Hypothekenpfandbriefe im Betrage von 25 Millionen
in den Verkehr.
Bekanntmachung vom 11. März, den Vollzug des Zuwachssteuer-
gesetzes vom 14. Febr. 1911 betr.
Die Zuwachssteuer ist auf Antrag bei bestimmten Aufwendungen zu ermäßigen.
Bekanntmachung vom 26. April 1913, betr. Ausführung der Be-
stimmungen des Bundesrats über die Lohnbücher für die Kleider- und
Wäschekonfektion. S. 171.
Ortspolizeibehörde im Sinne des $ 14 der Bundesratsbestimmungen ist für München
die Königl. Polizeidirektion.
Bekanntmachung vom 21. Mai 1913, die Eisenbahnbau- und Be-
triebsordnung für die Haupt- und Nebeneisenbahnen Bayerns betr.
S. 198.
Auf den am 29. Mai 1918 zur Eröffnung kommenden „elektrisch“ betriebenen
Bahnlinien von Garmisch- Partenkirchen zur Landesgrenze bei Griesen finden die Be-
stimmungen für Nebenbahnen Anwendung.
Kgl. Verordnung vom 5. Juni 1913 über die Veterinärpolizeiliche
Anstalt. S. 201.
, Vom 1. Juli 1918 an wird für das Königreich eine Veterinärpolizeiliche Anstalt
errichtet. Die Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der Tierseuchen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 325
Bekanntmachung vom 4. Juni 1913, das Berggewerbegericht
München betr. S. 205.
Die Zuständigkeit des Gerichts wird dahin neu geregelt, daß ihm die Entscheidung
von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnisse zwischen den in den Bergwerken und in
den unterirdischen Gruben und Brüchen des Regierungsbezirks Oberbayern beschäftigten
Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits obliegt.
Abschied vom 15. Juni 1913 auf die Verhandlungen der Landräte
für 193. S. 217.
Die Kreisvoranschläge werden vom König genehmigt. Oberbayern 12 6783 140,64 M.,
Niederbayern 882188612 M., Pfalz 6433 592,89 M., Oberpfalz und Regensburg
8418 922,36 M., Oberfranken 4089808,39 M., Mittelfranken 6 956 481,65 M., Unter-
Jranken und Aschaffenburg 4 526 510,09 M., Schwaben und Neuburg 5 269 910,06 M.
Kgl. Verordnung vom 27. Juni 1913, über das Apothekerwesen.
S. 343.
I. Bewilligung zum Betriebe von Apotheken.
1. Erteilung der Bewilligung. $ 1—19.
A. Selbständige öffentliche Apotheken,
B. Zweigapotheken,
C. Hausaporheken von Aerzten,
D. Anstaltsapotheken.
2. Inhalt der Bewilligung. $ 20.
II. Sonstige Befugnis zur Bereitung oder Abgabe von Arzeneien. $ 21—24.
V. Aufsicht. $ 58—56.
Bekanntmachung vom 24. Juli 1913, über die Aenderung der
Pferdeaushebungsvorschrift. S. 435—482.
Bekanntmachung vom 24. September 1913, die Behandlung der
Depositen bei den K. Bankanstalten betr. S. 520.
Bekanntmachung vom 27. September 1913, Ausführungsbestim-
mungen zum Reichsstempelgesetze vom 3. Juli 1913 betr. S. 523—742.
2. Sachsen.
Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich
Sachsen vom Jahre 1913. 1.—23. Stück.
Gemeindesteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 195—222.
Als direkte Steuern sind anzusehen: Grund- und Gebäudesteuern, "allgemeine
und Sondergewerbesteuern, die Einkommensteuer, Kopfsteuern, Vermögens- und Kapital-
rentensteuern, Miet- und Wohnungssteuern und die Hundesteuer, als indirekte die Be-
sitzwechselabgabe und die Zuwachssteuer.
A. Indirekte Steuern. Die Erhebung von Abgaben auf Brennstoffe und Nahrungs-
mittel ist unzulässig. Der Erwerber zahlt eine Besitzwechselabgabe von 1 Proz. des
Grundstückswertes; sie ermäßigt sich bis auf IL Proz. in Gemeinden, wo der Grund-
besitz mindestens 15 Proz. des Gesamtsteuerbedarfs aufbringt. Die Gesamtabgabe darf
2 Proz. nicht übersteigen (einschl. der Schul- und Kirchgemeinde- Abgaben).
Der Erwerber ist befreit von der Steuer oder nur zur Zahlung der Hälfte ver-
pflichtet, wenn er auf den Nachlaß des bisherigen Eigentümers pflichtteilsberechtigt ist oder
als Erbe, Miterbe, Nacherbe usw. beteiligt ist. Bei Zwangsversteigerungen ist der Er-
werber ebenfalls ganz oder teilweise befreit, wenn er nachweist, daß er als Miteigentümer,
Schuldner, Gläubiger oder Bürge beteiligt ist.
B. Direkte Steuern. Die Gemeinde kann Personen, die sich länger als 8 Monate
in ihr aufhalten, und im Reichsauslande Wohnende, die in der Gemeinde eine Erwerbs-
tätigkeit zeitweilig ausüben, zu den Steuern heranziehen. Eine gewerbliche Umsatz-
steuer darf nur da, wo sie schon besteht, bis Ende 1924 erhoben werden.
326 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Das Einkommen aus Woartegeld, Pensionen und Unfall- (Invaliden-, Alters-,
Hinterbliebenen-)Renten sowie die Einkommen der im Jahre 1908 angestellten Reichs-,
Staats- und Gemeindebeamten werden mit nur t|, des Betrages versteuert. Einkommen
von 200—400 M. können steuerpflichtig gemacht werden, andererseits kann die Steuer-
pflicht erst bei einem über 400 M. betragenden Einkommen einsetzen. Die Klassen der
Einkommensteuer bis zur 20. einschließlich können in je 2 Altersklassen gegliedert
werden.
7!/, Proz. des Gesamtsteuerbedarfs sind durch Grundsteuer aufzubringen; in Ge-
meinden ohne Einkommensteuer aber 30 Proz. Der Wert, der als Maßstab der Grund-
steuer dient, darf nicht die staatliche Brandversicherungssumme übersteigen. Der ge-
meine Wert wird durch Selbsteinschätzung und nachfolgende Schätzung ermittelt.
Eine Sondergewerbesteuer von Automaten ist zulässig.
Die Wanderlager zahlen höchstens 200 M. wöchentlich.
Kopfsteuern sind bis Anfang 1918 abzuschaffen.
Nachzahlungsverpflichtungen aus direkten Gemeindesteuern verjähren in 5 Jahren,
aus den genannten indirekten (2) in 10 Jahren, die etwaigen anderen indirekten
Steuern in 8 Jahren. Die Strafverfolgung bei Hinterziehungen verjährt in 8 Jahren.
Aufsichtsbehörden sind die Kreishauptmannschaften unter Mitwirkung des Kreis-
ausschusses sowie die Amtshauptmannschaften (mit Bezirksausschuß).
Das Gesetz tritt am 1. Januar 1915 in Kraft.
Verordnung vom 2. Januar 1913 zur weiteren Ausführung des Ge-
setzes über das höhere Mädchenbildungswesen (vom 16. Juni 1910). S.7.
Die Reifezeugnisse der sächsischen Studienanstalten berechtigen zur Immatrikulation
in Leipzig für das Studium der Medizin, Zahnheilkunde und Pharmazie, sowie an der
technischen Hochschule zu Dresden. Im übrigen werden die Zeugnisse für gleichwertig
mit denen eines Realgymnasiums bezw. Gymnasiums erkannt.
Gesetz vom 21. Januar 1913 über die Tagegelder und Reisekosten
der Staatsdiener. S. 44.
Die Tagegelder zerfallen in 9 Stufen und betragen für den Tag 7—80 M.; wenn
die Dienstreise unter 12 Stunden dauert, erhält der Betreffende nur den halben Satz.
Dienstreisen unter 4 Stunden (mit Zugang oder Abgang) sowie Beschäftigung von nicht
mehr als 2 Stunden an einem Tag der Dienstreise berechtigen nicht zum Bezug von
Tagegeldern, im letzteren Falle werden vielmehr die Stunden der verschiedenen Dienst-
reiselage zusammengerechnet. Die Stufen I—IV erhalten an Reisekosten den Fahrpreis
I. Klasse, die Stufen V—VIII den II. Klasse, die IX, den Fahrpreis III. Klasse er-
setzt. An Nebenkosten für Beförderung zum Schiff oder zur Bahn werden entsprechend
1 M., 75 Pf, und 50 Pf. gewährt. Kosten für Gepäck werden besonders erstattet. Bei
Reisen mit anderen Beförderungsmitteln werden 60 Pf., 40 Pf. und 25 Pf. für das
Kilometer in Anrechnung gebracht. Das Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1913 in Kraft.
Verordnung vom 1. April 1913, die Vornahme einer statistischen
Erhebung über die Getreidemühlen betr. S. 96.
Die Erhebung bezweckt, genaue Nachweise über den Stand des Getreidemühlen-
gewerbes zu erlangen, daher sind die an landwirtschaftliche Betriebe angegliederte
Mühlen, die den eigenen Bedarf verarbeiten, nicht miteinbegriffen. Die Aufnahme
wird vom statistischen Landesamt mit Hilfe der Stadträte, Bürgermeister und Ge-
meindevorstände durchgeführt.
Kirchensteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 223.
Die Kirchengemeinden dürfen Besitzwechselabgabe, Einkommensteuer, Grundsteuer
und bis Ende 1918 Kopfsteuer erheben, wenn dle Einnahmen aus Kirchenvermögen,
Gebühren usw. nicht reichen. Die kirchlichen Vorschriften über ihren Haushalt be-
dürfen der staatlichen Genehmigung. Die vor 1. April 1892 angestellten Geistlichen
und Lehrer sind von den Steuern befreit, wenn sie nicht in eine andere Stelle über-
gegangen sind oder keine Gehaltszulagen angenommen haben.
Schulsteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 250.
Es enthält dieselben einleitenden Bestimmungen wie das Kirchensteuergesetz.
Beitragspflichtig zur Schuleinkommensteuer sind alle natürlichen Personen, die im
Nationalökonomische Gesetzgebung. 327
Schulbezirke ihren Wohnsitz haben oder ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe be-
treiben; jerner die im $ 28, 8—5 des Gemeindesteuergesetzes genannten juristischen
Personen, Personenvereine und Vermögensmassen, sowie der sächsische Staatsfiskus aber
mit gewissen Einschränkungen. Befreit von der Schuleinkommensteuer sind die bürger-
lichen und Kirchengemeinden, die mit der Schulgemeinde ganz oder teilweise zusammen-
fallen, sowie Kirchen-, Geistlichen- und Schullehen. Befreit von der Schulgrundsteuer
sind Kirchen, Schulen sowie Gebäude milder Stiftungen und solche, in denen sich
Dienstwohnungen von Geistlichen und Lehrern befinden.
Die Steuerordnung bedarf der Genehmigung der Bezirksschulinspektion, für die
Schul-Besitzwechselabgabe ist die Einwilligung des Ministeriums des Kultus und öffent-
lichen Unterrichts erforderlich. Die Rittergutsbesitzer haben für die Hälfte des nach
der Kopfzahl umgelegten Steuerbedarfs nur für ihre unter 14 Jahre alten Familien-
angehörigen zu zahlen; die übrigen Gutskinder rechnen zur Kopfzahl des Gemeinde-
bezirks. Im übrigen gelten meist die Bestimmungen des Gemeindesteuergesetzes.
Gesetz vom 8. Dezember 1913, die vorläufige Erhebung der Steuern
und Abgaben im Jahre 1914 betr. S. 520.
Erhoben werden:
a) Die Einkommensteuer mit den vollen gesetzlichen Beträgen (Normalsteuer) ;
b) die Grundsteuer nach 4 Pfg. von jeder Steuereinheit;
c) die Ergänzungssteuer ;
d) die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umbherziehen ;
e) die Schlachtsteuer, sowie die Uebergangsabgabe von vereinsländischem, die
Verbrauchsabgabe von vereinsausländischem Fleischwerke ;
f) die landesrechtliche Erbschaftssteuer für Erwerb, der bereits am 1. Juli 1906
begründet war;
g) die landesrechtliche Stempelsteuer.
Verordnung vom 12. September 1913 zur weiteren Ausführung
des Gesetzes über die Anstaltsfürsorge an Geisteskranken (vom 12. No-
vember 1912). S. 383.
Die Verpjlegesätze betragen 2,50 M. und 4 M. (für Nichtsachsen 8,50 M. und 6 M.),
die sächsischen Ortsarmenverbände und Gemeinden zahlen 1,25 M. für den Tag.
Die Ansprüche der Anstalt gehen denen der Armenverbände und Gemeinden vor.
Ein Erbrecht der Anstalt besteht nur bei Kranken, die ununterbrochen 1!/, Jahr in
Behandlung waren und nicht den vollen Pflegesatz entrichteten.
Verordnung vom 23. Dezember 1913, die Krankenfürsorge für
staatliche Beamte betr. S. 567.
Wenn ihr Einkommen 2500 M. nicht übersteigt, erhalten sie ihre Dienstbezüge
26 Wochen fortgewährt. Die Dienstberüge müssen mindestens gleich dem I'/,-fachen
Betrage des Krankengeldes (RVO. $ 152) sein. Die Universitätsbeamten Leipzigs stehen
den staatlichen gleich. Zur Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung Verpjlichtete
gelten regelmäßig nicht als Beamte dieser Verordnung.
Verordnung vom 14. August 1913 über das Lohndienstalter der
Arbeiter im Staatsverwaltungsdienste. S. 369.
Die Verordnung von 1911 wird hierdurch aufgehoben.
Die Militärdienstzeit wird Arbeitern, auch wenn sie vorher nicht im Staats-
dienst standen, angerechnet, aber nur wenn sie sich während oder sogleich nach der
Militärzeit um Beschäftigung bewerben. Vor allem müssen sie erst nach dem 1. Sep-
tember 1913 in den Staatsdienst eingetreten sein.
Zwei Kirchengesetze vom 10. Juli 1913 über den Haushalt der
evangelisch-lutherischen Gemeinden und über Kirchengemeindeverbände.
S. 274 und 377.
Verordnung vom 15. Dezember 1913 zur weiteren Ausführung des
Handels- und Gewerbekammergesetzes (1900).
Die Handelskammern dürfen Gewerbetreibende der in $ 36 RGO. bezeichneten
Art, deren Tätigkeit in das Gebiet des Handels füllt, öffentlich anstellen und beeidigen.
328 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Versteigerer, Handelsmakler, Kursmakler, Dispacheure, Feldmesser und Grundstücks-
schätzer sind nicht miteinbegrifen. Die Vereidigung findet durch den Vorsitzenden
oder seinen Stellvertreter statt. Das Recht der Anstellung wird hiermit anderen Be-
hörden entzogen.
Die Mitgliederzahl der Handelskammer zu Chemnitz wird ab 1. Januar 1914 auf
80 erhöht.
Verordnung vom 21. November 1913 zur Vollziehung des Gesetzes
über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag. S. 437.
Veranlagungsbehörden sind die Bezirkssteuereinnahmen, Oberbehörden die Kreis-
steuerrüte. Der Bezirkssteuerinspektor ist Vorsitzender der Einschätzungskommission.
Für jeden Distrikt oder Ort werden zwei Wehrbeitragslisten ausgefertigt, in Liste A
kommen alle natürlichen Personen, die vermutlich Vermögen über 10000 M. oder Ein-
kommen über 4000 M. haben. Aktiengesellschaften sowie Kommanditgesellschaften
auf Aktien sind in die Liste B aufzunehmen.
Bei Berechnung des Ertragswertes landwirtschaftlich benutzter Grundstücke sind
die bei der Einschätzung zur Einkommensteuer ermittelten Reinerträge zugrunde zu
legen, der persönliche Arbeitsverdienst des Selbstwirtschafters (nebst Ehefrau) ist hierbei
auszuscheiden.
Der Grundsteuerreinertrag ist der Ermittelung des Ertragswertes vom Grund-
besitze nicht zugrunde zu legen. Zwei Hilfslisten zur Berechnung liegen der Ver-
ordnung bei.
3. Württemberg.
Regierungsblatt für das Königreich Württemberg vom
Jahr 1913 No. 1—34.
Gesetz vom 5. Februar, betr. die Verlängerung der Gültigkeits-
dauer des Gesetzes über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer.
H 23.
Die Gültigkeit des Gesetzes von 1908 (bzw. 1909) wird bis zum 31. März 1915
begrenzt.
Verfügung vom 15. März, betr. die Viehseuchenumlage für das
Jahr 1913. S. 78.
Sie beträgt für jedes Pferd (Esel, Maultier, Maulesel) 10 Pfg., für jedes Stück
Rindvieh 50 Pfg. Da die Umlage mit den Viehzählungen verbunden werden soll, wird
die nächste erst am 1. Dezember 1914 stattfinden.
Verfügung vom 29. April betr. die land- und forstwirtlichen Auf-
nahmen im Jahre 1913. S. 129.
Bekanntmachung vom 30. Juni, betr. die Verpflegungsgelder der
Staatsirrenanstalten. S. 144.
Das Verpflegungsgeld für württembergische Staatsangehörige beläuft sich auf
1600—8000 M. in der ersten Klasse
800—1200 „ » „ zweiten „
600 5 a »„ dritten „
Der Satz für die dritte Klasse kann auf 470, 800 und 150 M. ermäßigt werden.
Finanzgesetz vom 17. Juli für die Finanzperiode 1. April 1913
bis 31. März 1915. S. 181.
Der Staatsbedarf ist für 1918/14 auf 118669186 M., für 1914/15 auf 121907 154 M.
festgesetzt, zusammen rund 240,5 Mill. M. Zur Deckung sind bestimmt: Reinertrag des
Kammerguts rund 98,5 Mül., direkte Abgaben rund 72 Mill., indirekte rund 70,5 Mill.
Der hiernach sich ergebende Ueberschuß von 681000 M. bleibt zu weiterer Verfügung.
1. Die Einkommensteuer wird mit 105 Proz. der Einheitssätze (von 1903) erhoben.
2. Der Steuersatz wird für Grund-, Gebüude- und Gewerbesteuer auf 2,10 Proz.
Steuerkapitals, für die Kapitalsteuer auf 2,10 Proz. des steuerbaren Jahresertrags
stimmt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 329
3. Die Umsatzsteuer beträgt 1,50 M. von 100 M. des steuerpflichtigen Wertes.
4. Bei der Malzsteuer wird der Höchstbetrag auf 22 M. für den Doppelzentner
ungeschrotenen Malzes festgesetzt; nach diesem Satze wird die Ueberganyssteuer von
geschrotenem erhoben.
5. Die Biersteuer (Uebergangs-) ist bis 80. September 1918 mit einem Mindestsatz
von 4,84 M. für den Hektoliter, dann mit 4,78 M. zu erheben.
6. Die Landeserbschafts- und Schenkungssteuer ist mit 2 Proz. (Mindestsatz) in
den betreffenden Fällen noch fortzuerheben.
7. Dsr Zuschlag zur Reichserbschaftssteuer beträgt 20 Proz.
Das Vorratskapital der Staatshauptkasse wird auf 8 Mill. festgesetzt; zu seiner
Verstärkung dürfen bis 20 Mill. Schatzanweisungen ausgegeben werden.
Gesetz vom 18. Juli, betr. Aenderung des Lehrerbesoldungsgesetzes.
S. 202.
Die Lehrer erhalten vor Bestehen der zweiten Dienstprüfung ein Tagegeld von
8,40 M., nach bestandener Prüfung 3,80 M. (Lehrerinnen 3,60 M.), nach weiteren
12 Dienstjahren 4,20 M. Nach 20-jähriger Dienstzeit beträgt der Satz 5 M.
Bei unständiger Verwendung wird ein Tagegeld von 2,80 M. gezahlt, das nach
21 Dienstjahren bis auf 4,20 steigt.
Bekanntmachung vom 15. Dezember, betr. den Prämientarif für
die Versicherungsgenossenschaft der Privatfahrzeug- und Reittierbesitzer.
H 354.
Der Tarif bringt 8 Gejahrklassen. Die vom Hundert des Entgelts zu entrichtende
Prämie beträgt 1,20, 1,80 und 2,40 M.
4. Baden.
Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogtum
Baden, Jahrgang 1912, No. 1—52.
Gesetz vom 8. April, die Abänderung des Wassergesetzes betr.
S. 233.
Das Gesetz vom 26. Juni 1899 wird in wesentlichen Punkten abgeändert. Das
Wassergesetz wird durch Bekanntmachung vom 12. Aprü 1918 in neuem Wortlaut
herausgegeben.
Gesetz vom 12. Dezember, die Steuererhebung in den Monaten
Januar bis mit April 1914 betr. S. 595.
Verordnung vom 13. Januar, die Abänderung der Landesbauord-
nung betr. S. 61.
Unter Kleinhäusern sind Wohngebäude mit höchstens 115 qm Bodenfläche und
höchstens 2 Hauptgeschossen und 2 Wohnungen zu verstehen.
Die Nebengebäude dürfen höchstens 25 qm bedecken.
Wohn- und Arbeitsräume müssen mindestens 10 qm Fläche und Si m Höhe haben.
Verordnung vom 28. Januar, die Wahlordnung für die Handwerks-
kammern und deren Gesellenausschüsse betr. S. 103.
Die Wahlen werden vom Landesgewerbeamt geleitet. .
Verordnung vom 13. Februar, die Beiträge für die Landwirt-
schaftskammer betr. S. 124.
Der Mindestbetrag, den ein Beitragspflichtiger mit einem umlagepflichtigen Steuer-
kapital von 2000 M. und mehr zu entrichten hat, beträgt 20 Pfg.
Bekanntmachung vom 4. März, die Landwirtschaftskammer betr.
S. 173.
Die neuen Satzungen werden bekanntgegeben. Die Kammer hat ihren Sitz in
Karlsruhe. Der Vorstand besteht aus 5 Mitgliedern und ebensoviel Stellvertretern.
330 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung vom 18. März, die Steuerbefreiung des als Haustrunk
bereiteten Weines betr. S. 206.
Verordnung vom 7. August, die Zuwachssteuerverwaltung betr.
S. 485.
Bei einem Veräußerungspreis von bis 2000 M. einschließlich ist von einer Steuer-
veranlagung abzusehen, es sei denn, daß das betreffende Grundstück von einem be-
bauten Gesamtgrundstück mit über 20000 M. Wert abgetrennt ist.
Verordnung vom 28. September, die Gemeindebiersteuer betr.
S. 505.
Die Gemeinden zahlen an die Zoll- und Steuerkasse für die Erhebung der Bier-
steuer eine Vergütung von 80 Proz. der Roheinnahme (ohne Abrechnung der nach-
gelassenen und erstatteten Beträge).
Bekanntmachung vom 27. November, die Aufhebung der Beamten-
witwenkasse betr. S. 573.
Vom 1. Januar 1914 an gehen die Geschäfte dieser Kasse sowie der Militär-
witwenkasse auf die Landeshauptkasse über, mit Ausnahme der auf die Vermögens-
verwaltung bezüglichen.
5. Hessen.
Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt für das
Jahr 1913. No. 1—29.
Gesetz vom 22. Februar, die Heranziehung der Grundstückseigen-
tümer im Gebiet der Süd- und Südostfront in Mainz zu den Kosten
des Straßengelände-Erwerbs betr. S. 73.
Bei der Heranziehung der Grundstückseigentümer zu den Straßenkosten kann die
Stadt Mainz in die Berechnung der Gelände-Erwerbskosten 4 M. für den Quadratmeter
erworbenen und zur Straßenanlegung erforderlich gewesenen Festungsgeländes anrechnen,
Gesetz vom 19. März, die Dienstbezüge der Staatsbeamten und
Volksschullehrer und ihrer Hinterbliebenen, sowie die Deckungsmittel
und die Vereinbarung über die Mittel zur Aufbesserung der Hof-
beamten usw. betr. H 91.
Das entsprechende Gesetz vom 17. Juli 1912 gilt auch für das Etatsjahr 1913.
Bekanntmachung vom 10. März, die Aufsicht über die staatliche
Betriebskrankenkasse betr. S. 93.
Bis zum Inkrafttreten der Bestimmungen der RVO. bleibt das Ministerium der
Finanzen, Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung, Aufsichtsbehörde. Doch werden
die Aufgaben, die dem Spruchausschusse des Versicherungsamtes obliegen, schon jetzt
von dem Vorsitzenden dieses Amtes wahrgenommen.
Finanzgesetz für das Etatsjahr 1913 vom 19. März. S. 95.
Von .den direkten Steuern werden die Einkommensteuer um 15 Proz. und die Ver-
mögensteuer um 227 Proz. erhöht.
Zur teilweisen Deckung der Ausgaben für das Vermögen soll eine Anleihe von
6560194 M. aufgenommen werden, deren Zinsfuß nach dem Stande des Geldmarkts
noch durch die Regierung zu bestimmen ist. Ein Kündigungsrecht steht nur dem Staate
zu. Zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals der Haupt-Staatskasse kann
die Regierung bis zu 10 Mill. Schatzanweisungen, aber nur innerhalb der bereits be-
willigten Anleihekredite, ausgeben.
Es wurden bewilligt nach den ständigen Beschlüssen für die Verwaltung insgesamt
rund 74 Mill. Davon entfallen auf:
Nationalökonomische Gesetzgebung. 331
Ministerium des Innern über 21 Mil. M.
Ausleihungen und Staatsschuld fast 17 GEN ER
(Verhältnis zum Reich) Matrikularbeiträge usw. nahezu 6 Mill. M.
Ministerium der Justiz über 5'/, Mill. M.
Domänen des Großherz. Hauses über Ai, n» »
Pensionem wer), n w
Ausgleichs- und Tilgungsfonds rund 4 gie Aa
Steuern und Regalien über SÉIL » m
Ministerium der Finanzen rund 2 Ke
Nachträge rund 2 Ina
Staatsministerium FE ER:
Indisponible und Reservefonds rund 150000 M.
Landstände rund 150000
LU
Für das Vermögen (besonders Staatsdomänen und Reservefonds) wurden 12'/, Mill.
bewilligt.
Gesetz vom 31. März über die Aenderung des Gesetzes die Handels-
kammern betr. (vom 6. August 1912). S. 105.
Art. 8 erhält eine andere Fassung. Art. 18, wird abgeändert: für die Verteilung
der Handelskammermitglieder auf diese Abteilungen sind die (Gewerbe-)Steuerwerte des
gewerblichen Anlage- und Betriebskapitals der Wahlberechtigten maßgebend. Jede Er-
werbsgruppe muß mindestens 1 Vertreter in der Kammer haben.
Art. 28 wird ersetzt durch die Bestimmung: die Handelskammern haben einen
jährlichen Voranschlag dem Ministerium des Innern zur Genehmigung vorzulegen.
Die erforderlichen Summen werden durch Staatszuschuß und Beiträge der Wahl-
berechtigten aufgebracht und entweder durch die kammer selbst oder Staats- und Ge-
meindekassen eingezogen. Rückständige Beiträge werden wie Steuern beigetrieben. Die
Finanzämter erhalten für Aufstellung der Umlageverzeichnisse usw. Vergütungen.
Bekanntmachung vom 7. Mai, Unfallversicherung der Provinz Ober-
hessen betr. S. 129.
Ausführumgsbehörde der Unfallversicherung für Tätigkeiten der Provinz bei nicht
gewerbsmäßigem Halten von Fahrzeugen (RVO. $ 628) ist die Großherzogl. Provinzial-
direktion Oberhessen. -
Bekanntmachung vom 30. Mai, die Ausführung der landwirtschaft-
lichen Unfallversicherung betr. S. 131.
Das Umlagekataster aller Grundsteuerpflichtigen bildet die Grundlage für die Bei-
träge zur land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, des Trägers der Ver-
sicherung.
Gesetz vom 5. Juli, die Aufhebung des kurhessischen Gesetzes
(vom 28. Juni 1865) über die Verwertung der Forstnutzungen aus den
Staatswaldungen betr. S. 169,
Gemeindeangehörige, die bisher Holz aus dem Staatswalde bezogen haben, werden
mit Geld aus der Staatskasse entschädigt.
Verordnung vom 20. August, die Enteignung von Gelände aus
Anlaß der Erbauung einer zweiten Schiffahrtsschleuse bei Kostheim betr.
S. 173.
Der Kal. Preuß. Staat erhält das Recht, das in Frage stehende Gelände bei Gins-
heim im Enteignungswege zu erwerben.
Bekanntmachung vom 22. September, die Ausführung der Reichs-
versicherungsordnung betr. S. 177.
Zu $ 58. Die staatlichen (gemeindlichen) Versicherungsämter können die staat-
lichen (gemeindlichen) Gesundheits-, Bau- und Gewerbeaufsichtsbeamten sowie technische
Beamte als Beiräte mit beratender Stimme zum Beschlußverfahren zuziehen. Außerdem
332 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Ausführungsbestimmungen zu Zë 122, 128, 249, 817—5819, 363, 876, 404, 454 — 456, 459 ff,
616, 955, 1629.
Bekanntmachung vom 26. September, die Anweisung für die Auf-
stellung des Gemeindevoranschlages betr. S. 197.
Bringt ein Muster für den Zahlenvoranschlag.
Verordnung vom 26. November, die Beförderung von Personen
mit Motorbooten auf dem Rhein betr. S. 293.
Die Untersuchung der Motorboote erfolgt durch das zuständige Wasserbauamt.
Wer Personen mit seinem Boot befördern will, bedarf eines Erlaubnisscheins, wer das
Boot nur führen will, muß einen Fahrschein bei dem Wasserbauamt erwirken.
6. Mecklenburg-Schwerin.
Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg-
Schwerin. Jahrgang 1913. No. 1—62.
Kontributions-Edikt für das Jahr Johannis 1913/14 vom 15. Januar.
8. 19.
Die Domanial-Iufensteuer beträgt 77 M., die ritterschaftliche 86 M. Außerdem
wird die erbvergleichsmäßige landstädtische Steuer von Häusern und Ländereien er-
hoben. Die ediktmäßige Kontribution (vom 12. Mai 1903) ist mit la des vollen Be-
trages zu entrichten.
Verordnung vom 6. Mai, betr. den Erlaß eines Einkommensteuer-
gesetzes und eines Ergänzungssteuergesetzes nebst Anweisung zur Aus-
führung dieser Gesetze. S. 121.
Die beiden Gesetze nebst der Ausführungsanweisung treten mit 1. Juli 1914 in
Kraft. Die Vorschriften betr. die Veranlagung der Steuerpflichtigen aber schon am
1. Januar 1914. Die Steuern des Kontributionsedikts sind nur für Si Monate (bis
1. Juli) noch zu erheben. Es wird eine allgemeine Einkommensteuer erhoben von dem
gesamten jährlichen Einkommen des Pflichtigen. Steuerfrei bleibt das Einkommen bis
500 M. bei Personen mit eignem Herd, bis 400 M. bei Personen ohne diesen, bis 200 M.
bei juristischen Personen und Vereinen, bis 1050 M. bei Kriegsteilnehmern, ferner die
auf Grund der Reichsversicherungsgesetze errichteten Kassen usw., sowie die kirchlichen,
gemeinnützigen, wohltätigen und wissenschaftlichen Anstalten, Stiftungen und Vereine.
Der Steuertarif beginnt mit der Stufe 200—500 M. Einkommen und 2 M. Steuer
Für je folgende 200 M. steigt die Einkommensteuer um 1 M., bis sie bei 900 M. den Satz
von 4 M. erreicht. Die nächsten Stufen sind dann um 150 M. voneinander entfernt,
bis bei 2100 M. die Steuer 31 M. beträgt, dann folgen Stufen mit 300 M. Unterschied,
bis bei 4500 M. 104 M. Steuer zu bezahlen sind, bis zum Einkommen von 10000 M.
betragen die Stufen immer 500 M. Die Steuer der 80. Stufe (bis 10000 M.) beträgt
800 M. S
Für je weitere 100 M. kommen dann Z M. Steuer hinzu bis 11000 M., dann für
je 100 M. 8,05 M., 8,10 M., 3,15 M. usw., bis bei Einkommen über 200000 für je 100 M.
5 M. Steuer zu entrichten sind. Der Tarif bringt 71 Stufen.
Die Steuer wird in halbjährlichen Beträgen entrichtet.
Die Ergänzungssteuer beginnt bei 6000—8000 M. Vermögen mit 3 M., steigt dann
immer um 1 M., wenn das Kapital um 2000 M. steigt, bei 28 000 M. beträgt sie 12 M.
Dann steigt sie immer um 2 M., während das Kapital um 4000 M. steigt, bei 60000 M.
beträgt sie 28 M. jährlich. Bis zu 200000 M. Vermögen werden für jede angefangenen
10000 M. 5 M. Steuer entrichtet. Bei Vermögen von 200000—220000 M beträgt die
Steuer 100 M. und steigt bei höherem Vermögen für jede begonnenen 20000 M. um je
10 M.
Verordnung vom 16. Juli, betr. Bauvorschriften für die Städte des
Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. S. 169.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 333
Umfassungswände müssen mindestens 25 cm stark sein, IHohlmauern mit mindestens
12 cm dicken Wandungen sind gestattet. In mehrstöckigen Gebäuden muß mindestens
eine belastete Innenwand massiv sein in einer Stärke von 1 Stein durch alle Geschosse,
mit Ausnahme des Dachgeschosses.
Besondere Vorschriften sind erlassen für Bäckereien, Seifensiedereien, Branntwein-
brennereien, Brauereien, Laboratorien, Töpferöfen, Rüucheranlagen, Werkstätten der
Holzarbeiter, Kornmieten, Schwefelkammern. Alljührlich zu Ostern ist eine Feuerschau,
von 10 zu 10 Jahren eine Revisitation der baulichen Einrichtungen der Stadt vorzu-
nehmen. Diese Bestimmungen finden auj die Seestädte Rostock und Wismar keine An-
wendung.
Ausführungsverordnung vom 17. Januar zum Versicherungsgesetze
für Angestellte (vom 20. Dezember 1911). S. 27.
Verordnung vom 7. Februar, betr. Ergänzung des § 22 der Or-
ganisation der Großherzoglichen Eisenbahnverwaltung. S. 35.
Auf die Disziplinargewalt der Kapitäne der Füährschiffe findet die Seemanns-
ordnung ($ 84—92) entsprechende Anwendung.
Verordnung vom 14. März, betr. den Schutz von Strandgewächsen.
S. 76.
Verordnung vom 28. März, betr. Vogelschutz. S. 86.
Verordnung vom 10. Mai, betr. die land- und forstwirtschaftlichen
statistischen Erhebungen und die Obstbaumzählung im Jahre 1913.
S. 117.
Bekanntmachung vom 12. November, betr. Ergänzung der Satzungen
der Mecklenburgischen Handwerkskammer. S. 281.
Bekanntmachung vom 9. Dezember, betr. die Besteuerung des
Wertzuwachses. S. 333.
7. Mecklenburg-Strelitz.
Großberzoglich Mecklenburg-Strelitzscher Offizieller
Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung 1913.
No. 1—66.
Bekanntmachung vom 1. Juli, betr. die Normalpreise des Korns
im Steuerjahr 1913/14. S. 190.
Sie beziehen sich auf 1 Scheffel; der Preis für Weizen (84 Pfund) beträgt 7,48 M.,
für Roggen (80 Pfund) 6,40 M., für Gerste (70 Pfund) 5,77 M., für Hafer (48 Pfund)
8,89 M., für Erbsen (88 Pfund) 7,79 M.
Verordnung vom 6. Mai, betr. den Erlaß eines Einkommensteuer-
gesetzes und eines Ergänzungssteuergesetzes nebst Anweisung zur Aus-
führung dieser Gesetze. S. 229.
Verordnung vom 10. Dezember, betr. die Besteuerung des Wert-
zuwachses. S. 385.
Verordnung vom 16. Juli, betr. Bauvorschriften für die Städte im
Herzogtum Strelitz. S. 243.
Bekanntmachung vom 13. August, betr. die Ausfuhr von Kartoffeln
nach Südafrika. S. 267.
Sie gibt Vorschriften für die Verpackung usw.
Bekanntmachung vom 9. Dezember, betr. Erteilung von Wander-
gewerbescheinen. S. 388.
334 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung vom 13. Juli, betr. Erhebung der Schiffahrtsab-
gaben für den Schiffahrtsverkehr auf dem Kammerkanal und den zuge-
hörigen Seen. S. 209.
8. Oldenburg.
Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg. 38. Band
(Stück 35—69).
Finanz-Gesetz für das Jahr 1913 vom 4. Januar 1913. S. 337.
Der Voranschlag für das Großherzogtum ergibt 980500 M. Einnahmen und Aus-
gaben, der des Herzogtums 12311000 M. Einnahmen und 12743315 M. Ausgaben, der
des Fürstentums Lübeck 1147000 M. Einnahmen und 1288760 M. Ausgaben und end-
lich der des Fürstentums Birkenfeld 1070125 M. Einnahmen und 1141945 M. Aus-
gaben. .
Als Betriebsfonds der Zentralkassen gehen 300000 M., 600000 M., 150000 M. und
250000 M., insgesamt 1800000 M. aus 1912 in das Jahr 1918 über.
Die Gesamtsumme der Einnahmen beträgt 15508625 M., die der Ausgaben
16154520 M.
Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten
Besoldungsordnung für den Zivildienst des Großherzogtums. S. 381.
Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten
Eisenbahngehaltsordnung. S. 431.
Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten
Bestands- und Aufwandsordnung für die Gendarmerie im Herzogtum
Oldenburg und im Fürstentum Lübeck. S. 441.
` Gesetz vom 15. März 1913, betr. Aenderung des Gesetzes über
die Besoldung der Lehrer und Lehrerinnen an den Volksschulen.
S. 478.
$ 28 erhält einen dritten Absatz. Danach kann sich ein Lehrer nachträglich den
Bestimmungen des Besoldungsgesetzes unterwerfen.
Gesetz vom 15. März, betr. die Besteuerung kinematographischer
Vorstellungen. S. 479.
Die Gemeindeabgabe darf 15 Proz. des Eintrittspreises nicht übersteigen. Befreit
sind Vorstellungen, bei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft ob-
waltet oder die ausschließlich Belehrungs- oder Unterrichtszwecken dienen, ferner solche,
die der Genehmigung nach $ 60a RGO. bedürfen.
Gesetz vom 25. März, betr. die Einrichtung eines Schuldbuches der
Staatlichen Kreditanstalt des Herzogtums Oldenburg. S. 483.
Für die 8-proz. und 4-proz. Anleihen werden getrennte Abteilungen des Schuld-
buches angelegt.
9. Sachsen-Weimar-Eisenach.
Regierungsblattfürdas Großherzogtum Sachsen-Weimar-
Eisenach auf das Jahr 1913. 97. Jahrgang. No. 1—43.
Steuergesetz für 1914, 1915, 1916 vom 12. Juni 1913. S. 109—112.
A. An indirekten Steuern, Aufwands- und Verkehrssteuern werden außer und
neben den Reichssteuern erhoben:
1) Die Kontrollabgabe von Vieh- und Gewerbesalz. 2) Die Steuer für die Haltung
von Hunden. 8) Die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen. 4) In einem Amts-
gerichtsbezirk (Ostheim) der Malzaufschlag, die Uebergangsabgaben von Bier und ge-
schrotenem Malze.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 335
B. An Steuern vom Einkommen (nach Gesetz vom 11. März 1908 mit Nachtrag
vom 80. März 1909):
1) Die Einkommensteuer. 2) Die Abgabe vom Reinertrage der Eisenbahn. 8) Die
Ergänzungssteuer.
1) Die Steuer beginnt bei einem Einkommen von 500 M. mit 3,60 M., bei 900 M.
erreicht sie 1 Proz.
Bei 900— 8000 M. steigt sie in Stufen von 100 M. um je 8 M.
Ui 3 000— 15 000 A8 Di » Li ”„ An 300 Hi n n 12 3
a 15000—18 000 ,„ Hi a 0 HI H 500 n nnl,
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DI 80 000—40 000 Hi HI »» Hi HI LI 1000 LA Hi Di 40 n
Die höheren Einkommen werden immer auf eine durch 10 teilbare Zahl ab-
gerundet.
Die Einkommen über 40 000—50 000 M. zahlen 4,25 Proz. Steuer
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D „ » 70000—90 000 ,„ nm 5 y Pr}
LO Di n 90 000 UI HI 5,00 ” UI
Die niederen Einkommen unter 500 M. zahlen 0,60—8,60 M. Steuer, wenn sie
aus Grund- und Gebäudebesitz, Gewerbe- und Handelsanlagen oder sonstigen Betriebs-
stätten fließen.
Ortsgesetz für die Residenzstadt Eisenach den Schlachthofzwang
betr. vom 12. April 1913. S. 79—81.
Nachtrag vom 19. Mai 1913 zum Gesetz vom 6. März 1878, die
von den Armenverbänden im Großherzogtum zu erstattenden Armen-
pflegekosten betr. S. 101—103.
Nur für die Verpflegung eines erkrankten oder arbeitsunfähigen Hilfsbedürftigen
haben die Armenverbünde einander zu erstatten für den Tag 60 Pfg. (unter 14 Jahren)
und 90 Pfg. Beerdigungskosten dürfen höchstens 15 (unter 14 Jahren) und 25 M. be-
tragen. Die Sätze sind dieselben wie in Preußen.
10. Sachsen-Meiningen.
Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im
Herzogtum Sachsen-Meiningen. 29. Band. No. 75—81.
Gesetz vom 11. Juli 1913 betr. die Vermögenssteuer. H 391.
Möbel, Hausrat und undere bewegliche körperliche Sachen bis zum Gesamtwerte
von 10000 M. sind frei, aber nur dann, wenn sie nicht Zubehör eines Grundstücke
sind oder als Bestandteil des Anlage- und Betriebskapitals zu besteuern sind.
Gesetz vom 12. Dezember 1913 betr. die Zuwachssteuer nach den
Reichsgesetzen vom 14. Februar 1911 und 3. Juli 1913. S. 397—401.
Die Zuwachssteuer wird mit dem vollen Betrage erhoben; davon fließen 75 Proz.
den Gemeinden und Gemarkungen zu, 25 Proz. der Staatskasse. Dem Erwerbspreis
werden bei unbebauten Grundstücken 2\/, Proz., bei bebauten 1'|, Proz. des Erwerbs-
vreises für jedes volle Kalenderjahr des Zeitraums, der für die Steuerberechnung maß-
gebend ist. Wenn dieser Zeitraum nicht mehr als 5 Jahre beträgt, ermäßigt sich der
Zuschlag bei unbebaut gebliebenen Grundstücken auf die Hälfte.
LL. Sachsen-Altenburg.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Sachsen-Altenburg
auf das Jahr 1913. Stück 1—11.
Steuerausschreiben auf die Jahre 1914, 1915, 1916 vom 23. Dezember
1913. S. 149.
336 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Erhoben werden 1) Grundsteuer. 2'/, Pro, von der Reinertragseinheit, Grund-
besitzer, die nicht Einkommensteuer zahlen, 5 Pfg.
2) Die Einkommensteuer. 8) Ergünzungssteuer. 4) Steuer vom Gewerbebetrieb im
Umbherziehen. 5) Eisenbahnsteuer. 6) Landeserbschaftssteuer. 7) Stempelsteuer. 8) Jagd-
scheinabgabe. 9) Kohlenbergbauabgabe. 10) Reichs- und Landeszuwachssteuer. 11) Fleisch-
steuer.
Gesetz vom 18. Dezember 1913, betr. die Gewährung von Beihilfen
aus der allgemeinen Schulkasse. S. 145.
Die städtischen Schulgemeinden erhalten 12 M. jährlich für jedes der ersten
500 Schulkinder, 10 M. für jedes weitere Kind, für jede Hilfsschulklasse 600 M. Zuschuß
vom Staate.
Die ländlichen Schulgemeinden erhalten laufende Beihilfen auch zur Erneuerung
von Schulhäusern.
Gesetz vom 21. Dezember 1913, die Erhebung einer Abgabe vom
Kohlenbergbau betr. S. 146.
Auker den allgemeinen Steuern ist eine Förderabgabe von 2'|, Pfg. für jede Tonne
Kohlen oder Torf zu entrichten. Die Zahlung beginnt nach Ablauf eines Freijahres.
Im Betriebe gebrauchte Kohle oder Torf bleiben frei.
12. Sachsen-Coburg-Gotha.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Coburg.
No. 1—32. Jahrgang 1913.
Gesetz vom 21. Januar 1913, betr. Abänderung des Einkommen-
steuergesetzes (vom 20. März 1900). S. 41.
Außerhalb des Herzogtums Wohnende zahlen bei Einkommen von 60—1800 M.
2 Proz. jährlich, von mehr als 1800—8200 M. 8 Proz.
Abgabengesetz vom 30. März 1913 auf die Finanzperiode 1913
—1915. S. 161.
Erhoben werden 1) Grundstener mit 1'/, Steuereinheiten. 2) Einkommensteuer.
3) Eisenbahnabgabe. 4) Malzaufschlag. 5) Anteil an der Hundesteuer. 6) Jagdschein-
abgabe. 7) Abgabe vom Gewerbebetrieb und Umsatzsteuer vom Güterhandel. 8) Bergbau-
abgabe. 9) Gebühren in Verwaltungssachen. 10) Anteilige Erbschafts- und Schenkungs-
abgabe. 11) Anteil an der Reichs- Wertzuwachssteuer.
Gesetz vom 30. März 1913 den Voranschlag für den Staatshaus-
halt betr. S. 157.
Einnahmen: Vom Staatsvermögen 53000 M., aus Domänen 258200 M., aus Steuern
und Abgaben 954925 M. zusammen nebst vermischten Einkünften 1445800 M.
Ausgaben: Innere Verwaltung und Finanzwesen 245690 M., allgemeine Ver-
waltung 106850 M., Kirchen-, Schul- und Unterrichtswesen 382700 M., Passivkapitalien
1183250 M., Zuschuß zur gemeinschaftlichen Rechnung 235110 M., Verkehrsanstalten
99150 M., zusammen nebst vermischten Ausgaben 14465800 M.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Gotha.
Jahrgang 1913. No. 1—43.
Gesetz vom 7. März 1913, die Aufnahme einer Schuld der Staats-
kasse von 1250000 M. betr. S. 115.
Aufgenommen bei der Landeskreditanstalt in Gotha, zu verzinsen mit 4 Proz. und
zu tilgen mit 1 Proz. Kündigung des vollen Betrages jederzeit.
Gesetz vom 26. April 1913 die Aufnahme einer Schuld von
340000 M. betr. S. 155.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 337
Gesetz vom 7. März 1913, zur Abänderung des Gesetzes, betr. das
Staatsschuldbuch (30. September 1903). S. 109.
13. Braunschweig.
Gesetz- und Verordnungssammlung für die Herzoglich
Braunschweigischen Lande. 100. Jahrgang. 1913.
No. 1—81.
Verordnung vom 10. Februar wegen des Inkrafttretens des Ge-
setzes, betr. die Rittergüter des Herzogtums. S. 37.
Gesetz vom 5. April über die Gemeindeschulen. S. 91.
Gesetz vom 28. März über die Ergänzung der Gehaltsordnung für
die Staatsbeamten (17. Juni 1910) und des Gesetzes über die Gewährung
von Wohnungsgeldzuschüssen (9. März 1911). S. 49.
Gesetz vom 9. Mai über die Braunschweigische Landesbrandver-
sicherungsanstalt. S. 171.
Verordnung vom 24. September betr. Abänderung des Stempel-
gesetzes. S. 287.
Für die vom 1. Oktober ab ausgestellten Versicherungsverträge und -scheine und
deren Verlängerungen kommt ein Landesstempel nicht zur Erhebung.
Gesetz vom 9. Oktober über die Besteuerung des Wertzuwaclses.
S. 303.
Die laut Gesetzes von 1911 zu erhebende Zuwachssteuer fällt mit dem 1. Juli 1918
Zort, doch können die Gemeinden durch Statut eine Abgabe einführen. Das Zuwachs-
steueramt bleibt noch bis zum Erlaß einer entsprechenden Verordnung bestehen.
14. Anhalt.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Anhalt.
Jahrgang 1913. No. 1863—1388.
Gesetz vom 16. März, betr. die Abänderung des Staatsschulden-
verwaltungsgesetzes. S. 175.
Gesetz vom 29. März, betr. die Abänderung des Witwenkassen-
gesetzes. S. 181.
Die Witwenpension beträgt mindestens 450 M. und höchstens 4000 M. Im den
meisten Fällen A1, des letzten pensionsfähigen Diensteinkommens. Bei Einkommen unter
3000 M. erhöht sich die Pension auf Ha, alle Gehälter zwischen 8000 M. und 4000 M.
bedingen 1000 M. Witwenpension.
Gesetz vom 16. Mai, betr. die anderweitige Regelung der Beamten-
besoldung. S. 207.
Es hebt das Gesetz von 1909 (bezw. 1911) auf. Die Aenderungen dieses neuen
Gesetzes treffen vor allem die Anlagen B und E der Normalbesoldungstarife, d. h. die
Gehälter der Verwaltungs- und nicht-richterlichen Beamten sowie der technischen Beamten
der Salzwerksverwaltung.
Zur Durchführung der Besoldungsvorlagen sind 700000 M. im Etat vorgesehen.
Gesetz vom 23. Mai, den Hauptfinanzetat des Herzogtums Anhalt
für das Jahr vom 1. Juli 1913/14 betr. S. 227.
Der Etat schließt in Einnahme und Ausgabe mit 17,6 Mill. ab.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 22
338 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die ordentlichen Ausgaben belaufen sich auf 15,5 Mill., wovon entfallen auf:
I. Regierung rd. 5,7 Mill. VI. Pensionen rd. 0,9 Mill.
II. Bergwerk E VII. Kultus ag, D ` om
III. Allg. Staatsverwaltung „ 16 „ VIII. Bauwesen er DË. ep
IV. Finanzverwaltung eur ACEL D IX. Hauptsteueramt TO Ze?
V. Justizverwaltung an JN nm X. Staatsschuldenverwaltung „ 04 »
Die eigenen Einnahmen setzen sich zusammen aus:
I. Bergwerke 4,9 Mil. IV. Steuerverwaltung 2,9 Mill.
II. Domanialverwaltung 39 a V. Sporteln u. ä. BEN
III. Außerordentl. Einnahme 8,6 , VI. Staatsschuldenverwaltung 52000 M.
Für das Reich wurden 16 Mill. vereinnahmt, davon entfielen über 10,1 Mill. auf
die Rübenzuckersteuer.
15. Schwarzburg-Sondershausen.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg-
Sondershausen vom Jahre 1913. Stück 1—36.
Gesetz vom 15. November 1913, betr. die Aufbesserung der Bezüge
der Altpensionäre. S. 167.
Das Wartegeld sowie das Ruhegehalt, das Witwen- und Waisengeld werden den
Staatsbeamten, Geistlichen und Volksschullehrern um 10 Proz., 15 Proz. und 20 Proz.
erhöht. Das Wartegeld auf ein Nebenamt bleibt dasselbe. Das Witwengeld und die
Hinterbliebenenpensionen sind auf mindestens 300 M. festgesetzt.
Gesetz vom 3. Dezember 1913, betr. die Unterbringung Heil- und
Pflegebedürftiger. S. 183.
Vom 1. April 1916 ab trägt die Kosten der Verpflegung, Erziehung und Aus-
bildung zunächst die vorläufig unterstützungspflichtige Gemeinde, unbeschadet der Er-
stattungspflicht des endgültig verpflichteten Armenverbandes.
Gesetz vom 27. Dezember 1913 betr. die Aufnahme usw. von
Staatsanleihen. S. 217.
Zum Neubau eines Staatsschulgebäudes Anleihe von 300000 M. (Tilgung mit 1 Proz.)
zur Straßeninstandsetzung 1 Mill. Anleihe und noch einmal 350000 M.
16. Schwarzburg-Rudolstadt.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg-
Rudolstadt 1913. Stück 1—30.
Bauordnung vom 4. März 1913. S. 81—133.
1. Abschnitt. Bauberechtigung und Bauvorschriften im allgemeinen.
2. Abschnitt. A. Bebauungspläne, Straßen und Plätze. B. Umlegung von Bau-
grundstücken.
8. Abschnitt, Polizeiliche Bestimmungen für die einzelnen Bauwerke.
A. Allgemeine Bestimmungen. B. Art, Lage und Umfang der Bauwerke, An-
forderungen im Interesse der Umgebung und des öffentlichen Verkehrs. C. Anforde-
rungen an die Bauwerke in bezug auf Sicherheit und Gesundheit.
4. Abschnitt. Nachbarrechtliche Bestimmungen.
5. Abschnitt. Verfahren in Bausachen.
6. Abschnitt. Schluß- und Uebergangsbestimmungen.
Gesetz vom 22. März 1913 betr. die Besoldung der Staatsbeamten.
S. 135—144.
Aufbesserung jedes Beamten um mindestens 8 Proz. Neue Besoldungsordnung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 339
Gesetz vom 25. März 1913 betr. die Besoldung der Volksschul-
lehrer. S. 145.
Grundgehalt 1800 M., steigt in 9 Alterszulagen um 1700 M. bis zum Höchstgehalt
von 8000 M.
Gesetz vom 3. März 1913 betr. die Zerschlagung von Grundbesitz.
S. 151. å
Die Besitzwechselabgabe besteht aus einer Grundabgabe von 8 Proz. des Wertes
und einem Zuschlag, der nach dem Gewinn aus der Zerschlagung bemessen wird.
Gesetz vom 23. März 1913 betr. den Staatshaushaltsetat für die
Finanzperiode 1912 bis 1914. S. 159.
Der Etat balanziert in Einnahme und Ausgabe mit 8377718 M.
Einnahme: Forsterträge D, Mill., Einkommensteuer 675000 M., Gerichtssporteln
230000 M., Gewerbe- und Betriebssteuer 100000 M., Bergregal 112700 M.
Ausgaben: Finanzen 985666 M., Allgemeine Staatsverwaltung 781889 M., Kirche
und Schule 591664 M., Innere Verwaltung 496763 M., Justiz 841086 M., zur Erhöhung
der Besoldungen 180650 M.
Einkommensteuergesetz vom 28. Juni 1913. S. 243.
558 Steuerstufen beginnend bei einem Gehalt von über 200 M. mit 60 Pfg., bei
1000 M. Einkommen mit 15 M., bei 3000 M. mit 72 M., bei 5000 M. mit 132 M., bei
10000 M. mit 860 M., bei 20000 M. mit 768 M., bei 80000 M. mit 1200 M. Die höchste
Stufe wird mit 998000 M. bis 1 Mill. Einkommen erreicht, hier beträgt die Steuer
53460 M.
Für jedes Kind, das nicht über 15 Jahre alt ist, soll von den Einkommen bis
8000 M. einschließlich der Betrag von 60 M. abgezogen werden. Bei drei oder mehr
Kindern dieses Alters findet eine Ermäßigung um mindestens eine Stufe statt.
17. Waldeck.
Fürstlich-Waldeckische Regierungsblätter vom Jahre
1913. No. 1—37.
Gesetz vom 6. Januar, betr. die Gebühren der Hebammen. S. 53.
Ordnung der Prüfung für die endgültige Anstellung der Volks-
schullehrer vom 28. Januar. 8. 14.
Gesetz vom 9. Januar, betr. den Anschluß der in Waldeck-Pyrmont
wohnhaften Aerzte an die Aerztekammer der preußischen Provinz
Hessen-Nassau. S. 63.
Drei Bekanntmachungen vom 19. Juni, 6. August und 3. November,
betr. die Erhebung der Landeskirchensteuer. S. 131, 150 u. 187.
17 Proz. der gesamten direkten Staatssteuern sind als Kirchensteuer erforderlich.
Die Umlagerollen betragen in den 4 Kreisen zusammen 67 661 M.
18. Reuß 3. L.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Reuß älterer Linie,
1913. Nr. 1—10.
Gesetz vom 19. April 1913, betreffend Gewährung von Staats-
zuschüssen zur Besoldung der Volksschullehrer und -Lehrerinnen. S. 23.
Gesetz vom 19. April 1913, die Unfallversicherung für Land- und
Forstwirtschaft betr. S. 24.
22+
340 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Sitz der Berufsgenossenschaft ist Greiz. Gefahrklassen werden nicht gebildet.
Alle Unternehmer mit nicht mehr als 3000 M. Einkommen sind samt ihren Ehegatten
versichert. Familienangehörige unter 10 Jahren sind frei.
Gesetz vom 19. Mai, betreffend die Kosten des Berufungsverfahrens
in Staatssteuersachen. S. 46.
Für die Entscheidung der Berufungskommission eine Gebühr von 1—50 M.
Gesetz vom 5. Mai zur Abänderung einiger gesetzlichen Bestim-
mungen über die Pensionsverhältnisse der Hinterbliebenen von Staats-
dienern, Geistlichen, Lehrern und Kirchendienern. 8 29.
Die gesetzliche Witwenpension wird auf 1. des letzten Diensteinkommens erhöht.
Bei mehr als 5 Dienstjahren beträgt die Pension mindestens 860 M., höchstens aber
-80 Proz. des letzten Diensteinkommens. Die Waisenversorgung wird bis zum vollendeten
21. Lebensjahre ausgedehnt.
19. Reußj. L.
Gesetzsammlungfür das Fürstentum Reuß jüngerer Linie.
1913. No. 816—830.
Verordnung vom 11. Januar 1913, betr. die Anlegung und Führung
der Flurbücher, Flurkarten und Kataster, sowie ihre Verbindung mit
dem Grundbuche. S. 27—66.
1. Abschnitt. Kataster, Flurbücher, Flurkarten und ihre Führung. $$ 1—40.
2. n Berechnung und Verteilung der Grundsteuer. Zë 41—52.
8. F Die Aufstellung neuer Kataster. Zë 58—75.
4. E Kosten. $$ 76—80.
5. e Allgemeine und Schlußbestimmungen. Eë 81—84.
Gesetz vom 24. Juni 1913, die Abänderung des Besoldungsgesetzes
(1. Juni 1911) betr. S. 71.
Gesetz vom 25. Juni 1913, eine Abänderung des Gesetzes (2. Juni
1911) über die Besoldungen der Geistlichen und die Versetzung von
Geistlichen in den Ruhestand betr. S. 73—74.
An Alterszulagen werden gewährt:
nach 3-jähriger Dienstzeit 400 M.
Hi 6- A9 Hi 800 DI
Hi 9- Hi H 1800 ”
Hi 12- DI Hi 1800 Hi
n»n 15- » HI 2200 ,„
H 18- Vi H 2600 Hi
p fl- p» H 8100
Gesetz vom 25. Juni 1913, eine weitere Abänderung des Gesetzes
(30. März 1905) über die Besoldungen der Volksschullehrer. S. 75—76.
Die Alterszulagen betragen:
nach Sjähriger Dienstzeit 250 M. nach 15-jähriger Dienstzeit 1150 M.
» 6- A DI 450 DI H 18- D DI 1850 Di
HI 9- DI DI 700 DI DH 21- DI DI 1600 HI
” 12- ” HI 900 DI DI 24- DI ” 1800 H
20. Lippe.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Lippe 1913.
No. 1—27.
Gesetz vom 26. März zur Abänderung des Baufluchtliniengesetzes
(von 1899). S. 19.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 341
Gesetz vom 26. März wegen Aenderung des $ 42 des Ergänzungs-
steuergesetzes (von 1912). S. 20.
Gesetz vom 19. April, betr. die Genossenschaftsversammlung der
landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für das Fürstentum Lippe.
S. 30.
Nahrungsmittelverordnung vom 6. Oktober. S. 75.
$2. Auf je 1000 Einwohner müssen jährlich mindestens 80 Kontrolluntersuchungen
ausgeführt werden.
Gesetz vom 6. Dezember, betr. die Wirkung des Steuererlasses
auf das Gemeindebürgerrecht. S. 99.
Durch die Steuerbefreiung wird das Bürgerrecht weder verloren, noch sein Erwerb
gehindert.
Gesetz vom 22. Dezember, die Besoldung der staatlichen Beamten,
der Volksschullehrer und -Lehrerinnen betr. S. 103.
Gesetz vom 22. Dezember, betr. Erhöhung der Ruhegehälter der
Staatsbeamten und Volksschullehrer, der Witwen- und Waisenpensionen,
sowie der Unterstützungen. S. 116.
21. Lübeck.
Sammlung der Lübeckischen Gesetze und Verordnungen.
Jahr 1913. 80. Band.
Zweiter Nachtrag vom 15. Februar zur Verordnung vom 16. Januar
1895, die Gesindekrankenkasse betr. S. 33.
Der Beitrag für jeden Dienstboten beträgt 12,80 M. jährlich, wovon die Herr-
schaften 8,80 M. aus eigenen Mitteln zu zahlen haben; die übrigen 4 M. können sie
ratenweise vom Lohn abziehen.
Verordnung vom 5. April, betr. die Erhebung eines außerordent-
lichen Zuschlages zur Einkommensteuer für das Rechnungsjahr 1913.
8. 57.
Der Zuschlag beträgt 18 Proz. für alle Einkommen über 1200 M.
Gesetz vom 12. April, betr. die Erhebung einer Neupflasterungs-
abgabe. S. 58.
Die einmalige Abgabe beträgt 4°/,, des gemeinen Wertes.
Gesetz vom 23. Mai, betr. besondere Bau- und Anbauvorschriften
für das Strandgebiet des Stadtteils Travemünde. S. 92.
Der Bauwich (Entfernung der Gebüude von der Nachbargrenze) muß mindestens
2'|, Meter betragen. Die Gebäude dürfen nicht mehr als 2 Obergeschosse haben, und
zwar muß das zweite schon als Dachgeschoß ausgebaut werden. Der First des Daches
darf höchstens 14 Meter über der mittleren Höhe des vom Gebäude eingenommenen
Platzes liegen.
Einkommensteuergesetz vom 11. November. S.. 175.
Einkommen unter 600 M. jährlich bleibt steuerfrei.
Der Einheitssatz der Steuer beträgt bei Einkommen von 600—700 M. jährlich
0,80 M.; bei 700—800 M. jährlich 1 M. Für je 100 M. über 800 M. Einkommen sind
0,40 M., 0,60 M. usw. bis 1,80 M. mehr zu zahlen. Bei Einkommen über 40.000 M.
beträgt die Steuer 1,6 Proz.
Gesetz vom 18. November, betr. die Gesindekrankenkasse. S. 203.
Der Beitrag beträgt 1,50 M. monatlich und wird zur Hälfte von der Herrschaft
getragen. Das Gesetz beruht in den Hauptpunkten auf der RVO.
342 Nationalökonomische Gesetzgebung.
22. Bremen.
Gesetzblatt der freien Hansestadt Bremen, Jahr 1913.
(No. 1—54.)
Gesetz vom 25. Februar, betr. den Ausschluß von Landkranken-
kassen für das Bremische Staatsgebiet. S. 67.
Gesetz vom 11. März, betr. die Wassersteuer. S. 91.
Sie beträgt 0,25°/,, des Gebüudesteuerwertes für den Eigentümer, 0,5 Proz. des
Mietzinses für den Mieter.
Gesetz vom 27. April, betr. die Einkommensteuer für das Rechnungs-
jahr 1913. 8. 129,
Die Einkommensteuer wird in der Stadt Bremen mit "7 im übrigen Staats-
gebiete mit 7 Einheiütssätzen erhoben.
Gesetz vom 18. Juli über den Bau von Kleinhäusern. S. 259.
Gesetz vom 28. November, betr. die Firmen- und Gewerbesteuer.
S. 339.
Die steuerpflichtigen Betriebe werden in 5 Abteilungen eingeteilt.
Die geringsten und höchsten Steuersätze sind: | Der mittlere Steuersatz beträgt:
Abt. I. 2000 M. und 40000 M. Abt. I. 4600 M.
„ I: 60, „ 199, „ II. 1200 „
zu, d, Je, 55 599 „ „ III. 850 „
e AER > 2 179 5 an ZE, Dë a
» V. 10n p 59» » V. 28 y
Wenn bei diesen Sätzen der Ertrag hinter 1150000 M. zurückbleibt, können diese
Sätze erhöht werden.
23. Hamburg.
Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg.
50. Band. Jahrgang 1913.
Gesetz vom 3. Januar über den Begriff „Etagenhaus“ im Sinne
des Gesetzes, betr. den Bebauungsplan für die Vororte auf dem rechten
Elbufer (vom 30. Dezember 1892). I. S. 3.
Gesetz vom 27. Januar, betr. die Gewährung einer Anwartschaft
auf Ruhegeld und Hinterbliebenen-Rente an staatliche Angestellte.
-LS. 28.
Ortsstatut vom 4. Juli, betr. die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe
in der Stadt Hamburg. I. S. 119.
Die nach $ 105b II der GO. zulässige Beschäftigung wird eingeschränkt auf
3 Stunden, im Blumenhandel und Speditionsgewerbe auf ZIL Stunden.
Verordnung vom 10. November, betr. Forterhebung der Wert-
zuwachssteuer. I. S. 133.
Gesetz vom 3. Dezember. betr. Aenderung der Hamburgischen
Erbschaftssteuer. I. S. 184.
Der Zuschlag beträgt 80 Proz. für Abkömmlinge ersten Grades von Geschwistern,
”„ HI Ui zweiten 13 Hi HI
66?/, Proz. für uneheliche, vom Vater anerkannte Kinder
und deren Abkömmlinge.
Gesetz vom 12. Dezember, betr. Aenderung der Erbschaftssteuer-
behörden. I, S. 188.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 343
24. Elsaß-Lothringen.
Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, 1913, No. 1—23.
Gesetz vom 16. April, betr. Beteiligung des Staates an Kali-
werken. S. 13.
Das Ministerium darf zwecks Beteiligung an solchen Unternehmungen Anleihen
bis zu 6 Mill. aufnehmen, deren Zinsfuß 4 Proz. nicht übersteigen darf. An Stelle
von den üblichen Rentenbriefen können auch Schuldverschreibungen ausgegeben werden.
Getilgt werden vom 1. April 1915 ab jährlich mindestens 2 Proz. des Nominalbetrags ;
auch können diese Schuldverschreibungen ausgelost werden.
Gesetz vom 9. Mai, betr. die Feststellung des Landeshaushaltsetats
von Elsaß-Lothringen für 1913. S. 13.
Der Gesamtetat schließt mit 76847822 M. ab, woron auf den ordentlichen
73 360 922 M. und der Rest auf den außerordentlichen entfallen. Zur Verstärkung der
Mittel der Landeshauptkasse können Schatzanweisungen bis zu 14 Mill. ausgegeben
werden, die bis zum 30. September 1914 umlaufen dürfen. Den Vorschußkassen sind
bis zu 8 Mill. Darlehen als Betriebsmittel durch die Staatsdepositenverwaltung zu ge-
währen.
Die Schiffahrtsabgaben betragen 0,18 M. für ein Tonnenkilometer. Der Zuschlag
zu den Verkehrssteuern und Gerichtsgebühren wird auf Te festgesetzt. Die Förder-
abgabe beläuft sich auf 1 Proz. des mittleren Verkaufswertes der Mineralien; die Zusatz-
steuer auf 1'|, Proz. der gesamten Ertragsfähigkeit.
Gesetz vom 8. Juli, betr. die Abänderung des Berggesetzes (vom
16. Dezember 1873). S. 77.
Der Erwerb von Bergwerken durch Mutung bleibt prinzipiell dem Staate vor-
behalten; Ausnahmen sind zulässig durch Erlaubniserteilung der Oberbergbehörde nach
Anhörung der Bergbaukommission. Das Schürfen von Eisenerzen, Steinkohlen, Bitumen,
Stein-, Kali-, Magnesia- und Jodsalzen ist entsprechend nur dem Staate oder er-
mächtigten Personen gestattet.
Gesetz vom 27. Juni, betr. die Besoldung der Lehrer und Lehre-
rinnen an öffentlichen Elementarschulen. S. 73.
An Dienstalterszulagen werden bewilligt für festangestellte Lehrer nach je 8 Jahren
bis zum 15. Dienstjahr je 200 M., nach 18 Dienstjahren 100 M., nach 21 und 24 Dienst-
jahren je 200 M.; für festangestellte Lehrerinnen nach ji 3 Jahren bis zum 15. Dienst-
jahr je 100 M., nach 16 Dienstjahren 100 M. Die Mietsentschädigung wird nach den
örtlichen und persönlichen Verhüllnissen bemessen und vom Gemeinderat festgesetzt.
Die Dienstwohnung wird mit 500 M., bei Lehrerinnen mit 400 M. angerechnet. Lehr-
kräfte, die in deutscher und französischer Sprache zu unterrichten haben, erhalten eine
jährliche, nicht pensionsfähige Zulage von 200 (Lehrerinnen 150) M.
Besoldungsgesetz vom 9. Juni. S. 41.
Es tritt gleichzeitig mit dem Lehrerbesoldungsgesetz in Kraft vom 1. April 1915 ab,
bringt eine neue Besoldungsordnung.
Gesetz vom 28. Mai, betr. Abänderung des Gesetzes über die Berg-
werksbesteuerung (vom 14. Juli 1908). S. 67.
Das abgeänderte Gesetz tritt als Bergwerkssteuergesetz mit bem 28. Mai 1918 in
Kraft. Neu ist die Bestimmung, daß die Bergwerksunternehmer verpflichtet sind, über
die der Abgabe unterliegenden Fördermengen und deren Werte auf besondere Auf-
farderung binnen 2 Wochen eine Erklärung abzugeben, auf die die $$ 18 und 27—81
des Kapitalsteuergesetzes (1901) Anwendung finden.
344 Miszellen.
Miszellen.
VII.
Wohnungsfürsorge in England.
Von Dr. phil. Käte Winkelmann.
Inhalt: 1) Die Wohnungsgesetzgebung. 2) Die praktische Durchführung. 3) Die
Aufgaben der Wohnungsinspektion. 4) Die Herstellung von Kleinwohnungen.
1. Die Wohnungsgesetzgebung.
Das britische Volk wurde, wie alle emporstrebenden Kultur- und
Industrieländer im Laufe der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
aus einer zum großen Teil Landwirtschaft treibenden Bevölkerung mehr
und mehr zu einem in der Stadt lebenden und industriell arbeitenden
Volk. Während vor ungefähr 60 Jahren noch 75 Proz. der Bevölkerung
in ländlichen Distrikten und Ortschaften wohnte, haben sich in der
neuesten Zeit diese Verhältnisse fast umgekehrt. Der Ansturm der
Bevölkerung nach der Stadt, den Industriezentren, die durch höhere
Löhne und die scheinbare Wohlhabenheit angelockt, nach der Stadt
drängte, war so plötzlich und so unaufhaltsam, daß es weder dem
Einzelunternehmer noch den Behörden möglich war, mit dieser Nach-
frage nach Wohnungen auch nur annähernd gleichen Schritt zu halten
und dem eintretenden Mangel zu begegnen.
In dem gleichen Fall befand sich die Gesetzgebung; obgleich
dem Parlament wohlbekannt war, daß es in dem Königreiche, vor
allem aber in dem großen Verkehrszentrum London, viele überfüllte,
schmutzige und ungesunde Wohnungen für die arbeitenden Klassen
gab, wurden doch bis zum Jahre 1851 keine entscheidenden Schritte
unternommen, diesem Uebelstande abzuhelfen. Erst in diesem Jahre
entstander. für das ganze Reich zwei Gesetze: „the Common Lodging
Houses Act und the Labouring Classes Lodging Houses Act (1851).
Das erste Gesetz befaßte sich im besonderen mit der Erstellung
und Verbesserung der Arbeiterwohnhäuser. Für jeden Bezirk mußte
ein vollständiges Verzeichnis aller vorhandenen Arbeiterwohnungen ein-
Literatur.
Forty-Second Annual Report of the Local Government Board 1912/13, Part II. Hous-
ing and Town Planning. London 1913.
London County Council. Housing of the Working Classes 1855—1912. Prepared, under
the Direction of the Housing of the Working Classes Committee of the Council, by
the Clerk of the Council, 1913.
Housing, Town Planning etc. Act, 1909.
Building Societies, by Sir Edward Brabrook, C. B. London 1906.
Miszellen. 345
gereicht werden; ferner wurde darauf hingewiesen, daß die Beamten
auf einen sauberen und gesunden Zustand der Häuser zu achten und
vor allem auch die Geschlechtertrennung nach Möglichkeit durch-
zuführen hätten, um die traurigen, entsittlichenden Verhältnisse, die
durch solche Ueberfüllung immer mehr um sich griffen, zu beseitigen.
Dieses Gesetz wurde durch den Common Lodging Houses Act 1853
ergänzt und verbessert, nach welchem die Bewohner, welche eine
Wohnung schnell verwohnten und verwahrlosen ließen, der Behörde
gemeldet werden sollten. Die Eigentümer der Häuser wurden ver-
pflichtet, ein genaues Verzeichnis der Bewohner ihres Hauses anzugeben.
Das zweite Gesetz, the Labouring Classes Lodging Houses Act
1851, bezweckte mehr die Errichtung einer größeren Zahl von Arbeiter-
wohnhäusern in den bevölkerten Distrikten, um dort angemessene und
gesündere Wohnungen zu schaffen.
Im Jahre 1866 kam ein weiteres Gesetz zustande, the Artisans
and Labourers Dwelling Act, auf Grund eingehender Untersuchungen
einer Kommission, die die Zustände genau zu prüfen hatte. Das
Gesetz schrieb das Einzelwohnhaus vor und machte den Eigentümer
verantwortlich, das Haus in einem guten Zustand zu erhalten. Die
Medical Officers of Health wurden veranlaßt, jede Wohnung, die sie
als ungeeignet zum menschlichen Wohnen erachteten, diesen Behörden
zu bezeichnen. Die Ueberwachung der Bestimmungen lag in den Händen
der einzelnen Bezirksbehörden. Diesen lag es dann ob, die geeigneten
Schritte für die Instandsetzung des Hauses zu tun; auch hatte man den
Fall vorgesehen, daß, falls der Zustand des Hauses so schlecht war,
daß nur noch der Abbruch verlangt werden konnte, dem Eigentümer
eine Entschädigung gezahlt wurde; freilich wurde vorläufig nur ein
sehr niedriger Satz, 2 d für £ 1=1 Proz. angenommen.
Es stellten sich aber bald Unzuträglichkeiten heraus und der
geringe Entschädigungssatz wurde als empfindliche Härte angesehen.
Diese Erkenntnis führte im Jahre 1879 zu einer Erweiterung des
vorhergehenden Gesetzes. Man befaßte sich ganz besonders damit,
eine angemessene Vergütung zu bewilligen, dann aber den Wieder-
aufbau der abgerissenen Häuser nach Möglichkeit zu erleichtern. Der
Eigentümer eines zum Wohnen für untauglich erklärten Hauses konnte
die Behörde ersuchen, sein Grundstück aufzukaufen; das Gesetz be-
stimmte jedoch, daß jedes so erworbene Grundstück nur wieder zum
Bau für Arbeiterwohnhäuser verwendet werden dürfe.
Einige Jahre früher (1875) war ein anderes Gesetz, the Cross
Act1) angenommen worden. Der grundlegende Unterschied zwischen
diesem Gesetz und dem vorhergehend genannten, liegt darin, daß dieses
sich mit dem Abbruch und dem Wiederaufbau von ungeeigneten, un-
gesunden Häuserkomplexen befaßt, jenes sich nur mit der Beseitigung
eines einzelnen schlechten Hauses beschäftigt.
1) Der Name „Cross Act“ rührt von Sir Richard Assheton Cross her, einem
Manne, der hauptsächlich dazu beigetragen hat, daß der Gesetzantrag durchgebracht
wurde.
346 Miszellen.
Das einleitende Verfahren lag entweder bei den Medical Officer
of Health der einzelnen Distrikte oder es konnte auch auf Verlangen
von 12 Steuerzahlern, die eine offizielle Anzeige über die Verhältnisse
eines Häuserkomplexes machten, in Gang gebracht werden. Das Lon-
doner Generalbauamt (Metropolitain Board of Works) hatte dann nach
Empfang dieser Anzeige die Sachlage genau zu prüfen. Ergaben die
Untersuchungen den ungesunden Zustand der Häuser, so hatte dieses
Amt für so viel Personen, wie die zum Abbruch bestimmten Häuser
verlassen mußten, in der nächsten Umgebung geeignete Wohnungen
bereitzustellen. Freilich war das Amt nicht berechtigt, ohne die aus-
drückliche Genehmigung des Staatssekretärs selbst den Wiederaufbau
der Häuser zu unternehmen. In dem zustimmenden Fall aber konnten
die Grundstücke 10 Jahre nach ihrer Fertigstellung verkauft werden,
mit der Billigung des Staatssekretärs.
Die Erfahrung lehrte doch schon nach einigen Jahren, daß diese
Art des Geschäftsganges recht zeitraubend, zugleich aber auch kost-
spielig war. Das Gesetz wurde daraufhin abgeändert, daß die be-
stätigende Behörde die Erlaubnis bekam, die Personen, welche die
Häuser verlassen mußten, auf ihre Veranlassung hin, auch anderswo,
als in dem gleichen Stadtteil oder in dessen unmittelbarer Nähe, unter-
zubringen.
Immer mehr kam man aber zu der Ueberzeugung, daß mit den
beiden Gesetzen tatsächlich wenig erreicht wurde. Man setzte daher
nochmals eine Kommission ein, die beauftragt wurde, Mittel und
Wege zu finden, den Landkauf zum Wiederaufbau von Häusern zu
erleichtern und die Ausgaben dafür zu mindern. Die Ergebnisse dieser
Kommission führten zu einem weiteren Gesetz, zu dem Artizans Dwellings
Act, 1882, welches sich sowohl mit dem Abbruch und Wiederaufbau
ganzer Häuserkomplexe als auch des Einzelhauses befaßte.
Lange vorher schon hatte man gefühlt, daß auch weitere Schritte
unternommen werden mußten, die Uebelstände, die durch überfüllte
und ungesunde Wohnungen entstanden, herabzusetzen oder möglichst
gänzlich zu beseitigen. Die eingesetzte Kommission fand, daß ein
großer Teil der Schuld an den unglaublichen Zuständen, denen sie
begegneten, den Behörden selbst zuzuschreiben seien, die die bestehen-
den Gesetze wenig oder gar nicht beachtet hatten; freilich mußten
auch diese, um Verbesserungen einführen zu können, durchgreifend
abgeändert werden. Als ein gutes Mittel, die Ueberfüllung zu be-
heben, wurde die Ansiedlung der Arbeiterbevölkerung an der Peripherie
der Städte empfohlen, wo gesündere und billigere Wohnungen ge-
schaffen werden konnten. Die weite Entfernung der Arbeitsstätte
sollte durch Einrichtung billiger und passender Fahrgelegenheiten be-
hoben werden.
Während die verantwortliche Behörde bis 1889 die einzelnen
Bezirksbehörden gewesen waren, wurde von diesem Jahre ab das
Generalbauamt an die Stelle des Gemeinderates und Kreisamtes ge-
setzt. Eine Verschmelzung der verschiedenen Gesetze schien geboten,
und führte zu dem Housing of the Working Classes Act 1890, eines
Miszellen. 347
der wichtigsten und ausführlichsten Wohnungsgesetze, welches in den
Jahren 1900, 1903 und 1909 durch eingreifende Aenderungen noch
verbessert wurde.
Das Gesetz besteht aus sieben Teilen, von denen zwei (Teil 5
und 6) sich auf die Anwendung des Gesetzes in Schottland und
Irland beziehen. Teil 1 und 2 besteht aus Zusammenlegungen und
Verbesserungen der Gesetze, die sich mit dem Abbruch und Wiederauf-
bau von Häusergruppen und Einzelhäusern beschäftigen. Im Teil 3
wird die Erbauung von Einzelhäusern vorgesehen. Für London sind
dafür die Ratsversammlung, die städtischen Kommissäre und die Be-
zirksbehörden verantwortlich. Teil 4 enthält finanzielle Bestimmungen
und Teil 7 bezieht sich auf Aufhebung früherer Gesetze und gibt
Uebergangsbestimmungen an.
In einigen weiteren Gesetzen, die in den nächsten Jahren folgten,
wie the Public Health Act (1891) und Ergänzungen zu den Housing
of Working Classes Act (1894 und 1900) wird den zuständigen Be-
hörden vor allem zur Pflicht gemacht, Unzuträglichkeiten, die durch
Ueberfüllung, schlechten und verwahrlosten Zustand der Wohnungen
usw. entstehen, durch eine geordnete Inspektion zu verhüten. Die
Gesundheitsbehörden können gesetzlich die Anzahl der Personen, welche
ein Haus bewohnen dürfen, festlegen, von denen nur Logierhäuser
ausgenommen sind.
Kurz darauf folgten zwei weitere Gesetze; das eine (the Housing
of the Working Classes Act) verbesserte die finanziellen Bedingungen
des Teil 2 des Gesetzes von 1890, und das zweite, the Housing of
the Working Classes Act (1900), ermächtigte die Behörden, Land
für Bebauungszwecke, außerhalb des Arcals ihres Bezirks zu erwerben.
Im Jahre 1903 wurde dieses Gesetz dann dahin erweitert, daß es den
Behörden sowohl wie auch den Privatunternehmern untersagt wurde,
eine Wohnung, die von mehr als 30 Personen der Arbeitervölkerung
belegt werden sollte, zu vermieten, ohne daß diese von der Zentral-
gesundheitsbehörde vorher geprüft worden war. Weitere Maßnahmen,
wie die zwangsweise Durchführung einiger Bestimmungen durch die
untergeordneten Behörden, die Verbesserung im Geschäftsgange, be-
sonders bei Schließung und Abbruch ungeeigneter und ungesunder
Häuser, sind diesem Gesetz angefügt.
Ungeachtet aller dieser gesetzlichen Maßnahmen, bildete dennoch
die Frage der Wohnungsfürsorge für die arbeitenden Klassen, die
Handhabung der Gesetze, die Wirkungen auf die Allgemeinheit einen
wesentlichen und ständigen Punkt in den Verhandlungen des Par-
laments, hervorgerufen durch fortwährende Klagen und Fragen aus
den Kreisen der Bevölkerung selbst. Darauf wurde endlich 1908 ein
Gesetzantrag eingebracht, the Housing, Town Planning ete. Bill, der
durch den Präsidenten der Zentralbehörde für Gesundheits-, Bau- usw.
polizei folgendermaßen näher begründet wurde: „Der Zweck dieses
Antrages ist, günstige häusliche Bedingungen für das Volk zu schaffen,
bei welchen seine physische Gesundheit, seine Sitten und sein Cha-
rakter, sowie seine ganze soziale Lage gebessert werden kann. Man
348 Miszellen.
hofft dadurch das Heim gesund, das Haus schön und das Aussehen
der Stadt gefällig und freundlich zu gestalten. Man hofft ferner durch
die Erstellung einer großen Anzahl besserer Wohnungen und ange-
nehmerer Straßen verbessernd auf die Lebensbedingungen der unteren
Klassen zu wirken und dadurch die elenden, verwahrlosten Stadt-
viertel gänzlich beseitigen zu können. Eine ausgedehntere Inspektion,
mit der eine genauere Ueberwachung der einzelnen Familien auch in
gesundheitlicher Beziehung verbunden sein soll, genauere Berichte an
die Zentralbehörden sollen dazu verhelfen, das Wohnungsproblem seiner
Lösung näher zu führen.“
Der Antrag wurde angenommen und wurde unter dem Namen
Housing Town Planning etc. Act 1909 Gesetz. Die einzelnen Teile
enthalten wichtige Bestimmungen. Der erste Teil befaßt sich fast
durchweg mit dem Versuch der Lösung der Wohnungsfrage für die
Arbeiterbevölkerung, er gibt Mittel an die Hand, den Ankauf von
Land für diese Zwecke nach Möglichkeit zu erleichtern, ebenso Maß-
nahmen zum Abbruch und Wiederaufbau verwahrloster, ungeeigneter
Häuser und Wohnungen. Es werden ferner die gegenseitigen Ver-
pflichtungen des Vermieters und des Mieters geregelt. Wird ein Haus
in London zu einem Mietspreis von weniger als 40 £ = 800 M. ab-
gegeben, so ist der Besitzer verpflichtet, diese Wohnung in einem
sauberen und guten Zustand zu übergeben, der in jeder Hinsicht zum
menschlichen Wohnen geeignet ist. Die Instandhaltung der Wohnung
ist dann aber Angelegenheit des Mieters. Die Behörde hat das Recht,
gegen den Vermieter bzw. Mieter einzuschreiten, falls diese ihren
Verpflichtungen nicht nachkommen. Jeder Kellerraum, mag er auch
allen Bedingungen, wie Höhe, Lüftung, Belichtung usw. entsprechen,
wird als ungeeignet zum Schlafen für Menschen erachtet und ist daher
verboten. Das Gesetz verbietet ferner die Neuerrichtung ‚von back to
back houses. Es sind dies meist längere, parallel laufende Straßen-
züge, bei denen die Rückfronten der Häuser zusammenstoßen, so
daß Höfe oder auch nur Luftschächte vollständig wegfallen, wodurch
naturgemäß auch die Lüftung der einzelnen Wohnungen sehr be-
einträchtigt wird. Ganze Stadtteile solcher Häuser finden sich noch
in Leeds, dem großen Zentrum der Spinnereien und Webereien, und es
mutet den Fremden ganz sonderbar an, wenn er die Wäschestücke auf
den Leinen, die quer über die Straßen gespannt sind, lustig im Winde
flattern sieht, und manche deutsche Hausfrau würde mit Entsetzen
die Kohlenwagen oder andere Gefährte betrachten, die unter der Wäsche
entlang fahren müssen. Trotz der ungesunden Verhältnisse, die eine
solche Bauart in sich schließt, ist es natürlich nicht möglich, diese
Straßenzüge auf einmal zu beseitigen. Das Gesetz verbietet aber den
Bau solcher Häuser und behält sich vor, diejenigen, die nach Ansicht
des Medical Officer of Health gänzlich ungeeignet zum menschlichen,
Wohnen sind, abreißen zu lassen.
Das Gesetz gibt weiterhin Mittel und Wege an, die Bildung und
Ausdehnung von Baugenossenschaften für Kleinwohnungen zu erleich-
tern. Ferner wird in einem anderen Abschnitt die Anstellung opd
Miszellen. 349
Ausbildung der Inspektionsbeamten klargelegt. Der letzte Teil ver-
pflichter die Behörden, für offene freie Spielplätze, Parks usw. Sorge
zu tragen.
2. Die praktische Durchführung.
Hatte so das Wohnungsproblem für die arbeitenden Klassen Eng-
lands die Oeffentlichkeit sowohl als auch das Parlament in Anbetracht
seiner unzweifelhaft ernsten, sozialen Bedeutung beschäftigt, hatten
die statistischen Erhebungen und die Arbeiten der Spezialkommission
zu dem Wohnungsgesetz des Jahres 1909 (Housing Town Planning ete.
Act) geführt, so lassen sich erst nach Verlauf einiger Jahre die Wir-
kungen feststellen, welche das Gesetz hatte. Ganz allgemein läßt sich
sagen, daß das Gesetz eine bemerkenswerte Aktivität der Behörden
auslöste, die wiederum dazu führte, die Hauseigentümer zu einem
stärkeren Verantwortlichkeitsgefühl ihren Mietern gegenüber anzuregen.
Die Vorschriften der Behörden, selbst sich an der Bereitstellung der
kleinen Wohnungen zu beteiligen, haben einen guten Schritt vorwärts
getan, und immer mehr läßt sich eine behördliche Inangriffnahme durch
Bauen von Kleinwohnungen erkennen.
Will man das ganze Problem der Wohnungsfürsorge sachlich
gliedern, so wären folgende drei Teile anzunehmen:
1) Die Instandhaltung und Verbesserung der vorhandenen Häuser.
2) Die Beschaffung neuer Häuser.
3) Die Beseitigung der schlechten und ungesunden Wohnungen.
Eine wichtige Voraussetzung der ganzen Wohnungsaufsicht und
-fürsorge ist, daß die, welche sich mit der Verbesserung dieser ganzen
Frage beschäftigen, eine vollständige und möglichst restlose Einsicht
in die Natur und Ausdehnung des ganzen Problems haben, denn nur
auf einer solchen Basis ist eine gedeihliche Arbeit gewährleistet.
Obwohl schon einige Distrikte und Behörden sich bemüht hatten,
sich über die Beschaffenheit der Wohnhäuser zu orientieren und gute
Inspektionssysteme eingeführt hatten, gab es doch vor der Veröffent-
lichung des Housing Town Planning ete. Act keine einheitliche Me-
thode, Aufschlüsse in dieser Richtung zu bekommen. Ein unendlich
wichtiges Ergebnis des Gesetzes von 1909 ist es, dieses auf eine ein-
heitliche Basis gestellt, und das Interesse allgemeiner größerer Kreise
erweckt zu haben; nicht allein führte dies dazu, die tatsächlichen Zu-
stände, deren Erforschung eine unbedingte Notwendigkeit war, zu
erkennen, sondern es entsprang daraus auch die Erkenntnis, durch
Bereitstellung vermehrter und besserer Wohnungen der Wohnungsnot
zu begegnen.
Die Schritte, die unternommen wurden, eine möglichst reichhaltige
und doch systematische Sammlung von Aufschlüssen über die be-
stehenden Verhältnisse zu bekommen, sind recht verschiedener Art
und es wird alles versucht, um allmählich ein lückenloses, einheit-
liches Bild über die Beschaffenheit der Häuser von ganz England und
Wales zu erhalten. Die Zentralbehörde hat die Aufgabe, die jährlichen
und auch Spezialberichte der Medical Officer of Health genau durch-
350 Miszellen.
zusehen und zu ordnen; weiterhin sind Zeitungsagenturen verpflichtet
worden, alle Abschnitte, die in den Tagesblättern diese Fragen behandeln,
der zuständigen Stelle zuzuschicken, so daß dadurch alle Berichte über
Sitzungen, Ansichten von Beamten und aus dem Volk in vollständiger
Sammlung der Behörde vorliegen, was von nicht unterschätzbarem
Wert für sie ist. Mehr noch, jede Gelegenheit wird von den Inspek-
toren wahrgenommen, in Verbindung mit Hausbesichtigungen oder
anderen örtlichen Untersuchungen, den in den einzelnen Ge-
genden herrschenden und üblichen Hausbau und die Wohnungshaltung
dem Zentralamt zur Kenntnis zu geben. Es ist einzusehen, daß solche
Aufschlüsse mit gutem Erfolg verwendet werden können. So ist
beispielsweise der Inspektor immer verpflichtet, bei einem Versuch
einer Kommunalverwaltung seinen Rechtskreis zu vergrößern oder Stadt
zu werden, Untersuchungen über die Beschaffenheit der Häuser der
Stadt anzustellen. Zeigt der Bericht, daß Verbesserungen notwendig
sind, so wird die Gelegenheit benutzt, die Behörde zu zwingen, sich
damit zu befassen. Ein Marktflecken (Wakefield), der darum ein-
gekommen war, Stadt zu werden, bei welchem die Untersuchungen
aber einen großen Mangel an Kleinwohnungen ergeben hatten, konnte
durch diese Bestimmungen gezwungen werden, ohne Verzögerung, eine
größer Anzahl (100) von Arbeiterwohnhäuser zu erbauen.
Nach dem Gesetz von 1909 ist jede Ortsbehörde verpflichtet, sich
von Zeit zu Zeit zu vergewissern, ob in ihrem Bezirke der Zustand:
der Häuser und Wohnungen derartig ist, daß sie als gänzlich un-
geeignet und gesundheitsgefährlich bezeichnet werden müssen ; in diesem
Falle sind sie und die Inspektoren verpflichtet, den Vorschriften nach-
zukommen und besonders der Zentralbehörde laufend Bericht über die
vorgenommenen Maßnahmen zu erstatten.
Das Gesetz von 1909 legt ferner die Punkte genau fest, welche
in den Berichten der Ortsbehörden und Inspektoren ganz besonders
beachtet und behandelt werden müssen; es sind anzugeben:
a) die Zahl der untersuchten Wohnungen;
b) die Zahl der Wohnungen, die von den Inspektoren als gesund-
heitsgefährlich und zum Wohnen untauglich erachtet wurden;
c) die Zahl der an die Ortsbehörde gelangten Berichte, um
Schließung der Räume zu bewirken;
d) die Zahl der Schließungsbefehle;
e) die Zahl der Wohnungen, die ohne Schließungsbefehl wieder in
einen zum Wohnen geeigneten Zustand versetzt wurden;
f) die Zahl der Wohnungen, die, nachdem ein Schließungsbefehl
erlassen war, wieder in einen tauglichen Zustand gebracht wurden;
g) allgemeiner Charakter der gefundenen Mißstände.
Alljährlich wird den Inspektoren ein Memorandum zugestellt, das
ihnen kurz die Richtlinien angibt, die sie bei ihrer Tätigkeit und beim
Zusammenstellen ihres Berichtes zu beachten haben. Es heißt dort
u. a.: Der Wohnungsbericht soll sowohl Aufschluß über den Charakter,
als auch über das Vorhandensein von Wohnungen für die Arbeiter-
bevölkerung enthalten. Die Beschaffenheit der Wohnungen, verbunden
Miszellen. 351
mit Einzelbeobachtungen, wie Ueberfüllung, mangelnde Geschlechter-
trennung usw., welche während des letzten Jahres gefunden wurden,
die vorgenommenen Maßnahmen, sollen in dem Bericht enthalten sein.
Ferner soll der Bericht die Zahl der neuerbauten oder noch in Bau be-
findlichen Häuser angeben, das Wachstum der Wohnungen für die un-
teren Klassen im Verhältnis zur Zunahme der Bevölkerung in dem
Distrikt.
Es ist hieraus schon ersichtlich, daß man sich bemüht hat, ein
möglichst vollständiges Bild über den Stand der Wohnungen für die
Arbeiterbevölkerung zu erhalten; bilden diese Untersuchungen doch
die Unterlage, ein Gesamtbild der Zustände für das ganze Königreich
zu geben, zugleich aber erhalten die Ortsbehörden und jede lokale Be-
hörde einen vollständigen Einblick über den baulichen und gesund-
heitlichen Stand der Häuser ihres Bezirks.
Wenn auch im ersten Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes
mancher Bericht noch unvollkommen war und den gewünschten Auf-
schluß über die Wohnungsverhältnisse nicht erschöpfend brachte, so
zeigten die Berichte des Jahres 1912 schon einen bedeutenden Fort-
schritt in der Ausgestaltung. Daß eine genaue Uebersicht nicht auf
einmal und lückenlos gegeben werden kann, liegt in der oft recht schwie-
rigen Art der Erlangung des Materials. So ist beispielsweise die
Grenze zwischen Wohnungen der Arbeiterbevölkerung und denjenigen
einer höheren Stufe oft nicht ganz einwandfrei festzustellen, ebenso
ist es schwierig, eine ungefähre Uebersicht über die in einem Bezirk
gezahlten Mieten zu bekommen.
Lassen auch die Berichte im allgemeinen erkennen, daß eine
Besserung in den Wohnungsverhältnissen durch die gesetzlichen Maß-
nahmen, die den Behörden durch das Gesetz 1909 gegeben wurden,
stattgefunden hat, so stellte sich nach den Aussagen einiger Inspektoren
bald heraus, daß der Mangel jeglicher gesetzlichen Handhabe gegen
schmutzige Mieter, die in kurzer Zeit der Wohnung vollständig den
Charakter einer solchen nehmen, recht empfindlich bemerkt wird. Es
kann vorläufig den Mietern keine Strafe auferlegt werden, die aus Nach-
lässigkeit oder Mutwillen die Wohnung in den denkbar schlechtesten
Zustand bringen und den Hauswirten durch die vielen Reparaturen.
einen nicht unb'edeutenden Schaden zufügen.
Während vor dem Inkrafttreten des Gesetzes das Vorhandensein
von Arbeiterwohnhäusern als ausreichend betrachtet worden war, deckte
doch die gründlichere Inspektion einen Mangel an solchen auf, der frei-
lich auch noch durch die Schließung ungeeigneter und gesundheits-
schädlicher Wohnungen verstärkt wurde. Es ist leicht einzusehen, daß
für die lokalen Behörden mancherlei Schwierigkeiten entstanden, um
diesem Wohnungsmangel zu begegnen. Meist ergeht an sie von der
Zentralbehörde die Weisung, zu der Frage des städtischen Eigen-
baues ernstlich Stellung zu nehmen; manche Behörden bemühten sich,
das Haupthindernis zu beseitigen durch Bau von Wohnungen unter
Teil III des Gesetzes von 1890, wobei ihnen gestattet wurde, zur
Durchführung des Baues von Arbeiterwohnhäusern Anleihen aufzu-
352 Miszellen.
nehmen. Es zeigte sich hier in vielen Fällen, daß durch diesen städti-
schen Eigenbau der Privatunternehmer zum Bauen angeregt wurde.
Durch Teil III des Gesetzes von 1890 ist den städtischen Behör-
den umfangreiche polizeiliche Gewalt gegeben worden, die Schließung
ungeeigneter Wohnungen und den Abbruch ganzer Häuser zu bewirken;
doch erst nach dem Gesetz von 1909 läßt sich eine größere Tätigkeit
der Behörden erkennen; der Bericht eines Medical Officer of Health für
das Jahr 1911 gibt an, daß in drei ländlichen Distrikten des Kreises
143 Häuser auf Veranlassung der Kreisbehörde geschlossen oder ab-
gerissen wurden, da die Ortsbehörden es versäumt hatten, irgendwelche
Schritte zur Erstellung von Wohnungen zu unternehmen.
Es ist nicht zu leugnen, daß gerade durch die Berichte der In-
spektoren, die nützlichen und eingehenden Aufschluß über die Woh-
nungsverhältnisse ihres Bezirks geben können, wertvolles Material für
die Zentralbehörde geliefert wird. Viele Fragen, die mit den Orts-
behörden behandelt werden müssen, könnten brieflich kaum ausreichend
beantwortet werden, wären nicht durch die Inspektoren, die die ört-
lichen Verhältnisse am besten beurteilen können, Informationen und
Aufschlüsse zu erhalten. Die Zentralbehörde ist aber zuständig für die
Bezirke, wo eine ungenügende Inspektion, eine Gleichgültigkeit in der
Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen zu sein scheint, wo man
bemerkte, daß die gefundenen Uebelstände gar nicht oder nur zum Teil
beseitigt wurden, eigene Inspektoren zu senden und geeignete Schritte zu
unternehmen, die Bestimmungen des Gesetzes von 1909 durchzuführen.
Die Zentralbehörde hat sich auch einen gewissen Einfluß in der
Wahl des Platzes für neu zu erbauende Arbeiterwohnhäuser vorbehalten,
ebenso auch für den Ausbau derselben. Es kann eine Stadtverwaltung
nicht ohne weiteres den Grund und Boden, den sie der Zentralbehörde
für den Bau von Kleinwohnungen angegeben hat, aus geschäftlichen
Rücksichten an industrielle Unternehmungen usw. verkaufen. Viel-
mehr hat ein Regierungsbeamter sich eingehend über die Lage, die Ver-
kehrsmöglichkeiten, überhaupt über die Geeignetheit des neu gewählten
Platzes zu informieren; er kann, wenn das neue Terrain ungünstiger
und schlecht geeignet zum Bau von Kleinwohnungen erscheint, die
Abgabo des früher vorgeschlagenen Platzes ganz oder teilweisg unter-
sagen. Ebenso werden die Bebauungspläne eingehend durchgesehen
und Verbesserungen in bezug auf geeignete Ausnutzung des Grund und
Bodens, dann auch des Hausbaues an sich, den Ortsbehörden zur Aus-
führung empfohlen.
So hatte der Magistrat von Leeds ein Gesuch eingereicht, die von.
der Zentralbehörde gemachten Entwürfe zu modifizieren. Es war der
Stadt aufgegeben worden, für ungefähr 8000 Personen geeignete Woh-
nungen in verschiedenen Teilen der Stadt zu erstellen. Nachdem für
2000 Personen Wohnungen gebaut worden waren, machte die Stadt
eine Eingabe an die Zentralbehörde, die Entwürfe dahin zu ändern,
daß sie von dem weiteren Bau von Arbeiterwohnungen befreit würden.
Eine nochmalige Untersuchung stellte fest, daß eine große Anzahl guter
leerstehender Wohnungen in unmittelbarer Nähe des projektierten Bau-
Miszellen. 353
platzes vorhanden waren, die zu angemessenen Mieten gesunde, ge-
eigneso Räume boten. Der Bebauungsplan wurde also dahin abgeändert,
daß der für die Wohnhäuser bestimmte Grund und Boden für einen
großen Platz verwendet wurde.
In Liverpool wurden planmäßige Versuche gemacht, Familien,
deren ungesunde, ungeeignete Wohnungen von der Behörde geschlossen
worden waren, in bessere Wohnungen unterzubringen. Im Jahre 1896
war beschlossen worden, daß alle von der Gemeindebehörde errich-
teten Wohnungen einzig diesen Familien zugute kommen sollten. Im
Jahre 1912 waren 2727 solcher Wohnungen vorhanden mit einer Be-
wohnerzahl von 10099 Personen; von diesen Wohnungen waren 2171
für solche Familien reserviert, die wegen gesundheitsschädlichem Wohnens
oder wegen Ueberfüllung aus ihren Wohnungen entfernt worden waren.
Ist durch eine solche planmäßige Beseitigung ungeeigneter und gesund-
heitsschädlicher Stadtviertel eine günstige Wirkung auf den allgemeinen
Gesundheitszustand nicht zu unterschätzen, so hat man auch eine
merkbare Verbesserung in den Lebensgewohnheiten und Gebräuchen,
was das innere und äußere Ansehen der Wohnungen betrifft, feststellen
können. Freilich, und hier wird auch die beste Wohnungsgesetzgebung
Halt machen müssen, sind an diesem Fortschritt die ärmsten und ver-
wahrlosesten Schichten der Bevölkerung immer ausgeschlossen. Es
scheitern die besten Vorschriften einer Wohnungsgesetzgebung an dem
Menschenmaterial, das zäh und hartköpfig sich den Besserungsvorschlä-
gen widersetzt, dem die Einsicht und das Urteil fehlt, Beziehungen
zwischen Mensch und Wohnung zu erkennen und denen helle, luftige
Wohnungen, wo das Sonnenlicht den Schmutz und die verwahrloste
Wirtschaft unbarmherzig beleuchtet, ein wenig erstrebenswertes Ideal
bedeuten.
Dieser kleine Prozentsatz freilich hält Fortschritte nicht auf, die
gerade in hygienischer Hinsicht gemacht worden sind. Der Inspektor
von Liverpool berichtet, daß unter den verbesserten Wohnungsverhält-
nissen die allgemeine Sterbeziffer um mehr als die Hälfte gefallen sei
und daß die durchschnittliche Sterbeziffer an Tuberkulose in diesen
Wohnungen während der Jahre 1909—12 um 1,9 Proz. gesunken sei.
Auch die Annahme, daß die Beseitigung schlechter Häuserkom-
plexe zu einem Anwachsen der überfüllten Wohnungen und zur Ver-
größerung des Schlafgängerwesens führen würde, hat sich nicht be-
wahrheitet, vielmehr zeigt ein Vergleich solcher beanstandeter Häuser
von 1904 mit 22488 zu 16475 im Jahre 1912 einen recht beträcht-
lichen Rückgang.
Die Artikel 17 und 18 des Housing, Town Planning etc. Act 1909
geben den Ortsbehörden Mittel und Wege an, um Häuser, die sich in
einem so gefährlichen und gesundheitsschädlichen Zustand befinden,
daß sie ungeeignet zum menschlichen Wohnen sind, zu schließen und
abzureißen.
Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes von 1909 lag das ganze ein-
leitende Verfahren dem obersten Gerichtshof ob, was immer einen um-
ständlichen, kostspieligen und langwierigen Geschäftsgang bedeutete;
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 23
354 Miszellen.
das Gesetz von 1909 änderte dies Verfahren und ermächtigte die
Ortsbehörde, solche Befehle zu erlassen; ist das Haus, nachdem ein
Schließungsbefehl erlassen wurde, wieder in einen sauberen und zum
Wohnen geeigneten Zustand gebracht worden, so kann die Behörde ihre
Verfügung zurückziehen. Wird jedoch nichts zur Wiederinstandsetzung
des Hauses von seiten des Eigentümers getan, so kann nach einer ge-
wissen Zeit, in welcher auch der Eigentümer Einspruch erheben kann,
der Niederreißungsbefehl gegeben werden. Fühlt sich der Eigentümer
des Hauses durch den Niederreißungsbefehl oder durch die Schließung
der Räume in seinem Rechte beeinträchtigt, so hat er das Recht, beim
Gericht Berufung einzulegen.
Die Zahl der Distrikte, in welchen in bezug auf unzulässige Woh-
nungen Schließungs- oder Niederreißungsbefehle erlassen wurden, waren
folgende:
im Jahre 1909 458 Distrikte, das sind 25 Proz. der Gesamtzahl
» » 1910 474 D » n 2 „ » ”
” H 1911 850 Mi Wi HI 47 HI Hi HI
» » 1912 1192 a ih DÉI ag am D 3)
Das Anwachsen der Zahl der Distrikte, in welchen man sich mit
den ungesunden Wohnverhältnissen befaßte, ist ein guter Beweis von
der Brauchbarkeit, zugleich aber auch von der großen Notwendigkeit
des Gesetzes. Der Fortschritt mag durch folgende Zahlen noch weiter-
hin ergänzt werden:
1909 1910 1911 1912
Zahl der Wohnungen, über welche ent-
sprechend den Bestimmungen in Sek-
tion 30 des Gesetzes von 1890 und
Sektion 17 des Gesetzes von 1909
berichtet wurde 6312 6429 24429 47429
Zahl der Fälle, in welchen die Orts- Gesetz zu kleine Zah-
behörden nach Sektion 15 des Ge- noch nicht len, daher un-
setzes von 1909 vorgingen in Kraft genau 5221 12568
Zahl der Wohnhäuser, die ohne Schlie-
Bungsbefehl wieder in einen zum
Wohnen geeigneten Zustand gebracht
wurden 3731 3056 7042 13417
Wohnhäuser, die freiwillig geschlossen
oder abgerissen wurden 1510 1389 1419 1935
Schließungsbefehle 587 1511 4870 9 761
Niederreißungsbefehle 196 170 495 1423
Die Statistik zeigt recht deutlich eine mit jedem Jahr wachsende.
Zunahms der amtlichen Arbeit, ein durch das Wohnungsgesetz be-
günstigtes, straffes und einheitliches Handeln, das gegen die un-
gesunden Zustände in den Kleinwohnungen energisch und zielbewußt
zu Felde zieht. Daß durch das Arbeiten der Behörden auch der Privat-
eigentümer angeregt wurde, seine Häuser selbst ohne das Einschreiten
der Behörden abzuwarten, wieder in einen tauglichen Zustand zu ver-
setzen, erhellt aus der Tatsache, daß in den Jahren 1910—12 nicht
weniger als 20459 Häuser der 54069, welche als untauglich gemeldet
1) 42% Annual Report of the Local Government Board 1912—1913, 8. 25.
Miszellen. 355
worden waren, von dem Eigentümer ohne einen Schließungsbefehl
wieder instandgesetzt worden waren.
Weiter ist durch das Gesetz von 1909 angeordnet worden, daß
ein Schlafraum, der mehr als 3 Fuß=1 m unter der Straßenkante
liegt, als gesundheitsgefährlich und zum Wohnen untauglich angesehen
werden muß, wenn der Raum nicht eine Mindesthöhe von 2,30 m hat.
Den Teil II des Gesetzes von 1890, welcher sich mit dem zum
Wohnen gänzlich untauglichen Behausungen befaßt, sind die §§ 14
und 15 des Gesetzes von 1909 nahe verwandt. Diese Paragraphen.
bestimmen, daß Wohnungen, deren Mieten in London unter 40 £ =
800 M., unter 26 £ = 520 M. in Provinzstädten mit 50000 Einwohnern
und 16 £ = 320 M. in ländlichen Gemeinden und kleineren Städten
betragen, von dem Hauseigentümer in einem ordnungsgemäßen und
sauberen Zustand übergeben werden müssen, aber, und dies scheint
eine etwas empfindliche Härte zu sein, der $ 15 verpflichtet den Haus-
eigentümer, die Wohnungen auch während des Mietverhältnisses in
einem zum menschlichen Wohnen geeigneten Zustand zu erhalten.
Die folgende Tabelle gibt Einzelheiten über die Tätigkeit der
Wohnungsinspektion für das Jahr 1912 an.
England ohne Wales und
Monmouth- Monmouth- zusammen
shire shire
1. Zahl der Wohnungen, die während des
Jahres Anzeigen erhielten - 39 273 4508 43 781
2. Zahl der Wohnungen, bei denen der
Eigentümer vorzog, sie zu schließen
als den Anzeigen nachzukommen 1127 142 1269
3. Zahl der Wohnungen, die nach der
Anzeige in guten Zustand gebracht
wurden 28 524 2765 31 289
4. Zahl der Wohnungen, bei denen die
zwangsweise Instandsetzung durch-
geführt wurde 154 22 176
5. Zahl der Wohnungen, die bei Jahres-
schluß den Anordnungen noch nicht
nachgekommen waren 13 764 2035 15 799!)
6. 2—5 zusammen: 43 569 4964 48 533
Diese Tabelle zeigt recht deutlich, daß durch die Arbeit der In-
spektion eine große Zahl von Wohnungen, die gesundheitsschädlich,
verwahrlost oder zum Wohnen ungeeignet waren, wieder in einen
ordnungsgemäßen Zustand versetzt wurden.
Was nun die Herstellung und den Bau von Kleinwohnungen be-
trifft, so läßt sich im allgemeinen sagen, daß dies fast ausschließlich
dem Privatunternehmer überlassen gewesen ist, und daß nur in dem
Fall, wo dieser gänzlich versagte, die Behörden sich genötigt sahen,
dem Mangel zu begegnen. Die Furcht aber, es möchte der Privatbau
durch das Bauen öffentlicher Körperschaften zu einem Stillstand ge-
1) Die Differenz zwischen den Zahlen der Reihen 2—5 zu derjenigen von 1 ist
hauptsächlich dadurch verursa>ht, daß die Zahlen der Reihen von 2—4 eine größere
Anzahl von Wohnungen mit einschließen, die während des Jahres 1910—1911 Anzeigen
erhalten hatten, aber bis zum Jahresschluß noch nicht erledigt werden konnten.
23%
356 Miszellen.
bracht oder zurückgedrängt werden, kann nicht als berechtigt an-
erkannt werden. Haben doch die Behörden, wie schon erwähnt, sich
mit dem Bau von Kleinwohnungen eben nur dann erst befaßt, wenn
die Privatunternehmer völlig versagten, so daß von einer eigentlichen
Konkurrenz nicht gesprochen werden kann.
Man kann umgekehrt eigentlich von einem recht günstigen Ein-
fluß sprechen, der durch das Bauen öffentlicher Körperschaften auf
den Privatunternehmer ausgeübt wurde; baut eine Stadtgemeinde ein
Kleinwohnhaus, oder, wie es meistens der Fall ist, ganze Häusergruppen,
so wird ihr in erster Linie die Zweckmäßigkeit der Wohnungen, be-
queme, für die Gesundheit der Bewohner berechnete Einrichtungen.
und das freundliche, angenehme Straßenbild maßgebend sein, während
seine Rentabilität gewiß ein wichtiger Punkt, dennoch aber erst in
zweiter Linie berücksichtigt werden wird. Werden nun solche Häuser
von der Stadt gebaut, so ist auch der Privatunternehmer gezwungen,
um nicht bei einem Vergleich ungünstiger dazustehen, bei dem Bau
nicht nur seinen pekuniären Vorteil als oberstes Grundprinzip walten
zu lassen, sondern eine zweckmäßige Einrichtung und freundliches
Aussehen der Wohnungen nicht unbeachtet zu lassen.
Andererseits aber wird eine Behörde, die als Bauherrin auch die
Bauordnungen zu beachten und einzuhalten hat, einen Einblick be-
kommen in die oft nicht mehr zeitgemäßen und daher für die heutige
Bauweise recht lästigen Vorschriften; sie kann dadurch bessernde Aen-
derunger in den Ortsstatuten vornehmen und auf diese Weise dem
Privatunternehmer Erleichterungen beim Bau und Ansporn zum Klein-
wohnungsbau geben.
Der Bericht über die Zählung im Jahre 1911 bringt im Teil IV
recht interessante Einzelheiten über die Zahl der bewohnten Häuser
und der durchschnittlichen Bewohnerzahl. Während es im Jahre 1901
6260852 bewohnte Häuser gab, waren sie nach 10 Jahren auf
7141781 angewachsen. Die durchschnittliche Bewohnerzahl eines Hauses
betrug im Jahre 1911 5,01 gegen 5,20 im Jahre 1901. Diese Zahlen
ändern sich, wenn man die städtischen Distrikte (London und die
Kreisstädte inkl.) gesondert von den ländlichen Bezirken betrachtet;
es war die durchschnittliche Bewohnerzahl
1901 1911
in den Städten 5,40 5,23
in den ländlichen Bezirken 4,58 4,51
Es muß auch noch hinzugefügt werden, daß im allgemeinen wäh-
rend dieser 10 Jahre keine wesentliche Aenderung in der Größe und
Beschaffenheit der Häuser eingetreten ist, so daß diese Durchschnitts-
zahlen ein Anwachsen des Luftraumes in den Wohnungen pro Kopf
der Bevölkerung anzeigen, der in den Städten größer gewesen ist, als
in den ländlichen Bezirken.
Die verhältnismäßig niedere Bewohnerzahl eines Hauses in Eng-
land ist durch die allgemeine Sitte bedingt, daß jede Familie, wenn
irgend möglich, ein Haus allein bewohnt. Sind in London zwar große
Mietskasernen nicht selten, und sind viele Familien gezwungen, eine
Miszellen. 357
Etagenwohnung zu beziehen, so findet man aber auch in London gerade
ganze Straßenzüge, ja große Flächen mit Einfamilienhäusern be-
setzt, und zwar nimmt diese Bauart, je mehr man der Peripherie der
Stadt sich nähert, mehr und mehr zu; wir werden weiter unten aus-
führlicher auf diese Häuser, seine Mieten und Bewohner zurückkommen.
Geben die obigen Zahlen ein verhältnismäßig günstiges Bild über
die Abnahme der Wohndichtigkeit, so ist es doch ganz klar, daß durch
diese Durchschnittszahlen oft der. wahre Zustand verschleiert wird.
Die Berichte der Medical Officer of Health zeigen, daß in manchen
Gegenden die Vorsorge mit Häusern ungenügend ist und nicht mit
dem Wachsen der Bevölkerung Schritt hält; auch scheint oft die Be-
hörde durch den Eigenbau so in Anspruch genommen zu sein, daß sie
die unzulässigen und schlechten Häuser dann gänzlich außer acht läßt.
Die Probleme, denen man bezüglich des Hausbaues durch die Be-
hörden gegenüber steht, sind in Stadt und Land verschiedener Art.
Wenn man auch hauptsächlich in den ländlichen Bezirken einer wirk-
lichen Schwierigkeit und Schwerfälligkeit der Behörden begegnet, sich
selbst mit der Vorsorge für Kleinwohnungen zu befassen, so ist dies
keineswegs nur an diese Bezirke gebunden. Den gleichen Widerstand,
selbst das Bauen zu unternehmen, findet man auch in einigen städti-
schen Bezirken, wo es an Wohnungen mangelt, die sehr wohl ohne
große Schwierigkeit erbaut und zu einem Preis vermietet werden
könnten, den die Arbeiterbevölkerung ohne weiteres zahlen könnte
und auch würde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dem Wohnungs-
bau in Landgemeinden größere Schwierigkeiten entgegenstehen als
in den Städten. Die Landbevölkerung an sich ist daran gewöhnt,
einen nur ganz geringen Mietspreis, der mit dem, was verdient wird,
meist nicht in richtigem Verhältnis steht, auszugeben. Baut aber eine
Behörde, so hat sie die Vorschriften des Gesetzes von 1909 zu be-
achten, und wird, auch wenn sie nur die billigsten Wohnungen erstellt,
doch mit dem Mietspreis, um nicht Verluste zu haben, über die land-
läufigen Preise gehen müssen. Weiter ist die Möglichkeit zu beachten,
daß Industrien, die sich in ländlichen Bezirken ansiedelten, und deren
Arbeiterschaft den Mangel an Kleinwohnungen hervorruft, zurück-
gehen oder sich an anderen günstigeren Orten ansiedeln können, so
daß diese Häuser überflüssig und unnütz werden, und den Behörden
daraus ein großer Schaden erwächst. Alle diese Schwierigkeiten treten
in den Städten nicht so schroff hervor; besonders ist das Risiko wegen
der viel rascher fluktuierenden Bevölkerung, der stärkeren Nachfrage
bei weitem nicht so bedeutend, wie in den ländlichen Bezirken. Viel-
mehr bildet in den Städten der Ankauf von geeignetem Grund und
Boden eine Hauptschwierigkeit bei dem Bau von Kleinwohnungen ;
doch hat das Gesetz von 1909 die Wege, Land für diese Zwecke
durch das Enteignungsverfahren zu erlangen, bedeutend vereinfacht.
Trotzdem werden nur ganz vereinzelte Fälle berichtet, wo die Behörden
aus zwingendsten Gründen zu diesem Mittel greifen mußten.
Eine weitere Schwierigkeit, die oben schon kurz angedeutet wurde,
und der daraus entstehende Widerstand, Wohnungen zu bauen, findet
358 Miszellen.
sich dort, wo die Industrien mehr und mehr zurückgehen. Es wider-
strebt dort dem Privatunternehmer sowohl als auch den Behörden,
Wohnungen zu erbauen; und selbst die Voraussicht, daß durch Er-
stellung günstigerer Wohnbedingungen die Abwanderung aufgehalten
wird und dadurch die Ausgaben sich teilweise bezahlt machen werden,
wird schwerlich allein ausschlaggebend für die Behörden sein.
Umgekehrt wird ein großer Wohnungsmangel dort eintreten, wo
neue Industrien entstehen, größere Unternehmungen auf das Land ver-
legt werden, und nun der plötzlichen Nachfrage nach Kleinwohnungen
kein entsprechendes Angebot gegenübersteht, und wo auch der Unter-
nehmer selbst nicht die notwendigen Schritte tut, um seine Arbeiter-
schaft einigermaßen unterzubringen. Meist hat er bei dem Bau der
Fabrikgebäude, Maschinen usw. sich selbst so erheblich belastet, daß
es für ihu für den Anfang ganz unmöglich ist, weitere Summen zum
Bau von Arbeiterwohnungen flüssig zu machen. Oft aber ist auch die
Entfernung von der nächsten Stadt nicht groß, und der Arbeiter kann
zu Fuß oder mittels billiger Transportmittel seine Arbeitsstätte er-
reichen. Dieser ziemlich plötzlich einsetzende Zuzug einer größeren
Zahl von Arbeiterfamilien löst aber dann in dieser Stadt, die vorher
vielleicht nur über einen kleinen Prozentsatz von leeren Arbeiter-
wohnungen verfügte, einen empfindlichen Mangel an solchen Woh-
nungen aus. Der private Unternehmer wird nicht sofort das Risiko
übernehmen, solche Kleinwohnungen zu bauen, und so fällt die Sorge
dafür den Behörden zu, die natürlich aus dem Grunde widerstreben,
sofort zu handeln, da ihnen oft die Möglichkeit fehlt, die Wahr-
scheinlichkeit der dauernden Existenz des Unternehmens abzuschätzen.
Zweifellos würde ein Gesetz, das den Unternehmer in ländlichen Be-
zirken verpflichtete, beim Bau der Fabrikgebäude zugleich Wohnungen
für seine Arbeiter bereitzustellen, nicht unbillig sein und dem Wohnungs-
mangel abhelfen. 4
Freilich wird dies nicht in der Weise geschehen dürfen, daß der
Unternehmer zugleich als Hausbesitzer auftritt und die Sorgen und vielen
Mühen, die die Verwaltung der Kleinwohnungen mit sich bringt, allein
auf seine Schultern nimmt. Man hat aber in anderer Weise versucht,
diesem Uebelstande abzuhelfen und die Wohnungsnot nicht nur zu
mildern, sondern auch die wirtschaftliche Lage des Arbeiters durch
den Bau gesunder, luftiger Wohnungen, die entweder vermietet oder
verkauft werden, zu bessern. Wir werden auf die verschiedenen Arten
der Systeme im folgenden Abschnitt näher eingehen.
3. Die Aufgaben der Wohnungsinspektion.
Das bisherige Recht war davon ausgegangen, daß man in bezug
auf Erbauung von Wohnhäusern, deren Benutzung usw., einem jeden
vollə Freiheit lassen müsse. Mit der zunehmenden Bevölkerungsdichtig-
keit in den Städten machten sich die Schattenseiten dieses Systems
bald bemerkbar; zu verderblich wurden seine Folgen; ungesunde Zu-
stände, eine mehr und mehr zutage tretende Unmoral, verheerende
Miszellen, 359
Volkskrankheiten entsprangen dieser fast schrankenlosen Willkür in der
Handhabung der Erstellung und Benutzung von Wohnungen. Waren auch
anfänglich, nach dem Zustandekommen des ersten Wohnungsgesetzes
von 1851, die Beschränkungen, die vom Gesetz dem Einzelnen auferlegt
wurden, nicht streng, so bedeuteten sie, die vor allem eine hygienisch
einwandfreie Wohnung verlangten, einen starken Eingriff in die be-
stehendo Freiheit; auch war die Obrigkeit befugt, Bauerlaubnis zu
geben und zu verweigern, wo immer es ihr nach diesen Richtungen
hin angemessen erschien. Hatte man doch früher allerdings Wohnungs-
verhältnisse gestattet, die den einfachsten Gesetzen der Hygiene gänz-
lich widersprachen, und hatte man die Straßen so eng und winklig
angelegt, daß den Bewohnern in keiner Weise die nötige Luftzufuhr
zukam. Nun wurde es anders, die Hygiene und allgemeine Sicherheit
stellten höhere und weitgehendere Anforderungen.
Lag anfänglich die Handhabung der Inspektion bei den Bezirks-
behörden, und war es jeder einzelnen Verwaltung überlassen, viel oder
wenig zu leisten, so waren doch die daraus sich ergebenden Mißstände
derart, daß man sich gezwungen sah, eine eigene Behörde zu schaffen.
The Public Health Act 1875 legte zum erstenmal den einzelnen Be-
zirken und Distrikten die Verpflichtung auf, für die Einsetzung und
Unterhaltung einer Wohnungsinspektion zu sorgen; dieses Gesetz wurde
durch Zusätze in den Jahren 1890 und 1907 erweitert, oder es wurden
bestehende Bestimmungen durch neue ersetzt. Die Aufsicht und Ver-
arbeitung des gesamten Materials liegt einer Zentralbehörde, dem
Generalbauamt (Metropolitain Board of Works), einer Unterabteilung
des Ministeriums des Innern (Home Office), ob.
Die Wohnungsinspektion jedes Bezirks zerfällt in drei Unterabtei-
lungen, die aber alle das Recht haben, Wohnungen zu besichtigen; alle
drei unterstehen der Gemeindebehörde, zwei von ihnen außerdem der
Gesundheitsbehörde (Publie Health Department), welche einen Teil
der Gemeindebehörde bildet.
Die drei Unterabteilungen sind folgende:
Der Bauinspektor (Building Inspector); er sieht alle Pläne neu
zu erbauenden Häuser durch und hat darauf zu achten, daß diese
Pläne den Baugesetzen entsprechen. Ist das Haus fertig gebaut, so
hat er zu prüfen, ob der Bau den Plänen entsprechend ausgeführt
wurde. Weiterhin unterstehen seiner Aufsicht alle baulichen Verände-
rungen und Reparaturen an den Häusern, er hat in seinem Bezirk be-
sonders auf den guten Zustand der Kamine, sowie auch des äußeren
Hauses zu achten.
Die zweite Unterabteilung ist durch den Gesundheitsinspektor
(Sanitary Inspector) vertreten; dieser ist für den guten Zustand der
Kanalisation und Entwässerungsanlagen, für die Wasserversorgung,
ihren Zu- und Abfluß verantwortlich; er hat ferner der Ueberfüllung
der Wohnung, der mangelnden Geschlechtertrennung in den Schlaf-
räumen Beachtung zu schenken und nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten.
Die dritte Unterabteilung wird von der Gesundheitsinspektorin
(Woman Sanitary Inspector) verwaltet; sie hat ganz besonders auf
360 Miszellen.
einen guten inneren Zustand der Wohnung, auf die Reinlichkeit, Lüf-
tung und gute Instandhaltung der Wohnung zu achten; weiterhin liegt
ihr ob, sich über den augenblicklich bestehenden Gesundheitszustand
der Bewohner zu orientieren.
Will man die Aufgaben der 3 Abteilungen mit einigen knappen
Worten festlegen, so kann man sagen, daß dem Bauinspektor die Be-
obachtung der Bauweise, dem Gesundheitsinspektor die Beobachtung
der Kanalisation, und der Gesundheitsinspektorin die Beobachtung der
Reinlichkeit der Wohnungen und der Gesundheit der Bewohner als
Arbeitsfeld übertragen wurde.
Alle 3 Abteilungen arbeiten Hand in Hand und berichten sich
gegenseitig über ihre Beobachtungen; besonders eng berühren sich
die Gebiete der Gesundheitsinspektoren und der weiblichen Inspek-
toren. Der Geschäftsgang bringt es mit sich, daß diese beiden Ab-
teilungen die gleichen Untersuchungen resp. Besichtigungen der Woh-
nungen vornehmen. Findet nun die Gesundheitsinspektorin bei einer
Besichtigung, daß die Kanalisation in schlechtem Zustand ist, so be-
richtet sie dem Gesundheitsinspektor ihres Distrikts; fällt diesem ein
Haus auf, in dem die Räume verwohnt und schmutzig, die Kinder
vernachlässigt sind, so übergibt er seine Beobachtung zu weiterer
Bearbeitung an die Inspektorin.
In einigen Bezirken, in welchen die Frau als weiblicher Gesund-
heitsinspektor angestellt ist, hat sie auch ihre eigenen Fälle, die eine
gerichtliche Auseinandersetzung verlangen, vor Gericht selbst zu ver-
treten; doch ist das nur noch bei einigen wenigen der Fall. Meistens
übernehmen jetzt die Gesundheitsinspektoren die Vertretung vor der Be-
hörde, und die weiblichen Inspektoren erscheinen nur, wenn es not-
wendig ist als Zeuge aufzutreten, also beim Beweisverfahren. Dies
scheint auch der bessere und geeignetere Weg zu sein, denn man kann
eine Mieterin nicht einmal vor Gericht wegen Unsauberkeit, Ueberfüllung
usw. verklagen, und anderen Tags freundlich mit ihr wieder plaudern,
ihr Verhaltungsmaßregeln geben, wie sie ihr Kind kräftig ernähren
soll, oder wie sie die Wohnung besser ausnützt u. a. m.
Es ist nicht zu leugnen, daß gerade die weibliche Inspektion das
interessanteste, lebendigste, wenn auch schwierigste Arbeitsgebiet der
Wohnungsinspektion ist. Während die beiden anderen Inspektoren
sich hauptsächlich mit dem Haus an sich, mit der richtigen Verwendung
des Materials, der Innehaltung der Bauvorschriften, der Instandhaltung
des Gebäudes beschäftigen, hat es die weibliche Inspektorin mit dem
lebendigen, aber ungleich schwierigeren Material, dem Menschen selbst,
zu tun; ihre Aufgaben liegen tiefer, ihre Erfolge sind weniger sinnfällig.
Sie soll durch die Ueberwachung der wirtschaftlichen und gesundheit-
lichen Zustände in den einzelnen Familien eine Aenderung in den
schlechten Lebensgewohnheiten herbeiführen, durch Aufklärung und
Unterweisung den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung
bessern helfen; dies bedarf aber langer, unerschrockener, geduldiger
Kleinarbeit.
Miszellen. 361
Aus diesen kurzen Bemerkungen geht hervor, daß die Arbeit der
Gesundheitsinspektorin eine ungeheuer vielseitige ist, so daß eine etwas
ausführlichere Besprechung ihres Arbeitsgebietes interessant erscheint.
Die Gesundheitsinspektorin hat bei einem Besuch der Wohnungen
in erster Linie auf den sauberen, ordentlichen Zustand der Räume
zu achten, ferner, ob der gesetzlich verlangte Luftraum in dem Schlaf-
raum vorhanden und die Geschlechtertrennung durchgeführt ist. Findet
sie Mißstände vor, so muß sie von der Inhaberin der Wohnung in
freundlicher, doch energischer Weise die Beseitigung der Schäden ver-
langen; sie muß ihr einige Winke geben, auf welche Art sie diesen
Pflichten nachkommen, wie sie die Räume besser ausnützen kann, und
muß ihr eindringlich die Vorteile einer sauberen und ordentlichen Woh-
nung vor Augen führen. Zeigen mehrmalige, nach einer gewissen Frist
durchgeführte Nachbesichtigungen, daß die mündlichen Besprechungen
zu keinem Resultat führten, so erhält die Inhaberin der Wohnung
einen Brief, in welchem sie nochmals aufgefordert wird, die Mißstände
zu beheben. Der Brief hat folgenden Wortlaut:
„An den Eigentümer oder Mieter Herrn oder Frau X.
Street No. .. Ich habe das obenbenannte Grundstück besucht und ge-
funden, daß folgende Schäden, die mit Nummer .... in dem Ver-
zeichnis auf der Rückseite angeführt sind, und zu deren Beseitigung
Sie verpflichtet sind, vorhanden sind.
Ich benachrichtige Sie daher durch diese schriftliche Mitteilung
von dem Vorhandensein der obengenannten Schäden in meiner amt-
lichen Eigenschaft, und ich ersuche Sie, diese Schäden innerhalb ....
Tagen zu beseitigen.
Nach Ablauf dieser Frist werde ich Ihr Grundstück nochmals
besichtigen, und ich werde mich, bei Nichtbeseitigung der Mißstände,
gezwungen sehen, der Bezirksbehörde, als der in diesem Distrikt zu-
ständigen Gesundheitsbehörde, Mitteilung davon zu machen, welche
dann gegen Sie mit einer gerichtlichen Aufforderung vorgehen wird.
Die Kosten dieses Verfahrens fallen nach § 104 des Public Health Act
1875 Ihnen zur Last.“
Von den auf der Rückseite aufgeführten 67 verschiedenen Arten
von Schäden, welche bei der Besichtigung zu berücksichtigen sind,
seien einige bemerkenswerte hervorgehoben: das Haus oder einzelne
Räume in schmutzigem, baufälligem, feuchtem Zustand; das Wasser-
kloset ohne Wasserspülung, unsauber angelegt, vernachlässigt, unge-
nügend entlüftet, überfüllte Räume, das Pflaster des Hofes in ver-
wahrlostenı Zustand usw.
Man hat die Beobachtung gemacht, daß die bloße Zuschickung
des Briefes recht oft erfolgreich war, und man schreibt diesen Erfolg
zu einem großen Teil seiner blauen Farbe zu, besonders in den Fällen,
wo es sich um Abstellung und Beseitigung verwahrloster Räume und
Wohnungen handelte und die Schuld meist in dem mangelnden Ord-
nungs- und Reinlichkeitssinn der Frau lag. Nach Versicherungen
362 Miszellen.
einer Inspektorin wirkt dieser „blaue Brief“ oder nur die Androhung
eines solchen oft Wunder und unterstützt die Inspektorinnen in ihrer
erzieherischen Tätigkeit außerordentlich. Ist es doch einer Frau nicht
angenehm, von den lieben Nachbarn als unsauber und nachlässig an-
gesehen zu werden, denen der „blaue Brief“ nicht verborgen bleibt,
denn das seltenere Erscheinen eines Briefträgers verursacht in diesen
Kreisen, wo einer den andern gut kennt, schon ein gewisses Auf-
sehen. Ferner aber ist die Furcht vor dem Gatten, der sehr zornig
werden kann, wenn sein Name auf der Liste der unsauberen, vernach-
lässigteun Wohnungen steht, recht groß, und veranlaßt die Frau, die
Schäden zu beseitigen. Eine Frau, die vergeblich versucht hatte, den
erhaltenen Brief ihrem Manne zu verbergen, sagte später einmal zu
der Inspektorin, „das ist doch nicht recht, Sie bringen ja Unfrieden in
die Familie.“ Bemüht man sich somit, die Bewohner zur besseren
Instandhaltung der Wohnungen zu erziehen, so ist es ferner die Auf-
gabe der Gesundheitsinspektorinnen, die gesundheitlichen Bedingungen
und Zustände zu berücksichtigen, und auch hier belehrend und auf-
klärend zu wirken. Denn die Erfahrung zeigt immer von neuem, daß
die einfachsten hygienischen Bedingungen, Luft, Licht und Reinlichkeit,
ferner die Säuglingspflege, die Verhütung der Uebertragung anstecken-
der Krankheiten noch unbekannte Gebiete sind, daß Aberglaube und
Kurpfuscherei noch eine recht bedeutende, unheilvolle Rolle spielen.
Das Publie Health Department ist für jeden Bezirk die Stelle, in welcher
alle Berichte über den gesundheitlichen Zustand der Bewohner zentral
zusammenlaufen. Die Organisation dieses Amtes scheint eine außer-
ordentlich gute und einheitliche zu sein. Während bis vor kurzem
der Mensch als solcher nur als Zahl (Geburt und Tod) aufgefaßt wurde,
sind die Einrichtungen jetzt so getroffen, daß das ganze Leben eines
Menschen, was seine Gesundheit betrifft, in vollständigem Zusammen-
hange zu ersehen ist. Aufzeichnungen, von der Geburtsanzeige an, über
die Art und Dauer einer ansteckenden Krankheit, über das Seh- und
Hörvermögen während der Schulzeit, Unfall usw. während der Er-
werbstätigkeit, sind über jeden einzelnen Bewohner des Bezirks aus
den Akten im Gesundheitsamt zu ersehen. Jeder Arzt, jede Behörde,
wie Schule, Krankenkasse u. a. m., sind verpflichtet, dem Gesundheits-
amt Mitteilung von allen vorkommenden Krankheitsfällen zu machen.
Die Gesundheitsinspektorinnen haben alle ihnen vorkommenden Fälle
auch zu berichten und dafür zu sorgen, daß bei ansteckenden Krank-
heiten die Erkrankten möglichst sofort in das Hospital gebracht
werden, in welchem Kinder gänzlich kostenlos aufgenommen werden,
um ein Umsichgreifen von Infektionskrankheiten zu verhüten. Um
die Büroarbeit zu erleichtern und übersichtlicher zu machen, hat man
für die Karten, die über verschiedene Krankheiten ausgestellt werden,
verschiedene Farben gewählt; auf diese Karten wird neben dem Namen,
Alter, Geschlecht und Wohnung die Dauer der Krankheit vermerkt,
welche Familien wahrscheinlich in nahe Berührung mit dem Kranken
kamen, ob in nächster Nähe die gleiche Krankheit war u. a. m. Dies
Material zu sammeln ist eine weitere Aufgabe der Gesundheitsinspek-
Miszellen. 363
torin. Ferner muß jede Geburt auch dem Amt gemeldet werden; dies
antwortet damit, daß es an die Mutter ein kleines Schriftchen ‚‚with
the compliments of the Medical Officer of Health“ schickt, in welchem
in kurzen Worten die nötigsten Verhaltungsmaßregeln für die Mütter
und das Kind, seine Ernährung, die Bedeutung des täglichen Badens
usw. gegeben werden. Die Gesundheitsinspektorin besucht die Mutter
ungefähr 8 Tage nach der Geburt und sucht sie nur dann nochmals
auf, wenn der Gesundheitszustand der Mutter oder des Kindes kein
guter war.
Außerdem wurde seit April 1911 in einem Distrikt durch eine
Gesundheitsinspektorin „the Babies Welcome“ ins Leben gerufen, eine
Anstalt, in welche junge Mütter ihre Säuglinge bringen können und
Rat und Hilfe in den Fragen der Säuglingspflege erhalten. ‚The
Babies Welcome“ ist in einem der ärmsten Teile des Distrikts gelegen,
und ist einmal wöchentlich zum Zweck der Konsultation geöffnet. Die
Zahl der Mütter, welche diese Einrichtung gebrauchen, ist in ständigem
Steigen begriffen, ja einige Mütter bringen nun schon den zweiten
Säugling. Die Methode ist folgende: Die Säuglinge werden gewogen,
und den Müttern wird Anweisung gegeben, wie sie die Kleinen kleiden
und ernähren sollen; wenn es irgend die Zeit erlaubt, plaudert die
Inspektorin noch ein wenig mit den Müttern, hält sie an, in ihrer
freien Zeit einfache Kleidungsstücke selbst herzustellen, oder gibt ihnen
ein gutes, passendes Buch zum Lesen. Die wachsende Beliebtheit
dieser Einrichtung wird voraussichtlich dazu führen, daß an den Kon-
sultationsstunden sich noch einige Inspektorinnen beteiligen müssen.
Die Vorbildung der Gesundheitsinspektorinnen ist vorläufig noch
eine recht verschiedene. Besitzen die schon länger Angestellten meist
die Qualifikation einer Hebamme, so ist man in neuester Zeit dazu über-
gegangen, Frauen anzustellen, die die 3-jährige Lehrzeit mit ab-
schließendem Examen als „nurse‘‘ durchgemacht haben. Die Leiterin
der Abteilung eines Bezirks, eine hochgebildete, kluge Frau, die ein
Hebammenexamen abgelegt hatte, hält aber die Ausbildung einer ‚‚nurse‘
für unzweckmäßig und falsch. Durch die 3-jährige Lehrzeit, während
welcher die Mädchen nur die Anweisungen des Arztes zu befolgen und
sich seinen Anordnungen zu fügen haben, geht den meisten Absol-
ventinnen das Gefühl der Selbstverantwortung und der Sicherheit, die
schnelle Entschlußfähigkeit, verloren, welche bei den Gesundheitsin-
spektorinnen von so ungemein großer Wichtigkeit ist.
Ferner erscheint es notwendig, daß die weibliche Inspektorin eine
den besseren Ständen angehörende Frau ist, die eine gute, vertiefte
Bildung besitzt und Takt und sicheres Auftreten in sich vereint. Die
Inspektorin hat die Erfahrung gemacht, daß die Leute die Frau aus
ihrem Stande nicht schätzen; sie wollen bei einer gebildeten Frau
Verständnis in ihren mannigfachen Nöten, Rat in häuslichen Ange-
legenheiten finden. Auch darf die Inspektorin nicht zu jung sein;
fehlt ihr die notwendige Erfahrung und das Verständnis für wichtige
Fragen, so kann man auch sogleich bemerken, daß die Bevölkerung
ihr nicht nur kein Vertrauen schenkt und die gegebenen Ermahnungen
364 Miszellen.
unbeachtet läßt, sondern sie nur als störenden Eindringling betrachtet,
dem es nicht zukommt, sich in die häuslichen Verhältnisse zu mischen.
Ein weiterer wichtiger Faktor, Ansehen und Achtung bei den
Leuten zu erhalten, ist das Tragen einer gut aussehenden, netten Klei-
dung; so erzählte mir eine Inspektorin, daß sie fühlt, wie sie etwas
von ihrer Autorität den Leuten gegenüber verliert, hat sie einmal bei
schlechtem Wetter ältere Kleider angezogen. Die Tendenz, die gerade
in der letzten Zeit mehr Anhänger gefunden hatte, daß nämlich die
„nurses“ auch in ihrer Tätigkeit als Gesundheitsinspektorinnen ihre
Tracht weiter tragen, scheint nicht von Vorteil für die Arbeit zu sein.
Es erregt immer Aufsehen in einem meist von Arbeiterbevölkerung
bewohnten Viertel, wenn eine ,nurse“ in eins der Häuser geht. Man
vermutet sofort Krankheit, wo doch nur besichtigt werden soll; oder
aber, die Inspektorin, von weitem schon an der Kleidung kenntlich,
findet verschlossene Türen, besonders dort, wo eine Besichtigung
dringend notwendig wäre.
4. Die Herstellung von Kleinwohnungen.
Das Sprichwort „my house is my castle“ ist so recht aus der Eigen-
art des Engländers heraus geprägt; gibt es doch wohl kaum ein
modernes Volk, welches sein Heim so vollständig den Blicken Fremder
abschließt. als dieses. Unterstützt wird dies Gefühl des Stolzes und
der Macht im eigenen Heim durch das Gesetz, welches nicht zuläßt, daß
jemand ohne weiteres in seinem Haus verhaftet werden kann, ihm also
darin eino Freistatt gewährt!).
Diesem Abgeschlossensein entsprechend, entstand die in England
typische Bauart des Einfamilienhauses, und zwar für alle Schichten der
Bevölkerung. Finden sich naturgemäß auch Mietskasernen vor, die in
London, der großen "Metropole, eine entsprechend höhere Zahl als in
anderen Städten erreichen, so sind sie dennoch nicht geeignet, den herr-
schenden, überall hervortretenden Typus des Einfamilienhauses zu ver-
drängen.
Die Erstellung dieser kleineren Wohnhäuser war ungemein segens-
reich für die ganze Entwicklung des Volkes, namentlich in gesundheit-
licher Beziehung. Lange, einförmige, mit hohen Mietskasernen be-
setzte Straßenzüge, in die oft kaum ein Sonnenstrahl fällt, finden sich
nur selten; damit fallen auch zu einem großen Teil die engen, licht-
losen Höfe fort, dunkle, unbelichtete Kammern usw. Man findet viel-
mehr recht oft kleine Vorgärten, und mit Grün bewachsene Häuser ge-
hören nicht zu den Seltenheiten. Hat man aber Gelegenheit, das Innere
1) Als typisches Beispiel diene folgendes: Der Haftbefehl gegen Mrs. Pankhurst
war ausgesprochen; eine Anzahl von Detektiven bewachte Tag und Nacht alle Aus-
gänge, Fenster usw. ihrer Mietswohnung in Westminster. Ihre Freunde gingen ab und
zu, und es gelang ihnen, trotz der sorgfältigen Bewachung, die Polizei zu täuschen.
Mrs. Pankhurst verließ das Haus in der Verkleidung eines alten Mütterchens, das un-
gehindert passieren durfte, während eine Freundin, in den Kleidern der Mrs. Pankhurst,
sofort beim Verlassen des Hauses verhaftet wurde, schließlich jedoch, als man den Fehl-
griff bemerkte, freigelassen werden mußte,
Miszellen. 365
dieser Arbeiterwohnhäuser zu sehen, so ist zweierlei immer wieder ‘neu
ünd überraschend: die zu allen Tageszeiten saubere und freundliche
Küche und die ausgiebige Verwendung der vorhandenen Räume zu
Schlafzimmern. Diese Sauberkeit und Ordnung in der Küche war immer
von neuem verblüffend, war es doch möglich, zu allen Tageszeiten in
die Häuser hineinzukommen, wo man doch einmal eine etwas un-
saubere Küche hätte vorfinden können. Die sehr praktische Anlage
einer Abwaschküche — scullery — in der alle Schmutzarbeiten gemacht
werden, und in welcher sich meist ein großer Kessel für die Warm-
wasserversorgung, sehr oft auch zugleich die Badeeinrichtung befindet,
verhindert, daß die Küche, die meist als Wohnküche benutzt wird, ein
unfreundliches, unwirtliches Aussehen erhält. Von der sogenannten
„kalten Pracht‘ findet man kaum einmal etwas in den englischen
Arbeiterwohnungen; die Möbel sind praktisch und einfach hergestellt,
unnütze Plüschmöbel, billige, imitierte Holzschnitzereien an Schränken,
Stühlen usw. fehlen fast vollständig, und der Gesamteindruck eines
Wohnraumes ist behaglich und zweckentsprechend.
Man kann in England zwei große Systeme unterscheiden, nach
denen das Mietverhältnis sich richtet: freehold und leasehold houses,
d. h. solche mit freiem Grundbesitz und andere, bei denen der Grund
und Boden gegen Zahlung einer Grundrente abgegeben wird. Dem-
entsprechend haben sich auch verschiedene Formen ausgebildet, Wohn-
häuser zu kaufen, für eine längere Zeit zu pachten oder zu mieten. Die
Ansichten über die Güte jedes einzelnen Systems gehen naturgemäß
weit auseinander, doch scheint es neuerdings, als ob das System des
eigenen Hausbesitzes mehr und mehr festen Fuß faßt, dank der immer
feiner und besser ausgebildeten Formen der Baugesellschaften, wie
später näher ausgeführt werden soll.
Als Vorteile der gepachteten und gemieteten Häuser führt man an,
daß einmal die Beweglichkeit des Mieters, die Möglichkeit, den Wohn-
sitz aus pekuniären oder anderen Rücksichten zu wechseln, eine un-
gleich größere sei, als bei dem Eigenbesitz. Die Anhänger dieses
Systems betonen außerdem, daß die ganze Bauweise solider ist und
alles aus bestem Material hergestellt wird. Ferner kann es nicht ge-
schehen, daß der Inhaber des Hauses nach seinem eigenen Ermessen
darin schalten und walten kann, daß er vielleicht durch Einbauen
eines Ladens das Gesamtbild eines Straßenzuges plötzlich stört oder
den Nachbar auf irgendeine Art belästigt. Er hat sich den Bedingungen
der Gesellschaft zu fügen, und dies wird oft als recht lästige Beigabe
betrachtet. Es scheint aber, als ob das leasehold-System das ältere
der beiden ist; finden sich doch in London Gesellschaften, die 40
Jahre und mehr bestehen; es sei hier beispielsweise the Artizans
Labourers and General Dwellings Company genannt. Diese kaufte in
den 70er Jahren große Landflächen an der Peripherie, und zwar in den
verschiedenen Richtungen Londons zu einem verhältnismäßig niedrigen
Preis auf. Man errichtete nach und nach, je nachdem der Bedarf sich
zeigte, Einfamilienhäuser in drei verschiedenen Typen, die entsprechend
der Größe und Zahl der Räume zu verschiedenen Mietspreisen abge-
366 Miszellen.
geben werden. Der größte Teil des damals angekauften Landes ist
schon bebaut worden, es finden sich nur im Norden Londons noch
kleinere Freiflächen. Einen Begriff von der Ausdehnung und Größe
der Gesellschaft geben die folgenden Zahlen. Die Gesellschaft besitzt
in London 218,5 acres = 88022 ha Landfläche, auf der sich
5042 Einzelhäuser,
360 Doppelhäuser (2 Mieter),
3723 Wohnungen in Häusern mit mehreren Stockwerken
befinden. Innerhalb der Häuserkomplexe sind 251 Läden eingerichtet
worden. Außerdem besitzt die Gesellschaft ca. 62 acres = 251 ha Grund
und Boden, auf welchen Häuser mit größeren Wohnungen stehen, für
die vierteljährlich, teilweise sogar jährlich Miete gezahlt wird. Die
immer mehr und mehr sich ausdehnende Großstadt hat jetzt die damals
an der Peripherie liegenden Flächen weit überholt; ganze Stadtteile
und Vorstädte haben sich davor gelagert. Dementsprechend ist der
Wert des Grund und Bodens von Jahr zu Jahr gestiegen. Der große
Vorteil liegt nun darin, daß die Gesellschaft sich gut rentiert (4 Proz.
Dividende), obwohl sie die Mieten nicht der Wertsteigerung des Grund
und Bodens entsprechend gesteigert hat. Die Nachfrage nach diesen
Wohnhäusern ist eine ungemein starke, und es tritt selten der Fall ein,
daß ein Haus leer steht.
Die Mieter dieser Arbeiterwohnhäuser setzen sich zum größten
Teil aus Straßenbahn- und Postangestellten, gelernten Arbeitern, Schrei-
bern, unteren FEisenbahnbeamten usw. zusammen. Die Gesellschaft
nimmt nur Mieter an, die ihnen selbst als ordentliche Leute bekannt
sind, oder die einen Ausweis eines glaubwürdigen Dritten bringen
können; sie behält sich vor, Mieter, deren Personenzahl so groß ist,
daß die Wohnung zu klein, also überfüllt, sein würde, nicht anzunehmen,
oder sie zu veranlassen, in ein etwas größeres Haus zu ziehen. Die
Miete muß wöchentlich gezahlt werden, was für die Arbeiterbevölke-
rung bei der wöchentlichen Lohnzahlung eine große Erleichterung be-
deutet. In jedem Haus ist Koch- und Leuchtgas vorhanden, wobei
die Leitung und Beleuchtungskörper von der Gesellschaft gestellt und
eingerichtet werden. Der Mieter hat dann 0,10 M. in den Gasautomaten
zu werfen und bekommt ein gewisses Quantum (1 cbm) dafür. Für die
Gasgesellschaft ist diese Art der Bezahlung sehr bequem, zugleich
ist sie immer sicher, den richtigen Betrag für das gebrauchte Gas
pünktlich zu erhalten. Für die Bewohner aber liegt in dieser Art Bar-
zahlung ein erzieherisches Moment und enthebt sie der Sorge, große
Summen auf einmal zahlen zu müssen. Jedes Haus besitzt einen kleinen
Garten, der zum Bau von Gemüsen oder auch nur für einige Blumen-
beete verwendet werden kann. Die Straßen sind mit Bäumen bepflanzt,
und die, wenn auch schmalen, Vorgärten geben dem Ganzen ein freund-
liches Aussehen.
Die Mieten sind entsprechend der verschiedenen Bauart auch ver-
schieden hoch. Die geringste Miete für ein Haus, das 2 Schlafzimmer,
1 Wohnzimmer, Küche, Abwaschküche, Kohlengelaß und Wasserklosett
enthält, beträgt 9,50 M. wöchentlich, wobei die Kommunalabgaben, die
Miszellen. 367
in London ungefähr ein Drittel der Miete ausmachen, einbegriffen
sind 1); bei den größeren Häusern steigen die Mieten auf 12 M. wöchent-
lich; in manchen Teilen Londons sind sogar 15 M. zu zahlen, doch ist
der letztere Typus der seltenere.
Die Gesellschaft besitzt ihre eigenen Handwerker, die die Repara-
turen an den Häusern ausführen und ständig beschäftigt werden.
Wechseln die Bewohner eines Hauses, so wird das Haus gereinigt, die
Tapeten abgewaschen und die vorhandenen Schäden sofort ausge-
bessert, auch alle während des Wohnens eintretenden Reparaturen
führt dio Gesellschaft aus. Genau wird Buch geführt, welche Re-
paraturen, Veränderungen usw. in jedem Haus vorgenommen worden
sind; es läßt sich dadurch auch sofort feststellen, ob die Mieter viel-
leicht mutwillig die Wohnung zerstört haben oder verwahrlosen ließen,
denen dann, wenn eine Ermahnung nicht hilft, gekündigt wird.
Auch die meisten Gartenstädte, die in der neueren Zeit mehr und
mehr angelegt werden, beruhen auf dem leasehold-System, wenn sich
auch Unterschiede nach den verschiedensten Richtungen hin bemerkbar
machen. Während bei obengenannter Gesellschaft die Mieter sich aus
der, man kann sagen „gehobeneren‘‘ Arbeiterschaft zusammensetzen,
also ein verhältnismäßig einheitliches Gebilde darstellen, herrscht bei
den Gartenstädten das gemischte System vor. Namentlich zwei Momente
werden geltend gemacht, dies System als begründet und berechtigt hin-
zustellen: eine bessere Rentabilität und eine Vermischung und Auf-
hebung der Klassengegensätze. Der Bau größerer, also teurerer Woh-
nungen stellt sich verhältnismäßig billiger, als der der kleineren Ein-
familienhäuser. Durch das gemischte System können aber die kleinen
Einfamilienhäuser billig vermietet werden, und der eigentlich ent-
stehende Mietsverlust wird durch die Einnahme aus den größeren Ein-
familienhäusern gedeckt.
Die Häuser der Gartenstädte werden fast durchweg von Cooperative
Building Societies (Mietsgenossenschaften mit Gewinnbeteiligung) er-
baut; das Mitglied einer solchen Gesellschaft mietet dann das ihm im
Preis und Anlage zusagende Wohnhaus. Der Grund und Boden gehört
meist einer Gesellschaft, welche große Landflächen zu diesem Zweck
an geeigneten Plätzen Englands aufkauft. Der leitende Gedanke einer
solchen Terraingesellschaft ist, Baustellen an einen einzelnen oder
an Mietsgenossenschaften abzugeben; niemals aber kann der Grund
und Boden Eigentum eines Bewohners oder einer Baugesellschaft werden,
sondern immer muß eine Grundrente von etwa 5 Proz. gezahlt werden.
Die Terraingesellschaft behält sich vor, damit das Land zweckmäßig
und richtig verwendet wird, den Grund und Boden einzuteilen, genau
festzulegen, welcher Teil des Grundstückes, ob mehr nach der Straße
zu oder mit einem größeren Vorgarten, bebaut werden soll; jede Haus-
zeichnung muß, um ein gutes und harmonisches Gesamtbild zu er-
zielen, der Gesellschaft vorgelegt werden.
1) Die Mieten ohne Kommunalabgaben würden wöchentlich betragen 6,50 M. bzw.
9,50 M. und 12,25 M.; übersteigt der jährliche Mietspreis eine bestimmte Höhe (650 M.),
so dürfen die Abgaben nicht in die Miete einbezogen werden,
368 Miszellen.
In dem Vorort im Norden Londons, Hampstead, ist dieses System
durchgeführt worden; ein großer Teil des von der Terraingesellschaft
angekauften Grund und Bodens ist an eine Cooperative Society ab-
gegeben worden. Jedoch sind Bestimmungen getroffen worden, daß
größere Plätze und Gartenanlagen von der Gesellschaft in dem Gebiet
angelegt werden müssen, ferner mußte sie sich verpflichten, ein Alters-
heim, „den Hafen des Friedens“, für eine bestimmte Zahl von Be-
wohnern zu erbauen, in dem alte Leute (augenblicklich sind 56 Männer
und Frauen dort untergebracht) für ein geringes Entgelt (3,25 M.
wöchentlich) Stube, Kammer und Küche mieten können. Auch mußte
eine Kirche, für deren Baufläche die Grundrente erlassen wurde, er-
baut werden.
Trotzdem von der Cooperative Society und anderen Baugesell-
schaften kleinere Einfamilienhäuser erbaut wurden, deren Mieten 9 bis
11 M. ohne Kommunalabgaben betragen, scheint es doch, als ob die Ent-
wicklung dahin gegangen ist, größere Wohnungen zu erstellen, den Bau
kleinerer Wohnhäuser hingegen mehr und mehr einzuschränken. Näch
der Meinung des Vorsitzenden der Terraingesellschaft ist es unmöglich,
auf einem Grund und Boden, der sich so nahe (2 Meilen von Kings
Cross), dem Zentrum Londons, befindet, mit kleinen billigen Wohnungen
nur einigermaßen auf die Kosten zu kommen. Sie wollen mit dem Bau
dieser Wohnungen und den ganzen Anlagen den Behörden und Kom-
munen ein Vorbild geben, wie man zweckmäßig und künstlerisch, zu-
gleich auch billig, Arbeiterwohnungen erbauen kann. Diese Gesell-
schaften können nicht Wohltätigkeitsanstalten sein, und kleine Ein-
familienhäuser erbauen, die die Gesellschaft ungewöhnlich hoch be-
lasten. Wenn es in Hampstead noch einzelne Wohnhäuser gibt, die an
die Arbeiterbevölkerung zu einer wöchentlichen Miete von nur 6,50 M.
abgegeben werden, so kann die dadurch entstehende Unterbilanz für
diese Häuser nur durch sich besser rentierende, größere Einfamilien-
häuser ausgeglichen werden. Man hatte versucht, die Baukosten der
Einfamilienhäuser dadurch billiger zu gestalten, daß man einen Häuser-
komplex baute, dessen Vorderfronten nach einem großen viereckigen,
an drei Seiten bebauten Platz hingingen, während jedes Haus seinen
eigenen Hintergarten besaß. Man "machte jedoch die Erfahrung, daß
diese Häuser trotz der billigen Miete sich bedeutend schwerer ver-
mieteten; der konservative Sinn und das ausgeprägte homelife des
Engländers verlangt, bewohnt er ein Einzelhaus in einer Gartenstadt,
daß er um sein Haus herumgehen kann.
Für die angestellten Arbeiter der Gesellschaft, Straßenarbeiter,
Gärtner usw., sind zweistöckige Häuser erbaut worden, worin sie ein
Stockwerk, das 3 Schlafzimmer, 1 Wohnküche, Abwaschraum und Bad
enthält, für 7,25 M. wöchentlich mieten können.
In manchen Gartenstädten ist das genossenschaftliche Prinzip auch
auf den Verkauf der notwendigsten Nahrungsmittel innerhalb des Dorfes
ausgedehnt worden. Humberstone, eine Gartenstadt dicht bei Leicester,
hatten einen Materialwarenladen, eigene Schlächterei (beides auf genossen-
schaftlicher Basis errichtet), und war mit den Erfolgen recht zufrieden.
Miszellen, 369
Die kleinen Einfamilienhäuser konnten hier schon zu einem wöchent-
lichen Mietspreis von 6 M. abgegeben werden; sie bestanden aus Wohn-
küche, Abwaschraum, Bad, Speisekammer, 3 Stuben und hatten alle
elektrisches Licht (Keller und Dachgeschoß fehlen fast durchweg bei
den englischen Wohnhäusern).
Diə ganze Anlage einer Gartenstadt ist ungemein malerisch, und
die reizenden, mit Kletterrosen oder anderen rankenden Gewächsen
verzierten Häuschen und mit den mit Blumen bepflanzten Vor-
gärten, von denen die schönsten bei dem jährlichen Sommerfest prä-
miiert werden, bieten ein überaus reizvolles Gesamtbild. Und die
Bedingung, daß die einzelnen Hintergärten nur durch Hecken, niemals
durch Mauern abgeteilt werden dürfen, fördern den Gedanken, daß eine
Verschmelzung der einzelnen Klassen, eine gute Kameradschaft zwischen
arın und reich mehr und mehr festen Fuß fassen soll; zugleich aber
wird der Eindruck eines großen, gemeinsamen Gartengeländes her-
vorgehoben
Wenn auch das immer stärkere Anwachsen und die Zunahme der
Zahl der Gartenstädte eine erfreuliche Aussicht eröffnet, und der Ge-
danke des „Wohnens im Garten“ mehr und mehr in der Bevölkerung
Platz greift, so kann man sich bei der Besichtigung solcher Anlagen
des Gefühls nicht erwehren, daß sie immer nur einer gut situierten
Bevölkerungsklasse vorbehalten bleiben. Der Gedanke, Gartenstädte
für die unteren Klassen anzulegen, wird m. E. immer eine Utopie blei-
ben; der Preis des Grund und Bodens allein ist schon zu hoch, als
daß man Wohnhäuser mit Garten in der Nähe großer Industriezentren
zu einem Preis herstellen könnte, den die arbeitende Bevölkerung‘
zu zahlen vermag. Die auf genossenschaftlicher Basis beruhenden Bau-
gesellschaftlichen können, um sich zu rentieren, nur zu einem ver-
schwindend kleinen Teil der Nachfrage nach billigen Einfamilien-
häusern entsprechen. Und, darin liegt ein bedeutsames Moment, auch
die unteren Schichten der Bevölkerung müssen es erst lernen, bei der
Verteilung des Einkommens den rechten Anteil für die Miete, von der
meist angenommen wird, daß sie nur zum Wohle des Wirtes vorhanden
sei, in Rechnung zu bringen; sie müssen einsehen lernen, welch segens-
reichen Einfluß auf Gesundheit und Sitte, auf das ganze Familienleben
ein gutes, zweckmäßiges und behagliches Wohnen hat.
Haben wir so gesehen, daß die auf genossenschaftlicher Grund-
lage errichteten Gartenstädte einem großen Teil der Bevölkerung ver-
schlossen bleiben, so ist in der neuesten Zeit das System der Baugesell-
schaften, die auf Grund eines von ihr gewährten Darlehns den Mieter
innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zum Eigentümer werden läßt,
mehr und mehr in Aufnahme kommen. Alle die verschiedenen Un-
stimmigkeiten, die sich zwischen Wirt und Mieter so oft ereignen,
und bei denen jede Partei die andere für die entstandenen Schäden
verantwortlich machen will, werden sofort behoben, wenn der Mieter
sein eigner Wirt wird, wenn die Eigenschaften des Eigentümers und
Benutzers in einer Person vereinigt sind. Nicht nur das; er wird
Dritte Folge Bd. XLVIII (CILI). 24
370 Miszellen.
als Mann, der etwas vor sich gebracht hat, von seinen Nachbarn mehr
geachtet werden; er bekommt ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem
großen Ganzen und wird die allgemeinen Fragen des Öffentlichen Lebens
mit mehr Interesse betrachten, als vorher.
Freilich kann der Mann der unteren Gesellschaftsklassen nicht
ohne weiteres, auch wenn er noch so sehr danach verlangt, Eigentümer
eines Hauses werden; denn da er gerade nur auf seinen Lohn ange-
wiesen ist, hat er kein Kapital an der Hand, und, borgt er zu diesem
Zweck Geld, so ist er meist durch die Zahlung der Zinsen noch
schlimmer daran als vorher, wo er seine Miete zu zahlen hatte.
Um diese Uebelstände abzuschaffen und Kapitalvorsorge zu treffen,
wurden Baugesellschaften errichtet. Hierzu ist erforderlich, daß eine
Anzahl Menschen in gleicher geschäftlicher (pekuniärer) Lage, ihre
Spareinlagen zusammentun, so daß jeder für seinen Anteil ein Dar-
lehn erhalten kann, welches ihm gestattet, ein Haus zu kaufen oder zu
bauen. Freilich ist ein kleines Kapital erst notwendig, um Mitglied
einer solchen Baugesellschaft zu werden, und zwar dem Sicherheits-
koeffizienten gleich, den die Gesellschaft für sich in Anspruch nimmt.
Ist dieser z. B. ein Fünftel, und die Kosten des Hauses betragen
10000 M., so müßte das Mitglied, um ein Darlehn zu erhalten, in der
Lage sein, 2000 M. einzahlen zu können.
Diese Art der Geldverleihung ist für den Schuldner ungleich vor-
teilhafter, weil er immer mit der ratenweisen Zinszahlung einen Teil
des geliehenen Geldes zurückzahlt. Während bei einer gewöhnlichen
Hypothek kein bestimmter Zeitpunkt festgesetzt ist, nach welchem die
Schuld zurückgezahlt sein muß, und der Gläubiger das Geld so lange
leiht, als er seine Zinsen regelmäßig bekommt oder er das Geld nicht
für andere Zwecke benötigt, ist die Hypothek der Baugesellschaft dann
vollständig getilgt, sobald die jährlichen Zinsen, die in der Hypotheken-
urkunde festgesetzt wurden, während einer Reihe von Jahren voll bezahlt
worden sind.
Dies mag am einfachsten durch ein Beispiel erläutert werden. Bei
einer Hypothek durch die Baugesellschaft von 2000 M., die für einen
Zeitraum von 5 Jahren überlassen wird, ist eine monatliche Rück-
zahlung von 38,50 M. oder 462 M. jährlich erforderlich; dies ent-
spricht einem Zinseszinsfuß von 5 Proz. Am Ende des ersten Jahres
würde der Schuldner 100 M. Zinsen für ein Jahr zahlen, und der
Ueberschuß der Zahlung von 362 M. würde zur Verringerung seiner
Schuld verwendet werden. Es würde sich für die einzelnen Jahre fol-
gendes Schema ergeben:
Abschlagszah- hlend noch beste-
Jahre Zinszahlung lung auf Dar- zu zan ender ende Schuld-
lehn Gesamtbetrag forderung
erstes 100,00 362,00 462,00 1638,00
zweites 81,90 380,10 462,00 1257,90
drittes 62,90 399,10 462,00 858,80
viertes 42,90 419,10 462,00 439,70
fünftes 22,00 440,00 462,00 + 0,30
2310,00
Miszellen. 371
Man könnte nun auch die Frist der Rückzahlung beliebig ver-
längern und dadurch die einzelnen Teilzahlungen so niedrig berechnen,
daß sie die ursprünglich zu zahlende Miete nicht oder nur um ein
weniges übersteigen und der Schuldner dann, entsprechend den ein-
zelnen Zahlungen, sein Haus nach 10 oder 15 Jahren als Eigentum,
frei von jeder Abgabe, besitzen würde.
Doch auch ein anderer Punkt mußte berücksichtigt wer-
den; man weiß wohl, was man ist, nicht aber, was man
sein wird, und wohin die ewig wechselnden Geschicke den Menschen
führen, wo Fälle eintreten, die nicht erwartet und vorgesehen waren,
und die es notwendig erscheinen lassen, seinen Wohnsitz zu ändern
und sein Haus zu verlassen. Dies kann schon während der Zeit der
Rückzahlung eintreten. Während die früheren Bestimmungen die Rück-
zahlung des Geldes sehr erschwerten, und diese für den Schuldner mit
erheblichen Verlusten verknüpft war, ging man in neuerer Zeit dazu
über, dies wesentlich zu erleichtern und nur so viel in Anrechnung
zu bringen, um gerade die gehabte Mühe und Auslagen während der
Zeit der Einzahlungen zu decken.
Auf dem Kongreß der Building Societies Association, der Ende
Mai 1912 in Cardiff stattfand, führte der Chairman der Building So-
cieties Association, Mr. Edward Wood, unter anderem aus, daß augen-
blicklich ungefähr zwei Drittel Millionen Menschen mit Geldeinlagen
in den Gesellschaften beteiligt sind, und daß über 280000 Häuser durch
wöchentliche, monatliche und andere periodische Einzahlungen mit
Hilfe der Baugesellschaften gekauft werden konnten!). *
Man könnte sagen, daß die Grundsätze und Richtlinien, die die
Baugesellschaften von dem einzelnen verlangen, einen Menschenschlag
voraussetzen, der gelernt hat, die Zukunft ins Auge zu fassen, für sie zu
leben, also eine Erziehung zur Sparsamkeit durch immerwährende Vor-
sorge; „a provision for old age better than a pension“. Dringt das
System durch, findet es eine wachsende Zahl von Anhängern in den:
unteren Bevölkerungsschichten, tritt der junge Arbeiter zur Zeit seiner
größten Leistungsfähigkeit in eine solche Gesellschaft ein, so muß
allmählich das Proletariat, die Menschenklasse, die nur aus der Hand
in deu Mund lebt, aussterben. Hier findet sich ein Mittel, die große,
unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen dieser Bevölkerungsschicht
und den besser gestellten Klassen zu schließen, die Gegensätze zu
mildern und eine Vermischung der einzelnen Klassen durchzuführen.
Es erübrigt sich, auf die Erstellung von guten Arbeiterwohnungen
durch Großindustrielle näher einzugehen, deren Systeme ausführlich in
meiner Abhandlung „Wohlfahrtseinrichtungen in englischen Fabriken“ 2)
geschildert wurden. Während in Port Sunlight das Arbeiterdorf auf
dem Prinzip des Anteilhaberschaftssystems errichtet wurde, und die
Häuser nur von der Arbeiterschaft des Unternehmens gemietet werden
1) S. Building Societies Association, Report of Proceedings at Annnal Meeting held
at Cardiff, May 1912, S. 87.
2) In den Jahrbüchern für Nationalökonomie u. Statistik; herausgegeben von
Dr. J. Conrad, 3. F. Bd. 47 S. 337 ff,
24*
372 Miszellen.
können, steht das Arbeiterdorf Bourneville einem jeden offen, und die
Statistik zeigt, daß unter den Einwohnern sich nur ungefähr 40 Proz.
Arbeiter der Schokoladenfabrik Bourneville befinden, alle anderen in
Unternehmungen in Birmingham oder umliegenden Ortschaften be-
schäftigt sind. Die gute Verzinsung von 31/, Proz. beweist die Mög-
lichkeit, gesunde und billige Wohnungen in ländlicher Umgebung für
die Arbeiterbevölkerung zu erstellen.
Wir haben uns bemüht, in kurzen Zügen die Mittel und Wege an-
zugeben, die man in England eingeschlagen hat, um besonders der Ar-
beiterbevölkerung gesunde und billige Wohnungen zu geben; wir sind
uns wohl bewußt, keinen erschöpfenden Bericht zu bringen, und haben
uns begnügt, uns während der Zeit, die uns für die Studienreise zur Ver-
fügung stand, auf bestimmte Gebiete zu beschränken, um diese gründlich
kennen zu lernen.
Das eine läßt sich wohl aus dem Gesagten entnehmen, daß man die
Wichtigkeit der Wohnungsfrage für die Arbeiterbevölkerung mehr und
mehr erkannt hat. „Die Arbeiterwohnung“, so führte der Vorsitzende
der Internationalen Konferenz über die Wohnungsfrage!) aus, „bildet
die Basis eines Volkes, und je mehr wir daher das Wohlsein und die Be-
haglichkeit des Familienlebens zu heben imstande sind, auf eine um so
höhere Stufe werden wir die Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der
ganzen Nation bringen. Das Volk wird imstande sein, sich am längsten
unter den glücklichsten und behaglichsten Verhältnissen zu erhalten,
dessen Einwohner sich der größten Gesundheit und physischen Kraft
erfreuen. Der Hochdruck des modernen Lebens wird immer intensiver,
braucht aber deshalb nicht zum Rückgang eines Volkes zu führen; im
Gegenteil, eben der Kampf ums Dasein wird auch in der Zukunft die
größere Leistungsfähigkeit einer gesunderen, stärkeren Rasse fördern,
wenn für das gesunde Familienleben in gesunder Umgebung gesorgt
wird. Vernächlässigt aber ein Volk die Wohnungsfrage seiner Bürger,
steht es deren Bedürfnissen für vernünftige und passende Erholung
nach getaner, harter Arbeit gleichgültig gegenüber, so wird diese
Nation sicherlich einen langsamen, aber sicheren Rückgang der Körper-
bildung und Lebensfähigkeit erfahren.“ Zu lange hat man gezögert,
der Wohnungsfrage die Beachtung zu schenken, die sie verdient. Erst
der neueren Zeit blieb es vorbehalten, mit den verschiedensten Mitteln
eine Besserung in den Wohnungsverhältnissen herbeizuführen. Dennoch
sind wir von der Lösung der Wohnungsfrage noch weit entfernt,
sprechen dabei doch noch ganz andere Umstände mit, von denen die
Lohnfrage wohl mit der bestimmendste ist.
1) Visit of International Housing Conference to Port Sunlight, August Ok 1907.
Chairman’s Address. 8. 29.
Miszellen. 373
VIII.
Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologen-
tages (vom 20. bis 22. Oktober 1912 in Berlin)').
Von Prof. Br. L. v. Wiese in Düsseldorf.
Als ich in diesen Jahrbüchern über den Ersten Deutschen Soziologen-
tag berichtete, konnte ich mich nicht nur auf den ersten Band der
Schriften stützen, sondern auch darauf, daß ich den Frankfurter Ver-
handlungen selbst beigewohnt hatte. Während des Berliner Kongresses
im Oktober 1912 befand ich mich außerhalb Europas und war bei den
Verhandlungen nicht anwesend. Ich kann diesmal meinen Bericht nur
auf die wiederholte Lektüre der „Reden und Vorträge“ aufbauen, wie
sie in Band II der Schriften wiedergegeben sind.
Zweckmäßigerweise lag diesmal den Verhandlungen ein einheitliches
Thema, das Wesen der Nationalität, zugrunde. Abgesehen
vom Redner des Begrüßungsabends, Alfred Weber, der über „den sozio-
logischen Kulturbegriff“ sprach, hatten sich alle Vortragenden mit diesem
Begriff oder dem nicht allzu fern liegenden der Rasse zu beschäftigen.
Jedoch ist schon bei der Programmaufstellung eine Unklarheit unter-
gelaufen, die sich im Laufe der Tagung als verhängnisvoll herausstellte.
Es wurde nämlich offenbar nicht deutlich zwischen den teilweise ver-
schiedenen Begriffen „Nation“ und „Nationalität“ geschieden ?). Leider
scheint auch während der Verhandlungen nur wenigen zum Bewußtsein
gekommen zu sein, daß viele Schwierigkeiten und Mißverständnisse der
Debatte darauf zurückzuführen sind, daß diese beiden Begriffe bisweilen
miteinander vermengt wurden. Vieles jedoch, was für das Wesen der
Nation zutrifft, paßt absolut nicht für die Erklärung der Nationalität
und umgekehrt. Die Folge davon, daß niemand auf diese Divergenz
hingewiesen hat, war, daß der Nationalitätenbegriff noch viel schwerer
faßbar erschien, als er an sich ist. Die rein im Wortgebrauche liegenden
Schwierigkeiten werden ja schließlich noch dadurch vermehrt, daß das
1) Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 1. Serie: Verhandlungen
der Deutschen Soziologentage. 2. Band. Tübingen (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) 1913.
192 S. Geh. 4,40 M., Leinwandband 6 M.
2) Ich habe nur zwei Stellen in dem Bericht finden können, bei denen eine
Scheidung gemacht ist, nämlich (auf S. 183) in Michels’ Vortrag, wo es heißt: „Es bilden
sich, wenn auch nicht nationale Staaten, Nationen, so doch Nationalitäten...“ und bei
Tönnies Diskussionsbemerkungen (S. 49): „Ich begnüge mich deshalb, darauf aufmerk-
sam zu machen, daß die großen sozialen Körper, die sich Nationen nennen, wohl ohne
Ausnahme aus mehreren Nationalitäten zusammengesetzt sind.“
374 Miszellen.
Eigenschaftswort national weitere Bedeutungselemente in sich auf-
genommen hat, die sich bei den Hauptwörtern Nation und Nationalität
nicht finden.
Gewiß kann man den Begriff Nationalität so anwenden, wie es
Barth getan, gleich „Bewußtsein zu einer bestimmten Nation zu ge-
hören“. Dann braucht man keine Scheidung zwischen Nation und
Nationalität vorzunehmen. Aber schon der folgende Vortrag Schmids,
des Juristen, brauchte Nationalität im modernen Sinne, bei dem Natio-
nalität immer einen Volksbruchteil darstellt, während das Wort Nation
fast ganz gleichbedeutend mit Volk oder Volkstum geworden ist.
Bei der Aufstellung der Themen hat man anscheinend an diese
Schwierigkeiten nicht gedacht. Jedenfalls macht hier die Wortwahl den
Eindruck der Zufälligkeit. Zuerst sprach Paul Barth über „Die Natio-
nalität in ihrer soziologischen Bedeutung“. Tatsächlich sprach er über
die Entwicklung des Nationalbewußtsein. Dann folgte Ferdinand
Schmids Vortrag über „Das Recht der Nationalitäten“. Hier deckte
sich Thema und Inhalt. Ludo Moritz Hartmann redete über „Die
Nation als politischen Faktor“. Dabei wäre eine strengere Scheidung
der beiden Substantiva wünschenswert gewesen. Ihm folgte der um-
kämpfte Vortrag Oppenheimers über „Die rassentheoretische Geschichts-
philosophie“. Den Schluß machten Robert Michels’ Ausführungen über
„Die historische Entwicklung des Vaterlandsgedanken“.
Ehe ich versuche, auf diese Beiträge zur Soziologie der Nation und
Nationalität einzugehen, möchte ich etwas über Alfred Webers einleitenden
Vortrag „Der soziologische Kulturbegriff“ sagen: Er gab in seiner Rede
einen Beitrag zu dem auch von älteren Soziologen (besonders von Fran-
zosen und Amerikanern) gern behandelten Problem des Gegensatzes von
Zivilisation und Kultur, wobei es ihm um eine Verfeinerung des Kultur-
begriffes zu tun war. Nach Weber ist Zivilisation das Objektive, auf
psychischem Gebiete das Geistig-Begriffliche, Intellektuelle; sie gehöre
zu dem großen Anpassungsprozesse des Lebens an die Natur und sei
ein Glied des biologischen Entwicklungsprozesses, nachdem die Kette
der Lebewesen im Menschen die Höhe des Gesellschaftslebens erreicht
habe. Kultur sei demgegenüber das Subjektive, das Kunstwerk, die
Idee und das gefühlsmäßige Erleben.
Wie die moderne Kunst hinter den Erscheinungen das tiefere Leben
zu erfassen versucht, so wird Weber zum Kulturphilosophen des Ex-
pressionismus. Er wendet sich gegen die einseitige Auffassung des ge-
schichtlichen Geschehens als einer stufenweisen Verwirklichung eines
oder mehrerer kontinuierlicher Prinzipien, wie sie so häufig in der Ge-
schichtsphilosophie — etwa bei Augustin, Hegel, St. Simon, den Posi-
tivisten, Marx, Lamprecht — gegeben worden ist. Bei ihr würden die
Einzeltatsachen nur als Unterglieder und Teilmechanismen des Gesamt-
verlaufs angesehen, während doch diese Einzeltatsachen ihren Eigenwert
und ihre Einzigkeit besäßen.
Diesen Willen Webers, ähnlich wie es Philosophen der Bergsonschen
Richtung tun, nun auch als Soziologe über die mechanistisch-intellek-
tualistische Auffassung des Lebens hinauszudringen, wird man freudig
Miszellen. 375
und dankbar anerkennen müssen. Besonders die Absicht, das Indivi-
duelle als selbständigen Wert zu erfassen, scheint mir begrüßenswert.
Sein Streben, das innere Erleben als eigentliche Kultur zu betrachten,
entspringt dem Künstlerisch-Genialischen, das in seiner Natur schlummert,
und das sich nun auch in der Richtung der wissenschaftlichen Erkenntnis
Bahn brechen will.
Aber mit Soziologie hat das alles wenig Berührungsmöglich-
keiten. Das einzige Soziologische, was ich in seinen programmatischen
und notwendigerweise mehr aphoristischen Darlegungen zu entdecken
vermochte, war def — leider nicht weiter ausgeführte — Satz, daß wir
zu erkennen versuchen müßten, wie auch die Einzeltatsachen dessen,
was er Kultur nennt, „aus dem Leben“ (also aus der Gesellschaft)
„herauswüchsen“. Da aber nicht der geringste Versuch gemacht wird,
uns hierfür Fingerzeige zu geben, so kann man seinen Kulturbegriff
nicht als soziologischen, sondern nur als expressionistisch-personalistischen
bezeichnen. Er ruht völlig auf individualistischer Basis und hat mit
Soziologie wenig gemeinsam. Gewiß kann man Soziologe sein und doch
die Kultur so ansehen, wie es Weber tut; aber man ist dabei nur so
weit Soziologe, als man es als seine Aufgabe betrachtet, eben die Tat-
sachen der Kultur aus den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen
abzuleiten. Soziologen Weberscher Observanz — ich selbst würde mich
gern zu ihnen rechnen — werden niemals die Kultur nur aus gesell-
schaftlichen Tatsachen ableiten, werden jedoch, wenn sie Soziologen
bleiben wollen, ihre soziale Bedingtheit anerkennen müssen. Ein sozio-
logischer Kulturbegriff kann sich von jedem anderen nur dadurch unter-
scheiden, daß er die gesellschaftlichen Anordnungsverhältnisse der
Menschen als mitbestimmende Faktoren der Kultur aufweist. Nur aus
einer flüchtigen Andeutung in Webers Vortrag konnte man entnehmen,
daß er diesen Satz auch anerkennt; was er im übrigen gab, war die
— an sich fesselnde und tiefdringende — erste Einleitung zu einer Be-
trachtung über den soziologischen Kulturbegriff, die aber bis zum Nach-
weis ihres soziologischen Gehalts nicht mehr gelangt ist. Das mußte
aber Verwirrung stiften, an der wir doch in unserer Disziplin wahrlich
genug haben. Es geht nicht an, daß unter der Etikette Soziologie jeder
geistvolle Mensch willkürlich das vorträgt, was ihm gerade das Herz
bewegt. Diese strenge Disziplin darf nicht auf dem Boden der Wissen-
schaft zu einer Parallelerscheinung des Futurismus in der Malerei werden.
Wenn Webers eindrucksvolle Ausführungen zur Herausarbeitung
eines eigentlich soziologischen Kulturbegriffes nicht gelangen, so kann
man in Barths völlig anders gearteten Darlegungen über die „Natio-
nalität“ und ihre soziologische Bedeutung eine Stelle finden, die man
wohl mit Recht als Aufstellung eines soziologischen Kulturideals be-
zeichnen könnte. Es heißt da: „Dieses Ideal“ (der Gesellschaft) „ist
eine Gesellschaft, in der jedes einzelnen Selbständigkeit aufs höchste
gewachsen ist, die aber dennoch zusammenhängt und gedeiht, ohne
Zwang und ohne Strafe, weil jeder den guten Willen hat, d. h. den
Willen, immer das zum Frieden und zur Wohlfahrt Nötige zu tun,
sei es mit, sei es ohne Selbstüberwindung“ (S. 45/46). Ohne mir
376 Miszellen.
dieses Gesellschaftsideal zu eigen machen zu wollen, möchte ich doch
diese These als Beispiel für einen spezifisch soziologischen Kultur-
begriff hinstellen, bei dem also unter Kultur stets ein gesellschaftlicher
Zustand verstanden ist.
Barth wollte offenbar sein Thema in zwei (auch im einzelnen
überaus klar und harmonisch angeordneten) Teilen behandeln. Er unter-
suchte zunächst die geschichtliche Entwicklung des Nationalbewußtseins
und ging nach der historischen Untersuchung zur Frage nach dem
Werte dieses gefühlsmäßigen Zusammenhangs für die Gesellschaft über.
Als er dabei die nationale und die internationale Staatsidee miteinander
vergleichen wollte, wurde er durch den (höchst anfechtbaren) Eingriff
des Vorsitzenden Tönnies genötigt, seinen Vortrag abzubrechen. Da
also sein Referat ein Torso bleiben mußte, ist es um so seltsamer, daß
in der Diskussion derselbe Vorsitzende ihm vorwarf, er sei gerade an
dem eigentlich soziologischen Problem vorbeigegangen.
Dem ersten Teile seines Vortrags gegenüber hätte ich mannig-
fachen Widerspruch zur Darstellung der vorgeschichtlichen Zeit zu er-
heben. Um so wertvoller erscheinen mir seine Darlegungen über die
Hellenen, das Mittelalter, die 'Aufklärungsepoche und das Zeitalter
Napoleons. Die Bausteine seines großen Wissens sind vorwiegend
universalgeschichtlichem und philologischem Material entnommen; gute
deutsche humanistische Schulung spricht aus seinen Darlegungen; da-
gegen vermißt man die (den Engländern so geläufige) Verwertung
ethnographisch-anthropologischer Studien für seine Geschichtsphilosophie.
Nicht richtig scheint es mir, zu den drei Urinstinkten der Menschen
die elterliche (auch väterliche?) Liebe zum Nachwuchs zu rechnen.
(Hier scheint mir Ratzenhofer mehr Recht zu haben.) Noch mehr Wider-
spruch möchte ich gegen die Behauptung erheben, daß „der Krieg doch
in früheren Zeiten seltener ist als der Friede“, ja unter den primitivsten
Stämmen sehr selten sei. Die entgegengesetzte Ansicht, wie sie vor
allem von Spencer, Gumplowiez, Ratzenhofer, Steinmetz usw. aufs ent-
schiedenste vertreten wird, schien mir inzwischen Gemeingut aller Sozio-
logen geworden zu sein. Ich war recht erstaunt, daß Barth den Krieg
als wichtigsten Faktor im Aufbau der ältesten Staatswesen ablehnt.
Fraglich ist mir ferner, ob man zur Erklärung der Entstehung der
Sippenverfassung die bei den Kamilaroi vorhandene Exogamie so ver-
allgemeinern darf. Jedenfalls steht ihr bei anderen Stämmen gerade
die Endogamie als sippenbildendes Element gegenüber. Daß die Gentil-
verfassung das Vorhandensein einer ihr übergeordneten Volkseinheit
voraussetzt, scheint mir zu sehr der griechisch-römischen Entwicklung
abgelesen zu sein. Daß ferner in homerischer Zeit „Einzelwille und
Gesamtwille noch ungetrennt sind, da der bewußte Einzelwille noch
nicht vorhanden ist, wie auch das Schuldbewußtsein darum fehlt“, ist
doch wohl eine zum mindesten in der Wahl der Ausdrücke recht an-
fechtbare Behauptung.
Daß schließlich die alten Stammesgottheiten Naturgötter wären, die
Naturgewalten darstellten, sollte man wirklich heute nicht mehr aus-
Miszellen. 377
sprechen. Kann man diesen längst überwundenen Aberglauben nicht
dem seligen Max Müller überlassen ?
Um so wertvoller müssen dem Leser Barths Darlegungen über den
nationalen Charakter der antiken Religion und Kunst und über das
(freilich schon recht oft eingehend dargestellte) Aufkommen des Welt-
bürgertums von den Stoikern an erscheinen.
Im engsten Zusammenhange mit Barths Referat stand Michels’
Vortrag, der eigentlich genau dasselbe Thema behandelte. Er bildete
insofern eine willkommene Ergänzung zu jenen Darlegungen, als er von
der Antike, die bei Barth im Vordergrunde gestanden hatte, ganz ab-
sah, dafür aber die moderne Entwicklung ‘zumal in Frankreich und
Italien) eingehender behandelte. Das große Verdienst der fesselnden
Ausführungen des Baseler Soziologen liegt in dem überzeugenden Nach-
weis, daß das, was wir Patriotismus nennen, in seinem Ideen- und
Gefühlsinhalte großen Veränderungen unterworfen gewesen ist. Einen
beträchtlichen Teil solcher Nuancen des Vaterlandsgedankens eindrucks-
voll nachgewiesen zu haben, wird man Michels zubilligen müssen. Es
hat für uns Preußen einen besonderen Reiz, daß uns hier so lebendig
die fremden Spielarten des Patriotismus (z. B. die demokratische der
französischen Revolution) in ihren historischen Zusammenhängen vorge-
führt werden. Freilich ist dafür die eigentlich preußische Art der
Vaterlandsliebe, die, aus der Vasallentreue erwachsen, vorwiegend mon-
archischen Charakter trägt und mit Königstreue in einem sehr engen
Zusammenhang steht, unberücksichtigt geblieben. Das bringt mich
darauf, diejenigen Punkte anzuführen, in denen ich Michels’ Ausfüh-
rungen nicht folgen kann: Es ist zunächst sicher richtig, daß die
religiösen Interessen des Mittelalters die nationalen nicht recht auf-
kommen ließen. Trotzdem bin ich im Zweifel, ob es nicht doch falsch
ist, zu sagen, daß die Ideologie des Mittelalters „von dem modernen
Begriff der Nation oder gar des Vaterlandes keine Vorstellung
besaß“. Richtig scheint mir der Satz nur, wenn man auf das Attribut
„modern“ den Nachdruck legt. Sicherlich unterschätzt M. ferner die
Bedeutung der Vasallentreue für die Entstehung des Vaterlandsgedankens;
ich glaube nicht, daß das Städtebewußtsein hierfür die größere be-
wegende Kraft war.
Ein Mangel der Untersuchungen des Vortragenden scheint mir ferner,
daß die Heimatliebe (abgesehen von dem eben erwähnten, verwandten
Städtebewußtsein) fast gar nicht als eine den Vaterlandsgedanken
zeugende Kraft betrachtet, bei den Darlegungen über die modernen
Kolonialvölker sogar sicherlich unterschätzt wird !\. Daß der Sozialismus
dadurch, daß er an die Stelle des Volkes die Klasse setzt, den Vater-
landsgedanken verinnerlicht, vermag ich nicht zuzugeben. Auch daß
„Demokratien immer in weit höherem Grade als Aristokratien patrio-
tisch sind“, ist einseitig der Geschichte der romanischen Völker ent-
1) Allerdings findet sich in der Schlußzusammenfassung die Erwähnung der „An-
hänglichkeit an das Land“ als eines der zwei Grundelemente der Vaterlandsliebe.
378 Miszellen.
nommen. Hätte Michels dem französischen Patriotismus den preußisch-
deutschen gegenübergestellt, wäre das Gesamtbild noch richtiger
geworden. Das, was er über die Bedeutung der friderizianischen Siege
sagt, reicht nicht aus.
Jedoch diese Zweifel sind unbedeutend gegenüber dem Umstande,
daß Michels’ Vortrag spezifisch soziologischen Charakter trug, da der
Zusammenhang zwischen den wechselnden Formen und Stärkegraden
der Vaterlandsliebe und den geschichtlichen Notwendigkeiten der ein-
zelnen Epochen deutlich aufgewiesen wurde, ohne daß nach dem Rezept
der materialistischen Geschichtsauffassung die „Ideologie“ des Patrio-
tismus nur als Ausfluß der wirtschaftlichen Zeitbedingungen
erschien.
Ferd. Schmid begründete in seinem Referat einen Antrag, eine
umfassende Untersuchung über die gegenwärtige Gestaltung der natio-
nalen Verhältnisse und des Nationalitätenrechts in die Wege zu leiten.
Diesem Zwecke gemäß suchte er in Ausführungen, deren tatsächliche
Grundlage die österreichisch-ungarischen Verhältnisse waren, zu zeigen,
wie eine Lösung der Nationalitätenfrage nur auf dem Boden des Rechtes
möglich, und daß gegenwärtig der Zeitpunkt gekommen wäre, um für
den zukünftigen Nationalitätenrechtsstaat das wissenschaftliche Funda-
ment zu legen.
Eine rechte Enttäuschung bereitete Hartmanns Vortrag über „Die
Nation als politischen Faktor“. Er erbrachte lediglich den Beweis, daß
ihn seine sozialistische Grundanschauung daran hindert, gerade über
dieses Thema reden zu können. Wer in den Mittelpunkt seiner Aus-
führungen den Satz stellt: „Es ist aber durch die Wandlung der Stel-
lung der Bourgeoisie innerhalb des Staates, aus ihrer Entwicklung vom
aufstrebenden zum herrschenden Stande durchaus erklärlich, daß sie die
nationale Idee ihrerseits durch Vermengung mit den rudimentären Ideen
des autarken Staates zur nationalistischen umgebildet hat, während es
heute im wesentlichen der aufstrebende vierte Stand sein muß, der der
Träger der nationalen Idee in seiner reinen Form ist“, wer scharf
zwischen Machtstaat und nationalem Staat sondert und den letzteren
fast völlig mit dem sozialistischen identifiziert, wird sich nicht wundern
können, daß man der wissenschaftlichen Objektivität seiner Ausfüh-
rungen mit Mißtrauen begegnet. Sein Vortrag ist in der Hauptsache
ein geschicktes Plaidoyer für das Nationalitätenprogramm des revisio-
nistischen Flügels der österreichischen Sozialdemokratie. Nimmt man
es als solches, wird man dem geistvollen Politiker seine Anerkennung
nicht versagen; man wird freilich vielleicht den Kopf schütteln, daß ein
Mann, der am öffentlichen Leben regen Anteil nimmt, noch so hinter-
wäldlerische Anschauungen von der Diplomatie hat, daß er in der Volks-
versammlung — ach nein, auf dem Soziologentage — ausruft: „Wer
hätte schon gehört, daß ein Diplomat auf historische Tendenzen Rück-
sicht nimmt?“ Aber selbst den Schluß seiner Rede hätte man eben
als parteiprogrammatisch vorgeschrieben hingenommen: „Inwieweit dies“
(die Neigung zum Intriguieren bei den Diplomaten) „auf die Struktur
des aristokratisch-kapitalistischen Staates zurückgeht, dies zu unter-
Miszellen. 379
suchen ist hier nicht der Ort — wohl aber zu konstatieren, daß die
offizielle Politik sich im Gegensatze befindet zu allem, was soziologische
Wissenschaft genannt werden kann.“
Dies auf demselben Soziologentage, wo man einen anderen Redner
in demselben Augenblicke am Weiterreden hinderte, als er die Frage
aufwarf: „Wäre es nun für den Fortschritt ... besser, wenn der Staat
nicht national, sondern international wäre?“ Die von demokratisch-
sozialistischen Werturteilen geradezu durchtränkten Ausführungen Hart-
manns wurden nicht als ein Verstoß gegen die Satzungen empfunden,
während Barths unvergleichlich viel objektivere Darlegungen abge-
brochen werden mußten!
Das muß gerügt werden. Die Mehrzahl der Mitglieder hat anfangs die
prinzipielle Verpönung der Werturteile hingenommen als einen Versuch, den
man einmal trotz entgegenstehender Bedenken machen mußte. Ablehnen-
der muß sie sich jedoch gegenüber der Durchführung dieses Grund-
satzes verhalten, wonach die Vorsitzenden mit einer Art unbeschränkter
Polizeigewalt ausgestattet sind und jeden Redner wie einen Schulbuben
rektifizieren dürfen, wenn er etwas äußert, was der Vorsitzende für ein
Werturteil hält. Aber wenn man schließlich diese Praxis handhaben
will, muß es mit einer peinlichen Korrektheit geschehen, deren gerechte
Handhabung alle Teilnehmer überzeugt. Nun ist nicht daran zu zweifeln,
daß der Wille zur unparteiischen Handhabung der (höchst anfechtbaren)
Vorsitzendengewalt bestand; aber der Vorsitzende Tönnies hegte am
ersten Tage eine andere Auffassung über die Grenze des Zulässigen
als der Vorsitzende Sombart am zweiten Tage. Dadurch wird aber das
ganze System der Erzwingung wertfreier Verhandlungen ad absurdum
geführt; der Kampf gegen das Subjektive muß an der Subjektivität der
Richter scheitern.
Oppenheimers lebhafte Polemik gegen die rassentheoretische Ge-
schichtsphilosophie vermag ich nicht so ohne weiteres als „ein über
40 Seiten fortgezetztes Raisonnement, dem jede Spur von Begründung
fehlt“, abzutun, wie es Walther Köhler in Schmollers Jahrbuch getan
hat. Freilich setzen mich seine Schlußausführungen in einige Verlegen-
heit. In ihnen werden nicht nur die Rassen, sondern auch die Rassen-
anlagen als bewegende Kräfte des Gesellschaftslebens anerkannt. Das
steht aber im Widerspruch zu seinen gesamten vorausgehenden Aus-
führungen, in deren Kern die Sätze stehen: „Die causa causans ist das
Milieu, die gesamte natürliche und soziale Verumständung und ihre
Veränderungen; dadurch ist streng determiniett die Gruppen-
strömung nach Richtung und Tempo, dadurch streng determiniert
die Gruppenideologie nach Wertung und Ueberzeugung, und da-
durch schließlich ebenso streng determiniert ist Wertung, Ueber-
zeugung und Handlung des Individuums“ (S. 135). Diese
einseitige Milieutheorie ist ebenso falsch wie die einseitige Rassen-
theorie. Im neuesten Heft des „Archivs für Rassen- und Gesellschafts-
Biologie“ habe ich versucht in dem Aufsatz „Die Rodias auf Ceylon“
eine Widerlegung der Milieulehre an einem sehr eindringlichen Einzel-
beispiel zu geben. Diese Rodias sind unter den traurigsten Umständen
380 Miszellen.
lebende „Outcasts“, die seit Jahrhunderten dem schlimmsten Boykott
der übrigen Gesellschaft ausgesetzt sind. Wären sie in ihren Eigen-
schaften nur vom Milieu abhängig, müßten sie körperlich und seelisch
völlig verkommen sein. Unter ihnen befinden sich auch die Nach-
kommen von verstoßenen Fürstinnen und adligen Frauen des Singalesen-
hofes. Die Folge ist, daß der eine Teil der heutigen Rodias Abkömm-
linge einer tiefstehenden Gruppe umfaßt, der andere Teil jedoch seine
Herkunft teilweise (durch die späteren Blutvermischungen freilich im
abgeschwächten Grade) von biologisch hochwertigen Menschen herleitet.
Beide Gruppen sind den gleichen fürchterlichen und schwächenden
Lebensumständen unterworfen. Trotzdem trifft man unter ihnen neben
minderwertigen Elementen die schönsten, kräftigsten Menschen der
Insel, die anscheinend auch geistig gut begabt sind. Die ererbten
Qualitäten sind in ihnen stärker als das Milieu gewesen.
Indessen glaube ich, daß sich auch Oppenheimer, durch die Ueber-
treibungen seiner Gegner gereizt, hat hinreißen lassen, mehr zu be-
haupten, als im Grunde seiner Ansicht entspricht. Er wendet sich in
der Hauptsache gegen die wertenden Uebertreibungen und gegen die
Versuche, die Bedeutung der eigenen Rasse durch pseudowissenschaft-
liche Argumente zu erhöhen. Er polemisiert ferner gegen die Lehre
von der Unveränderlichkeit der Rassenmerkmale. Ich würde demgegen-
über sagen, daß Rassenmerkmale schwer veränderlich sind, teilweise
aber durch lange wirkende Milieueinflüsse abgeschwächt werden können.
Bisweilen ist das Milieu, bisweilen (wie im obigen Falle) die Erb-
qualität stärker.
Wenn jedoch Oppenheimer der Rassenpsychologie seine Klassen-
psychologie entgegenstellt und dieser größere Bedeutung beimißt als
jener, so kann ich ihm nicht folgen. Rassen- und Klassenanlagen
wirken beide; will man wirklich einer von beiden den größeren Wirkungs-
grad zubilligen, so kommt er meines Erachtens der Rassenanlage zu,
weil sie biologisch und zeitlich tiefer reicht.
Das Beobachtungsfeld des Anatomen Gustav Fritsch, der die Be-
hauptung aufgestellt hat, daß die harmonische Entwicklung des mensch-
lichen Körpers nur unter dem Einfluß der Kultur möglich sei und gut ent-
wickelte, plastisch schöne Körper bei den Primitiven seltener seien als bei
uns „angeblich abgelebten Kulturmenschen“, muß übrigens recht eng ge-
wesen sein. Hottentotten und Buschmänner reichen — vielleicht, Herr
Oppenheimer, wegen ihrer Rasseneigenschaften! — zu solcher Schluß-
folgerung nicht aus. Dagegen würde ich Herrn Fritsch empfehlen,
indische, ceylonische, malayische, javanische und chinesische Kulis mit
den Leibern europäischer Globtrotter zu vergleichen. Die Schönheit des
männlichen Körpers hat sich mir am eindringlichsten an nackten Ta-
milen der untersten Kasten, die in einer Graphitgrube Ceylons ar-
beiteten, dargestellt.
Die Diskussionsreden sind diesmal nach einem Vorstandsbeschlusse
nur in knappem Auszuge veröffentlicht. Die Folge ist, daß sie in dem
Buche etwas kümmerlich wirken. Doch hat die Erörterung im Zu-
sammenhange mit den Referaten gelehrt, daß die Faktoren, die das
Miszellen. 381 .
Nationalgefühl bewirken, überaus zahlreich sind und sehr wechseln:
viel Einfluß übt die gemeinsame Sprache aus, die aber nicht immer
dort vorhanden zu sein braucht, wo sich eine Nation oder Nationalität
als Einheit fühlt; wirtschaftliche Faktoren, der Gegensatz zu einer
herrschenden oder bezwungenen Gruppe und manches andere noch
können in Betracht kommen.
Wenn man trotz mancher wertvollen Anregung und wissenschaftlich
bedeutenden Einzelleistung doch im ganzen keinen besonders nach-
haltigen Eindruck vom zweiten Soziologentag nach der Lektüre seines
Berichtes gewinnt, so liegt es daran, daß sich die Unterbindung der
freien Meinungsäußerung sicherlich für solche Kongresse nicht bewährt
hat. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie würde gut tun, wenn sie
den hemmenden Satzungsparagraphen einer Revision unterzöge, da er in
der Praxis zu einer bedenklichen Auslegung geführt hat, die nur viel
Verstimmung erzeugt und der Sache nichts nützt.
382 Miszellen.
IX.
Die Tarifverträge im Deutschen Reiche am Ende
des Jahres 1912.
Bearbeitet im Kaiserl. Statistischen Amte, Abteilung für Arbeiterstatistik.
Berlin 1913. Quartformat. 8,80. M.
Von Professor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn.
Die als 7. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatte unter dem obigen
Titel Ende Januar 1914 erschienene amtliehe Statistik der Arbeitstarif-
verträge im Deutschen Reiche trägt einen ganz besonderen, wichtigen Cha-
rakter. Inı Unterschiede von ihren Vorgängern enthält sie nämlich eine
erstmalige vollständige und erschöpfende Bestandsstati-
stik aller Arbeitstarifverträge in Deutschland. Die frühe-
ren Veröffentlichungen über denselben Gegenstand!) gaben zwar über
die in dem betreffenden Berichtsjahre neu hinzugekommenen Tarif-
verträge einen genauen Aufschluß, indem deren Inhalt nach allen Rich-
tungen eingehend erörtert und durch zuverlässige detaillierte Zahlen-
angaben veranschaulicht wurde. Allein von den Tarifverträgen der
früheren Jahre konnte nach dem bisherigen Erhebungsverfahren nur
ihre Anzahl sowie diejenige der von ihnen erfaßten Betriebe und Per-
sonen, und noch dazu ohne Vermeidung von Doppelzählungen ange-
geben werden, die dadurch entstanden, daß aus den Angaben der be-
richtenden Verbände nicht zu entnehmen war, wie weit eine und dieselbe
Tarifgemeinschaft sich auf mehrere, von verschiedenen Verbänden ab-
geschlossene Tarifverträge gründete. Nachdem nunmehr, wie in der
letzten Tarifvertragsstatistik angekündigt, die Erhebungsmethode so
umgestaltet worden ist, daß derartige Doppelzählungen ausgeschlossen
werden können, ergibt die vorliegende, vom Regierungsrat Dr. Poens-
gen bearbeitete Tarife ertragsstatistik von sämtlichen Ende 1912 im
Reiche in Kraft stehenden Tarifverträgen sowohl ihre genaue Zahl als
eine erschöpfende Darstellung ihres Inhalts. Sie bietet mithin ein
vollständiges und umfassendes Bild aller tariflich ge-
regelten Arbeitsbedingungen in Deutschland. Sowohl in
methodologischer Hinsicht wie nach dem Umfang und der Bedeutung der
in ihm dargestellten Erhebungsergebnisse stellt der neue Band also einen
ebenso erheblichen wie erfreulichen Fortschritt in der sozialstatistischen
Erfassung und Klarlegung des Tarifvertragproblems dar. Je dringender
1) Vgl. meinen letzten Bericht im Juniheft 1913 dieser Jahrbücher, 8.819 ff.,
über die amtliche Statistik der Tarifverträge des Jahres 1913.
Miszellen. 383
sich das Bedürfnis geltend macht, auf Grund möglichst zuverlässiger,
umfassender und tiefgehender Tatsachenmaterialien die sozialen Pro-
bleme zu erfassen und zu analysieren, um so willkommener und dankens-
werter muß der hier erreichte Fortschritt erscheinen. Dies gilt hier
um so mehr, als, wie namentlich die Beschäftigung mit der Frage der
rechtlichen Regelung des Tarifvertrags ergibt, wohl auf keinem Auf-
gabengebiete eine derartige Kompliziertheit der Vorbedingungen für
die Inangriffnahme einer befriedigenden Lösung besteht wie auf dem des
Arbeitstarifvertrags.
Was zunächst die methodologische Seite betrifft, so waren erst-
malig für das Berichtsjahr 1910 neue Formulare eingeführt worden,
die sich von den früheren hauptsächlich dadurch unterschieden, daß
für jeden einzelnen in diesem Jahre in Kraft getretenen Tarifvertrag
ein besonderes Zählblatt auszufüllen war, in dem der Inhalt des Ver-
trags ausführlicher und deutlicher als bisher dargestellt ward. Da-
durch konnte das Zusammenstellungsformular eine entsprechende Kür-
zung erfahren. Die jetzige neue Methode bedingte eine nochmalige
zweckgemäße Aenderung des Inhalts der (nebst Gebrauchsanweisung
und Musterausfüllung abgedruckten) Formulare, zu denen als drittes
eine Liste der aus früheren Jahren noch gültigen Tarifverträge hin-
zugekommen ist.
Die neue Statistik enthält in ihrem ersten Teile 77 Seiten mit er-
läuternden konzentrierten Tabellen durchsetzten Text, in ihrem zweiten
Teile auf 246 Seiten die ausführlichen zahlenmäßigen Uebersichten,
außerdem einen Anhang von 25 Seiten, in dem wiederum die Tarif-
gemeinschaften im Handwerk, außerdem aber noch diejenigen in den
Großstädten je eine zahlenmäßire Darstellung gefunden haben. Die
erstere gibt ein anschauliches Bild der im Handwerk üblichen tarif-
lich geregelten Arbeitsbedingungen, die letztere umfaßt natürlich auch
Tarifgemeinschaften, deren Geltung über den Großstadtbereich hinaus-
geht. Besonders wichtig sind in diesen die großstädtischen Löhne und
täglichen sommerlichen Arbeitszeiten. Das Material ist, wie bisher
stets, ganz überwiegend von Arbeitnehmer-Verbänden (12437 Verträge)
und Gewerbegerichten, äußerst dürftig dagegen von Arbeitgeberseite
(836 Verträge) eingegangen. Die Statistik mußte daher wiederum im
wesentlichen aus dem ersteren aufgebaut werden, das nur unbedeutende
und zuden: insofern entschuldbare Lücken aufweist, als manche Verträge
den Verbänden selbst erst nachträglich bekannt wurden. Auch inhalt-
lich warer die Angaben in den Nachweisen dieser Seite trotz der ihr
durch die Erweiterung auf eine vollständige Bestandsstatistik erwachse-
nen erheblichen Mehrbelastung so sorgfältig und erschöpfend, daß das
Material einen recht zuverlässigen Boden für den Aufbau bot. Diese
Sorgfalt beruht, wie hier eingeschaltet werden darf, hauptsächlich auf
entsprechenden Anweisungen der Zentralverbands-Vorstände an die An-
gestellten. So enthält z. B. das mir gerade vorliegende „Handbuch für
die Bevollmächtigten des Deutschen Buchbinderverbandes“ eine ein-
gehende und sachgemäße Belehrung über deren Pflichten betreffs der
laufenden tarifstatistischen Berichterstattung an das Statistische Amt.
384 Miszellen.
Vorausgeschickt ist der textlichen Darstellung diesmal ein kurzer, soweit
möglich vergleichender Ueberblick über die Ergebnisse der Tarif-
statistik anderer Länder (Großbritannien, Schweden, Oesterreich und
Frankreich), ferner eine Erörterung über den Begriff des Tarifvertrags
und ein Rückblick auf die Entwicklung der deutschen Tarifstatistik.
Was nun die wesentlichsten Ergebnisse der neuen, ein
Gesamtbild des deutschen Tarifvertragwesens am Ende des Jahres 1912
vorführenden Statistik betrifft, so gipfeln sie in drei außerordentlich
wichtigen Feststellungen. In erster Linie ist „das außerordent-
lich rasche Vorwärtsschreiten des Tarifgedankens be-
merkenswert‘“!). In den sechs Jahren seit Ende 1907, seit
welcher Zeit erst eine Vergleichung richtiger Zahlen möglich ist, hat
sich die Zahl der Tarifverträge und der von ihnen erfaßten Arbeiter
mehr als verdoppelt. Beseitigt man, nachdem dies jetzt möglich
geworden, die aus der Zusammenzählung der einzelnen Tarifverträge
sich ergebenden Doppelzählungen von Betrieben und Personen, so gab
es Ende 1912:
10739 Tarifgemeinschaften für 159930 Betriebe und
1574285 Personen.
Will man die Entwicklung der Tarifverträge in diesen sechs
Jahren übersehen, so steht dem allerdings zweierlei im Wege.
Erstens, daß bis einschließlich 1911 immer nur die im Berichts-
jahr in Kraft getretenen Tarifverträge frei von Doppelzählungen
ermittelt worden sind. Ferner, daß die Eingliederung der Tarif-
verträge in das der Berufs- und Betriebszählung von 1907 zugrunde
liegende Verzeichnis der Gewerbegruppen seit 1910 für die im Be-
richtsjahre in Kraft getretenen Verträge, dagegen erst in der vor-
liegenden neuesten Statistik auch für den Gesamtbestand aller
Verträge erfolgt ist. Infolgedessen darf man für jenen Zweck nicht
den jetzt als besser erkannten Modus der Zugrundelegung der Tarif-
gemeinschaft wählen, sondern muß sich mit dem älteren Verfahren
der einfachen Zusammenzählung aller berichteten Verträge ohne ihre
Zurückführung auf die Zahl der durch sie begründeten Tarifgemeıin-
schaften begnügen. Mit anderen Worten: man muß die Summe der für
jedes Jahr berichteten Verträge ohne Ausschluß der darin ent-
haltenen Doppelzählungen nebeneinanderstellen. Alsdann ergibt
sich folgendes Bild:
Bestand Tarifverträge Betriebe Personen
Ende 1907 5324 111050 974 564
» 1908 5671 120 40I 1 026 435
„ 1909 6578 137 214 1 107 478
„ 1910 8 293 173 727 1 361 086
a. "204 10 520 183 232 1552827
in 2912 12437 208 307 1 999 579
Nach den Erfahrungen der letzten Jahre nimmt das Statistische
Amt an, daß das Verhältnis, in dem sich die Anzahl der berichteten
Tarifverträge nebst Betrieben und Personen bei der Zusammenziehung
in Tarifgemeinschaften vermindert, nicht sehr erheblich ändert. Das
1) So wörtlich in der Besprechung und auszugsweisen Wiedergabe des Werkes
im Reichsarbeitsblatt, 1914, Januarheft, S. 6l ff. und Februarheft, S. 142 ff.
Miszellen. 385
zweite Hauptergebnis ist, daß, wie diese Zahlen gleichfalls dar-
tun, der Anteil der durch den Abschluß von Tarifver-
trägen vermittelten friedlichen Verständigungen zwi-
schen den beiden Parteien an der Gesamtheit der gewerb-
lichen Streitigkeiten in erfreulichem ständigem Wachs-
tum begriffen ist. Immer mehr wird der Weg friedlicher Verein-
barung dem des Kampfes, der Ausstände und der Aussperrungen, vor-
gezogen. Drittens sind die Tarifverträge bei uns in Betriebe
jeder Größe, in kleine, mittlere und Großbetriebe, ein-
gedrungen und verstärkt sich namentlich ihr Eindringen
in Großbetriebe der allerverschiedensten Branchen fort-
gesetzt.
Sieht man näher zu, wie die Entwicklung des Tarifvertrags-
gedankens sich vergegenständlicht, so ergibt sich zunächst eine erheb-
liche Verschiedenheit der einzelnen Gewerbe in ihrer Aufnahmebereit-
schaft. Am stärksten von ihm durchdrungen sind die polygraphischen
Gewerbe, demnächst (und zwar erheblich stärker als in Großbritannien)
das Baugewerbe, sodann das Bekleidungsgewerbe, die Papier-, Leder-
und Holzindustrie, während der Bergbau bei uns und auch in Oesterreich
im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich und Schweden, sich aus
den in den früheren gleichartigen Besprechungen erörterten Gründen
noch immer vollständig ablehnend verhält. In der Gesamtzahl aller
tariflich beschäftigten Arbeiter übertrifft Großbritannien mit 2,4 Mill.
Deutschland erheblich. Die starke Beteiligung des Verkehrsgewerbes
an den britischen Tarifverträgen ergibt sich daraus, daß die Eisenbahnen
dort Privatbetriebe sind. Läßt man die nur in sehr geringer Zahl von
Tarifverträgen erfaßten Arbeiterinnen außer Betracht, so sind im ganzen
etwa 1/, aller deutschen Arbeiter durch Tarifverträge gebunden. Weit
größer ist aber die nicht feststellbare Zahl der indirekt von Tarif-
verträgen beeinflußten Arbeiter, da die tariflichen Arbeitsbedingungen
auch für die Arbeitsverhältnisse der nicht tarifgebundenen Arbeiter
in vielfachen Hinsichten maßgebend werden. Es entfielen (ohne Doppel-
zählungen):
Tarif Betriebe Personen
gemeinschaften
auf die polygraphischen Gewerbe 80 9723 85 319
„ das Baugewerbe 2466 56 980 596 273
» »„» Bekleidungsgewerbe 719 19916 139 767
» die Papierindustrie 166 2 492 41039
» » Lederindustrie 245 4 842 32057
» a Holzindustrie 1264 18 912 155 109
» » Metallverarbeitung und Maschinendustrie 1291 17 678 199 156
» p Industrie der Steine und Erden 610 4 000 59 528
„on nm ‚„ Nahrungs- und Genußmittel 2167 11754 120 284
» das Verkehrsgewerbe 336 5 228 59 595
» » Handelsgewerbe 637 2723 39 073
Relativ schwach vertreten ist die Textilindustrie (in der bekannt-
lich über die Hälfte der Arbeiter weibliche sind) mit 206 Verträgen,
577 Betrieben und 15895 Personen und noch mehr die Landwirtschaft
mit 90 Verträgen, 532 Betrieben und 4243 Personen. Von den übrigen
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 25
386 Miszellen.
Gruppen sei hier noch die Gast- und Schankwirtschaft mit 218 Ver-
trägen, 1596 Betrieben und 6174 Personen genannt. Die Vertretung
des Tarifvertraggedankens ist also sehr verschieden, je nachdem man
die Zahlen der Tarifgemeinschaften, der Betriebe oder der Personen
ansieht. Will man wissen, bis zu welchem Grade ein Gewerbe taritlich
geregelt ist, so muß man die Zahlen seiner sämtlichen Betriebe
und der sämtlichen in ihnen beschäftigten Personen vergleichen mit
den Zahlen der von Tarifverträgen eriaßten Betriebe und Personen
desselben Gewerbes. Nach der gewerblichen Betriebsstatistik von 1907
gab es im ganzen 9608615 Arbeiter und Gehilfen gegen 1574285
Ende 1912 tariflich gebundene, so daß diese 16,4 Proz. von jenen be-
tragen. Legt man nur die Zahlen der männlichen Personen aus jener
Betriebsstatistik (insgesamt rund 7,7 Mill.) zugrunde, so sind danach
tarifgebunden: in den polygraphischen Gewerben 66,9, im Bekleidungs-
gewerbe 50, im Baugewerbe 47,4, in der Papierindustrie 33,9, in der
Holzindustrie 31,8, in der Lederindustrie 26,2, im Verkehrsgewerbe
22,1, in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie 21,3, in der Metall-
verarbeitung und Maschinenindustrie 13, in der chemischen Industrie
5,4, in der Textilindustrie 4 Proz. aller Arbeiter.
Nach dem örtlichen Geltungsbereiche betrachtet gab es
11 für das ganze Reich geltende Tarifgemeinschaften für 9239 Be-
triebe und 80945 Personen. Die polygraphischen Gewerbe sind an
ihnen hauptsächlich beteiligt. Doch ist dabei zu beachten, daß auch
viele örtliche Tarifgemeinschaften teils auf zentralen Tariffestsetzungen
(wie im Holz-, Schneider- und Baugewerbe, besonders 356 Verträge
im Malergewerbe auf einem Reichs-Rahmentarife), teils auf einem
zentral vereinbarten Vertragsmuster (wie im Steindruck- und im Handels-
gewerbe) beruhen. Die größte Zahl von Tarifgemeinschaften (72,7
Proz. mit 26,6 Proz. aller tariflich gebundenen Personen) ist auf je
eine Unternehmung beschränkt, dagegen sind die, welche die Mehr-
zahl aller tariflich gebundenen Arbeiter (50,2 Proz.) umfassen, für
ganze Bezirke abgeschlossen. Etwa !/; aller Tarifgemeinschaften be-
ruhen auf Ortstarifverträgen.
An den Vertragschlüssen sind auf Arbeiterseite nur Ver-
bände beteiligt. Bei 72,8 Proz. aller Verträge ist auf Arbeitgeberseite
kein Verband beteiligt. Sie umfassen aber nur 31,5 Proz. aller Per-
sonen, während fast ?/ der letzteren unter zweiseitig korporative Ver-
träge fallen. An 5,7 Proz. aller Verträge waren Innungen beteiligt.
Man sieht daraus, daß die Tarifgemeinschaften durchaus auf der Kraft.
und dem Willen der beiderseitigen Organisationen beruhen. Zum ersten
Male. sind die Tarifgemeinschaften auch nach dem Prozentsatze ge-
ordnet, den die organisierten Arbeiter von den überhaupt erfaßten Ar-
beitern ausmachen. Danach gehören, soweit den Verbänden Angaben
darüber möglich waren, 54,1 Proz. aller tarifgebundenen Arbeiter den
berichtenden Verbänden an. Dieser Durchschnittssatz wechselt aber
zwischen. 29,9 im Bau- und 93,8 im polygraphischen Gewerbe.
Die wichtige Frage der Verbreitung des Tarifvertrags nach der
Größe der Betriebe, also namentlich nach seinem Eindringen in die
Großbetriebe, ist immer noch deshalb nicht strikt zu beantworten,
Miszellen. 387
weil sich nicht überall feststellen läßt, wieviele Arbeiter jeder tariflich
geregelte Betrieb umfaßt. Es läßt sich nur für jeden Tarifvertrag die
Gesamtzahi der in allen von ihm umfaßten Betrieben beschäftigten
Arbeiter feststellen und daraus die Durchschnittszahl der auf den
einzelnen Betrieb entfallenden. Arbeiter ziehen. Danach sind zwar
69 Proz. aller Tarifgemeinschaften solche, die durchschnittlich nur bis
20 Arbeiter beschäftigen, aber die Mehrzahl aller tarifgebundenen Ar-
beiter (50,3 Proz.) gehört Tarifgemeinschaften an, bei denen auf einen
Betrieb durchschnittlich mehr als 20 Arbeiter kommen. Das Sta-
tistische Amt schließt daraus, daß die Mehrzahl aller durch die
Ende 1912 bestehenden Tarifverträge gebundenen Per-
sonen zu Betrieben gehört, die keinen handwerksmäßigen
Charakter mehr tragen. Bei 471 Tarifgemeinschaften mit 1027
Betrieben und 221446 Arbeitern (= 14,2 Proz. aller tarifgebundenen)
fallen auf einen Betrieb durchschnittlich mehr als 100 Arbeiter. Am
stärksten ist dabei die Metallverarbeitung nebst Maschinenindustrie
vertreten. Von diesen 471 fallen 300 Tarifgemeinschaften für 714 Be-
triebe und 99481 Arbeiter auf Betriebe mit mehr als 100 bis einschließ-
lich 200 Arbeitern und 171 Tarifgemeinschaften für 313 Betriebe und
121965 Arbeiter auf Betriebe mit mehr als 200 Arbeitern. Die größte
Arbeiterzahl in einem tariflich gebundenen Betriebe findet sich in einer
Stuttgarter elektrotechnischen Fabrik, in der für 4730 Arbeiter ein
Tarifvertrag bestand. Dann folgen Tarifverträge je für 3960, 1479,
1280, 1200, 1175 und 1008 Arbeiter. Im ganzen umfaßt die Metall-
verarbeitung und Maschinenindustrie 58 Tarifgemeinschaften der zweiten
Art für 85 Betriebe mit 42395 Personen, darunter zahlreiche in der
eigentlichen Großeisenindustrie. Aus anderen Gewerbegruppen seien
eine Zellstoffabrik mit 2000 und 1118 Personen, eine Nahrungsmittel-
fabrik mit: 1325, ein Zeitungsunternehmen mit 1510 tarifgebundenen
Personen erwähnt. Ausdrücklich wird dabei hervorgehoben, daß alle
diese Personenzahlen nur die unmittelbar tarifgebundenen Ar-
beiter erfassen, also nur Mindestzahlen sind, da jene Großbetriebe weit
mehr Personen als diese letzteren beschäftigen können. Bemerkt sei
auch noch, daß in der chemischen Industrie, die nur Großindustrie
ist, 61 Tarifgemeinschaften für 66 Betriebe mit 5814 Arbeitern (= 5,4
Proz. aller im Jahre 1907 in dieser Industrie beschäftigten Arbeiter)
bestehen. Dagegen entfallen auf Tarifgemeinschaften im Handwerk (er-
mittelt nach der Art der Erzeugnisse und zugleich nach der Betriebs-
größe) 3826 Verträge für 110900 Betriebe und 450928 Personen.
Was Arbeitszeit und Arbeitslohn betrifft, so wird unter
ersterer die kürzeste reine Arbeitszeit (ohne Pausen) verstanden, die
nach Sommer und Winter getrennt sowie als tägliche und wöchentliche
dargestellt wird. Leider ist es nicht allen berichtenden Verbänden mög-
lich, die Zahlen der unter die verschiedenen Arbeitszeiten fallenden
Arbeiter getrennt anzugeben, ebensowenig für jeden Lohnsatz in den
verschiedenen Bezirken und Berufsarten innerhalb einer Tarifgemein-
schaft die Zahl der darunter fallenden Arbeiter. Es mußte daher einer-
seits bei der bisherigen Einreihung des ganzen Tarifs mit allen Ar-
25*
388 Miszellen.
beitern unter die kürzeste Arbeitszeit (die freilich regelmäßig auch
die Arbeitszeit für die große Mehrheit aller tarifgebundenen Arbeiter
ist), anderseits bei der Gruppierung nur eines Bruchteils aller tarif-
gebundenen Arbeiter nach den verschiedenen Lohnstufen bewenden.
Danaclı fallen im Sommer unter eine Arbeitszeit von 91/,—10 Stunden
46,6 Proz. der Tarifgemeinschaften und 37,1 Proz. der Arbeiter. Die
meisten Arbeiter (57,7 Proz.) arbeiten zwischen mehr als 9 bis ein-
schließlich 10 Stunden. Im Winter halten die niedrigeren Zeitstufen
den höheren die Wage; unter 8 Stunden arbeiten 34,4 Proz. der Arbeiter.
Als Arbeitslohn ist durchgängig der niedrigste tariflich vereinbarte
Zeitlohnsatz für erwachsene Arbeiter angegeben. Alle Tariflöhne sind
bekanntlich Mindestlöhne. In der Tarifstatistik werden sie zur Er-
möglichung einheitlicher Darstellung in dem besonderen engeren Sinne
desjenigen Lohnes verstanden, den ein erwachsener Arbeiter mindestens
beziehen muß, auch wenn er neu in den Betrieb eintritt oder der
niedrigst gelohnten Arbeiterart des ihn bindenden Tarifvertrags an-
gehört. Bei den gelernten Arbeitern ist die Stufe über 45—55 Pfg.
am stärksten (mit 34,7 Proz. der Tarifgemeinschaften und 37 Proz.
der Arbeiter) besetzt, bei den ungelernten die über 35—45 Pfg. (mit
47 Proz. der Tarifgemeinschaften und 44,4 Proz. der Arbeiter). Sonach
beträgt für gelernte Arbeiter bei der Mehrzahl aller Tarifgemeinschaften
(58,9 Proz.) und Arbeiter (72 Proz.) der niedrigste Mindestlohn über
45 Pfg., für ungelernte bei der großen Mehrzahl aller Tarifgemein-
schaften (74,2 Proz.) und Arbeiter (61,7 Proz.) 45 Pfg. und weniger.
Im Wochenlohn ist bei den gelernten Arbeitern die Stufe über 20 bis
25 M. von den meisten Tarifgemeinschaften (30,5 Proz.), dagegen die
Stufe über 25—30 M. von den meisten Arbeitern (52,6 Proz.) besetzt.
Bei den ungelernten ist die Mehrzahl (57,4 Proz.) zu einem Wochenlohn
von 25 M. und weniger beschäftigt. Sonntags- und Nachtarbeit wird
in der Regel höher als gewöhnliche Ueberarbeit bezahlt.
Fast alle Tarifverträge (98,3 Proz.) enthalten Bestimmungen über
die Entlöhnungsformen. In 4888 Tarifgemeinschaften (46,3 Proz.)
für 41721 Betriebe und 328199 (21,1 Proz.) Personen ist nur Zeitlohn,
in 585 (5,6 Proz.) für 3464 Betriebe und 53923 (3,4 Proz.) Personen
nur Akkordlohn, in den übrigen 5079 (48,1 Proz.) für 112372 Betriebe
und 1175344 (75,5 Proz.) Personen beides vorgesehen. Mindestlohn-
Gewährleistung bei Stücklohn haben 1637 Tarifgemeinschaften (28,9
Proz. aller mit Stücklohn) für 43667 Betriebe und 311965 (25,4 Proz.)
Personen.
Wir bisher werden ferner die tariflichen Bestimmungen über
Jahreszeit des Abschlusses, Dauer, Kündigung und Ver-
längerung der Tarifverträge, Schlichtungs- und Eini-
gungsorgane und ein- oder zweiseitige Arbeitsnachweise
dargestellt. Beachtenswert ist, daß in unverhältnismäßig vielen Fällen.
(für 48,3 Proz. aller tarifgebundenen Arbeiter) durch den Tarifvertrag
jede Kündigungsfrist für den Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen ist.
Schließlich wird wiederum eine Vergleichung der ortsüblichen Tage-
löhne mit den tariflichen Lohnsätzen für männliche erwachsene Arbeiter
Miszellen. 389
gegeben, doch diesmal unter Erweiterung auf den Gesamtbestand aller
Ende 1912 bestehenden Tarifverträge, so daß sie ein im wesentlichen
vollständiges Bild von den Löhnen der hauptsächlichsten Berufsarten
gelernter und ungelernter männlicher Arbeiter in den verschiedenen
Verwaltungsbezirken des ganzen Reiches gibt. Angeschlossen ist ihr
eine Uebersicht über die auf die verschiedenen Stundenlohnstufen ent-
fallenden Zahlen der männlichen gelernten und ungelernten Arbeiter.
Mit dem neuen Bande hat die deutsche Tarifvertragsstatistik einen
hohen Grad der Vervollkommnung erreicht. Zu wünschen bleibt, wie
das Statistische Amt selbst hervorhebt, eine erheblich frühere Ein-
sendung der Materialien, womöglich schon im ersten Monat des dem
Berichtsjahre folgenden Jahres, damit die Verarbeitung- und Veröffent-
lichung rascher als bisher erfolgen kann. Inwieweit hinsichtlich der
Spezialisierung der Löhne und der Arbeitszeiten sowie der Größe der ein-
zelnen Betriebe Verbesserungen auch dem Statistischen Amte wünschens-
wert sind, wurde bereits erwähnt. Es bliebe dann noch die wichtige
internationale Vergleichbarkeit anzustreben. Der Gesamteindruck von
der Entwicklung des Tarifvertragsystems selbst läßt sich dahin charak-
terisieren, daß sie durch ihre Stetigkeit ebenso wie durch ihre Stärke
den Tarifvertraggedanken zu steigender Bedeutung im sozialen Leben
emporhebt und immer aufs neue Kräfte von ihm ausgehen läßt, die,
ob gewollt oder nicht, aufbauende, den zerstörenden Wirkungen des
Klassenkampfes entgegenwirkende und daher friedenfördernde sind.
390 Miszellen.
X.
Zur Ordnung unserer Wissenschaft.
Von Rud. Dietrich.
Inhalt: 1. Wirtschaft-Wissenschaft, Privatwirtschaft-Lehre und Technik.
— 2. Eine Neu-Ordnung der Wirtschaft-Wissenschaft. — 3. Schluß-Fragen, die
besonders deu Inhalt der Betrieb-Wissenschaft betreffen.
1
In der Grundlegung zu meinem Werke Betrieb-Wissenschaft (das
zurzeit gedruckt wird) habe ich mich um eine — wie mich dünkt, dring-
liche — Neuordnung unserer Wissenschaft bemüht. Einer vorläufigen
Veröffentlichung in Schmollers Jahrbuch (1913, S. 595—653), welche
den größten Teil jener Grundlegung bringt, hat Prof. K. Diehl-Frei-
burg in seiner Abhandlung über „Privatwirtschaft-Lehre, Volkswirt-
schaft-Lehre, Weltwirtschaft-Lehre“ (Jahrbücher III. F. 46. Bd., S. 433
bis 482) eine Seite gewidmet (467).
Es lag für eine Abhandlung, welche sich mit Privatwirtschaft-
Lehre befaßt, nahe, meine Arbeit heranzuziehen; weil diese den Privat-
wirtschaft-Lehren entgegentritt. Es ist aber nicht gut möglich, daß
ein vollständiger Bericht über Zweck und Inhalt meiner Arbeit mit
einer Seite nur auskommt. Ich bitte deshalb um Aufmerksamkeit für die
folgende knappe Darstellung, die ich, da mich die Abschluß-Arbeiten
an meinem Werke während der letzten Monate ganz in Anspruch
nahmen, nicht früher bieten konnte. Ihrem sachlichen Wert tut dies,
scheint mir, keinen Abbruch. —
Mein Urteil über die Möglichkeit einer „Privatwirtschaft-Lehre“
wurde vorhin berührt. Ich beschränke mich hier auf die folgenden
grundsätzlichen Bemerkungen. Schon der Name ist unhaltbar, eine
verfehlte Bildung, aus falschen sachlichen Voraussetzungen entstanden,
obendrein in verschiedenem Sinne gebraucht. Und was die Sache be-
trifft: man hat keinen Grund, für die wissenschaftliche Pflege der
Wirtschaften (Betriebe und Haushalt), die man ungeschickterweise
„Privatwirtschaften‘“ nennt, innerhalb der Wirtschaft-Wissenschaft (Volks-
wirtschaft-Lehre) eine besondere Abteilung, oder außerhalb eine selb-
ständige Haupt- oder Nebenwissenschaft zu bilden.
Folglich kann ‚„Privatwirtschaft-Lehre‘“ als wissenschaftliche Wirt-
schaft-Lehre weder in noch neben der Wirtschaft-Wissenschaft (Volks-
wirtschaft-Lehre) bestehen; es ist logisch und sachlich unmöglich. Eine
Verwechslung aber jenes organischen Teils der Wirtschaft-Wissenschaft,
den ich versucht habe auszubilden (vgl. Abschn. 2 u. 3) und Betrieb-
Miszellen. 391
Wissenschaft nenne, mit einer „Privatwirtschaft-Lehre“ irgendwelchen
Sinnes, ist ausgeschlossen.
Diese gedeiht heute in den „Handels-Hochschulen“. Deren Be-
gründer und Leiter, mehr noch manche ihrer Lehrer als Vertreter ge-
wisser Fächer, haben einen bedauerlichen, ja peinlichen, leider wenig
beachteten Wirrwarr der Begriffe verschuldet. Man nehme sich ein-
mal die Mühe und vergleiche die Verzeichnisse ihrer Vorlesungen und
Uebungen.
Ich habe in diesen Wirrwarr Klarheit zu bringen gesucht. Die
fraglichen Begriffe oder vielleicht nur Worte sind — außer Privatwirt-
schaft-Lehre — Handel-Wissenschaft, Betrieb-Lehre. Ich lehne alle
drei (und einige ähnlich lautende verwandte) ab, scheide die ver-
schiedenen, willkürlich zusammengefügten Einheiten und Gesamtheiten,
die jene Begriffe oder Worte umfassen oder bezeichnen (sollen), und
stelle sie au ihren Ort: Weise das Wirtschaftliche der Wirtschaft-W issen-
schaft. das Technische den Technikern zu. Damit wird nicht allein
Klarheit. sondern auch Vereinfachung erwirkt.
Diese Untersuchung und Scheidung, wie auch schon die Durch-
sicht der vorhin erwähnten Handels-Hochschul-Verzeichnisse lassen nun
deutlich erkennen, was die „Privatwirtschaft-Lehre‘‘ heute willkürlich
enthält: hauptsächlich Handels- oder kaufmännische Techniken weiteren
und engeren Sinnes oder eines äußeren und inneren Kreises. Unter
den Größen des inneren Kreises verstehe ich die Kontor-Techniken:
Korrespondenz, Preisberechnung (Kalkulation), Buchführung, Bilanz-
Technik, Kassen-Dienst, Registratur. Nebenbei: ich bestreite nicht,
daß diese Techniken wissenschaftlich begründet und gepflegt werden
können. Kalkulation und Registratur z. B. müssen in Großbetrieben
wissenschaftlich geordnet sein, und sind es nicht selten. Aber Techniken
bleiben sie wie die anderen; Teile einer Wirtschaft-Lehre können sie
nicht sein oder werden, und einen anderen (Gattung- oder Art-) Namen
brauchen sie auch nicht.
Der Sachverhalt ist also einfach dieser: wir sehen (außer dem
Recht, das nicht strittig ist und, wenn es nicht als geschlossene Gruppe
für sich bestehen soll, hier oder dort zweckmäßig angefügt wird) nur
Wirtschaft und Technik. Einen Mischling aus beiden irgendwelchen
Namens gibt es wissenschaftlicherweise nicht: weder auf der einen
noch auf der anderen Seite noch zwischen beiden. Freilich müssen
Wirtschaft und Technik sehr lebhaft und mannigfach miteinander ver-
kehren, denn die Techniken dienen (sollen und wollen dienen) der Wirt-
schaft. Das können sie nur, wenn sie selbst wirtschaftlich be- oder
gestimmt sind: der Geist der Wirtschaft beherrscht die Techniken,
setzt ihnen Maß und Ziel. Möglich, daß diese klare Bedingung und
Tatsache zu irrtümlichen Auffassungen und theoretischen Mischungen
oder Verquiekungen und zu einem „System“ solcher geführt, das man
glaubte Privatwirtschaft-Lehre nennen zu dürfen.
Aus dem natürlichen Verhältnis zwischen Wirtschaft und Technik
folgt weiter — und die Bedeutung der Tatsache springt in die Augen —
daß die Techniken nach Sachgebieten der Volkswirtschaft geordnet
392 Miszellen.
werden. Leben und Leisten jedes Gebiets besteht ja im Zusammenwirken
seiner wirtschaftlichen und technischen Kräfte, die nicht sachlich,
höchstens persönlich getrennt tätig sind; denn sie arbeiten im Dienste
der eigentlich und verantwortlich schaffenden Einheiten, der Betriebe,
deren jeder wirtschaftliche und technische Wesenheiten besitzt. Mög-
lich, daß auch diese Tatsache das Aufkommen jener unklaren ge-
mischten „Lehren“ oder „Wissenschaften“ gefördert hat.
Aber wie gesagt: die wissenschaftliche Betrachtung scheidet, um
der Sicherheit und Klarheit des Erkennens willen; sie scheidet das
Wirtschaftliche vom Technischen. Weiter tut sie nichts. Sie bildet
nicht ein drittes Reich, in das sie eine gemischte Gesellschaft wissen-
schaftlicher Einheiten setzt. Man könnte Sinn und Zweck solchen Ge-
barens nicht verstehen, und vor allem: es würde ihrem Wesen wider-
streben. Folglich: was im Reiche des Wirtschaftlichen keinen Platz
erhalten. muß sicher im anderen Unterkunft finden: und umgekehrt.
Es wäre nicht schwer, dies im einzelnen nachzuweisen.
Immer jedoch wiederholen wir, ist allein von wirtschaftlich be-
stimmten Techniken die Rede. Selbstverständlich sind sie in ihrem
vollen Inhalt zu denken. Aber wird nun die prüfende Beobachtung
wirklich jede weitere Tatsache (wenn sie nicht klar rechtlicher Art
ist) im wissenschaftlichen Bereiche der Wirtschaft vertreten sehen ?
Nein. Doch sind die unversorgt gebliebenen nicht wirtschaftliche, son-
dern technische Einheiten: nämlich Bestandteile technischer Erkenntnis,
welche eine wohlgefügte Gesamtheit für sich bilden, die man, etwas
unbestimmt, allgemeine Technik nennen könnte. Sie vereinigt gemein-
same Wesenheiten und Angelegenheiten aller Techniken.
Ihren: in sich geschlossenen Haupt-Teile dürfte man die Bezeich-
nun; Verbrauchstechnik geben. Technik selbstverständlich des wirt-
schaftlichen Verbrauchs; denn jeder Verbrauch steht unter dem Gesetz
der Wirtschaftlichkeit. Natürlich hätte man sich die kurze Bezeichnung
für eine große Gesamtheit, wie immer in solchen Fällen, weiter, je-
doch nur einfach folgerecht auszumalen. Das gälte hier für den Sinn
des bestimmenden Wortes, also: Verbrauch der „Güter“, nämlich der
Stoffe unc Kräfte (auch Kraft-Träger) und ihrer Leistungen — und Ver-
brauch im weitesten Sinne: Gebrauch, Benutzung, Ausnutzung ein-
schließend.
Voigt (Frankfurt) nennt die Sache „Technische Oekonomik‘“t).
Der Name ist nicht glücklich gewählt, nicht nur unklar, sondern auch
unverständlich für den, der sich an gegenständliches Denken gewöhnt.
Sachlich klar ist nur, daß wesentlich Technik, nicht Oekonomik den
Inhalt der fraglichen Gesamtheit bildet. Was v. Gottl. Ottlilienfeld
(München) unter derselben Marke bietet, wird ähnlicher Art sein; er
rechnet zur Technischen Ockonomik, „z. B. die Prinzipien der produk-
tivsten Gestaltung der Produktion-Prozesse“. Eine Bearbeitung der
Sache liegt von ihm nicht vor. Andere haben sich über den Gegen-
stand bisher nicht vernehmen lassen.
1) Wirtschaft und Recht der Gegenwart (Tübingen 1912), Bd. 2, S. 219 ff.
Miszellen, 393
2.
Den folgenden Darlegungen stellt sich von vornherein die zweifelnde
Frage entgegen: Aber besteht denn ein Bedürfnis nach Ordnung un-
serer Wissenschaft selbst? In dem maßgebenden Kreise? Auf diese
Frage geho ich hier ebensowenig ein wie auf einen bestimmten, sehr
erheblichen, leider bisher kaum beachteten Gegensatz der wissenschaft-
licheu Grundsätze und Anschauungen, den sie andeutet. Ich vertrete
die Tatsache des Bedürfnisses, berichte aber nur über meine Neu-
ordnung (von mir zuerst angeregt in den Volksw. Blättern 1910, S. 17 ff.).
Die Begründung geht von der herrschenden Einteilung und den
Bezeichnungen der Abteilungen aus und deckt die beträchtlichen
Schwächen jener wie dieser auf. Die neue Ordnung bildet zwei Haupt-
abteilungen, deren Inhalt (A. Begriffe und Grundsätze des Wirtschaftens
— B. Wirtschaft-Leben) zunächst in möglicher Knappheit beschrieben
wird; später folgt die Angliederung einer weniger bedeutenden dritten
Abteilung (C. Geschichte der Wirtschaft-Wissenschaft). Die größte,
die zweite Abteilung (B) bedingt weitere Gliederung in drei Unterab-
teilungen.
Als treffende kurze Bezeichnungen werden vorgeschlagen: für A.
Grund-Wissenschaft, für die drei B. Haushalt-, Betrieb-, Verkehr-Wissen-
schaft. Dabei empfehle ich für die mündliche Lehre (wie für die
schriftliche Darstellung) den eben gegebenen Aufbau der drei B-Teile.
der überdies geschichtlich begründet ist. Ueber das Verhältnis zwischen
Betrieb- und Verkehr-Wissenschaft möchte ich noch bemerken: den
Inhalt jener bilden Wesen, Bau- und Innenleben, den Inhalt dieser
das Außenleben, der orts-, bezirks-, volks-, weltwirtschaftliche Dienst
und Wettbewerb der Betriebe als bedürfender und Bedarf deckender,
nehmender und gebender Wirtschaften.
Aus der letzten Andeutung erhellt die Richtigkeit der Bezeichnung
Verkehr-Wissenschaft. Der Begriff versteht Verkehr in dem gewöhn-
lichen weiteren Sinne (daß es sich nur um wirtschaftlichen Verkehr
handelt, wäre, weil selbstverständlich, im Namen nicht besonders an-
zudeuten). Zwar sind an jenem vielfältigen Verkehr auch die Haus-
halte beteiligt. Das erschüttert jedoch nicht das sachliche Recht, die
Wissenschaft vom Außendienst der Betriebe Verkehr-Wissenschaft zu
nennen. Zu dem Außendienst gehört eben selbstverständlich mit die
Bedienung der Haushalte (oder ihrer Vertreter), und nur als Bediente,
als Dienste Fordernde treten diese in den Verkehr. Mit einigem Recht
könnte man die Verkehr-Wissenschaft auch Volkswirtschaft-W issenschaft
engsten Sinnes heißen; denn wenn man sich die Volkswirtschaft als ein
Ganzes vorstellen darf — und die Vorstellung ist gestattet — so sieht
man in ihr nicht die inneren Tätigkeiten der Wirtschaft-Einheiten,
sondern eben nur das bunte Flechtwerk des Verkehrs: zwischen Be-
trieb und Betrieb, zwischen Betrieb und Haushalt.
Die „Finanz-Wissenschaft“ (heute ein alter Zopf) verschwindet
als selbständiger Teil: Gemeinde- und Staats-Wirtschaft, als Ganze, ge-
hören in die Haushalt-, ihre Betriebe aber selbstverständlich in die
394 Miszellen.
Betrieb-Wissenschaft. Aehnlich „aufgeteilt“ wird die „Wirtschaft-Po-
litik“; als Begründung genügt die Erinnerung an eine der ersten
Regeln wissenschaftlicher Arbeit: überall jeglichen Zusammenhängen
nachzugehen. Dasselbe gilt, in sachgemäßer Anwendung, für „Wirt-
schaft-Recht, -Geschichte, -Geographie“. Gelegenheiten zur Befriedi-
gung des Bedürfnisses nach äußerst gedrängten Zusammenfassungen
unter dem oder jenem Gesichtspunkte gibt es genug.
Offenbar ist meine Neuordnung der gesamten Wirtschaft-Wissen-
schaft eine Vereinfachung, und mit ein paar erklärenden Worten jeder-
mann (auch außerhalb der im engeren und weiteren Sinne wissen-
schaftlicher Kreise) rasch verständlich zu machen. Ich betone, daß
ich im allgemeinen nichts weiter getan, als eben geordnet.
Mit der Betrieb-Wissenschaft allerdings hat es eine besondere Be-
wandtnis: sie ist zwar ungefähr vorhanden, aber, bildlich gesprochen,
in der Diaspora, folglich nicht als vollständig ausgebildetes Ganze.
Mit anderen Worten: es mußten verschiedene Dinge, die hier und
dort standen oder lagen, von ihrem Orte entfernt, aus ihrer (meist will-
kürlichen, mehr persönlich als sachlich geschlossenen) Verbindung ge-
löst hat, da ihre Zusammengehörigkeit offenbar war, vereinigt werden.
Da zeigte es sich nun, daß manche recht ansehnliche Gebilde, allesamt
aber doch Bruchstücke waren, die nach grundsätzlich-planmäßiger Er-
gänzung, teilweise auch nach Umbildung riefen. Beides ist geschehen,
mit dem Endzweck, ein Werk zu schaffen, dem Einheit und Ganz-
heit eignet.
Und das Ganze habe ich als in sich selbständiges Glied zurückge-
führt und eingesetzt in seinen großen organischen Zusammenhang,
in das Gesamt-Gebiet der Wirtschaft-Wissenschaft. Auch der gewählte
Name und seine beiden Bestandteile sind sachlich hinreichend ge-
rechtfertigt worden. Eins aber wäre noch hervorzuheben: die Be-
trieb-Wissenschaft ist es, welche den früher betonten notwendigen Ver-
kehr mit den Techniken als berufene Vermittlerin, sozusagen im Auf-
trag der Gesamt-Wissenschaft unterhält. Nur den Verkehr. Irgend-
welche jener Techniken können nicht in ihren Arbeit-Bereich fallen
(vgl. den vorigen und den nächsten Abschnitt).
3.
Zur Verhandlung dürften nun — für diejenigen Berufenen, welche
die erste Veröffentlichung in Schmollers Jahrbuch (und später das ganze
Werk) gelesen — folgende Fragen stehen:
Ist die neue Ordnung der Betrieb-Wissenschaft, die ich vorschlage,
eine Verbesserung? Mich dünkt, die Antwort kann nicht zweifelhaft
sein für den, der sich einmal in die Logik der alten Einteilung und
der Teil-Bezeichnungen vertieft. Aber selbst wenn eine Verbesserung
im ganzen nicht anzuerkennen wäre, so wäre doch nicht zugleich schon
die Entscheidung in der zweiten Hauptfrage gefallen.
Diese betrifft das Lebensrecht der Abteilung Betrieb-Wissenschaft.
Ich empfehle: die wissenschaftlich erfaßten und erfaßbaren Einheiten
wirtschaftlicher Art in Wesen, Bau und Innenleben der Betriebe zu
sammeln, wo nötig auszugestalten (zu ergänzen, zu vollenden) und
Miszellen. 395
zu vereinigen zu einem in sich geschlossenen Ganzen, und diesem dasselbe
Recht zu gönnen an den Hochschulen und im Schrifttum, wie den
anderen Teilen der Gesamt-Wissenschaft — seine Pflege nicht mehr
dem Zufall oder dem persönlichen Belieben zu überlassen.
Daß alles schon vorhanden und aufs beste versorgt und geordnet,
nur eben in verschiedene Hauptteile der Wirtschaft-Wissenschaft ver-
legt, wird man so unbedingt nicht behaupten wollen. Dagegen wären die
beiden Einwände zu vermuten: ein organischer Teil Betrieb-Wissen-
schaft (unter diesem oder einem anderen Namen), der mit allen inneren
und äußeren Eigenschaften eines selbständigen Gliedes ausgerüstet wäre,
ist nach genauester Prüfung und Ordnung aller Einzelheiten (der
Gesamt-Wissenschaft) in sachlich folgerechter Arbeit nicht zu schaffen.
Oder: ja, man könnte zwar eine solche Teil-Wissenschaft bilden, aber
nur auf Kosten anderer Teile und des Ganzen, nur durch Störung einer
bestehenden guten Ordnung; Einheiten oder Gesamtheiten, die längst
ihren festen Platz haben, müßten grundlos aus ihrem Zusammenhange
gerissen werden, und während man eine, die „neue“ Abteilung aus-
baut. verstüimmelt man andere. Ich erwarte, daß, wenn die beiden
Einwände auftreten, sie auch mit sorgfältigen Beweisen versehen sind.
Der zweite könnte drei Stücke (der Betrieb-Wissenschaft) als an-
geeigneten alten Besitz längst bestgepflegter Wissenschaft-Teile be-
zeichnen: Geschichte des deutschen Betriebwesens; dessen gegenwärtiger
Stand (die räumlich-sachlich-persönlichen Verhältnisse statistisch er-
faßt); staatsgesetzliche Regelungen. Ich habe die Einreihung dieser
Unterteile hinreichend begründet. Uebrigens betrachte ich sie, ver-
gleichsweise, als Seitenbauten, die so in den Plan des Ganzen ein-
gestellt sind, daß der Hauptbau in keiner Weise beeinträchtigt wäre,
wenn die Errichtung jener aus sachlichen Gründen unterlassen oder
zeitlich verschoben würde.
Außerdem wäre es ein Irrtum, anzunchmen, die drei Stücke seien
schon irgendwo vorhanden. Es handelt sich, bitte ich zu beachten, nicht
um das Wirtschaft-Leben (die Volkswirtschaft) überhaupt, sondern um
das Betriebwesen, und weder eine knappe Bearbeitung des betrieb-
wissenschaftlichen Gehalts in der wirtschaft- und sozialpolitischen Ge-
setzgebung, noch eine Geschichte des deutschen Betriebwesens von den
ersten Anfängen (d. h. von der Römerzeit) an, noch eine vergleichende
Beschreibung des gegenwärtigen Betriebslebens in allen Gebieten der
heimischen Volkswirtschaft ist bisher durch den Druck veröffentlicht
worden. Wahrscheinlich findet sich auch in ungedruckten Hochschul-
Vorlesungen keine jener Arbeiten.
Nun kann doch ihr nächst gegebener Zusammenhang nicht zweifel-
haft sein, und entschließt man sich, die drei Wissenschaften vom Wirt-
schaft-Leben in der fast natürlichen Steigerung Haushalt-, Betrieb-,
Verkehr-Wissenschaft vorzutragen, so wäre wiederum den besprochenen
drei Stücken der Platz in der zweiten gesichert, weil das wissenschaft-
liche Bedürfnis sie eben dort fordert — wenn man sie nicht aus allem
Zusammenhange lösen wollte.
Aber — das scheinen wir bisher übersehen zu haben — der vermut-
bare Einwand gegen die Bestandteile der Betrieb-Wissenschaft erfaßt
396 Miszellen.
auch die Betriebs-Ethik: nicht zunächst wegen ihres Daseins überhaupt
oder ihres Inhalts, sondern wegen ihrer Stellung. Die Ethik, dürfte die
Meinung lauten, gehört zur Politik; folglich müßte entweder eine Ver-
schmelzung mit jenem verwandten Stück vollzogen werden, oder beide
als eng verbundene Unterteile auftreten. Oder wir hören etwa die
Ansicht: das Natürliche, und das naturgemäß Bestimmende in Wesen,
Bau und Innenleben der Betriebe ist das Wirtschaftliche. Die beiden
fremden Mächte, die von außen her ebenfalls bestimmend eingreifen,
sind die staatliche Gesetzgebung und die Ethik. Die beiden sind wenn
nicht gleicher Art, so doch gleichen Ranges, und sollten deshalb in der
Ordnung der Wissenschaft gleich und einander nächstgestellt sein.
Diese Auffassung entspricht nicht dem wirklichen Sachverhalt.
Einmal bestehen zwischen staatlicher Gesetzgebung und Ethik keine
verwandtschaftlichen Beziehungen; sie gehören nicht zusammen, und `
nach ihrer Bedeutung im Betriebsleben überragt die zweite die erste
weit. Zum andern ist das Gesellschaftlich-Ethische dem Wirtschaft-
lichen so wenig wesensfremd, daß jenes im Aufbau der Betrieb-Wissen-
schaft gar nicht sichtbar hervorzutreten brauchte. Es durchzusetzen ist
— sogar zum Teil wirtschaftliche — Obliegenheit der Betriebs-Leitung.
Also Verschmelzung der Teile Leitung und Ethik könnte erwogen
werden. Daß die Ethik trotzdem als Größe für sich, und zwar als
Hauptteil auftritt, hat seine guten Gründe, welche die einleitenden
Stellen der Ausführung vortragen. Und den gewählten Platz begründen
die eben gegebenen Erklärungen.
Die Leitung aber erinnert uns an eine letzte Tatsache, die Wider-
spruch hervorrufen könnte. Nur wäre er leicht zu entkräften. Nämlich
die Betrieb-Wissenschaft, der organische Teil der Wirtschaft-Wissen-
schaft, enthält doch — Technik! Und welche? Nicht Technik der
Art, an die man gewöhnlich bei dem Worte denkt. Nichts von Techniken
der Massen-Arbeiten, der unteren und mittleren Teil- und umfassenden
Arbeiten in Fischerei, Landwirtschaft, Gärtnerei, Waldbau, in Werk-
wesen (weiten Sinnes), in Handel, Sachen- und Personen-Bewegung ;
nichts auch von den besonderen kaufmännischen Kontor-Techniken.
Sondern Technik der Leitung: der Statistik, und der Leitung engeren
Sinnes. Und das ist erlaubt, ja geboten, unvermeidlich.
In der Reihe der vorhin genannten Techniken ist für sie kein
Platz, weil sie zwei Arten für sich bilden; was jedermann sofort er-
kennt* denn jene alle dienen, kurz gesagt, der Güter-Beschaffung oder
Vermittelung oder Arbeiten, die mit der einen oder andern eng ver-
bunden sind — unsere beiden aber offenbar nicht. Uebrigens sind es
nach Umfang und Inhalt sehr bescheidene Arten, darum nicht so be-
deutend, daß sie Gegenstände besonderer wissenschaftlicher Behandlung
sein könnten. Und eben darum treten sie an ihrem Orte, in dem Unter-
teile der Betrieb-Wissenschaft, welcher der Leitung (weiteren Sinnes)
gewidmet ist, nicht breit hervor. Ihretwegen also brauchte die Betrieb-
Wissenschaft gewiß nicht auszuscheiden aus der Wirtschaft-Wissen-
schaft, der sie angehört mit Leib und Seele.
Miszellen, 397
XI.
Der Personenverkehr in Berlin und Paris.
Von Dr. Johannes Müller, Halle-Berlin.
Berlin und Paris werden als die beiden größten Hauptstädte des
europäischen Festlandes oft und gern miteinander verglichen; um so eher,
als der immer geringer werdende Unterschied der Einwohnerzahlen beider
Städte schon rein äußerlich zu einer gegenseitigen Vergleichung heraus-
fordert. Hatte doch Berlin mit allen seinen Vororten !) am 31. Dezember
1911 eine Einwohnerzahl von 3852047 Einwohner, das Seine-Departe-
ment im gleichen Jahre eine solche von 4154042 Einwohnern. Ist nun
die französische Hauptstadt der deutschen an Schönheit, historischen
Erinnerungen, Kunstschätzen und Sehenswürdigkeiten aller Art zweifel-
los überlegen, so ist es in Berlin der außerordentlich rasche Aufschwung
und das rege wirtschaftliche Leben, das zur Bewunderung herausfordert,
und es wird deshalb nicht uninteressant sein, einmal an der Hand des
Personenverkehrs, den man als einen guten Maßstab des wirtschaft-
lichen Lebens ansehen darf, festzustellen, inwieweit wenigstens hier von
einer Gleichheit der beiden Millionenstädte gesprochen werden darf.
Allerdings ist es nicht ganz einfach, auch nur einigermaßen ver-
gleichbare Zahlen zu erhalten. So wenig Schwierigkeiten die Fest-
stellung der Zahl der Fahrgäste auf den Straßenbahnen, Omnibussen
und Hoch- und Untergrundbahnen macht, so viel Hindernisse legt die
Eisenbahnverkehrsstatistik in den Weg, und zwar deshalb, weil für Paris
keine Aufzeichnungen über den Vorortsverkehr gemacht werden. Da
nun für Berlin vor dem Jahre 1906 Fernverkehr, Vorortsverkehr und
Stadtverkehr der großen Bahnhöfe statistisch nicht auseinandergehalten
worden sind, so sind vergleichbare Zahlen für die Jahre bis 1905
einschließlich überhaupt nicht aufzustellen. Vom Jahre 1906 ab wäre
allerdings also für Berlin wohl eine Statistik des gesamten Verkehres der
großstädtischen Bevölkerung erhältlich gewesen, nun versagt aber Paris,
das nur die Gesamtzahl der auf den großen Bahnhöfen abgefahrenen
und angekommenen Personen zählt. Es wird also der gesamte zwischen
dən einzelnen Vororten vorhandene Verkehr nicht erfaßt, und da es sich
1) Es sind alle in den statistischen Monatsberichten „Groß-Berlin“ angeführten
Orte als Vororte von Berlin gerechnet worden.
398 Miszellen.,
hier, wie das Beispiel Berlins zeigt, um ganz erhebliche Ziffern handelt,
durfte das Wagnis einer Schätzung nicht unternommen werden, ohne den
Wert der ganzen Aufstellung in Frage zu stellen.
Ein anderer Ausweg wäre gewesen, bloß den Verkehr des eigent-
lichen Paris und des eigentlichen Berlin in diese Statistik einzubeziehen.
Dies wäre für Paris möglich gewesen, das in seinem „Annuaire“ für
die Straßenbahnen und Omnibusse den Verkehr innerhalb und außerhalb
der eigentlichen Stadtgrenze unterscheidet, aber nicht für Berlin, wo
die Straßenbahn- und Omnibuslinien von einem Vorort quer durch Berlin
gehen und in einem anderen endigen, ohne daß die Fahrgäste von Berlin
selbst besonders gezählt werden. Es blieb also, um vergleichbare Zahlen
zu erhalten, nur übrig, einerseits den ganzen Straßenbahn- und Omnibus-
verkehr in die vorliegende Statistik einzubeziehen, dagegen den ganzen
Eisenbahnverkehr, soweit er nicht ausdrücklich bloß die innere Stadt
betrifft, fortzulassen. Die kleine Inkonsequenz, daß dadurch der Vor-
ortsverkehr in dem einen Falle berücksichtigt wird, im anderen nicht,
wiegt deshalb nicht so schwer, weil innerhalb derjenigen Vororte, in
denen die Straßenbahnen und Omnibusse noch ihr Hauptverkehrsgebiet
haben, die Eisenbahnen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Da der
Eisenbahnverkehr der inneren Stadt in beiden Fällen mitgezählt worden
ist, handelt es sich also bloß um denjenigen der an den eigentlichen
Stadtkern unmittelbar angrenzenden Vororte, der bei beiden Städten fort-
gelassen worden ist und daher zu Fehlern in der Vergleichung führen
könnte. Innerhalb dieser Zone kann der Unterschied zwischen Berlin
und Paris aber nicht groß sein, und selbst wenn er 50 Millionen Fahr-
gäste im Jahre betrüge, was sicherlich zu hoch gegriffen ist!), würde
er doch das Bild, das die beiden folgenden Tabellen geben, nicht wesent-
lich ändern können.
Der Personenverkehr in Berlin
(in Millionen Fahrgästen) ?).
Hoch- und
Stadt- und x Straßen- } Verkehr auf
Jahr Ringbahn en bahnen Omnibus Wasserstraßen Insgesamt
ahnen‘) | 2
1906 139 .44 437 135 = | 255
1907 149 48 457 141 = 795
1908 149 45 480 122 — 796
1909 159 54 495 139 Sa 847
1910 164 59 543 146 -— 912
1911 197 7I 581 157 = 1006
1) Der Gesamteisenbahnverkehr zwischen den Vororten Berlins unter sich betrug
im Jahre 1911 etwa 65—70 Millionen Fahrgäste (nach den Zahlen in den Monats-
berichten „Groß-Berlin‘).
2) Die Zahlen für die Jahre 1906—1910 sind dem „Statistischen Jahrbuch deut-
scher Städte‘ entnommen, für 1911 aus den Statistischen Monatsberichten „Groß-Berlin‘“
ausgerechnet.
3) „Hoch- und Untergrundbahn“ und „Schöneberger Untergrundbahn“.
Miszelien 399
Der Personenverkehr in Paris
(in Millionen Fahrgästen)),
r Hoch- und
Eisen- IL r y Straßen- a Verkehr auf |
Jahr bahnen °?) | en bahnen Omnibus | Wasserstraßen| Insgesamt
1906 51 165 376 115 2 | 709
1907 50 195 371 119 2 737
1908 44 230 393 115 2 734
1909 43 254 405 115 2 819
1910 43 257 406 129 2 837
1911 36 346 538 2 922
Von dem Verkehr auf Wasserstraßen, der für Berlin und angrenzende
Vororte gänzlich wegfällt, und auch für Paris selbst sehr geringfügig ist,
kann wohl abgesehen werden. Es ergeben sich dann als die vier Haupt-
verkehrsmittel: Straßenbahnen, Omnibus, Hoch- und Untergrundbahnen
und Eisenbahnen.
Die ersteren sind sowohl in Berlin wie in Paris weitaus am wich-
tigsten, sie beförderten in Berlin stets weit über die Hälfte, in Paris
ungefähr die Hälfte aller Fahrgäste. Ein großer Unterschied liegt aber
darin, daß ihr Anteil am Gesamtverkehr in Berlin stets gleich geblieben
ist, während er in Paris langsam, aber stetig fällt, wie folgende kleine
Tabelle zeigt:
Berlin Paris
Jahr
Gesamt- | Straßen- | . Gesamt- | Straßen- | ,
verkehr | bahnen | "D Proz. verkehr | bahnen | "H Proz.
1906 755 437 57,9 709 376 52,0
1907 795 457 57,5 737 371 50,8
1908 796 480 60,3 784 393 50,1
1909 847 495 58,4 819 405 49,4
1910 912 543 59,5 837 406 48,5
1911 1006 581 57,5 922 ? ?
In Berlin vermögen also die Straßenbahnen ihre Vormachtstellung zu
behaupten und haben sich bis jetzt gegen jede Konkurrenz der
Eisenbahnen und namentlich der Hoch- und Untergrundbahnen halten
können. Anders in Paris: Hier ist den „Tramways“ in der Unter-
grundbahn („Metropolitain*) ein Feind entstanden, dem sie sich
1) Die Zahlen sind den Jahrgängen 1906—1910 des „Annuaire statistique de la
ville de Paris“ entnommen. Im Jahrgange 1910 waren auch fast sämtliche Zahlen für.
das Jahr 1911 enthalten. Nur der Verkehr auf der Seine und auf der ligne d’Auteuil
sind geschätzt worden. Der erstere wurde ebenso wie in den letzten 5 Jahren mit etwa
2 Millionen eingesetzt, der letztere der absteigenden Tendenz des Verkehrs in den letzten
Jahren entsprechend (1906: 22,4 Mill.; 1907: 21,9; 1908: 20,3; 1909: 20,0; 1910:
19,3) auf etwa 19 Mill. geschätzt. Die Beförderungsziffer der Ceinture — 17 Mill. —
ist bereits im Annuaire von 1910 enthalten.
2) „Ceinture“ und „ligne d’Auteuil“,
3) „Métropolitain“ und Nord-Sud“,
400 Miszellen.
nicht gewachsen zeigen, und der sie Schritt für Schritt zurück-
drängt. Auch das Jahr 1911, für das leider noch keine nach Omnibus
und Straßenbahnen getrennten Zahlen vorliegen, zeigt einen vollständigen
Stillstand der absoluten Zahl nach, das ist gleich einem weiteren Rück-
schritte dem Anteile am Gesamtverkehre nach. Der Grund hierfür liegt
in der zu geringen Geschwindigkeit der Pariser Straßenbahnen, die
den Verkehrsbedürfnissen längst nicht mehr genügt. Die Wagen werden
fast durchweg mit Preßluft betrieben, die die Entwicklung größerer
Geschwindigkeiten nicht gestattet, und es werden die Straßenbahnen
darum wohl auch in Zukunft immer weiter an Bedeutung verlieren, wenn
man sich nicht dazu entschließt, zum elektrischen Betrieb überzugeben.
Der Omnibusverkehr weist dagegen in beiden Hauptstädten die
gleiche Bewegung auf: erst eine kleine Steigerung von 1906 auf 1907,
darauf ein, namentlich in Berlin, starker Rückschlag, der erst im Jahre
1910 wieder eingeholt werden konnte; das Jahr 1911 bringt dann für
Berlin einen kleinen Zuwachs, für Paris Stillstand. Auch relativ be-
trachtet, ist in Berlin wie in Paris dieselbe Entwicklung zu beobachten:
nämlich ein allmählicher Rückgang, und zwar in Berlin von 17,9 auf
15,6 Proz. des Gesamtverkehrs, in Paris von 16,2 auf 15,4 Proz. im
Jahre 1910. Doch wird das Jahr 1911 noch einen weiteren empfind-
lichen Rückgang gebracht haben. Auch hier ist es die für groß-
städtische Verhältnisse meist zu geringe Schnelligkeit, die den Omnibussen
die Konkurrenz mit den schneller fahrenden anderen Verkehrsmitteln
sehr erschwert. Erst die allgemeine Einführung des Automobilbetriebes
wird hier Wandel schaffen können.
Die Eisenbahn als Vermittlerin des Personenverkehrs hat sich
ebenso wie die Straßenbahn wiederum nur in Berlin den Verhält-
nissen gewachsen gezeigt und hat hier von Jahr zu Jahr stark an-
wachsende Personenmassen befördern können. Charakteristisch ist aber,
daß der Anteil am Gesamtverkehr mit Ausnahme einer kleinen Steige-
rung im Jahre 1911 der gleiche geblieben ist: 1906: 18,4 Proz.,
1907: 18,7 Proz., 1908: 18,7 Proz., 1909: 18,8 Proz., 1910: 18,0 Proz.,
1911: 19,6 Proz. Dies zeigt, daß die Stadt- und Ringbahn für eine
ganz bestimmte Anzahl von Verkehrsströmen, die mit dem Gesamt-
verkehr von Jahr zu Jahr wachsen, das geeignetste Verkehrsmittel ist
und vermöge ihrer Schnelligkeit auch bis auf weiteres bleiben wird.
Ganz anders liegen die Verhältnisse in Paris. Hier ist wohl gleich-
falls eine Ringbahn vorhanden, die Ceinture, aber der der Stadtbahn
entsprechende Mittelast fehlt, und wir haben es bei ihr somit mit einer
reinen Gürtelbahn zu tun. Da aber die Vergrößerung einer Stadt nur
wachsende Verkehrsbeziehungen von innen nach außen und umgekehrt
schafft, so kommt von dem großen alljährlichen Zuwachs an beförderten
Personen einer Gürtelbahn, die durch bereits bebautes Gelände führt,
nicht das Geringste zugute, sondern sie hat jahraus jahrein nur das
gleiche Verkehrsbedürfnis zu befriedigen. Kommt nun aber, wie in
Paris in Gestalt der Metropolitain, eine Konkurrentin und verkürzt
viele Kreisabschnitte durch Strecken, die die Peripherie als Sehnen
schneiden, so wird einer solchen Gürtelbahn auch noch ein Teil des
an sich gleichbleibenden Verkehrs entzogen. Die Ceinture hat dies
Miszellen. 401
in sehr bitterer Weise erfahren müssen, denn ihr Verkehr ist in den
Jahren 1906 bis 1911 von 29 bis auf 17 Millionen Fahrgäste gesunken,
und es besteht nicht die geringste Aussicht, daß er sich wieder in
nennenswerter Weise heben könnte. Die andere für den inneren Pariser
Verkehr in Betracht kommende Linie ist die Strecke vom Bahnhof
St. Lazare nach Auteuil, gleichfalls keine Radial-, sondern eine Tan-
gentiallinie. Sie hat deshalb aus den gleichen Gründen wie die Ceinture
einen, wenn auch langsameren, Rückgang an Fahrgästen zu verzeichnen
(1906: 22 Mill., 1910: 19 Mill.).
So haben in Paris weder Straßenbahnen noch Omnibus noch Eisen-
bahnen ihre ursprüngliche Stellung behaupten können, sie sind alle,
und zwar außerordentlich rasch, von dem modernsten Verkehrsmittel,
der Hoch- und Untergrundbahn („Metropolitain“ und „Nord-Sud“, die
in Betriebsgemeinschaft stehen) überflügelt worden. Mit großem Ge-
schick hat die letztere die günstigsten Linienführungen auszuwählen
gewußt, und da das geplante Netz auch mit großer Schnelligkeit aus-
gebaut wird und jedes Jahr mehrere neue Linien dem Verkehre über-
geben werden, so ist auch die Zahl der von ihr beförderten Fahrgäste in
den 6 Jahren von 1906 bis 1911 so schnell gestiegen, wie bei keinem
anderen Pariser oder Berliner Verkehrsinstitut. Waren es 1906 erst
165 Mill. (= 23,3 Proz. des Gesamtverkehrs), die sich von der Métro-
politain befördern ließen, so ist ihre Zahl im Jahre 1911 bereits auf
346 Mill. (= 37,5 Proz. des Gesamtverkehrs) gestiegen, und sie hat
somit von dem Gesamtverkehrszuwachs der 6 Jahre von 213 Mill.
(922—709 Mill. beförderte Personen) nicht weniger als 181 Mill.
= 85 Proz. an sich gerissen. Es ist kein Zweifel, daß die Unter-
grundbahnen, wenn sie mit dem gleichen Eifer wie bisher fortfahren,
neue Linien zu eröffnen, binnen wenigen Jahren alle Hauptverkehrs-
ströme den übrigen Verkehrsmitteln abgenommen und auf sich über-
geleitet haben werden. Diesen bleiben dann nur noch die minder-
wichtigen, weniger einträglichen übrig, bei denen die hohen Kosten,
die ein unterirdischer Bahnkörper verursacht, sich nicht mehr würden
einbringen lassen.
Wie steht es dagegen mit den Berliner Hoch- und Untergrund-
bahnen? 1906 beförderten sie 5,6 Proz., 1907: 6,0 Proz., 1908:
5,7 Proz., 1909: 6,4 Proz., 1910: 6,5 Proz., 1911: 7,1 Proz. Der Ge-
winn der 6 Jahre von 1905—1911 beträgt also ganze 1,3 Proz., gleich
der Hälfte dessen, was die Omnibusse in derselben Zeit verloren haben.
Dies ist schließlich auch nicht verwunderlich, da die Hoch- und Unter-
grundbahn größere Neubauten seit ihrer erstmaligen Betriebseröffnung
nicht vorgenommen hat und nur die Schöneberger Untergrundbahn hinzu-
gekommen ist. Das Pariser Schwesterunternehmen zeigt aber, welche
Zukunft einer kapitalkräftigen Hoch- und Untergrundbahn beschieden
ist, die ihr Netz planmäßig unterhalb und oberhalb des ganzen Stadt-
gebietes ausbaut.
Es ist also der Personenverkehr der inneren Stadt und der un-
mittelbar angrenzenden Vororte in Berlin bereits etwas größer als in
Paris, und es soll nun, um eine Beurteilung des gesamten haupt-
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 26
402 Miszellen.
städtischen Personenverkehres zu ermöglichen, auch noch dem bisher
vernachlässigten Eisenbahn-Vorortsverkehr ein kurzes Wort gewidmet
werden.
Er nahm von 1906 bis 1911 folgende Entwicklung (wieder in
Millionen Fahrgästen):
Berlin Paris
Jahr Insgesamt be- Große Bahnhöfe Lokalbahnen
förderte Personen !) | angekommene u. abge- | beförderte Per-
fahrene Personen sonen
1906 131 170 30
1907 140 178 31
1908 145 181 33
1909 157 190 33
1910 167 196 32
1911 194 | 195 33
Während bei Berlin mit diesen Zahlen bereits der gesamte Verkehr
erfaßt ist, fehlt, wie oben gesagt, in Paris noch der Verkehr zwischen den
einzelnen Vororten, der bei Berlin im Jahre 1911 immerhin schätzungs-
weise 65—70 Mill. Fahrgäste betragen hat. Es ist also der Pariser
Eisenbahnverkehr dem Berliner augenblicklich noch bedeutend über-
legen, und es ist sehr wohl möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich,
daß der gesamte Pariser Personenverkehr den Berliner jetzt noch um
ein kleines übertrifft. Das Wesentliche ist aber die verschiedene
Schnelligkeit, mit der beide anwachsen. Während nämlich der Zuwachs
in den 6 Jahren bei Paris bloß 14 Proz. (auf 1906 bezogen) beträgt,
hat er bei Berlin die ansehnliche Höhe von 48 Proz. erreicht. Da nun
in den Pariser Zahlen die eine Hälfte des Vorortsverkehres, der von
Paris nach den Vororten und umgekehrt bereits enthalten ist, so ist
der Rückschluß, daß auch der andere Teil, der zwischenvorortliche
Verkehr, dieselbe Entwicklung genommen haben wird, durchaus erlaubt.
Denn beide Teile des Verkehres sind ja doch keine getrennten Größen,
sondern gehen durchaus ineinander über, bedingen sich gegenseitig und
sind nur für den Zweck dieser Untersuchung auseinandergehalten worden.
Die wirtschaftliche Lage ist es, die von bestimmendem Einfluß auf
beide ist und daher auch bei beiden die gleichen Folgeerscheinungen
hervorrufen muß. l
Mag also auch für den Augenblick der Pariser Gesamtverkehr dem
Berliner noch voraus sein: derjenige Faktor, dem Paris seinen Vor-
sprung vor Berlin verdankt, der Eisenbahnverkehr, steigt nur sehr schwach
und es kann der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo auch er von dem
weit rascher wachsenden Berliner Eisenbahn-Vorortsverkehr eingeholt
sein wird. Dann aber ist die Ueberlegenheit von Groß-Berlin auf
diesem Gebiete zweifelhaft.
1) Die Zahlen des Berliner Fernverkehres sind, um auch die Zahl der ange-
kommenen Fahrgäste zu erhalten, verdoppelt worden, was ungefähr den tatsächlichen
Verhältnissen entspricht.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 403
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
C. Gini, Variabilità e Mutabilita. Contributo allo studio delle
distribuzioni e delle relazioni statistiche. Fascicolo I. Bologna 1912.
80, 155 SS.
Es handelt sich in dieser Schrift nicht etwa um Variation und
Mutation in dem verschiedenen Sinne, wie diese Worte von Darwin
und de Vries aufgefaßt werden. Der Verfasser stellt vielmer seine
eigenen Definitionen auf und nennt Variabilität die Tatsache, daß eine
gleichartige Erscheinung im einzelnen quantitative Unterscheidungen
eines bestimmten Merkmals darbietet, während er unter Mutabilität
das Auftreten qualitativer Unterscheidungen eines Merkmals ver-
steht. So beruht also z. B. die Verschiedenheit der Körpergröße der
erwachsenen Männer eines Volksstammes auf der Variabilität, die Ver-
schiedenheit der Haarfarbe auf der Mutabilität dieses Stammes. Der Ver-
fasser untersucht nun zunächst die zur Charakterisierung der Variabilität
geeigneten Indexzahlen und sucht dann so weit wie möglich auch die
Mutabilität auf denselben Schematismus zu bringen. Bekanntlich haben
zuerst die durch zufällige Fehler entstehenden verschiedenen Beobach-
tungswerte derselben objektiven Größe Veranlassung gegeben, solche
Indexzahlen zur Kennzeichnung der Veränderlichkeit dieser Werte aufzu-
stellen: es sind dies namentlich die wahrscheinliche Abweichung vom
Mittel (als dem wahrscheinlichsten Wert), die absolute mittlere Abweichung
vom Mittel oder vom Medianwert und die mittlere quadratische Ab-
weichung, d. h. die Quadratwurzel aus dem Mittel der Quadrate der Ab-
weichungen der Einzelwerte von ihrem Mittelwert. Seit Quetelet wurden
diese Indexzahlen auch auf statistische Beobachtungsreihen angewandt,
und zwar in solchen Fällen, in denen anzunehmen war, daß die be-
obachteten Einzelwerte sich um ihren Mittelwert annähernd in der Weise
gruppieren, als wenn sie mit zufälligen Fehlern behaftete Darstellun-
gen einer bestimmten typischen Größe wären. Aber bei den meisten nach
einem gewissen Merkmal veränderlichen Beobachtungszahlen trifft eine
solche symmetrische Verteilung nicht zu, und der Verfasser empfiehlt
für diese Fälle als Veränderlichkeitsindex die mittlere Differenz jedes
der gegebenen Werte gegenüber allen anderen. Die Zahl der möglichen
Differenzen ist also n (n—1), für gewisse Rechnungen aber ist es auch
vorteilhafter, die Zahl der Variationen mit Wiederholung, nämlich n?
einzuführen. Nun haben, wie der Verfasser ausdrücklich hervorhebt,
schon vor längerer Zeit Andrae, Jordan und Helmert gezeigt, daß der
wahrscheinliche oder mittlere Fehler von astronomischen Beobachtungs-
ergebnissen, die sich der Gaußischen Kurve entsprechend verteilen, sich
26*
404 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
aus dieser mittleren Differenz der Einzelwerte ableiten läßt. Hieraus
aber kann man schließen, daß dieser Index überhaupt eine zweckmälßige
Charakteristik auch für die Veränderlichkeit der Glieder einer beliebigen
Reihe bildet, für die das Gaußische Fehlergesetz nicht in Betracht
kommt. Demnach gibt Gini eine Formel zur bequemen Berechnung
der mittleren Differenz der Einzelwerte irgendeiner Reihe, vergleicht
diese Indexziffer mit der mittleren absoluten und quadratischen Ab-
weichung vom Mittel- bzw. Medianwert, untersucht die theoretischen Be-
ziehungen, die sich in gewissen Fällen für diese verschiedenen Indices
ergeben, und die praktische Bedeutung ihrer Abweichungen in den übrigen
Fällen und zieht daraus Schlüsse auf die jedesmalige Zweckmäligkeit
der Anwendung des einen oder anderen Index. Auch führt er zur Er-
läuterung seiner Darstellung verschiedene Beispiele an, unter anderem die
Pariser Preise verschiedener Fleischarten in den Jahren 1867 bis 1910,
aus denen sich ergibt, daß die mittleren Differenzen der Preise der dritten
Qualitäten durchweg größer sind, als die der beiden besseren. Um
auch die Mutabilität im Sinne des Verfassers, also die nach einem
qualitativen Merkmal abgestuften Glieder einer Reihe nach diesem
Schema zu behandeln, muß die qualitative Abstufung durch eine Zahlen-
reihe ausgedrückt werden, was natürlich nur annähernd möglich ist.
Der Verfasser unterscheidet „geradlinige“ Reihen, die von einer ex-
tremen Ausprägung der Merkmale zu einem anderen Extrem übergehen,
wie z. B. von einem flachsfarbigen zu einem tiefschwarzen Haar (oder
auch umgekehrt), „zyklische“ Reihen, in denen das bestimmende Merk-
mal sich bei den Beobachtungen immer regelmäßig wiederholt, wie z. B.
bei der Gruppierung der Trauungen nach den Wochentagen, und un-
geordnete“ Reihen, die er bei der quantitativen Abstufung als „nicht
konnexe“ Reihen bezeichnet hat. Bei diesen ist die Ordnung mehr oder
weniger willkürlich zu bestimmen. So erhält man allgemein für quali-
tative wie für quantitative Abstufungen rationell begründete Indices
der Veränderlichkeit, die für viele statistische Vergleichungen von Inter-
esse sind, wenn sie auch nicht die besonders wichtige Bedeutung besitzen,
die sie in dem Fa le haben, in dem die beobachteten Einzelwerte als
mit zufälligen Fehlern behaftete Bestimmungen einer und derselben
sachlich oder typisch vorhandenen Größe erscheinen.
Göttingen. W. Lexis 7.
Albrecht, Dr. Gerh., Eugen Dürings Wertlehre. Nebst einem Exkurs
zur Marxschen Wertlehre. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. III—66 SS. M. 1,80.
Lebensmittel-Teuerung und Lebensmittel-Versorgung. Vor-
trag des Generalsekretärs A. Stegerwald, nebst Aussprache auf dem 3. deutschen
Arbeiterkongreß zu Berlin. Cöln, Christl. Gewerkschafts-Verlag, 1914. gr. 8. 4088.
M. 0,50.
Schriften des Vereins für Sozialpolitik. 142. Bd., V. Teil. Untersuchungen
über Preisbildung. Abteilung B. Preisbildung für gewerbliche Erzeugnisse. Hrsg.
von Frz. Eulenburg. V. Teil. Die Preisentwicklung in der Steinkohlengasiudustrie.
Von Walter le Coutre. 150 SS. M. 4.—. — 143. Bd., II. Teil. Steinkohlenpreise
und Dampfkraftkosten. Von (Dr. ing.) Manuel Saitzew. VIII—429 SS. mit 7 Diagr.
M. 11.—. — 144. Bd., I. Teil. Untersuchungen über Preisbildung. Preisbildung
gewerblicher Erzeugnisse in Belgien. Mit Beiträgen von Prof. De Leener, (Ing.)
Max L. Gerard, L. Lobet, (Gen.-Insp.) Ed. Mathus und (Ing.) P. Stevart. Im
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 405
Auftrage des Vereins für Sozialpolitik hrsg. von Prof. Dr. Ernest Mahaim. XVIII—
349 SS. mit Kurven und 7 Kurventafeln. M. 9. München u. Leipzig, Duncker
u. Humblot, 1914. gr. 8.
Unternehmung, Die private, und ihre Betätigungsformen. Sozialökonomi-
sche und juristische Abhandlungen auf privatwirtschaftlicher Grundlage, hrsg. von
Proff. Drs. Heinr. Hoeniger, Rob. Liefmann, Paul Mombert, Hans Schönitz, (Geh.
Hofr.) Gerb. v. Schulze-Gaevernitz. 1. Heft. Der privatwirtschaftliche Gesichts-
punkt in der Sozialökonomie und Jurisprudenz. 5 Aufsätze von Hans Schönitz, Gerh.
v. Schulze-Gaevernitz, Rob. Liefmann, Paul Mombert u. Heinr. Hoeniger. Mann-
heim, J. Bensheimer, 1914. 8. VIII—212 SS. M. 4.—.
Wagner, Prof. Adolph, Lehr- und Handbuch der politischen Oekonomie.
In einzelnen selbständigen Abteilungen. In Verbindung mit (Finanzminister) A.
Buchenberger und Prof. H. Dietzel u. a. bearb. und hrsg. Neue Aufl. 3. Haupt-
abteilung: Praktische Volkswirtschaftslehre. II. Teil (in 2 Bdn.). II. Teil. Buchen-
berger, A.: Agrarwesen und Agrarpolitik. 2. Aufl., bearb. von W. Wygodzinski.
l. Bd. Leipzig, C. F. Winter, 1914. gr. 8. XVI—535 SS. M. 15.—.
Allevi, Giov., La crisi del socialismo. Bari, casa ed. Humanitas, 1913.
16. 322 pp.
Corte-Enna, G., Elementi di economia politica. Milano, Società Editr.
Libraria. 16. 1. 6.—.
Curvio, dott. Stef., Il caro dei viveri e provvedimenti annonari. Cal-
tanissetta, tip. Ospizio prov. di beneficenza, 1914. 16. 7—260 pp. 1l. 5,50.
Gobbi, prof. Ulisse, Elementi di economia politica. Seconda edizione.
Milano, Federazione italiane delle bliblioteche popolari. (Varese, tip. coop. Vare-
sina) 1914. 16. 89 pp
Labriola, Arturo, Economia, socialismo, sindicalismo; alcuni scritti.
2a edizione, aggiuntovi ciò che la scienza economica ha imparato dall’ unionismo
operaio. Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1913. 16. VIII —255 pp. 1. 2.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Roth, Paul, Die Neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und
16. Jahrhundert. (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesell-
schaft zu Leipzig, Bd. 43.) Leipzig (B. G. Teubner) 1914. 5 M.
Der Verfasser hat auf Grund sorgfältiger archivalischer Studien
die Anfängo des Zeitungswesens in Deutschland studiert, und, soweit
sich nach dem vorliegenden Buche beurteilen läßt, die Frage erschöpfend
behandelt. Auf Grund des Materials der Bibliotheken in 15 deutschen
Städten, die er zam Teil persönlich besucht hat, stellt er zunächst den
Begriff der Neuen Zeitungen fest, den er im modernen Sprachgebrauch
etwa durch die Bezeichnung „Aktuelle Nachrichten“ wiedergeben würde.
Diese Neuen Zeitungen sind bestimmt, eine Berichterstattung über wich-
tige Tagesereignisse von allgemeinem Interesse zu bieten, und zwar nicht
einzelnen bestimmten Personen, sondern dem großen Publikum. Die
ersten dieser Zeitungen weist er unzweifelhaft für das Jahr 1486 nach.
Er führt ferner den Nachweis des Briefcharakters der echten Neuen
Zeitungen, die vorzugsweise drei besondere Gruppen von Berichterstat-
tern zu Verfassern hatten, nämlich 1. vornehme Hof-, Militär- und
Kirchenbeamte, 2. Vertreter der bürgerlichen Intelligenz und 3. be-
rufsmäßige Korrespondenten. Von besonderem wissenschaftlichen In-
teresse ist die von dem Verf. gezogene sorgfältig durchgeführte Par
rallele der Neuen Zeitungen mit den historischen Volksliedern, die das
Wesen gereimter Neuer Zeitungen haben. Wir erfahren weiter in-
teressante neue Angaben über die Zensur, die schon vor 1500 nach-
406 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gewiesen werden kann, über die Auflage, den Preis und den Vertrieb
der Neuen Zeitungen. Die Auflageziffer wird in den meisten Fällen
etwa 1000 Exemplare gewesen sein, und im Durchschnitt kostete ein
Exemplar einer solchen Ausgabe ungefähr 6 Pf. Dem Buchhandel
wurde dabei vielfach eine unzünftige Konkurrenz gemacht, indem
mancher Kaufmann neben jeglicher anderer Handelsware eben auch
Bücher und Zeitungen verkaufte, und namentlich Buchdrucker, Buch-
binder und Formschneider kommen neben den eigentlichen Buchhändlern
als Vertreiber der Neuen Zeitungen in Betracht. Auch ein Kolportage-
buchhandel läßt sich nachweisen, da alle Stände Interesse für die
Neuen Zeitungen beweisen und der Hausierhandel, auch auf dem
Wege des sogenannten Gassensanges und Zeitungssanges, sich lohnend
erwies. Nach diesen sorgfältigen Darlegungen kommt der Verfasser zu
dem Ergebnis, daß die neue Zeitungsliteratur nicht eine für sich da-
stehende Erscheinung, sondern ein Zweig der überaus verbreiteten Flug-
schriftenliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts ist, weiter, daß es sich
überwiegend um briefliche Nachrichten handelt und schon eine or-
ganisierte berufsmäßige Berichterstattung vorhanden war, daß das ge-
samte Buchgewerbe an der Herstellung und dem Vertrieb beteiligt waren.
Die große Bedeutung dieser Neuen Zeitungen für jene Zeit zeigt sich auf
allen Wegen. Sie sind als ein wichtiges Produkt und als ein mächtiges
Werkzeug der öffentlichen Meinung anzusehen, und die Ansicht, die
ihnen nur einen untergeordneten Raum anweist, ist mach der vorliegenden
Untersuchung nicht mehr haltbar. — Das Buch wird einen ehrenvollen
Platz in der Geschichte des Zeitungswesens und des Buchgewerbes ein-
nehmen.
Berlin. Alexander Elster.
Dorno, Friedr., Der Fläming und die Herrschaft Wiesenburg. Agrar-
historische Studien aus den nördlichen Aemtern des sächsischen Kurkreises. (Staats-
und sozialwissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Gust. Schmoller u. Max Sering.
178. Heft.) München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. VIII—111 58.
mit 1 Kartenskizze. M. 3.—.
Floer, Dr. Franz, Das Stift Borghorst und die Ostendorfer Mark. Grund-
herrschaft und Markgenossenschaft im Münsterland. Mit einem Vorwort des
Hrsgs. (Tübinger staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Car! Johs. Fuchs
in Verbindung mit Ludwig Stephinger, Heft 5.) Stuttgart, W. Kohlhammer,
1914. gr. 8. X—107 SS. M. 4.—.
Herrmann, Dr. Aug., Die Allmenden im Bezirk Unter-Elsaß. Eine sozial-
wirtschaftliche Studie. (2 Teile in 1 Bd.) Straßburg, Straßburger Druckerei und
Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co., 1914. gr. 8. XIV, 248 u.’ 155 SS.
M. 12.—.
Hofmann, Dr. H. L., Die Rittergüter des Königreichs Sachsen. Eın
Abriß ihrer Geschichte und rechtlichen Stellung, nebst topographischen und
statistischen Nachrichten über sämtliche Rittergüter pp. Neubearb. und ergänzt
von Alfr. Burgmann und Wilh. Feldmann. 2. Aufl. Dresden-Blasewitz, Erich
Leonhardi, 1914. 8. 416 SS. M. 12.—.
Müller-Brandenburg, H., Rußland und wir. Volkswirtschaftliche,
politische und militärische Schlaglichter. (Gegenwartsfragen 1913/14, No. 3.)
Berlin, „Politik“, Verlagsanstalt u. Buchdruckerei G. m. b. H., 1914. gr. 8.
48 SS. M. 1.—.
Levine, V., Colombia. Physical features. Natural resources, means of
communication, manufactures and industrial development. (South American hand-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 407
books.) With introduction by B. Sanin Cano. London, Pitman: Cr. 8. XII—
220 pp. 6/—.
Perris, George Herbert, The industrial history of modern England.
London, K. Paul. Cr. 8. 624 pp. 6/.—.
Vinogradoff, P., and F. Morgan, Records of the social and economic
history of England and Wales. Vol. I. London, H. Milford. 8. 16/.—.
Vivian, E. C., Peru: Physical features, natural resources, means of com-
munication, manufactures and industrial development. (South American hand-
books.) Illustrated. London, Pitman. 8. VII—235 pp. 6/.—.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Fischer-Dückelmann, Dr. Anna, Der Geburtenrückgang. Ursachen
und Bekämpfung vom Standpunkt des Weibes. Unter Mitwirkung von Arnold
Fischer. Stuttgart, Süddeutsches Verlags-Institat, 1914. 8. 89 SS. M. 1,80.
Noske, Gustav, Kolonialpolitik und Sozialdemokratie. Stuttgart, J. H.
W. Dietz, 1914. 8. 229 SS. M. 1,50.
Romanato, Enr., L’elemento storico-sociologico nella politica coloniale.
Rocca S. Casciano, L. Cappelli, 1913. 8. 224 pp. 1. 3,50.
Stefani, De prof. Car, Il Canadà e l'emigrazione italiana. Firenze,
tip. M. Ricci, 1914. 8. 13 pp.
&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Borchard, Kurt, Die Wirkung der Getreidezölle auf die Ge-
treidepreise; mit einem Anhang: Die Gregory-Kingsche Regel. Ber-
lin 1913.
Die vorliegende Abhandlung, vermutlich Dissertation, zerfällt in
zwei nur lose miteinander verbundene Teile. Auf den ersten 38 Seiten
wird die schwierige Frage zu lösen versucht, ob die Schutzzölle der
Getreideimportstaaten den Weltmarktpreis herabgesetzt und beeinflußt
hätten; der zweite Teil, S. 39—67, mit einem starken Anhang von
Tabellen, ist dem Nachweis gewidmet, daß die Kingsche Regel, wonach
bei Fehlernten der Getreidepreis in schnellerer Progression steigt, als
das der Differenz zwischen Angebot und Nachfrage entsprechen würde,
heute nicht mehr zutrifft.
Natürlich gelingt es dem Autor nicht, auf 38 Seiten das viel-
umstrittene Problem der Einwirkung der Agrarzölle auf den Welt-
marktpreis der Lösung näherzubringen. Wenn er gelegentlich Brentano
gegenüber, der in dieser Frage ausnahmsweise mit Ruhland darin über-
einstimmt, daß der Schutzzoll zum Teil auf das Ausland abgewälzt
werde, S. 17 wohlwollend begönnernd bemerkt: „So einfach, wie Bren-
tano annimt, ist nun dieser Zusammenhang nicht“, so hätte das B.
besser selbst beherzigen sollen. Ein Zusammenwerfen aller Freihandels-
länder und ihre Gegenüberstellung mit den Zollstaaten, wie Autor 8.17
beliebt, ist absolut nicht imstande, uns über die Wirkungen des Zoll-
schutzes irgendwelchen Aufschluß zu geben. Dazu sind die Produktions-
verhältnisse der einzelnen räumlich über den ganzen Erdball verstreuten,
zu verschiedenen Jahreszeiten erntenden Exportstaaten, ihre Boden- und
klimatischen, ihre Bevölkerungs-, Regierungs-, Besiedlungs- und Ver-
schuldungsverhältnisse, also ihre Abhängigkeit von den Import- und
Gläubigerstaaten, viel zu verschieden.
e
408 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dagegen ist bezüglich der Gregory-Kingschen Regel apriorisch
zuzugeben, daß sie heute nicht mehr dieselbe Wirkung haben kann wie
zur Zeit Kings. Denn worauf beruht das schnelle, überproportionale
Steigen der Getreidepreise bei Teuerungen ? Lediglich auf psycho-
logischen Motiven, dem Angstkoeffizienten, d. h. der Furcht, mit einem
so wichtigen und lebensnotwendigen Stoff, wie es das Brot namentlich
früher war, künftig zu knapp versorgt zu werden. Heute aber hat uns
der Weltverkehr, der wie eine Versicherung wirkt, in so starke Sicher-
heit gewiegt, daß wir uns eine wirkliche Hungersnot in Kulturländern
gar nicht mehr vorstellen können. Die Getreideversorgung kann wohl
einmal etwas kurz und knapp werden, aber kaum jemals derart versagen,
wie in autarken oder wenigstens territorial geschlossenen Gegenden ;
zudem leben wir nicht mehr so einseitig von Brotgetreide wie zur Zeit
Kings. Aus diesen Gründen ist die Angst vor mangelnder Versorgung
und die aus ihr entspringende preistreibende Torschlußpanik fast ver-
schwunden, und es hätte zum Nachweis dieser Tatsache kaum eines so
ausführlichen Tabellenwerks bedurft. Hier hätten einmal ausnahms-
weise deduktive Erwägungen genügt.
München. Leonhard.
Arndt, (Geh. u. Ober-Bergr.) Prof. Dr. Adolf, Allgemeines Berggesetz
für die Preußischen Staaten in seiner jetzigen Fassung, nebst vollständigem Kom-
mentar, den Ergänzungsgesetzen und Auszügen aus den einschlägigen Neben-
gesetzen. 8. stark verb. Aufl. Freiburg (Baden), J. Bielefeld, 1914. 8. VIII—
317 SS. M. 5,50.
Dalcke’s, A., Preußisches Jagdrecht. Zum praktischen Gebrauch dargestellt
und erläutert. 6. vollständig umgearb. und wesentlich verm. Aufl., bearb. von
(Kammerger.-Rat) Dr. H. Delius. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1914. gr. 8.
VIII—463 SS. M. 11.—.
Eheberg, Karl Theodor v., Die Reichswälder bei Nürnberg bis zum
Anfang der Neuzeit. (Neujahrsblätter, hrsg. von der Gesellschaft für fränkische
Geschichte, No. 9.) Würzburg, Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz, 1914.
gr. 8. VIII—185 SS. M. 4.—.
Freise, (Dipl.-Ing.) Friedr., u. (Dipl.-Berging.) Hans Bansen, Berg-
männische Auf- und Untersuchungen, mit besonderer Berücksichtigung der Tief-
bohrung. Hand- und Lehrbuch für Praktiker und Studierende sowie zum Selbst-
unterricht, leichtfaßlich dargestellt. Potsdam, Bonneß u. Hachfeld, 1914. gr. 8.
III, 176, 28, 106 und 8 SS. mit Abbildungen und 2 Tafeln. M. 8,50.
Jahresberichte der königl. sächsischen Gewerbe-Aufsichtsbeamten für
1913. Nebst Berichten der kgl. sächs. Berginspektoren, betr. die Verwendung
weiblicher und jugendlicher Arbeiter beim Bergbau, sowie die Beaufsichtigung
der unterirdisch betriebenen Brüche und Gruben. Sonderausgabe nach den vom
Reichsamt des Innern veröffentlichten Jahresberichten der Gewerbe-Aufsichts-
beamten. Dresden-A., F. A. Schröer, 1914. gr. 8. XLIV—509 SS. M. 4.—.
Jowanowitsch, Dr. Milutin, Die serbische Landwirtschaft. Eine Dar-
stellung ihrer gegenwärtigen Verhältnisse. München, Ernst Reinhardt. 98 SS.
M. 2,50.
Schwarz, (Bergassess., Dipl.-Ing.) Fel., Entwicklung und gegenwärtiger
Stand der Grubenbeleuchtung beim Steinkohlenbergbau. Gelsenkirchen, Carl Berten-
burg, 1914. gr. 8. 193 SS. mit Fig. M. 6.—.
Bourdon, M., Comment développer et mainteir la petite propriété rurale?
Les mesures capables d'assurer le maintien et le développement de la propriété
rurale. Thèse pour le doctorat (sciences politiques et économiques). Paris,
A. Rousseau, 1914. 8. 160 pag.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 409
Congrès de la propriété minière, du travail, de l’ygiene et de la sécurité
dans les mines. 6 e congrès. Gand, 15, 16 et 17 septembre 1913. Lille, L. Danel,
1914. 25X 16,5, plan, 148 pag. fr. 10.—.
Hiorns, A. H., The principles of metallurgy. 2nd. ed. London, Macmillan.
Br: 8. Biz
Redmayne, R. A. S., Modern practice in mining. Vol. 3, methods of
working coal. London, Longmans. 8. 222 pp. 6/.6.
Pratt, E. A., Agricultural organization: Its rise, principles and practice
abroad and at home. London, King and Son. Or. 8. 163 pp. 1/.—.
Montefusco, Mich., Appunti di agronomia e agricoltura moderna, ad
uso degli studenti e degli agricoltori pratici. Galatina, tip. Mariano, 1913. 8.
342 pp. 1. 5.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Heber, E. A., Japanische Industriearbeit. Eine wirtschaftswissen-
schaftliche und kulturhistorische Studie. Jena 1912. VIII u. 282 SS.
Preis 9 M.
Das vorliegende Buch stellt sich als Band 7 der von Prof. Harms
in Kiel herausgegebenen „Probleme der Weltwirtschaft‘ vor, und der
Verf. bemüht sich sorgar im Vorwort, die Aufnahme seiner Arbeit in die
genannte Sammlung zu rechtfertigen, indem er ‚„weltwirtschaftliche“
Zusammenhänge für sein im Züricher volkswirtschaftlichen Seminar
entstandenes Buch sucht. Vielleicht ist er dadurch zu einer Formulierung
seiner Aufgabe gelangt, die dem Nationalökonomen als eine Verschleie-
rung der Problemstellung erscheinen muß. Das „Weltwirtschaftliche‘“
ist nämlich die Leistungsfähigkeit und Konkurrenzmöglichkeit der
japanischen Industrie.
Der aufmerksame Leser merkt aber leicht, nicht nur aus der
Anlage des Buches, sondern auch aus des Verf.s eigenen Worten (S. 246),
daß es ursprünglich seine Absicht war, „eine Beschreibung und Er-
klärung des Standes der japanischen Arbeiterfrage zu geben,“ und
daß erst der Wunsch, sich dem Rahmen der Sammlung „Probleme der
Weltwirtschaft“ anzupassen, ihn veranlaßt hat, das Kapitel über die
internationale, also wohl „weltwirtschaftliche‘“‘ Wettbewerbsfähigkeit des
japanischen Proletarieers einzuschieben, beziehungsweise darin den Kern
seiner Arbeit zu sehen. Man täte ihm unrecht, wollte man das Buch
nicht nach seiner eigentlichen Problemstellung beurteilen.
Es bringt zunächst in der ersten, größeren Hälfte (S. 1—162)
eine hübsche Darstellung der japanischen Gewerbegeschichte und eine
Beschreibung der wichtigsten Arbeitsarten. Die zweite Hälfte gibt nach
einem kurzen Kapitel über die Leistungsfähigkeit japanischer Industrie-
arbeiter, das nicht ganz an seinem Platze ist, einen Ueberblick über die
japanische Arbeiterfrage. Der erste Teil der Arbeit ist entschieden ab-
gerundeter. Der zweite leidet ein wenig darunter, daß im ersten manches
vorweggenommen ist, aber auch unter dem Umstande, daß die Darstel-
lung der japanischen Arbeiterfrage notgedrungen fragmentarisch sein
muß. Die ganze Sozialpolitik, ja überhaupt die Bildung eines 4. Standes,
steckt in Japan noch in den Kindurschuhen;; die Anläufe zur Selbsthilfe
sind von der Regierung gewaltsam unterdrückt, Statistik oder andere
wissenschaftliche Vorarbeiten fehlen beinahe ganz, so daß dem Verf.
kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, wenn er den besonderen
410 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Teil seiner Arbeit kürzer gehalten hat als die geschichtliche Einleitung,
die er zu einer „kulturhistorischen Studie‘ erweitert hat. Immerhin hätte
ein weiteres Kapitel, etwa mit der Ueberschrift: „Der Staat als Arbeit-
geber“, eine Lücke ausgefüllt. Dabei hätte sich auch Gelegenheit er-
geben, die von der japanischen Staatseisenbahnverwaltung eingeführte
Krankenversicherung ihrer Arbeiter zu besprechen.
Auch so aber muß Hebers Buch als willkommene Erscheinung be-
grüßt werden, denn es bietet die erste zusammenfassende Darstellung
in ihrer Art, und der Verf. hat es recht gut verstanden, das lücken-
hafte und überaus verstreute Material zu sammeln und zu verarbeiten.
Dazu war er um so befähigter, als er nicht nur Land, Leute und Um-
gangssprache wirklich kennt, sondern auch kaufmännische, technische
und volkswirtschaftliche Bildung in sich vereinigt. So darf man seinen
Ausführungen getrost folgen und sich seine Schlußfolgerungen und Er-
gebnisse zu eigen machen.
Daß die japanischen gewerblichen Arbeiter den Wettbewerb mit
denen der europäischen und amerikanischen Produktionsstätten vorder-
hand nicht aufzunehmen vermögen, ist Eingeweihten längst bekannt.
Aber die psychologischen und physiologischen (mangelhafte Ernährung!)
Ursachen für diese Erscheinung sind von Heber sehr gut geschildert,
und fügen sich glatt in das Bild des Lebens japanischer Proletarier
ein, das wir in seinem Buche finden. Wer etwa bisher über den großen
äußeren Erfolgen Japans übersehen haben sollte, wie schweren inneren
Kämpfer: es entgegengeht, der kann sich an der Hand des vorliegenden
Werkes leicht darüber orientieren. Das Wohlwollen, das der Verf. den
japanischen Verhältnissen entgegenbringt, ist durchaus am Platze; aber
verführt ihn sein Optimismus nicht, sich die Lösung all der Fragen der
inneren Verwaltung zu leicht vorzustellen ? Gerade eine Vertiefung in die
Aufgaben seines besonderen Studiengebiets, der Arbeiterfrage, hätte ihn
eines besseren belehren können. Vor allem wäre auch eine Erwägung
darüber angebracht gewesen, wie denn die führenden Kreise der ja-
panischen Politik, Regierung, Parteien, Intelligenz über ihren Beruf zu
sozialen Reformen denken, und welche Voraussetzungen für ihre Wirk-
samkeit vorhanden sind. Hier wären gründlichere Untersuchungen
erwünscht.
Bei der großen Schwierigkeit, die stets dem ersten auf seinem
Gebiet entgegentritt und die insbesondere bei Arbeiten über japanische
Fragen ins Gewicht fällt, muß man für das Gebotene dankbar sein und
darf sich nicht auf Kleinigkeiten versteifen. Gerade zu dem zuletzt be-
rührten Problem müssen aber zwei Berichtigungen gemacht werden:
Das Arbeiterschutzgesetz von 1911 sollte erst durch Kaiserliche Verord-
nung in Kraft gesetzt werden. Bis zum Augenblick ist die entsprechende
Kaiserliche Verordnung aber noch immer nicht ergangen! Die Partei-
kämpfe um Verfassungsfragen, die sich jetzt in Japan abspielen, sind
auch nicht geeignet, die Voraussetzungen für ernste innerpolitische
Arbeit entstehen zu lassen. Auch die Berufung Geheimrat Wied-
feldts nach Japan bedeutete keinen Anlauf für sozialpolitisches Wir-
ken, denn obwohl der genannte Herr auch Gelegenheit finden sollte, sich
zu sozialpolitischen Fragen zu äußern, erfolgte doch seine Berufung nicht
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 411
durch das japanische Ministerium des Inneren; er war zu einer Tätigkeit
als Ratgeber des Eisenbahnministeriums und der südmandschurischen
Bahn eingeladen. Der Schluß, den der Verf. aus dieser Berufung zieht,
ist daher nicht zutreffend.
Doch genug der Ausstellungen! Trotz kleiner Irrtümer, unvermeid-
licher Schwächen und der gerügten Verwischung des Problems, die
sich schon in dem ungeeigneten Buchtitel ausdrückt, ist die vorliegende
Untersuchung eine erfreuliche Erscheinung unserer Japanliteratur.
Nur ein formelles Bedenken muß noch geltend gemacht werden:
Der Verf schiebt in seinen Text fast auf jeder Seite englische und fran-
zösische Zitate ein, die an und für sich meist entbehrlich wären. Der
fortwährende Wechsel zwischen deutscher, französischer und englischer
Sprache wirkt aber auch außerordentlich ermüdend und macht das Buch
für viele Deutsche unlesbar und unverständlich. Wenn schon überhaupt
so viel zitiert werden muß, so sei wenigstens daran festgehalten, daß
deutsche Bücher auch deutsch geschrieben sein müssen.
Halle a. S. Ernst Grünfeld.
Zürn, Walther, Die deutsche Zündholzindustrie. (Zeitschrift
für die gesamte Staatswissenschaft. Ergünzungsheft 47.) Tübingen
(H. Laupp) 1913. 185 SS.
Die deutscheZündholzindustrie findet in dieser Schrift eine gute
und gründliche Darstellung. Wenn es auch nicht richtig ist, daß sie
in kurzer Zeit einen Aufschwung erlebte „wie keine zweite Branche“
(S. 182), so bietet ihre Entwicklung doch manches besonders Inter-
essante. Außer der starken Umgestaltung des Gewerbes durch den
maschinellen Betrieb sind hier vor allem eine Reihe von staatlichen
Maßnahmen zu erwähnen, die die Zündholzindustrie in besonderer
Weise beeinflussen: das Phosphorverbot, die Zündwarensteuer und
die damit in Verbindung stehende Zwangskontingentierung der Pro-
duktion
Zürn gibt zunächst einen Ueberblick über die geschichtliche Ent-
wicklung und stellt dann die heutige deutsche Zündholzindustrie in
3 Hauptabschnitte dar: Rohstoffe und Technik, Produktions- und Ab-
satzverhältnisse, Arbeiterverhältnisse. Wer sich über die Zündholz-
industrie informieren will, findet hier eine erschöpfende Auskunft.
Aachen. Richard Passow.
Bangert, Dr. Hugo, Die Montanindustrie des Lahn- und Dillgebietes.
Ihre geschichtliche Entwicklung, wirtschaftliche Lage und Bedeutung. Wetzlar,
Schnitzlersche Buchhandlung, 1914. gr. 8. VII—119 SS. M. 1,80.
S Bühler, Dr. Friedr., Die Entwicklung der Tuchindustrie in Lambrecht.
(Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns.
Hrsg. von Prof. Dr. Georg v. Schanz, No. 50.) Leipzig, A. Deichertsche Verlags-
buchhandlung Werner Scholl, 1914. gr. 8. X—146 SS. M. 3,50.
Greineder, Dr. ing. Friedr., Die Wirtschaft der deutschen Gaswerke.
Denkschrift anläßlich der deutschen Ausstellung „Das Gas“ München 1914.
München, R. Oldenbourg, 1914. gr. 8. V, 61 SS. mit 11 Abbildungen, Titelbild und
24 eingedruckten Tabellen. M. 3.—.
Slokar, Dr. Joh., Geschichte der österreichischen Industrie und ihre
Förderung unter Kaiser Franz I. Mit besonderer Berücksichtigung der Groß-
412 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
industrie und unter Benützung archival. Quellen verf. Leipzig, G. Freytag, 1914.
gr. 8. XIV—674 SS. M. 25.—.
Vockert, Dr. Rich., Das Baugewerbe in Leipzig vom 15. Jahrhundert
bis zur Gegenwart. (Tübinger staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von
Carl Johs. Fuchs in Verbindung mit Ludw. Stephinger, Heft 6.) Stuttgart,
W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. VIII—126 SS. M. 3,50.
Keppen, A. de, L'industrie minérale de la Tunisie et son rôle dans l’evo-
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Capocei, Oscar, Industria a domicilio e minimo obbligatorio di salario.
Napoli, L. Pierro e figlio, 1914. 8. VI—165 pp. 1. 3,50.
6. Handel und Verkehr.
Denkschrift zu dem technischen Entwurf einer Main-
Donau-Wasserstraße mit Anschluß der Städte München
und Augsburg, bearbeitet von Theodor Gebhardt, verlegt von
dem Verein für Hebung der Fluß- und Kanalschiffahrt in Bayern.
Nürnberg 1913.
Wohl in keinem deutschen Bundesstaate sind in den letzten Jahr-
zehnten die Fragen der Wasserstraßenpolitik so lebhaft erörtert worden
wie in Bayern. Diese Erscheinung ist eine Folge der mehr und mehr
zur Geltung kommenden Erkenntnis, daß der zweitgrößte deutsche
Bundesstaat, wohl nicht zuletzt infolge Mangels an wichtigen Rohstoffen,
wie Kohlen, nicht durchweg diejenige industrielle Entwicklung auf-
weist. wie sie in anderen deutschen Landesteilen zu finden ist, und daß
die Schaffung billiger Verkehrswege, insbesondere nach dem deutschen
Nordwesten, zur Belebung der Industrie Bayerns dringend erforderlich
ist. Zu dieser Erkenntnis tritt die innerpolitische Sorge Bayerns, daß
infolge verlangsamter Ausbreitung der Industrie die Steuerkraft
des Landes mit der anderer deutscher Staaten nicht gleichen
Schritt gehalten hat. Es ist deshalb eine wahrhaft hohe Aufgabe,
die sich der bayerische Verein für Hebung der Fluß- und Kanalschiff-
fahrt gestellt hat, das Verkehrsgebiet der Donau und des Mains mit
dem Fluß- und Kanalnetz Mittel- und Norddeutschlands zu verbinden
und für die Häfen der deutschen Nordsee zu erschließen.
Zwei Wege, um dieses Ziel zu erreichen, sind ins Auge gefaßt
worden. So hat einmal der Gedanke eines Main-Werra-Kanals in Bayern
und ebenso in verschiedenen thüringischen Staaten Boden gewonnen.
Dieses Projekt aber, das die vielfach erwogene interessante Idee eines
„Kanals über den Thüringerwald‘“ in sich schließt, ist das entfernter
liegende, es tritt zurück vor den Bestrebungen, den Main von Aschaffen-
burg aufwärts staffelweise, zunächst bis Würzburg, zu kanalisieren und
von denı südlichsten Mainknie (Ochsenfurt-Marktbreit oder auch Bet-
tingen-Kreuzwertheim) einen Kanal etwa nach Süden bis München
mit Stichkanälen für Nürnberg und Augsburg zu bauen. Dieser Wasser-
weg allerdings wäre sehr geeignet, die Entwicklung der Industrie Bayerns
zu fördern. Ausschlaggebend wäre dabei die Verbilligung der Zu- und
Abfuhr der Güter des Massenbedarfs im Verkehr mit dem Rheinland
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 413
und Westfalen. Einem solchen Güteraustausch steht der Verkehr Bayerns
mit den nördlichen Gebieten, z. B. der Provinz Sachsen und den EIb-
häfeu weit nach. Es ist deshalb natürlich und richtig, daß man in
Bayern den Bestrebungen nach Schaffung eines Main-Werra-Kanals
wohl fördernde Aufmerksamkeit widmet, im übrigen aber der Er-
schließung Bayerns für den deutschen Nordwesten das Hauptaugen-
merk zuwendet.
Zur Bearbeitung des Projekts einer hierfür geeigneten Wasser-
straße, dic also vom Main abzweigend nach Nürnberg, München,
Augsburg führen soll, hat der Verein für Hebung der Fluß- und Kanal-
schilfahrt in Bayern im Jahre 1908 ein besonderes technisches Amt
gegründet. Das Ergebnis der Arbeiten dieses Amts wird in der vor-
liegenden Denkschrift zusammengefaßt. Sie stellt ein interessantes Werk
dar, das die Grundlage für die Weiterarbeit auf dem Wege zur Schaffung
der bayerischen Wasserstraßen bilden wird. 262 km wird die Kanal-
linie von München bis zum Main (ÖOchsenfurt) betragen. Auf seinem
Wege hat der Kanal ein Gesamtgefälle von fast 318 m zu überwinden.
Die Kosten der Wasserstraße von München nach Ochsenfurt-Marktbreit
stellen sich auf 188 Mill. M.; die Fortführung des Kanals bis Bettingen-
Kreuzwertheim erfordert weitere 60 Mill. M. Auch kostspielige Kunst-
bauwerke kommen, abgesehen von den erforderlichen Gefällstufen, in
Betracht, so die Kanalbrücke über die Donau bei Stepperg und die
Kanalbrücke über das Biberttal, westlich von Nürnberg. Größere
Unischlagsplätze sind geplant in München, Augsburg, Stepperg, Nürn-
berg, Ochsenfurt-Marktbreit. Für diese Städte sieht die Denkschrift
sorgfältig bearbeitete Uebersichtspläne für die Umschlagsanlagen vor,
so daß die Stadtverwaltungen schon jetzt in der Lage sind, die Hand
auf den für die Hafenanlagen in Betracht kommenden Boden zu legen
und so der zweifellos einsetzenden Spekulation zuvorzukommen.
Die Denkschrift, die einem deutschen Kulturwerke größten Stils
in sehr wirksamer, anschaulicher Weise vorarbeitet, verdient die größte
Beachtung. Ist doch die wirtschaftliche Tragweite des bayerischen
Unternehmens heute kaum zu übersehen. Es sei nur daran erinnert,
daß die Rohstoffe Südrußlands, des Balkans usw. vom Schwarzen Meer
bis beispielsweise Frankfurt a. M. und weiter schwimmen könnten, daß
also in der Tat ein Wasserweg von der deutschen Nordsee durch Europa
hindurch bis nach dem Schwarzen Meere und Kleinasien geschaffen
wäre. Einem solchen Werk allerdings ist im Interesse der wirtschaft-
lichen Weiterentwicklung Deutschlands die tatkräftigste Förderung zu
wünschen. Es ist daher erfreulich, daß die Aussichten auf Verwirk-
lichung der bayerischen Projekte günstig sind, zumal bekanntermaßen
kein anderer als König Ludwig III. von Bayern selbst ihnen das aller-
. größte Interesse entgegenbringt.
Halle (Saale). Paul Ritter.
Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1910. Jahresberichte über den Wirt-
schafts- und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber
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414 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
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Pensch, Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896, betr. die direkten
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einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung der Gesetzes-
materialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshof-Judıkatur erläutert und
mit einem Inhaltsverzeichnis sowie einem alphabetischen Geueral-Sachregister ver-
sehen. Unter Mitwirkung von Franz Jaros hrsg. 4. vollst. umgearb. Auflage.
Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 3. Lieferung. S. 160—320, und 4, Lieferung,
S. 321—480. Je M. 2.—.
Rentensteuer, Die.(mit einem Verzeichnis, enthaltend jene ausländischen
Wertpapiere, deren Erträgnisse rentensteuerpflichtig bzw. rentensteuerfrei sind).
Das durch die Personalsteuernovelle vom 23. 1. 1914 abgeänderte Personalsteuer-
gesetz vom 25. Oktober 1896. Für jedermann leichtfaßlich — in Frage und
Antwort — dargestellt, durch zahlreiche Beispiele erläutert und mit einem alpha-
betischen Sachregister versehen. (Oesterreich. Steuergesetze.) Brünn, Georg Kara-
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Singer, J., Die mexikanischen Finanzen und Wilsons panamerikanische
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Vusio, E. M. u. F. H. v. Meyer, Wie soll man die schwere Last der
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Situation (la) financière des communes de France et d'Algérie en 1913,
présentée par M. H. Richard à M. Malvy, ministre de l'intérieur. (Trente-sixicme
publication annuelle.) Melun, Impr. administrative, 1914. grand-in 4. XXLLI—
736 pag. :
Higgs, Henry, The financial system of the United Kingdom. London,
Macmillan. 8. 228 pp. 6/.—.
Einaudi, prof. Lu., Corso di scienza delle finanze, tenuto nella r. uni-
versità di Torino e nella università commerciale L. Bocconi di Milano. Seconda
edizione, curata dal dott. Achille Necco. Torino, tip. E. Bono, 1914. 8. L—
1010 pp. 1. 20.—. — La finanza della guerra e delle opere pubbliche. Torino,
tip. E. Bono, 1914. 8. XXXI—350 pp. l. 7.—.
Wet (De) tot heffing eener algemeene ,„inkomstenbelasting“ en tot wijziging
van art 10 (het tarief) der vermogensbelasting („Wet op de inkomstenbelasting
1914“), zooals deze wet door de Tweede Kamer der Staten-Generaal is vastgesteld.
Met, als bijlagen, uitgewerkte tarieven van beide belastingen. Tekstuitgaave door
E. J. Eggink. Zutphen, W. J. Thieme en Cie. 8. 61 blz. fl. 0,30.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Dittmer, Hans, Depositenbanken eines Agrarlandes. Eine ver-
gleichende Untersuchung der Banken Mecklenburgs. Jena (Gustav
Fischer) 1913. (Archiv für exakte Wirtschaftsforschung. 10. Heft.)
Die Arbeit des Verf. ragt unter den in den letzten Jahren er-
schienenen Bankmonographien unzweifelhaft hervor. Der Erfolg liegt
einesteils in dem zur Behandlung stehenden Stoffe selbst; die bank-
wissenschaftliche Literatur hat neuerdings nur solche Banken einseitig
bevorzugt, deren Lebenswurzeln in Handel und Industrie liegen, so daß
eins Untersuchung der Bankbetriebe eines reinen Agrarlandes, wie es
Mecklenburg ist, eine wesentliche Bereicherung unserer Literatur be-
deutet. Ein Weiteres trägt zur Bedeutung des Buches die Art und Weise
des Verf. bei, den zur Verfügung stehenden Stoff zu verarbeiten (Me-
thodik). Er hat sich von dem Fehler (so kann man es wohl nennen)
freigehalten, nur reine Monographien zu schreiben und etwa die bank-
416 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wissenschaftlichen Untersuchungsresultate der neueren Zeit einfach zu
negieren; den Unterbau seiner Arbeit bilden vielmehr die modernen
Bankprobleme, wodurch die Arbeit eine gewisse Großzügigkeit erhält.
Er operiert nicht nur mit toten Zahlen, sondern er berücksichtigt auch
psychologische Momente, Land und Leute, ein Zeichen, daß der Verf.
nicht nur Bilanzen lesen kann, sondern auch in das praktische Wirt-
schaftsleben eingedrungen ist. Eine klare, frische und offene Darstel-
lungsweise erhöht weiterhin den Wert des Buches.
Nach einleitenden theoretischen und methodischen Betrachtungen
gibt der Verf. im ersten Abschnitt zunächst die Monographien der meck-
lenburgischen Banken an Hand der Bilanzen und Jahresberichte. In
einem zweiten Abschnitt kommt er zur Vergleichung der einzelnen
Geschäftszweige der Banken, getrennt nach Passivgeschäften (ver-
antwortliches Kapital der Banken, Depositengeschäft, sonstige Passiv-
geschäfte) und Aktivgeschäften (Kassenbestand und Bankguthaben,
Diskontgeschäft, Lombardgeschäft, Kontokorrentgeschäft, Effektenge-
schäft, Beteiligungen und Konsortialgeschäfte). Ein besonderes Ka-
pitel räumt er dem Liquiditätsproblem ein. Da er — wie gesagt —
seine Untersuchung darauf eingestellt hat, nicht nur die Banken unter
sich zu vergleichen, sondern sie in ihren Betätigungsäußerungen in das
gesamte Gebiet der Bankprobleme einzufügen, so bietet die Ausbeute
für den Banktheoretiker — und auch Bankpraktiker — sehr viel In-
teressantes und Wissenswertes, namentlich schon deswegen, weil es sich
um eine Darstellung handelt, die uns ein Bild von einer im übrigen
Deutschland schon entschwundenen Entwicklungsstufe des Bankwesens
gibt.
Die Eigentümlichkeiten der mecklenburgischen Bankbetriebe leiten
sich aus der ländlichen Struktur ihres Arbeitsgebietes her, dessen Wesen
sich wirtschaftlich weniger in einem dringenden Kreditbedürfnis als
vielmehr in einem Anlagebedürfnis der Bevölkerung äußert, und wo
bei wirklichem Kreditbedürfnisse der Bedarf an langfristigem Kredit
vorherrscht. Rein psychologisch kommt noch der konservative Cha-
rakter der Bevölkerung in Betracht: Abneigung gegen jede spekulative,
börsenmäßige Anlage. Hieraus ergibt sich einmal, daß die mecklen-
burgischen Banken mehr den Typ der Sparkasse zeigen. Verf. stellt
fest, daß die befristeten Kapitaleinlagen im Durchschnitt weit länger
als 6 Monate den Banken belassen werden, so daß ca. 2/, aller De-
positengelder als Spargelder zu betrachten sind. Interessant ist der
Nachweis des Zusammenhanges der Zahlungstermine eines Landes und
der Befristung der Gelder. In Mecklenburg gibt es zwei Landestermine,
an denen Zahlung erfolgt; die Wirtschaftsüberschüsse müssen also
entsprechend bis zu diesen allgemeinen Zahlungsterminen notwendiger-
weise aufgespeichert werden.
Auf der anderen Seite: Mangels jeder industriellen Tätigkeit im
Zusammenhang mit der Abneigung der Bevölkerung gegen alle Börsen-
geschäfte wird das Akzeptkreditgeschäft von den Banken fast
gar nicht und das Effektengeschäft nur in geringem Umfange ge-
pflegt, ebenso ragt das Kontokorrentgeschäft nicht besonders
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 417
hervor. Beim Wechseldiskontgeschäft kommt das landwirtschaft-
liche Moment insofern zum Ausdruck, als die „Prolongationen“ vor-
herrschen, besonders bei den Platzwechseln, wobei außerdem berück-
sichtigt werden muß, daß Darlehen unter Zuziehung von Bürgen in
die Form des Ankaufs von Solawechseln der Kunden gekleidet werden,
und daß diese ihre Grundlagen nicht wie die Rimessenwechsel in Waren-
umsätzen haben, sondern im Hypothekarkredit. (Eine Trennung der
Platz- und Rimessewechsel in den Bilanzen der Banken würde aus
diesen Grunde also immerhin eine gewisse Unterlage für die qualitative
Sichtung abgeben.) Auch im Lombardgeschäft tritt das börsen-
mäßige Lombard (tägliches Geld, Ultimogeld, Reports) zurück, dafür
nimmt aber das Hypothekengeschäft einen breiten Raum ein. Mit Recht
kommt Verf. zu dem Resultat, daß die Verwendung der Depositengelder
deren Ursprung, Art und Zweck im großen ganzen entspricht. Be-
sonderes Interesse (für die Frage des „Depositenproblems‘“) erheischen
jedoch die weiteren Ausführungen des Verf., die sich auf neuzeitliche
Aenderungen in dieser Hinsicht beziehen, Aenderungen, die ihren Ur-
sprung in der Konzentrationsbewegung haben. Die Banken werden in
die Machtsphäre der Großbanken gedrängt, womit bei mehreren ein
Abfließen der dortigen Depositengelder nach der Zentrale Berlin ein-
setzt und hier sehr leicht diese Depositengelder Zwecken zugeführt.
werden, die ihrem Wesen widersprechen; andererseits werden die in
Berlin gültigen Geschäftsmaximen nach dort übertragen. Er weist als
praktisches Beispiel auf die Rostocker Bank hin, die auf den Berliner
Bau- und Hypothekenmarkt ging und hierdurch bedeutende Verluste
erlitt.
Die Liquidität der mecklenburgischen Banken kann nach alledem,
rein zahlenmäßig genommen, nicht günstig sein. Man muß aber dem
Verf. darin beistimmen, daß man bei der Liquiditätsabmessung nicht nur
Prozentzahlen sprechen lassen darf, sondern auch andere Momente mit
berücksichtigen muß, in diesem Falle z. B. psychologische. Und diese
liegen in dem ruhigen, konservativen Volkscharakter, die nach den bis-
herigen Erfahrungen eine Panik verhindert haben.
Nicht ohne Interesse ist es, daß die Banken seit ungefähr 20 Jahren
kartellartige Vereinbarungen geschlossen haben, die Ueberbietungen der
gewährten Depositenzinsen und Unterbietungen der Zinssätze in den
Aktivgeschäften ausschließen sollen. Hierdurch wird zweifellos eine
Stabilisierung der Zinssätze für längere Zeit hervorgerufen, daß aber
hiermit zugleich die Diskontpolitik der Reichsbank „mehrfach durch-
kreuzt“ werden soll, dem können wir nicht ohne weiteres zustimmen.
Denn die vereinbarten Mindestsätze sind doch nur dadurch möglich,
daß sie teilweise auf dem Hypothekarkredit basieren, dessen Zinssätze
naturgemäß stets und überall eine schwerfälligere Bewegungstendenz
haben, und — was für unseren Zweifel der Hauptstützpunkt ist
— die Mittel der Reichsbank kommen für diese Art der Kredit-
gewähr bekanntlich gar nicht in Betracht. Doch ist nicht zu leugnen,
daß in der vom Verf. zum Ausdruck gebrachten Tendenz auch ein Kern
steckt, an dem man gerade jetzt, wo die Konditionskartellierungsbestre-
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 27
418 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
bungen der Banken mehr in den Vordergrund gerückt sind, nicht
ohne Beachtung vorübergehen kann. Sicherlich bedeutet die Kar-
tellierung eine ideelle Stärkung der Kapitalkraft der Banken insofern,
als ihr Zusammenschluß noch fester wird; und der Annahme, daß sich
die Wirkung dermaleinst in der Richtung geltend machen kann, daß
der Reichsbank „die Beherrschung des deutschen Geldmarktes‘‘ (Verf.
hat diesen Ausdruck von Plenge übernommen) dadurch erschwert wird,
kann eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden.
In einem besonderen Kapitel beschäftigt sich Verf. mit dem
aktuellen Publizitätsproblem. Er steht auf dem Standpunkte,
daß die häufigere Publizierung gutgegliederter Ausweise meistens
ohne Wirkung ist, wenn eine sachverständige Kritik und Kontrolle
fehlt. Hier hat Verf. nun beobachtet, daß die Lokalpresse von den
Veröffentlichungen der mecklenburgischen Banken (fünf veröffentlichen
monatliche Bilanzen) niemals Notiz nimmt. Andererseits weist Dittmer
jedoch mit Recht darauf hin, daß die Geschäftsbeziehungen und Kredit-
gewährungen bei diesen Banken mit kleinerem Arbeitsgebiet der in
Betracht kommenden Geschäftswelt immerhin soweit bekannt sind, um
ein Urteil über Sicherheit und Liquidität auch ohne weitgehendere
Veröffentlichungen zu ermöglichen. Wo dies nicht möglich ist, wie bei
Großbanken, größeren Provinzbanken, schlägt er eine interne Bilanz-
kritik der Großbanken durch den Zentralverband für das Deutsche
Bank- und Bankiergewerbe vor, während diese wiederum für die Banken
ihres Konzerns gleichsam eine Kontrollinstanz darstellen könnten. Diese
Vorschlägo sind teilweise durch die von der Reichsbank besorgten Ver-
öffentlichungen der Zweimonatsbilanzen in der Praxis überholt worden,
ob sie aber nicht doch ergänzend hinzutreten könnten, ist mindestens
diskutabel.
Berlin H Hilbert.
Agahd, E., Großbanken und Weltmarkt. Die wirtschaftliche und poli-
tische Bedeutung der Großbanken im Weltmarkt, unter Berücksichtigung ihres
Einflusses auf Rußlands Volkswirtschaft und die deutsch-russischen Beziehungen.
Berlin, Haude und Spenersche Buchhandlung Max Paschke, 1914. Les 8 XXIV—
290 SS. M. 10.—.
Bericht des eidgenössischen Versicherungsamtes. Die privaten Versiche-
rungs-Unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1912. Veröffentlicht auf Beschluß
des schweizerischen Bundesrates vom 17. Juni 1914. 27. Jahrgang. Bern, A.
Francke, 1914. Lex.-8. II, XCIX, 202 SS. mit 4 farb. Tafeln. M. 3.—.
Diehl, Karl, u. Paul Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Studium
der politischen Oekonomie. Bd. 10. Zur Lehre vom Geld. II. Währungssysteme,
Kredit-, Papiergeld- und Banknotenwesen. Karlsruhe, G. Braun, 1914. 8. VII—
193 SS. Je M. 2,60. (10 Bde. in Karton M. 20.—.)
Gockel, Dr. Hermann, Welche Vorteile und Nachteile ergeben sich aus
der beabsichtigten Zwangsanlage der Vermögensbestände von Lebensversicherungs-
anstalten in Staatspapieren? Gera, A. E. Fischer, 1914. gr. 8. VIII u. 80 SS.
M. 2,50.
Gomberg, Prof. L., Die Kontrolle der Banken. (Aus: Neue Zür. Ztg.)
Genf, R. Burkhardt, 1914. kl. 8. 32 SS. M. 0,50.
Handbuch der deutschen Aktien-Gesellschaften, Jahrbuch der deutschen
Börsen. Ausg. 1914/15. Nebst einem Anhang, enthaltend: Deutsche und auslän-
dische Staatspapiere, Provinzial-, Stadt- und Prämien-Anleihen, Pfand- und Renten-
briefe, ausländische Eisenbahn- und Industrie-Gesellschaften, sowie deutsche Ge-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 419
werkschaften und Kolonial-Gesellschaften. Ein Hand- und Nachschlagebuch für
Bankiers, Industrielle, Kapitalisten, Behörden etc. 19. umgearb. und vermehrte
Auflage. 1. Bd. Berlin, Verlag für Börsen- und Finanzliteratur, 1914. Lex.-8.
CXXX, XIII, 2368 u. 700 SS. M. 30.—.
Jahre, 25, Kreditreform. Festschrift des Verbandes der Vereine Kredit-
reform e. V. in Leipzig. Aus Anlaß der 25-jährigen Wirksamkeit der Vereine
Kreditreform. Leipzig, Emil Gräfe, 1914. gr. 8. 72 SS. M. 1.—.
Meyer (Red.), Dr. A., Zur Frage eines eidgenössischen Bankgesetzes. Vor-
trag. (Schweizer. Zeitfragen, Heft 42.) Zürich, Orell Füssli, 1914. gr. 8. 44 SS.
M. 2.—.
Oelert, Realkredit und Feuerversicherung. (Das gesamte Versicherungs-
wesen in Einzeldarstellungen .Bd. VI.) München, Max Steinebach, 1914. M. 2,50.
Schwätzer, J., Die Praxis der Emission von Wertpapieren nach den
österreichischen und deutschen Rechtsverhältnissen. Wien, Alfred Hölder, 1914.
gr. 8. V11—220 SS. M. 4,20.
Stampfli, Dr. Arth., Die schweizerischen Kantonalbanken. Mit 5 farb.
graph. Tabellen. Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern
1914, von der Kommission der Abteilung „Bankwesen“ der 38. Gruppe. Zürich,
Orell Füßli, 1914. gr. 8. 106 SS. M. 4,80.
Weber-Schurter (Dir.), J., Die schweizerischen Hypothekenbanken.
(Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von der Kom-
mission der Abteilung „Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Orell Füßli, 1914.
gr. 8. 126 SS. mit Tabellen und 3 farb. Tafeln. M. 4,80.
Wetter, Dr. Ernst, Die Lokal- und Mittelbanken der Schweiz. (Hrsg.
aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von der Kommission
der Abteilung „Bankwesen‘“ der 38. Gruppe.) Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8.
114 SS. mit 3 farb. Tafeln. M. 4,80.
Grandes (les) banques d'émission. Les banques d'émission, par Raphaël
Georges Lévy. La banque de France, par Paul Dellombre. Les banques des États-
Unis, par. A. Arnauné. La banque d'Allemagne, par Maurice Lair. La banque
de Russie, par A. Raffalovich. La banque d'Angleterre, par Sir Iglis Palgrave.
Paris, Félix Alcan, 1914. 8. 131 pag.
Frijda, H., De theorie van het geld en het Nederlandsche geldwezen.
Haarlem, De Erven F. Bohn. gr. 8. 16 en 197 blz. fl. 2,50.
9. Soziale Frage.
Glocker, Theodore W., The government of american trade
unions. Baltimore 1913. 80. 242 SS.
— Das Verfassungswesen der nordamerikanischen Gewerkvereine bildet
den Gegenstand der gründlichen und wohlgegliederten Arbeit. Sie ist
eine dankenswerte Ergänzung der Werke über die Geschichte und die
Politik dieser Vereine, um die Rolle, welche diese im sozialen Leben
Amerikas spielen, und insbesondere die von ihnen ausgehenden Wir-
kungen ganz verstehen zu können. Begreiflicherweise schließt die Dar-
stellung auch ein gutes Stück der äußeren und inneren Geschichte der
amerikanischen trade unions mit ein, da, wie deren gesamtes Leben, so
auch ihre Verfassungsformen das Ergebnis einer durch vielerlei poli-
tische und wirtschaftliche, rechtliche und soziale Tatsachen bedingten
Entwicklung sind. Dadurch gewinnt die Darstellung Farbe und Leben
und treten die Fäden, die sie mit den übrigen Teilen des Gewerkvereins-
problems verbinden, klar hervor.
Im ersten Teile sehen wir die korporative Einheit sich von der
einfachen Werkstattversammlung über den Ortsverein, der mitunter
auch Filialen hat, zum Distrikts- oder staatlichen Verband, weiterhin
27*
420 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
zum nationalen Verband der Ortsvereine und schließlich zur inter-
nationalen Föderation entwickeln. Nicht immer und überall geht Jieser
Prozeß gleichmäßig und einheitlich vor sich. Namentlich ist die Ver-
einigune zu Distrikts- oder staatlichen Verbänden nur in wenigen
Gewerben, wie z. B. im Kohlenbergbau, den beiden höchsten Stufen
vorausgegangen. Aber die treibenden Kräfte drängen nach dieser
Richtung. Die Urformen sind die Versammlungen der Arbeiter eines
Betriebes oder der Mitglieder eines Ortsvereins. Alle höheren Formen,
vom Distriktsverband aufwärts, sind nur Kombinationen beider. Ein-
geleitet werden diese Urformen gewöhnlich von Perioden unorganisierten
Widerstandes gegen die Herabdrückung der Löhne und sonstigen Ar-
beitsbedingungen. Sie haben beide eine lange Vorgeschichte. Jetzt ist
die erstere so gut wie völlig überlebt. Die allgemeine Tendenz geht
gegenwärtig auf große nationale Industrieverbände, in denen die Masse
der Ortsvereine eines jeden möglichst weit begrenzten Gewerbes zu-
sammengefaßt wird. Die Rolle der Vereinigung mehrerer Ortsvereine
verschiedener Gewerbe am selben Orte, also unserer Gewerkschafts-
kartelle, ist nur eine verhältnismäßig unbedeutende. Die Art der Zu-
sammensetzung dieser großen Industrieverbände ist sehr mannigfach.
Die Frauen werden möglichst in Sondervereinigungen organisiert. Auch
Rasse (Neger) und Nationalität bedingen in vielen Gewerben getrennte
Ortsvereine. Die höchste Form der Föderation ist die internationale
mit Gerichtsbarkeit über alle ihr angeschlossenen Vereine, nicht nur in
den Vereinigten Staaten, sondern auch in Kanada, zum Teil sogar in
Mexiko und den Schutzgebieten der Union, nämlich Alaska, der Kanal-
zone, auf Portorico, Hawaii und den Philippinen. Sie wird gefördert
durch die von den Verhältnissen der Gegenwart, besonders der Ausbil-
dung des Verkehrswesens, begünstigte Unrast der Arbeiterschaft, die
anderseits den Bemühungen der Organisationen um Begrenzung der
Zahl der lernenden Kräfte nachteilig ist. In Kanada stehen sich frei-
lich zwei Richtungen ziemlich schroff gegenüber: das französische Ele-
ment in der Bevölkerung mit der Vorliebe für reine nationale (kana-
dische) Organisationen und das angelsächsische mit der Tendenz auf
internationale Organisation. Die erstere herrscht in den Provinzen
Quebee und Montreal, unterstützt namentlich von der Geistlichkeit und
den Arbeitgebern, die letztere in der Provinz Ontario. Doch hat im
ganzen die nationale Bewegung eine erheblich geringere Bedeutung.
Das bei der Wanderlust der Arbeiter begreifliche Streben nach
Erleichterung der Möglichkeit, in einem anderen Ortsvereine desselben
Gewerbes unter Erhaltung der bisher erworbenen Unterstützungsan-
sprüche Mitglied zu werden, sowie die Tendenz auf Vereinheitlichung
der Arbeitsbedingungen und Festhaltung erzielter Fortschritte wirken
ebenso wie die Notwendigkeit, das Unterstützungswesen auf eine mög-
lichst breite finanzielle Grundlage zu stellen, und das Verlangen, sich
gegen das Einströmen fremder Arbeiter, besonders von Streikbrechern,
zu schützen, ganz besonders förderlich auf den Zusammenschluß der
Örtsvereine. Zwei Zentralverbände, die vereinigten Tischler und Zimmer-
leute sowie die Maschinenbauer, erstrecken sich sogar, um ihre Mit-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 421
glieder in möglichst weitem räumlichen Umfange die Wohltaten der
Unterstützungen für Notfälle genießen zu lassen, auf alle Länder der
englischen Sprache. Dagegen sind Versuche amerikanischer Gewerk-
vereine in der Richtung einer Föderation mit europäischen erfolglos
geblieben. Gleichwohl hält der Verfasser es für möglich, daß mit der
wachsenden gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit aller Länder
der Welt eines Tages hochzentralisierte Welt-Arbeiterverbände zur Tat-
sache werden. Durch das Wechselspiel der wirtschaftlichen Konjunk-
turen ist, wie die Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung
überhaupt, so insbesondere die Tendenz zur nationalen und inter-
nationalen Förderung in wechselndem Sinne beeinflußt worden. Mehr
als 130 Verbände dieser beiden Arten sind in der auf die Krisis von
1893 folgenden großen Aufschwungsperiode entstanden. Auch die ameri-
can federation of labour, diese große, wenn auch nur lose Vereinigung
der Arbeiterschaft der Union, die Nachfolgerin der „knights of labour“,
geschaffer: und kontrolliert von den nationalen Arbeiterverbänden, hat
höchst fördernd auf die Bildung dieser letzteren und der internationalen
Verbände zurückgewirkt, da ihre Agenten unter den unorganisierten
Arbeitern nicht nur für deren Organisierung in Ortsvereinen, sondern auch
für deu föderativen Zusammenschluß der letzteren agitieren. Nur in
wenigen Gewerben sind daher heute die Ortsvereine noch nicht föde-
riert. Die Distriktsverbände sind durch den Uebergang zu den höheren
Organisationsstufen keineswegs untergegangen. Denn selbst in Ge-
werben, die für den nationalen Markt produzieren, bedingen die großen
örtlichen Verschiedenheiten der wirtschaftlichen Verhältnisse eine ent-
sprechend gegliederte Interessenvertretung, die auch für Streikfälle
praktischer Wert haben kann.
Der zweite Teil geht auf den unter langen und bitteren Kämpfen
in nunmehr fast allen Gewerben vollzogenen Zentralisationsprozeß näher
ein. Namentlich seit 1898 ist die Macht der nationalen Organisationen
gewaltig gewachsen. Die Zahl der von den Ortsvereinen an die Zentrale
übertragenen Funktionen ist außerordentlich gestiegen. Die Gründe
dafür sind zahlreiche. Vor allem geht die Kontrolle über die Streiks
und überhaupt die gesamte Streikpolitik unter heißen Kämpfen zwischen
Ortsvereinen und Nationalverbänden immer mehr von jenen auf diese
über. Grad und Art dieser Kontrolle sind freilich recht verschieden. Bald
ist die Erklärung eines Streiks schlechthin, bald nur seine Unter-
stützung von der Zustimmung der Zentrale abhängig gemacht.
In dritten Teil wird die Verwaltungsmaschinerie der amerika-
nischen Gewerkvereine analysiert und eingehend beschrieben. Interessant
ist bei der Erörterung der Verfassungsquellen der Nachweis, wie die
Entstehungsformen dieser Vereine, besonders des Buchdruckerverbandes,
durch dic geheimen oder brüderlichen Vereinigungen, wie namentlich
die bekannte (freimaurerartige) der Odd Fellows, beeinflußt worden
sind. In weitem Umfange haben die amerikanischen Gewerkvereine,
besonders die der Textil- und der Bergarbeiter, aus den Erfahrungen
der europäischen, namentlich der englischen, Nutzen gezogen. Doch
tragen die ersteren in ihrer Struktur nur in beschränktem Maße das
422 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gepräge der letzteren. Im ganzen sind die amerikanischen Gewerk-
vereine viel dezentralisierter als die englischen. Namentlich werden bei
jenen die Arbeitsbedingungen gewöhnlich von den Ortsvereinen ge-
regelt, die eifersüchtig jeder weiteren Vermehrung der Funktionen
ihrer Zentralorganisationen widerstreben. Hierfür kommt wesentlich
in Betracht, daß die englischen trade unions den Vorzug größerer
Kompaktheit haben, weil ihre Mitgliedermasse sich auf ein Gebiet er-
streckt, das nicht größer ist als durchschnittlich das eines Unions-
staates. Lebenshaltungskosten, Produktionsmethoden, Verkehrsverhältnisse
und andere Bedingungen variieren in Großbritannien nur wenig, so
daß die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen von ihnen viel leichter
durchgeführt werden kann. Die amerikanischen Gewerkvereine sind
darin durch ihre internationale Expansionstendenz noch schwieriger
gestellt
Während beim Ortsverein das Schwergewicht der Verwaltung in
der Mitgliederversammlung liegt, ist im Verwaltungsmechanismus der
nationalen und internationalen Verbände die Versammlung der Orts-
vereinsvertreter das Hauptorgan. Diese übt verwaltende, gerichtliche
und weitestgehende gesetzgeberische Funktionen aus, trotz der darin
liegenden Verletzung des politischen Prinzips der Trennung dieser Ge-
walten. Namentlich liegen ihr die Erhebung von Abgaben, die Ver-
wendung der Einkünfte, die Erklärung des wirtschaftlichen Krieges
und die Genehmigung von Verträgen ob. Wo der Verband und daher
auch die Vertreterversammlung zu groß ist, werden deren Funktionen
großenteils besonderen Vertreterausschüssen übertragen. Das Wahlrecht
zur Vertreterversammlung ist sehr verschiedenartig gestaltet, vom gleichen
Stimmrecht eines jeden Ortsvereins bis zur Abstufung nach der Mit-
gliederzahl, sei es streng proportional oder nach Einheiten mit oder
ohne Begrenzung nach unten oder oben. Im ganzen wird dabei an-
gestrebt, daß die großen Vereine nicht die Uebermacht über die kleinen
erlangen. Mit der Erweiterung des Tätigkeitsgebietes der Nationalver-
bände sinkt aber die Macht der Vertreterversammlung rasch. Es wird
zunächst eine immer größere Anzahl von Beamten und von Verwaltungs-
ausschüssen erforderlich, auf die immer mehr und immer wichtigere
Funktioner übergehen. Schließlich tritt die Entscheidung durch Ur-
abstimmung (popular vote) für alle wichtigen Fragen hinzu. Immerhin
gibt es noch eine beträchtliche Zahl von Vereinen, welche diese nicht
kennen, und in ihnen ist die Vertreterversammlung noch das primäre
Verwaltungsorgan. Die Organisation und die Tätigkeit der Vereins-
beamtenschaft, ebenso des zur Eindämmung von deren Macht oft ein-
gesetzten Verwaltungsrates (national execution board) werden weiterhin
eingehend geschildert. Die große Mehrheit der Gewerkvereine hat als
weiteres konstitutionelles Schutzmittel noch die Initiative und das Re-
ferendum nach dem politischen Verfassungsmuster der Schweiz einge-
führt, deren Wesen und Erfolge im Schlußkapitel des verdienstvollen
Werkes näher beleuchtet werden.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
TP a —
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 423
Bauarbeiterschutz, Der, in Deutschland. Hrsg. von der Zentralstelle
für Bauarbeiterschutz beim Generalsekretariat des Gesamtverbandes der christlichen
Gewerkschaften Deutschlands. Cöln, Christlicher Gewerkschafts-Verlag, 1914. 8.
240 SS. M. 1,50.
Fuß (Red.), Max, Die Landflucht. Ihre Ursachen, ihre Wirkungen und
ihre Bekämpfung. Gemeinverständlich dargestellt. Brixen, Verlagsanstalt Tyrolia,
G. m. b. H., 1914. gr. 8. 151 SS. M. 3.—.
Meisel-Hess, Grete, Betrachtungen zur Frauenfrage. Berlin, Pro-
metheusVerlagsgesellschaft, 1914. 8. 252 SS. M. 3,50.
Rupprecht (Landger.-Rat), Karl, Handbuch der Jugendfürsorgepraxis
in Bayern, unter besonderer Berücksichtigung der Jugendgerichtshilfe. Ein Weg-
weiser für alle zur Mitarbeit Berufenen, insbesondere für Jugendgerichts- und Ver-
waltungsbeamte, Gemeindebehörden, Geistliche, Lehrer, Aerzte, Waisenräte, An-
staltsleiter, Jugendfürsorge- und Frauenvereine. Hrsg. vom bayerischen Landes-
ausschuß des Verbandes für soziale Kultur und Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohl).
M.-Gladbach, Volksvereinsverlag, 1914. 8. 106 SS. M. 1,20.
Siquet (Gewerbeinspektorin), Dr. Angelika, Der Hausarbeiter. Die ge-
setzlichen Bestimmungen über den Schutz und die Kranken-, Unfall-, Invaliden-
und Hinterbliebenen-Versicherung der Hausarbeiter. Hrsg. vom badischen Ge-
werbeaufsichtsamt. Mit Vorwort und ausführlichem Sachregister. Karlsruhe,
G. Braun, 1914. kl. 8. VIII—97 SS. M. 1,20.
Weyls Handbuch der Hygiene in 8 Bdn. 2. Auflage. Bearb. von (Kreisarzt)
Dr. Louis Ascher, Dr. ing. M. Berlowitz, (Dipl.-Ing.) Dr. W. Bertelsmann u. a.
Hrsg. von (Geh. Med.-Rat) Prof. Dr. C. Fraenken. 21. Lieferung. IV. Bd. 5. Ab-
teilung. Bau- und Wohnungshygiene. Bearb. von M. Berlowitz, W. Bertelsmann,
J. Brix u. a. Das Wohnungswesen. Bearb. von (Landeswohnungsinspektor) Gust.
Gretzschel. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1914. Lex.-8. X, IV, 474 SS. mit
9 Abbildungen. M. 20,25.
Zahnbrecher (Synd.), Franz Xaver, Die Arbeitgebernachweise in
Deutschland. Nürnberg, J. L. Schrag, 1914. gr. 8. XII—356 SS. M. 4.—.
Zimmermann, Prof. Dr. Waldemar, Ausbau und Vervollkommnung
des gewerblichen Einigungswesens. Auf Grund einer Erhebung des Arbeitsrechts-
Ausschusses der Gesellschaft für soziale Reform. (Schriften der Gesellschaft für
soziale Reform, Heft 47 und 49.) Jena, Gustav Fischer, 1914. 8. 177 SS. M. 1,20.
Read, A. B., Social chaos and the way out. London, Hendersons. Cr. 8.
364 pp.
Conflitti del lavoro e legislazione sociale: relazione della presidenza
della confederazione italiana dell’ industria all’assemblea dei delegati, del 13 feb-
braio 1914. Torino, tip. ditta eredi Botta, 1914. 8. 39 pp.
Olivetti, A., Cinque anni di sindacalismo e di lotta proletaria in Italia.
Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1914. 16. 382 pp. 1. 3.—.
Verzekering tegen werkloosheid. Rapport betreffende den stand en de
ontwikkeling der werkloosheidsverzekering en over eene van rijkswege te treffen
regeling, uitgebracht door eene commissie, ingesteld door het bestuur van het
Ned. Verbond van vakvereenigingen. Mei 1914. Amsterdam, Joh. Müller. gr. 8.
244 blz. fl. 2—.
10. Genossenschaftswesen.
Jacobsohn, Dr. Paul, Die landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften
in Frankreich unter dem Einfluß der staatlichen Förderung. (Tübinger staats-
wissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johs. Fuchs, in Verbindung
mit Ludw. Stephinger, Heft 4.) Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. XIV—
154 SS. M. 3,80.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Baum (Rechtsanw.), Dr. Georg, Das vertragliche Wettbewerbsverbot
(Konkurrenzklausel). Nebst Kommentar zum Gesetz vom 10. Juni 1914. (Gutten-
424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und des Auslandes.
tags Sammlung deutscher Reichsgesetze. Textausgaben mit Anmerkungen, No. 115.)
Berlin, J. Guttentag, 1914. kl. 8. XII—231 SS. M. 3.—.
Bruck u. Dersch (Reg.-Räte), Drs., Versicherungsgesetz für Angestellte.
Handausgabe mit Erläuterungen. 2. vollkommen neu bearb. Auflage. (Sammlung
deutscher Gesetze. Hrsg. von Rechtsanwalt Dr. Heinr. Wimpfheimer, No. 37.)
Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. XXXIII—294 SS. M. 3.—.
Galm (Offiziant), Corbinian, Die Nutzbarmachung der Reichsversiche-
rungsordnung und Angestellten-Versicherung durch die Gemeinden und Armen-
verbände. Aschaffenburg, C. Krebs, 1914. gr. 8. IV—104 SS. M. 1,60.
Handbuch des gesamten Handelsrechts mit Einschluß des Wechsel-,
Scheck-, See- und Binnenschiffahrtsrechts, des Versicherungsrechts sowie des Post-
und Telegraphenrechts, bearb. von Karl Adler, (Geh. Justizrat) Ludw. v. Bar,
Proff. Drs. (Reichsger.-Rat) Erich Brodmann u. a., hrsg. von Prof. Dr. Vict.
Ehrenberg. 2. Bd., I. Abteilg. Leipzig, O. R. Reisland, 1914. gr. 8. VI—ö44 SS.
M. 14.—. S SER,
Handbuch der inneren Verwaltung für Bayern rechts des Rheins. Auf
Grund der Werke von Dr. v. Krais sowie von Frhrn. v. Pechmann u. Dr. v. Brett-
reich neu bearb. Hrsg. von (Minist.-Dir.) Jul. v. Henle. (In 8—9 Lieferungen.)
l. und 2. Lieferung. München, C. H. Beck, 1914. Lex.-8. VIII np 1—224.
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Hartung (Priv.-Doz.), Dr. Fritz, Deutsche Verfassungsgeschichte vom
15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (Grundriß der Geschichtswissenschaft. Zur
(Einführung in das Studium der deutschen Geschichte des Mittelalters und der
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verordnungen. 2. Bd. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1914. gr. 8. XII—649 SS.
M. 15.—. i PREET
Lenhard (Landrichter), A., und (Amtsrichter) Dr. W. Reichau, Preußi-
sches Wassergesetz. Vom 7. April 1913. Mit Kommentar und den Ausführungs-
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Ossergelt, Dr. Franz, Die Staatslehre des Heiligen Augustinus nach
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Stengel, Karl, Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver-
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hrsg. von Max Fleischmann. 32. und 33. Lieferung. Tübingen, J. C. B. Mohr,
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studie. Arnhem, 8. Gouda Quint. gr. 8. 6 en 53 blz. fl. 1.—.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat.
1913. Bd. 11. Berlin 1914. 693 SS.
Preußen hat erst verhältnismäßig spät, nämlich 1903 mit der Aus-
gabe eines statistischen Jahrbuches begonnen. Dankbar ist aber an-
zuerkennen, wie schnell seitdem der Inhalt mehr und mehr be-
reichert ist, so daß der gegenwärtige Band bereits den dreifachen
Umfang des ersten erlangt hat. Sehr dankenswert ist anzuerken-
nen, daß der jetzige Herausgeber, Herr Präsident Evert, wieder
der Quellenangabe besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, um das
Zurückgreifen auf frühere Arbeiten zu erleichtern. Eine besondere
Sorgfalt ist der Unterrichtsstatistik gewidmet, dann den Einkommens-
und Vermögensverhältnissen, dem Finanzwesen, auch den meteorologi-
schen Erscheinungen ete.
Bei dem sich mehr und mehr anhäufenden statistischen Material
ist es von wachsender Bedeutung, daß dasselbe in solch verarbeiteter,
übersichtlicher Weise dem Publikum vorgelegt wird. Die Ergebnisse hat
der Leser freilich allein, ohne eine jede erleichternde Anleitung vor-
zunehmen. Daß deshalb namentlich graphische Darstellungen sehr
wichtig sind, wird nicht zu leugnen sein, vielleicht nimmt das vor-
liegende Jahrbuch dieselben allmählich auch auf, wie es in anderen
Jahrbüchern bereits geschieht. J. Conrad.
Beiträge zur Forststatistik von Elsaß-Lothringen. Hrsg. vom Ministerium
für Elsaß-Lothringen, Abteilung für Finanzen, Handel und Domänen. 31. Heft.
Wirtschafts- und Rechnungsjahr 1912. Straßburg i. E., Straßburger Druckerei
und Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co., 1914. gr. 8. III—98 SS. mit 1 Tab.
M. 3,50. r
Krause, Dr. Arthur, Statistische Geographie. Tabellen aus allen Gebieten
der physikalischen und politischen Erdkunde, über Verkehrswesen, Handel und
Gewerbe, Heer und Marine. Leipzig, Otto Börner, 1914. 8. 146 SS. M. 3.—.
Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte.
240. Bd., II. Teil. Volkszählung, Die, im Deutschen Reiche am 1. Dezember-
1910. II. Teil. Tabellenwerk. 1914. 254 und 151 SS, mit 6 farb. Karten.
— 271. Bd. Handel, Auswärtiger, im Jahre 1913. Der Verkehr mit den einzelnen
Ländern im Jahre 1913 unter Vergleichung mit den 4 Vorjahren. Vollständig
M. 14; einzelne Hefte M. 1.—. III. Heft. Oesterreich - Ungarn. 67 SS. —
VII. Heft. Bulgarien, Griechenland, Kreta, Montenegro, Türkei. 91 SS. —
XVIII. Heft. Brasilien, Peru. 57 SS. — Bd. 265, II. Teil. Verkehr und Wasser-
stände der deutschen Binnenwasserstraßen im Jahre 1912. XXX—449 SS. M. 8.—.
Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 33,5%X 26 cm.
Teleky (Priv.-Doz.), Dr. Ludw., Vorlesungen über soziale Medizin. 1. Teil.
Die medizinal-statistischen Grundlagen: Sterblichkeit, Todesursachen, Geburten,
Körperbeschaffenheit in Stadt und Land und in verschiedenen Wohlstandsstufen.
Einfluß des Berufes auf Sterblichkeit und Erkrankungshäufigkeit, Krankenkassen-
426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
statistik. Jena, Gustav Fischer, 1914. Lex.-8. VIII—282 SS. mit 14 eingedruckten
Kurven. M. 8.—.
Oesterreich-Ungarn.
Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statist. Zentralkommission.
4. Bd. 1. Heft. Ergebnisse, Die, der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den
im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. I. Heft. Häuseraufnahme.
Bearb. von dem Bureau der k. k. statist. Zentralkommission. Wien, Carl Gerolds
Sohn, 1914. 32,5X25 cm. 57 und 85 SS. M. 4,50.
Statistik des auswärtigen Handels des Vertragszollgebietes der beiden
Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1913. Hrsg. vom handels-
statistischen Dienste des k. k. Handelsministeriums. (4 Bde.) 1. Bd. Spezial-
handel. XXVIII—1195 SS. 2. Bd. Vormerkverkehr — Durchfuhr. VI—498 SS
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. Je M. 8.—.
Schweiz.
Fuss-Suter, Historische und statistische Mitteilungen über die Berufs-
arten der beiden Städte Basel und Zürich, nebst allgemeinen Illustrationen über
die Entwicklung von Industrie, Handel und Gewerbe der Stadt Basel 1862—1912.
Zürich, Rascher u. Cie., 1914. 8. 138 SS. M. 1,25.
Mitteilungen des kantonalen statistischen Bureaus. Jahrg. 1914, 1. Liefe-
rung. I. Lebensmittelpreise auf dem Markte Bern seit 1878, speziell von 1910—13.
II. Die überseeische Auswanderung aus dem Kanton Bern, speziell pro 1900—1913.
III. Statistische Korrespondenz. 1. Die amtliche Statistik an der schweizerischen
Landesausstellung. 2. Zur Organisation und Förderung der amtlichen Statistik.
3. Fremdenverkehr und Statistik. 4. Ueber die Entwicklung der Weltwirtschaft.
Bern, A. Francke, 1914. 8. II—93 SS. M. 1,20.
Strüby (Sekr., Prof.), A., Die Alp- und Weidewirtschaft in der Schweiz.
Hrsg. vom schweizerischen alpwirtschaftlichen Verein. (Schweizerische Alpsta-
tistik, Schlußbd.) Solothurn, A. Lüthy, 1914. gr. 8. VIII-378 SS. mit Ab-
bildungen und Tafeln. M. 7.—.
Frankreich. z
Statistique agricole annuelle 1912. Paris, Impr. nationale, 1914. Grand
in-8. XXVII—421 pag. fr. 2,50. (Ministère de l'agriculture. Direction de len-
seignement et des services agricoles. Office de renseignements agricoles.)
England.
Board of agriculture and fisheries. Agricultural statistics, 1913. Vol. 48.
Part 3. Prices and supplies of corn, live stock, and other agricultural produce
in England and Wales. London, Wyman. 8. 5/—.
Italien.
Censimento della popolazione del regno d'Italia al 10 giugno 1911. Vol.
I—II. (Ministero di agricoltura, industria e commercio: direzione generale della
statistica e del lavoro, ufficio del censimento.) Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero
e C., 1914. 4. 2 vol. VII—656; V—638 pp. l. 11.—.
Frumento (Il) in Italia: produzione, consumo, prezzi (ministero di
agricoltura, industria e commercio; ufficio di statistica agraria). Roma, tip. Nazio-
nale, di G. Bertero e C., 1914. 8. VII—98 pp. con dieci tavole.
Notizie statistiche sul risparmio in Italia negli anni 1911—12. Parte II:
società ordinarie e cooperative di credito. (Ministero di agricoltura, industria
e commercio: direzione generale del credito e della previdenza.) Roma, tip. Nazio-
nale, di G. Bertero e C., 1914. 8. IX—245 pp. 1. 3.—.
Statistica dell esercizio, anno 1912. Parte I: statistica generale, e parte
III: navigazione di stato. (Ferrovie dello Stato: servizio segretariato, ufficio
centrale di statistica.) Roma, tip. Nazionale, di OG. Bertero e O., 1914. 4. 2 vol.
IV—413. 23 pp. con due tavole.
Die periodische Presse des Auslandes, 427
13. Verschiedenes.
Dunkmann, Prof. D. theol. K., Idealismus oder Christentum? Die Ent-
scheidungsfrage der Gegenwart. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung
Werner Scholl, 1914. 8. VII—165 S55. M. 3,60.
Eltzbacher, Prof. Dr. Paul, Die deutsche Auslandshochschule. Ein Or-
ganisationsplan. Berlin, Georg Reimer, 1914. 8. 122 SS. M. 2.—.
Seidel (Priv.-Doz.), Rob., Demokratie, Wissenschaft und Volksbildung.
Ihr Verhältnis und ihr Zusammenhang. Zur Weihe der neuen Universität in Zürich.
Zürich, Orell Füßli, 1914. 8. 75 SS. M. 1.—.
Völker (Rektor), Paul, Ueber Erziehung im 20. Jahrhundert. Langen-
salza, F. G. L. Greßler, 1914. Lex.-8. III—179 SS, M. 2,50.
L L LU
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
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No. 7: Sur les méthodes de statistique médicale. La mortalité par Syphilis à
Paris, par Dr. Leredde. — La statistique et la paix en Orient, par Gaston Cadoux.
— Chronique de démographie: Mouvement de la population de la France en 1913,
par Michel Huber. — etc.
Journal des Economistes. 73e Année, juillet 1914: J. Chamberlain et son
rôle économique, par Yves Guyot. — Essai de philosophie économique. La loi
du rendement décroissant sa signification et ses conséquences, par Pierre Aubry.
— Le développement économique de l'Algérie; par Auguste Pawlowski. — Les
atteintes au système monétaire de l'Allemagne en 1913, par Hermann Schwarz-
wald. — La crise du caoutchouc et nos colonies africaines, par Francis Mury.
— Société d'économie politique (Réunion du + juillet 1914): Le développement
du rôle des municipalités quelques années. Communication de M. E. Payen. — ete.
Réforme Sociale, La. 34e Année, juin 1914, No. 83: L'enseignement pro-
fessionnel des masses agricoles (I.), par Paul Doin. — L'enfance malheureuse en
France (suite). L’enfance abandonnée (II.), par François de Witt-Guizot. — Po:
ciété d’&conomie sociale (Séance du 18 mai 1914): Le malaise capitaliste. Les
cours et le placement des valeurs mobilières. Communication de M. Parisy. —
ete. — No. 84: L'enseignement professionnel des masses agricoles (suite), par
Paul Doin. — Société d'économie sociale (Séance du 18 mai 1914). Le malaise
capitaliste. Les cours et le placement des valeurs mobilières (suite et fin), par
Parisy. — etc. — No. 85 et 86: Compte rendu général de la réunion annuelle
(83e session, 6—12 juin 1914): La crise du logement à la ville et à la cam-
pagne. —
Science Sociale, La. 29e Année, 118 Fascicule, juillet 1914: Le journal
de l'école des Roches, par les professeurs et les élèves.
B. England.
Edinburgh Review, The. Vol. 220, July 1914, No. 449: The referendum
at work, by Dr. Horace Micheli. — Servia irredenta, by Francis Gribble. — The
expansion of Italy, by Algar Thorold. — The English universities and national
life, by J. E. G. de Montmorency. — The comparative study of Empire, by
Siduey Low. — etc.
Journal, The, of the board of agriculture. Vol. 21, July 1914, No. 4: On
the loss in a stack of unthreshed corn, by E. J. Russell. — Agricultural education
in 1913—14. — Agricultural credit problems. — etc.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXXVII, Part 7, June,
1914: Suggestions for recording the life history and family connections of every
individual, by Walter Hazell. (With discussion.) — On the use of analytical geo-
metry to represent certain kinds of statistics. (Continuation), by Prof. F. Y.
Edgeworth. — ete.
428 Die periodische Presse des Auslandes.
Magazine, The Bankers. 68th year, Vol. 89, July 1914, No. 1: Centrali-
zation of the credit under the new banking law. — Tremendous power of the
new money trust. — A bitter labor conflict. — Municipal banking. — The menace
of socialism, by Martin W. Littleton. — The future of foreign trade, by James
J. Hill. — Operation of the new banking law, by John Skelton Williams. — New
York savings banks under the new law. — Origin and development of the safety
deposit, by Milton W. Harrison. — etc.
Review, The Economic (Published for the Oxford University Branch of the
Christian Social Union). Vol. XXIV, July 1914, No. 3: The agricultural labourer
in Lincolnshire, by H. Norman Nash. — People’s banks in the province of Quebec,
by Prof. H. Michell. — Further notes on some fundamental notions of economics:
Labour, by prof. J. H. Smith. — etc.
Review, The Quarterly. July 1914, No. 440: The beginnings of the East
India Company, by H. Dodwell. — Syndicalisın in New Zealand, by W. H. Triggs.
— The settlement movement in England and America, by E. J. Urwick and R. A.
Woods. — The home rule crisis. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr.
Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 29: Die Wirtschaftslage in Italien. — Der
Handel Tripolitaniens, von Dr. v. Bilguer. — Die Pforzheimer Schmuckwaren-
industrie. — etc. — No. 30: Die kaufmännische Ehre, von (Hof- u. Gerichts-
advokat) Dr. Gustav Scheu. — Die wirtschaftliche Krise in Brasilien. — Die Kali-
produktion in Böhmen. — Die wirtschaftliche Lage der deutschen Seeschiffahrt.
— etc. — No. 31: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen. — Schiffsbrände und
der Transport gefährlicher Waren, von Prof. Giulio Morpurgo. — etc.
Mitteilungen, Volkswirtschaftliche, aus Ungarn. Jahrg. 9, Mai 1914,
Heft 5: die Industrieförderung im Staatsvoranschlag für das Jahr 1914/15. —
Die Tätigkeit der kgl. ungarischen Postsparkasse im Jahre 1913. — Die ungarische
Post, der Telegraph und Telephon im Jahre 1912. — Die ungarischen städtischen
und Gemeindebahnen im Jahre 1912. — Die ungarische Schiffahrt im Jahre 1912.
— etc.
Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statistischen Zentral-
Kommission. Jahrg. 19, 1914, Mai-Heft: Zur volkswirtschaftlichen Wertung des
Buchforderungseskomptes, von Dr. Max Sokal. — Eine Schwierigkeit bei der
familienstatistischen Erfassung des Geburtenrückganges, von Dr. Wilhelm Feld.
— Die alten „Mitteilungen aus dem Gebiete der Statistik“ (1850—1874), von
Dr. E. Palla. — etc. — Juni: Die berufliche und soziale Gliederung der Bevölke-
rung, von Dr. Eugen Ritter v. Humbourg. — etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels-
ministerium. Jahrg. 15, Juli 1914, Heft 6: Neuregelung der Sonntagsruhe im
Gewerbebetriebe (Salzburg, Tirol und Bukowina, Verordnungen). — Neuregelung
der Sonn- und Feiertagsruhe (Ungarn). — Errichtung von neuen Lohnämtern
in Großbritannien und Irland. — Internationale Regelung der Jugendlichen- und
Frauenarbeit (Oesterreich, Industrierat und Gewerbeausschuß des Arbeitsbeirates).
— Städtische Arbeitslosenfürsorge im Deutschen Reiche. — Tätigkeit des arbeits-
statistischen Amtes im Handelsministerium im Jahre 1913. — Internationale Ge-
werkschaftsbewegung 1912. — Arbeitskonflikte in Belgien 1913 und ‘in Italien
1912. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im Mai 1914. — Anzahl
und Durchschnittsverdienst der erwachsenen männlichen Arbeiter beim öster-
reichischen Bergbau 1912. — Unfälle im österreichischen Bergbau 1912. —
Krankenversicherung in Oesterreich 1911. — Unfallversicherung in Oesterreich
1911. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLVIII, Giugno
1914, No. 6: Sulla teoria economica delle crisi, di Gustavo del Vecchio. — La
colonizzazione e l'organizzazione agraria in Siberia, die Jenny Griciotti-Kretsch-
colonizzazione e l'organizzazione agraria in Siberia, di Jenny Griziotti-Kretsch-
Die periodische Presse Deutschlands. 429
mann. — Sulla ripartizione territoriale della ricchezza privata in Italia, di Aldo
Contento. — etc.
Rivista della Beneficenza pubblica. Anno 42, Maggio 1914, No. 5: La assi-
curazione per le malattie degli operai, di dott. Vincenzo Magaldi. — etc.
M. Amerika.
Journal, The, of Political Economy (Published by the University of Chi-
cago). Vol. XXII, June 1914, No. 6: Fundamental principles of Parcel-post ad-
ıininastration, by Daniel C. Roper. — Davenport's competitive economics, by Frank
A. Fetter. — The origin of the bill of exchange, by Abbot Payson Usher. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks-
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 7: Ausweisungen aus den deutschen Schutz-
gebieten (Schluß), von Dr. Egon Kruckow. — Die neuen österreichischen Vor-
schläge über die Neuordnung der Rechtsstellung der Handelsagenten, von Dr.
Paul Kompert. — Die Reform des preußischen Kommunalabgabengesetzes und
das Problem des Steuerausgleichs, von (Stadtsteuersekretär) Gerling. — Die
Vereins- und Versamınlungsfreiheit der Beamten nach deutschem Vereins- und
Beamtenrecht (Forts.), vou (Reg.-Assessor) Dr. Hans Pasquay. — etc.
Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). Bd. 6, 1914,
2. Heft: Das „Walzwerk“. Betrachtungen über Kunst und Arbeit, von Prof. Dr.
Richard Ehrenberg. — Raubwirtschaft und Kraftkultur, von Prof. Dr. Richard
Ehrenberg. — Erfahrungen mit dem Taylor-System, von Prof. A. Wallichs. —
Neuere Tagesfragen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Buchführung und
Betriebslehre, von Prof. Dr. Howard. — Die Mitwirkung der ländlichen Ge-
nossenschaften bei der Kleinsiedlung und der Befestigung des Bauernstandes, von
(Verbandsdircktor) Erich Scelmann. — ete.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Juli 1914, Heft 10: Zur Geschichte
der Rentengutsgesetzgebung, von Dr. Fritz Darmstaedter. — Zwei Vorschläge
zur Förderung der inneren Kolonisation, von Dr. Erich Keup. — ete.
Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie. Jahrg. 11, 1914, Heft 1:
Die Herrschaft der Schwachen und der Schutz der Starken in Deutschland.
Kritische Betrachtungen eines Arztes über soziale Fürsorge, von Dr. J. Paulsen.
— Die Abnahme der Knabenziffer bei in männlicher Linie aussterbenden und er-
haltenen Geschlechtern, von (Sanitätsrat) Dr. W. Weinberg. — ete.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr-
gang 14, Juli 1914, No. 13/14: Die deutsche Auslandshochschule (I1I.). —
Freihandelskongreß Mailand. — Wie Italien die Handelsverträge vorbereitet, von
Leo Hempel Chuchul. — ete.
Bank, Die. Juli 1914, Heft 7: Die Erziehung zur Liquidität, von Alfred
Lansburgh. — Eine Denkschrift, von Ludwig Eschwege. — Die „Zentralkasse
der deutschen Privatbankiers“, von A. L. — Neuartige Emissionsmethoden, von
Dr. E. Hirt. — Der Sturmlauf gegen die französischen Großbanken. — Die Kurs-
verluste der Sparkassen. — Güterhandel auf Aktien. etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. V, Juli 1914, No. 7: Die Dülkener
kommunalen Streitfragen vor dem Richterstuhl der Jurisprudenz, von (Rechtsanw.)
Dr. Karl Görres. — Armenpfleger im Ehrenamt und Berufspfleger, von Hans
Grundei. — Arbeiterschaft und Gemeindepolitik. — Der Verband Rheinisch-
Westfälischer Gemeinden. — etc.
Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, Juli u. August 1914, No. 13-16
(Landwirtschaftsheft): Zur neuesten Entwicklung der Raiffeisen-Organisation, von
(Generalsekr.) Dr. C. Neumann. — Organisationsbestrebungen in der englischen
Landwirtschaft. — Zur Wanderbewegung der ländlichen Arbeiter, von Dr. D.
Kupperberg. — Außerdeutsche Grundbesitzstatistik, von A. G. Schulz-Winterfeld.
— Die Landwirtschaft im Rahmen moderner Wirtschaftsänderungen (Vortrag),
von Dr. rer. pol. Dr. jur. Klaus Wagner-Roemmich. — Agrarpolitik, von Prof.
430 " Die periodische Presse Deutschlands.
Dr. W. Wygodzinski. — Zur Entwickelungsgeschichte des Bauernstandes, von
(Oekonomierat) Dr. v. Altrock. — etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21,
1914, No 14: Notwendigkeit und Wege erweiterter Darlehnsgewährung für die
gemeinnützige Bautätigkeit, von Dr. Altenrath. — etc. — No. 15: Der Groß-
einkauf von Lebensmitteln und Bedarfsartikeln für die Arbeiterschaft, nament-
lich auch die Fabrikkonsumanstalten. Eine Konferenz der Zentralstelle für Volks-
wohlfahrt. — Notwendigkeit und Wege erweiterter Darlehnsgewährung für die
gemeinnützige Bautätigkeit (Schluß), von Dr. Altenrath. — etc.
Export. Jahrg. 36, 1914, No. 28: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von
Dr. R. Jannasch. — Oesterreich-Ungarn und die Balkanländer. — Die französischen
Eisenbahnen in der Asiatischen Türkei (Forts.). — etc. — No. 29: Zur Welt-
wirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Der Export Norwegens, von
(Dir.) Nils Voll. — Die Ergebnisse der Kaufınannsbildung in Deutschland und
Oesterreich, von Mil. Richter. — Die französischen Eisenbahnen in der Asiatischen
Türkei (Forts. u. Schluß). — Zur wirtschaftlichen Lage in Südafrika. — etc.
— No. 30: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. —
Zur politischen und wirtschaftlichen Lage in den Levante-Ländern. — etc. —
No. 31: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Das , heilige“
Rußland, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die Wirtschaftskrisis in der Schweiz und
deren Ursachen. — etc. — No. 32—34: Heil Dir, Du deutsches Land und Volk),
von Dr. R. Jannasch. — England und seine Lebensmittelversorgung. — Das
heutige Schweden als Industrie- und Handelsland. — Generalbericht über die
wirtschaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — Zur Weltwirtschaft
hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch.
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 29: Der Wirtschaftskrieg mit
Rußland, von Sergei. — etc. — No. 31: Rußland und der Balkan, von E. C. Leh-
mann. — etc. — No. 32: Was haben wir von Frankreich zu erwarten?, von Wil-
helm Bolze. — etc.
Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 29: Zur Neuregelung
unserer Handelsbeziehungen. — Die Zölle auf Baumwollwaren. — Die Weltaus-
stellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, von Ernst Collin. — ete. —
No. 30: Die deutsche Glasindustrie und die Nachtarbeit jugendlicher Arbeiter.
— Streiks und Aussperrungen im Jahre 1913. — Die Erhöhung der italienischen
Eisenbahntarife. — etc. — No. 31: Der deutsche Werkbund in seiner Bedeutung
für die Industrie. — Reichsversicherungsanstalt und private Ersatzkassen. —
Das Lebensalter der Industriearbeiter nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907
(Forts.). — No. 32: Im Zeichen des finanziellen Kriegsbedarfs. — Der britische
Außenhandel im ersten Halbjahr 1914. — etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 5: Ist die Lehre
vom Kalkfaktor eine Hypothese oder eine bewiesene Theorie?, von Prof. Oscar
Loew. — Zur Verarbeitung der Ernteergebnisse von Massenanbauversuchen, von
Eilh. Alfred Mitscherlich. — Das schleswig-holsteinsche Sparkassenwesen, von Max
Louis. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 157, August 1914, Heft 2: Joseph Görres,
der Rheinische Merkur und der preußische Staat, von Prof. Dr. Otto Tschirch.
— Der Unternehmer als Erzieher des Juristen, von Dr. Roland Behrend. —
Russische Finanzen unter Alexander II. und der Ursprung des Türkenkrieges von
1877, von Dr. Emil Daniels. — Noch einmal: ‚Das Problem der Volksernährung‘“,
von (Wirkl. Geh. Reg.-Rat) Graf Otto v. Moltke. — Die Kriegsgefahr, von
H. Delbrück. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, Juni 1914, Heft 6: Zum Alter der
Kartelle, von Dr. Max Metzner. — etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Aug.-Sept. 1914, Heft 8/9: Die wirtschaft-
liche und soziale Bedeutung der Zünfte im Mittelalter, von Dr. phil. Georg Hogen.
— Die neueste Entwicklung des Finanzwesens und der Steuerlast in Deutschland,
England und Frankreich, von Dr. Paul Beusch. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 14: Keine Stimmungspolitik, von
Eduard Bernstein. — Chamberlain, Manchestertum und Imperialismus, von Max
Die periodische Presse Deutschlands. 431
Schippel. — Zum Massenstreikproblem, von Paul Kampffmeyer. — lIeimarbeiter-
elend und soziale Gesetzgebung, von Hermann Mattutat. — Das Verkehrswesen
auf der Werkbundausstellung 1914, von Felix Linke. — ete. — Heft 15: Ver-
fehlte Beschlüsse, von Karl Severing. — Textilarbeiter und koloniale Rohstoff-
versorgung, von Max Sehippel. — Die Angestellten der Krankenkassen als Beamte,
von Johannes Heiden. — etc. — Heft 16: Das Schicksal unseres Volkes, von
Dr. Ludwig Quessel. — Der Krieg, sein Urheber und sein erstes Opfer, von Eduard
Bernstein. — Der Krieg und die Sozialdemokratie, von Dr. Joseph Bloch. —
Krieg, Gewerkschaften und Genossenschaften, von Max Schippel. — Die Eltern-
schaftsversicherung, von Edmund Fischer. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1646: Petroleum und
kein Ende. — Die Rentabilität der Aktiengesellschaften. — etc. — No. 1647: Die
deutschen Banken im Jahre 1913 (I.), von Robert Franz. — Die Emissionen in
England im 1. Halbjahr 1914. — etc. — No. 1648: Die deutschen Banken im Jahre
1913 (II.), von Robert Franz. — Aktiengesellschafts-Statistik. — ete. — No. 1649:
Die Schicksalsstunde Deutschlands, von W. Christians. — Die deutschen Banken
im Jahre 1913 (III.), von Robert Franz. — etc. — No. 1650: Unsere Kriegs-
bereitschaft, von W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (IV.),
von Robert Franz. — Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten.
— ete.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 29: New Yorker Geschäftsleben. VII.
Finanzierte Vergnügungssucht, von Hermann Max Boldt. — etc. — Heft 30:
Auskunfteien, von Hans Goslar. — etc. — Heft 31: Krieg. — Chemische Patente,
von (Diplom-Kaufmann) Walter Le Contre, — etc. — Heft 32/33: Schimmernde
Wehr. — etc.
Rechtsschutz, Gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. 19, 1914, No. 7:
Die Rechtskraft im Patenterteilungsverfahren unter vergleichender Darstel-
lung der Rechtskraft im Zivilprozeßd, im Verfahren der freiwilligen Gerichts-
barkeit und im Verwaltungsstreitverfahren. Mit Berücksichtigung des vorläufigen
Entwurfs eines Patentgesetzes. (Forts.), von (Kammergerichtsreferendar) Dr. Walther
Rasch. — Grundsätzliches zur Lizenzlehre, von Dr. jur. Fr. Wodtke. — Das
französische Patentgesetz (Forts.), von Dr. G. Horn. — Entspricht das Gebrauchs-
mustergesetz einem Bedürfnis der Industrie?, von Dr. Ludwig Fischer. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, August 1914: Die Entwicklung Rumäniens
unter König Carol und der Balkankrieg (Forts.), von (Kgl. rumän. Ministerpräs.
a. D.) Demeter A. Sturdza. — Reichsländisches, von M. v. Köller. — Soldatischer
Gehorsam, von (General der Infanterie) v. Beseler. — etc.
Revue, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, August 1914, No. 5: Staat,
Kirche, Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander (II.), vom Herausgeber. —
Wirtschaftspolitik, von A. Poltnigg. — Nährvolk, Zehrvolk oder Wehrvolk?, von
Dr. F. Solger. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 4: Um die gewerkschaftliche Or-
ganisationsform, von Th. Brauer. — Gewerkschaft und Volkswirtschaft (Schluß),
von Dr. A. Retzbach. — Die deutschen Arbeitgeberverbände nach dem neuesten
Stand, von Dr. H. Purpus. — Der Stand der Arbeitslosenversicherung und des
Arbeitsnachweiswesens im In- und Ausland, von Margarethe v. Gottberg. — Die
Gründe der rückläufigen sozialdemokratischen Bewegung, von Prof. D. Dr. F. X.
Eberle. — ete.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, August 1914, Heft 11: Das Vik-
torianische England, von Charlotte Lady Blennerhasset. — Die geologischen Grund-
lagen der Kulturentwicklung in den Balkanländern, von B. Mendelsohn. — etc.
Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Juli, Heft 7: Eisenbahnen und
Menschen. — Angola, von M. Abeking. — Mehr Verantwortlichkeitsgefühl in und
für Südwestafrika, von Dr. L. Scheben. — etc.
Rundschau, Masius’. Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 26,
1914, Heft 7: Ueber Lebensversicherung und Wassermannsche Reaktion, von Dr.
E. Jacobsthal. — Ein Bilanzierungsgrundsatz einer öffentlichen Lebensversiche-
rungsanstalt, von (Geh. Justizrat) Dr. Paul v. Krause. — Amtliche Versicherungs-
Statistik für 1912. — etc.
432 Die periodische Presse Deutschlands.
Sozial-Technik, Jahrg. 13, 1914, Heft 15: Die Verleihung nach dem
Wassergesetz vom 7. April 1913, von (Gewerbeinsp.) Dr. Tittler. — Die Siche-
rung der Seeschiffe. — etc. — Heft 16: Der Arbeiterschutz auf der Internationalen
Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, von (Gewerbeinsp.) Dr.
Tittler. — Praktisches zur Gewinnbeteiligungsfrage. — etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg.4,
August 1914, Heft 8: Wie groß ist die mit Landwirtschaft zusammenhängende
Bevölkerung’, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. Petersilie. — Das Lebensalter der
deutschen AIndustriearbeiter, von Dr. M. Kupperberg. — Liegt die heutige Ver-
wertung der preußischen Staatsdomänen im allgemeinen Interesse? (Erwiderung),
von (Domänenrat) Hering. — Ergebnis der Schweinezählung vom 2. Juni 1914
im Deutschen Reiche. — Langfristige Schulden der preußischen und französischen
Gemeinden mit über 10000 Einwohnern. — etc.
Weltverkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Juli 1914, No. 4:
Weltwirtschaftliche Bodenpolitik, von Prof. Dr. Alexander Backhaus. — Die stra-
tegische Bedeutung der Fertigstellung des Mittellandkanals, von (Oberst a. D.)
v. Kurnatowski. — Der Ausbau der russischen Seehandelshäfen, von (Ing. a. D.)
A. Pabst. — Persiens Petroleumfelder und ihre Ausbeute, von Fr. Köhler. —
Das wirtschaftliche Vordringen der Japaner in Amerika; Japan und die Monroe-
lehre, von Karl Nuese. — Das Problem des Massenverkehrs bei der Reichspost,
von (Postinsp.) Peitgen. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. X, 1914, No. 14: Aussichten
und Ziele der künftigen Entwicklung des Gesellschaftsrechts, von (Wirkl. Geh. Rat)
Prof. Dr. Franz Klein. — Städtische Industrieämter. Eine Erwiderung, von
Dr. Helmut Bartsch. — Zur Naturgeschichte der Reklame, von Prof. Wittschewsky.
— etc. — No. 15: Finanzielle Kriegsbereitschaft der Privatversicherung, von Dr. R.
Mueller. — Die Konjunkturperiode 1907—1913 in Deutschland, von (Redakteur)
Arthur Feiler. — Die deutsche Spielwarenindustrie, von Dr. B. E. Westenberger.
— ete. — Beilage: Zwei Zeitfragen. 1. Parteiische Volkswirtschaftslehre?, von
Rud. Dietrich. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 16: Der soziale Katholizismus, von
A. Erdmann. — Zur Bekämpfung des Landarbeitermangels, von Karl Marchionini.
— Kleinwohnungsbau in Oberschlesien, von R. Andersch. — „Wirtschaftsfriediiche“
Industriebeamte, von Hermann Lüdemann. — etc. — No. 17: Die Maifeier, von
H. Laufenberg. — Die Entstehung des neudeutschen Reiches, von Fr. Mehring.
— Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — etc. — Ergänzungsheft
No. 19: Der britische Imperialismus, von J. B. Askew. — No. 18: Europa in
Feuersgefahr! — Die Entstehung des neudeutschen Reiches (Forts.), von Fr. Meh-
ring. — Zur Einwanderungsfrage, von Hermann Schlüter. — etc.
Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Jahrg. 54, 1914, II. Ab-
teilung: Zahlen für das Gewicht der Landwirtschaft und ihrer Betriebsgrößen-
klassen, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. A. Petersilie. — Die Steuern und Schulden
der Städte und größeren Landgemeinden Preußens im Rechnungsjahre 1912 und
ihre Zuschläge zu den staatlich veranlagten direkten Steuern im Rechnungsjahr
1913, von Dr. Oskar Tetzlaff. — etc. — Ergänzungsheft 41: Mitteilungen
zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1912, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr.
A. Petersilie. — f
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, August
1914, Heft 5: Der Plan eines internationalen Goldclearings, von Dr. Walter Conrad.
— Das Nochgeschäft in seiner allgemeinsten Fassung, von Prof. Dr. O. Juzi. —
Was versteht man unter Selbstkostenpreis?, von R. Beigel. — ete. — Beiblatt:
Die Budapester Waren- und Effektenbörse, von Prof. Eugen Krisch. — Das
Kredit- und Bankwesen in den deutschen Kolonien, von Ed. Ladenburg. — ete
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Arthur Friedmann Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 433
IV.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen.
Von
Dr. Arthur Friedmann.
Mit 1 graphischen Darstellung.
Während sich die Wissenschaft noch im Anfang des 19. Jahr-
hunderts gegen die Aufnahme von Staatsanleihen im allgemeinen ab-
lehnend verhielt, hat sich, besonders in der zweiten Hälfte des Jahr-
hunderts, ein erheblicher Wandel der Anschauungen vollzogen. Es
lag dies an der zunehmenden Sicherheit der öffentlichen Anleihen
und an den neuen Verwendungszwecken derselben; man sah, daß die
als Folge der Schuldenwirtschaft prophezeiten Schädigungen der
Volkswirtschaft ausblieben, daß sich im Gegenteil mit der zunehmen-
den erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, die durch neue
Schuldenaufnahmen ermöglicht wurde, ein gewaltiger Aufschwung
vollzog. Es gewann demgemäß in der Theorie und mehr noch in der
politischen Praxis die Anschauung Geltung, daß für die Berechtigung
einer Anleihe in erster Linie ihr Verwendungszweck ent
scheidend sei.
Es wird von den neueren Schriftstellern fast ausnahmslos betont,
daß die Aufnahme von Anleihen zur Deckung eines normalen Be-
darfs nicht in Frage käme; neben außergewöhnlich hohen einmaligen
Aufwendungen werden nur Ausgaben, die werbenden Zwecken dienen,
oder die vorzüglich der Nachwelt zugute kommen oder endlich auch
solche Leistungen, die eine wesentliche Hebung des Wohlstandes
versprechen, der Deckung durch eine Anleihe empfohlen. Es wird
allerdings hervorgehoben, daß die Deckung eines derartigen Bedarfs
nicht auf alle Fälle zweckmäßig durch Inanspruchnahme des Kredites
erfolge, daß vielmehr der allgemeine volkswirtschaftliche Zustand
und die finanziellen Verhältnisse des Staates zu berücksichtigen
seien. Viele Theoretiker weisen darauf hin, daß die jeweilige
Leistungsfähigkeit der Steuerzahler in Betracht zu ziehen sei. Die
Schuldenaufnahme wird dann für bedenklicher gehalten, wenn Ka-
pitalien produktiven Zwecken entzogen werden oder durch die Ka-
pitalinanspruchnahme des Staates eine Steigerung des allgemeinen
Zinsfußes zu erwarten ist.
Ich beabsichtige nun, in dieser Arbeit im Gegensatz zu jenen
Autoren, die die Berechtigung einer Anleihe nach ihrem Verwen-
dungszwecke bestimmen, vorzüglich die allgemeinen volks-
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 28
434 Arthur Friedmann,
wirtschaftlichen Bedingungen zu studieren, die die Inan-
spruchnahme des Kredites rechtfertigen können. Es ist zwar richtig,
daß bei Aufnahme von Anleihen auch die Art des zu deckenden Be-
darfs Berücksichtigung verdient: Findet eine Ausgabe zu werbenden
Zwecken Verwendung, so besteht die Möglichkeit, die Zinsen der
aufzunehmenden Schuld aus den Erträgnissen des betreffenden Unter-
nehmens zu decken — und wenn durch irgendeine Aufwendung eine
merkliche Hebung der Volkswirtschaft zu erwarten steht, so sind
die Mittel zur Verzinsung und Tilgung in künftigen Jahren häufig
leichter als in der Gegenwart aufzubringen. Aber wichtiger scheint
es, ob unabhängig von solchen einzelnen staatlichen Aufwendungen
eine derartige Entwicklung des allgemeinen Volkswohl-
standes und speziell eine solche Hebung der Staatsfinanzen
zu erwarten steht, daß die betreffenden Mittel trotz der erforderlichen
Verzinsung von der Zukunft eher als von der Gegenwart bestritten
werden können. Es soll darum in dem ersten Teile dieser Arbeit ge-
zeigt werden, ob heute in Anbetracht der voraussichtlichen Entwick-
lung des Volkswohlstandes und im besonderen der Staatsfinanzen die
Verschiebung einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft berechtigt
erscheint. In einem zweiten Abschnitte soll dann untersucht werden,
wieweit die durch die Aufnahme einer inneren Anleihe bewirkte
Kapitalentziehung die Volkswirtschaft ungünstig beeinflußt; d.h. in
welchem Umfange werden durch die Aufnahme einer Anleihe Kapi-
talien anderen, produktiven Zwecken entzogen, und wieweit wird
durch Erhöhung des allgemeinen Zinsfußes die Einkommens-
verteilung in unerwünschter Weise geändert? Wirkt in dieser
Hinsicht die Kontrahierung einer Staatsschuld erheblich ungünstiger
als die Erhebung einer gleich hohen Steuer? In einem dritten Teil
wäre dann die Frage zu behandeln, ob die Aufnahme von Anleihen
im Interesse der Staatsgläubiger erwünscht ist. Da für Deutsch-
land und die großen westeuropäischen Staaten äußere Anleihen kaum
in Betracht kommen, beschränken wir uns bei der Darstellung wesent-
lich auf die Besprechung innerer Anleihen (die besonderen Ver-
hältnisse der auswärts Kredit suchenden Staaten werden nur kurz
in einem späteren Abschnitte behandelt werden). — Erst wenn so
die allgemeinen Gesichtspunkte entwickelt sind, die für die Aufnahme
einer Anleihe wesentlich scheinen, soll in einem besonderen Teile der
Arbeit die Frage erörtert werden, wieweit spezielle Verwen-
EES die Deckung durch eine Anleihe rechtfertigen
önnen.
Was die erste Frage anbelangt, ob mit Rücksicht auf die voraus-
sichtliche Entwicklung des Volkswohlstandes und die vermutliche
künftige Gestaltung der Staatsfinanzen die Verschiebung einer Steuer-
leistung auf die Zukunft durch Aufnahme einer Anleihe angezeigt
ist, so ließe sich dieselbe unter Zugrundelegung des heute für Staats-
anleihen üblichen Zinssatzes von 4 Proz. auch genauer so formu-
lieren: Bedeutet die Aufbringung einer bestimmten Steuersumme eine
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 435
geringere Belastung für die Gegenwart als die Aufbringung einer
pro Jahr um 4 Proz. anwachsenden Summe für die Zukunft?
Bei dieser Betrachtung hätten wir die jährliche Zahlung der Schuld-
zinsen als Tilgung eines entsprechenden Teiles des Kapitals anzu-
sehen. Es ist gleichbedeutend, ob für ein Kapital von 100 M. jährlich
4 M. Schuldzinsen gezahlt werden oder ob jährlich 4 M. des auf
104 M. angewachsenen Kapitals (das sind 3,86 Proz.) getilgt werden.
Für die Beurteilung einer zweckdienlichen Verteilung der steuer-
lichen Lasten auf Gegenwart und Zukunft ist in erster Linie die
voraussichtliche Entwicklung des Volkswohlstandes entscheidend. Je
günstiger die vermutliche Entwicklung des Wohlstandes ist, um so
eher wird man die Zukunft auf Kosten der Gegenwart belasten
dürfen. Wofern sich in den folgenden Jahren die wirtschaftlichen
Verhältnisse voraussichtlich nicht wesentlich ändern werden, wird
man kaum eine heute zu leistende Steuer auf einen späteren Termin
verschieben wollen. In Deutschland liegen nun die Verhältnisse tat-
sächlich so, daß für die kommenden Jahre mit einer wenn auch nur
mäßigen Steigerung des Wohlstandes gerechnet werden kann. Es
ist natürlich schwer, über die künftige Entwicklung etwas einiger-
maßen Sicheres vorauszusagen; man wird sich im wesentlichen dar-
auf beschränken müssen, aus der Wohlstandsentwicklung der jüngst
vergangenen Jahre einen Schluß auf die zukünftige Entwicklung zu
ziehen. Es soll darum zuerst untersucht werden, in welchem Maße
sich in den letzten beiden Jahrzehnten der Volkswohlstand in Deutsch-
land gehoben hat; im Anschluß daran sollen dann die Momente be-
trachtet werden, die eventuell eine günstigere oder ungünstigere Ent-
wicklung in den nächstfolgenden Jahren im Gegensatz zu den jüngst
zurückliegenden wahrscheinlich machen.
Die Wohlstandsentwicklung läßt sich einigermaßen nach der
Gestaltung des Nationaleinkommens in der betreffenden Epoche
— unter gleichzeitiger Berücksichtigung der jeweiligen staatlichen
Leistungen — beurteilen. Wir können auf Grund der Steigerung
des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung und der Wandlungen
der Preise für die wichtigsten Lebensbedürfnisse ermitteln, ein wie-
viel höherer Konsum in einem gewissen Jahre im Vergleich zu
früheren möglich war. Die wirkliche Größe des Konsums entspricht
allerdings nicht genau der Höhe des Einkommens, sondern bleibt je
nach der Menge der gemachten Ersparnisse hinter demselben zurück ;
für die Bestimmung des Wohlstandes aber mag das Durchschnittsein-
kommen (die Summe des tatsächlichen Konsums und der Ersparnisse)
EE mindestens ebenso guten Maßstab wie der Durchschnittskonsum
geben.
Ich hatte in meiner Arbeit: Die Wohlstandsentwicklung in
Preußen von 1891—1911!) die Einkommenentwicklung in der ge-
nannten Periode speziell für Preußen untersucht. Ich stellte dort eine
1) Erschienen in Bd. 48, Heft 1 von Conrads Jahrbüchern.
28*
436 Arthur Friedmann,
Steigerung des Nominaleinkommens (abzüglich aller Steuerleistungen)
von 396 M. auf 566 M. — oder um 43 Proz. und eine Steigerung des
Realeinkommens von 22 Proz. fest. Das Realeinkommen nahm inner-
halb dieser Periode einigermaßen gleichmäßig zu. Bei diesen Be-
rechnungen wurde zwar ein Teil des Vermögenszuwachses (speziell
die Erbschaften) nicht in Betracht gezogen und ebenso wurde für die
Nutzung des Gebrauchsvermögens kein entsprechender Betrag dem
Einkommen hinzugezählt. Doch sind diese Momente für das Er-
gebnis von keiner wesentlichen Bedeutung.
Neben dem Vergleiche des privaten Aufwands in den Jahren
1891 und 1911 bedarf es noch einer Gegenüberstellung der in den
beiden Jahren von den öffentlichen Körperschaften gewähr-
ten Leistungen. Dieselben berechnen sich nach den Angaben in der
genannten Arbeit für Reich, Staat und Kommunen in Preußen 1891
auf 32,40 M. pro Kopf, 1911 auf 59,90 M. pro Kopf und die Zu-
nahme auf 85 Proz., wobei nur die ohne spezielles Entgelt erfolgenden
Leistungen berücksichtigt sind. Auch die Ausgaben der Schulden-
verwaltung sind nicht mitgezählt. Die Schuldzinsen erscheinen für
die inländischen Besitzer von Anleihen bereits in ihrem Einkommen.
Ebenso sind die Ausgaben für Heer und Marine bei dieser Gegen-
überstellung außer acht gelassen: Soweit durch den militärischen
Aufwand eine Sicherstellung der heimischen Volkswirtschaft und so
indirckt eine Steigerung des Wohlstandes erzielt wurde, sind solche
bereits in der Zunahme des privaten Konsums und in der Mehrung
der sonstigen staatlichen Leistungen berücksichtigt. Rechnet man
die Ausgaben der öffentlichen Versicherungsanstalten den staatlichen
Aufwendungen hinzu, so betrüge die Zunahme derselben statt 85
Proz. etwas mehr als 100 Proz. Die relative Steigerung der staat-
lichen Leistungen ist mithin sehr viel erheblicher als die Mehrung
des privaten Konsums, aber die absolute Höhe der unentgeltlichen
staatlichen Verrichtungen ist doch gegenüber den privaten Aufwen-
dungen nicht bedeutend. — Ebenso wie die Kaufkraft des Geldes
für den privaten Konsum abnahm, sind auch gleichwertige staatliche
Aufwendungen vielfach teurer geworden; trotzdem ist die Steige-
rung der staatlichen Leistungen in mancher Hinsicht erheblicher, als
dies bei einer zahlenmäßigen Gegenüberstellung den Anschein hat,
denn während bei einer Steigerung des Einkommens und gleich-
bleibenden Preisen aller Bedarfsartikel im allgemeinen solche Güter
konsumiert werden, die pro Kosteneinheit einen geringeren sub,
jektiven Wert haben als die letzten bereits bei dem früheren
Einkommen verzehrten Güter, sind die in den letzten 20 Jahren neu
hinzugekommenen staatlichen Leistungen — wiederum bezogen
auf die Kosteneinheit der Aufwendungen — subjektiv wertvoller
als viele der bereits früher bewirkten Leistungen (so die vermehrte
Fürsorge der Kommunen für Arme und Kranke).
Wenn der Volkswohlstand unter Mitberücksichtigung der staat-
lichen Leistungen stärker vermehrt worden ist, als dies bei alleiniger
Betrachtung des privaten Konsums der Fall scheint, und für die Zu-
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 437
kunft eine ähnliche Entwicklung in Aussicht steht, so darf man
hieraus kaum die Berechtigung zu einer stärkeren steuerlichen Be-
lastung der Zukunft ableiten. Denn gerade, wenn mit einer starken
Steigerung der Steuerleistungen gerechnet werden muß, ist eine Be-
lastung der Zukunft mit Schulden nach Möglichkeit zu vermeiden
(siehe später S. 440). g
Wir können aus dem bisher Gesagten schließen, daß sich die
Lebenshaltung vom Jahre 1891 bis zum Jahre 1911 auch unter Mit-
berücksichtigung der staatlichen Leistungen nicht sehr viel mehr
als entsprechend einer 22-proz. Steigerung des Durchschnittsein-
kommens verbessert hat. Die Zunahme um 22 Proz. in 20 Jahren
würde einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung des Einkommens
um genau 1 Proz. entsprechen. Wir müssen nun versuchen, aus der
Wohlstandsentwicklung dieser kurz zurückliegenden Epoche einen
Schluß auf die Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten zu ziehen.
Wir wiesen schon früher darauf hin, daß so unsicher irgendwelche
Schätzungen der zukünftigen Entwicklung auch sind, doch bei der
Entscheidung, auf welche Art die Steuerlasten auf Gegenwart und
Zukunft verteilt werden sollen, eine Abschätzung der künftigen
Wohlstandsentwicklung erforderlich ist. Wir dürfen wohl annehmen,
daß sich unter normalen Verhältnissen die Einkommenssteigerung
in den nächsten Jahren in ähnlichem Sinne wie in den letzten Jahr-
zehnten fortsetzen wird. — Einige Umstände lassen allerdings eine
langsamere Steigerung des Wohlstandes für die Zukunft möglich er-
scheinen: Die einheimische Landwirtschaft wird vielleicht den Be-
darf an Nahrungsmitteln bei steigender Bevölkerungszahl, selbst
wenn die Steigerung langsamer als bisher erfolgen sollte, nur unter
einer Verteuerung der Produktionskosten decken können. Weiter
werden die heutigen außereuropäischen Agrarländer bei zunehmender
Industrialisierung möglicherweise eine wirtschaftliche Ueberlegen-
heit über die europäischen Industrieländer gewinnen, da sie weniger
auf die Zufuhr von Industrieprodukten als letztere auf die Einfuhr
von Agrarprodukten angewiesen sein werden. — Dagegen darf man
wohl vermuten, daß sich die industrielle Technik weiterhin in ähn-
lichem Sinne wie bisher vervollkommnen wird. — Wie sich die Ver-
hältnisse in der Tat entwickeln werden, im besonderen auch, wie sich
die Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten gestalten wird,
das hängt wesentlich auch von der künftig befolgten Politik ab.
Eine erheblich ungünstigere Entwicklung des Wohlstandes als bisher
ist für die nahe Zukunft wohl nur für den Fall kriegerischer Er-
eignisse wahrscheinlich.
Wir rechnen also, entsprechend der Entwicklung der jüngsten
Vergangenheit mit einer künftigen jährlichen Einkommenssteigerung
von ca. 1 Proz. Unter dieser Voraussetzung scheint es nicht be-
rechtigt, eine Belastung auf die Zukunft zu verschieben, denn die
sofortige Besteuerung eines Einkommens scheint vorteilhafter als
die Besteuerung eines nur 1 Proz. höheren Einkommens mit einer
438 Arthur Friedmann,
4 Proz. höheren Steuer. Wäre dies nicht der Fall, sondern würde
in den Einkommensgruppen, die wesentlich für die Aufbringung
der Steuern in Betracht kommen, beispielsweise in den Einkommens-
gruppen von 5—20000 M. die sofortige Besteuerung für ein nie-
deres Einkommen eine größere Belastung darstellen als eine 4 Proz.
höhere Besteuerung eines jeweils nur um 1 Proz. höheren (künfti-
gen) Einkommens, so würde die Besteuerung eines Einkommens von
5000 M. mit 1 M. empfindlicher sein als die Besteuerung eines
Einkommens von 5050 M. mit 1,04 M., und es würde weiter auch,
wie eine einfache Berechnung ergibt, die Steuer von 1 M. bei
einem Einkommen von 5000 M. eine größere Belastung bedeuten als
eine Steuer von 15 M. bei einem Einkommen von 10000 M. oder eine
Steuer von 237 M. bei einem Einkommen von 20000 M.!). Gewiß
nimmt mit steigendem Einkommen der subjektive Wert eines dem
Geldwerte nach gleich hohen Aufwandes stark zu, aber die Unter-
schiede sind doch nicht so bedeutend, daß der subjektive Wert des
mit der letzten Mark des Einkommens bestrittenen Konsums bei einem
Einkommen von 5000 M. dem subjektiven Wert des mit den letzten
200 M. bestrittenen Konsums bei einem Einkommen von 20000
gleichzusetzen wäre. Es scheint so die Verzinsung und Tilgung
der Anleihe für die Zukunft eine erheblich höhere Belastung dar-
zustellen als die Aufbringung der entsprechend geringeren Summe
in der Gegenwart; man wird daher unter normalen Verhältnissen
von der Aufnahme einer Anleihe Abstand nehmen und im Gegenteil
für eine beschleunigte Tilgung der vorhandenen Schulden Sorge
tragen müssen. — Würde man aber selbst bei einer voraussichtlichen
Steigerung des Einkommens um jährlich 1 Proz. die Verschiebung
einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft gerechtfertigt finden,
so ist doch noch Folgendes zu bedenken: Wir sprachen bisher nur
von der voraussichtlichen Steigerung des Durchschnittsein-
kommens, während für die Aufbringung der Steuern hauptsächlich
diehöheren und mittleren Einkommen in Frage kommen werden.
Es ist sehr wohl möglich, daß gerade die höheren Einkommen in Zu-
kunft sehr viel weniger als das Durchschnittseinkommen ansteigen
werden. Nach meiner Berechnung in der obengenannten Arbeit
haben in der Zeit von 1891—1911 die höheren und niederen Ein-
kommen fast gleichmäßig zugenommen, doch läßt sich gerade in
diesem Punkte aus der Vergangenheit nicht gut ein Schluß auf die
1) Unter der angeführten Voraussetzung wäre eine Steuer von
M. M. M. M.
1,04 bein Eink. v. 5 050,— eine gering. Belast. als eine Steuer v. 1,— b. ein. Eink. v. 5000,—
1,082» » on on 510050 » » o nn on as Läit wn » vw 5050,— also auch
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15,4 Di D » 10000,— un nm ” nm nm nm „IL, vn» DH 5000, —
2366 „ » »„20000,— 5 » orrn m nnm nm 5009
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 439
Entwicklung kommender Jahre ziehen. Ob wirklich in den nächsten
Jahrzehnten ein stärkerer Ausgleich der Einkommen erzielt wird,
das hängt wiederum zum guten Teile von der in Zukunft befolgten
staatlichen Politik, besonders auch von der Steuerpolitik ab. Auch
eine Tilgung der vorhandenen Anleihen würde, wie wir später etwas
ausführlicher zeigen, speziell eine Verminderung der Kapitalein-
kommen (also auch der größeren Einkommen) zur Folge haben.
Wenn man für die kommenden Jahre mit einer geringen Steigerung
der höheren Einkommen zu rechnen hat, so ist es erst recht nicht an-
gezeigt, eine Steuer auf die Zukunft zu verschieben, denn dann
würde sich in noch höherem Maße, als es schon bei einer voraus-
sichtlichen Steigerung der betreffenden Einkommen um jährlich
1 Proz. der Fall wäre, die zukünftige Belastung fühlbar machen.
Es wäre noch zu bemerken, daß die Zinsverpflichtung des
Staates in Anbetracht der sich mit der Zeit vollziehenden Aende-
rung des Geldwertes nicht genau dem Zinsfuße der Anleihen ent-
spricht. Würde der Staat ein zu 4 Proz. entliehenes Kapital inner-
halb der nächsten 20 Jahre tilgen, indem er jedes Jahr t/s% der ur-
sprünglichen Schuldsumme zurückzahlt, und würde in dieser Zeit
der Geldwert gleichmäßig — insgesamt um 15 Proz. — sinken!),
so würden einschließlich der Zinsen nominell 140 Proz. der ent-
liehenen Summe zurückzuzahlen sein, dem Realwerte nach aber
nur reichlich 130 Proz. Wahrscheinlich wird die Kaufkraft des
Geldes in den kommenden Jahren weiter abnehmen; wenigstens
wird die Tatsache, daß die Arbeiter stark an einer Erhöhung der
Löhne interessiert sind, während die Unternehmer eine Lohnerhöhung
relativ leicht durch eine Preissteigerung der gelieferten Waren aus-
gleichen können, immer auf eine Minderung des Geldwertes hin-
wirken.
Die voraussichtliche Steigerung des Wohlstandes (speziell also
die Einkommenssteigerung der wesentlich für die Steuerzahlung in
Betracht kommenden höheren und mittleren Einkommen) erscheint
mithin nicht so bedeutend, daß man im allgemeinen eine heute er-
forderliche Belastung auf einen späteren Termin verschieben dürfte;
immerhin sind die Schwankungen in den wirtschaftlichen Verhält-
nissen einzelner Jahre so erheblich, daß in einem besonders un-
günstigen wWirtschaftsjahre eine teilweise Verschiebung der
Steuerlasten in Form einer Anleihe auf die folgenden Jahre gerecht-
fertigt sein kann. In schlechten Jahren wird eine bestimmte Be-
lastung stärker als in guten Jahren empfunden. Es kommt hinzu,
daß in ungünstigen Zeiten die vorhandenen Einnahmequellen des
Staates oft geringere Erträgnisse liefern, während die Ausgaben
leicht noch eine Steigerung erfahren: Der Staat soll nach Möglich-
keit der zu Zeiten wirtschaftlicher Depression herrschenden Arbeits-
losigkeit dadurch entgegentreten, daß er diejenigen öffentlichen Ar-
1) Ich stellte in der oben angeführten Arbeit für die letzten 20 Jahre der durch-
schnittliche Steigerung der Preise um 17 Proz. fest, was eine Abnahme eine Kaufkraft
des Geldes um 14,5 Proz. bedeuten würde,
440 Arthur Friedmann,
beiten, deren Ausführung nicht an einen bestimmten Termin gebunden
ist, ausführen läßt. Es können in schlechten Jahren um so eher
Anleihen begeben werden, als das Geld zu diesen Zeiten im allge-
meinen billiger zu sein pflegt. Die Schulden wären innerhalb der
folgenden besseren Wirtschaftsjahre in entsprechend kurzer Zeit
zu tilgen.
Wir beurteilten bisher die zweckdienliche Verteilung der
Steuerlasten auf Gegenwart und Zukunft allein nach der voraus-
sichtlichen Wohlstandsentwicklung. Es ist nun weiter festzustellen,
ob mit Rücksicht auf die voraussichtliche Gestaltung der Staats-
finanzen die Verschiebung einer Steuerleistung auf die Zukunft
mittels einer Anleihe zulässig ist. Bei einer ungenügenden Aus-
bildung des Finanzwesens, bei der nur ein geringer Teil des Volks-
einkommens ohne Schwierigkeit den Staatszwecken zugeführt werden
kann, wird man überhaupt bei Bestreitung der Staatsausgaben sehr
viel weniger an die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen Ver-
hältnisse im allgemeinen als speziell an die Entwicklung der Staats-
finanzen denken (siehe später S. 461). Aber auch bei uns kann eine
voraussichtliche Zunahme des Nationaleinkommens der Möglichkeit,
höhere Steuereinnahmen zu erzielen, durchaus nicht gleichgesetzt
werden. Erstens sind, soweit die Staatseinnahmen aus eigentlichen
Steuern fließen, die Erhebungskosten derselben mit in Rechnung zu
setzen. (Dieselben sind nicht allzu hoch, sie betragen heute in
Preußen für die direkten Steuern 6 Proz., für die indirekten Steuern
4—5 Proz.; eine Erhöhung der Steuersätze würde eine relativ ge-
ringere Mehrung der Erhebungskosten mit sich bringen.) Und weiter-
hin kann auch bei einem ausgebildeten Finanzwesen doch immer nur
ein beschränkter Teil des Nationaleinkommens in Form von Steuern
den Staatszwecken dienstbar gemacht werden; insbesondere sind bei
sehr hohen direkten Steuern Hinterziehungen zu befürchten. —
Bei der tatsächlichen Größe des heutigen Staatsbedarfs bestehen
kaum Schwierigkeiten, die Staatsausgaben vollständig aus Steuer-
mitteln zu decken. Es ist zu bedenken, daß, wenn nicht in Zukunft
ein größerer Teil der Ausgaben aus den Einkünften erwerbswirt-
schaftlicher Unternehmungen bestritten wird, nach Aufnahme einer
Anleihe später noch entsprechend höhere Steuern aufzubringen sind,
nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zum Nationalein-
kommen. (Das Nationaleinkommen nimmt, wie wir zeigten, nicht
entsprechend der Verzinsung der Anleihen zu.) Da die Bestreitung
der Staatsausgaben aus Ueberschüssen staatlicher Erwerbsunter-
nchmungen gewisse Vorzüge vor der Erhebung direkter Steuern hat,
so werden für die Zukunft in Aussicht stehende höhere Einnahmen
aus privatwirtschaftlichen Unternehmungen des Staates eventuell
zur Verschiebung einer Steuerleistung auf die Zukunft berechtigen
(siehe später S. 458).
‚Es ist oft als Vorzug der Anleihen gerühmt worden, daß die
freiwillige Darbietung des Kapitals nicht als Belastung empfunden
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 441
wird, während die Erhebung einer entsprechenden Steuer einen er-
heblichen Eingriff in die Lebensverhältnisse der Steuerzahler dar-
stellt. Diese Tatsache ist aber für die vorliegende Betrachtung von
keiner Bedeutung; es soll nicht entschieden werden, ob die Steuer
oder die Anleihe eine empfindlichere Belastung bedeutet, sondern ob
die jetzige Steuer oder die im Falle der Aufnahme einer Anleihe
erforderliche höhere Steuer in künftigen Jahren unange-
nehmer empfunden wird.
Wie wir früher sagten, daß in wirtschaftlich ungünstigen Jahren
eine Anleihe zulässig sein kann, wenn für die folgenden Jahre eine
erhebliche Besserung der Einkommensverhältnisse erwartet werden
darf, so ist auch unter Umständen eine Schuldaufnahme in Jahren
gerechtfertigt, in denen die Staatsfinanzen einen ausnahmsweise un-
günstigen Stand zeigen, sei es, daß die Staatseinnahmen auf
Grund einer ungünstigen Konjunktur geringer sind, oder sei es,
daß die Ausgaben infolge außergewöhnlicher Aufwendungen eine
abnorme Höhe aufweisen. Wenn durch die Kreditinanspruchnahme
ein Ausgleich der Differenzen der in verschiedenen Jahren aufzu-
bringenden Steuern erreicht wird, so ist dies einmal deshalb erwünscht,
weil eine außergewöhnlich hohe in einem Jahr zu entrichtende Steuer
schwerer empfunden wird als eine insgesamt gleich hohe auf mehrere
Jahre verteilte Steuer, dann aber auch deshalb, weil die Einführung
einer neuen Steuer auf relativ kurze Zeit mehr technische Schwierig-
keiten bietet und relativ hohe Kosten verursacht. Bei Existenz einer
beweglichen Steuer käme die letztere Erwägung nicht in Frage. Die
Deckung einer außerordentlichen Ausgabe in einem bestimmten Fi-
nanzjahre scheint aber eben nur dann gerechtfertigt, wenn in diesem
Jahre höhere Steuern als voraussichtlich in folgenden Jahren erforder-
lich sind. Es darf nicht etwa jede größere Ausgabe, die vermutlich
in absehbarer Zeit nicht wiederkehrt, auf Anleihe genommen werden,
da ja in jedem Jahre Aufwendungen erforderlich sind, die in anderen
Jahren nicht auftreten, also tatsächlich die Gesamtausgaben in dem
einen Jahre nicht höher als in den folgenden zu sein brauchen.
Schäffle wies darauf hin, daß die außerordentlichen Ausgaben, vom
Gesichtspunkte des ganzen Budgets angesehen, zum größten Teil
gar keine sind. — Wenn man davon absieht, daß eventuell aus an-
deren Gründen, etwa aus der voraussichtlichen allgemeinen Hebung
der wirtschaftlichen Lage die Berechtigung einer Anleihe gefolgert
werden kann, so würde bei einer außerordentlichen Höhe der Staats-
ausgaben in einem bestimmten Jahre höchstens die Deckung des-
jenigen Teils der Ausgaben durch Anleihen erlaubt sein, der über
die voraussichtliche Höhe der Ausgaben in den folgenden Jahren
hinausragt, und weiter müßten diese Anleihen bereits in denjenigen
Jahren getilgt werden, denen gegenüber allein die Ausgaben des
laufenden Jahres außerordentlich hoch sind. Würden z. B. in einem
Lande, in dem sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im übrigen im
Laufe der Jahre nicht änderten, die Staatsausgaben in dem ersten
442 Arthur Friedmann,
ersten Jahre 120, im zweiten Jahre 110, im dritten Jahre 100, im
vierten wieder 120 usw. betragen, so dürfte nicht etwa im ersten
Jahre eine langfristige Anleihe von 20, im zweiten Jahre von 10
aufgenommen werden, sondern im Höchstfalle im ersten Jahre eine
nach 2 Jahren zu tilgende Anleihe von 10. In den Etats werden nun
nicht nur höhere Beträge als diejenigen, die über die voraussicht-
liche Durchschnittshöhe der Ausgaben in den folgenden Jahren hin-
ausgehen, auf Anleihen genommen, sondern die Tilgung der Anleihe-
summen erfolgt auch nicht innerhalb einer entsprechenden Zeit-
spanne.
Zur Erläuterung der besprochenen Verhältnisse wollen wir zeigen,
um wieviel anders sich im Reiche die Entwicklung des Anleihe-
standes gestaltet hätte, wenn allein diejenigen Beträge, die den
Gesamtetat gegenüber den kommenden Jahren in außerordentlicher
Weise belasteten, auf Anleihe genommen wären und bereits in einer
Zeitspanne getilgt worden wären, in der die Höhe der erforderlichen
Ausgaben um eine entsprechende Summe hinter der Durchschnitts-
höhe der jährlichen Ausgaben zurückblieb. Da wir hier allein fest-
zustellen beabsichtigen, wie weit die außerordentliche Höhe einer
Ausgabe die Inanspruchnahme des Kredites rechtfertigen kann, so
wollen wir voraussetzen, daß bei gleichmäßig Jahr für Jahr
steigenden Staatsausgaben weder die Aufnahme einer Anleihe noch
die Tilgung einer solchen hätte bewirkt werden sollen. Wir zeigen
in der anliegenden graphischen Darstellung in Kurve I die tatsäch-
liche Höhe der jährlichen Gesamtausgaben des Reichs von 1889 bis
1912. In der Linie Ia sind die Werte verzeichnet, die sich unter
der Voraussetzung ergeben, daß die Gesamtsumme der Staats-
ausgaben von 1889—1912 gleich groß gewesen wäre, die Aus-
gaben sich aber von Jahr zu Jahr in geometrischer Progression ge-
steigert hätten (die jährliche Steigerung berechnet sich unter dieser
Voraussetzung auf 3,92. Proz.). Die Kurve III zeigt die Höhe des
außerordentlichen Etats an, Kurve Illa die Ausgaben des
außerordentlichen Etats mit Ausnahme der Summe für Eisenbahn-,
Post- und Telegraphenverwaltung. Es sind also hier die meisten
derjenigen Beträge in Abzug gebracht, die wegen ihrer werbenden
Natur auf Anleihe genommen wurden. Die Linie IIIb gibt das Bild
des außerordentlichen Etats wieder, wie er sich unter der Voraus-
setzung dargestellt hätte, daß nur die die normale Größe der
Gesamtausgaben überschreitenden Summen auf den außer-
ordentlichen Etat gesetzt worden wären. (Da in diesem Falle we-
niger Anleihen aufgenommen und somit die Ausgaben der Schulden-
verwaltung geringer gewesen wären, so hätten wir eigentlich bei
Berechnung der Kurve entsprechende Summen von den Gesamtaus-
gabeı: in Abzug bringen müssen, es würde sich aber auch bei einer
solchen Darstellung wesentlich dasselbe Bild ergeben haben.) —
Endlich verzeichnet die Kurve II die Entwicklung des Anleihestandes
vom Jahre 1889 bis zum Jahre 1912, während die Kurve ILa anzeigt,
wie sich der Anleihestand unter der Annahme gestaltet hätte, daß
443
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen.
We
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le.
Keiches
im Fe
Inanszen
des
von 1889 bis 1912.,
Die
Deutschen
EARREERNERRNEEREERERESEERER
444 Arthur Friedmann,
nur die jährlichen Schwankungen in der Größe der Gesamtausgaben
durch die Aufnahme entsprechend kurzfristiger Anleihen ausge-
glichen wären. Während in der Tat der Anleihestand von noch nicht
1MilliardeM. im Jahre 1889 fast ständig bis zu etwa 5MilliardenM.
im Jahre 1912 anstieg, hätten zum Ausgleich der jährlichen
Schwankungen des Bedarfs nur ungleich niedrigere und
kurzfristigere Anleihen aufgenommen werden dürfen. Die
Kurve IIa zeigt, daß in den Jahren 1890—1892 im ganzen etwa 300
Mill.M. Schulden hätten kontrahiert werden dürfen, die bereits bis zum
Jahre 1897 größtenteils getilgt werden mußten. In einzelnen dazwischen-
liegenden Jahren, in denen die Gesamtausgaben etwas größer waren,
wären geringere Summen, in anderen Jahren entsprechend höhere
Summen zu tilgen gewesen, oder was das Gleiche besagen will, es
hätten in den entsprechenden Jahren neue in noch kürzerer Zeit zu
tilgende Anleihen aufgenommen werden dürfen. Im übrigen wäre
bis zum Jahre 1899 die Aufnahme jeder Anleihe unterblieben ; 1900
bis 1903 wären 600 Mill. M. neue Schulden aufgenommen, die wieder-
um schon im Jahre 1906 amortisiert gewesen wären, in den Jahren
1907 und 1909 nochmals ca. 500 Mill. M., deren Tilgung bis zum
Jahre 1912 erfolgt wäre. — Diese Auseinandersetzungen sollen
natürlich nicht besagen, daß es möglich gewesen wäre, vor 20 Jahren
auch nur annähernd den in späteren Jahren erforderlichen Staats-
bedarf zu schätzen und demgemäß die jährlichen Lasten zu verteilen;
wenn aber in der Tat so sehr viel mehr und so viel langfristigere An-
leihen aufgenommen wurden, als dies die spätere tatsächliche Ent-
wicklung rechtfertigte, so liegt dies keineswegs daran, daß man vor
20 Jahren nicht ein so starkes Steigen der Staatsausgaben vermutet
hätte, sondern diese Erscheinung hat ihre Ursache zum guten Teile
darin, daß Ausgaben, die an sich zwar außergewöhnlich waren oder
den betreffenden Etatposten außerordentlich belasteten, die aber doch
kein ungewöhnliches Anschwellen des Gesamtbudgets bewirkten, auf
Anleihe genommen wurden.
In den Denkschriften zum Reichsetat der Jahre 1901 und 1907
wurden feste Grundsätze darüber aufgestellt, welche Ausgaben auf
Anleihe genommen werden dürfen. Die detaillierten Bestimmungen
zeigen, daß neben Ausgaben zu werbenden Zwecken auch solche Aus-
gaben berücksichtigt wurden, die nicht das Gesamtbudget sondern
nur die betreffende Verwaltung ungewöhnlich belasten. So heißt
es z. B. für das Reichsamt des Innern: Etwaige größere bauliche
Aenderungen am Kaiser-Wilhelm-Kanal, ‚die schon wegen des erheb-
lichen Aufwandes über den Begriff der laufenden Unterhaltung ...
hinausgehen“, sind auf Anleihe zu überweisen. — Neuerdings sind
auch die Aufwendungen für den Kaiser-Wilhelm-Kanal und die
Kosten der Reichseisenbahnen, soweit sie strategischen Zwecken die-
nen, aus dem Extraordinarium in das Ordinarium hinübergenommen.
Im Etat von 1913 stehen von nicht werbenden Ausgaben nur noch
13 Mill.M. für Festungen und 51 Mill. M. für die Marineverwaltung
auf dem außerordentlichen Etat.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 445
Während in früheren Jahren die Anleihen im Reiche praktisch
überhaupt nicht getilgt wurden, wurden in dem Gesetze betreffend
Aenderung im Finanzwesen vom 15. Juli 1909 verhältnismäßig weit-
gehende Bestimmungen über die Schuldentilgung gegeben: Die bis-
herigen Schulden sollten zu 1 Proz. jährlich getilgt werden, neu
aufgenommene werbende Anleihen zu 1,9 Proz., nicht werbende
Anleihen zu 3 Proz.; zugleich sind die ersparten Zinsen zur Tilgung
zu verwenden. Nach dieser Bestimmung würden neu aufgenommene
nicht werbende Anleihen innerhalb 22 Jahren getilgt sein. Wofern
durch die Benutzung des Kredites nur ein Ausgleich der Schwan-
kungen des jährlichen Bedarfs bezweckt werden soll, würde nach
unseren früheren Ausführungen auch diese Frist erheblich zu lang
sein.
Der hier vertretenen Auffassung über die zweckdienliche
Deckung des außerordentlichen Staatsbedarfs entspricht ungefähr der
im Jahre 1908 von der Budgetkommission des Reichstags ange-
nommene Antrag Erzberger und Paasche!), der in seinem zweiten
Teile folgendermaßen lautet: „Auf den außerordentlichen Etat sind
sonstige einmalige Ausgaben zu nehmen, die durch ihre Höhe das
Gleichgewicht des Etatsjahres erheblich stören würden.“ Die in
diesem Antrage vorgesehene Tilgungsfrist von ungefähr 23 Jahren
wäre allerdings noch zu lang gewesen (siehe oben).
Wenn nun auch die jährlichen Schwankungen des Reichsbedarfs
in den letzten 20 Jahren nicht so erheblich waren, daß sehr hohe
Anleihen hätten aufgenommen werden müssen, so ist doch der Fall
denkbar, daß in Zukunft bei außergewöhnlich hohen Aufwendungen
die Kontrahierung hoher Schulden erforderlich wird. Vor allem wäre
dies im Kriegsfalle nötig, weiter (speziell in den Einzelstaaten) bei
ungewöhnlich hohen Aufwendungen für die Verstaatlichung privater
Unternehmungen oder für den Ausbau der Staatsbetriebe.
In den bisherigen Ausführungen wurde festzustellen versucht,
ob und unter welchen Verhältnissen die durch die Benutzung des
Kredites erzielte Verschiebung einer steuerlichen Belastung auf die
Zukunft erwünscht ist. Nun erschöpfen sich die Wirkungen von
Steueru und Anleihen auf die Volkswirtschaft nicht in der jetzigen
oder späteren Belastung der Steuerzahler, sondern sowohl bei Er-
hebung einer Steuer als auch bei Aufnahme einer inneren Anleihe
ist eine ungünstige Einwirkung auf die Volkswirtschaft dadurch mög-
lich, daß Kapitalien produktiven Zwecken entzogen werden
und der allgemeine Zinsfuß gesteigert wird. Diese Wirkungen
sollen hier ihrem Umfange nach betrachtet werden.
Es ist kein Zweifel, daß die Inanspruchnahme von Kapital in
Form einer Anleihe eine erheblichere Steigerung des Zinsfußes und
1) Berkum, Das Staatsschuldenproblem im Lichte der klassischen Nationalökonomie,
Leipzig 1911, 8. 235.
446 Arthur Friedmann,
eine stärkere Verminderung der produktiven Zwecken dienenden
Kapitalien mit sich bringt als die Erhebung einer gleich hohen
Steuer: Bei Aufnahme einer Staatsschuld wird der allgemeine Zins-
fuß soweit ansteigen (eventuell auch um so viel weniger sinken,
als es sonst geschehen wäre), daß ein Kapitalbetrag in der Höhe der
Anleihesumme zur Verfügung steht. In Aussicht der höheren Ver-
zinsung wird einerseits Geld, das sonst Konsumzwecken gedient hätte,
als Kapital verwandt, und andererseits werden Kapitalanlagen un-
rentabel, die bei einem niederen Zinsfuße noch lohnend gewesen
wären. Insbesondere werden auch Kapitalien, die sonst im Auslande
angelegt waren, bei dem höheren Zinsfuße Anlage im Inlande suchen.
Während so bei Aufnahme einer Staatsschuld eine Mehrung des
gesamten Kapitalangebots erst auf Grund der durch die größere
Kapitalnachfrage erzielten Steigerung des Zinsfußes bewirkt wird,
wird bei Erhebung einer Steuer auch unabhängig von einer Steige-
rung des Zinsfußes das Kapitalangebot nicht um den ganzen Betrag
der Steuer vermindert, sondern es wird mindestens ein Teil der Steuer
auch bei gleichbleibendem Zinsfuße aus dem Einkommen bestritten,
indem entweder der Konsum eingeschränkt wird oder, was weniger
wahrscheinlich ist, die Einnahmequellen vermehrt werden. Es bedarf
also im Falle der Erhebung einer Steuer einer geringeren Steigerung
des Zinsfußes und einer geringeren Inanspruchnahme sonst ander-
weitig angelegter Kapitalien als bei Aufnahme einer Anleihe, um
den gesamten vorhandenen Kapitalbedarf zu befriedigen. Ein wie
großer Teil der Steuer aus dem Vermögen und ein wie großer Teil
durch Einschränkung des Konsums bestritten wird, das hängt durch-
aus von der Art der Steuer ab. Eine Steuer, die auch in erheblichem
Maße de niederen Einkommen trifft, kann nur zum geringen Teile
aus dem Vermögen bestritten werden. Eine Vermögenssteuer wird
eher als eine Einkommenssteuer aus dem Vermögen aufgebracht.
Aber auch solche Steuern, die ausschließlich die Besitzenden treffen,
werden, wofern sie regelmäßig in einer Reihe von Jahren erhoben
werden, vermutlich zum größten Teile dem Einkommen entnommen.
Besonders diejenigen Personen, die eine Rente von gleichbleibender
Höhe aus ihrem Kapitalbesitz ziehen, werden bei einer jährlich
gleich hohen und mit den Jahren ansteigenden Belastung die Steuern
aus den Zinsen des Kapitals aufbringen. Weit*eher als das bereits
vorhandene Vermögen werden die Ersparnisse oder der sonstige Ver-
mögenszuwachs zur Deckung eines Steueraufwandes herangezogen.
Wie bei steigendem Einkommen die Ersparnisse stärker als der Ver-
brauch wachsen, so werden auch bei einer Verminderung des Ein-
kommens eher die Ersparnisse als der Konsum eingeschränkt. Nun
ist aber bei fast sämtlichen Steuerzahlern der dem Konsum dienende
Anteil sehr viel größer als der ersparte Teil des Einkommens, so daß
bei einer Erhöhnug der Steuerleistung trotz der relativ starken Ver-
minderung der Ersparnisse der Konsum im allgemeinen absolut
mehr eingeschränkt wird. Da am ehesten solche Personen, die einen
Vermögenszuwachs erfahren haben, eine Steuer aus dem Vermögen
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 2 447
bestreiten, so wird eine Vermögenszuwachssteuer mehr als eine
andere Steuer die Menge der produktiv angelegten Kapitalien be-
schränken; besonders leicht wird die Erbschaftssteuer ausschließ-
lich aus dem Vermögen gezahlt, so daß die Deckung eines Bedarfs
durch eine Besteuerung des Nachlasses eine fast gleiche Steigerung
des Zinsfußes wie die Aufnahme einer entsprechend hohen Anleihe
zur Folge haben kann. — Zusammenfassend kann daher gesagt
werden: So verschiedenartig auch die Verhältnisse je nach der Wahl
der Steuer sind, so wird immer die Aufnahme einer Anleihe eine
stärkere Steigerung des allgemeinen Zinsfußes bewirken, in ver-
mehrtem Maße die Menge der anderweitig produktiv angelegten
Kapitalien beschränken, als die Erhebung einer gleich hohen Steuer,
da bei Aufnahme einer Staatsschuld unabhängig von einer Steige-
rung des allgemeinen Zinsfußes keine Mehrung der überhaupt vor-
handenen Kapitalien erfolgen würde, während bei Erhebung einer
Steuer wenigstens ein Teil des Steuerbetrages nicht aus dem Ver-
mögen, sondern aus dem Einkommen bestritten wird.
Unter einer Voraussetzung, die wir bisher noch nicht berück-
sichtigten, wäre auch bei einer Aufnahme von Anleihen eine Ver-
mehrung des Kapitalangebots unabhängig von einer Steigerung des
Zinsfußes möglich, wenn diejenigen Personen, die voraussichtlich
in Zukunft die Steuern zur Verzinsung und Tilgung der Anleihen
zu zahlen haben, in Erwartung der kommenden Steuern größere Er-
sparnisse machen würden. Diese Annahme würde der Schlußfolgerung
Soetbeers entsprechen, daß „die Unterschiede zwischen Steuern
und Anleihen verschwinden würden, wenn in einem Lande alle Ein-
wohner gleich wohlhabend wären und sich alle in gleichem Maße
sowohl an einer zur Bestreitung von Staatsausgaben ausgeschrie-
benen Anleihe beteiligten, wie die zu demselben Zwecke etwa be-
liebten Steuern tragen würden“. (Ein jeder würde einen der auf-
genommenen Schuld entsprechenden Anteil seines Vermögens für die
Zinszahlung in kommenden Jahren reservieren.) — Nun sind aber
diejenigen Personen, die später tatsächlich die Zinsen der heute
aufgenommenen Anleihen in Form von Steuern aufzubringen haben,
durchaus nicht mit denen identisch, die heute über das größere Ein-
kommen oder Vermögen verfügen. Vielfach sind die jetzt aufge-
nommenen Staatsschulden bis zum Tode der heutigen Steuerzahler
noch nicht getilgt. Es ist auch unbekannt, durch welche Steuern
die Zinsen der Anleihen in Zukunft aufgebracht werden, ob durch
Steuern, die mehr die Reicheren oder mehr die Aermeren treffen etc.
Und endlich werden viele Personen auch in der sicheren Aussicht
auf eine künftige Belastung keine entsprechenden Ersparnisse
machen. — Praktisch spielt jedenfalls eine etwaige Einschränkung
Ss Konsums in Voraussicht einer kommenden Steuer kaum eine
olle. ;
Die durch die Aufnahme einer Anleihe (in stärkerem Maße
als durch die Erhebung einer gleich hohen Steuer) bewirkte Steige-
448 e Arthur Friedmann,
rung des allgemeinen Zinsfußes bedeutet eine Einkommensver-
schiebung zugunsten der Kapitalbesitzenden und zuun-
gunsten der übrigen Bevölkerung und erscheint darum unerwünscht.
Man darf die Steigerung des Zinsfußes in diesem Zusammenhange
nicht insofern als günstig betrachten, daß dadurch eine Mehrung des
Kapitalangebotes erzielt würde, denn die letztere bildet, wie wir
dies oben ausführten, nur einen teilweisen Ausgleich für die Min-
derung des Kapitalangebotes, die durch die Aufnahme von Staats-
anleihen anstelle der Erhebung von Steuern verursacht wurde.
Um die Bedeutung der Zinserhöhung infolge der Aufnahme
einer Staatsschuld zu würdigen, wäre es vor allem wichtig zu wissen,
wieviel Kapitalien eine Zinssteigerung erfahren und wie
hoch dieselbe ist. Die Erhöhung des Zinsfußes bezieht sich in erster
Linie auf die nach Aufnahme der Anleihe neu entliehenen Kapi-
talien. Wenn der Staat zu einem gewissen Zeitpunkte Kapitalien
beansprucht, so stehen zuerst relativ wenig Gelder zu neuen In-
vestierungen zur Verfügung. Die Zinssteigerung wird also zuerst
am erheblichsten sein, aber auch nur geringere Vermögensteile be-
treffen. Mit der Zeit suchen mehr Gelder eine neue Anlage,
für die dann ebenfalls eine höhere Verzinsung gefordert wird. —
Auch für die bereits investierten Kapitalien wird eine höhere Ver-
zinsung erstrebt, beispielsweise werden industrielle Unternehmungen
durch Preissteigerung der von ihnen hergestellten Waren, eventuell
auch durch Reduktion der Arbeitslöhne einen höheren Gewinn
zu erzielen trachten, ebenso wie die Hausbesitzer durch Miets-
steigerung die Verzinsung ihrer Kapitalien zu erhöhen suchen.
Würden bei einem allgemeinen Anziehen des Zinsfußes die Divi-
denden der Aktiengesellschaften nicht in die Höhe gehen, so würde
der Kurswert der Aktien sinken, und ebenso würde der Kaufpreis
eines Mietshauses heruntergehen, wenn nicht bei steigendem Zins-
fuß der Mietertrag entsprechend anstiege. Die kapitalistischen Unter-
nehmungen sind insofern bei dauernd teurem Gelde eher in der Lage,
die Preise ihrer Produkte oder Leistungen zu erhöhen, als neue
Konkurrenzunternehmungen ihre Kapitalien entsprechend höher ver-
zinsen müssen. — Unternehmungen, die auf fremdes Kapital an-
gewiesen sind, werden dann, wenn Geld nur zu höherem Preise zu
beschaffen ist, ihr eigenes Kapital unter Umständen nur niedriger
als bisher verzinsen können. Die durchschnittliche Verzinsung des
gesamten in einem Betriebe investierten (eigenen und fremden)
Kapitals wird jedoch bei teurem Gelde mindestens ebenso hoch wie bei
billigem sein. Zuweilen werden sich auch industrielle Unternehmungen,
die sich bei einer Erhöhung des Zinsfußes fremdes Geld nur schwer
beschaffen können, mit weniger Kapital begnügen müssen, und dann
— bei einer weniger rationellen Betriebsführung — nicht mehr so
rentabel wie früher arbeiten. — Auch städtische Grundbesitzer, die
fremdes Kapital in Anspruch nehmen, erzielen bei steigendem Zins-
fuße einen niedrigeren Gewinn, wenn sie eine entsprechende Steige-
rung des Mietpreises nicht durchsetzen können. Die Verzinsung
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 449
des gesamten (fremden und eigenen) Kapitals wird aber auch hier
bei steigendem Zinsfuß im Durchschnitt höher als bei niederem Zins-
fube sein.
Es ist nun kaum möglich abzuschätzen, wie hoch die in dem ein-
zelnen Falle bewirkte Steigerung des Zinsfußes ist und auf wieviel
Kapitalien sie sich bezieht. Die Wirkung einer einzelnen Anleihe
auf den Zinsfuß läßt sich durchaus nicht verfolgen. Die Verhältnisse
des Geldmarktes unter dem Einfluß der Emission einer Anleihe geben
uns in dieser Hinsicht keinen Aufschluß, denn eine eventuelle Steige-
rung des Diskonts auf Ankündigung einer Anleihe hin oder an den
einzelnen Einzahlungsterminen ist von der Menge der im Augenblick
zur Verfügung stehenden Kapitalien abhängig; auf die dauernde Be-
einflussung des Zinsfußes ist daraus kein Schluß möglich. — Man
glaubt vielfach, daß der relativ hohe Zinsfuß in Deutschland im
Vergleich zu England und Frankreich und speziell der niedere Kurs-
stand der Anleihen (die höhere Realverzinsung derselben) wesent-
lich durch die starke Inanspruchnahme des Marktes durch Reichs-,
Staats- und Kommunalanleihen bewirkt ist. So sagt Schwarz!)
speziell inbezug auf die niedrige Verzinsung der Staatspapiere, die
große Schuldenvermehrung des letzten Jahrzehntes habe zweifellos
die Rentenkurse besonders ungünstig beeinflußt. Er bemerkt aber
zugleich, man dürfe der Tatsache der Schuldenvermehrung eine zu
große oder gar ausschlaggebende Bedeutung für die Kurse der Renten
nicht beimessen. Er beruft sich darauf, daß die Senkung der Kurse
nicht immer der Menge der Neuemissionen von Anleihen entsprach.
— Für die Höhe des Zinsfußes ist auf der einen Seite der Kapital-
reichtum des Landes und die Menge der jährlichen Ersparnisse maß-
gebend (man nimmt an, daß der Kapitalreichtum Deutschlands auch
heute noch etwas geringer als in den westlichen Ländern ist), auf
der anderen Seite die Kapitalbedürfnisse der Landwirtschaft, der In-
dustrie und vor allem des Baumarktes, die in Deutschland, insbe-
sondere wegen seiner rasch wachsenden Bevölkerung, größer als
speziell in Frankreich sind. In der Reichstagsdenkschrift zur Reichs-
finanzreform, An der die Beziehungen zwischen Anleihe und Diskont
untersucht werden, wird betont: „Es sei wesentlich der außerordent-
lich starke Geldbedarf der deutschen Volkswirtschaft für die Zwecke
ihres weiteren Ausbaus, der es rechtfertige, wenn von dem Kredit
suchenden Reiche oder den Einzelstaaten oder den Kommunen ein
höherer Zinsfuß gefordert wird, als einige ausländische Staaten zu
zahlen haben.“ Immerhin wird auch hier zugegeben: „Die Zu-
spitzung der Geldverhältnisse in Deutschland im letzten Jahrzehnt
sei zum guten Teil herbeigeführt durch die enorm gewachsenen Ka-
pitalbedürfnisse von Reich, Staat und Kommunen. Insbesondere
habe die immer umfangreichere Inanspruchnahme des Marktes durch
1) Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen, Handbuch der Politik,
Bd. 2, S. 204.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 29
450 Arthur Friedmann,
kurzfristige unverzinsliche Schatzanweisungen einen ungünstigen Ein-
fluß auf den Kapitalmarkt und demgemäß auf die gesamte Volks-
wirtschaft ausgeübt“ 1).
Die Bedeutung der Kreditansprüche von Staat und Gemeinden
im Vergleich zu den sonstigen Kapitalbedürfnissen der Volkswirt-
schaft wird einigermaßen aus der Tatsache ersichtlich, daß von den
in den letzten 5 Jahren zum Handel an den deutschen Börsen zuge-
lassenen Wertpapieren "je auf inländische Staats- und Kommunal-
anleihen kamen. Von dem gesamten deutschen Kapitalvermögen
mögen heute 12—15 Proz. in inländischen öffentlichen Anleihen
investiert sein. — Diese Daten machen es wahrscheinlich, daß die
Menge der in einem Jahre emittierten Staatspapiere von erheblichem
Einfluß auf den allgemeinen Zinsfuß ist. Aber einen näheren Auf-
schluß darüber, wieviel niedriger der herrschende Zinsfuß wäre,
wenn ein gewisser Betrag Anleihen weniger aufgenommen wäre,
können wir natürlich aus den gegebenen Daten nicht gewinnen.
Wenn nun auch die Wirkung einer Schuldenaufnahme auf die
Höhe des herrschenden Zinsfußes und damit auf die Einkommens-
verteilung nur schwer abzuschätzen ist, so lassen sich wenigstens
darüber einige Angaben machen, unter welchen Verhältnissen bei
Begebung von Anleihen eine geringere oder eine stärkere Erhöhung
des Zinsfußes zu erwarten steht: Zu Zeiten, in denen bereits die An-
sprüche an den Geldmarkt stark sind, oder in denen eine geringere
Menge Kapitalien eine neue Anlage sucht, ist die augenblickliche Er-
höhung des Zinsfußes erheblicher. Weiter ist die anfängliche Steige-
rung des Zinsfußes bei größeren Anleihesummen häufig unver-
hältnismäßig bedeutender als bei kleinen Beträgen. — Bei einem
bereits vorhandenen höheren Zinsfuße wird durch eine bestimmte
Kapitalnachfrage ein absolut stärkeres Anziehen des Zinsfußes
herbeigeführt (die Steigerung von 2 Proz. auf 21/, Proz. bewirkt eine
bedeutendere Vermehrung des Kapitalangebots als eine Steigerung
von 6 auf Dis Proz.). — Eine wie große und wie lang anhaltende
Erhöhung des Zinsfußes durch die Kreditinanspruchnahme des Staates
bewirkt wird, das hängt endlich auch in hohem Maße davon ab, ob
in dem einzelnen Falle ein mehr oder minder großer Zufluß von Ka-
pitalien aus dem Auslande zu erwarten steht. —
Jedenfalls darf man vermuten, daß die ungünstige Wirkung der
Kreditbeschaffung durch den Staat auf die Höhe des Zinsfußes und
damit auf die Einkommenverteilung stark ins Gewicht fällt neben
dem von uns früher besprochenen Nachteile einer zu hohen steuer-
lichen Belastung der Zukunft. Da die Zinssteigerung leicht eine be-
deutende Menge von Kapitalien betrifft (einen beträchtlichen Teil
des insgesamt vielleicht 200 Milliarden M. betragenden Kapitalver-
vermögens der Nation), so ist schon die Wirkung einer, wenn auch
geringen Zinssteigerung auf die Einkommensverteilung bedeutungsvoll.
1) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 4, 8. 251.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. - 451
Inı Anschluß an die Betrachtungen über die schädlichen Wir-
kungeu der Schuldenaufnahme auf die Einkommensverteilung sind
die durch die Entziehung produktiver Kapitalien verur-
sachten Nachteile zu besprechen. Schon oben wurde betont, daß die
bei Aufnahme innerer Anleihen in Anspruch genommenen Kapi-
talien drei verschiedenen Quellen entstammen: Es handelt sich ent-
weder um infolge der Zinssteigerung neu ersparte Kapitalien oder um
Kapitalien, die auch anderenfalls Anlage im Inlande gefunden hätten,
oder endlich um solche Gelder, die indirekt dem Auslande ent-
stammen. — Es ist nicht wahrscheinlich, daß allein in Aussicht der
höheren Verzinsung erheblich mehr Summen erspart werden. Viele
Personen veranlaßt nicht so sehr die Aussicht auf eine höhere Ver-
zinsung zum sparen als der Wunsch, die ihnen jetzt zur Verfügung
stehenden Mittel einem künftigen Verbrauche vorzubehalten. Wenn
allerdings infolge der Inanspruchnahme von Kapitalien seitens des
Staates der Zinsfuß absolut ansteigt, so werden manche Personen,
die in erheblichem Maße fremdes Kapital benutzen, um überhaupt
ihren Verpflichtungen nachkommen zu können, zu eigenen Erspar-
nissen gezwungen!). Wahrscheinlich ein größerer Teil der vom
Staate beanspruchten Kapitalien wird dadurch aufgebracht, daß ander-
weitige inländische Kapitalanlagen, die bei dem höheren Zinsfuße
unrentabel sind, unterlassen werden. — Was endlich die Zuwande-
rung von Kapitalien aus dem Auslande anbetrifft, so wird solche
nicht allein dadurch ermöglicht, daß von Inländern erworbene Staats-
schuldscheine an das Ausland verkauft werden, sondern bei der all-
gemeinen Erhöhung des inländischen Zinsfußes werden auch sonst
Kapitalien, die anderenfalls im Auslande investiert worden wären,
Anlage im Inlande suchen. Bei dem ausgedehnten internationalen
Geldverkehr ist es schwer abzuschätzen, ein wie großer Teil der
Kapitalien so indirekt dem Auslande entstammt.
Wagner bespricht in Uebereinstimmung mit einigen anderen
Autoren auch die Möglichkeit, daß bei Kreditinanspruchnahme des
Staates disponible (sonst müssig liegende) Kapitalien zur Ver-
fügung gestellt werden. Mögen nun auch zu manchen Zeiten etwas
größere Goldvorräte im Besitze von Privaten oder Banken sein, so
hätten dieselben doch auch im Falle der Nichtaufnahme einer Anleihe
bereits nach kurzer Zeit Anlage gefunden; diejenigen Privatpersonen
aber, die auch heute noch ihr erspartes Geld zu Hause bewahren,
ohne es als Kapital zu verwenden, werden auch durch die Veraus-
gabung einer neuen Anleihe kaum zu einer Investierung ihrer Er-
sparnisse veranlaßt werden. Wagner selbst gibt zu, daß die Deckung
1) Beispielsweise muß sich ein Hausbesitzer, dem eine billigere Hypothek ge-
kündigt wurde, und der bei einem gleichbleibenden Mietertrag seines Hauses eine teuere
Hypothek von nur geringerer Höhe aufnehmen kann, einen Teil der auszuzahlenden
Summe aus anderweitigen Mitteln beschaffen. Wenn er unter diesen Verhältnissen seine
Lebenshaltung einschränkt, um die betreffende Summe zu ersparen, so werden Gelder,
die andernfalls Konsumzwecken gedient hätten, als Kapital verwandt.
29*
452 Arthur Friedmann,
des Anleihebedarfs aus disponiblen Kapitalien keine große Rolle
spielt).
Bei den in Fortfall kommenden inländischen Kapitalinvestie-
rungen handelt es sich meist um produktive Anlagen; der Kon-
sum kredit ist relativ selten. Von der Möglichkeit, daß bei Erhebung
einer Anleihe weniger Kapitalien in anderweitigen Reichs-, Staats-
oder Kommunalanleihen Anlage finden, sehen wir ab, da wir die
gesamten inländischen Anleihen einheitlich betrachten und nur fragen,
wie eine Vermehrung derselben auf den Kapitalmarkt wirkt. Soweit
nun Kapitalien einer inländischen produktiven Anlage entzogen
werden, wäre zu unterscheiden, ob es sich um bereits früher in-
vestierte (Betriebs-)Kapitalien handelt, oder ob die betreffenden
Gelder nur im Falle der Nichtaufnahme der Anleihe anderweitig an-
gelegt worden wären. Bezüglich der volkswirtschaftlichen Nach-
teile des Unterbleibens produktiver Kapitalanlagen kommt es nicht in
Frage, daß der Kapitalist auf seinen Kapitalgewinn verzichtet, denn
er legt seine Gelder ebenso vorteilhaft anderweitig — in Staats-
papieren — an. (Es ist in diesem Zusammenhange gleichgültig, daß
der Kapitalist bei Anlage seines Geldes in Staatspapieren den
Zinsgewinn nur auf Kosten der Allgemeinheit erzielt, denn es wurde
bereits früher die stärkere Belastung der Steuerzahler infolge der
Zinsverpflichtung des Staates in Betracht gezogen.) Das Unter-
lassen produktiver Kapitalanlagen bedeutet aber insofern leicht einen
volkswirtschaftlichen Verlust, als sich der Nutzen der Investierungen
nicht ganz in dem Gewinne der Kapitalisten erschöpft. Bei Anlage
von Kapitalien in der Industrie, im Handel oder in der Landwirt-
schaft kommt vielfach nicht der gesamte Mehrertrag, der durch diese
Kapitalien erzielt wird, dem Kapitalbesitzenden zugute. Werden
etwa durch vermehrte Verwendung von Produktionsmitteln die Her-
stellungskosten von Waren herabgesetzt, so erfolgt der Verkauf oft
zu einem niedrigeren Preise als früher; einmal sind die Produktions-
kosten bei niederem Preise und größerem Umsatze häufig geringer,
und ferner drückt die Konkurrenz leicht einen abnorm hohen Ka-
pitalgewinn herab. Allerdings werden gerade diejenigen Kapital-
anlagen, die bei einer Steigerung des allgemeinen Zinsfußes in Fort-
fall kommen, im allgemeinen keine erhebliche, über die Verzinsung
des Kapitals hinausgehende Verbilligung der Produktion bewirken;
es wäre sonst auch bei einem allgemein höheren Zinsfuße eine höhere
Verzinsung dieser Anlagen erzielt worden.
Bedeutender scheint die nachteilige Wirkung der Kapitalent-
ziehung in den Fällen, in denen bereits investierte (Betriebs-)Kapi-
talien ihren Zwecken entzogen werden. Dieser Fall würde eintreten,
wenn die Kapitalnachfrage von seiten des Staates nicht nur ein Herab-
gehen des allgemeinen Zinsfußes verhindert, sondern eine absolute
Steigerung desselben bewirkt. Durch eine solche Entziehung bereits
angelegter Kapitalien würden diejenigen Personen geschädigt, die,
1) Schönbergs Handbuch, Bd. III 1, 4. Aufl., S. 786.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 453
wie beispielsweise die Landwirte, in stärkerem Maße auf den Kredit
angewiesen sind. — Diejenigen industriellen Betriebe, die sich bei
teurem Gelde mit weniger Kapital begnügen müssen, würden, wie
bereits früher angeführt, unter Umständen weniger rationell ar-
beiten. — Die Einstellung oder Einschränkung von Betrieben in-
folge Kapitalmangels wird auch leicht zu einer Vermehrung der
Arbeitslosigkeit führen. Es ist zwar nicht richtig, daß die Zahl der
zu beschäftigenden Arbeiter durchaus von der Menge der zur Ver-
fügung stehenden Kapitalien abhängt: kamen doch in früheren
Zeiten sehr viel weniger Produktionsmittel auf den einzelnen Ar-
beiter als heute; es paßt sich im Produktionsprozeß die auf das
einzelne Produkt verwandte Kapital- und Arbeitsmenge der Größe
des zur Verfügung stehenden Kapitals und der Zahl der vorhandenen
Arbeitskräfte an. Wenn aber einmal dauernd mehr Kapitalien und
dementsprechend größere Mengen von Produktionsmitteln für die
Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Arbeitern zur Verfügung
standen, so kann bei einer nur zeitweisen Verminderung der vor-
handenen Kapitalien nicht so leicht die Beschäftigung von Arbeitern
mit einem geringeren Aufwand von Produktionsmitteln durchgeführt
werden.
Die zuweilen vertretene Auffassung, daß es unter gewissen Ver-
hältnissen für die der Volkswirtschaft zur Verfügung gestellten Ka-
pitalien keine produktive Verwendung gäbe, ist irrig. Der Ansicht
Dietzels, daß beispielsweise im Kriegsfalle privates Kapital ver-
geudet würde, widersprach bereits Nasse mit dem Hinweise, daß
das Selbstinteresse der Kapitalisten in der Regel eine unrentable An-
lage verhindert!). — Bei einem Heruntergehen des Zinsfußes werden
jederzeit neue Kapitalanlagen wieder rentabel, und zwar wird bei
einem schon vorhandenen niederen Zinsfuße eine absolut geringere
Ermäßigung des Zinsfußes genügen, um für eine gewisse Menge
Kapitalien produktive Verwendung zu schaffen. Mögen auch die
Banken zeitweise um eine nutzbringende Verwendung ihrer Gelder
verlegen sein, so bezieht sich dies doch nur auf die Anlage zu einem
bestimmten Zinsfuße. Es kommt heute nicht vor, daß auch bei einem
niedersten Zinsfuße keine Verwendungsmöglichkeit der Gelder exi-
stiert. Schon die Tatsache, daß verschiedene Betriebe des gleichen
Produktionszweiges heute sehr bedeutende Unterschiede in ihrer
Kapitalausstattung zeigen, weist auf die Möglichkeit einer Vermeh-
rung der produktiven Kapitalanlagen hin.
Ist es also auch nicht zutreffend, daß unter Umständen für neu
ersparte Kapitalien keine passende Verwendung besteht, so ist es
doch möglich, daß unter gewissen Verhältnissen (zu Zeiten starker
Spekulation) eine unzweckmäßige Verwendung der vorhandenen Ka-
pitalien erfolgt. Unter solchen Verhältnissen mag der Staat gut tun,
einen Teil der zur Verfügung stehenden Kapitalien durch Kontra-
hierung kurzfristiger Schulden an sich zu ziehen und so einer
1) Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jahrg. 1868, S. 6.
454 Arthur Friedmann,
drohenden Krise vorzubeugen). Solche Fälle mögen allerdings selten
sein, und es fragt sich, ob der Staat besser imstande ist, die jeweilige
Konjunktur zu beurteilen, als die Kapitalisten, die er vor einer Ver-
schwendung ihrer Kapitalien schützen will. Auch würden durch
eine derartige Anleihe nicht nur unerwünschte Kapitalinvestie-
rungen (eventl. im Auslande), sondern auch an sich zweckmäßige
Anlagen verhindert werden. — Es wäre falsch zu glauben, daß
immer dann, wenn viel Kapitalien zur Verfügung stehen, der Zins-
fuß niedrig ist, eine Ueberspekulation und eine Vergeudung von Ka-
pitalien zu befürchten ist. Roscher bezeichnet es beispielsweise
als einen Nachteil eines niederen Zinsfußes, daß viele Personen ihr
Geld in gewagte Spekulationen stecken. Volkswirtschaftlich schädlich
sind nicht diejenigen spekulativen Unternehmungen, die bei richtiger
Abschätzung aller Aussichten mit mehr oder weniger großer Wahr-
scheinlichkeit einen positiven Erfolg versprechen, sondern nur
solche Unternehmungen, bei denen die Gewinnmöglichkeiten geringer
als die Verlustmöglichkeiten sind. Zu solchen Unternehmungen
lassen sich die Kapitalisten vor allem dann verleiten, wenn die allge-
meine wirtschaftliche Lage die Gewinnaussichten zu günstig er-
scheinen läßt. Wenn plötzlich viel Kapitalien zur Verfügung stehen,
der Zinsfuß sinkt, und Unternehmungen möglich werden, an die vor
kurzer Zeit noch nicht gedacht wurde, so werden leicht die Ge-
winnaussichten neuer Unternehmungen überschätzt. Das gleiche
kann aber auch zu Zeiten aufsteigender Konjunktur bei einem bereits
höheren Zinsfuße geschehen. Bei dauernd niedrigem Zinsfuße
liegt kein Anlaß vor, die Aussichten optimistischer als bei höherem
Zinsfuße zu beurteilen. — Ist der Zinsfuß vorübergehend niedrig, so
werden allerdings solche Personen, die mit einer höheren Verzinsung
ihrer Kapitalien rechneten, zu unsicheren Anlagen greifen. Im all-
gemeinen werden aber auch diese gewagteren Anlagen unter Ab-
schätzung der Gewinn- und Verlustmöglichkeiten noch aussichtsvoll
erscheinen. Bei einem dauernd niederem Zinsfuße würden auch
derartige spekulative Anlagen kaum häufiger als bei einem dauernd
höheren Zinsfuße gemacht werden.
Die früheren Ueberlegungen hatten bereits gezeigt, daß mit Rück-
sicht auf die voraussichtlich geringe Steigerung des Wohlstandes die
Verschiebung einer heute erforderlichen Steuerleistung auf die Zu-
kunft nicht gerechtfertigt ist, daß im Gegenteil eine Tilgung der vor-
handenen Schulden anzustreben ist. Da sich nun die schädlichen
Wirkungen einer Anleihe nicht nur auf die stärkere Belastung der
Zukunft beziehen, sondern infolge der Steigerung des allgemeinen
Zinsfußes eine Einkommensverschiebung zugunsten der Kapitalisten
und zuungunsten der übrigen Bevölkerung herbeigeführt wird, deren
Umfang sich allerdings schwer abschätzen läßt, die aber möglicherweise
noch nachteiliger wirkt als die Verschiebung einer heute erforderlichen
Besteuerung auf die Zukunft, und da weiter bei Inanspruchnahme
1) Vgl. Wagner, Finanzwissenschaft I, 1883, 3. Aufl., S. 157.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 455
von Kapital seitens des Staates Kapitalien anderen produktiven
Zwecken entzogen werden, so ist in normalen Zeiten, in denen
weder die allgemein wirtschaftlichen Verhältnisse be-
sonders ungünstig, noch die Staatsausgaben besonders
hoch sind, erst recht eine Tilgung der bereits vorhan-
denen Anleihen zu befürworten. In welchem Umfange die
Tilgung der Anleihen erfolgen soll, das hängt einmal davon ab, ob
eine mehr oder minder günstige Entwicklung des allgemeinen Wohl-
standes und im besonderen der Staatsfinanzen in Aussicht steht und
weiter davon, eine wie günstige Wirkung auf die Volkswirtschaft
durch Ermäßigung des allgemeinen Zinsfußes und durch Vermehrung
der produktiven Zwecken dienenden Kapitalien infolge der Rück-
zahlung der Schulden zu erwarten ist. Ist nun auch gemäß den
früheren Ausführungen gerade über den letzten Punkt nur schwer
ein Urteil möglich, so muß doch in der Praxis versucht werden,
unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse die
Höhe der in einem bestimmten Jahre vorzunehmenden Tilgungen ab-
zuschätzen. Man wird etwa bei Feststellung eines Tilgungsplanes zu-
nächst eine jährlich gleich hohe Tilgungssumme in Aussicht nehmen,
dann aber in Zukunft, bei der endgültigen Festsetzung der Tilgungs-
raten, auf die Schwankungen der wirtschaftlichen Verhältnisse im
allgemeinen als auch auf die Schwankungen der Staatseinnahmen und
Staatsausgaben im besonderen Rücksicht nehmen: es wird in wirt-
schaftlich ungünstigeren Jahren eine geringere Summe, in wirtschaft-
lich günstigeren Jahren eine höhere Summe zu tilgen sein. In Jahren,
in denen durch Rückzahlung einer Anleihe eine Ermäßigung eines
zu hohen Zinsfußes und dadurch eine günstige Beeinflussung der
Eınkommensverteilung, sowie eine Vermehrung der produktiven
Zwecken dienenden Kapitalien zu erwarten ist, würden höhere
Summen amortisiert werden. `
Nachdem wir die Wirkung von Anleihen auf die Steuerbelastung
von Gegenwart und Zukunft und auf die Volkswirtschaft im allge-
meinen betrachtet haben, fragt es sich noch, ob die Aufnahme der
Anleihe im Interesse der Kapitalisten (der Erwerber der
Staatsschuldscheine) zu erstreben ist. Es ist vielfach behauptet
worden, die Zinsverpflichtung, die der Staat bei Aufnahme einer
inneren Anleihe auf sich nimmt, sei darum weniger erheblich, weil
die Zinsen des entliehenen Kapitals doch wieder einzelnen Staats-
angehörigen zugute kämen. Wie wir nun früher zeigten, wird bei
Aufnahme einer Anleihe wahrscheinlich nur ein kleinerer Teil der
Kapitalien durch Ersparung, ein größerer Teil aber dadurch aufge-
bracht, daß andere Kapitalien einer sonstigen inländischen Anlage
entzogen werden oder vom Auslande zuwandern. Es würden also
diejenigen Erwerber der Staatsschuldscheine, die im Falle der
Nichtaufnahme der Staatsanleihe ihre Gelder anderweitig angelegt
hätten, aus dem Besitze der Anleihen nur insofern Gewinn ziehen,
als sie etwas höhere Zinsen erhalten. Da nun aber nach den früher
456 Arthur Friedmann,
angeführten Gründen die Kontrahierung einer Staatsschuld im allge-
meinen auch schon zu dem Zinsfuße, wie er vor Aufnahme der An-
leihen existierte, unerwünscht ist, so würde bei der Begebung der
Anleihe zu einem höheren Zinsfuße nur noch zu dem bereits sonst
vorhandenen nachteiligen Wirkungen eine an sich unerwünschte
Einkommensverschiebung zuungunsten des Staates und zugunsten
der Kapitalisten hinzukommen. Denjenigen Personen aber, die
sich erst infolge des gestiegenen Zinsfußes zu einer Kapitalanlage
veranlaßt sehen, ist relativ wenig an der Verzinsung ihrer Kapi-
talien gelegen: sie hatten früher die Möglichkeit, einen nur wenig
niedrigeren Kapitalgewinn als jetzt zu erzielen, sie zogen es aber
vor, einen entsprechenden Betrag zu konsumieren.
Wenn man eine Vermehrung der Ersparnisse im eigenen
Interesse der Sparer wünscht, so denkt man besonders an die
Personen mit niedrigem und schwankendem Einkommen. Es liegt
auf der Hand, daß in diesen Fällen die Erhöhung des Zinsfußes
von geringerer Bedeutung ist, da, wie schon früher ausgeführt, die
kleineren Sparer nicht so sehr an den Zinsgewinn aus ihrem Ka-
pital denken als daran, sich für Zeiten dringenderen Bedarfes etwas
zurückzulegen.
Auch in der gesicherten Verzinsung der Staatsanleihen
kann ein erheblicher Vorteil für die Sparer nicht erblickt werden,
denn es besteht heute vielfach Gelegenheit, Kapitalien annähernd so
sicher wie in Staatspapieren anzulegen, in mündelsicheren Pfand-
briefen, Hypotheken etc. Für die große Masse der Bevölkerung ist
die Benutzung der Sparkassen oder die Deponierung des Geldes bei
Banken im allgemeinen geeigneter als der Kauf von Staatspapieren,
die zwar eine etwas höhere Verzinsung gewährleisten, aber Kapital-
verluste nicht ausschließen. Die Sparkassen ihrerseits sind nur in
geringerem Grade auf den Erwerb von Staatsanleihen angewiesen,
sie müssen zur Erhaltung ihrer Liquidität nur einen Teil ihrer Ein-
lagen in Inhaberpapieren anlegen. Die preußischen Sparkassen hatten
im Jahre 1911 nur 23 Proz. ihres Vermögens in Inhaberpapieren
angelegt, etwa 12 Proz. entfielen auf Anlagen bei öffentlichen In-
stituten und Korporationen (zum größten Teil Gemeinde-, Schul-
verbände etc. und Kreisverwaltungen). 1908 betrugen die Anlagen
in Schuldverschreibungen des Reiches und Preußen nur reichlich
1 Milliarde M. oder 101/, Proz. des Vermögens!). Die Sparkassen
in den nichtpreußischen Bundesstaaten (mit Ausnahme von Hessen
und Braunschweig) hatten im Jahre 1907 nur 171/, Proz. ihres Ver-
mögens in Reichs-, Staats- und Kommunalanleihen angelegt oder
direkt an Kommunen ausgeliehen?). Die Anlagen aller deutschen
Sparkassen absorbierten in demselben Jahre nur 81/, Proz. der
Reichsanleihen und 8 Proz. der bundesstaatlichen Anleihen 3). —
1) Zeitschrift des Preußischen statistischen Landesamtes, 1910, Bd. 50, S. 302.
2) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 4, S. 265.
3) Ebenda, S. 244
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 457
Wenn heute eine gesetzliche Verpflichtung der Sparkassen, einen
Teil ihrer Einlagen in Staatspapieren anzulegen, angestrebt wird, so
geschieht dies nicht nur im Interesse dieser Institute, sondern auch
um eine günstige Beeinflussung des Kursstandes der Anleihen her-
beizuführen. Selbst wenn die Sparkassen 20 Proz. oder gar 30 Proz.
der Einlagen zum Ankauf von Staatspapieren verwenden müssen, so
würde immerhin erst ein Bruchteil der Staatsschuldscheine unter-
gebracht sein.
Eine Rücksichtnahme auf die Sparer kann also unter den
heutigen Verhältnissen eine Vermehrung der Staatsschuld oder auch
nur eine langsamere Tilgung bestehender Schulden nicht recht-
fertigen.
Ist bisher die Berechtigung der Anleihen nach allgemeinen
Gesichtspunkten betrachtet, so soll im folgenden geprüft werden,
wieweil diejenigen Lehren gerechtfertigt sind, die die Zweckdienlich-
keit einer Schuldenaufnahme nach dem speziellenVerwendungs-
zwecke der Anleihen beurteilen.
Die wichtigste Rolle, sowohl bei der theoretischen Auseinander-
setzung über diesen Gegenstand als auch in der Praxis, spielt die
Scheidung der Anleihen in solche zu werbenden und zu nicht-
werbenden Zwecken. Für Aufwendungen zu nichtwerbenden
Zwecken wird die Kreditdeckung nur ausnahmsweise gestattet, wäh-
rend dieselbe für werbende Aufwendungen vielfach als Regel oder
doch als zulässig gilt. Man argumentiert so: Die werbende Ausgabe
verschaffe dem Staate in den kommenden Jahren Einnahmen, die
noch über die erforderliche Verzinsung des Schuldkapitals hinaus-
gehen. Da die Zinsen einer aufzunchmenden Schuld aus dem Ertrage
des Unternehmens gedeckt werden, bedürfe es nicht der Erschließung
einer neuen Steuerquelle. Dieser Folgerung liegt die Auffassung zu-
grunde, daß Staatswirtschaft und Volkswirtschaft weitgehend von-
einander unabhängig seien: Der Staat erhalte aus dem Gewinn der
privatwirtschaftlichen Unternehmungen einen gewissen Betrag, den
er wiederum für Staatszwecke — als Anleihezinsen — verausgaben
könne. Nun bedeutet aber die Aufnahme einer Anleihe zu wer-
benden so gut wie zu nicht werbenden Zwecken immer die Verschie-
bung einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft unter einer ent-
sprechenden Erhöhung des Gesamtaufwandes. Wenn bei einer wer-
benden Anleihe auch die Schuldzinsen aus den Erträgnissen des
Unternehmens aufgebracht werden, so sind doch in Zukunft um den
Betrag der Anleihezinsen höhere Steuern erforderlich, als wenn kein
Kredit beansprucht wäre, sondern die Kapitalien des Unternehmens
sofort durch Steuern beschafft wären.
Eine werbende Ausgabe könnte höchstens darum eher als eine
nichtwerbende zur Aufnahme einer Anleihe berechtigen, weil die
für die Zukunft zu erwartenden Erträgnisse des Unternehmens eine
458 Arthur Friedmann,
Mehrung des Volkswohlstandes bedeuten, und weil die (künftige)
Deckung des Bedarfs aus den Einkünften eines Erwerbsunternehmens
gewisse Vorzüge vor der (jetzigen) Steuerdeckung hat. Die in Aus-
sicht stehenden Erträgnisse der staatlichen Unternehmungen werden
aber im allgemeinen eine im Vergleich zu der ohnedies zu erwartenden
Steigerung des Nationaleinkommens geringe Mehrung des Volks-
wohlstandes darstellen; selbst jene größere, unabhängig von irgend-
welchen staatlichen Kapitalanlagen zu erwartende Wohlstandssteige-
rung gäbe nach unseren früheren Auseinandersetzungen keinen ge-
nügenden Anlaß, eine jetzt erforderliche Steuerleistung auf die Zu-
kunft zu verschieben. Und was den zweiten Punkt, die Vorteile einer
Bedarfsdeckung aus den Einkünften eines Erwerbsunternehmens vor
eigentlichen Steuern anbetrifft, so haben allerdings die Erwerbsein-
künfte speziell vor direkten Steuern den Vorzug, daß die Belastung
weniger empfunden wird, und Steuerhinterziehungen nicht möglich
sind. Immerhin ist es gerade bei den wichtigsten privatwirtschaft-
lichen Unternehmungen des Staates, den Eisenbahnen, fraglich, ob
es zweckmäßig ist, höhere Ueberschüsse aus denselben anzustreben,
da die Kosten der einzelnen Beförderungsleistung aus betriebstech-
nischen Gründen bei niederen Tarifen und stärkerem Verkehr ge-
ringer sind.
Vom Jahre 1892 bis zum Jahre 1912 vermehrte sich die Schulden-
last in Preußen um annähernd 4 Milliarden M. Wenn die neuen An-
leihen auch nicht sämtlich zu werbenden Zwecken aufgenommen
wurden (die Eisenbahnschuld stieg in der gleichen Zeit nur um 1,8
Milliarden M.), so wurde doch in den 20 Jahren allein das Anlage-
kapital der Eisenbahnen um über 4 Milliarden M. vergrößert. Bei
der Höhe dieser Summen mochte es in der Tat zweckmäßig sein,
wenigstens einen Teil derselben auf dem Kreditwege zu decken.
Es hätten bei der sofortigen Erhebung einer Steuer die Steuer-
sätze sehr viel höher sein müssen, als dies bei der Verschiebung der
Deckung auf die Zukunft trotz der dann zu zahlenden Schuldzinsen
nötig war, da später ein Teil der Staatsausgaben aus den Einkünften
der Eisenbahnen bestritten werden konnte. — Wenn eine werbende
Ausgabe ungewöhnlich hohe Mittel erfordert, und das Gesamtbudget
des betreffenden Jahres in außerordentlicher Weise belastet, so ist
wie bei irgendeiner anderen nichtwerbenden Ausgabe die Aufnahme
einer Anleihe, durch die eine Verteilung der Belastung auf eine Reihe
von Jahren erreicht wird, gestattet.
Scheint also unter den heutigen Verhältnissen die Aufnahme
einer Anleihe auch zu werbenden Zwecken im allgemeinen nicht be-
rechtigt, so wäre es doch dann, wenn bereits unter Berücksichtigung
aller iu Betracht kommenden Umstände eine zweckdienliche Ver-
teilung der Lasten auf Gegenwart und Zukunft durch Feststellung
einer jährlichen Tilgungssumme erreicht ist, angezeigt, eine neu hin-
zukommende werbende Ausgabe auf Anleihe zu nehmen, — wäre
doch unter der angeführten Voraussetzung die Belastung der Gegen-
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen, 459
wart schon so erheblich, daß man eine stärkere Tilgung von An-
leihen für unzweckmäßig hält.
Es ist häufig die Ansicht geäußert worden, daß nicht nur Aus-
gaben, die eine direkte Verzinsung verheißen, auf Anleihe genommen
werdeu dürfen, sondern auch Ausgaben, die auf andere Weise eine
Hebung des Wohlstandes und eine Steigerung der Steuerkraft zur
Folge haben (staatswirtschaftlich produktive Ausgaben, beispiels-
weise die Aufwendungen für die Ablösung der Grundlasten oder für
Stromregulierungen oder die Kosten einer großen Verwaltungsre-
form)!). In Sachsen ist nach Heckel seit der Mitte der siebziger
Jahre das außerordentliche Budget auch für Ausgaben zugelassen,
die zur Vermehrung und Sicherstellung des Nationalwohlstandes bei-
tragen?). — Nach unseren früheren Ausführungen würde die vor-
aussichtliche Steigerung des Volkswohlstandes unter Umständen die
Aufnahme einer Anleihe rechtfertigen, ganz gleich, ob die Steigerung
des Wohlstandes auf die Verwendung jener Kapitalien, deren Deckung
die Anleihe dienen soll, zurückzuführen ist, oder ob sich die voraus-
sichtliche Hebung der wirtschaftlichen Lage unabhängig von der
Verwendung bestimmter Kapitalien von seiten des Staates vollzieht.
Man könnte einwenden: der Erfolg einer staatlichen Kapitalauf-
wendung sei häufig mit Sicherheit zu erwarten, hingegen könne
mit einer Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse unabhängig von
einer bestimmten staatlichen Kapitalaufwendung zwar mit einiger
Wahrscheinlichkeit, aber doch nicht ganz zuverlässig, gerechnet
werden. Dem wäre entgegenzuhalten, daß es allein darauf ankommt,
ob die Zukunft voraussichtlich reicher ist und imstande ist, die höhe-
ren Steuern aufzubringen. Dies dürfte eher in Anbetracht des Um-
standes erwartet werden, daß der Wohlstand in den letzten Jahr-
zehnten regelmäßig zunahm, und daß die Fortschritte der Technik
und die sich ständig verbessernde Organisation der Volkswirtschaft
das gleiche auch für künftige Jahre wahrscheinlich machen, als
etwa allein auf Grund der Tatsache, daß der Staat eine große Ver-
waltungsreform durchführt oder mehr Kapitalien in Eisenbahnen
oder Bergwerken investiert. Ebenso wie denjenigen Momenten, die
sonst auf eine Erhöhung der Lebenshaltung hinwirken, andere un-
günstige Momente entgegenwirken, können beispielsweise auch die
Erfolge einer Verwaltungsreform durch anderweitige volkswirtschaft-
liche Rückschläge (Wirtschaftskrisen, Kriege) mehr als ausgeglichen
werden.
Geger die Erhebung von Steuern speziell zur Deckung von Aus-
gaben zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken ist weiter der Einwand
erhoben worden, die Gegenwart sei nicht verpflichtet, die Kosten
1) Von Stein, Umpfenbach, Wagner, Nasse u.
2) Erläuterung zu dem Staatsbudget auf die J Sé 1876/77. Sächsischer Landtag
1875/76, Dekrete 2, S. 336.
460 Arthur Friedmann,
der Leistungen, die erst der Zukunft zugute kämen, auf sich zu
nehmen). Unseres Erachtens ist diese Tatsache an sich kein Grund,
die Bezahlung einer Ausgabe auf die Zukunft zu verschieben. Die
Berechtigung zu einer Anleihe könnte höchstens daraus entnommen
werden, daß die kommende Generation besser als die heutige in der
Lage wäre, die Mittel zu jenen Leistungen aufzubringen. Die Forde-
rung, daß jede Zeit diejenigen Leistungen bezahlt, die ihr selbst zu-
gute kommen, würde, soweit sich nicht im Laufe der Jahre die Höhe
der jeweils für die Zukunft erforderlichen Leistungen änderte, dahin
führen, daß in jedem Jahre erstens die Mittel, die zur Bestreitung
der Aufwendungen des Jahres erforderlich sind, aufgebracht werden
müssen, außerdem aber noch die Zinsen der in den vergangenen
Jahren aufgenommenen Anleihen?). In der Tat wird niemand den
Gedanken konsequent durchführen wollen, daß die Gegenwart die
heute erforderlichen Leistungen nur soweit zu bezahlen habe, als sie
den Zwecken der Gegenwart dienen, und daß die Zukunft einen
ihrem Genuß an den gegenwärtigen Leistungen entsprechenden An-
teil aufbringen soll. Gibt es doch bald keinen Konsum, an dessen
Hervorbringung nicht auch die Vergangenheit direkt oder indirekt
einen Anteil hat und andererseits kaum eine staatliche Leistung, die
nicht teilweise auch der Zukunft zugute kommt. So erschöpfen sich
die jetzigen Ausgaben für das Heer in ihrer Wirkung nicht in der
Gegenwart. Nicht allein Festungen und Waffen bleiben jahrelang
brauchbar, auch die Kosten der Rekrutenausbildung sollen deren
Wehrhaftigkeit auf Jahre hinaus gewährleisten. Man denke weiter
an die Aufwendungen für Schulunterricht, für Straßenbau und für
Gesundheitspflege. — Wenn allerdings nach einer einmaligen erheb-
lichen Kapitalaufwendung des Staates in den kommenden Jahren
voraussichtlich nur noch relativ geringere Ausgaben erforderlich sind,
oder als Folge jener Kapitalaufwendungen eine derartig günstige
Entwicklung des Wohlstandes zu erwarten steht, daß die Summen
zur Verzinsung und Tilgung der Anleihen in Zukunft relativ leicht
aufgebracht werden können, so ist, wie wir dies wiederholt ausge-
führt haben, die Aufnahme einer Anleihe gerechtfertigt.
Die Forderung, daß die Aufnahme von Staatsanleihen nur in
seltenen Fällen zu gestatten sei, gilt vornehmlich für die wirtschaft-
1) Z. B. Wagner, Finanzwissenschaft, 3. Aufl., 1883, 1. Teil, S. 152.
2) Würden z. B. in einem Staatswesen jährlich 100 Mill. M. Aufwendungen er-
forderlich sein, von denen die Hälfte auch der Zukunft und zwar durchschnittlich auf
10 Jahre zugute käme, so wäre jedes Jahr eine Anleihe von 50 Mill. M. aufzunchmen,
die innerhalb 10 Jahre zu tilgen wäre. Es würden also jedes Jahr neben der Auf-
nahme von 50 Mill. M. neuer Schulden 50 Mill. M. früherer Schulden zu tilgen sein.
Der Schuldenstand würde ständig 250 Mill. M. betragen (5 Mill. M. vor 9 Jahren auf-
genommener Schulden, 10 Mill. M. vor 8 Jahren, 15 Mill. M. vor 7 Jahren aufge-
nommener Schulden ete.). Es kämen so bei einer 4-proz. Verzinsung der Anleihen zu
den Gesamtausgaben von jährlich 100 Mill. M. noch 10 Mill. M. für die Verzinsung
der Schulden hinzu.
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 461
lich fortgeschrittenen Staaten. In den wirtschaftlich wenig ent-
wickelten Ländern liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Hier
handelt es sich im allgemeinen um die Aufnahme äußerer An-
leihen. Der Zinsfuß der Anleihe ist durchweg höher, die Belastung
der Zukunft also entsprechend größer. Andererseits bewirken die
äußeren Anleihen im Gegensatz zu den inneren keine Entziehung
inländischer Kapitalien und veranlassen keine Steigerung des ein-
heimischen Zinsfußes, im Gegenteil wären diese ungünstigen Folgen
eher bei Erhebung einer Steuer zu befürchten (siehe S. 446). — In
den wirtschaftlich zurückgebliebenen Ländern kann eine Schulden-
aufnahme aus mancherlei Gründen angezeigt sein. Ein Land, das
im Beginne einer intensiven Entwicklung steht, bedarf relativ großer
Kapitalaufwendungen. Wenn der Staat beispielsweise selbst Eisen-
bahnen baut, so sind in den ersten Jahren sehr hohe Aufwendungen
erforderlich; da für später mit relativ geringeren Ausgaben ge-
rechnet werden kann, würde sich die Verteilung der Steuerlasten
auf mehrere Jahre mittels Aufnahme einer Anleihe rechtfertigen.
Auch wird in wirtschaftlich wenig erschlossenen Ländern eine Ka-
pitalinvestierung oft für das gesamte Wirtschaftsleben einen un-
gleich größeren Erfolg zeitigen als in kapitalreicheren Ländern; das
gilt besonders für Eisenbahnbauten. Bei der voraussichtlich starken
Hebung des Wohlstandes dürften eher Steuerleistungen auf die Zu-
kunft verschoben werden. — Endlich ist noch Folgendes zu berück-
sichtigen: Nach den früheren Ausführungen (S. 440) ist für die
Aufnahme einer Anleihe nur dann die voraussichtliche Entwicklung
des Volkswohlstandes entscheidend, wenn der Staat tatsächlich im-
stande ist, einen erheblichen Teil des Nationaleinkommens in Form
von Steuern seinen Zwecken zuzuführen. Bei vorwiegender Natural-
wirtschaft, sowie auch sonst bei einer ungenügenden Ausbildung
des Finanzwesens ist dies nun keineswegs möglich. Unter solchen
Verhältnissen müssen die Staatsfinanzen viel unabhängiger von der
allgemeinen Wirtschaftslage betrachtet werden. Es ist weniger Ge-
wicht darauf zu legen, ob für die nächsten Jahre eine Steigerung
des allgemeinen Wohlstandes zu erwarten ist als darauf, ob die Ein-
nahmequellen des Staates für die kommenden Jahre eine größere
Ergiebigkeit versprechen, sei es, daß man auf höhere Erträgnisse
einer direkten oder indirekten Besteuerung rechnen kann, oder auch,
das Ueberschüsse aus neu gegründeten erwerbswirtschaftlichen Unter-
nehmungen zu erwarten sind.
Zum Schluß wollen wir kurz darauf hinweisen, daß sich aus
Gründen der praktischen Politik gegen die Einschränkung der
Schuldenaufnahme Bedenken geltend machen können. Es wurde in
den früheren Auseinandersetzungen die Frage nach der Berechti-
gung von Anleihen stets so formuliert: Ist die Deckung irgendeines
Aufwandes durch eine’ Steuer oder durch eine Anleihe vorzuziehen ?,
dabei wurde vorausgesetzt, daß über die Zweckdienlichkeit der be-
462 Arthur Friedmann,
treffenden Ausgabe selbst kein Zweifel bestehe. Wenn wir in vielen
Fällen die Deckung durch eine Anleihe verwarfen, so galt dies eben
nur unter der Voraussetzung, daß anstelle der Anleihedeckung eine
Steuerdeckung treten würde. In der Praxis würde nun die Gefahr
bestehen, daß wichtige Aufwendungen, für die die Deckung auf
dem Kreditwege nicht gestattet wird, ganz unterlassen werden.
Die allgemeine Neigung zu Anleihen erklärt sich nicht so sehr aus
falschen theoretischen Vorstellungen über die Bedeutung der Staats-
schulden, ihre Wirkung auf den Wohlstand und die Einkommens-
verteilung, als daraus, daß die maßgebenden Kreise daran inter-
essiert sind, die Gegenwart weniger als die Zukunft zu belasten, und
daß die Regierung sowohl wie die politischen Parteien mit Rücksicht
auf die Wähler die Erhebung neuer Steuern zu vermeiden suchen.
Oft wird auch die steuerliche Deckung in der Praxis darum Schwierig-
keiten haben, weil zwischen den einzelnen Parteien über die Art der
Steuer keine Einigkeit erzielt wird. — Es ist häufig betont worden,
daß der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahrzehnte zum
guten Teil durch den Kredit gewährleistet worden sei, — es wurde
auf die Entwicklung der Staatseisenbahnen und auf die Leistungen
der Kommunen, die durch die Inanspruchnahme des Kredits ermög-
licht wurden, hingewiesen. Wenn auch unseres Erachtens mindestens
ein erheblicher Teil dieser Aufwendungen besser durch Steuern be-
schafft wäre, so ist es doch zutreffend, daß eine Deckung dieser
Ausgaben auf dem Schuldenwege ungleich vorteilhafter als ein voll-
ständiger Verzicht auf dieselben war.
Fassen wir nunmehr die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit-
zusammen, so können wir sagen: Die Aufnahme von Staatsschulden
ist nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die betreffenden Mittel
einschließlich der erforderlichen Verzinsung in künftigen Jahren
leichter als in der Gegenwart aufzubringen sind, sei es, daß eine
entsprechende Steigerung des allgemeinen Wohlstandes erwartet
werden darf, sei es, daß aus einem anderen Grunde in der Zukunft
mit einer leichteren Aufbringung der Summen gerechnet werden kann.
Dabei ist es gleichgültig, ob die voraussichtliche Steigerung des Wohl-
standes resp. die Mehrung der Staatseinkünfte eine Folge derjenigen
Kapitalanlage ist, deren Deckung die eventuell aufzunehmende An-
leihe dienen soll, oder ob die Besserung der wirt schaftlichen Verhält-
nisse unabhängig davon erfolgt.
Auch unter den angeführten Bedingungen ist im einzelnen Falle
die Aufnahme einer inneren Anleihe unzulässig, wenn eine re-
lativ starke Steigerung des allgemeinen Zinsfußes und damit eine
unerwünschte Einkommensverschiebung zugunsten der Kapitalbe-
sitzenden, sowie eine Inanspruchnahme der sonst produktiven Zwecken
dienenden Kapitalien zu befürchten ist.
In Anbetracht der Wohlstandsentwicklung in Deutschland wäh-
rend der letzten beiden Jahrzehnte läßt sich mit einer künftigen
Ueber die Bereehtigung von Staatsanleihen. 463
Steigerung des Durchschnittseinkommens um etwa 1 Proz. jährlich
rechnen. Trotz dieser Wohlstandssteigerung würde die Aufnahme
einer Anleihe bei der Höhe des heute herrschenden Zinsfußes eine
so empfindliche finanzielle Belastung der Zukunft zur Folge haben,
daß auch dann, wenn jene anderen nachteiligen Wirkungen der
Schulden nur in geringerem Umfange zu befürchten sind, von der
Aufnahme einer Anleihe im allgemeinen Abstand genommen werden
soll. Nur bei besonders großen staatlichen Kapitalaufwendungen, die
für die Zukunft hohe Einkünfte aus Erwerbsunternehmen in Aus-
sicht stellen, käme eine Beanspruchung des Kredites in Frage.
Außerdem wäre in den Fällen, in denen der gesamte Staatsbedarf
in einem einzelnen Jahre ungewöhnlich hoch ist, und so ein Teil der
Summe trotz der für die Verzinsung erforderlichen Mehrleistung
in künftigen Jahren leichter als in der Gegenwart aufgebracht werden
kann, die Aufnahme einer kurzfristigen Anleihe zulässig.
464 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
III.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreichs.
(Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und
Länder.)
Von Dr. Walther Stöwesand.
Jahr 1912.
Staatsvertrag vom 3. Jänner 1912 zwischen Oesterreich-Ungarn
und Hessen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, welche sich aus
der Anwendung der für Oesterreich bzw. für Hessen geltenden Steuer-
gesetze ergeben könnten. Art. 1—9 S. 351—353.
Der Grundbesitz und der Gewerbebetrieb mit Ausnahme des Hausier- und Wander-
gewerbes, sowie das Einkommen daraus werden nur in dem Staate zu den direkten Steuern
herangezogen, in dem der Besitz liegt oder das Gewerbe betrieben wird. Art. 1 u. 7.
Gesetz vom 17. April 1912, betr. die Abänderung der bei der Ein-
fuhr von Tabak und Tabakfabrikaten zu entrichtenden Lizenzgebühr.
S. 273 u. 274.
Für Zigaretten 60 Kronen] pro 1 kg des der Ver-
» Zigarren Zë „u zollung unterliegenden
„ andere Tabakfabrikate und Rohstoffe 80 ,„ Nettogewichtes
Verordnung vom 22. Oktober 1912, mit welcher die gewerbsmäßige
Ausübung der Luftschiffahrt an eine Konzession gebunden ist. S. 1131.
Gesetz vom 30. November 1912 über den Einfluß der höheren
Gewalt auf die Vornahme wechselrechtlicher Handlung. S. 1130.
Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 6. Februar 1911 zwischen
Oesterreich-Ungarn und Montenegro. S. 185—188.
Gesetz vom 7. März 1912, betr. die Ausprägung von Zweikronen-
stücken und die weitere Ausprägung von Einkronenstücken. S. 215.
Art. II. Die Zweikronenstücke werden im Mischungsverhältnisse von 0,885 Silber
und 0,165 Kupfer ausgeprägt. Aus dem Kilogramm Münzsilber werden 100 Zwei-
kronenstücke ausgeprägt.
Gesetz vom 7. März 1912, wodurch das Ministerium der im Reichs-
rate vertretenen Königreiche und Länder ermächtigt wird, mit dem
Ministerium der Länder der heiligen ungarischen Krone einen Additional-
vertrag zum Münz- und Währungsvertrage in betreff der Ausprägung
von Zweikronenstücken und der weiteren Ausprägung von Einkronen-
stücken abzuschließen. S. 216 u. 217.
Verordnung vom 14. Mai 1912, betr. die Ausgabe von Zweikronen-
stücken der Kronenwährung. S. 327.
Niemand, außer den öffentlichen Kassen, ist verpflichtet, von den Zweikronen-
stücken mehr als 50 Kronen in Zahlung zu nehmen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 465
Gesetz vom 29. Juli 1912, betr. die Haftung für den Zusammen-
stoß von Schiffen und die Ansprüche für Hilfeleistung und Bergung in
Seenot. S. 689—691, Art. 1—20.
Protokoll vom 17. März 1912, betr. die Verlängerung der durch
die Zuckerkonvention vom 5. März 1902 geschaffenen internationalen
Vereinigung. S. 693—697.
Notenwechsel zwischen Oesterreich-Ungarn und Portugal vom
8. Juli 1911, betr. die provisorische Regelung der Handels- und Ver-
kehrsbeziehungen. S. 893—896.
Gesetz vom 12. August 1912, betr. die Aufrechterhaltung der
Dampfschiffahrt auf der Donau. S. 915—919.
Die Erste k. k. private Donaudampfschiffahrtsgesellschaft erhält für 1912—1936
eine jährliche Subvention von 1300000 Kronen.
Verordnung des Handelsministeriums vom 19. August 1912, womit
Bestimmungen über die Zulassung der Seehandelsschiffe zum Betrieb,
über Sicherheitsvorkehrungen und den Dienst an Bord getroffen werden,
S. 921—1030.
Gesetz vom 27. Juli 1912, betr. die Donauregulierung im Erz-
herzogtum Oesterreich unter der Enns. S. 1041—1045.
Die Regulierung ist bis zum 31. Dezember 1919 durchzuführen. Die Kosten sind
mit rund 49 Mill. Kronen veranschlagt.
Verordnung vom 12. September 1912, mit der die Durchführungs-
verordnung zum Gesetze, betr. die Regelung der Sonn- und Feiertags-
ruhe im Gewerbebetriebe, teilweise abgeändert und ergänzt wird.
H 1063—1081.
Verordnung vom 14. September 1912, mit welcher die auf Grund
des $ 74a der Gewerbeordnung erlassenen besonderen Bestimmungen be-
züglich der Arbeitspausen im Gewerbebetriebe teilweise abgeändert
werden. H 1081—1085.
Verordnung vom 18. September 1912, betr. die Veranstaltung
öffentlicher Schaustellungen mittels eines Kinematographen. S. 1089
—1103.
Gesetz vom 29. April 1912, betr. die Unfallversicherung bei bau-
gewerblichen Betrieben. S. 333.
Das Gesetz vom 28. Dezember 1887 wird ausgedehnt auf Arbeiter und Betriebs-
beamte auf Bauten, jedoch erstreckt sich die Versicherung bei Anstreicher-, Glaser-,
Installations-, Tischler-, Schlosser- und Spenglergewerben nur auf die am Bau ausge-
führten Arbeiten.
Gesetz vom 26. April 1912, betr. das Baurecht. $$ 1—20
S. 276—279.
$ 1. Ein Grundstück kann mit dem dinglichen, veräußerlichen und vererblichen
Rechte, auf oder unter der Bodenfläche ein Bauwerk zu haben, belastet werden (Bau-
recht). — $ 3. Es kann nicht auf weniger als 80 und nicht auf mehr als 80 Jahre
bestellt werden. — $ 5. Es entsteht durch die bücherliche Eintragung. — $ 6. Es
gilt als unbewegliche Sache, das Bauwerk als Zugehör des Baurechtes.
Kundmachung vom 9. Februar 1912, mit welcher ein neues Statut
des Staatlichen Wohnungsfürsorgefonds für Kleinwohnungen verlautbart
wird. S. 137—149.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 30
466 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Art. 2. Die Dotation des Fonds beträgt für die Jahre 1911 und 1912: 8500000 K.,
1918: 1800000 K., 1914: 1500000 K., 1915: 22000000 K., 1916—1918: je 2500000 K.,
1919 und 1920: je 3500000 K. und 1921: 4000000 K. — Art. 8. Als Kleinwohnungen
gelten baulich in sich abgeschlossene Wohnungen, deren bewohnbare Fläche (Wohn-
zimmer, Wohnkammern und bewohnbare Küchen) mit Ausschluß der Nebenräume (Vor-,
‚Speise-, Badezimmer usw.) 80 qm nicht übersteigt. — Art. 11. Die Kredithilfe darf
90 Proz. des Wertes der Liegenschaft unter Einrechnung sämtlicher im Range vorgehenden
Hypotheken nicht übersteigen. — Art. 18. Zur Ermittlung der Höhe des Darlehens
werden Schätzungen des Objektes durch staatliche Organe vorgenommen. — Art. 19.
Der Zinsfuß wird nach dem Durchschnitt des jeweils üblichen Hypothekarzinsfuß der
bedeutendsten Sparkassen und Kreditinstitute Oesterreichs berechnet. Die Amortisation
soll in der Regel JL Proz. betragen. — Art. 24. Die Darlehen sind halbjährlich
kündbar. — Art. 80. Voraussetzung der Beleihung ist Gemeinnützigkeit, d. h. sie muß
zur Verbesserung der Wohnverhälinisse der minderbemittelten Bevölkerung dienen.
Verordnung vom 9. Februar 1912, betr. die Gewährung von künd-
baren, verzinslichen Vorschüssen an gemeinnützige Bauvereinigungen
gemäß dem Gesetze vom 28. Dezember 1911 über die Förderung der
Wohnungsfürsorge. S. 150 u. 151.
Art. 1. Die Gewährung erfolgt, wenn zur Abhilfe der Wohnungsnot die Ver-
einigung für ihre Mitglieder Häuser bauen muß und sie zur Durchführung nicht ge-
nügende Mittel hat. Sie muß aber über ein eigenes Vermögen von 5 Proz. der gesamten
Gestehungskosten verfügen und dieses für das Bauprojekt aufwenden. — Art. 8. Die
Vorschüsse des Staates sind mit 3 Proz. zu verzinsen.
Verordnungen vom 9. Februar 1912,
1. betr. die Gemeinnützigkeit der Bauvereinigungen und deren
Ueberwachung. S. 151.
2. betr. die Durchführung der gebührenrechtlichen Bestimmungen
des Gesetzes vom 28. Dezember 1911 über Steuer und Gebühren-
begünstigungen für gemeinnützige Bauvereinigungen. S. 151—156.
Gesetz vom 17. Mai 1912, betr. die Abänderung des allgemeinen
Berggesetzes vom 23. Mai 1854 hinsichtlich der Regelung der Lohn-
zahlung beim Bergbau. S. 361 u. 362.
Der Bergbauunternehmer hat seinen Arbeitern den Lohn künftig wenigstens alle
1} Tage auszuzahlen, und zwar bar. Die zur Löhnung erforderliche Zeit ist in die
regelmäßige Schichtdauer einzurechnen. Die Auszahlung darf nicht in Gast- und
Schankwirtschaften erfolgen.
Gesetz vom 21. Dezember 1912, betr. die Stellung der Pferde und
Fuhrwerke. S. 1187—1192.
Gesetz vom 26. Dezember 1912, betr. die Kriegsleistungen.
S. 1192—1199.
Gesetz vom 26. Dezember 1912, betr. den Unterhaltsbeitrag für
Angehörige von Mobilisierten. S. 1201—1203.
Jahr 1913.
Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 28. Oktober 1912 zwischen
Oesterreich-Ungarn und Japan. 23. Artikel S. 355—365.
Art. 1. Die Angehörigen jedes Staates können sich mit ihren Familienangehörigen
in dem anderen Staate aufhalten, insbesondere zur Berufsausübung, zum Erwerb von
Grundstücken zu Niederlassungs-, Handels-, gewerblichen, industriellen und anderen
erlaubten Zwecken.
Art. 5. Es besteht gegenseitige Freiheit des Handels und der Schiffahrt in
gleicher Weise, wie sie die den Angehörigen der meistbegünstigten Nation gewährt wird.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 467
Art. 6. Die Boden- und Gewerbserzeugnisse genießen bei ihrer Einfuhr die
niedrigsten Zollsätze, die irgendeinem anderen Staate schon zustehen.
Art. 11. Handelsgesellschaften sind in dem anderen Staate befugt, als Partei vor
Gericht aufzutreten.
Art. 16. Schiffe, die den regelmäßigen Postdienst versehen, genießen in den
TOTEN die gleichen Vorrechte wie die gleichen Schiffe der meistbegünstigten
aton.
Art. 23. Der Vertrag gilt bis zum 81. Dezember 1917. Darüber hinaus bleibt er
bis zum Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt ab in Wirksamkeit, an dem ein Teil
ihn gekündigt haben wird.
Gesetz vom 2. Jänner 1913, betr. die Errichtung von Ingenieur-
kammern. 25 Paragr. S. 5—8.
$ 1. Zum Zwecke der Vertretung des Standes der behördlich autorisierten Privat-
techniker und Bergbauingenieure, zur Förderung der Interessen und zur Wahrung der
Standesehre dieser Berufskreise werden Ingenieurkammern errichtet.
Gesetz vom 3. Jänner, betr. Steuer- und Gebührenerleichterungen
für Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und Vorschußkassen.
4 Art. S. 10—12.
Gesetz vom 3. Jänner, betr. die Aufhebung des Zahlenlottos und
die Einführung der Klassenlotterie. 6 Paragr. S. 315 u. 316.
$ 2. Mindestens 70 Proz. des Spielkapitals kommen zur Gewinnverteilung.
$ 3. Der Betrieb des Zahlenlottos ist allmählich einzuschränken und nach Ab-
lauf eines Jahres, nachdem die Klassenlotterie einen Jahresreinertrag von mindestens
20 Mill. Kronen ergeben hat, spütestens nach Ablauf von 10 Jahren vom Zeitpunkte der
Einführung dieser Klassenlotterie gänzlich einzustellen.
Verordnung des Finanzministeriums vom 7. Februar 1913, betr.
die Schlußeinheiten der an den inländischen Börsen (Wien, Prag und
Triest) notierten Effekten als Grundlage für die Bemessung der Effekten-
umsatzsteuer. 3 Anlagen. S. 23—33.
Gesetz vom 11. Februar 1913, betr. die Ausdehnung der Kranken-
versicherung auf die Betriebe der Seeschiffahrt und Seefischerei und
die Krankenfürsorge für die in diesen Betrieben erwerbstätigen Per-
sonen. 18. Art. S. 41—45.
Gesetz vom 11. Februar 1913, betr. die Ausdehnung der Unfall-
versicherung auf die Betriebe der Seeschiffahrt und Seefischerei.
23. Art. S. 45—49.
Gesetz vom 17. März 1913, womit das Gesetz vom 6. Jänner 1890,
RGBl. No. 19, betr. den Markenschutz, ergänzt und abgeändert wird.
7 Art. S. 213.
Verordnung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten vom 22. April
1913, betr. die internationale Markenregistrierung. 6 Paragr. u. Durch-
führungsvorschrift mit 11 Art. S. 213— 219.
Verordnung des Gesamtministeriums vom 31. März 1913, betr.
die Einführung der österreichischen Markenschutzgesetze bei den k. k.
Konsulargerichten und die Ausdehnung der Gerichtsbarkeit der Kon-
sulargerichte auf die selbständige Judikatur über die Vergehen gegen
diese Gesetze. S. 161.
Gesetz vom 21. April 1913, betr. die Abänderung und Ergänzung
des $ 74 der Gewerbeordnung. 4. Art. S. 285—286.
30*
468 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Jeder Gewerbeinhaber hat auf seine Kosten alle sanitären Vorkehrungen zu treffen,
insbesondere auch bezüglich der Arbeitsräume, Maschinen und Werkgerätschaften, die
bei dem Betriebe seines Gewerbes mit Rücksicht auf dessen Beschaffenheit oder die Art
der Betriebsstätte zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter er-
forderlich sind. Bei Beschäftigung von noch nicht 18 Jahre Alten sowie von Frauen
und Mädchen überhaupt ist die durch deren Alter oder Geschlecht gebotene Rücksicht
auf die Sittlichkeit zu nehmen.
Verordnung des Handelsministeriums vom 30. Mai 1913, betr. die
Einführung von Postauftragskarten.
Im Imlande jällige Forderungen bis zum Betrage von 10 K. können durch die
Post durch Postauftragskarten für 10 Heller eingezogen werden.
Staatsvertrag vom 3. Juli 1913 zwischen Oesterreich-Ungarn und
Bayern zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, welche sich aus der
Anwendung der für Oesterreich bzw. für Bayern geltenden Steuer-
gesetze ergeben könnten. 9 Art. S. 863—866.
Gesetz vom 6. Juli 1913, betr. die Befreiung der Notschlachtungen
von der Fleischsteuer. 3 Paragr. S. 427.
Gesetz vom 9. Juli 1913, betr. die Ermächtigung zur zeitweiligen
Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfuß-
erhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebühren-
erleichterungen. 7 Paragr. S. 399—400.
$ 1. Wenn infolge außergewöhnlicher politischer oder wirtschaftlicher Verhältnisse
ein allgemeines Steigen des Hypothekarzinsfußes eintritt, ist der Finanzminister für
die Dauer dieses Zustandes ermächtigt, die Anordnungen betr. Gebührenerleichterungen
bei Konvertierung von Geldschuldforderungen vorübergehend außer Kraft zu setzen mit
der Rechtswirkung, daß die Erhöhung des Hypothekarzinsfußes für sich allein eine
Verwirkung der Gebührenerleichterungen nicht nach sich zieht.
Verordnung vom 11. Juli 1913 zum vorstehenden Gesetz. 10 Paragr.
3 Tabellenmuster. S. 400—408.
Gesetz vom 1. September 1913, betr. die Abänderung des Gesetzes
vom 28. Dezember 1911 über die staatliche Förderung der Wohnungs-
fürsorge. 3 Art. S. 794. ;
Zum Zwecke der Gewährung kündbarer, verzinslicher Vorschüsse und kurzfristiger
Darlehen an gemeinnützige Bauvereinigungen wird ein Betrag von 2 Mill. Kronen
für diese spezielle Widmung dem staatlichen Wohnungsfürsorgefonds für Kleinwohnungen
in den Jahren 1918 und 1914 zugeführt.
Vorschuß kann gewährt werden, wenn zur Abhilfe der Wohnungsnot die Bau-
vereinigung einen Bau zu errichten genötigt ist, zu dessen Inangrifnahme die eigenen
Mittel nicht ausreichen.
Miszellen. 469
Miszellen.
XII.
Zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter.
Von Geh. Adm.-Rat a. D. P. Koch.
Gleichviel wie man sonst zur Frage der Sozialdemokratie sich stellt,
wird doch das Eine nicht bestritten werden können, daß weitaus der
größte Teil dieser kolossalen Wählermassen nicht aus klarer politischer
Erkenntnis ihren Fahnen folgt, sondern weil sie von ihr die Erfüllung
wirtschaftlicher Wünsche erhofft.
In der ältesten rohesten Form die Aufteilung, später der Ersatz
des Kapitalismus durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel, ein
wesentlich erhöhter Lohn und die Beteiligung am Gewinn, das waren
die Lockmittel, mit dem die urteilslose Masse veranlaßt wurde, den
neuen Götzen anzubeten, dessen Priester im übrigen, ohne diese Frage
des näheren zu erörtern, alle die Eigenschaften zeigen, durch die seit
Jahrtausenden diese Kaste bei allen Völkern niederer Kultur gekenn-
zeichnet war.
Auch in anderer Richtung gleicht die neue Botschaft einem niederen
Götzenglauben, denn keine ihrer Verheißungen vermag vor einer sach-
lichen Prüfung und Zergliederung standzuhalten.
In meiner Untersuchung über den „Arbeitslohn im Zukunftsstaat“
— Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, Bd. 4, Heft 3, Jena bei
Gustav Fischer — glaube ich den Nachweis erbracht zu haben, daß,
wie immer die Wirtschaftsordnung gestaltet sein möge, doch die Höhe
des Lohnes sich nach dem Wert des Arbeitsergebnisses bestimmen müsse,
und daß eine Nichtachtung dieses Tatbestandes lediglich eine Herab-
setzung des Geldwertes, also nur eine andere Benennung, keine Ver-
schiebung der Sachlage nach sich ziehen kann. Um die zulässige Höhe
des Lohnanteils zu erläutern, sei zunächst noch einmal darauf hinge-
wiesen, aus welchen Bestandteilen der Wert eines Arbeitsergebnisses sich
zusammensetzt, und wie hier gewisse, vielleicht um ein Geringes gegen-
einander verschiebliche, in der Hauptsache aber unabänderliche Be-
ziehungen obwalten.
Sehr einleuchtende Unterlagen in dieser Hinsicht finden sich in den
alljährlich vom Handelsministerium herausgegebenen: „Betriebsberichten
der preußischen Bergverwaltung“. Nach diesen Berichten setzen sich
beispielsweise die Kosten der Förderung einer Tonne Steinkohlen zu-
470 Miszellen.
sammen aus: „Ordentliche Ausgaben“, darunter Generalkosten, und unter
diesen: „Gesetzliche und freiwillige soziale Lasten und Steuern“, ferner
„Löhne, Materialien (darunter Holz) und Geräte“, sodann außerordentliche
Ausgaben, z. B. für Bauten. Die Gegenüberstellung der Einnahmen und
Ausgaben ergibt hierbei sehr häufig für einzelne Zechen die Notwendig-
keit eines Zuschusses, der nur durch die Ueberschüsse der anderen
Gruben und sonstigen Betriebe ausgeglichen werden kann. Im einzelnen
ergibt der Bericht, wie durch zweckmäßige Organisation des Betriebes
und Vervollkommnung der technischen Einrichtungen auf Herabminderung
der Selbstkosten Bedacht genommen wird. Hierher gehört z. B. die er-
weiterte Anwendung der maschinellen Abbauförderung, ferner die stärkere
Ausnutzung des Abdampfes der Maschinen sowie der Abhitze und Ab-
gase der Kokereien, die beispielsweise die Schachtanlagen mit elek-
trischer Energie versorgen, und sogar den angrenzenden Gemeinden
Strom zu liefern in der Lage sind.
Selbstverständlich arbeiten diese staatlichen Betriebe in erster Linie
zu dem Zweck, um Ueberschüsse zu erzielen, und diese für anderweite
staatliche Zwecke nutzbar zu machen; dieser Zweck würde in noch weit
höherem Maße zur Geltung kommen, wenn einmal die sämtlichen „Pro-
duktionsmittel verstaatlicht“ sein werden, und wenn es darauf ankommen
wird, mit dieser Verstaatlichung die heutige privatkapitalistische Wirt-
schaftsordnung abzulösen.
Immerhin erscheint der Bestandteil des neuen Wirtschaftsprogramms
der Erwägung wert, inwieweit es möglich sein würde, Teile des Ueber-
schusses zurückzubehalten und diese durch Zuwendung an die einzelnen
Arbeiter zu einer Erhöhung des Arbeitslohnes nutzbar zu machen. Es
würde dies, zumal unter der Herrschaft der neuen Wirtschaftsordnung,
natürlich nicht an den einzelnen Arbeitsstellen, sondern nur durch Aus-
schüttung des gesamten verfügbaren Ueberschusses an die Gesamtheit
der dabei beteiligten Arbeiter möglich sein.
Es ist in der heutigen Wirtschaftsordnung nicht ganz leicht, von
der Höhe dieses Ueberschusses eine Vorstellung zu gewinnen, immerhin
besteht die Möglichkeit einer Nachprüfung, da die industriell sich be-
tätigenden Aktiengesellschaften genötigt sind, ihre Betriebsergebnisse
in ihren Geschäftsberichten klarzulegen, und bei dieser Gelegenheit
die Prozentziffern ihrer Dividenden zur öffentlichen Kenntnis zu bringen.
Diese Prozentziffern erscheinen oft sehr hoch, 12, 15, selbst 20 und
25 Proz. sind kaum eine Seltenheit. Hierbei pflegt aber eins übersehen
zu werden. Diese Dividenden sind überall vom Nominalwert der Aktien
berechnet, während sich diese nur selten noch in der Hand des ersten
Erwerbers befinden. Ueberall muß sich der Eigentümer solcher Aktien
diese in seinem Vermögen nach ihrem Kurswert anrechnen, durch den
der hohe Dividendenanteil natürlich verkleinert wird. Wenn auch bei
dem in Aktien angelegten Kapital das größere Risiko nicht ohne Be-
deutung bleiben kann, so nähert sich doch bei ruhigen und sicheren
Unternehmungen die Kursdividende mehr und mehr der gewöhnlichen
Verzinsung des Leihkapitals, und es ist weiterhin zu beobachten, und
von Dipl.-Ing. Ernst Werner in seinen „Finanziellen Ergebnissen der
deutschen Maschinenbau-Aktiengesellschaften“ zahlenmäßig nachgewiesen
Miszellen. 471
worden, daß die Kursdividende eine allmählich fallende Linie zeigt. Es
würde dies die Annahme bestätigen, daß bei einer ruhigen wirtschaft-
lichen Entwicklung und demnach sinkendem Risiko der reine Renten-
genuß herabgeht, während anderseits der Arbeitsertrag und demgemäß
die Kaufkraft und der Gesamtwohlstand eine Steigerung erfahren.
Es muß an dieser Stelle davon abgesehen werden, die den vor-
stehend erläuterten Tatbestand beeinflussenden einzelnen Momente einer
näheren Prüfung zu unterziehen. Es liegt auf der Hand, daß die Firma
Krupp ihre Dividende fast nach freiem Ermessen bestimmen kann, weil
diese doch nur dem tatsächlichen Eigentümer des Werks zufließt; sie
kann hohe Bankguthaben stehen lassen, kann sehr nachhaltig abschreiben
und diese und jene Reserven für Sonderzwecke zurücklegen. Ander-
seits werden häufig Aktiengesellschaften genötigt sein, die Abschrei-
bungen und Reserven sehr klein zu halten, um die Aktionäre bei guter
Laune zu erhalten. Alle diese unbestreitbaren Tatbestände ändern daran
nichts, daß auch bei dem Preise der Aktien das Angebot nach der
Nachfrage sich regelt, und daß der wirkliche Gewinn des Unternehmens
nach dessen wirklichen Ergebnissen bestimmt werden muß. Ob das
Aktienkapital voll eingezahlt ist, oder ob hier sonstige besondere Ver-
hältnisse obwalten, ist gleichfalls für die vorliegende Untersuchung gleich-
gültig, es kommt nur darauf an, in tunlichst breitem Durchschnitt den
Nachweis zu erbringen, daß trotz allem zwischen der wirtschaftlichen
Leistung und dem wirtschaftlichen Erfolg, zwischen der Aussaat und
der Ernte, gewisse unabänderliche, gesetzliche Beziehungen obwalten.
Dieser Tatbestand würde immerhin nicht ausreichen, um den
Arbeiter zu überzeugen, daß der scheinbar untätige Kapitalist lediglich
dafür, daß er sein Geld in ein wirtschaftliches Unternehmen steckt,
von dem „Lohnsklaven“ die in der Dividende als der Zinszahlung
liegende Abgabe von dem Anteilserträgnis zu fordern berechtigt ist, es
würde deshalb notwendig sein, ihm diese Berechtigung in anderer Weise
zu erläutern.
An sich gehört ja freilich die Notwendigkeit einer Kapitalansamm-
lung für den Fortbestand und den Fortschritt unseres Wirtschaftslebens
zum ABC der Volkswirtschaftslehre, und es hieße dem Unverstand zu
viel Ehre erweisen, wenn man in dieser Richtung eine Begründung er-
bringen wollte. Es genüge, einen Satz aus Dr. Helfferichs vortreff-
licher Schrift: „Deutschlands Volkswohlstand 1888—1913“ hier wieder-
zugeben, der, wie folgt, lautet:
„Die ungeheuren Summen, die insbesondere der die technischen
Fortschritte voll verwertende Ausbau der deutschen Industrie erforderte,
waren . . . nur zu beschaffen durch die intensivste Heranziehung und
Ausnutzung der vorhandenen und neu erarbeiteten Kapitalien .....
Soweit... . das vorhandene Kapital ausreichte, gab es für die den Er-
fordernissen der Technik und der Rentabilität entsprechende Kombination
von Arbeit und Kapital kaum eine Grenze mehr. Jetzt konnten Be-
triebe und Betriebskomplexe entstehen, die viele tausend Arbeitskräfte
und arbeitende Kapitalien im Betrage von Hunderten von Millionen Mark
in sich vereinigen.“
472 Miszellen.
Nur als Beispiel für diesen Vorgang sei angeführt, daß die preu-
Bische Staatsregierung für die Erschließung staatlichen Besitzes an
Steinkohlenfeldern im Oberbergamtsbezirk Dortmund einen Kredit von
55000000 M. in Anspruch nahm, und daß hierbei bei einer einzigen
Schachtanlage die Gebäude und Wege rund 5,6 Mill. M., die Betriebs-
anlagen rund 9 Mill. M. erforderten, von denen allein der Bau der
Arbeiterkolonie rund 4,4 Mill. M. gekostet hat. In einer gewöhnlichen
Braunkohlengrube mit nur etwa 90 Mann Belegschaft wurden 230 000 M.
an Arbeitslöhnen verausgabt, ehe die erste Ausbeute erzielt werden
konnte; in einer anderen mußte nach -jähriger Arbeit und Veraus-
gabung von etwa 150000 M. an Arbeitslöhnen erkannt werden, daß
man des Wasserandranges nicht Herr wurde, und daß nichts anderes
übrig blieb, als die Anlage aufzugeben.
Es liegt auf der Hand, daß alle diese Arbeiten und Aufwendungen
erst geleistet werden mußten, ehe man daran gehen konnte, durch die
Ausbeute zwar einen Ertrag, zugleich aber den Arbeitern regelmäßige
Arbeitsgelegenheit zu geben, und hieraus erhellt, daß es volkswirtschaft-
lich geboten ist, von dem Ergebnis der Ausbeute entsprechende Beträge
zur Rücklage zu verwenden, weil die Kosten des Aufbaus erstattet, oder
mit anderen Worten, weil das dazu verausgabte Kapital durch die Ge-
winnerzielung wieder eingebracht werden mußte.
Daß die Arbeitslöhne — absolut betrachtet — nur gering sein
können, ist hiernach ein bedauerlicher, aber nicht aus der Welt zu
schaffender Notbestand. Es seien in Ergänzung der früheren Darlegung
noch einige Ziffern dafür angeführt, welches wirtschaftliche Brutto-
ergebnis an einem Arbeiter erzielt werden kann, und welchen Prozent-
betrag davon seine Entlohnung in Anspruch nimmt; mögen diese Ziffern
angesichts der leichteren Ausbeute an manchen Stellen, der besseren’
Verkaufsmöglichkeiten und anderer Umstände gewisse Verschiedenheiten
aufweisen, sie ändern nichts an dem Tatbestand, daß der Lohn im
Durchschnitt mehr als 40 Proz. des Erträgnisses in Anspruch nimmt,
und dieser Ansatz erscheint hoch, wenn bedacht wird, wolche Unkosten
nötig waren, um die Arbeitsgelegenheit zu schaffen, und welche „General-
aufwendungen“ außerdem mit dem Arbeitsbetriebe verbunden sind.
Das Material für diese Ziffern und auch für die weiter unten folgenden
Angaben ist dem von Assessor Westphal bearbeiteten 1. Jahrgang des
„Jahrbuchs für den Oberbergamtsbezirk Breslau“ — Phönixverlag in
Kattowitz — entnommen. Vgl. auch Wiedenfeld, Das Rheinisch-West-
fälische Kohlensyndikat.
Es betrug der Kopfwert der Leistung des einzelnen Arbeiters auf
den Gräflich Ballestremschen Werken:
Konsolidierte Brandenburg-Grube 1910 2770 M., davon 31 Proz. Lohn
1911 2772 „ vw 34 h D
Konsolidierte Wolfgang-Grube 1910 3325 „ gä 2 D
1911 2662 „ » 3I u
Bergwerk Castellengo 1910 2985 „ » 3I » D
1911 2884 „ m AR oa D
Bergwerk Beatensglück 1910 1664 „ e" Ei. 2
1911 1559 „ » 4 e A
Miszellen. 473
Ferner bei der Handelsgesellschaft Borsig:
Bergwerk Hedwigs Wunsch 1910 2283 M., davon 39 Proz. Lohn
1911 2488 „ vn Ai o »
Bergwerk Ludwigsglück I 1910 2852 „ 3, e
1911 2484 „ » 39 » D
Ferner Bergwerk Glückhilfs Friedenshoffnung in Hermsdorf:
1910 1890 M., davon 50 Proz. Lohn
1911 1959 „ o, AS e D
Endlich staatlich betriebene Steinkohlenbergwerke:
1910 2509 M., davon 42 Proz. Lohn
1911 2538 mm ” 42 DI HI
1912 2743 n » 42 o D
Insgesamt stellte sich der Anteil der reinen Bergarbeiterlöhne am
Förderungswert der Kohle im ganzen preußischen Staatsbereich im
Durchschnitt:
1895 auf 45,1 Froz.
190 „ A o
1905 om 445 m
1910 m 445 »
wobei angeführt werden mag, daß in diesem Durchschnitt die sehr
niedrige oberschlesische Prozentziffer volkswirtschaftlich ihren Ausgleich
findet, während sie angesichts der besonderen Verhältnisse dieses Be-
zirkes von den Arbeitern jedenfalls als erträglich angesehen werden
dürfte.
Trotz allem verbieten diese Ziffern nicht, in eine Erwägung einzu-
treten, ob es vom Standpunkte der gesamten Volkswirtschaft aus zu-
lässig sein würde, den Arbeitern von dem am Schluß der einzelnen
Rechnungsjahre erzielten Gewinn einen Anteil einzuräumen, und ob und
welche Vorteile hiermit für sie verbunden sein würden.
Tritt man an diese Frage heran, so gilt es zunächst, eine Methode
der Beteiligung zu finden, denn daß es nicht angängig sein würde, den
ganzen Gewinn zu verteilen, liegt auf der Hand, ebenso wie eine mecha-
nische Teilung, also etwa die Zuweisung einer Hälfte oder eines Drittels,
keine befriedigende Lösung darstellen würde. Als eine „Methode“ wäre
vielleicht in Vorschlag zu bringen, daß jeder Arbeiter mit einem Kapital-
anteil, also etwa mit dem Jahresbetrag seines Lohnes, als beteiligt an-
gesehen würde. Will man nun eine Verteilung vornehmen, so wäre
dieses angenommene Arbeiterkapital zu dem wirklichen Aktienkapital
hinzuzuschlagen und hiernach eine neue Dividende zu berechnen, von
der der entsprechende Prozentanteil auf jeden Arbeiter entfallen würde.
Betrüge beispielsweise das Aktienkapital 20 Mill. M., die Dividende
10 Proz., also 2 Mill. M., so wären für vorhandene 2000 Arbeiter je
1500 M., im ganzen mithin 3 Mill. M. in Ansatz zu bringen, und es wären
23 Mill. M. auf 2 Mill. M. Gewinn anteilsberechtigt. Die Dividende betrüge
mithin nicht mehr 10 Proz., sondern rund 8,7 Proz., es würden also auf
jeden Arbeiter bei 1500 M. Beteiligung 131,50 M., oder bei 300 Arbeits-
tagen auf den Tag rund 43 Pf. entfallen. Für die Aktionäre wäre
hier schon zu bemerken, daß bei einem Kurse von 200 die Dividende
474 Miszellen.
sich auf nur 4,3 Proz. stellen würde, daß sie also allerhöchstens noch
der regulären Verzinsung eines Leihkapitals gleich käme. Der Anreiz,
zu spekulieren, um mit dem eingelegten Kapital einen höheren Ertrag
zu erzielen, wäre hiernach bei dieser Methode bereits so gut wie aus-
geschaltet. Welche Personenzahl auf der Aktionärsseite steht, ist bei
dieser Erwägung außer Betracht gelassen, es können ebensogut 3 oder
4 Personen den ganzen Aktienbesitz in sich vereinigen, wie sich sämt-
liche Aktien in Einzelhänden befinden können. Dem Arbeiter schwebt
zumeist vor, daß ihm „das Kapital“ als geschlossene Phalanx gegen-
übersteht. Daß auch ihn niemand hindern würde, für seine Ersparnisse
eine oder mehrere Aktien zu kaufen, bedenkt er nicht, wenngleich es
es natürlich für ihn wie für kleine Kapitalisten überhaupt ratsamer
erscheint, das Geld bei der Sparkasse oder allenfalls in Anleihen des
Reiches oder eines Bundesstaates, oder vielleicht in Stadtanleihen an-
zulegen. Daß man statt der vorgeschlagenen auch eine anderweite
„Methode“ wählem könnte, sei natürlich unbestritten, es sei, ehe die
Frage als solche weiter erörtert wird, zunächst in eine Prüfung der
Gewinnchancen. soweit das vorliegende Material dies zuläßt, eingetreten.
In den preußisch-fiskalischen Bergwerks- und Hüttenbetrieben er-
zielten:
1909
101 941 Mann bei einem Kapital von 388,2 Mill. M. einen Reingewinn von 23,8 Mill. M.
= D Proz. Dividende
1910
104 794 Mann bei einem Kapital von 407,5 Mill. M. einen Reingewinn von 25,3 Mill. M.
= 6 Proz. Dividende
1911
105 613 Mann bei einem Kapital von 400 Mill. M. einen Reingewinn von 23,4 Mill. M,
= 5,9 Proz. Dividende
1912
105 562 Mann bei einem Kapital von 426 Mill. M. einen Reingewinn von 46,2 Mill. M,
= 10,8 Proz. Dividende
Nach obiger Methode reduziert sind dividendenberechtigt rund:
1909 1910 1911 1912
540 Mill. M. 570 Mill. M. 560 Mill. M. 590 Mill. M.
also Dividende 4,4 Proz. 4,4 Proz. 4 Proz. 7,8 Proz.
also Arbeiteranteil 66 M. 66 M. 60 M. r117 M.
Im vierjährigen Durchschnitt betrüge hiernach der Arbeiteranteil
für das Jahr 77 M. oder bei 300 Arbeitstagen rund 26 Pf. für den
Tag !).
Bei der Aktiengesellschaft Bismarckhütte ergaben sich bei ent-
sprechender Abrundung der nicht für alle Jahre genau erhältlichen
Arbeiterzahlen folgende Ziffern:
1) Die Betriebsberichte bringen von einem Jahr zum andern „berichtigte Zahlen“,
es war deshalb nötig, mit einer gewissen, für das Ergebnis unerheblichen Abrundung
zu rechnen.
Miszellen. 475
1903 6 Mill. M. Kapital 6000 Arbeiter ıı Proz. Dividende
6
1904 e EI ge 6.000 ir 16 „ m
19005 6 „ ww T 6000 Se det: ai de
1906 10 „ »„ Be 6 500 pr F Y Mer? Se
1907 10 „ » D 6 500 FB 28 » de
1908 10 „u o 6 500 np 18 „ e
1909 16 „ „ D 7 000 D 9 u PR
1910 16 „ „ en 7 000 ep r og ze
19311 16 „ o n 7 500 D © ` Ae op
1912 16- + wë e 7 500 > O o K
Bei Reduzierung ergaben sich folgende Dividende:
1903 4,4 Proz. oder für den einzelnen Arbeiter 66 M.
1904 64 „ N wtf 2 » 9 „
1905 8 e A: m a. CAE
1906 111 „ a E e „166 „
1907 126 „ er ar ei op "189 „
1908 91 „ e "ap, Sr » » 136 „
1909 54 n e: ër 2 o ge 81 „
1910 42 „ Wir ia 2 ge v 63 „
1911 o ne gp .» » D D D o
1912 o 7 o, ët go 2 en oO,
oder im Durchschnitt jährlich 91 M., oder bei 300 Arbeitstagen auf
den Tag rund 30 Pf.
Sehr günstig steht bei einer verhältnismäßig geringen Arbeiterzahl
die Aktiengesellschaft Gebr. Böhler in Ratibor da, welche in der Haupt-
sache Werkzeugstahl und Gewehrläufe liefert. Bei durchschnittlich rund
230 Arbeitern wird hier die Kapitalsdividende durch den auch hier auf
1500 M. bemessenen Arbeiteranteil nur wenig beeinträchtigt und es er-
geben sich:
1903 bei einer reduzierten Dividende von 8,6 Proz. auf den Kopf 129 M.
1904 DI ” DI mr HI 9,6 H n UI n 144 Hi
1905 » » D D ve Pë e me m » 234 »
1906 DI Hi ” HI Hi 15,6 Hi n n HI 234 mn
1907 DI mr DI DI Hi 15,6 Hi 39 n 31 234 n
1908 „p » Ge H TE, u ër a BEE
1909 mr H HI ” H I 1,6 mm HI HI DI 174 39
1910 Di DI Di DI mm I 1,6 DI n D D 174 UI
1914 u" 5 = a so HE w nn 14m
1912 Hi mm DI mm m 14,6 HI » n» n 219 n
oder im Durchschnitt jährlich 190,50 M., oder für den Tag rund 63 Pf.
Bemerkt sei, daß sich die wirkliche Kursdividende dieser Gesellschaft
in den letzten Jahren nur auf etwa 5,5 Proz. stellte, so daß auf je
1000 M. Kurskapital nur etwa 55 M. entfielen. Nimmt man an, daß
infolge der Reduzierung jede 1000 M. Kurskapital 5 M. beizusteuern
hätten, so würde der Arbeiter nahezu 4 volle Anteile für sich bean-
spruchen; von einer Ausbeutung wäre also auch bei diesem scheinbar
für die Kapitalisten so glänzenden Unternehmen keinesfalls die Rede.
Lassen wir nun einige weniger günstige Werke folgen, so stellt
sich bei der A.-G. Silesia-Paruschowitz bei einer Belegschaft von durch-
schnittlich 2650 Mann
476 Miszellen.
1903 die reduzierte Dividende auf 3,6 oder auf den Kopf 54,00 M.
1904 D ” D » 5 » » » D 75,00 „
1905 DI » n DI 8 » DI » » 120,00 „
1906 D DI D „ 10 D D » Di 150,00 ,„
1907 » Hi 21 » 8 D 31 D 31 120,00 Ui
1908 DI HI Di D H » nn DI n 75,00 »
1909 D DI n on A n DI DI DI 45,00 ,„
1910 D „ DI „ 43» D ” » 64,50 »
1911 HI n HI UI 8 Hi UI 21 39 120,00 HI
1912 n HI DI LI 8,5 » HI HI HU 127,50 UI
oder im Durchschnitt jährlich 95,10 M
Die A.-G. Oberschlesische Eisenindustrie für Bergbau und Hütten-
industrie weist bei durchschnittlich 8800 Mann Belegschaft für die
Jahresreihe 1904—1912 die folgenden Ziffern auf:
1904 Dividende 2,7 Proz. Kopfanteil 42,50 M.
1905 DI 3,8 nm nm 57,00 „
1906 vw 4 » » 60,00 „
1907 DI 4 » DI 60,00 DI
1908 DI I DI nm 15,00 „
1909 ID D nm ” Ge HI
1910 n o DI HI WE DI
1911 HI o DI HI =» H
1912 HI 2 D nm 30,00 „
oder im Jahresdurchschnitt 26,45 M.
Die Aktiengesellschaft Ferrum in Bogutschütz Zawodzie bei Katto-
witz hatte in 4 Jahren nur einmal eine Dividende zu verteilen, die einen
Kopfanteil von 51 M. ergab, der Jahresdurchschnitt würde sich hier
also nur auf 12,75 M. stellen. Die A.-G. Gottmitunsgrube erzielte in
8 Betriebsjahren einen Jahresdurchschnitt von rund 24 M., bei den
Hohenlohewerken ergaben 7 Jahre einen Jahresdurchschnitt von 119M.,
die Kattowitzer A.-G. für Bergbau und Eisenhüttenbetrieb verteilte in
4 Jahren je 125 M., das Eisenhüttenwerk Keula A.-G. in 11 Jahren je
51 M., endlich sei die A.-G. für Kohlenbergbau in Orzeche genannt,
die ihr Grundkapital von 6 Mill. M. auf 2250000 M. zu reduzieren ge-
nötigt war, und vor ihrer Begründung im Jahre 1891 bis zu ihrer Auf-
lösung überhaupt keine Dividende zahlte. Sie hatte von 1904—1912
einen Lohnaufwand von rund 2800000 M., es seien also diese 9 Jahre
als durchschnittsberechtigt für die Belegschaft mit O in Ansatz gebracht.
Die vorstehenden Beispiele würden sich natürlich beliebig vermehren
lassen, doch scheinen sie ausreichend, um ein Bild zu geben von dem
voraussichtlichen Vorteil, der dem Arbeiter bei einer Verweisung eines
Einkommenteiles auf einen möglichen Gewinn erblühen würde. Da der
Kopfanteil von dem sich umsetzenden Kapital und der Höhe der Beleg-
schaft unabhängig ist und nur von den geschäftlichen Erfolgen der
einzelnen Unternehmungen beeinflußt wird, kann die Behauptung auf-
gestellt werden, daß ein Gesamtdurchschnitt aus den vorstehend er-
mittelten Durchschnittsziffern einen gewissen Rückschluß auf die im
allgemeinen vorhandene Möglichkeit einer Gewinnerzielung zulassen
würde. Diese Möglichkeit würde sich erhöhen oder vermindern, je
nachdem man den Kapitalanteil des Anteiles höher oder geringer an-
Miszellen. 477
setzt; es bliebe zu erwägen, inwieweit die Lage der Industrie eine solche
Blutentziehung zulassen würde.
Die oben ermittelten Ziffern waren folgende:
Staatliche Werke 4 Jahre je 77,00 M. ergibt für den Mann 308 M.
Bismarck-Hütte 10 nm » 91,00 „ DI nm nu ” 910 ,
A.-G. Böhler 10 DI » 190,50 „ nm nm DI HI 1905 „
A.-G. Silesia 10 ID » 95,10 ID nn DI » ID 951 DI
Oberschlesische A.-G. 9 un 2645» » an » AR „
A.-G. Ferrum 4 nm „ 12,75 „ DI nm HI nm SI,
Gottmituns-Grube 8 u» n 240 a o nm n D 192 „
Hohenlohe-Werke 7 DI „ 119,00 „ DI DI DI D 833 nm
A.-G. Kattowitz RR en D 500 „,
A.-G. Keula 11 ID » 51,00 „ DI HI HI DI 561 nm
A.-G. Orzeche 9 = —
HI DI DI HI HI nm n D
oder in 86 Jahren insgesamt 6449, mithin auf das Jahr und den Kopf
74,90 M. oder bei 300 Arbeitstagen auf den Kopf täglich 24,90 Pf.,
ein Betrag, der zum Umsturz unserer Staats- und Wirtschaftsordnung
nicht eben einladen dürftel). Auch dieser Betrag würde sich natür-
lich noch vermindern, da sehr zahlreiche Arbeiter überhaupt nicht im
Interesse einer Gewinnbeteiligung, sondern wie z. B. die sämtlichen
städtischen Arbeiter und ein großer Teil der Arbeiter in Staatsbetrieben,
z. B. in der Marine, für Öffentliche Zwecke tätig sind. Wollte man
allen diesen Arbeitern jährlich 72 M. oder 6 M. im Monat oder 20 Pf.
für den Kalendertag als Gewinnanteil zuwenden, so würden bei rund
20 Millionen Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft und in
der Industrie 1440 Mill. M. zur Gewinnverteilung erforderlich sein, wobei
die Angestellten im Handels- und Verkehrsgewerbe, in öffentlichen und
in häuslichen Diensten leer ausgingen. Rund 2 Millionen Erwerbstätige
sind dabei auch für die benannten Gruppen als Einzelne bzw. in leiten-
den Stellen Befindliche außer Betracht gelassen, ebenso die nahezu
1/, Million „Sonstigen‘“, die mit einer der Wahrscheinlichkeit tunlichst
angenäherten Ziffer zustande kam.
Für das angenommene Arbeiterkapital stellen jene 72 M. cine
Verzinsung von annähernd 5 Proz. dar; 5 Proz. wird auch als Durch-
schnittsverzinsung für das Leihkapital und übrigens nach obigem als
Kursdividende für das in ruhigen Industriebetrieben tätige Aktienkapital
angesetzt werden dürfen.
Würde ein Unternehmer seine Arbeiter am Gewinn beteiligen, so
fiele natürlich jeglicher Anlaß für ihn weg, sich in anderer Weise um
ihre „Wohlfahrt“ zu bekümmern, wie dies bei Krupp beispielsweise
durch seine Konsumanstalt, seine Wohnungsfürsorge und seine freiwillige
Altersversorgung in hervorragendem Maße geschieht. Würde die Firma
Krupp, deren Jahresberichte in dieser Beziehung einwandfreie Aus-
kunft geben, gar nichts für die Wohlfahrt aufwenden, und die für die
Altersversorgung alljährlich gespendeten bedeutenden Summen zurück-
behalten, so würde diese natürlich ihrem Gewinn zuwachsen und als
1) Es sei bemerkt, daß auch eine vollkommene Durchrechnung des ganzen Jahr-
buches vom Buchstaben A—Z kein wesentlich anderes Ergebnis erbrachte.
478 Miszellen.
Dividende zur Verteilung kommen. Würden nunmehr die Arbeiter nach
der oben angeordneten Methode mit ihrem Jahresverdienst als dividende-
berechtigt in Ansatz gebracht, so entfielen auf den Mann:
1903 1904 1905 1909 1910 1913
82 M. 110 M. 123 M. 117 M. 144 M. 255 M.
Würden anderseits die Wohlfahrtsaufwendungen einschließlich der
Zinsen der Pensionskasse und der diesen Kassen überwiesenen Summen
auf den Kopf verteilt, wobei die Wohnungsfürsorge als nicht in dieser
Weise teilbar außer Betracht bleiben muß, so ergäben sich folgende
Beträge:
1903 1904 1905 1909 1910 1913
110 M. 126 M. 160 M. 104 M. 122 M. 197 M.
Nur in den letzten besonders günstigen Jahren hätten also die
Arbeiter einen gewissen Vorteil, der aber durch die ihnen auf anderem
Wege gebotene billige Möglichkeit des Einkaufes aller ihrer Bedürfnisse
mehr als völlig aufgewogen werden dürfte.
Alles in allem ist hiernach die Behauptung berechtigt, daß die Ge-
winnbeteiligung dem Arbeiter schon bei lediglich ziffernmäßiger Be-
trachtung keinerlei nennenswerten Vorteil erbringen würde. Daran
würde auch eine anderweite Bemessung des Kapitalanteils des Arbeiters
oder seine Verweisung auf einen Bruchteil der Dividende, also eine
andere als die vorgeschlagene „Methode“, nichts Wesentliches ändern.
Für die deutsche Volkswirtschaft wäre, auch wenn man mit Helfferich
das jährliche Gesamteinkommen Deutschlands auf 42 Milliarden M.
beziffert, eine jährliche Entziehung von 1440 Mill. um so weniger gleich-
gültig, als dieser Geldbetrag, auch wenn er, wie anzunehmen, in einem
Betrage ausgezahlt würde, nur in den seltensten Fällen als Ersparnis
und demgemäß kapitalbildend angelegt werden würde. Da die Emp-
fangsberechtigten, auch wenn einmal ein Zukunftsstaat ihnen die Ge-
winnbeteiligung gesetzlich gewährleistete, bis zum letzten Augenblick
nicht wissen würden, ob und welcher Geldbetrag für das betreffende
Wirtschaftsjahr auf sie entfiele, so hätte diese Einnahme ganz und gar
den Charakter eines Lotteriegewinnes. Sie würde bestenfalls zu einigen
Anschaffungen für den Haushalt oder zur Abzahlung kleiner Schulden,
wahrscheinlich aber, zumal von jüngeren Leuten, lediglich zu einer
Augenblicksbelustigung, und selbst wenn dies eine kleine Reise wäre,
Verwendung finden. Eine jährlich sich wiederholende Verschleuderung
von 1440 Mill. M. könnte aber auch die gesundeste Volkswirtschaft
auf die Dauer nicht vertragen, sie würde zerstörend wirken, und nach-
keiner Richtung hin wirklichen Nutzen stiften.
Die Frage der Gewinnbeteiligung der Arbeiter ist im übrigen nach
ihrer ethischen, volkswirtschaftlichen und politischen Seite schon so oft
Gegenstand der Untersuchung gewesen, daß wesentlich Neues aus all-
gemeinen Gesichtspunkten dazu schwerlich noch beizubringen sein würde.
Das wesentlichste Bedenken bleibt, daß der Arbeiter keinen maßgebenden
Einfluß auf die Gewinnerzielung haben und deshalb auch keinen An-
sporn in sich verspüren kann, auf einen solchen hinzuwirken. Es sei
im Hinblick hierauf auf die Ausführungen von Taylor in seinen „Grund-
Miszellen. 479
sätzen wissenschaftlicher Betriebsführung“ hingewiesen. Derselbe legt
dar, daß man den Arbeiter nur dann dazu bringen kann, längere Zeit
mit aller Anstrengung zu arbeiten, wenn man ihm einen wesentlich
größeren Verdienst zusichert. Der beabsichtigte Erfolg wird leicht er-
reicht, wenn der Mehrlohn den Leuten dauernd bleibt, und wenn sie ihn
ausgezahlt erhalten, sobald sie ihr Pensum in der zugemessenen Zeit.
erledigen. Nur auf diese Weise wird der gute Wille und das wahre
Selbstinteresse der Arbeiter betätigt.
In Taylors Grundsätzen scheint im übrigen der Weg gegeben, auf
ein friedliches Einvernehmen zwischen Arbeiter und Unternehmer hin-
zuwirken, weil die beiderseitigen Interessen dadurch die wirksamste
Förderung erfahren. Die Gewinnbeteiligung auf der anderen Seite würde
eher eine Quelle des Unfriedens darstellen, weil alle Momente der Ab-
rechnung und des Jahresabschlusses, die Abschreibung, die Rücklage zu
den Reservefonds, die Abfindung des Aufsichtsrates und vieles andere
mehr zu Meinungsverschiedenheiten und unliebsamen Auseinander-
setzungen den Anlaß bieten kann.
In der Presse ward kürzlich viel Rühmens erhoben von der Organi-
sation und den Leistungen der deutsch-chinesischen Hochschule in
Tsingtau; aus Chile wurde berichtet, wie dort die Industrialisierung
unter der Leitung deutscher Ingenieure erfreuliche Fortschritte macht,
anderseits meldet die Zeitschrift „Export“ immer wieder, wie allmählich
die Einfuhr europäischer Stapelartikel durch japanische Erzeugnisse
und die eigenen industriellen Leistungen der früheren Absatzgebiete be-
einträchtigt wird. — Die hierin liegende Mahnung findet in unserer
öffentlichen Meinung viel zu geringe Beleuchtung. Der Chinese quält
sich ganz sicher nicht um unserer schönen Augen willen mit den
Elementen unserer technischen Wissenschaft, ihn leiten ganz aus-
schließlich und in vollster Rücksichtslosigkeit wirtschaftliche Er-
wägungen. Wenn er genug gelernt hat, wird er sich seine Lokomotiven
und Elektromotore selber bauen und für die Baumwollwaren und Woll-
zeuge ist er uns gegenüber dadurch im Vorteil, daß er die Rohstoffe
selber erzeugt und sie nicht weither über das Meer heranzufahren
braucht.
Aus diesen Gründen stehen der Kulturwelt in den nächsten Men-
schenaltern grundstürzende Aenderungen bevor; unsere Erfolge auf dem
Gebiet der so schnell hereingebrochenen großindustriellen Entwicklung,
die noch keine 50 Jahre alt ist, haben uns den Blick getrübt; den
Erfolgen der Technik muß die Umgestaltung der Kulturwelt und damit
eine Neuorientierung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Fuße folgen.
Gerade hierdurch aber eröffnen sich dem deutschen Arbeiter neue
hoffnungsreiche Aussichten. Daran freilich, daß der Arbeitslohn sich
nach dem Wert der Arbeitsleistung bestimmt, wird sich nichts ändern
lassen, auch daran nicht, daß eine geringe Zahl von geistigen Leitern
dem Handarbeiter den Dienst vorschreibt und daß der erarbeitete Gewinn
zu neuem Schaffen zurückbehalten werden muß. Wohl aber weist diese
Entwicklung mehr und mehr darauf hin, daß wir davon absehen können,
geringwertige Ware, die außerdem durch die Heranziehung des Roh-
480 Miszellen.
materials unverhältnismäßig kostspielig ist, in riesigen Massen für den
Export zu fertigen. Mehr und mehr wird sich der europäische Gewerbe-
fleiß auf die Erzeugnisse einer hochentwickelten Mechanik, auf die
Leistungen der chemischen Industrie, der Elektrotechnik, der Optik und
des Kunstgewerbes beschränken können und müssen. Wir dürfen, so-
weit wir diese Frage bis jetzt beurteilen können, annehmen und hoffen,
dal der weißen Rasse und ganz besonders deutscher Gründlichkeit und
Ausdauer die Führung auf dem Wege der Entwicklung vorbehalten
bleibt, daß wir in der Organisation auch weiter an der Spitze marschieren
werden. `
Wenn dann weiter im Sinne des Taylorsystems die unnötigen
Reibungswiderstände aus der gewerblichen Betätigung ausgeschaltet
werden, wenn die wissenschaftliche Betriebsweise mehr und mehr unsere
Arbeitsstätten durchdringt, und wenn wir uns so immer mehr dem Ideal
nähern: „mit der geringsten Anstrengung die höchste Leistung“, dann
kann auch die Rückwirkung auf den Arbeitslohn nicht ausbleiben, und
mit Taylor dürfen wir hoffen, daß die gesteigerte Kaufkraft auch erhöhte
Bedürfnisse und damit immer mehr sich ausbreitende Arbeitsgelegenheit
schaffen wird.
In dieser Richtung, in dem Anpassen an die gegebenen Verhält-
nisse, in dem Einfügen in den von dem geistigen Leiter vorgeschriebenen
wohltätigen Zwang liegt das Heil und die Hoffnung des Arbeiters, nicht
in den Utopien, die allenfalls das Gutte hatten, daß sie den einfachen
Mann aus seiner geistigen Trägheit aufrüttelten.
So betrachtet, ist auch die Sozialdemokratie eine vorübergehende
Erscheinung, die ihre geschichtliche Mission hatte, und von der unsere
Nachkommen reden werden wie von den Christenverfolgungen oder von
den Stürmen des Bauernkrieges.
Nachtrag.
Zu den vorstehenden allgemeinen Betrachtungen sei noch ein
Sonderbeispiel angeführt, zu dem mir die Ziffern von der Handels-
kammer zu Bochum freundlichst zur Verfügung gestellt wurden. Bei
Beurteilung dieser Ziffern wurde wiederum der Kapitalanteil des ein-
zelnen Arbeiters mit einem durchschnittlichen Arbeitslohn von 1500 M.
angesetzt, wobei natürlich nicht verkannt wurde, daß ein anderer Ansatz
auch ein anderes Ergebnis herbeiführen würde. Sehr beträchtlich ist
dieser Unterschied nicht, weil eine höhere Kapitalbeteiligung der Arbeiter
die Dividende herabsetzt, so daß der Kopfanteil ein entsprechend
kleinerer wird. Bei dem ersten der nachstehend angeführten Fälle
würden beispielsweise bei 1500 M. Kapitalanteil 15 Proz. Dividende
und demgemäß für den Mann 225 M. erzielt, während 1800 M. nur
14 Proz. Dividende und dementsprechend 252 M. oder 27 M. mehr er-
geben; die Steigerung beträgt demnach in dem angeführten Falle für
den höheren Kapitansatz nur 9 Proz.
Ich lasse nunmehr die mir gelieferten Zahlen folgen, die sich sämt-
lich auf das Geschäftsjahr 1912 bzw. 1912/13 beziehen:
Miszellen. 481
Arbeiterzahl Dividende Teduzierte
ividende
Bergwerks-A.G. Consolidation zu Gelsenkirchen 7 020 23 15
Bochumer Bergwerks-A.-G. 1 238 8 5,7
Harpener Bergbau-A.-G. 30559 II 7,1
Hibernia- Herne 8 684 11,2!) 9,4
Bochumer Verein 14 529 14 8,4
Westfälische Stahlwerke 5 000?) o o
Gelsenkirchener Gußstahlwerke Munscheid & Co. 1 120 6 3,8
Schalker Herd- und Ofenfabrik F. Küppersbusch
u. Sohn 1968 13 7,4
Gussstahlwerk Witten 2 167 14 9,3
Wittener Stahlröhrenwerke 1 084 o o
Westfälische Eisenwerke Werne bei Langendreer 1 807 3 2,2
Eisenhütte Westfalia 314 20 9,4
Maschinenfabrik Westfalia Gelsenkirchen 322 4 2,9
Maschinenfabrik Baum A.-G. in Herne 1074 10 6,5
Glas- und Spiegelmanufaktur Gelsenkirchen 499 22 18,5
Wittener Glashütte 495 4 2,3
A.-G. für chemische Industrie Gelsenkirchen 339 10 8
A.-G. für chemische Industrie Bochum 305 o o
Schlegel-Brauerei Bochum 97 II 10,2
Brauerei Scharpenseel Bochum 90 10 8
Brauerei Müser A.-G. in Langendreer 128 8 7,5
Brauerei Glückauf in Gelsenkirchen 125 8 7,5
Die verschiedene Reduktion der Dividende, z. B. bei der Eisenhütte
Westfalia und der Schlegel-Brauerei, erklärt sich aus dem Verhältnis
der Arbeiterzahl zu dem Kapitalbesitz, der bei der Brauerei gegenüber
97 Arbeitern 2000000 M. gegen nur 400000 M. bei der genannten
Eisenhütte beträgt; von der Anführung der übrigen Kapitalien ist, weil
sie für den vorliegenden Zweck entbehrlich erschien, abgesehen worden.
Bei den vorstehend angeführten Untersuchungen wären hiernach
auf rund 79000 Arbeiter rund 9 Mill. M. an Dividende zu verteilen, was
einem Kopfanteil vor rund 114 M. oder bei 300 Arbeitstagen 38 Pf.
auf den Tag gleichkäme. Dieses Ergebnis wäre nicht unwesentlich gün-
stiger als bei der vorher gegebenen allgemeinen Darstellung, doch bleibt
auch hier bestehen, daß die Einkommensverbesserung noch nicht 8 Proz.
betrüge und daß die teilweise außerordentlich günstigen Ergebnisse,
z. B. bei der A.-G. Consolidation und der Spiegelmanufaktur Gelsen-
kirchen, nicht als der Regel entsprechend angesehen werden dürfen.
Zum „Umsturz“ laden auch diese Ziffern nicht ein.
Insgesamt wären bei den genannten Unternehmungen in dem be-
treffenden Wirtschaftsjahr rund 30 Mill. M. an Dividende zu verteilen,
von dener nach obiger Darlegung nahezu der dritte Teil in sehr kleinen
Abschnitten den Arbeitern zuzuwenden wäre. Würde man diese Sach-
lage als allgemeingültig ansehen, so ergäbe sich, daß eine verhältnis-
mäßig sehr kleine Wohltat eine wesentlich Umgestaltung unserer ge-
samten volkswirtschaftlichen Lage nach sich ziehen würde, denn es
liegt auf der Hand, daß die Entziehung von einem Drittel des jährlichen
1) Von den Stammaktien abgeleitet. Vorzugsaktien ergeben mehr.
2) Arbeiterzahl nicht angegeben, geschätzt nach dem Verhältnis des Aktienkapitals
im Vergleich zum Bochumer Verein.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 31
482 Miszellen,
Kapitalzuwachses nicht ohne Einfluß auf den wirtschaftlichen Fort-
schritt, auf den Unternehmungsgeist und dessen Betätigung bleiben konnte.
Auf die Gesamtheit aller Erwerbstätigen verteilt, würde der Betrag von
114 M. pro Kopf eine Summe von 3,2 Milliarden M. erfordern, mit
anderen Worten: es würde auch bei der sehr günstigen Annahme von
Helfferich fast der dritte Teil des jährlichen Zuwachses an Volksver-
mögen verzettelt und aller Voraussicht nach verschleudert werden. Für
die Besitzer der Varietés und Kinos und vielleicht für einige Modebazars
sowio für minderwertige Kneipen erwüchse eine goldene Zeit, während
die Gesamtheit alsbald die neue Methode der Volksbeglückung als einen
schweren Schaden empfinden würde.
Auch die spezielle Berechnung, wenn sie auch für den Arbeiter
etwas günstiger ausfallen mag, ermutigt hiernach nicht, die Frage
der Gewinnbeteiligung der Arbeiter als ein neues. Allheilmittel für die
sozialen Schäden der gegenwärtigen Entwicklung in Ansatz zu bringen;
es wird hierfür auch in Zukunft nur eine verbesserte Betriebsweise, ein
rationellerer Umsatz und die Ausschaltung unnötiger Reibungen in Be-
tracht kommen können. Alles das weist auf die Gemeinsamkeit der
Interessen der Arbeiter und Unternehmer, auf den sozialen Frieden, nicht
auf den Streit hin. Dieser Erkenntnis zu dienen, waren auch die vor-
stehend gegebenen Beispiele und Zahlen bestimmt 1).
1) Diese Arbeit ist vor dem Kriege geschrieben. Möge sie nach dem Friedens-
schlusse einige Beachtung finden. D. V.
Miszellen. 483
XIII.
Die Muttersprache der ausländischen weißen Be-
völkerung der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Von Karl Berger in Liesing bei Wien.
Vor ganz kurzer Zeit erschien ein Bericht des „Bureau of Census“
im amerikanischen Handelsamte, welcher den Direktor dieser Abteilung,
W. J. Harris zum Herausgeber hat; er enthält eine sehr umfangreiche
und interessante Statistik über die Muttersprache der ausländischen
weißen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten. Bei der Verarbeitung
der Daten wurde nur jene Sprache als Muttersprache festgestellt, die von
den Ausländern vor der Einwanderung in ihrem Heime gesprochen
wurde, nicht aber jene Sprache ihres Stammes, weil diese manchmal
von der ersteren verschieden ist.
Von größter Bedeutung ist die Statistik über die Muttersprache der
Einwanderer von den fünf Ländern, Deutschland, Oesterreich, Ungarn,
Rußland und Kanada. Die Einwanderer von Kanada sprechen beispiels-
weise französisch oder englisch, die der anderen Länder aber weisen
eine auffallend große Sprachenverschiedenheit auf. Auch von Belgien
kommen französisch oder flämisch sprechende Einwanderer, von den
Einwanderern der Schweiz werden dreierlei Sprachen gesprochen, näm-
lich französisch, deutsch oder italienisch; vielsprachig sind auch die
Einwanderer der Balkanstaaten usw.
Die englische Sprache ist unter den Einwanderern als Muttersprache
am meisten vertreten. Sie überflügelt mit 10037420 Vertretern selbst
die deutsche Sprache, obgleich die deutschen Länder zu dem Kontingent
der ausländischen Weißen in den Vereinigten Staaten 27,3 Proz. stellen
(Census 1910). Sodann kommen als nächste hinsichtlich der Zahlenhöhe
die italienische, die polnische und die hebräische Sprache als Mutter-
sprache in Betracht; bei den drei letztangeführten erreicht aber keine
ein Viertel der Vertreter der deutschen Sprache. Noch geringer sind,
wie die nachfolgende Uebersicht über die acht Haupt-Mutter-
sprachen in den Vereinigten Staaten zeigt, die schwedische, die franzö-
sische und die norwegische Muttersprache vertreten. Insgesamt um-
fassen diese acht Sprachen 87,5 Proz. aller ausländischen Weißen in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika.
LH
Muttersprache Zahl Proz.
Englisch 10 037 420 31,1
Deutsch 8 8171271 27,3
Italienisch 2151422 6,7
Polnisch 1707 640 5,4
Hebräisch 1 676 762 5,2
Schwedisch 1445 869 4,5
Französisch 1357 169 4,2
Norwegisch 1.009 854 3,1
28 203 407 87,5
Andere Muttersprachen 4 039 975 12,5
Alle Muttersprachen zusammen 32 243 382 100,0
484 Miszellen.
Von der Gesamtzahl der ausländischen Weißen Amerikas (32 243 382)
sind somit 8817271 Personen Deutsche (nach ihrer Muttersprache), aber
nur 8495142 stammen aus dem Deutschen Reiche, der Rest aus Oester-
reich, der Schweiz usw.
Auch von den die englische Sprache als ihre Muttersprache be-
zeichnenden ausländischen Weißen ist England nur zu einem geringen
Teil auch ihr Geburtsland (6,6 Proz.); alle übrigen englisch sprechen-
den Einwanderer sind in Irland, Schottland, in Wales, in Kanada oder in
anderen Ländern geboren worden.
Die französische Muttersprache ihr Eigen nennenden Einwanderer
der Vereinigten Staaten sind ebenfalls kaum zu einem Viertel in Frank-
reich geboren worden; es sind zum größten Teile Kanadier, Schweizer,
Belgier usw. Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich für Spanien, da die
Hauptzahl der spanisch sprechenden Einwanderer aus Mexiko oder aus
anderen Ländern Südamerikas kommt.
Belgien, Oesterreich, Griechenland und die Europäische Türkei
zeigen hinsichtlich der Muttersprachen in der jüngeren Einwanderung
einen Aufschwung, während sich in der Zahl der Einwanderer aus Frank-
reich, der Asiatischen Türkei, Südamerikas und Afrikas eine Abnahme
zeigt. In der Einwanderung der Abkömmlinge Deutschlands mit deutscher
Muttersprache zeigt sich gleichfalls eine Abnahme, der Polen eine Zu-
nahme; bezüglich Oesterreichs hat die Zahl der Czechen ab-, die der
Polen aber ebenfalls zugenommen. Eine schwache Zunahme ergab sich
auch bei den Deutsch sprechenden Einwanderern Frankreichs gegen-
über den Französisch sprechenden und eine bedeutende Zunahme der
Englisch sprechenden Abkömmlinge Kanadas gegenüber den Franzö-
"stach sprechenden.
Bei der österreichischen Einwanderung überwiegt das slawische
Element, bei den Einwanderern aus Rußland das hebräische (52,3 Proz.
gegen 2,5 Proz.), die Einwanderer der Europäischen Türkei sind zum
größten Teile Griechen und Bulgaren.
Von den vielen anderen Muttersprachen, die von den russischen
Einwanderern berichtet werden, gehören der polnischen 25,5 Proz. an,
der lithauischen und lettischen 7,9 Proz., der deutschen 9,5 Dro,
Groß-Russen sind 2,6 Proz., Klein-Russen 0,2 Proz., Finnen 0,3 Proz.,
Slovaken, Griechen, Armenier und Czechen je 01 Proz. Auch die
Rumänen machen nicht ganz 0,1 Proz. aus.
Die Zahl der ihre Muttersprache mit jüdisch und hebräisch be-
zeichnenden Einwanderer dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen.
Viele von den jüdischen Einwanderern bezeichnen nämlich deutsch,
polnisch, russisch, englisch etc. als ihre Muttersprache. Von der
Gesamtzahl der Jüdisch sprechenden Einwanderer kamen 838193
von Rußland, 144484 von Oesterreich-Ungarn, 41342 von Rumänien,
14409 von Großbritannien und 7910 von Deutschland.
Aus der Schweiz kamen 0,9 der Einwanderer mit deutscher und
weniger als 0,1 Proz. mit französischer Muttersprache. Von Belgien
bezeichneten mehr als die Hälfte Flämisch, mehr als ein Drittel aber
Französisch als ihre Muttersprache. Die Einwanderer aus Deutsch-
Miszellen. 485
land sind zu über 90 Proz. deutscher Zunge, 6 Proz. sind Polen (nach
der Muttersprache), während keine andere Sprache 1 Proz. übersteigt.
Bei den kanadischen Einwanderern überwiegen die mit englischer
Muttersprache (einschließlich Irländer, Schotten) mit 63,8 Proz. gegen-
über 33,7 Proz. der Einwanderer mit französischer Muttersprache.
Nachfolgend sei noch eine Tabelle beigegeben, welche die Zahl der
ausländischen weißen Bevölkerung (auch der eingeborenen Weißen von
ausländischen Eltern), sowie der fremdgeborenen Weißen separat nach
ihrer Muttersprache zeigt; die Ziffern beruhen auf dem 13. Uensus der
Vereinigten Staaten vom Jahre 1910.
Muttersprache Zahl der ausländischen Fremdgeborene
weißen Bevölkerung Weiße
Englisch 10 037 420 3 363 792
Deutsch 8817 271 2 795 032
Holländisch und friesisch 324 930 126 045
Flämisch 44 806 25 780
Schwedisch 1 445 869 683 218
Norwegisch 1 009 854 402 587
Dänisch 440 473 186 345
Italienisch 2151422 1 365 110
Französisch 1357 169 528 842
Spanisch 448 198 258 131
Portugiesisch 141 268 72649
Rumänisch 51124 42 277
Griechisch 130 379 118 379
Polnisch 1 707 640 943 781
Böhmisch und Mährisch 539 392 228 738
Slovakisch 284 444 166 474
Russisch 95 137 57 926
Ruthenisch 35 359 25 131
Slovenisch 183 431 123 631
Kroatisch 93 036 74036
Dalmatinisch 5 505 4344
Serbisch 26752 23 403
Montenegrinisch 3961 3 880
Bulgarisch 19 380 18 341
Slawisch (nicht genau bezeichnet) 36 195 21012
Lithauisch und Lettisch 211 235 140 963
Hebräisch 1 676 762 1051767
Ungarisch 320 893 229 094
Finnisch 200 688 120 086
Armenisch 30 021 23 938
Syrisch und Arabisch 46727 32 868 e
Türkisch 5 441 4709
Albanisch 2 366 2312
Alle anderen 790 646
Unbekannt 313 044 116 272
Alle Muitersprachen zusammen 32 243 382 13 345 545
486 Miszellen.
XIV.
Der Streit um die Weltwirtschaftslehre.
Von Prof. Dr. Rud. Kobatsch, Wien.
Prof. Karl Diehl hat in diesen Jahrbüchern (Oktoberheft 1918),
hauptsächlich in Polemik gegen Prof. Harms, die Berechtigung einer
selbständigen Weltwirtschaftslehre bestritten, ferner hat Prof. Lotz im
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Januarheft 1914) den
gleichen ablehnenden Standpunkt eingenommen, nachdem Prof. Bonn
im selben Archiv (1911 und 1912) gegen diese neue Disziplin aufgetreten
war. Da ich selbst schon 1907, also einige Jahre vor Harms, in meinem
Buche ‚Internationale Wirtschaftspolitik“ den Gedanken vertrat, daß es
an der Zeit sei, eine selbständige Disziplin der Weltwirtschaftslehre
und der auf die Weltwirtschaft gerichteten Politik zu schaffen, so
möchte ich nochmals die Gründe darlegen, welche für die selbständige
wissenschaftliche Behandlung der Weltwirtschaftsfragen geltend gemacht
werden können.
Diehl u. a. führen hauptsächlich an, daß die Weltwirtschaftslehre
im Rahmen der heutigen Volkswirtschaftslehre zu erledigen sei. Man
gibt zu, daß das Wort Volkswirtschaftslehre oder Nationalökonomie
mißverständlich sei, doch umfasse die Volkswirtschaftslehre sowohl
weltwirtschaftliche wie national- und kommunal-wirtschaftliche Erschei-
nungen und besage überhaupt nur, daß man nicht die Erscheinungen
isolierter Individuen oder Einzelwirtschaften betrachten solle, sondern
Erscheinungen, die sich aus dem Zusammenschluß der Menschen in
Verbänden engerer und weiterer Art ergeben. Diese Erscheinungen
gehen aber großenteils weit über den Rahmen eines Volkes hinaus.
Diehl exemplifiziert auf das Wesen der Krisen, auf die Tendenzen
der Lohnbewegung, der Getreidepreise und die Bedeutung der welt-
wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser Phänomene.
s Qui bene distinguit, bene docet. Der allgemeine Teil der bisherigen
Volkswirtschaftslehre betrachtet die wirtschaftlichen (oder, wie Diehl
mit Vorliebe sagt, die sozialen) Erscheinungen in der Tat ohne Rücksicht
auf eine einzelne Volksgemeinschaft, sondern postuliert im wesentlichen
gleiche Grundlagen der Forschungen auf der ganzen Welt. Die Volks-
wirtschaftslehre betrachtet aber in diesem Falle ihre Forschungsobjekte
vom Standpunkte der vergesellschaftet wirtschaftenden Menschen, d. h.
geht im wesentlichen aus von den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Men-
schen und deren Art und Weise, ferner von den Mitteln und der Art zu
Miszellen. 487
ihrer Befriedigung. In diesem Sinne ist es wohl richtig, daß die National-
ökonomie nicht so sehr Volks-, sondern, wie der von Diehl zitierte
Fulda schon 1820 sagte, Völkerökonomie ist. Doch beachte man, daß es
sich immer nur um die Frage der Befriedigung der menschlichen Bedürf-
nisse handelt, und zwar wenigstens bisher unter der ausdrücklich hervor-
gehobenen oder wenigstens stillschweigend zugegebenen Voraussetzung
der innerhalb der einzelnen Volksgemeinschaften oder einzelnen Volks-
wirtschaften organisierten Wirtschaftssubjekte. Daß hierbei auch auf
die zwischenstaatlichen oder weltwirtschaftlichen Beziehungen, wie Diehl
hervorhebt, Bezug genommen wurde, ist zwar richtig, das Entscheidende
aber, was die Vertreter einer Weltwirtschaftslehre zur Aufstellung ihres
Postulates führte, ist dieses: die zwischenstaatlichen oder völkerwirt-
schaftlichen Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Beeinflussungen der zu-
nächst national oder staatlich organisierten Wirtschaftssubjekte haben
seit geraumer Zeit so sehr an Bedeutung und zwar in mannigfacher Hin-
sicht gewonnen, daß gerade diese Beziehungen Gegenstand besonderer
Forschung sein sollen. Sowohl was den zwischenstaatlichen persönlichen
Verkehr aller Art (namentlich die Wanderbewegung) betrifft, als auch
was den Warenverkehr (die Domäne der bisher in den volkswirtschaft-
lichen Lehrbüchern beinahe ausschließlich von weltwirtschaftlichen Pro-
blemen behandelten Handelspolitik), nicht zuletzt aber auch was den
internationalen kapitalischen oder finanziellen Verkehr betrifft, sind
die zwischenstaatlichen oder welt- bzw. völkerwirtschaftlichen Zusammen-
hänge, Abhängigkeiten usw. so außerordentlich zahlreiche, ständige und
regelmäßige geworden und wachsen in einem derart steigenden Maße,
daß sie die Gestaltung der einzelnen Volkswirtschaften und noch mehr
der Einzelwirtschaften innerhalb einer Volkswirtschaft in immer stär-
kerem Maße bedingen und verändern. Es sollten daher, nach meiner
Ansicht, gerade diese neuzeitlichen Phänomene Gegenstand einer Sonder-
disziplin werden und zwar schon aus der rein pädagogischen Notwendig-
keit, daß ein Lehrer der allgemeinen Volkswirtschaftslehre unmöglich
neben dem bisherigen Gebiete seiner Disziplin auch die neueren welt-
oder völkerwirtschaftlichen Fragen in gleichem Maße beherrschen kann,
ferner weil die exakte Erfassung dieser Phänomene selbständiger For-
scher, ausgerüstet mit entsprechenden Mitteln der Forschung (Seminarien,
Institute etc.), bedarf.
Diehl polemisiert auch gegen die Behauptung Harms’, daß die
Weltwirtschaft der Inbegriff der durch hochentwickeltes Verkehrswesen
und durch staatliche internationale Verträge geregelten und geför-
derten Beziehungen zwischen den Einzelwirtschaften sei. Hier muß man
Diehl recht geben, denn es ist eine zu enge Auffassung der weltwirt-
schaftlichen Probleme, sie bloß auf die internationalen Staatsverträge be-
gründen zu wollen. Mit Recht führt Diehl an, daß unabhängig von
solchen Verträgen tausenderlei Fäden die einzelnen Volkswirtschaften,
ohne jede vertragsmäßige staatliche Regelung, verbinden; man dürfe
nicht bloß die formale Ausgestaltung des Wirtschaftslebens betrachten,
man müsse jene Fäden der privaten internationalen Verbindung geradezu
in den Vordergrund stellen. Diehl führt hier insbesondere die inter-
488 Miszellen.
nationalen Wirkungen von währungspolitischen Maßnahmen oder Vor-
gängen (Aufhebung der freien Silberprägung in Indien, amerikanische
Geldkrise 1907, internationale Kapitalausfuhr), ferner internationale Kar-
telle etc. an. Aber gerade diese sehr schätzenswerte Korrektur, welche
Diehl an der weltwirtschaftlichen Auffassung Harms’ vornimmt, be-
stärkt mich in der Auffassung, daß eine selbständige Weltwirtschafts-
lehre dringend geboten sei, und ich habe schon in dem früher erwähnten
Buche ‚Internationale Wirtschaftspolitik“ ausdrücklich hervorgehoben,
daß diese privaten internationalen Wirkungen und Zusammenhänge
gleichsam als Motivenbericht der staatlichen Verträge, als Vorläufer
und Schrittmacher derselben aufzufassen seien und jedenfalls zum Ver-
ständnis des Zustandekommens, in manchen Fällen auch des Nicht-
zustandekommens solcher Verträge studiert und begriffen werden sollen.
Allerdings weicht Diehl in der Folge wieder von dieser seiner
Auffassung ab, indem er behauptet, daß ohne das Mittelglied des volks-
wirtschaftlichen Verbandes, dem die Einzelwirtschaften angehören, die
internationalen wirtschaftlichen Beziehungen für den Nationalökonomen
bedeutungslos seien, welchen in erster Linie interessiere: wie diese Ein-
richtunger auf die volkswirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden
Länder einwirken. Er polemisiert hier, nach meiner Ansicht mit Un-
recht, gegen Dietzel, welcher mit guter Begründung behauptet, daß
sich neben den konkreten volkswirtschaftlichen Organismen ein ebenso
konkreter weltwirtschaftlicher Organismus bildet, welchem sowohl
theoretische wie praktische Bedeutung zukomme. Wenn Diehl dem-
gegenüber anführt, daß eine Organisation politischer und rechtlicher
Art, wie sie die heutige staatlich organisierte Volkswirtschaft darstellt,
keine Analogie in irgendeiner sogenannten Weltwirtschaft habe, so ist
dies denn doch eine starke Verkennung der tatsächlichen Entwicklung.
Gerade die zunehmende Verflechtung der einzelnen Wirtschaftssubjekte
und der Einzelvolkswirtschaften in den weltwirtschaftlichen Nexus und
zwar auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens (wie früher be-
merkt) führt zu einer immer größeren Zahl von internationalen Staats-
verträgen wirtschaftlichen Inhaltes oder wenigstens mit wirtschaftlicher
Verursachung. Derart bildet sich allmählich in der Tat eine politische
und rechtliche Organisation weltwirtschaftlichen Charakters heraus, in-
dem immer mehr Fragen des Rechtes selbst einer internationalen Rege-
lung zugeführt werden — Beweis dessen die schon äußerlich so stark
zunehmende Zahl derartiger Staatsverträge, Beweis dessen aber auch die
zunehmende Zahl ständiger internationaler Büros für die Besorgung von
wichtigen Agenden auf dem Gebiete des neuen internationalen Zivil-,
Handels-, Wechsel- und Verwaltungsrechtes; ja wir wissen, daß auch
das Staats- und das Prozeßrecht bereits zu internationalen Organisationen
geführt haben.
Es ist daher nicht zu billigen, wenn Diehl leugnet, daß die immer
mehr zunehmende ‚Ausdehnung und Intensität des Weltverkehrs sich
auch zu einer besonderen Wirtschaftsform, der sogenannten Weltwirt-
schaft, ausgestaltete und eine besondere Teildisziplin, die Weltwirt-
schaftslehre, rechtfertige. Insbesondere ist es nicht richtig, daß der
Miszellen. 489
Wirtschafts- oder Sozialwissenschaft hierdurch keine neuen Probleme
gestellt werden, und daß es sich um quantitative Veränderungen und
nicht um qualitativ. Neues handle. Diehl selbst sagt ja, daß das
Forschungsgebiet hierdurch immer weitere und vielgestaltigere Aufgaben
erhalten habe, immer größeres statistisches Material zu bewältigen sei,
daß es aber doch dieselben Fragen und Probleme geblieben seien.
Diese Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse ist die hauptsächliche
Schuld an dem Streite über die Berechtigung oder Nichtberechtigung
der Weltwirtschaftslehre.
Nicht bloß quantitative Veränderungen liegen hier vor, sondern in
der Tat neue Probleme. In keiner früheren Zeit, etwa vor der Mitte
des 19. Jahrhunderts, waren die wechselseitigen Beziehungen und die
Abhängigkeiten der Volkswirtschaften, und immer zahlreicherer Einzel-
wirtschaftssubjekte in denselben, von dem internationalen Verkehr
größer, dichter und ständiger als jetzt. Es haben sich in der Tat neue,
ganz anders geartete und auch anders zu beurteilende wirtschaftswissen-
schaftliche Phänomene herausgebildet. Ich will nur auf eine und zwar
sehr wichtige Tatsache verweisen: Die Merkantilisten konnten seinerzeit
auf Grund der damals gegebenen internationalen Beziehungen mit guten
Recht die bekannte Lehre von der Handelsbilanz aufstellen. Heute ist
diese Lehre deshalb falsch, weil neben dem bloßen internationalen
Waren- und Edelmetallverkehr die internationale Kapitalienwanderung
und zwar aller Art (öffentliche Auslandsanleihen, Kapitalsinvestitionen
in Bergwerken, Industrie-, Handels- und Verkehrsunternehmungen ande-
rer Länder etc.) maßgebend wurde und eine förmliche Umwälzung der
rein nationalwirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Kapitalsbildung
und -verwendung hervorgerufen hat, ihrerseits auch wieder den bloßen
Handelsverkehr sehr wesentlich und ständig beeinflußt. Auf diese Weise
sind die einzelnen Volkswirtschaften, früher die oberste Stufe wirtschafts-
wissenschaftlicher Betrachtungen, gleichsam zum Ausgangspunkte einer
neuen Lehre geworden und stellen die Zellen dar, aus welchen sich der
Weltwirtschaftskörper bildet. Es müssen die Differenzierung der Natio-
nalwirtschaften, die Entstehung, Richtung und Stärke der international-
wirtschaftlichen Verkehrsarten (persönlicher, kommerzieller, finanzieller
Art ete.) erforscht und erklärt werden, nicht zuletzt auch die Zusammen-
hänge dieser verschiedenen internationalwirtschaftlichen Verkehrsarten
_ miteinander.
Am wenigsten stichhaltig dürfte die Behauptung Diehls sein, daß
neben der von Harms betonten Ausdehnung der internationalen Be-
ziehungen ja auch gegenteilige Erscheinungen zu verzeichnen seien, daß
manche Länder einen wesentlich verstärkten inneren Wirtschafts- und
Handelsverkehr haben und ihre Abhängigkeit vom Auslande geringer
geworden sei, daß es außerordentlich schwer sei, zu internationaler Ein-
heitlichkeit zu kommen, wenn es sich um wirklich einschneidende Maß-
nahmen handle, wie z. B. um die internationale Regelung des Geld-
und Münzwesens, des Arbeiterschutzes und anderes. Umgekehrt ist
vielmehr anzuerkennen, daß trotz der eingelebten, überkommienen
nationalwirtschaftlichen Auffassungen in den Kreisen der Theoretiker
490 Miszellen.
und Praktiker — wir erinnern nur an das noch stark ausgeprägte Prinzip
der unbedingten Staatssouveränität — gleichwohl schon so viele Materien
des internationalwirtschaftlichen Verkehres einer einheitlichen Regelung
zugeführt werden konnten. Ich erinnere nur an mehrere internationale
Konventionen betreffend den Arbeiterschutz (Verbot der Verwendung des
giftigen Phosphors, der industriellen Frauen-Nachtarbeit) und an andere
bereits vorbereitete diesbezügliche Vereinbarungen, ferner an internatio-
nale sozialpolitische Sonderabkommen (z. B. zwischen Frankreich und
Italien), ebenso an die sozialpolitischen Klauseln in den neuen Handels-
verträgen, namentlich Italiens, der Schweiz, Deutschlands und auch
Oesterreich-Ungarns. Ich erinnere ferner an die Einführung des inter-
nationalen Giroverkehres, angebahnt von der österreichischen Postspar-
kasse, welchem Beispiele andere Kreditinstitute gefolgt sind. Freilich,
die internationale Goldmünze ist noch nicht erreicht, ebenso bestehen
noch die bekannten Differenzen im Geld-, Maß- und Gewichtssystem.
Aber welcher weltwirtschaftlich durchgebildete Kaufmann, ja auch
Theoretiker, wird gerade diese Differenzen heute nicht schon als eine
lästige, auch nationalwirtschaftlich betrachtet, höchst unnötige und nicht
vorteilhafte Einrichtung, als ein Ueberbleibsel früherer, vom Weltver-
kehre weniger durchtränkter Wirtschaftszeit empfinden? Das ist das
gewiß nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ Neue, daß es sich
um den Kampf zweier Prinzipien handelt: des konservativen Prinzipes der
möglichsten Beibehaltung traditioneller nationalwirtschaftlicher Rechts-
und Wirtschaftsinstitute, gegen die sich immer stärker und eindringlicher
geltend machenden internationalen Vereinheitlichungstendenzen, um den
sachgemäßen Ausbau der internationalen Organisation in allen den Welt-
verkehr betreffenden Belangen.
Es zeugt von nicht vollständiger Erfassung der gegenwärtigen welt-
wirtschaftlichen Beziehungen, wenn Diehl und andere in Abrede stellen,
daß in diesem Verkehre „keine neuen einheitlichen Prinzipien“ ge-
funden werden können, daß die Volkswirtschaften stets in einem „ge-
wissen Austauschverkehre‘“ standen, daß keine Wirtschaftsstufe volle
Selbstherrlichkeit der Bedürfnisbefriedigung auf die Dauer garantiere
und jede Stufe „gewisse Lücken“ bestehen lasse, daß die sogenannte
Weltwirtschaft keine Erscheinungen hervortreten lasse, die von denen der
Volkswirtschaft „in wesentlichen Merkmalen“ abweichen usw. Dem-
gegenüber muß immer und immer wieder betont werden, daß gerade die
gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Zustände gegenüber früheren Zeiten
sich wesentlich geändert haben und von früheren internationalen Be-
ziehungen wesentlich verschieden sind, und zwar nicht bloß der Zahl der
Verkehrsakte nach, sondern auch ihrer Natur nach. Früher herrschte
bekanntlich das starre Absperrungs- und Verbotsystem, nicht bloß was
den Warenverkehr, sondern auch was den persönlichen Verkehr betrifft,
es gab fast gar keinen internationalen kapitalischen Verkehr. Schon
aus diesem Grunde konnte — und zwar mit Recht — die National-
ökonomie früherer Zeit nicht vor jene schwierigen weltwirtschaftlichen
Probleme gestellt sein, die uns heute beschäftigen und die in dem zu
eng gewordenen Rahmen der Volkswirtschaftslehre unmöglich mehr ge-
Miszellen. 491
löst werden können. Der jüngst verstorbene hervorragende Rechtslehrer
Meili sagte einmal, der Mensch sei heute zu einem internationalen
Rechtssubjekte geworden. Noch mehr Gültigkeit hätte wohl der Satz,
daß der Mensch zu einem internationalen Wirtschaftssubjekte geworden
sei und immer mehr und mehr werde.
Als ein Gegenargument wird von Diehl und auch von anderen
Autoren angeführt, daß die Handelspolitik der wichtigsten Länder ein
Auf und Ab von autonomer und vertragsmäßiger Politik zeige. Es wird
auf das Wiederaufleben der Schutzzölle, auf das Festhalten an der
nationalen Währung und der nationalen Arbeitsgesetzgebung, auf die
vollzogene oder noch erstrebte Verstaatlichung der Verkehrsanstalten,
des Bankwesens (?), auf die wachsende Staatstätigkeit auf ökonomischem
Gebiete überhaupt verwiesen und behauptet, daß wir nach der absolu-
tistischen und liberalistischen nunmehr in eine soziale (warum nicht
auch sozialistische?) Periode der Volkswirtschaft eingetreten seien.
Dieses Argument ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Was die
Handelspolitik betrifft, so kann wohl nicht ernstlich von einem Schwan-
ken zwischen autonomer und vertragsmäßiger Politik, sondern lediglich
von kleineren Schwankungen in bezug auf die Höhe der einzelnen Zölle
gesprochen werden, während alle wichtigeren Länder an der vertrags-
mäßigen Politik festhalten, ja sogar die Vereinigten Staaten von Amerika
von dem bloßen Prinzip der Reziprozitätsverträge im neuen Zolltarif-
gesetz vom 3. Oktober 1913 zum System der Handelsverträge über-
gegangen sind. Man darf auch nicht von einem Wiederaufleben der
Schutzzölle in unserer Zeit sprechen, da diese ja überhaupt niemals ver-
schwunden waren, also nicht wiederaufleben konnten, sondern zu gewissen
Zeiten in geringerer Höhe erstellt und, namentlich was bekanntlich die
Agrarzölle betrifft, in den letzten Jahren allerdings wieder erhöht
wurden. Demgegenüber muß aber darauf verwiesen werden, daß die
Tendenz, in England Schutzzölle einzuführen (und nur hier könnte man
von einem „Wiederaufleben“ der Zölle sprechen) derzeit schwächer denn
je ist, daß ferner die Vereinigten Staaten von Amerika, das vielgepriesene
Dorado der Hochschutzzöllner, bedeutende Ermäßigungen der Trustzölle,
ja in manchen Fällen Zollfreiheit dekretierten und daß auch in den
mitteleuropäischen Staaten gewiß keine Tendenz der Erhöhung der Zölle
und volle Neigung zur Weiterführung der vertragsfreundlichen Handels-
politik besteht. Und warum? Weil eben der wechselseitige Waren-
verkehr so stark zugenommen hat, weil Kapitalien der einzelnen Länder
in anderen Ländern so stark engagiert sind, daß eine vertragsmäßige, ja
vertragsfreundliche internationale Wirtschaftspolitik eben ein elementares
Gebot der Notwendigkeit wurde.
p Was die Arbeitsgesetzgebung betrifft, so ist auch hier, wie schon
früher erwähnt, gerade mit Rücksicht auf die stark entwickelte Nach-
bar- und Saisonwanderung die internationale Regelung in die Wege ge-
leitet worden, sei es durch offizielle, sei es durch Akte der privaten
Organisation (siehe oben). Auch die Arbeiterversicherungsgesetzgebung
der einzelnen Staaten macht gleiche Fortschritte und wird dadurch der
internationalen, d. h. reziproken Anwendung dieser Gesetze auf aus-
492 Miszellen.
ländische Arbeiter sich immer mehr nähern. Auch die zunehmende Zahl
der Staatsverträge über Unfallentschädigung ist hier zu erwähnen.
Richtig ist, daß die Staaten an der nationalen Währung festhalten,
wenngleich auch hier wichtige internationale Vereinbarungen, die be-
kannten Münzunionen, bestehen und gewiß keine Tendenz zu melden ist,
daß an diesen Unionen irgendwie gerüttelt werden soll. Im übrigen sind
auch hier Versuche zum Teil durchgeführt, zum Teil in immer stär-
kerem Maße unternommen worden, durch internationale Vereinbarungen
der Geldinstitute zu einer Erleichterung der internationalen Zahlungs-
verhältnisse zu gelangen, Träger einer internationalen Zahlungstechnik zu
schaffen und die, vom heutigen intensiven weltwirtschaftlichen Stand-
punkte aus betrachtet, gewiß bereits als veraltet zu bezeichnenden, in
der Regel ja sehr geringfügigen Unterschiede der einzelnen nationalen
Währungseinheiten, ebenso auch die Ueberbleibsel atavistischer Maß- und
Gewichtssysteme (in England, Rußland, Vereinigte Staaten von Amerika)
zu reformieren.
Die wachsende Staatstätigkeit auf ökonomischem Gebiete beweist
nichts gegen die internationalisierenden Tendenzen im Wirtschaftsver-
kehre, und so sehr man aus diesen Phänomen und aus einigen anderen
eine Zunahme der staatssozialen oder vielleicht auch staatssozialistischen
Tendenzen herauslesen könnte, so gilt ja diese Entwicklung nur für die
Volkswirtschaften nach innen; viel stärker aber zeigt sich für die Be-
ziehungen nach außen die internationalisierende weltwirtschaftliche Ent-
wicklung, und es ist eine arge Verkennung der Tatsachen, wenn behauptet
wird, dal) eine Volkswirtschaft ihre Bedürfnisse heute noch selbst be-
friedigen könne, mit Ausnahme „gewisser Lücken“. Die Handels-
statistik, die Statistik der Wanderbewegung, die internationale Finanz-
statistik beweisen das strikte Gegenteil.
Es ist derzeit müßig, darüber zu streiten, ob, wie Diehl behauptet,
die volkswirtschaftliche Entwicklungsstufe „endgültig die letzte sein
müsse“ oder ob darüber hinaus sich derzeit eine weltwirtschaftliche Ent-
wicklungsstufe herausbilde. In wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Dingen gab es überhaupt niemals ein Letztes und ein Endgültiges, die
Bedürfnisse der Menschen ändern sich in allen Belangen, die wirtschaft-
lichen Beziehungen der Einzelmenschen und ihrer ursprünglichen Ver-
bände haben sich ebenfalls so bedeutend geändert, daß es zumindest un-
vorsichtig ist, von einer bestimmten Entwicklungsstufe als der letzten
und endgültigen zu sprechen. Und wenn Diehl zum Beweise seiner
Behauptung abermals anführt, daß es keine weltwirtschaftliche Organi-
sation gebe, die etwas der volkswirtschaftlichen Analoges darstelle, so
verweisen wir auf das bereits früher Gesagte. Die Gesamtheit der
völkerrechtlichen Institutionen, das in zahlreichen internationalen Ver-
trägen sich manifestierende Konzert der wichtigsten Staaten der Welt,
die Einrichtung internationaler Schiedsgerichte und eines internationalen
Schiedsgerichtshofes, die Bestellung ständiger internationaler Büros für
wichtige internationale Verwaltungsfragen, der ungeschriebene, aber
gleich einem Gesetz geltende Grundsatz, daß alle diese internationalen
Vereinbarungen und Institutionen volle Geltung haben gleich einer natio-
Miszellen. 493
nalen Schöpfung — alle diese Tatsachen können sehr wohl als eine sich
wenigstens anbahnende politische Organisation der Weltwirtschaft ange-
sprochen werden, welche beständig wächst, ausgebaut wird und unauf-
haltsam einer vollständig internationalen Organisation der Völker ent-
gegenstrebt.
Viel wichtiger erscheint uns die Beachtung der Tatsache, daß — in
den wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen eines und desselben
Volkes, aber auch in der Weltwirtschaft — nicht so sehr ein Wechsel
vom absolutistischen und liberalistischen zum sozialen Regime, als vom
individualistischen zum organisatorischen Regime statt-
findet. Nichts charakterisiert die wirtschaftlich-sozialen Zustände der
Gegenwart deutlicher als der Organisationsgedanke, als der fast
allmächtigs Glaube an die Wunderkraft der Organisation, d. h. des Zu-
sammenschlusses gleich interessierter Einzelner. Auf die Arbeiter-
organisationen folgte die Organisation der Arbeitgeber, an die Stelle
des individuellen Lohnvertrages tritt der kollektive Arbeitsvertrag, Orga-
nisationen zur Austragung von Lohnstreitigkeiten entstehen; bald nach
den Produzenten organisieren sich die Händler und die Konsumenten;
es gibt fast gar kein wirtschaftliches oder gesellschaftliches Betätigungs-
gebiet mehr, in welches der Organisationsgedanke nicht siegreich ein-
gedrungen wäre — überall tritt deutlich wahrnehmbar der Zug zur
Verbandswirtschaft hervor, und das geltende Recht vermochte noch
nicht, sich befriedigend diesen neuartigen Erscheinungen anzupassen.
Ebenso nun herrscht die Organisation auch schon in der Weltwirt-
schaft: Hier macht sich das Bedürfnis nach Zusammenfassung und
Regelung am stärksten fühlbar, vielleicht weil die weltwirtschaftliche
Organisation mit ungleich größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als
die Organisationen im engeren volkswirtschaftlichen Rahmen. Doch
greifen einzelwirtschaftliche Organisationen aller Art immer deutlicher
in die Weltwirtschaft hinüber, es gibt internationale Organisationen
aller Art, ihre Zahl wächst von Tag zu Tag, und auch sie erheischen
planmäßige Regelung.
Wenn wir zum Schlusse noch von einem „Werturteile“ sprechen
wollen, welches ja von den modernistischen Nationalökonomen bekannt-
lich aus der allgemeinen Volkswirtschaftslehre verpönt wird, so möchten
wir der Meinung Ausdruck geben, daß es den Anschein erweckt, als ob
die Gegner der Weltwirtschaftslehre oder einer internationalen Wirt-
schaftspolitik übertrieben nationale, ja nationalistische Vorstellungen und
Bewertungen zeigen, vielleicht auch noch allzu starre Anhänger des
alten Souveränitätsgedankens sind, während die Befürworter der Welt-
wirtschaftslehre, den tatsächlichen Erfordernissen der international wirt-
schaftenden Menschen entsprechend, diese neuen Tatsachen auch in selb-
ständiger Lehre vertreten sehen wollen.
Für die Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie ergibt sich daher
etwa folgende Arbeitsteilung. Die allgemeine oder theoretische Volks-
wirtschaftslehre wird sich mit der Erforschung der elementaren Tat-
sachen des Wirtschaftslebens ohne Berücksichtigung der staatlich-
nationalen Schranken nach wie vor zu beschäftigen haben. Daneben
494 Miszellen.
werden besondere Disziplinen zu behandeln haben: die Einzel- oder
Privatwirtschaft, die Volkswirtschaft im eigentlichen Sinne des Wortes
und die Weltwirtschaft. Was die praktische oder angewandte Volkswirt-
schaftslehre, die Wirtschaftspolitik, betrifft, so wird auch hier zweck-
mäßigerweise eine Arbeitsteilung Platz zu greifen haben, und zwar in
dem Sinne, daß eine Disziplin sich mit der Volkswirtschaftspolitik, d. h.
mit allen jenen Fragen befaßt, welche sich innerhalb einer und derselben
Volkswirtschaft bzw. eines und desselben Staates, auf die Beeinflussung
oder Regelung der wirtschaftlichen Vorgänge daselbst beziehen. Da-
neben wird aber auch eine Lehre von der internationalen Wirtschafts-
. politik geschaffen werden müssen, welche die Regelung und Beeinflus-
sung aller weltwirtschaftlichen Vorgänge zum Gegenstande ihrer For-
schung hat.
Nachschrift.
Dieser Aufsatz, schon im Juni l. J. verfaßt, bedarf jetzt wohl einer
aufklärenden Ergänzung, da der Weltkrieg den Bestand eines inter-
nationalen Rechtes und die Hoffnung auf Erhaltung oder gar Weiter-
bildung desselben, sowie alle verheißungsvollen Ansätze einer inter-
nationalen Organisation auch in wirtschaftlicher Hinsicht, namentlich
infolge des völkerrechts- und vertragswidrigen Vorgehens Englands,
zu vernichten scheint. Die stärkst denkbare, einseitig nationalistische
Wirtschaftspolitik soll wieder Oberhand gewinnen. Nun muß man aber
die Weltwirtschaftslehre und die internationale Wirtschaftspolitik offen-
bar in zweifacher Hinsicht gliedern: in eine solche für normale Friedens-
zeiten und in eine Kriegswirtschaftslehre. Wir erleben die Bewahr-
heitung derjenigen entwicklungsgeschichtlichen Grundgedanken, welche
Herbert Spencer vortrug: zunehmende Differenzierung bei gleichzeitig,
aber stärker zunehmender Integrierung, ins Wirtschaftliche übersetzt:
zunehmender Gegensatz der wirtschaftlichen Interessen innerhalb eines
Volkes und auf der Welt bei gleichzeitig, aber stärker zunehmender
Interessengemeinschaft in volks- und weltwirtschaftlicher Hinsicht.
Wenn jetzt die weltwirtschaftlichen Gegensätze wieder aufeinander-
prallen, so wird dem Kriege unzweifelhaft ein um so stärkeres Be-
dürfnis der zwischenstaatlichen Regelung weltwirtschaftlicher Vorgänge
folgen müssen. Die zwischenstaatliche Organisation wird vielleicht neue
Formen und vor allem bessere Bürgschaften der Erhaltung der inter-
nationalen Rechtsvereinbarungen, namentlich auch insoweit sie sich auf
wirtschaftliche Fragen beziehen, auslösen müssen.
Miszellen, 495
XV.
Die Hauptwerte und ihre Verwendung
in der Preisstatistik.
Von Dr. Artur Lehmann, Berlin.
Einen der strittigsten und schwierigsten Punkte in der Preisstatistik
bildet die Auswahl des zu erhebenden oder — falls mehrere Preise er-
hoben werden — des zu veröffentlichenden Wertes. Im allgemeinen
werden, auch für die gleiche Qualität einer bestimmten Ware am selben
Tage (an der Börse) oder am selben Orte (bei den Kleinhandelspreisen )
mehrere Preise vorhanden und zur Notierung gekommen sein. Am ge-
nauesten wäre es, alle Preise unter Angabe der Umsätze und gegebenen-
falls auch der Qualitätsunterschiede, Herkunft usw. anzugeben. Dies
läßt sich jedoch bestenfalls nur für einen einzigen oder ganz wenige
Orte durchführen; als Beispiel für diese geradezu ideale Anschreibungs-
methode sei auf die Viehpreise in Wien verwiesen (Warenpreisberichte,
zusammengestellt von den k. k. Ministerien für Handel und Ackerbau,
seit Januar 1912). Allein schon wenn man die zeitlichen Preisände-
rungen des gleichen Marktes oder die örtlichen Preisunterschiede eines
bestimmten Staatsgebietes untersuchen will, ergibt sich die Notwendig-
keit, die Preisgestaltung eines bestimmten Ortes und Zeitpunktes ein-
deutig, d. h. durch einen einzigen Wert, kenntlich zu machen und zur
klaren Anschauung zu bringen. Diesem Zwecke dienen 4 verschiedene
Arten von „Hauptwerten“, die wir kurz anführen und alsdann einer
näheren kritischen Besprechung unterziehen wollen:
1) das Mittel der Spannungspreise,
2) der arithmetische Durchschnitt (mit der Eigenschaft einer gleichen
Summe positiver und negativer Abweichungen),
3) der häufigste oder Scheitel-Wert (der als Einzelwert wahrschein-
lichste oder der unter den Einzelgrößen vorherrschende Wert),
4) der Zentralwert, neuerdings auch als Median bezeichnet (mit der
Eigenschaft, die gleiche Anzahl positiver und negativer Ab-
weichungen zu haben).
In einem Falle wie dem anfangs angeführten (Viehpreise zu Wien)
ist es zweifellos am zweckmäßigsten, unter Ausschluß der besonders
guten und geringen Qualitäten, die am Rande der Tabellen kenntlich ge-
macht sind, den „gewogenen“ Durchschnitt zu berechnen, d. h. jeden
notierten Preis mit dem entsprechenden Umsatz zu vervielfältigen und
durch den Gesamtumsatz zu teilen. In dem so gefundenen Wert kommt
jede Aenderung des Preisniveaus oder der relativen Umsätze zum Aus-
496 Miszellen.
druck. In dem vorliegenden Falle kann auch der häufigste Wert zur
eindeutigen Klarlegung der Preisverhältnisse Anwendung finden. Es
wäre dies der Preis, zu dem der größte Umsatz stattgefunden hat.
Jedoch schon bei diesem Wert ergeben sich Schwierigkeiten, wenn bei
zwei oder mehr verschiedenen Preisen die gleichen Umsätze stattgefunden
haben, wenn also die Kurve der Umsätze (mit.den Preisen als Abszisse)
nicht zu einem einzigen „häufigsten“ Preis ohne Unterbrechung an-
steigt und von dort wieder abfällt!). Hier muß man zu dem Notbehelf
greifen, das arithmetische Mittel aus den beiden „häufigsten“ Werten
zu bilden. Man gelangt also nicht zu einem realen, sondern zu einem
ganz fiktiven, errechneten häufigsten Preis. Wenn auch so die Berech-
nung des häufigsten Preises bei Bekanntgabe der wirklichen Umsätze
keine praktischen Schwierigkeiten bietet, so muß sie doch theoretische
Bedenken erregen.
Wie gestaltet sich nun aber die Berechnung, wenn die Umsätze un-
bekannt bleiben, wie es in der Statistik der Kleinhandelspreise fast durch-
weg die Regel ist? Der häufigste Preis, der dem natürlichen Empfinden
zweifellos am meisten entspricht, ist — um in der Terminologie von
Mayrs zu reden — nur bei wirklichen Massenbeobachtungen anwendbar.
Be? Erhebung der Kleinhandelspreise dagegen wird nur eine kleine Zahl
von typischen Läden oder Marktständen ausgewählt, die im allgemeinen
sogar mit der zunehmenden Größe der Städte im Verhältnis zur Be-
völkerung und zum Gesamtumsatze immer geringer wird. So verlockend
der Grundgedanke der häufigsten Preise auch ist, so muß man in der
Praxis davon Abstand nehmen, da man über den Gesamtumsatz des
Ortes und selbst über den der zur Preisnotierung herangezogenen Er-
hebungsstellen im Dunkeln bleibt. Nimmt man, um den häufigsten
Preis zu gewinnen, eine mechanische Auszählung der an Zahl oft ge-
ringen Preisnotierungen vor, so ergeben sich mancherlei Unstimmig-
keiten; so kann die gute Qualität einen niedrigeren „häufigsten“ Preis
haben als die schlechte, oder es kann der „häufigste“ Preis sinken,
während ein großer Teil der Einzelpreise in die Höhe geht.
Um dies zu veranschaulichen, wählen wir ein Zahlenbeispiel, wie
es tatsächlich vorgekommen ist. In einem Ort der preußischen Preis-
berichterstattung wurden in der ersten Hälfte des August 1912 nach-
stehende Preise ermittelt für Fleisch
von der Keule vom Bug
bei . . . Fleischern
1,40 M. — 2
1,50 „ I 3
1,60 „ 5 2
1,70 „ 2 I
1,80 „ 3 5
1,90 „ — I
2,00 „ 4 2
2,10 n —_ _
2,20.» I —
1) Wegen dieser Eigenschaft bei der graphischen Darstellung heißt der häufigste
Wert auch Scheitelwert oder (nach Fechner) dichtester Wert.
Miszellen. 497
Der „häufigste“ Preis für die gute Qualität (von der Keule) ist
also mit 1,60 M. geringer als der für die minderwertige Qualität (vom
Bug) mit 1,80 MI,
Nehmen wir an, daß die beiden untersten Preise bei dem Fleisch
vom Bug von 1,40 M. auf 1,50 M. und einer der 5 Werte von 1,80 M.
auf 1,90 M. steigt, so sinkt der „häufigste“ Preis trotz der 3 Preis-
erhöhungen von 1,80 M. auf 1,50 M.
Aus diesem der Praxis entnommenen Beispiel geht hervor, daß
der „häufigste Preis“ in einer so rohen Form auf die Kleinhandels-
preise nicht angewendet werden darf.
Bis zum 1. Januar 1909 wurden die Kleinhandelspreise in Preußen
als Spannungspreise erhoben; die für eine schnelle Orientierung be-
stimmten Veröffentlichungen in der „Statistischen Korrespondenz‘ brach-
ten jedoch nur die Monatsdurchschnittspreise als arithmetisches Mittel
aus den an den verschiedenen Aufzeichnungstagen ermittelten höchsten
und niedrigsten Preisen der betreffenden Warengattung. Diese Methode
der Erhebung und Veröffentlichung ist seit dem Jahre 1909 mit Recht
aufgegeben worden. Ganz abgesehen davon, daß die Qualitätsunter-
schiede der einzelnen Fleischstücke nur schwer berücksichtigt werden
können, üben auch die von Zufälligkeiten abhängigen extremen Preise
auf das daraus berechnete Mittel einen zu großen Einfluß aus. Immer-
hin kann das arithmetische Mittel der Spannungspreise unter Umständen
ein genaueres Bild geben als der häufigste Preis; so beträgt bei dem
vorher angeführten Beispiel das Mittel der Extreme für Fleisch von
der Keule 1,85 M. und für solches vom Bug 1,70 M. Es dürfte hier
bei halbwegs gewissenhafter Erhebung kaum vorkommen, daß der Preis
für Fleisch vom Bug höher ist als der für Keulenstücke; ebenso dürfte
die zeitliche Aenderung der Preise im allgemeinen deutlich zum Aus-
druck kommen.
Neben dem arithmetischen Mittel, das seit alters her und auch heute
noch anı meisten als Hauptwert angewandt wird, ist in neuerer Zeit der
Zentralwert (nach Fechner?) verschiedentlich in Aufnahme gekommen
Da dieser (auch alsMedian bezeichnete) Wert zur praktischen Anwendung
in der Statistik mehrfach?) empfohlen worden ist, sollen seine Vorzüge
und Nachteile hier etwas näher beleuchtet werden. Wenn alle Einzel-
werte ihrer Größe nach in eine Reihe geordnet sind, ist der Median der
1) Die großen Preisdifferenzen scheinen übrigens darauf hinzudeuten, daß bei den
der Erhebung zugrunde gelegten Fleischsorten schon starke Qualitätsunterschiede vor-
handen sind.
2) Fechner, Ueber den Ausgangswert der kleinsten Abweichungssumme, dessen
Bestimmung, Verwendung und Verallgemeinerung. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d.
Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. Leipzig, 1874 (Bd. XI, Nr. 1). Vgl. auch Hugo Meyer,
Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für die Klimatologie. Berlin
1891. (Besprochen von K. Brämer in der Zeitschr. d. Kgl. Preuß. Statist. Bureaus,
1891, S. 234.)
3) Kieseritzky, Ueber Mediane und Quartilen. (Deutsches Statistisches Zentralblatt
vom 15. Mai 1910.) Zur Anwendung empfohlen wird der Median für die Statistik der
Kleinhandelspreise im Königreich Sachsen. (Zeitschr. d. Kgl. Sächs. Statist. Landes-
amtes, 1910, 8. 202.)
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 32
498 Miszellen.
Wert, der in der Mitte steht, von dem aus gezählt sich also ebensoviel
Einzelwerte finden, die kleiner, als solche, die größer sind; er besitzt
demnach die gleiche Anzahl positiver und negativer Abweichungen.
Dieser Wert scheint der sinnlichen Anschauung sehr nahe zu liegen, gibt
aber, wie man sich leicht überzeugen kann, die wirklichen Verhältnisse
außerordentlich mangelhaft wieder. Mit den Einzelwerten der Reihe
können nämlich die größten Veränderungen vorgehen, ohne daß der
Zentralwert sich ändert; wir können statt eines beliebigen Einzelwertes
einen anderen einsetzen, wenn nur dieser neue Wert mit dem ausge-
schiedenen auf derselben Seite des Medians liegt. Wenn der Zentralwert
in eine größere Gruppe von Werten fällt, kann sogar eine erhebliche
Anzahl von Größen von der einen Seite des Zentralwertes auf die andere
gebracht werden, ohne daß dieser eine Aenderung erleidet. Der Zu-
sammenhang des Zentralwertes mit den Einzelwerten ist also nur ein
sehr loser. Ist die Anzahl der Einzelwerte gerade, so fällt der Median
zwischen zwei reale Einzelwerte oder unter Umständen zwischen zwei
Gruppen von Einzelwerten; hier können wir den Zentralwert nur mit
Hilfe eines neuen Prinzips, des arithmetischen Mittels, bestimmen, wobei
sich im zweiten Falle (bei gegebenen Gruppen) Zweifel ergeben können,
auf welche Weise das Mittel zu berechnen ist!).
Wir wollen diese Verhältnisse wiederum an dem eingangs erwähnten
Beispiel erläutern. Der Median fällt hier zwischen den 8. und 9. Einzel-
wert, also sowohl bei der Keule wie beim Bug zwischen zwei Gruppen
mit den Preisen 1,70 M. und 1,80 M. Wir wählen als Median das
arithmetische Mittel zwischen den Wertgrößen der beiden Gruppen, also
zwischen 1,70 M. und 1,80 M.?), und erhalten so für beide Fleischsorten
1,755 M. Sowohl die in den vier unteren wie auch die in den oberen
Gruppen vereinigten Werte können je untereinander in andere Gruppen
gelangen, ohne auf den Median irgendwie einzuwirken. Rückt jedoch
ein einziger Wert aus der vierten in die fünfte Gruppe, so ändert sich
der Median außerordentlich sprunghaft, nämlich um 5 Pfg.; hätten wir
eine ungerade Gesamtzahl von Einzelwerten, so würde dieser Sprung
sogar 10 Pfg. betragen, um dann bei weiteren Aenderungen unter Um-
ständen eine Zeitlang stehen zu bleiben, abermals um 10 Pfg. zu springen
und so fort.
Neben diesen schweren Bedenken, die einer Anwendung der Me-
diane in der Preisstatistik entgegenstehen 3), ergeben sich auch bei der
praktischen Ermittelung mancherlei Schwierigkeiten. Zur Feststellung
1) Und zwar auch bei Gruppen von mehreren gleichen Einzelwerten, wie in unserem
angeführten Beispiel, nicht nur bei Klassen mit Spannungswerten, wie in dem Beispiel
von Kieseritzky (Deutsches Statist. Zentralbl., 1910, Sp. 99.)
2) Man könnte bei Berechnung des Medians auch die Zahl der in den nächst-
gelegenen Gruppen vorhandenen Werte berücksichtigen ; alsdann ergibt sich für Fleisch
at >
von der Keule Ze M., für Fleisch vom Bug rn 1,78M.
3) In der Einkommensteuer-Statistik u. dgl. können die Mediane und Quar-
tilen immerhin mit Vorteil Anwendung finden, wie die Beispiele Kieseritzkys
zeigen. Wie soll übrigens die Unter- und Oberquartile ermittelt werden, wenn sie in
die unterste bzw. oberste Größenklasse fällt, die nach unten bzw. oben nicht begrenzt ist?
Miszellen, 499
des Medians müssen die einzeln ermittelten Werte, die in den Erhebungs-
bogen ungeordnet stehen, erst nach der Größe geordnet und meist zu
Gruppen zusammengefaßt werden ; dies ist bei einer größeren Anzahl von
Werten eine zeitraubende Arbeit und gibt außerdem in hohem Maße
zu Rechenfehlern Veranlassung. Größenklassen mit Spannungswerten
sind bei der Kleinhandelspreisstatistik im allgemeinen nicht vorhanden.
Aber auch in einfacheren Beispielen wie dem unseren ist die Berechnung
sicher zu umständlich, um in der Statistik der Kleinhandelspreise all-
gemein Eingang finden zu können. Von einer „einfachen Ermittlung“
(Kieseritzky) kann keinesfalls die Rede sein.
Alle für den Median angeführten Mängel fallen für das arithme-
tische Mittel fort. Dieses bringt durch den engen Zusammenhang mit
den Einzelwerten jede Preiserhöhung, auch bei einem einzigen Schlächter,
wenn sie nicht sehr klein ist, zum Ausdruck, ohne sich sprunghaft wie
der „häufigste“ Preis oder der Median zu verändern. Die Summe der
(auch ungeordneten) Einzelwerte ist leicht festzustellen und die Division
leicht auszuführen, so dal die Berechnung nach einer einfachen An-
weisung von jedem unteren Polizeibeamten vorgenommen werden kann.
Um die erheblichen Preisunterschiede zu zeigen, die sich nach den
verschiedenen Berechnungsmethoden für den Hauptwert ergeben, seien
die Werte, die für unser durchgängig benutztes Beispiel zu ermitteln
sind, nochmals zusammengestellt. Es beträgt in Mark für Fleisch
von der Keule vom Bug
der „häufigste“ Preis 1,60 M. 1,80 M.
der Median LIE A GIS u
das Mittel der Spannungswerte 1,85 „ 1,70.»
das arithmetische Mittel aller Preise LTS s 1,69 „
Die beiden ersten Werte geben die wahren Preisverhältnisse über-
haupt nicht wieder, ja sie erscheinen als geradezu unmöglich. Auch beim
arithmetischen Mittel aller Preise beträgt der Preisunterschied zwischen
Keulen- und Bugfleisch nur 9 Pig.; hierbei ist jedoch zu berücksichtigen,
daß 6 von den 16 zur Ermittelung herangezogenen Fleischern den
Preis beider Fleischsorten als gleich, 6 den Unterschied auf 10 und nur
4 auf 20 Pfg. angegeben haben.
Ein Mittelding zwischen Median und arithmetischem Mittel wäre
es, wenn man die beiden häufigsten Preise mit der Zahl der Häufigkeit
bzw. dem Umsatz in Betracht zieht. Unser Beispiel ergibt alsdann für
das Fleisch
5%x1,60 + 4% 2,00
von der Keule 9 = 1,78 M. und
vom Bug a N 1,69 M.
Bezeichnenderweise sind diese Werte dieselben wie beim arithmetischen
Mittel sämtlicher Einzelwerte (1,78 bzw. 1,69 M.). Dieses ist jedoch
erheblich schneller und leichter zu berechnen, weil man nicht erst alle
Einzelwerte in eine Reihe nach ihrer Größe zu ordnen braucht; auch rein
logisch liegt gar kein Grund vor, nur die 2 (unter Umständen auch 3
82*
500 Miszellen.
oder 4 usw.) Gruppen mit der größten Zahl von Werten für die Mittel-
bildung heranzuziehen.
Um auch in der Kleinhandelspreisstatistik die Umsätze zu berück-
sichtigen, also den „gewogenen‘ Durchschnitt zu berechnen, könnte man
auf Grund von genauen Beobachtungen über den Umsatz der einzelnen
Verkaufsstellen für jeden Laden usw. runde Gewichtszahlen festsetzen
und bei Ermittelung des Durchschnittes längere Zeit hindurch un-
verändert benutzen, wie es etwa bei astronomischen und physikalischen
Beobachtungen aus psychologischen Gründen geschieht.
Allein in dieser Richtung wird sich eine Reform des Hauptwertes
in der Kleinhandelspreisstatistik zu bewegen haben, wenn man nicht bei
dem einfachen arithmetischen Mittel stehen bleiben will, das man aus
den Einzelpreisen der gesamten Verkaufsstellen zu ermitteln hat. In
jedem Falle ist jedoch ein einziger Preis als Repräsentant aller Preise
anzugeben; eine Auswahl der beiden häufigsten Preise (es können ja
unter Umständen auch 3 oder 4 „häufigste“, d. h. gleich häufige, Preise
sein), wie bei der Preisfeststellung in Magdeburg!) erscheint nicht
vorteilhaft, weil die plastische Anschauung des wahren Preisniveaus
dabei völlig verloren geht. Endlich muß die Berechnung des Preises
im ganzen Staat möglichst einheitlich vorgenommen werden, damit die
Preise der einzelnen Orte untereinander verglichen werden können.
1) Verhandlungsbericht über die 23. eg der Vorstände Statistischer Aemter
Deutscher Städte zu Frankfurt a. M., 1909, 8.
Miszellen. 501
XVL.
Die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert.
Von Dr. Strehlow, Oberhausen.
Die bisherige Grundlage der Grundwertsteuer war in Preußen § 25
des von Miquel geschaffenen Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli
1893. Er lautete:
„Den Gemeinden ist die Einführung besonderer Steuern vom Grundbesitz
gestattet.
Die Umlegung kann insbesondere erfolgen nach dem Reinertrag bzw.
Nutzungswert eines oder mehrerer Jahre, nach dem Pacht- bzw. Mietwert oden
nach dem gemeinen Wert der Grundstücke und Gebäude, nach den in der Ge-
meinde stattfindenden Abstufungen des Grundbesitzes oder nach einer Verbindung
mehrerer dieser Maßstäbe.‘
Auf Grund dieser Bestimmung sind in den beiden letzten Jahr-
zehnten die meisten Städte dazu übergegangen, an Stelle der Grund-
steuer nach dem Ertrag die sogenannte Grundsteuer nach dem gemeinen
Wert einzuführen, um auf diese Weise den Grundbesitz entsprechend
zu fassen, der an sich ertraglos oder mit geringem Ertrag doch einen
hohen Wert hat.
Bodenpolitisch ist die Grundwertsteuer insofern bedeutsam, als sie
einen Druck ausübt zur Wirtschaftlichmachung ertragloser Grundstücke,
also zur Aufschließung und Bebauung wertvoller Flächen. Sie er-
schwert insbesondere die Zurückhaltung größerer Besitzungen seitens
wohlhabender Grundbesitzer gegen die Entwicklung und vermag auf
diese Weise auf den Grundstücksmarkt durchaus günstig einzuwirken,
indem sie ihn flüssiger gestaltet.
Auch steuerpolitisch ist sie durchaus vorzuziehen. Die Veranlagung
nach dem Wert der durch das Kommunalabgabengesetz in ihrem Ge-
samtergebnis begrenzten Grundsteuer entspricht dem Grundgesetz von der
Verteilung nach der Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte weit besser
als die Veranlagung nach dem Ertrag.
Nun veröffentlicht der Preußische Staatsanzeiger in Nr. 292 eine
Reihe von Paragraphen einer Novelle zum Kommunalabgabengesetz.
Diese sind aber noch nicht vom Staatsministerium beschlossen, sondern
stellen nur das Bearbeitungsergebnis im Ministerium des Innern dar.
Ihre Veröffentlichung ist nur erfolgt, um den gerade an diesen Para-
graphen beteiligten Kreisen Gelegenheit zur Aeußerung zu geben.
502 Miszellen.
In diesem Entwurf lautet der § 25:
„Die Gemeinden dürfen besondere Steuern vom Grundbesitz einführen.
Gegenstand der Veranlagung ist in diesem Falle jedes eine wirtschaftliche
Einheit bildende bebaute oder unbebaute Grundstück. Durch die Steuerordnung
darf jedoch der räumliche ien des steuerpflichtigen Grundstücks abweichend
hiervon abgegrenzt werden. Der Begriff des Grundstücks umfaßt alle nach den
Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu ihm gehörenden Bestandteile.
Die Umlegung darf insbesondere erfolgen nach dem Reinertrag oder
Nutzungswert eines oder mehrerer Jähre, nach dem Pacht- oder Mietwert oder
dem gemeinen Wert der Grundstücke und Gebäude, nach den in der Gemeinde
stattfindenden Abstufungen des Grundbesitzes oder nach einer Verbindung
mehrerer dieser Maßstäbe.
Soweit der Veranlagungsstab des gemeinen Wertes zugrunde gelegt ist, soll
die Bewertung derjenigen Grundstücke, die dauernd land- und forstwirtschaft-
lichen oder Gärtnereizwecken zu dienen bestimmt sind und von ihren Eigen-
tümern oder deren gesetzlichen Vertretern oder Ehegatten oder ehelichen Ab-
kömmlingen selbst verwaltet werden, nach dem Ertragswert und, wenn der zuletzt
für das Grundstück gezahlte Preis höher ist, nach diesem erfolgen. Als Ertrags-
wert gilt das Fünfundzwanzigfache des Reinertrages, den die Grundstücke nach
ihrer wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung mit
entlohnten fremden Arbeitskräften nachhaltig gewähren können; als Preis der
Gesamtbetrag der Gegenleistungen.
Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes finden keine Anwendung, wenn
der Eigentümer oder sein Ehegatte oder der Verwalter (Abs. 4 Satz 1) den Grund-
stückshandel gewerbsinäßig betreibt oder im Laufe der letzten 10 Jahre von
dem Grundstück einen verhältnismäßig großen Teil zu einem den Ertrags-
wert (Abs. 4 Satz 3) um wenigstens 100 Proz. übersteigenden Preis ver-
äußert hat. Ebensowenig finden sie Anwendung auf Grundstücke, die an eine
schon vorhandene, zur Bebauung bestimmte öffentliche oder Privatstraße grenzen
oder von einer solchen nur durch ein Gelände getrennt sind, das nach den bau-
polizeilichen Bestimmungen des Ortes nicht selbständig bebaut werden kann.“
Die Vertreter der Gemeinden haben zur Frage einer Aenderung des
§ 25 grundsätzlich Stellung genommen. Der Preußische Städtetag, der
die Gemeinden mit mehr als 25000 Einwohnern umfaßt, nahm auf
seiner 8. Hauptversammlung folgende Entschließung an:
„Im Gebiet der Grundsteuern sind alle Beschränkungen der Gemeinde-
hoheit zurückzuweisen. Es muß den einzelnen Gemeinden überlassen bleiben, ob
sie eine Steuer nach dem gemeinen Wert erheben wollen oder nicht. Auch die
etwa in den einzelnen Gemeinden angezeigte Ausnahmebehandlung der land-
wirtschaftlich oder gärtnerisch (Handelsgärtnereien, Privatgärten) genutzten
Grundstücke kann in sachgemäßer Weise nur durch eine örtliche Steuerord-
nung erfolgen.“
Auch der Reichsverband Deutscher Städte, der die Gemeinden mit
weniger als 25000 Einwohnern umfaßt, hat sich in gleichem Sinne
erklärt.
Der Preußische Landesverband der Haus- und Grundbesitzervereine
hat ebenfalls in seiner außerordentlichen Tagung am 10. Dezember in
Berlin zu dieser Frage Stellung genommen. Auch er faßte nach einer
eingehenden, zum Teil stürmischen Aussprache mit großer Mehrheit eine
Entschließung, daß es den Gemeinden nach wie vor freistehen muß, ob
sie die kommunalen Grundsteuern nach dem gemeinen Wert oder nach
dem Ertragswert erheben wollen.
Die Bodenreform endlich, die Mutter der Grundsteuer nach dem
gemeinen Wert, tritt naturgemäß, ihrem physiokratischen Charakter ent-
Miszellen. 503
sprechend, der beabsichtigten Aenderung des Gesetzes mit aller Ent-
schiedenheit entgegen.
Veranlaßt wurden die Erwägungen im Ministerium des Innern,
die in den angegebenen Gesetzesänderungsvorschlägen ihren Nieder-
schlag fanden, durch die sich immer wiederholenden Klagen landwirt-
schaftlicher und gärtnerischer Betriebe, die sich durch die Grundwert-
steuer überlastet fühlten. Ein solcher Besitz, am Rande einer Stadt
gelegen, kann sehr wohl durch die Ausstrahlung der städtischen Grund-
preise einen Wert von 6000 M. pro Morgen haben, ohne daß es möglich
ist, dieser Wert in absehbarer Zeit für das Ganze zu realisieren, wenn
auch in unmittelbarer Nähe vereinzelte Stücke hohe Preise erzielt haben.
Der Eigentümer ist also gezwungen, seinen Betrieb zu erhalten, und er
hat, darüber besteht wohl kein Zweifel, ein Recht auf gesetzlichen
Schutz seiner Existenz.
Daß diese durch die Grundwertsteuer tatsächlich bedroht sein kann,
das geht aus folgendem hervor. Der landwirtschaftliche Reinertrag
eines Morgens mag zu 40 M. angenommen werden. Beträgt nun der
Wert des Morgens 6000 M., und wird eine Grundsteuer von 3,5 Prom.
erhoben, so sind an Steuern 21 M. zu zahlen. Schon bei einer hypo-
thekarischen Belastung von 400—500 M. pro Morgen, wie sie beim
landwirtschaftlichen Boden nicht selten ist, wird dann der gesamte Rein-
ertrag durch Zinsen und Steuern aufgesaugt, und für den Eigentümer
bleibt nichts übrig.
Die Festhaltung an dieser Steuer würde also für den wirtschaftlich
Schwachen den Ruin bedeuten, oder sie würde ihn wenigstens zwingen,
unter Preis zu verkaufen, wenn dies überhaupt möglich ist, während der
wirtschaftlich Starke ruhig die Zeit abwarten kann, bis er sich beim
Verkauf auch für die Vorbelastung durch die Grundwertsteuer ent-
schädigen kann. Denn diese Steuer wirkt hier als Vorbelastung, der
kein Ausgleich gegenübersteht, als eine substanzvermindernde Ver-
mögenssteuer. Ob der Besitzer dieselbe überwälzen kann, das hängt
lediglich davon ab, ob er stark genug ist, den geeigneten Augenblick für
den Verkauf abzuwarten.
Man kann hierüber besonders in den Industriegemeinden recht
interessante Beobachtungen machen. Bei diesen findet man oft die
Grundwertsteuer, obwohl noch mehr als die Hälfte ihres Gebietes land-
wirtschaftlichen Charakter hat. Es sind das dieselben Gemeinden, bei
denen der Bordstein am Haferfeld nichts Seltenes ist. In keinem Falle
konnte ich feststellen, daß der Grundstücksmarkt in den ländlichen Be-
zirken durch die Einführung der Grundsteuer günstig beeinflußt worden
wäre. Das ist auch kaum möglich, weil der Umsatz größerer Be-
sitzungen in diesen Bezirken stets nur auf den einzelnen Fall gestellt ist.
Wohl aber kann man besonders bei der Eingemeindung früher grund-
steuerfreier, ländlicher Gemeinden beobachten, daß die Einführung
dieser Steuer die Grundwerte fast unmerklich, aber sicher höher schraubt.
Sie stellt eben in dieser Form die Uebertragung eines stark städtischen
Momentes auf landwirtschaftliche Gebiete dar.
504 Miszellen.
Die Grundwertsteuer ist ihrer inneren Natur nach eine städtische
Steuer, die beschränkt bleiben muß auf das Gebiet städtischer Entwick-
lung, in dem die Umsatzmöglichkeit zu den eingeschätzten Werten im all-
gemeinen jederzeit gegeben ist. Nur hier sind diese Werte ein Maßstab
für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Besitzers, und nur hier
hat ein steuerlicher Druck zur wirtschaftlichen Ausnutzung Berech-
tigung. In diesem Sinne fordert die Natur der Aufgabe eine getrennte
Behandlung der städtischen und ländlichen Gebiete einer Gemeinde in
grundsteuerlicher Beziehung nach den vorhandenen Ortsverhältnissen.
Dies wird besonders bedeutsam in unserer Zeit großzügiger Ein-
gemeindungen, die in richtiger Erkenntnis des Kernes der städtischen
Bodenfrago den Gegensatz zwischen Stadt und Land durch Zusammen-
fassung auszugleichen sucht.
Mir ist noch keine Gemeinde bekannt geworden, die einer solchen
getrennten Behandlung ihres Gebietes Raum gegeben hätte. Wohl aber
weiß ich, daß verschiedene Regierungen Anregungen nach dieser Rich-
tung an die Gemeinden haben ergehen lassen, denen diese jedoch aus
Bequemlichkeit, oder weil sie sich in der Ausübung ihrer Steuerhoheit
nicht beschränken lassen wollten, keine Folge gaben. Und so sah man
sich bei den vielseitigen Klagen gezwungen, den Versuch zu einer gesetz-
lichen Regelung zu machen, der in den angegebenen Abänderungsvor-
schlägen seinen Niederschlag fand.
Befriedigen können diese Vorschläge aber nicht.
Unter ihrer Herrschaft kann es sehr wohl vorkommen, daß ein wohl-
habender Grundbesitzer auch auf städtischem Gebiete seinen Besitz gegen
die natürliche Entwicklung auf Kosten der Allgemeinheit hält. Er
stellt für ihn eine gute und sichere Sparkasse dar, von deren Zinsen
durch den Wertzuwachs er keine Einkommensteuer zu zahlen braucht,
die er aber doch schließlich einheimst. Das wird ihm durch die Ab-
änderung des Gesetzes ermöglicht. Er braucht nur seinen Besitz als
land-, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betrieb geschlossen zu
halten.
Auf der anderen Seite gilt es, Interessen zu schützen, die über das
hinausgehen, was in den Abänderungsvorschlägen ins Auge gefaßt ist.
Alle die kleineren Besitzungen, die im vorwiegend ländlichen Gebiete der
Gemeinde meist an einer Straße langhingestreckt liegen, fallen unter die
Grundwertsteuer. Der kleine Mann, der von seinen Eltern einen Kotten
geerbt hat, der mit 100 m an einer Straße liegt, die kaum mehr als
ein Feldweg ist, muß nach der Eingemeindung so viel Grundsteuer
zahlen, daß er seinen Besitz nicht mehr halten kann. Obwohl auch er
denselben nur zu landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Zwecken be-
nutzt und sich und seiner Familie durch diesen Erwerb neben seinem
Lohn als Bergmann oder Fabrikarbeiter eine gesunde Existenz sichert,
muß er nun vielleicht mehr Grundsteuer bezahlen als ein benachbarter,
reicher Großgrundbesitzer, der einen geschlossenen Besitz hat, der nach
dem Ertrag veranlagt werden muß.
Miszellen. 505
Nur eine getrennte Behandlung nach den Ortsverhältnissen, unab-
hängig von der Art des Besitzes, im städtischen Gebiet die Grundsteuer
nach dem gemeinen Wert, in dem mehr ländlichen Gebiete die Grund-
steuer nach dem Ertrag, vermag alle diese Mißstimmungen zu be-
seitigen. Ob eine solche Trennung nötig ist, und wo die Trennungs-
linien im einzelnen Falle liegen, das ist natürlich Frage der Orts-
eigenart und kann nur durch die Gemeinde selbst bestimmt werden.
So könnte man der Entschließung des Städtetages zustimmen, wenn
derselbe gleichzeitig Garantien geboten hätte, daß die Gemeinden nun
auch in diesem Sinne in einer den Ortsverhältnissen angepaßten Art
und Weise die Frage der Grundsteuer behandeln.
Solange dies nicht der Fall ist, wird man gesetzliche Maßnahmen
kaum entbehren können. Aber es gilt für dieselben eine Form zu
finden, die zwar generell zwingend ist, in der Art der Ausführung jedoch
den Gemeinden nach der dargestellten Richtung zur Wahrung der Orts-
eigenheil freie Hand läßt.
506 Miszellen.
XVII.
Einige wesentliche Ergebnisse der ersten Veran-
lagung zur bayerischen allgemeinen Einkommen-
steuer:
Von Dr. Ernst Müller, München.
Als einer der letzten deutschen Staaten ging Bayern im Jahre 1910
vom Ertragssteuersystem zur allgemeinen Einkommensteuer über, neben
welcher die alten Ertragssteuern — die spezielle Einkommensteuer aus-
genommen — in veränderter Gestalt als quasi-Vermögenssteuern aber
vorerst noch bestehen bleiben. Aus den Ergebnissen der ersten Ver-
anlagung für das Jahr 1912 lassen sich einige Einblicke in die wirt-
schaftlichen Verhältnisse der bayerischen Bevölkerung gewinnen. Das
bayerische Staatsministerium der Finanzen hat nach diesen Ergebnissen
eine Statistik aufgestellt, aus welcher hier das Wichtigste mitgeteilt
werden soll 11.
Der Gesamtbetrag der steuerbaren Einkommen verteilt sich nach
Einkommensgruppen in folgender Weise: Es betrug bei einem
die Bumme der
die Zahl der auf die einzel- ee N en
Einkommen Pflichtigen in |nen Einkom- sinzelnen auf 100 M.
von der einzelnen | mensgrup- |p;nkommens- | 1 Pflich- | Ein-
Einkommens- |pen treffenden Gi geen, ‚kommen
gruppe Einkommen gruppe g
M. y M- j-i M. M.
über 200— 600 234 324 116 183 307 234 324 1,00 | 0,20
at 600— 1400 1118339 |1096930591 | 4383 197 3,69 0,40
dë 1400— 1800 271598 432 139871| 3517619 12,95 | 0,81
55 I 800— 3000 275 793 622 742 586| 7759788 28,14 1,25
k 3 000— 6.000 117 617 472290483 | 9388 329 79,82 1,99
A 6000— 10000 25575 192 758 119| 5041213 197,11 2,62
„ I10000— 20000 12 350 167 777 002| 5083 909 411,65 | 3,08
» ` 20000— 50.000 4 942 147 977395 | 5161769 1 044,47 | 3,49
> 50 000— 100 000 1133 76802 310| 3127 931 2 760,75 4,07
„ 100 000—150 000 276 32635 764| 1537043 | 5568,99 4,71
„ 150000 383 167 082831 | 8285 813 |21 633,98 4,96
zusammen | 2 132130 |3 525320 259| 53 520 935 25,10 1,52
Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, daß von 2,132 Mill. Pflich-
tigen = 30,96 Proz. der bayerischen Gesamtbevölkerung am 1. Dezember
1) Das Folgende ist in der Hauptsache entnommen einem uns vom General-
sekretariat des K. Staatsministeriums der Finanzen zur Verfügung gestellten Sonder-
abdruck aus dem 1, Heft des Jahrgangs 1914 der Zeitschrift des Bayer. Statist. Landes-
amtes.
Miszellen. 507
1910 19084 Pflichtige = 0,90 Proz. aller Pflichtigen mit einem Ein-
kommen von über 10000 M. 23,196 Mill. M. Steuer entrichtet haben.
Das macht 43,34 Proz. des Aufkommens an Einkommensteuer mit
53,520 Mill. M. aus.
Von 2,132 Mill. Pflichtigen hatten
197 111 Pflichtige Einkünfte nur aus Grundvermögen
75 693 n n » » Gewerbebetrieb
24 170 D D » » Kapitalvermögen
1128 961 ké R » on Beruf usw.
sohin 1425 935 Pflichtige, d. i. 66,88 Proz. aller Pflichtigen Einkünfte ledig-
lich aus einer einzigen Einkommensquelle.
Dagegen hatten
576 668 Pflichtige Einkünfte aus 2 Einkommensquellen
120 764 D n HI H 31
8 763 HI D HI 4 HI
also 706 195 Pflichtige, d. h. 33,12 Proz. Einkünfte aus mehreren Quellen.
Die Besteuerung aus mehreren Quellen ist am häufigsten in den
kleinsten Gemeinden und nimmt mit der Größe der Gemeinden ständig
ab. Die Zahl jener, welche Einkünfte aus mehreren Quellen beziehen,
ist auf dem flachen Lande 21/,mal so groß wie in den Großstädten.
Es betrug nämlich
die Zahl der
in den Gemeinden die Gesamt- | prjiohtigen mit nur | Pflichtigen mit
mit zahl der einer Quelle mehreren Quellen
Pflichtigen
überhaupt | Proz. | überhaupt | Proz.
über 100 000 Einw. 433 439 362 356 83,60 71083 16,40
„ 50000—100000 , 111 227 86 224 77,52 25003 | 22,48
vw ` 20000— 50000 , 119 671 86 468 72,25 33 203 27,75
= 10000— 20000 , 71943 50 826 70,65 21 117 29,35
v 5000— 10000 , 106 315 68 661 64,58 37654 | 35,42
= 2000— 5000 , 211492 127415 60,25 84077 | 39,75
Se 0— 2000 „ 1078 043 643 985 59,74 434 058 | 40,26
Von den 2,132 Mill. P£flichtigen treffen auf die
Auf 1
Ein- Ein- Pflich-
kommen. kommen- tigen
z í 7 steuer- steuer- treffen
-... Gemeinden mit .... Einwohnern pflichtige Pr betrag Proz. durch-
über- über- schnitt-
haupt haupt lich
M. LM.
3 Gemeinden mit über 100 000 Einw.| 433 439| 20,3 |20 969 oo1| 39,1 | 48
5 D » vw 50000—100000 „, 109793) 5,1) 5002 574| 9,8| 45
14 „ » » 20000— 50000 „ | 119671| 5,8| 3972557| 7,4| 33
69 » » o 5000— 20000 „ | 177993; 8,3| 5254 518] 10,1) 29
244 D TO 2000— 5000 „ 212 873| 9,9| 4474 461) Bai 21
7705 D vw: cr o— 2000 „ [1078 361| 50,6 |13 847 821| 25,8| 12
508 Miszellen.
Diese Uebersicht zeigt, daß die Groß- und Mittelstädte mit nur
rund 25 Proz. aller Pflichtigen doch. fast die Hälfte des ganzen Ein-
kommensteuerbetrages aufbringen. Stellt man dem Prozentanteil jeder
einzelnen Gemeindegruppe am Gesamteinkommen an Einkommensteuer
den zughörigen Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung gegenüber, so
resultieren daraus nicht uninteressante wirtschaftliche Gegensätze. Denn
es sind prozentual beteiligt
$ an dem ganzen Ein- an der ganzen
die Gemeinden mit kommensteuerbetrag mit Bevölkerung!) mit
über 100 000 Einw. 39,18 Proz. 15,3 Proz.
„ 50000—100000 „, 9,35 » 49 ki
„ 20000— 50000 ,„ 7:42 » 59 »
35 5000— 20000 , 9,82 j er
HI 2 000 5 000 HI 8,36 D 10,3 ,
HI 0— 2000 HI 25,87 DI ` 55,2 DI
100,00 Proz. 100,0 Proz. į
Faßt man die Einkommensteuerpflichtigen in Steuergruppen zu-
sammen, so verteilt sich der gesamte Einkommensteuerbetrag folgender-
maßen: Es betrug in der
die Zahl der Einkommen-| der zugehörige Ein-
Steuergruppe steuerpflichtigen kommensteuerbetrag
überhaupt Proz. überhaupt | Proz.
von lediglich 1 M. Steuern 596 986 596 986 1,1!)
über I— 3 o 367 108 895 914 1,6
D Ze 5» » 141 181 633 108 1,2
” 5— I0 , DI 334 512 2 474 031 4,6
10— DE .;, ge 205 671 2 623 803 4,9
= 15— 30 „ e 215 127 4 586 132 8,6
” 30— 60 HI ” 145 657 6 023 312 11,2
Sg 60— 100 , S 55 108 4 252 486 7,9
eg 100— 200 , r 41 059 5 720 510 10,7
A 200— 400 , sg 17 461 4 801 108 8,9
” 400— 1000 „, n 8 301 4 976 370 9,3
„ I000— 5000 „ e 3 365 6355 748 11,9
» 5000—10000 , ep 364 2 562 621 4,9
„ 10000—20000 „ HI 143 1993 178 3,7
„ 20 000 y K 87 5 025 624 9,4
Bei einem Gesamtsoll an sogenannten „direkten“ Steuern von 76,138
Mill. M. lieferte die Einkommensteuer 70,29 Proz. Von den übrigen
größeren deutschen Bundesstaaten lieferte dagegen die allgemeine Ein-
kommensteuer am ‚direkten‘ Staatssteuersoll in
Sachsen 87,59 Proz. Anteil Bayern 70,29 Proz. Anteil
Preußen 85,69 ,„ ge Baden Dong „ Se
Hessen 75,97 „ = Württemberg 66,01 „, a
1) Diese Prozentzahlen haben wir selbst berechnet.
Miszellen. 509
Fügt man dem steuerbaren Gesamteinkommen von 3525,32 Mill. M. die
Schuldzinsen und Lasten des bürgerlichen Rechtes mit 244,37 Mill. M.
sowie die sonstigen abziehbaren Verbrauchsausgaben mit 66,62 „, „ hinzu,
also zusammen 310,95 Mill. M.,
so kommt man zur „Gesamtsumme aller Reineinkünfte‘ im Betrage
von 3836,27 Mill. M. An dieser Gesamtsumme sind beteiligt:
im die Reineinkünfte aus
Regierungs- | Grundvermögen | Gewerbebetrieb | Kapitalvermögen Beruf Zusammen
bezirk | se [Proz] M Eror: = Proz. ra de S Proz.
Oberbayern |219030 686 18,89 1214 969 871|18,55|137 771 435|11,89| 587 344 754 |50,67| ı 159 116 746|100,00
Niederbayern |118 391 603/42,89) 40 839 014 14,60| 16345 496| 5,92] 100438 181 136,39) 276414 294|100,00
Pfalz 102 795 139 20,68/114 483 056|23,03| 26 619 410| 5,36| 253 143 900 |50,93| 497 041 505|100,00
Oberpfalz 74 114 375|32,73| 38826 756 17,14| 14 886 440| 6,58| 986 641 752 143,55| 226469 323|100,00
Oberfranken | 82 163 077 28,64| 57 985 132 20,21) 20480981) 7,14| 126 290419 44,01| 286 919 609| 100,00
Mittelfranken |124 734 600|20,92|137 931 259,22,30| 59 182 183| 9,59| 295 092 659 |47,83| 616 940 701|100,00
Unterfranken | 99 006 717130,47| 64 970825 20,00| 28 516025| 8,77| 132424 842 140,76) 324 918 409 100,00
Schwaben 129 631 853|28,88| 76 737 932|17,10| 46 200 483| 10,29 196 286 406 143,73 448 856 674 100,00
Königreich 1949 868 050124,76 746 743 845|19,47|350 002 453| 9,12|1 789 662 913 46,65] 3 836 277 261|100,00
Mit Ausnahme von Niederbayern bilden nach dieser Uebersicht
überall die Einkünfte aus Beruf die Haupteinkommensquelle. In
Oberbayern (auch in der Rheinpfalz) übersteigen sie die Hälfte aller
Reineinkünfte. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Einkünften
aus Grundvermögen. Diese sind am stärksten vertreten in Nieder-
bayern, am schwächsten dagegen in Oberbayern. Bei den Einkünften
aus Gewerbebetrieb steht an erster Stelle die Rheinpfalz, an letzter das
„agrarische“ Niederbayern. Wie im Beruf, so steht auch in den Ein-
künften aus Kapitalvermögen Oberbayern an erster Stelle. Im „agra-
rischen“ Niederbayern und in der „gewerbsreichen“ Pfalz fließen die
Einkünfte aus Kapitalvermögen hingegen relativ unergiebig. Unter den
einzelnen Regierungsbezirken treffen da mit 30,22 Proz. die meisten
Reineinkünfte auf Oberbayern, wo aber nur 22,2 Proz.1) der bayerischen
Bevölkerung wohnen. Es folgen dann gemäß dem Prozentanteil aller
Reineinkünfte aus Kapitalvermögen
Mittelfranken mit 16,08 Proz. bei 10,5 Proz. Anteil an der ganzen Bevölkerung
Rheinpfalz „ 123,9 "an n 135 „ an nm » » nm
Schwaben „ I1,70 „ n I8 p D mn nm » Di
Unterfranken `. 8,47 nm „ 103 un » » nm n n
Oberfranken D 7,48 n Hi 9,5 » Mi Hi HI Hi n
Niederbayern nm 7,19 n an 10,5 nm nm nm » nm ”
Oberpfalz an 590 p» n "Bet n n nm nm n n
Ueber die Reineinkünfte aus dem Betriebe der Landwirtschaft
können wir nichts mitteilen, da in den Reineinkünften aus Grundver-
1) Diese wie die anderen entsprechenden Zahlen haben wir selbst berechnet.
510 Miszellen.
mögen jene aus Grundstücken und aus Gebäuden enthalten sind und die
ausgeschiedene Aufnahme in die Steuerlisten wegen des Schludzinsen-
abzuges nicht möglich ist. Die ungefähre Höhe der Reineinkünfte aus
dem Betriebe der Landwirtschaft beträgt aber nach sehr vorsichtigen
Schätzungen des Finanzministeriums rund 690 Mill. M. oder rund
18 Proz. aller Reineinkünfte.
Von den
2,132 Mill. Einkommensteuerpflichtigen sind
2,112 , natürliche und
20 357 juristische Personen.
Von letzteren sind 654 Aktiengesellschaften. Auf diese entfielen rund
110 Mill. M. steuerbare Reineinkünfte oder 65 Proz. der steuerbaren
Einkünfte (170,51 Mill. M.) aller juristischen Personen und 5,28 Mill. M.
Einkommensteuer oder 82 Proz. des ganzen Steuerbetrages (6,47 Mill.M.)
dieser künstlichen Personen.
Literatur. 511
Literatur.
HI.
Otto Hoetzsch, Rußland. Eine Einführung auf Grund
seiner Geschichte von 1904—1913.
Berlin (Georg Reimer) 1913. 520 SS.
Besprochen von Th. H. Pantenius.
Rußland hat im letzten Jahrzehnt so große Veränderungen in
seinem politischen und wirtschaftlichen Leben erfahren, daß alle von ihm
handelnden Bücher, die vor 1905 erschienen, bis zu einem gewissen
Grade veraltet sind. Die Werke von Leroy Beaulieu, Mackenzie-Wallace,
Ernst von der Brüggen werden ja immer wertvoll bleiben, aber ein
Bild des heutigen Rußland läßt sich aus ihnen nicht mehr gewinnen.,
Da entspricht denn das Buch von Prof. Hoetzsch recht eigentlich einem
dringenden Bedürfnis. Es handelt von allen politischen und wirtschaft-
lichen Verhältnissen des Landes und sucht auch ein Bild von dem
geistigen Leben in ihm zu geben. Der Verfasser hat nicht nur die in
Frage kommende Literatur gründlich durchforscht und bearbeitet, son-
dern hat auch Rußland oft besucht und Fühlung mit den dort in Theorie
und Praxis maßgebenden Männern gewonnen. So ist es ihm gelungen,
sich von den Mißverständnissen frei zu halten, denen Gelehrte, die außer-
halb Rußlands erwuchsen, so leicht unterliegen, wenn sie dieses Land
zum Gegenstand ihrer Studien machen. Sein Urteil ist immer ein be-
sonnenes, und das Wohlwollen, das er Rußland entgegenbringt, berührt
wohltuend. Die Darstellung ist übersichtlich und klar, und wo es
wünschenswert erscheint, werden die entsprechenden deutschen Verhält-
nisse zur Erläuterung herangezogen.
Wie unentbehrlich dieses Buch jedem deutschen Volkswirt,
der sich für Rußland interessiert, sein muß, wird sich am besten aus
einem kurzen Ueberblick über die Entwicklung der russischen Agrar-
frage ergeben, die ja für die Zukunft Rußlands von grundlegender Be-
deutung ist und auch von unserer Seite aufmerksamste Beachtung ver-
langt. Die Lösung, die sie gefunden hat, wird einen großen Aufschwung
der russischen Landwirtschaft zur Folge haben. Infolgedessen werden
die russischen Arbeitskräfte viel mehr Verwendung im Inlande finden
als bisher. Die Getreideausfuhr wird ohne Zweifel sehr sinken. Da-
gegen wird sich der Markt für alle Industrieerzeugnisse, die mit der
Landwirtschaft zusammenhängen, als noch aufnahmefähiger erweisen
als bisher.
512 Literatur.
Im Jahre 1911 hat man in Rußland das 50-jährige Jubiläum der
Aufhebung der Leibeigenschaft gefeiert, aber mit Unrecht, denn in
Wahrheit ist sie erst 1906 beseitigt worden. Was am 19. Februar a. St.
1861 aufgehoben wurde, war nicht die Leibeigenschaft, sondern die
Sklaverei, zu der die Leibeigenschaft im Laufe des 18. Jahrhunderts
entartet war. Wirklich frei wurden damals die Haussklaven und die
Leibeigenen, die nicht Ackerbau trieben, der Bauer blieb nach wie vor
an die Scholle gebunden und wechselte nur den Herren. An die Stelle
des Edelmannes trat für ihn die Gemeinde, und ihr Joch war kaum
weniger schwer und lähmend.
Das bis 1861 von den Bauern Groß- und Kleinrußlands bebaute
Land wurde ihnen in diesem Jahr in der Weise überwiesen, daß sie es
kaufen mußten. Sein Ertrag wurde abgeschätzt, zu 5 Proz. kapitalisiert
und sie sollten es im Laufe von 49 Jahren durch Zahlung von 6 Proz.
erwerben. Das Geld schoß die Regierung in 5-proz. Pfandbriefen, die
die Gutsbesitzer erhielten, vor. Es wurde aber nur der Hof Eigentum
des einzelnen Bauern, über die Dorfflur und was zu ihr an Weide, Wald
und Unland gehörte, verfügte die Gemeinde. Und diese Gemeinde hatte
in Rußland eine ganz eigenartige kommunisitische Organisation.
Im 17. Jahrhundert, in dem infolge der politischen Verhältnisse
- die Steuerkraft des Landes eine besonders geringe und das Geldbedürfnis
des Staates ein besonders großes war, fand’ die Regierung es bequemer,
die Steuern nicht von den einzelnen Bauern, sondern von den Gemeinden
zu erheben. Sie machte diese für den Eingang der Steuern solidarisch
haftbar und überließ es ihnen, sich mit ihren Mitgliedern auseinander-
zusetzen. Die Gutsbesitzer, in deren Interesse eben damals die Leib-
eigenschaft entstand, folgten dem Beispiel der Regierung. Nun war
zu jener Zeit Land die einzige Einnahmequelle, die es für den Bauern
gab, wollte die Gemeinde, die ihr auferlegten Pflichten erfüllen, so mußte
sie dafür sorgen, daß die zu ihr gehörenden Bauern über für sie aus-
reichendes Land verfügten. Sie verteilte daher die Dorfflur je nach den
persönlichen Verhältnissen ihrer Mitglieder, und da diese sich änderten,
wurde die Verteilung von Zeit zu Zeit neu vorgenommen. Sie hieß
Peredel und der Anteil des Haushaltungsvorstandes Nadjel. Diese Sitte
scheint zuerst in den Landschaften um Moskau entstanden zu sein und
sich von da aus verbreitet zu haben. In Kleinrußland führte sie Ka-
tharina II. zugleich mit der Leibeigenschaft ein. Für die Domänen
machte ein Ukas von 1781 die Umteilungen obligatorisch.
Seit Peter dem Großen wurde von Zeit zu Zeit die Zahl der männ-
lichen Bauern — der „Seelen“ — durch sogenannte Revisionen fest-
gestellt und damit die Unterlage für die Erhebung der Kopfsteuer und
die Rekrutierung gewonnen. Auf den Domänen haftete die Gemeinde
dem Staat gegenüber für Steuern und Rekruten, auf den Privatgütern,
bis 1861, die Gutsbesitzer, die sich aber wieder an die Gemeinden hielten.
Man nannte diese Haftpflicht Krugowaja poruka, und sie ist erst am
12. März a. St. 1904 aufgehoben worden.
Die Gemeindeversammlung hieß der Mir und bestand aus allen
Haushaltungsvorständen, den Domochosaing. Ihr war ein sehr weit-
Literatur. 513
gehendes Disziplinarrecht über die Gemeinde eingeräumt, sie durfte nach
Gewohnheitsrecht Geld- und Körperstrafen verhängen, ja sogar Ver-
schickung nach Sibirien verfügen. Die Umteilungen der Dorfflur wur-
den von ihr vorgenommen.
Wie nun die Aufhebung der Leibeigenschaft in Angriff genommen
wurde, entstand die Frage, ob man der Gemeinde alle diese Befugnisse
lassen sollte. Da hat denn ein Buch eines ausländischen Gelehrten einen
ganz ungewöhnlichen Einfluß auf eine der wichtigsten Fragen des
russischen Lebens ausgeübt. Im Jahre 1847 veröffentlichte der west-
fälische Freiherr Aug. v. Haxthausen, der 1843—44 die russischen
Agrarverhältnisse eingehend studiert hatte, Studien über die inneren Zu-
stände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen
Rußlands. In diesem Buch pries er die russische Gemeinde als der
sozialen Weisheit höchste Offenbarung, in erster Reihe, weil sie die
Bildung eines Proletariats unmöglich machen sollte. Der Verfasser
nahm an, daß die russische Gemeindeverfasung aus der Urzeit stamme,
und die Russen, die sich bisher wenig um sie gekümmert hatten,
wußten es auch nicht anders. Da sie in nationaler Beziehung ein sehr
eiteles Volk sind, erfuhren sie gern, daß sie ein Institut geschaffen
hätten, das allen abendländischen Völkern als Vorbild dienen konnte,
und die eben im Entstehen begriffene slawophile Partei erklärte die
Gemeindeverfassung für ein nationales Heiligtum. So blieb sie denn in
Kraft. Doch sollte es jedem Bauern freistehen, wenn er die auf ihn
fallende Loskaufsumme ganz bezahlt hatte, die Ausscheidung eines dieser
Loskaufsumme entsprechenden Anteils aus dem Gemeindelande und den
Uebergang desselben in sein Privateigentum zu verlangen. Es waren
nur sehr wenige Bauern in der Lage, von diesem Recht Gebrauch zu
machen, es wurde aber trotzdem durch ein Gesetz vom 14. Dezember a.St.
1893 noch dahin eingeschränkt, daß die Gemeinde ihre Zustimmung zu
der Ausscheidung geben mußte. Da diese nie erfolgte, war das Recht
tatsächlich beseitigt.
Die Gemeinde bestand also in der bisherigen Form weiter, es stellte
sich aber bald heraus, daß sie ein unüberwindliches Hindernis für jeden
Fortschritt der bäuerlichen Landwirtschaft war. Wie sollte wohl auch ein
Bauer großen Fleiß auf die Bearbeitung eines Grundstückes verwenden,
wenn es ihm nach ein paar Jahren fortgenommen und durch ein ver-
wahrlostes ersetzt werden konnte.
Infolge der schnellen Vermehrung der Bevölkerung, die im russi-
schen Dorf stattfindet, mußten die Anteile bald so klein werden, daß
sie eine Familie nicht mehr ernähren konnten. Es lagen auch noch
andere Schwierigkeiten vor. Es genügte nicht, daß der Mir die persön-
lichen und Familienverhältnisse der Bauern berücksichtigte, es mußte
doch auch eine, wenn auch noch so rohe Bonitierung stattfinden, die
Beschaffenheit des Bodens, die Entfernung vom Dorf berücksichtigt
werden. Es herrschte natürlich Dreifelderwirtschaft mit Flurzwang.
Jedes Feld wurde nun in ungezählte Parzellen geteilt, die bei jeder
neuen Umteilung kleiner wurden. Das ergab schließlich ganz unmögliche
Verhältnisse. In der dritten Duma sagte der Bauer Jermolajew (aus
Dritte Folge Bd. XLVIII (CI. ; 33
514 Literatur.
dem Witebskschen): „Bei uns kam es vor, daß Bauern ihren Land-
anteil unbebaut ließen, weil die 2 Dessätinen, die ihn bildeten (!), aus
100 und mehr Stücken bestanden, die nicht breiter als 1 oder 11/, Arschin
waren und über die man keine Egge führen konnte.“ Aehnliches wurde
aus allen Teilen des Landes berichtet. Die Dörfer sind in Rußland oft
sehr volkreich und ihre Fluren sehr ausgedehnt. Da kam es denn vor,
daß einzelne Stücke des Anteils, winzige Stücke, 10 Werst und mehr
vom Dorf entfernt waren. Auch der Flurzwang knebelte den Einzelnen.
A. S. Jermolow, der früher Minister für Landwirtschaft war, erzählt,
daß in einem an sein Gut grenzenden Dorf die Bauern den Aufbruch
der Brache und die Saat des Winterkorns, trotz allen Widerspruchs ein-
zelner Bauern, bis Anfang September hinausschoben — was dort viel
zu spät ist —, um die Brache als Viehweide zu benutzen. Auf der
kaum ergrünten Saat weidete später das Vieh bis zum ersten Schneefall
und zertrat sie.
So ging denn die Landwirtschaft mehr und mehr zurück. Eine
Mißernte folgte der anderen und beide wurden von Hungersnot begleitet.
Der Bauer konnte die Loskaufsgelder und die Steuern nicht mehr auf-
bringen und Hypotheken gab es für ihn nicht, nur persönlichen Kredit
gegen Wucherzinsen. In jedem Dorf gab es einzelne wohlhabende Bauern,
die derartigen Wucher trieben und dadurch zugleich einen ungemessenen
Einfluß auf den Mir gewannen, den sie zu eigennützigen Zwecken miß-
brauchten. Man nannte diese Leute „Kulaki‘“ (Fäuste) oder Mirojädy
(Mirfresser). Mit der Verarmung hatte auch die Trunksucht zugenommen,
mit einem Fäßchen Branntwein ließ sich in der Gemeindeversammlung,
die nach dem Wort eines Dumamitgliedes immer zu einem Viertel aus
Betrunkenen, zu einem anderen aus „Angeheiterten‘ bestand, alles er-
` reichen.
Die Rückstände der Steuern wurden immer größer, und der Staat
mußte ungeheuere Summen hergeben, um die notleidenden Bauern mit
Brot- und Saatkorn zu versehen. Von 1898—1910 betrugen diese
Unterstützungen 553 Mill. Rbl. Von den schuldig gebliebenen Loskaufs-
geldern schenkte der Staat noch zuletzt den Bauern 90 Mill. Rbl. Nur
im Westen Rußlands, in Polen, Litauen, den baltischen Provinzen, wo
man den Gemeindebesitz nicht kannte, gab es keine Hungersnot.
Wie nun der mißhandelte Boden in dem Rußland des Gemeinde-
besitzes mehr und mehr versagte, glaubte der Bauer nur noch bestehen
zu können, wenn er neues Land erhielt, und blickte begehrlich auf das
Land des Gutsherren. Im ZRevolutionsjahr suchten sich an vielen
Orten die Bauern kurzerhand der Gutsländereien zu bemächtigen.
Alle, die das russische Dorf kannten, fanden, daß seine Bewohner
mehr und mehr verwilderten. Wie es in ihm zuging, hat der Guts-
besitzer Rodianow in einem auch mehrfach ins Deutsche übersetzten
Roman „Unser Verbrechen‘ mit erschreekendem Realismus geschildert.
Fürst P. N. Trubetzkoi bezeugte dem Verfasser im Reichstag, ohne
Widerspruch zu finden, daß er die herrschenden Zustände „mit photo-
graphischer Treue‘ geschildert habe.
Literatur. 515
Weite Kreise erkannten schließlich, daß es so nicht weiter ging.
Es waren mittlerweile auch die Geschichtskundigen zu der Erkenntnis
gelangt, daß die russische Gemeindeverfassung nicht aus der Urzeit,
sondern aus dem 17. Jahrhundert stammte, und die Volkswirte hatten
erkannt, daß sie nicht die Bildung eines Proletariats verhinderte, son-
dern im Begriff war, alle russischen Bauern in Proletarier zu ver-
wandeln. Das von N. N. Ljwow geprägte Wort: „Die Gemeinde be-
deutet die rechtlose Persönlichkeit und die eigenwillige Menge“ (Bes-
prawnaja litschnost i ssamouprawnaja tolpa) war in aller Munde.
Ebenso das Wort des Abgeordneten Scheidemann: „Unser russischer
Bauer kann vieles überleben, aber des Mir konnte er nicht Herr
werden.“
Jedermann erkannte, daß dem Mir ein Ende gemacht werden
mußte, und P. A. Stolypin nahm die Reform noch während der Revo-
lution in Angriff. Er hatte gesehen, wie westrussische Bauern im Ge-
biet des Gemeindebesitzes von den Gutsherren Land erwarben und auf
ihm in Einzelhöfen gediehen, während die einheimischen Bauern ver-
kamen. So ging er nicht nur den Umteilungen zu Leibe und ermöglichte
es den Bauern, ihren Anteil am Gemeindelande als Privateigentum zu
erwerben, sondern suchte auch nach Kräften die Bildung von Einzel-
höfen herbeizuführen und damit die Gemeingelege der Dorffluren zu-
gleich mit dem Flurzwang zu beseitigen. Das geschah durch die Ge-
setze vom 9. November a. St. 1906 und vom 14. Juni a. St. 1910. Das
letztere wurde nach langen, sehr eingehenden und mit großer Sach-
kenntnis geführten Debatten in den gesetzgebenden Körperschaften als
neue Agrarordnung angenommen. Durch sie ist nun wirklich die Leib-
eigenschaft beseitigt.
Prof. Hoetzsch hat in seinem Buch diese Agrarreform und alles, was
mit ihr zusammenhängt, in musterhafter Weise behandelt. Wer sich
über sie und ihren Fortgang unterrichten will, möge aus dieser Quelle
schöpfen.
33*
516 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Moheau, Recherches et Considerations sur la Population de la
France 1778. Collection des Economistes et des Reformateurs sociaux
de la France. Publié avec introduction et table analytique par René
Gonnard, Professeur d’histoire des doctrines économiques et d’@conomie
politiquo à la Faculté de Drot de l’Université de Lyon. Paris (Li-
brairie Paul Geuthner) 1912.
Vor einiger Zeit erschien, von Oppenheimer herausgegeben, das
bemerkenswerte, wenn auch vielleicht nicht in allen Stücken gleich gut
durchgearbeitete Geschichtswerk von Gide-Rist in deutscher Bearbeitung.
Wir sehen den stark historisch gerichteten Sinn der Franzosen in einer
Zeit, in der bei uns das historische Moment etwas zurückgedrängt er-
scheint. Die Sammlung, der Moheaus Werk entnommen ist, deutet ein
gleiches an. Gemessen an dem, was uns dieser Band bietet, scheint es
sich um ein sehr mustergültiges Unternehmen zu handeln, wenn auch,
ähnlich wie bei Gide-Rist, dem französischen Nationalbewußtsein ge-
legentlich eine Konzession gemacht sein mag.
Das Interesse für bevölkerungsstatistische Fragen ist wieder in
hohem Maße wach geworden. Bortkiewicz gruppiert seine gesamte Dar-
stellung der Bevölkerungslehre in der Schmoller-Festgabe um das Be-
völkerungsgesetz und bringt die oft abgelehnte geometrische Progression
der Bevölkerungsbewegung, mit einer Abschwächung allerdings, wieder
zu Ehren. Elster hat dies vor ihm im Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften getan. Freilich ist Malthus in Oppenheimer ein gefähr-
licher Gegner erwachsen. Aber der gegen Malthus gerichtete statistische
Beweis ist, wie der Statistiker unschwer nachweisen kann, sicher nicht
geglückt und ist ein störender Fremdkörper in der geistvoll durchge-
führten Kritik, deren Unterscheidung zwischen Bodenertrag und Nah-
rungsspielraum wenigstens so lange anerkannt werden wird, als man
eine den Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag korrespondierende Er-
scheinung im Bereich der Technik abzulehnen geneigt ist. (Gewisse An-
zeichen scheinen freilich darauf schließen zu lassen, daß auch der tech-
nischen Entfaltung Grenzen gesetzt sind.)
Die Teuerung kann, wo immer man ihre Gründe suchen will,
zwanglos als ein Vorbote eines sich verengenden Nahrungsspielraums
angesehen werden. Diese Erscheinung wird sich nämlich innerhalb der
privatwirtschaftlichen Produktion zunächst in Gestalt geringerer Renta-
bilität, die höhere Kosten und demgemäß Preise bedingt, geltend
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslander. 517
machen. Um so interessanter ist angesichts der aktuellen Problems der
Gedankengang eines Werkes, das längere Zeit vor Malthus die Fragen
im wesentlichen richtig stellt und, abgesehen von einigen Rückständig-
keiten und merkantilistischen Anwandlungen, überraschend selbständig
beantwortet. Der aufgebotene statistische Apparat ist nicht groß. Aber
auch bei den anerkannten klassischen Meistern muß das Urteil in dieser
Richtung oft lauten: multa, non multum, und wir haben trotz emsigem
Bemühen für eine ganze Reihe der hier angeschnittenen Probleme
schließlich auch häufig noch kein unbedingt zuverlässiges Material.
Das gilt bekanntlich in großem Umfang gegenüber der Teuerungsfrage.
Das biographische Detail braucht uns nicht eingehender zu be-
schäftigen. Name und Herkunft des Moheau liegen im Dunkel. Die
einen glauben es mit einem Pseudonym zu tun zu haben, die andern
nennen zwar eine bestimmte Persönlichkeit, doch knüpfen sich an diese
auch keine großen Interessen. Die philologische Filigranarbeit ist
natürlich nicht Selbstzweck in der Nationalökonomie, übrigens be-
schränkt sich der Herausgeber durchaus nicht auf sie, vielmehr sind seine
sachlichen Erläuterungen wiederholt von eindringlichem Verständnis
getragen.
Der einheimischen Literatur ist Moheau kein Fremder. Von ihm
sagt Levasseur, daß kein Schriftsteller statistische Daten vor ihm mit
gleicher Genauigkeit wiedergegeben und gleich geistvoll verarbeitet hat.
Er wird in eine Reihe mit Süßmilch gestellt, ohne daß ihn allerdings
der religiöse Schwung der protestantischen Geistlichen beseelt hätte.
Vor Malthus hat Moheau die Beziehungen zwischen Bevölkerung
und Nahrung erfaßt, angesichts der geringen Note, die neuerdings —
wohl nicht mit Recht — dem Briten zuerkannt wird, mag man vielleicht
geneigt sein, die Ansprüche des Franzosen noch stärker zu unter-
streichen, als dies seitens seiner Landsleute geschieht. Jedenfalls hatte
Moheau in höherem Maße Einblick in die konzeptionsverhindernde
Praxis, die schon zu seiner Zeit verbreitet war — „jusque dans les
villages“. — Die Lobredner der guten alten Zeit werden ihn gerade in
diesem Punkte mit Gewinn lesen.
Die Stoffeinteilung geschieht folgendermaßen: Auf eine etwas sub-
misse, aber für den Stil der Zeit immerhin noch würdevolle Widmung
an den König, und ein Vorwort an den Leser folgt als erstes Buch eine
Abhandlung über den Zustand der Bevölkerung. Eine kurze metho-
dologische Anmerkung betont die Wichtigkeit der Erfahrungen in der
Sozialwissenschaft, die hier durchaus als Abteilung der Philosophie er-
scheint. Der den zeitgenössischen Schriftstellern allgemein eigenen Lob-
preisung der Bevölkerung als der Hauptstütze des Staates reiht sich eine
Begründung populationistischer Studien an. Stets findet sich die, der
merkantilistischen Auffassung selbstverständliche Verweisung auf die
praktischen Zwecke der Bevölkerungsstatistik und Bevölkerungspolitik.
Hier ist der Standpunkt noch kaum selbständiger als bei vielen gleich-
zeitigen Schriftstellern, die auch in Deutschland reichlich vertreten sind
und die in ihrer Gesamtheit die Meinung von der Allmacht des Staates
und ihrer unmittelbaren Nachweisbarkeit durch die Statistik vertreten.
518 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Aber schon die Aufzählung der Mittel zur statistischen Ermittlung
der Bevölkerung verrät eine umfassende Detailkenntnis (wie sie bei
ersten Vertretern der gleichzeitigen deutschen Universitätsstatistik sicher
nicht anzutreffen ist. Für Frankreich muß dies offen bleiben.) Die
Familienstatistik steht im Mittelpunkt der Darlegungen. Von hier aus
dringt Verf. zur Bevölkerungsfrage in Frankreich überhaupt durch, er
bringt die allgemeinen bevölkerungsstatistischen Unterscheidungen recht
vollständig. Ein besonders wichtiges Kapitel ist dann mit der Lehre
von der Fruchtbarkeit gegeben.
Es hebt emphatisch an: Unheil dem, der keinen Gefallen am Stu-
diun der Natur, ihrer Entwicklung, ihren Veränderungen hat. Den
obersten Grundsatz des Philosophen, die Verwunderung vor der Umwelt,
fordert auch Moheau. Auf dieser Grundlage will er dann die Frucht-
barkeit der Frauen, das Verhältnis zwischen Heiraten und Geburten,
die geographischen und jahreszeitlichen Verschiedenheiten der Geburt-
lichkeit, ihren Umfang in Stadt und Land, das Geschlechtsverhältnis
der Geborenen und anderes mehr feststellen. Ein Fragensystem, das auch
heute kaum besser formuliert, wenn auch natürlich mittels eines umfang-
reicheren Apparates beantwortet werden könnte. —
Wie erwähnt, ist Moheaus Stellungnahme gegenüber dem Wande-
rungsproblem nicht auf der Höhe seiner sonstigen Wissenschaft, hier
ist er in jeder Beziehung der Sohn seiner Zeit und muß in dieser Eigen-
schaft folgerichtig jede Erweiterung der Auswanderung ablehnen und
die Einwanderung fordern.
Das zweite Buch behandelt in zwei Abschnitten die Ursachen der
französischen Bevölkerungsbewegung. Sehr einsichtig werden im ersten
die natürlichen („physischen“), im zweiten die „politischen, bürger-
lichen und moralischen“ Gesichtspunkte dargestellt. Es finden sich
manche sehr reizvolle Partien; so, wenn die Ehescheidung als eine
fremdartige, höchst gefährliche Einrichtung bezeichnet wird, wenn der
Autor bei Erörterung des richtigen Heiratsalters eine gewisse Kenntnis
der historischen Handlungen auf diesem Gebiete verrät, in diesem Zu-
sammenhang auch das Eheverbot gegenüber wenig tauglichen Per-
sonen bespricht, wenn im Sinne allerdings der älteren Auffassung die
Ermutigung der Eheschließung zur Debatte steht. Dabei werden dann
Colberts Maßnahmen erwähnt, Steuererleichterungen für kinderreiche
Familien begrüßt. Von besonderem Interesse ist ein Kapitel über „die
Sitten“. Ohne solche gibt es nach Moheau keine zahlreiche Bevölke-+
rung, doch nicht einseitig an die Religion angelehnt.
Im allgemeinen wird Kinderbesitz als wirtschaftliche Belastung
erscheinen. Sie wird nur von den Verheirateten aufgenommen, die un-
eheliche Verbindung sucht sie zu vermeiden. Dieser Standpunkt ist
gerade angesichts des Vordringens der Aufklärungsideen bemerkenswert,
die sich von freier Liebe die günstigsten populationistischen Wirkungen
versprachen (und zum Teil heute noch versprechen); hierbei unter-
laufen sittengeschichtliche Bemerkungen, die es wahrscheinlich machen,
daß die Beseitigung der Folgen unehelichen (und wohl auch ehelichen)
Verkehrs schon jenen Zeiten geläufig war. Und es wird beklagt, daß
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 519
späte Heirat häufig eine schwächliche Nachkommenschaft zur Folge
habe. Im ganzen: was Hans Delbrück über die große Aehnlichkeit
der Zeiten und über die geringe Gedächtniskraft derer, die die „gute alte
Zeit“ herbeiwünschen, sagt, wird hier voll bestätigt und man wünschte
die Ausführungen Moheaus gerade im gegenwärtigen Augenblicke von
recht vielen gelesen !
Der Abschnitt über den Luxus zeigt gleichmäßig den scharfen
Beobachter und den warmherzigen Sozialpolitiker (in welch letzterem
Punkt sich Moheau durchaus angenehm von Malthus, dessen Beweis-
führung im Grunde stets die Notwendigkeit der bestehenden Differnzie-
rungen zum Ausgangs- und Zielpunkt haben, unterscheidet). Mit Recht
betont er, daß durch die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Unter-
schiede auch die Familiengröße beeinflußt, die Beschränkung der Kinder-
zahl begünstigt wird. Wir sehen die Wohlhabenheitstheorie in ihren
Anfängen und finden ihre Verträglichkeit mit der andern Anschauung,
welche aus früheren Ausführungen Moheaus hervorging und eine Be-
schränkung der Geburten auf wirtschaftliche Notlage zurückführt.
Beide Modifikationen bestehen in der Praxis zweifelsfrei nebeneinander
und sollten sich auch in der Theorie vertragen lernen.
Anschließend wird der Einfluß von Gewohnheiten auf die Volks-
wirtschaft geschildert und auch hier ist der Standpunkt ein sehr skep-
tischer gegenüber den „Errungenschaften‘ der zeitgenössischen Kultur.
Es scheine, als ob in einem von der Natur weit abgekehrten Zeitalter
Vergnügungen nurmehr durch Umkehrung der natürlichen Tatsachen:
Alter, Geschlecht, Jahres- und Tageszeiten, entstehen könnten. Das
Vergnügen aber sei zur Leidenschaft, die Art seiner Befriedigung zur
Kunst geworden. Vielleicht verliert sich unser Autor bei dieser Stelle
etwas im Moralisieren; aber die Fragestellung bleibt dieselbe, sie be-
handelt die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Nahrungsspiel-
raum, die durch Mode, Luxus, Gewohnheiten der verschiedensten Art,
durch Anhäufung des Reichtums in wenigen Händen von Grund aus ver-
schoben werden.
Bei der anschließenden Steuerlehre ist der Einfluß physiokratischer
Gedankengänge unverkennbar. Uebergehen wir hier die auf den Krieg,
auf Heer und Marine bezüglichen Abschnitte mit manchen klugen Ge-
danken, ferner eine Anregung, die Fremden ins Land zu ziehen, so er-
öffnet sich mit dem Kapitel über die Beziehung ` zwischen Bevölke-
rung und Unterhaltungsmitteln der eigentliche Kern des Werkes.
Die Einstellung des Problems, das im Menschen ein brotessendes
Lebewesen erblickt, ist vielversprechend, doch tritt sofort störend der
Glaube an die Allmacht der staatlichen Verwaltung, dem man schon
früher begegnete, hinzu. Ein verhängnisvoller Irrtum, der die sonstige
vortreffliche Beobachtung Lügen straft, ist ferner die Annahme, daß die
Aermsten, schlechtest Genährten, unfähig zur Fortpflanzung erschienen.
Dies wäre vielleicht, in dem Sinne zutreffend, daß die von ihnen Ab-
stammenden qualitativ nicht entsprechen und daß die Sterblichkeit unter
ihnen eine sehr große ist. Ins Zentrum führt die Wiedergabe der
Meinung, daß die Menge der jährlichen Erzeugung an Lebensmitteln
520 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
als Maß für die Bevölkerung zu gelten habe. In einer Anmerkung
wird dieser Gedanke dahin abgeändert, daß nicht die Menge der Lebens-
mittel, sondern die größere oder geringere Leichtigkeit, sie sich zu ver-
schaffen (le plus ou le moins de facilité de s’en procurer), das Maß
für die Bevölkerung sei. Leider ist dies nicht näher begründet. Aber
an anderer Stelle findet sich eine Ausführung, die zum Gegenstand jene
Länder hat, die bei großer natürlicher Fruchtbarkeit doch nur eine
geringe Bevölkerung haben und damit den Unterschied zwischen Nah-
rungsmittelmenge und wirklichem Vorrat dartun. Augenscheinlich läuft
die Ausführung auf den Gegensatz von Tages- und Jahresquote im Sinne
Oppenheimers hinaus. Erst auf technischem Wege kann eine Vermitt-
lung stattfinden. Zeitweilig entbehrt nach Moheau das Volk der Sub-
sistenzmittel, wenn nämlich der Bodenbesitzer keinen Bedarf nach Hand-
arbeit hat, und umgekehrt wird Nahrung vorhanden sein, gleichgültig,
welches der Getreidepreis ist, wenn nur Nachfrage nach Handarbeit be-
steht. Soweit die Bodenverteilung eine für die breiten Massen günstige
ist, sind diese natürlich nicht in gleichem Maße auf Lohnarbeit ange-
wiesen, sie sind dann nicht von den Unterhaltsmitteln ausgesperrt. Man
sieht starke Neigungen im bodenreformerischen Sinne. Entweder gün-
stige Bodenverteilung oder die unbedingte Möglichkeit, durch Lohn-
arbeit sich seinen Anteil zu sichern, sind Voraussetzungen der Bevölke-
rungsvermehrung (oder auch nur -erhaltung). Die Aufgaben richtiger
industrieller Entwicklung und präziser Arbeitsvermittlung werden gleich-
zeitig vorgezeichnet. Vom „pauvre“, welcher Begriff ja nicht mit
unserem „Armen“ zusammenfällt, heißt es, daß er nur seine Arbeits-
kraft zur Verfügung habe; in der körperlichen Ueberlegenheit sei die
Besserstellung des Mannes gegenüber der Frau, soweit diese auf Lohn-
arbeit angewiesen ist, begründet. Die Gedanken über Frauenfrage, die
Moheau anreiht, müssen hier ausscheiden. Nur dies: er wirft die Frage
auf, ob man nicht den Frauen bestimmte Vorrechte in bezug auf einzelne
Arbeiten zuwenden könne.
Ein Abschnitt über Verwaltungseinrichtungen bewegt sich fast
ausschließlich auf medizinischem Gebiet. Von Interesse ist, was über
Kindernahrung und Selbststillen gesagt wird und was natürlich ganz
unter dem Eindruck zeitgenössischer Anschauungen steht. Das folgende
Schlußkapitel liest sich wiederum als eine nicht ganz in den Rahmen
der Arbeit passende Apologie der Selbstherrlichkeit und Allmacht des
absolutistischen Staates. Ist Malthus der Vertreter der naturrechtlichen
Auffassung, des laisser faire, laisser passer, so haben wir in seinem so
wenig bekannten Vorläufer den Mann des ancien rögime. Vor allem,
wir haben in ihm den Franzosen und nicht den Briten.
Nicht wegen dieser Ueberschätzung des Staates — oder besser der
Fürstengewalt — und wegen der darauf gegründeten Reformvorschläge,
sondern wegen der vorzüglichen erkenntnistheoretischen und statistischen
Unterlagen verdient das nunmehr leicht zugänglich gewordene Werk volle
Beachtung. Der Grundgedanke, daß neben der vorhandenen Nahrungs-
menge die Art des Zugriffs auf sie, mit andern Worten, de Verteilung
eine entscheidende Rolle spielt, ist auch heute noch lebendig. Hier ist
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes., 591
auch der wichtigste Differnzpunkt gegenüber Malthus, der im Lohn-
fonds befangen war und Bemühungen, die Verteilung zu ändern, als
gegen die natürliche Ordnung gerichtet ansehen mußte. Wir haben
in Moheau einen Optimisten der Bevölkerungstheorie vor uns, obwohl
er das Problem durchaus nicht unterschätzt. Er ist alles andere wie der
Verteidiger einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die er als unab-
änderlich, innerhalb deren er den Anteil der breiten Massen als stets
auf den notdürftigen Lebensunterhalt herabgedrückt ansehen müßte.
Oekonomische Kategorien dienen hier nicht wie bei Malthus zur Ver-
teidigung eines gesellschaftlichen, historisch bedingten Zustandes. Viel-
mehr läßt der historisch-relative Standpunkt die Möglichkeit sozialer
Reformen offen: die Zusammengehörigkeit beider Gesichtspunkte, der
für die historische Schule so charakteristisch ist, tritt uns schon bei
diesem Vorläufer in glänzender Begründung entgegen.
Berlin. A. Günther.
Haney, L. H., Business Organization and Combination. New York
(The Macmillan Company) 1913. XIV u. 483 SS. 2 $.
In der amerikanischen Literatur gibt es eine ganze Reihe von
Schriften, welche in populärer, aber doch wissenschaftlicher Form
ökonomische Probleme mit besonderer Rücksicht auf Geschäftsleute
behandeln. Der praktische Sinn des Amerikaners spricht sich darin aus,
der seinen Büchern dadurch ein weiteres Absatzgebiet zu geben ver-
sucht, daß er sie nicht nur für Nationalökonomen und Studenten, sondern
auch für die Bedürfnisse der Geschäftsleute berechnet. Das wird frei-
lich auch dadurch erleichtert, daß in Amerika auch an den Universitäten
und Colleges, nicht nur wie bei uns an den Handelshochschulen, die Ver-
bindung der Nationalökonomie mit privatwirtschaftlichen und handels-
technischen Fächern eine große Rolle spielt.
Eine der besten derartigen Arbeiten ist zweifellos das Buch von
Haney, Professor an der Universität von Texas, der sich schon durch
eine gute Geschichte der Nationalökonomie: „History of Economic
Thought“ einen Namen gemacht hat. Das Buch enthält im wesentlichen
dasselbe wie meine „Unternehmungsformen“, nur mit größerem Ein-
gehen auf die rechtlichen Grundlagen der Unternehmungen und ihre
innere Organisation, wie es eben für Geschäftsleute von Interesse ist.
Verf. hat sich, wie er im Vorwort selbst hervorhebt, besonders bemüht,
klare und scharfe Begriffsabgrenzungen zu geben, und hier liegt in
der Tat ein Verdienst des Buches.
Die Untersuchung geht aus vom Begriff des Unternehmers,
den er im wesentlichen ebenso definiert, wie ich das getan habe. Ver-
antwortlichkeit und Kapitalrisiko sind seine wichtigsten Begriffs-
momente. Auch der Aktionär ist Unternehmer. Verf. weist mit Recht
darauf hin, daß Unternehmer und Kapitalist nicht dasselbe sind.
Natürlich: ein Obligationeninhaber ist kein Unternehmer. Dann ist
aber auch die sozialistische, aber darüber hinaus weitverbreitete und
beliebte Identifizierung von Unternehmer und Kapitalisten oder eine
nicht klare Unterscheidung beider hinfällig, was leider einflußreiche
522 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Nationalökonomen bei uns immer noch nicht einsehen wollen. Zu-
treffend wird der Unterschied des Unternehmers vom Direktor
(manager) hervorgehoben, der gemietet, angestellt werden kann. Zu
kritisieren ist nur des Verf. Anschauung über den Unternehmer-
gewinn, eine Folge der noch allgemein herrschenden Einkommens-
lehre, die jedes Einkommen, also auch den Unternehmergewinn, als das
Entgelt für eine bestimmte Leistung betrachtet und nicht er-
kennt, daß alle Einkommen nur die Resultante von Preisen und der sie
begründenden allgemeinen Angebots- und Nachfrageverhältnisse sind.
Das zweite Kapitel handelt von derGröße der Unternehmungen,
der Verringerung von Arbeit, Boden und Kapital in der Unternehmung,
der Vereinigung von Arbeit, Boden und Kapital in der Unternehmung,
der Integration u. dgl. Diese Ausführungen hätten im Gesamtplan
des Werkes sehr viel eingehender sein können, namentlich nach der
volkswirtschaftlichen Seite.
Den größten Teil der Schrift nimmt Buch II ein (S. 39—255):
Entwicklung und Formen der Unternehmungen. Hier wer-
den der Reihe nach die Einzelunternehmung, die Partner-
ship Organization (im wesentlichen unsere offene Handesgesell-
schaft), die Joint Stock Company und endlich die Corporation
besprochen, daneben die Limited Partnership (unsere Kommandit-
gesellschaft). Der Unterschied zwischen Joint Stock Company und
Cooporation besteht vor allem darin, daß erstere keine eigene Rechts-
persönlichkeit, „legal entity“, ist und nur auf einem Vertrage, nicht
auf staatlicher Verleihung beruht. Die beschränkte Haftung ist kein
ausschließliches Merkmal der corporations, da sie bei den Joint Stock
Companies auch vereinbart werden kann, während anderseits bei jenen
auch vorübergehende Haftung, z. B. auf das Doppelte des Aktienbesitzes,
statuiert werden kann. (Vgl. dazu jetzt: A. Mez, Das Recht der
amerikanischen Aktiengesellschaften, in der Heymannschen Sammlung,
Marburg 1913.)
Die folgenden Kapitel sind dann den Trusts und verwandten
Organisationsformen gewidmet. Zunächst werden die „Simple bu-
siness Trusts“ erwähnt, d. h. die Trustform als bloße Treuhänder-
schaft, in der Regel für handlungsunfähige Personen, Vereine
u. dgl., die aber auch als Car Trusts, Voting Trusts usw. verwendet
wird. In den folgenden Kapiteln werden dann Combination Organi-
zation = Trusts im weiteren Sinne und Federation Organization
= Pools, Kartelle behandelt. Ein eingehendes Schema, das Verf. auf-
stellt, sieht so aus:
I. Simple Combinations:
Association (direct combination of natural persons as in partnerships).
II. Compound Combinations:
1. Association (the loosest agreements directly between individual
members of different associations: trade „associations“, some simple
„agreements“ etc.). (?)
2. Federation (combination of organizations which remain separate
and retain considerable autonomy: most simple „agreements and
pools“).
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 523
3. Consolidation (combination of organizations in which, while mem-
bers may remain nominally separate, direction of business is
fused).
a) Partial Consolidation : Securities holding.
b) Complete Consolidation:
1) Merger (eine bestehende Firma nimmt eine andere auf).
2) Amalgamation (zwei oder mehr Unternehmungen vereinigen
sich in einer neuen)"
Man, muß zugeben, daß diese Klassifikation, die versucht, die in
Amerika ausschlaggebenden rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichts-
punkte zu kombinieren, den amerikanischen Verhältnissen im ganzen
entspricht. Doch wäre auch hier eine schärfere Heraushebung des fun-
damentalsten Unterschiedes wünschenswert gewesen, den wir bei der
Gegenüberstellung von Kartellen und Trusts machen, daß es sich
bei ersteren nur um vertragsmäßige Verpflichtungen zwischen selb-
ständig bleibenden Unternehmungen, bei den letzteren um Bildung
einer neuen Unternehmung handelt.
Die verschiedenen Organisationsformen werden vom Verf. der Reihe
nach geschildert und an charakteristischen Beispielen illustriert.
Das dritte Buch bringt dann unter dem Titel: Struktur und Le-
bensgeschichte einer typischen Gesellschaftsunterneh-
mung, mehr privatwirtschaftliche Untersuchungen über Aktionäre und
Direktion, innere Verwaltung u. dgl. Auch das Promoting und Under-
writing wird hier in besonderen Kapiteln besprochen, ebenso die Reor-
ganisation von Unternehmungen und die Konkursverwaltung. Daß
auch den Geschäften an der Effektenbörse ein besonderes Kapitel ge-
widmet wird, geht wohl etwas über den Rahmen des Buches hinaus.
Das letzte Buch behandelt die Probleme staatlichen Ein-
greifens. Verf. unterscheidet ebenso, wie das von mir seit Jahren
geschehen ist, das Monopol- (Trust-) und das Korporations-
problem. Ersteres kann nur gelöst werden „durch Veränderung der
ökonomischen Kräfte“. Letzteres ist größtenteils mit gesetzlichen In-
stitutionen verbunden. Seine Lösung erfordert eine Veränderung des Ge-
sellschaftsrechts. Verf. hätte hinzufügen können, daß es bis in die
neueste Zeit der Fehler der amerikanischen Wirtschaftspolitik war, daß
sie fast ausschließlich das Monopolproblem, und dieses nur durch ge-
setzliche Maßnahmen statt auf „administrativem“ Wege zu lösen ver-
suchte. Unter den sonstigen Ausführungen des Verf. ist bemerkenswert
der mehrmalige Hinweis, daß eine Vereinfachung der so verschie-
denartigen Effektenformen erwünscht sei, und manche Mißstände
der großen Gesellschaftsunternehmungen beseitigen könne. Im übrigen
beziehen sich seine Vorschläge auf Uebertragung des Korporationsrechtes
an den Bundesstaat, Verbesserung der Geschäftsberichte, strengere Haf-
tung der Gründer und Direktoren, Recht einer Minderheit der Ak-
tionäre, eine Generalversammlung zu berufen und ein Revisionskomitee
zu ernennen, bessere Kontrollmaßregeln, wenn Direktoren der Gesellschaft
an dieselbe Vermögensstücke verkaufen wollen, Verpflichtung einer
Gesellschaft, die einen gewissen Teil des Kapitals einer anderen Gesell-
H
524 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
schaft besitzt, innerhalb bestimmter Zeit das ganze Kapital zu kaufen
u. dgl. Schließlich wird noch die Einführung einer Limited-liability
Association nach dem Muster unserer Ges. m. b. H. empfohlen. Sie soll
für kleinere Unternehmungen dienen. Verf. vergißt aber hinzuzufügen,
daß, nach unseren deutschen Erfahrungen, auch die Festlegung einer
Grenze nach oben zweckmäßig wäre.
Den Anhang bilden zahlreiche Beispiele von Statuten der verschie-
denen Gesellschaftsformen, von Kartell-, Pool-, Trust-, Fusionsverträgen,
eines Promoters- und eines Underwriting-Vertrages.
Das ganze Buch ist eine wohl etwas trockene, aber sehr klare und
übersichtliche Einführung in die Probleme der modernen Unternehmung
in den Ver. Staaten und kann auch europäischen Lesern angelegentlich
empfohlen werden. R. Liefmann.
Trautwein, Carl, Ueber Ferdinand Lassalle und sein
Verhältnis zur Fichteschen Sozialphilosophie. Jena 1913.
166 SS.
Das steigende Interesse, das den Lehren Fichtes heute entgegen-
gebracht wird, ist ein Symptom für die Abkehr von der rein entwick-
lungsgeschichtlichen Betrachtung der Sozialphänomene, und für das
tiefe Bedürfnis nach einer neuen ethischen Fundierung der Sozialphilo-
sophie. Selbst von streng sozialistischer Seite (so jüngst von Max
Adler, im Kampf, Bd. V) ist auf den tiefen sittlichen Gehalt der Fichte-
schen Ideen hingewiesen worden. Die letzteren stehen denn auch, genau
genommen, im Mittelpunkte der Trautweinschen Schrift, die durch ihre
klare Problemstellung, ihre vortreffliche Systematik, ihre gründliche,
von großen Kenntnissen zeugende Durchdringung des Stoffes und die
kraftvolle Art der Darstellung einen hervorragenden Platz unter den
literarhistorischen Bearbeitungen gleicher und verwandter Themen be-
hauptet. Die sprachliche Gestaltungskraft des Verfassers mag besonders
rühmend hervorgehoben werden. Von den Lehren Fichtes aus, wenn auch
nicht in der äußerlichen Gliederung, so doch offensichtlich in der inner-
lichen Verarbeitung der Probleme, aufbauend verfolgt Trautwein die Ent-
wicklung der deutschen idealistischen Philosophie von Kant zu Hegel,
und untersucht die Abhängigkeit der beiden großen Schöpfer des modernen
Sozialismus — Marx und Lassalle — von dem Ideenkreise jener Denker.
Aus dieser Untersuchung wächst fast mit zwingender Notwendigkeit
jenes entscheidende Problem hervor, das der Verf. am Schlusse seiner
Arbeit (S. 158) formuliert: „Stehen die ökonomischen Theorien Lassalles
mit ihrem Klassenprinzip, mit ihrer strengen Unterscheidung von Bour-
geoisie und Lohnarbeiterschaft, im Gegensatze zu dem geschichtsphilo-
sophischen Prinzip der Volksgeister oder Nationen ? trägt nicht in Lassalle
Marx den Sieg davon über Hegel und Fichte?“ Dem Nachweise, daß die
Antwort verneinend lauten müsse, ist im Grunde die ganze Schrift ge-
widmet; er wird geführt durch einen eingehenden Vergleich der öko-
nomischen Lehren Lassalles mit jenen von Marx, welcher die oft betonte
Abhängigkeit des ersteren vom letzteren zwar erkennen läßt, in dem viel-
leicht entscheidenden Punkte aber, in der Auffassung des ökonomischen
Gesetzes, eine Wesensverschiedenheit nachweist: Für Marx „bilden die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 525
ökonomischen Gesetze eine Reihe, die mit immanenter Notwendigkeit
zur sozialistischen Gesellschaftsordnung führt“ (S. 44); Lassalles öko-
nomische Gesetze „erfassen trotz Hegel die Erscheinungen der kapita-
listischen Produktion nur im Beharrungszustande, und tragen in sich
nicht die logische Notwendigkeit von einem Zusammenbruche dieses
Kapitalismus... Für Lassalle liegt demnach der zu lösende Wider-
spruch in der Spannung zwischen den realen wirtschaftlichen Tatsachen
und einem wirtschaftlichen Ideal“ (S. 46). Mit diesem Gegensatze
stehen, wie Trautwein zeigt, die Differenzen der beiden Denker in der
Auffassung und Beurteilung der Erscheinungen des Wirtschaftslebens
in engem Zusammenhange (Arbeits- und Mehrwerttheorie, Geldlehre,
Lohntheorie). Im Anschlusse an Hegel und insbesondere an Fichte
räumt Lassalle der nationalen Gliederung — die in dem Marxschen
Systeme des ökonomischen Materialismus überhaupt keine Rolle spielt
— den Primat über der wirtschaftlichen ein. Zu einer größeren Schät-
zung der theoretischen Leistungen Lassalles wird die Schrift Trantweins
kaum beitragen; denn sie zeigt ihn neuerdings als wenig originellen
Epigonen der größten Philosophen, die Deutschland im 19. Jahrhundert
hervorgebracht hat. Aber sie betont — und das ist vielleicht ihr größtes
Verdienst — mit aller Klarheit die unsterbliche Leistung der deutschen
idealistischen Philosophie um die Schaffung des Begriffs der persönlichen
Freiheit, nicht als der Selbstherrlichkeit des isolierten Individuums, wie
sie der reine Individualismus erfaßt hatte, sondern als einer erst durch
die sittliche Gemeinschaft im Staate erwachsenden Abgrenzung der
Rechte und Pflichten, die, auf das wirtschaftliche Gebiet übertragen,
hier zu den Forderungen des Rechtes auf Existenz und auf Arbeit führt,
und schon bei Fichte in sozialistische Forderungen ausklingt. Die Schrift
zeigt ferner das Emporwachsen der Idee des Volksgeistes und des Na-
tionalgedankens aus der geschichtsphilosophischen Auffassung Hegels
und Fichtes, und gipfelt, trotz aller literarhistorischen Objektivität, in
einer Apologie der Fichte-Lassalleschen kulturpolitischen Auffassung
gegenüber der rein entwicklungsgeschichtlich verfahrenden Methode
von Karl Marx. Wir vermissen freilich eine kritische Beurteilung jener
Fichteschen, von Lassalle übernommenen Idee der Nation als eines ‚selb-
ständigen Wertgebildes zwischen Individuum und menschlicher Gattung“
(S. 137), das durch ein naturhaftes Element (Rassenabstammung) und
ein geistiges (ununterbrochene geistige Fortentwicklung“ (S. 140) cha-
rakterisiert ist. Allein jeder Versuch einer solchen Kritik hätte viel-
leicht die Idee selbst zerstört, und damit dem von Trautwein in dem
knappen aber fesselnd geschriebenen Schlußworte angedeuteten Wunsch
nach einer „Aushöhlung‘“ der Anschauungen des Marxismus in der
deutschen Sozialdemokratie durch den lebendigen Nationalgedanken Las-
salles die Spitze abbrechen müssen. KarlPribram.
J. Conrad, Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie.
Fortsetzung des 4. Teils: Gewerbestatistik. Von A. Hesse. 2. Aufl.,
1914. Selbstanzeige.
Die neue Auflage weicht von der ersten Ausgabe in methodischer
und sachlicher Beziehung grundlegend ab.
526 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die erste Auflage hatte das Schwergewicht auf die Wiedergabe des
Zahlenmaterials gelegt, hierfür vorwiegend die Tabellenform gewählt
und im Text allein die wichtigsten Ergebnisse und die grundlegenden
kritischen Gesichtspunkte hervorgehoben. In der neuen Auflage nimmt
das Tabellenmaterial nicht mehr ein Drittel des früheren Umfanges
ein. Dagegen ist die Textdarstellung erheblich erweitert: es sind die
Fragen der gewerbestatistischen Methode und Technik ausführlicher
behandelt und die Ergebnisse eingehender betrachtet, insonderheit Rich-
tung und Grenzen ihrer Verwertung näher untersucht worden. Die
Tabellen dienen jetzt vorwiegend dem Zweck, Aufbau und Gliederung
des vorliegenden Zahlenmaterials zu zeigen und so in dieses einzuführen.
Die sachliche Erweiterung der neuen Auflage besteht zunächst in
einer eingehenden Darstellung der Ergebnisse der deutschen Betriebs-
zählung von 1907. Dann sind die neuen Erhebungen des Auslandes
herangezogen. Endlich ist die Darstellung über die bisherige Aufgabe
hinausgegangen, hat das produktions- und handelsstatistische Material
verwertet und die Statistik der Gesellschaften und Genossenschaften,
des Arbeitslohnes und der Arbeitszeit, des Arbeitsmarktes, der Organi-
sationen, der Arbeitskämpfe und Tarifverträge behandelt. Den Abschluß
der Ausführungen bilden jeweils Uebersichten, die zunächst die sta-
tistische, dann aber auch die volkswirtschaftliche Literatur nachweisen
und am Ende der gewerbestatistischen Untersuchung dem Leser den
weiteren Weg zeigen.
So ist auf die Verbindung der formalen, statistischen mit den materi-
ellen, volkswirtschaftlichen Problemen besonderes Gewicht gelegt worden.
Damit ist auch zu der erst kürzlich wieder erörterten Frage nach dem
Wesen der Statistik Stellung genommen. Es ist die Statistik nicht auf
die methodischen und technischen Probleme der Massenbeobachtung
beschränkt, sondern ihr als selbständige Aufgabe auch die Untersuchung
bestimmter Tatbestände zugewiesen, aller derjenigen, für die durch
Häufung von Beobachtungen die allgemeinen, nicht individuellen Merk-
male und durch Ermittelung von Regelmäßigkeiten in der Aufeinander-
folge die ursachlichen Beziehungen festzustellen sind. Immer aber ist
die Ermittelung des Typischen und Notwendigen nur so weit des Sta-
tistikers Aufgabe, als die zahlenmäßige Erfassung von Massenerscheinun-
gen für sie die Grundlage abgibt. So ist denn im besonderen die kausale
Betrachtung nur so weit geführt, als das Zahlenmaterial reicht, und die
Verfolgung derjenigen historischen, geographischen, technischen, öko-
nomischen und sozialen Momente, die in diesem nicht ihren Niederschlag
gefunden haben, mit Absicht unterlassen. Diese Beschränkung auf
das Element statistischer Arbeit ist nötig, wenn ihre Selbständigkeit und
Eigenart gewahrt bleiben soll. Je strenger die Statistik diese Grenzen
innehält, um so sicherer wird sie ihr sachliches Herrschaftsgebiet be-
stimmen und behaupten.
Selbst wenn nicht schon diese grundsätzlichen Erwägungen den
Ausschlag geben würden, müßte eine zusammenfassende Darstellung
aus äußeren Rücksichten ihre Aufgabe beschränken. Ein Urteil über
die quantitative Bedeutung der Zahlen kann nur gewonnen werden durch
S be
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 597
räumliche und zeitliche Vergleiche. Es ist also eine gewaltige Masse ver-
schiedenartigen und ungleichwertigen Materials zu berücksichtigen, das
gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftsstatistik ununterbrochen, in
schneller Folge und in erheblicher Ausdehnung durch amtliche und
private Arbeit vermehrt wird. Das Erfassen dieser zeitlich und räum-
lich so umfangreichen, vielgestaltigen und veränderlichen Verhältnisse
nach allen Richtungen in einer einzigen Untersuchung wäre eine falsch
gestellte, weil unlösbare Aufgabe. Eine zusammenfassende Darstellung |
muß dies um so mehr berücksichtigen, je weiter sie den Umfang des
verwerteten Materials zieht. Sie wird teilweise auch dann auf Einzel-
heiten verzichten müssen, wenn diese in dem statistischen Material ihre
Grundlage finden, und hier der Einzeluntersuchung Ziel und Weg zu
weisen haben. Dazu tritt für einen einführenden Grundriß, der den,
Teil eines größeren Ganzen bildet, die Rücksicht anf seine besondere
Aufgabe und auf den Zusammenhang, in dem er steht. So ist nach
allen Richtungen hin die Darstellung von dem Bestreben geleitet worden,
die Fülle des Stoffes zu beschränken, Uebersichtlichkeit und Kürze zu
erreichen und nur das Wichtigste iu geschlossenem, systematischem
Aufbau zu bieten.
Königsberg i. Pr. A. Hesse.
Croce, Benedetto, Historical materialism and the economics of Karl
Marx; translated by C. M. Meredith; with an introduction by A. D. Lindsay. New
York, Macmillan. 12, 23-+188 pp. $ 1,25. `
Melvin, F/joyd J., Socialism as the sociological ideal. New York, Eaton-
Ives-Sturgis-Wa/fon Co. 120. $ 1,25.
2. %eschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Coster Whitney Wright, Ph. D., Wool growing and the
Tariff, a study in the economic history of the United States. Boston
and ‘New York (Houghton Mifflin Company, the Riverside Press Cam-
bridge) 1910. IX u. 362 SS. 4 Taf. Preis 2 $.
‚} Die auf einem umfangreichen Quellenstudium beruhende gründ-
li e Arbeit gibt eine Darstellung der Entwicklung der Wollproduktion
den Vereinigten Staaten und untersucht, in welcher Weise dieselbe
urch das Vorhandensein oder Fehlen eines Zolles beeinflußt worden
Üst. Zugleich sind aber auch alle andern Faktoren beleuchtet worden,
elche auf die Entwicklung der Wollproduktion in den einzelnen Zeit-
schnitten eingewirkt haben; daher ist das vorliegende Werk über
inen eigentlichen Zweck hinaus wertvoll, indem es an dem Beispiele
nes der wichtigsten Wirtschaftszweige lehrreich vor Augen führt,
elche grundlegenden Momente in der Wirtschaftsgeschichte der Ver-
inigten Staaten hauptsächlich maßgebend gewesen sind.
Verf. unterscheidet in der Entwicklung der nordamerikanischen
ollproduktion und Wollverarbeitungsindustrie folgende 7 Perioden:
Wollproduktion vor 1800; die Einführung des Merinos 1800—1815;
Basierung der Wollproduktion auf kaufmännische Grundlage, 1816
bis 1830; die Vorherrschaft des Ostens, 1880—1840; das Aufblühen
des mittleren Westens, 1840—1860; die Zeit des Bürgerkrieges 1860
bis 1870; das Aufblühen des fernen Westens, 1870—1890; zollfreie
528 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Wolleinfuhr und das Ende des Zuges nach dem Westen 1890—1907.
Für jede einzelne Periode schildert Verf. die Entwicklung bzw. den Zu-
stand der Wollverarbeitung — erst im Hause und später im fabrik-
mäßigen Betriebe — einerseits, der Schafhaltung und Wollproduktion
andererseits, und erörtert die wirtschaftlichen und politischen Fragen,
die die Wollindustrie in diesem Zeitabschnitte günstig oder ungünstig
beeinflußt haben. Der geschichtliche Ueberblick lehrt, daß sehr ver-
schiedenartige Einflüsse und zu jeder Zeit wieder andere hierbei ob-
gewaltet haben, unter denen vornehmlich zu nennen sind als solche,
die wenigstens während einer der 7 Perioden vorherrschend waren:
das Anwachsen und die räumliche Ausdehnung der Bevölkerung, das
Aufblühen der Wollverarbeitungsindustrie, die Aenderungen in der
Rentabilität der verschiedenen Wirtschaftszweige der Farm und die
dadurch veranlaöten Umgestaltungen des Farmbetriebes, die durch den
Krieg geschaffenen -unnormalen und unbeständigen Verhältnisse, die
Erschließung des fernen Westens und die allgemeine industrielle Ent-
wicklung. Derjenige Faktor. welcher der ganzen Wirtschaftsgeschichte
der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert das Gepräge gibt, ist der
Zug nach dem Westen; und es leuchtet ohne weiteres ein, daß derselbe
gerade den Entwicklungsverlauf der Woilnroduktion dauernd beeinflußt
haben wird. Denn fast überall in der gemäßigten und der subtropischen
Zone, wo Neuland von der Besiedlung in Angriff genommen wird,
marschiert die Schafzucht voran, während sie in den älteren Kultur-
ländern von andern landwirtschaftlichen Betriebszweigen mehr und mehr
zurückgedrängt wird; auch die Entwicklung in Australien, Ar-
gentinien, Südafrika und andern Ländern zeigt, daß die Wollproduk-
tion beständig dazu geneigt hat, ihren Schwerpunkt an die \orposten
der Zivilisation zu verlegen. N
Im besonderen galten die Untersuchungen Verf.s der Frage, Cie:
weit der Zoll sich bei der Entwicklung der Wollproduktion geltend ge-
macht hat, und zwar kommt er zu dem Schlusse, daß in keiner “der
oben unterschiedenen 7 Perioden die Zollfrage für das Gedeihen Ver
Wollproduktion den Ausschlag gegeben hat und daß vielmehr jedesmal
ein oder mehrere andere Faktoren sich als mächtiger erwiesen. Bei der
Betrachtung der einzelnen Perioden ergibt sich nach Verf.s Meinung
folgendes: am nötigsten war der Schutzzoll nach dem Kriege von 181%,
als die unter der Gunst der vorhergehenden Jahre im frischen Aua:
blühen begriffen gewesene Wollverarbeitungsindustrie verzweifelt u
ihre Existenz rang. Tatsächlich war die Einfuhr von Rohwolle fin
diesen Jahren unbedeutend, und der Zoll bedeutete für die einheimischen
Produzenten eine gewisse Hilfe. Dagegen verhinderte er nicht di
Einfuhr wollener Stoffe, weil die englischen Fabrikanten sich damaß
in der üblen Lage befanden, große Posten Ware zu Schleuderpreisek
auf den amerikanischen Markt werfen zu müssen, und so vermoch
der Zoll seinen Zweck nur teilweise zu erfüllen. Zu günstigerer Wir-
kung kam der Zoll in der Periode 1830—1840, da sich die Lage der
englischen Wollindustrie inzwischen geändert hatte. Von 1840 bis
zum Ausbruche des Bürgerkrieges blieb der Zoll fast ohne jegliche
Pen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 529
Wirkung, da die in großen Mengen eingeführten geringerwertigen
Wollen vom Zoll kaum getroffen wurden, die Einfuhr besserer Wollen
aber unbedeutend und sogar kleiner als die Ausfuhr war. Während des
Bürgerkriegdezenniums war, wenn man es als Ganzes betrachtet, der
Schutzzoll zwar vorteilhaft für die Schafzüchter, er brachte aber doch
immerhin nur mäßigen Nutzen, da verschiedene andere Momente seine
Wirkung abschwächten. In der sich anschließenden Periode war infolge
der starken Produktionssteigerung auf der südlichen Halbkugel ein
starkes Sinken der Wollpreise auf dem Weltmarkte zu verzeichnen.
Die damals erhöhten Zollsätze vermochten in den Vereinigten Staaten
die Wollpreise entsprechend höher zu halten als sie sich sonst gestellt
haben würden. Dadurch erhielten die Farmer auch einen Ansporn zur
Vermehrung ihrer Herden, und wenn auch im Osten und im mittleren
Westen andere Gründe es nicht dazu kommen ließen, die Schafzucht
weiter auszudehnen, so trat die Vermehrung doch im fernen Westen
ein. Freilich darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Zoll
hierin nur beschleunigend wirkte, denn die Vermehrung des Schaf-
bestandes im Westen setzte sich auch später, nach Aufhebung des
Schutzzolles, wenngleich in langsamerem Tempo, noch fort. Am deut-
lichsten machte sich der Einfluß des Schutzzolles nach seiner Auf-
hebung bemerkbar. Die Wollpreise sanken, und in der östlichen Hälfte
des Landes wurden die Schafe in großen Mengen abgeschafft. Im
Westen war die Schädigung für die Farmer, welche die Schafzucht
nebenbei betrieben, weniger fühlbar als für die nicht mit einem Farm-
betriebe verbundenen Schäfereien. Aus der Tatsache, daß nach der
Wiedereinführung des Schutzzolles die Farmer des Ostens und mittleren
Westens, welche ihre Schafe abgeschafft hatten, nicht wieder zur
Schafzucht zurückkehrten, glaubt Verf. schließen zu dürfen, daß die
Aufhebung des Zolles den Leuten die Augen geöffnet und ihnen gezeigt
hätte, wo ihr Vorteil liegt, nämlich in irgendwelchen andern Zweigen
der Landwirtschaft. Das mag und wird teilweise zutreffen; Verf. über-
sieht jedoch, daß jeder Wechsel im Wirtschaftssystem für den Landwirt
mit großen Ausgaben, ja direkten Geldverlusten verbunden zu sein
pflegt, so daß man sich also auch aus diesem Grunde nur schwer dazu
entschließen wird, wieder mit der Schafzucht zu beginnen, nachdem
man wenige Jahre zuvor seine Herde mit Nachteil an den Schlächter!
verkauft hatte. Verf. läßt ferner die erheblichen Verluste unbeachtet,
die die Farmer bei der Aufhebung des Schutzzolles durch die Wert-
verminderung ihrer Herden und die notgedrungene Verschleuderung
derselben erlitten haben. Ich möchte daher für diese Periode der nord-
amerikanischen Wollproduktion der Aufhebung des Einfuhrzolles min-
destens den gleichen Einfluß auf den Rückgang der Schafhaltung zu-
erkennen, wie der von rentabler erscheinenden andern landwirtschaft-
lichen Betriebszweigen ausgeübten Anziehungskraft. Mit Bezug auf die
übrigen Perioden sei noch bemerkt, daß für manche Zeitabschnitte
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 34
530 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
innerhalb derselben der Schutzzoll auf Wolle doch sehr fördernd ge-
wirkt hat. Endlich geht aus dem Werke hervor, daß sehr häufig der
Zoll nur einen geringen Teil der Wolleinfuhr traf, die Hauptmenge aber
ganz oder fast zollfrei einließ, so daß also mit einer den Verhältnissen
besser angepaßten Zollskala eine wesentlich günstigere Wirkung hätte
erzielt werden können.
Die Frage, ob die Wollproduktion überhaupt durch einen Ein-
fuhrzoll geschützt werden soll, beantwortet Verf. nicht direkt, sondern
er läßt aus seinen Darlegungen die Leser selbst ihre Schlüsse ziehen.
Jedenfalls hat er den Beweis erbracht, daß die Meinung, die Schafzucht
und Wollproduktion des Landes sei mit ihrer Existenz ganz und gar
auf einen Schutzzoll angewiesen, durch die geschichtlichen Tatsachen
nicht begründet ist.
Leipzig. A. Golf.
Bauer, Friedrich, Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum
Ende des 17. Jahrhunderts. (Abhandlungen zur mittleren und neueren
Geschichte.) Berlin und Leipzig (Dr. W. Rothschild) 1914. 164 SS.
M. 5.
Die Eßlinger Wollgewerbe haben niemals eine besondere Be-
deutung beanspruchen können. Selbst in dem wichtigsten unter ihnen,
in der Tuchweberei, deren Erzeugnisse sich in ihrer Blütezeit (15. Jahr-
hundert) in Schwaben und auf den oberdeutschen Messen eines ge-
wissen Namens erfreuten, sind, nach den mitgeteilten Stichproben zu
schließen, wohl nie über 50 Meister tätig gewesen. So sind denn auch
die Ergebnisse der Arbeit kaum von allgemeinerem Interesse. Die
Entwicklung der Gewerbe zeigt die typische Tragödie der kleinen Reichs-
städte. Mit dem Erstarken des sie umgebenden Territorialstaates sahen `
sie sich auf Schritt und Tritt im Bezuge des Rohmateriales behindert,
in ihrem Absatze eingeschränkt. Diese Erschwerung der Produktion
wirkt wieder auf die Qualität der Waren zurück, die von einer stetig
nachlässiger werdenden Schau schlecht behütet, immer mehr sinkt und
binnen kurzem den alten Ruf vernichtet. Dieser Niedergang setzt schon
um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Auch nach dem 30-jährigen
Kriege zeigt sich nur eine unbedeutende Erholung, da jetzt die Kon-
kurrenz der ausländischen Gewebe immer stärker hervortritt.
Warum die Darstellung des Verf. mit dem Ende des 17. Jahr-
hunderts abbricht, wird wohl nicht nur mir völlig unerfindlich sein.
Dieser Termin bedeutet doch nach keiner Seite hin einen Einschnitt
in der wirtschaftlichen Entwicklung. Nicht minder verblüfft die Kon-
statierung (S. 60), daß aus der vorhergehenden Darstellung „der Zunft-
zwang für den Gewandschnitt‘ bestätigt sei, nachdem doch sowohl diese
frühere Darstellung, wie auch der den zitierten Worten folgende Nach-
satz klar hervorgehoben haben, daß auch eine bevorrechtete Klasse von
Bürgern zum Gewandschnitt zugelassen war, ohne dem Zunftzwange
unterworfen zu sein.
Lassen die die historische Abfolge schildernden Abschnitte der
Schrift vielfach Uebersichtlichkeit und vor allem Gestaltungskraft ver-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 531
missen, so zeigt die ausführliche Darstellung der Zunftverfassung solide
Arbeitstechnik. Wesentlich Neues erfahren wir auch hier nicht, was
natürlict nicht dem Autor zur Last gelegt werden soll.
Halle. Gustav Aubin.
Dorno, Friedrich, Der Fläming und die Herrschaft Wiesen-
burg. Agrar-historische Studien aus den nördlichen Aemtern des süchsi-
schen Kurkreises. (Schmollers Forschungen.) München und Leipzig,
Duncker u. Humblot. Mit 1 Karte. 111 SS. M. 3.
Die Arbeit zerfällt, wie schon der Titel andeutet, in zwei Teile.
Der erste bietet eine gelungene Anwendung jener von G. F. Knapp
und Schmoller bevorzugten Methode, von der Feststellung und Erläute-
rung der Agrarverfassung einer jüngeren Periode ausgehend, die Ent-
stehung dieser Verfassung nach rückwärts zu verfolgen. Das unter-
suchte Gebiet beschränkt sich aber nicht nur auf den Fläming, jenen
Höhenzug, der etwa — die Auffassungen schwanken — in der Höhe
von Magdeburg beginnend — sich am rechten Ufer der Elbe und der
schwarzen Elster gegen die Lausitz hinzieht, sondern umfaßt auch die
Landstriche, die sich ihm nordöstlich und südwestlich vorlagern. Wir
stehen also in einem Randbezirke des Geltungsgebietes der ostdeutschen
Agrarverfassung, das noch manche Züge des alten Volkslandes auf-
weist, aber auch in einem Gebiete, in dem die in Jahrhunderten schritt-
weise vordringende Kolonisation eine bunte Vielheit von Ständen und
Besiedelungsformen entstehen ließ. In der Ständegliederung, die Verf.
aus den Erbbüchern des 16. Jahrhunderts vor uns aufrollt, interessieren
besonders die zwischen der Ritterschaft und den bäuerlichen Schichten
stehenden Gruppen der „ehrbaren Mannschaft“ und der „Lehnmänner‘“.
Die ehrbare Mannschaft, Ritter ohne Untertanen, sind eine „absterbende
Institution“. Die zahlreichen Lehnmänner, oft drei, vier und selbst
fünf in einem Dorfe, verdienen sich ihr Gut mit dem Roßdienst, bzw.
durch die Zahlung des Lehnspferdes.. Im übrigen aber hat sich ihre
soziale Stellung nach den einzelnen Landstrichen sehr verschieden ent-
wickelt. Bald haben sie sich den Bauern fast vollständig angeglichen,
bald stehen sie diesen als deutlich abgesetzte höhere Schicht gegenüber.
D. will in ihnen im Gegensatz zu älteren Erklärungsversuchen den Be-
weis erblicken, daß bäuerliche und ritterliche Ministerialien aus einer
Wurzel hervorgegangen sind. In den deutschen Bauerndörfern habe
sich der bäuerliche Typus erhalten, in den gemischt besiedelten Ge-
bieten sei ein Teil zum Ritterstande emporgestiegen, ein anderer auf
einer Zwischenstufe stehen geblieben. Eine sehr beachtenswerte Hypo-
these, die durch eine sorgfältige Untersuchung der lokalen Verhältnisse
unterstützt wird. Untersuchungen zur Agrargeschichte des deutschen
Ostens werden sie im Auge behalten müssen.
Schon jetzt wird man Verf. darin rückhaltslos beistimmen können,
daß der Streifen rein deutscher Bauerndörfer auf der Höhe des Fläming
einer planmäßigen Besiedelung entstammt, daß der große Umfang der
Bauerngüter in engem Zusammenhange mit dem ursprünglichen Wald-
charakter des Gebietes steht, das nur durch umfangreiche Rodungen
34*
532 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
kulturfähig gemacht werden konnte. Damit fällt denn auch die alte
Annahme hinweg, daß diese Fläminger holländischen Ursprunges ge-
wesen seien. Ein Nachweis, der neuerdings vor einer Ueberschätzung
der Zahl der holländischen Einwanderer und ihrer Bedeutung für die
Kolonisation des deutschen Ostens warnt.
Der zweite Abschnitt der Arbeit sucht auf der so gewonnenen
breiteren Unterlage ein Bild der Entwicklung der agrarischen Verhält-
nisse in der Herrschaft Wiesenburg zu zeichnen, die sich über den west-
lichen Teil des Höhenrückens erstreckt. Hier hat jene erste syste-
matische Kolonisation nur spärlich Fuß fassen können, ein innerer
Ausbau des im 16. Jahrhundert noch überwiegend aus Wald und
Heide bestehenden Gebietes ist dann in zwei, durch den 30-jährigen
Krieg geschiedenen Perioden unter den energischen Herrschaftsbesitzer
aus dem Hause der Brandt von Lindau erfolgt. Die sorgfältige Detail-
zeichnung dieser Vorgänge bietet auch über das lokalhistorische Inter-
esse hinaus manches, das für unsere Kenntnis gerade jener Grenzgebiete
von allgemeinerer Bedeutung ist.
Halle. Gustav Aubin.
Helfferich, Karl, Deutschlands Wohlstand 1888—1913. Berlin
1913. 127 SS.
Die vorliegende Schrift ist ein Beitrag zu dem Jubiläumswerke
„Soziale Kultur und Volkswohlfahrt während der ersten 25 Regierungs-
jahre Kaiser Wilhelms II.“ und mit Recht als Sonderausgabe dem
größeren Publikum zugänglich gemacht. Sie bietet trotz des geringen
Umfangs einen überaus reichen Stoff von allgemeinem Interesse. Mit
ebensoviel Sachkenntnis als Umsicht ist die Entwicklung der Bevölke-
rung, der Technik, der wirtschaftlichen Organisation im ersten Ab-
schnitt, im zweiten Produktion, Verkehr und Konsum, im dritten Ab-
schnitt das deutsche Volkseinkommen und Volksvermögen in ihrer Ent-
wicklung behandelt. Der große Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens
in Deutschland wird hier und da im Vergleich mit dem Auslande über-
sichtlich dargestellt.
Nur zwei Bedenken möchte ich in betreff der Durchführung äußern.
So sehr im allgemeinen auf die Fehler in dem Zahlenmaterial aufmerk-
sam gemacht ist, so scheint uns dies nicht ganz ausreichend bei einer
Darstellung der landwirtschaftlichen Produktion geschehen zu sein,
da unsere Erntestatistik doch eine zu ungenaue ist und noch mehr in
anderen Ländern um die Erträge pro Hektar ohne Reserve nicht nur
in der Entwicklung der letzten 25 Jahre, sondern auch in internationaler
Vergleichung anzugeben. Ebenso hätte wohl hervorgehoben werden
müssen, daß die Steigerung des Wertes des Grund und Bodens vor allem
in den Städten keineswegs mit den übrigen Bestandteilen des Volks-
vermögens gleichzustellen ist und mit ihm summiert werden kann, weil
er nicht in demselben Maße den Volkswohlstand hebt, wie z. B. die
Aufrichtung von Gebäuden und Durchführung von Meliorationen, son-
dern daß dem Vorteil des Grundbesitzers die Benachteiligung des Mieters
gegenübersteht. J. Conrad.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 533
Schmidt, O., Die Reichseinnahmen Ruprechts von der Pfalz
(Leipziger Historische Abhandlungen, hrsg. von E. Brandenburg, G.
Seeliger, U. Wilcken, Heft 30). Leipzig (Quelle und Meyer), 1912.
100 SS. 3,20 M.
Es ist bezeichnend für das Finanzwesen des deutschen Reiches im
ausgehenden Mittelalter (in der Neuzeit ist es bekanntlich auch nicht
besser geworden), daß der Hauptteil der vorliegenden Arbeit den ver:
siegten Finanzquellen“ gewidmet ist. Dazu gehören unter Ruprecht
der Grundbesitz des Reiches, das ehemalige Reichsgut, ferner die Ein-
künfte aus der Kirchenvogtei, aus den Regalien in den Reichsstädten
und die Reichszölle; sie alle lieferten damals keinen irgendwie nennens-
werten Ertrag mehr. Von Bedeutung waren lediglich die Geschenke,
die die Reichsstädte und viele Judengemeinden dem König beim ersten
Aufenthalt zu machen pflegten, die Steuern der Reichsstädte, welche
die einzige regelmäßige Einnahme des Königs waren, aber gerade wegen
ihrer Regelmäßigkeit meist im voraus an irgendeinen Gläubiger ange-
wiesen waren, und schließlich die Abgaben der Juden. Die Gesamt-
einnahme Ruprechts während seiner 10 Regierungsjahre berechnet S.
auf etwa 175000 Gulden; zieht man davon einige nicht regelmäßig
wiederkehrende Posten, wie die Geschenke u. a., ab, so wird die Klage
Sigmunds bestätigt, daß das Reich jährlich nicht mehr als 13000 Gul-
den abwerfe.
Halle. F. Hartung.
Van Caenegrem, Fr., L’expansion économique de la Hongrie en 1913.
Bruxelles, 129 rue de la Victoire, 1914. 24X16. 36 pag. fr. 1,25.
Terry, T. Philip, Mexico; an outline sketch of the country, its people,
and their history from the ealiest times to the present. Boston, Hougthon
Mifflin, 1914. 8. 75c.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Hirsch, Max, Fruchtabtreibung und Präventivverkehr im Zu-
sammenhang mit dem Geburtenrückgang. Würzburg (Curt Kabitzsch)
1914. V u. 267 SS. M. 6.
Immer dringlicher ergibt sich die Notwendigkeit, die Haupt- und
Endergebnisse der sich ständig mehr spezialisierenden Einzelwissen-
schaften in Beziehung zueinander zu setzen, sie hineinzustellen in den
Fluß des sich nach allen Seiten hin auswirkenden Lebens.
Als ein besonders erfreulicher Beitrag in dieser Richtung hat die
vorliegende Publikation zu gelten, die sachlich und freimütig eine der
wichtigsten und zugleich heikelsten Fragen des Bevölkerungswesens und
der Geburtenpolitik vom Standpunkte des Arztes und Rassenpolitikers
behandelt.
Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Umfang, den Gefahren
und der ursächlichen Begründung der Fruchtabtreibung.
Beim zweiten, den Geburtenrückgang besprechenden Teil kommt
Verf. zu dem zutreffenden Schluß, daß „wirtschaftlicher Notstand und
Zivilisation die materielle und geistige Ursache des Geburtenrückganges
sind.“ Kompliziert werden diese beiden Hauptursachenreihen durch
534 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Motive seelischer und moralischer Art, durch den Zwangszölibat der
Beamtinnen, die Heiratserschwerung der Militärpersonen und anderer
Beamtenkategorien, den Zölibat der katholischen Geistlichkeit und ähn-
liches mehr. Als Nebengründe kommen die Zunahme der Schwanger-
schaftsuntauglichkeit, die Vermehrung der Geburtsschmerzen und Kom-
plikationen und die Furcht vor ihnen in Betracht. Eine Furcht, die
insofern nicht unbegründet ist, als, wie unser Autor nachweist, durch
ungenügende Pflege im Säuglings- und Kindesalter, durch vorzeitige
oder schwere Erwerbsarbeit jugendlicher Weiblicher die körperliche
Entwicklung hintangehalten, die Morbidität und Mortalität der arbeiten-
den Frauen in den Jahren der höchsten geschlechtlichen Reife ge-
steigert wird. L
Der dritte Teil setzt sich mit den im Kampf gegen Fruchtabtrei-
bung und Geburtenrückgang anwendbaren Mitteln auseinander. An
erster Stelle wird hier dargetan, wie unwirksam nach der einen, wie
schädlich nach der anderen Seite hin das Verbot bzw. die Anwendungs-
erschwerung antikonzeptioneller Mittel ist, deren der Arzt sowohl zur
Bekämpfung der gleichfalls die Geburtlichkeit bedrohenden Geschlechts-
krankheiten als auch zu Zwecken generativer Prophylaxe bedarf. Weit
wirksamer ist dagegen der Bestand wie das Aufsteigen des Volkstums zu
sichern auf dem doppelten Weg der „Herabminderung der Sterblichkeit
durch weiteren Ausbau der sozialen Hygiene und die großzügige Pflege
einer rationellen Fortpflanzungs- und Rassenhygiene. .... Auf dem
Umweg über Fortpflanzungs- und Rassenhygiene ist eine Aufbesserung
der Fruchtbarkeit und Geburtenhäufigkeit mit dem Resultat einer ge-
sunden und lebenskräftigen Nachkommenschaft zu erwarten.“ ;
In diesem Zusammenhang ist auch die rassenhygienische und, in
sorgfältig zu umgrenzenden Füllen, die soziale Indikation zur Ver-
hütung der Konzeption bzw. Einleitung des künstlichen Abortus zu
nennen.
Endlich rückt Hirsch die vielumstrittene Frage nach Recht und
Zuständigkeit des eugenischen, das ist das Gesundgeborenwerden sichern-
den Maßnahmenkomplexes in das Licht einer nach allen Seiten hin
vorurteilslosen und klug abwägenden ärztlichen und rassebiologischen
Betrachtung. Als Konsequenz ergibt sich die Forderung der Sterilisation
bei schwerer erblicher Belastung und in minder schwer gelagerten Fällen
die zeitweilige Verhütung der Konzeption. „Die eugenische Indikation
muß Gemeingut der Aerzte werden. Der Segen ihrer Wirkung trifft die
kommenden Generationen, sichert das Glück und die Zukunft des Volkes.
Erkrankungs- und Sterbeziffer der Kinder werden herabgesetzt, Kran-
ken-, Siechen- und Irrenhäuser werden entlastet, Prostitution und Ver-
brechen eingeschränkt, Armut und Elend verringert.“ Im gleichen
Sinne ergibt sich die Verpflichtung, durch Fürsorge für die jugend-
lichen ‘Arbeiterinnen die Schwangerschaftsbefähigung und Gebärfähig-
keit der Frauen zu heben und so das große Heer der sterilen Frauen
zu verkleinern.
Unter den im Interesse der Geburtenvermehrung in Vorschlag ge-
brachten wirtschaftlichen und sozialen Reformen sind zu nennen die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 535
Aufhebung der Heiratsbeschränkung aus pekuniären Gründen und ent-
sprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen, durch die auch das allge-
meine Heiratsalter im Sinne einer Herabsetzung zu beeinflussen wäre.
Ferner die Aufhebung des Zwangszölibates der Beamtinnen und der
katholischen Geistlichen. (Nach einer vom Verf. wiedergegebenen Mit-
teilung des exkommunizierten italienischen Priesters Murri liegt für
eine ganze Gegend ein bezüglicher Dispens des Papstes Leo XIII. aus
dem Jahre 1898 vor. S. 245.) Endlich wird eine entsprechende
Innenkolonisation durch Aufschließung des Oedlandes, der Moore und
Heideflächen und ihre Besiedelung mit kleinen Bauernwirtschaften ge-
fordert und alles dahin zusammengefaßt: „Unter allen den Maßnahmen,
welche zur Bekämpfung des Geburtenrückganges vorgeschlagen werden,
werden diejenigen, welche im Rahmen der Hygiene, sozialen Fürsorge
und wirtschaftspolitischen Reformen bleiben, zu billigen, eine zweite
Gruppe aber, welche den Stempel der Wohltat und des Almosens trägt,
und völlig die dritte, welche polizeiliche und strafrechtliche Mittel
vorsieht und sogar der wissenschaftlichen Betätigung Fesseln anlegen
soll, abzulehnen sein. Um Mißgriffe zu vermeiden, wird es an den maß-
gebenden Stellen nötig sein, sich von der rage de nombre zu befreien
und der qualitativen Aufbesserung der künftigen Generationen seine
ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.“
Es ist im Interesse einer gesunden Bevölkerungspolitik dringend zu
wünschen, daß die vorliegende Publikation in recht viele Hände komme
und besonders, daß die zuständigen Stellen der Verwaltung und Gesetz-
gebung ihr die ernsteste Beachtung zuteil werden lassen.
Frankfurt a. M. Henr. Fürth.
Grassl, Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursachen
und seine Bekämpfung. (Sammlung Kösel, Bändchen 71.) Kempten
und München 1914. 1 M.
Medizinalrat Dr. Grassl hat als einer der ersten schon vor 20 Jahren
auf das in der abnehmenden Geburtlichkeit liegende Problem hinge-
wiesen. Seitdem kämpft in Rede und Schrift Verf. dieses Werkchens,
die Gründe zur Bekämpfung der „Zwergfamilie‘ aus der Biologie holend,
gegen den „weißen Tod“. Und kämpft als Optimist, der fest an den
Sieg seines Kampfes gegen den Neumalthusianismus glaubt. Sollte der
Wille zum Kinde in Zukunft aber wirklich wieder stärker werden ?
Gegen das Gespenst des „weißen Todes“ müsse jetzt endlich un-
bedingt etwas Positives getan werden. In Preußen sei diese Einsicht
bereits in die Kreise der Regierung gedrungen. Das müsse nun auch in
Bayern geschehen, wo man mit der Bekämpfung der Sterblichkeit
seine volle Schuldigkeit noch lange nicht getan habe. Davon könne erst
dann die Rede sein, wenn man hier auch die abnehmende Geburtlich-
keit in gleicher Weise bekämpfe. Um für diesen Kampf seine engeren
Landsleute zu gewinnen, hat Verf. diese kleine Abhandlung geschrieben,
welche dann besser „Der Geburtenrückgang in Bayern ete.“ betitelt
worden wäre. Dr. Grassl scheint übrigens dabei zunächst sogar nur
seine engeren Landsleute im „engeren“ Sinne im Auge gehabt zu haben,
536 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
weil er sein Werkchen in einer bekanntlich auch klerikalen Zwecken
dienenden Sammlung hat erscheinen lassen. Verf. will dem Leser Ein-
sicht vesrchaffen in eine schlimme Volkskrankheit und will Heilmittel
angeben. Seinen guten Willen hat Dr. Grassl in dem kleinen Bändchen
so in die Tat umgesetzt, daß doch auch noch weitere Kreise nicht ohne
Nutzen seinen „Leitfaden‘ in die Hand nehmen können, mögen sie auch
in vielem anderer Ansicht als Verf. sein. — Im Literaturverzeichnis
wäre noch nachzutragen Theilhabers vorzügliches Werk zum Problem
des Geburtenrückganges: ‘Das sterile Berlin, daselbst 1913 bei Eugen
Marquardt.
München. Ernst Müller.
Schrameier, W., Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer-
und Zollpolitik des Kiautschougebietes. Jena 1914. Geb. 5 M.
Der ehemalige Kommissar des Kiautschougebietes, Geh. Admirali-
tätsrat Schrameier, legt in diesem Bande drei längere Aufsätze vor,
die den im Titel genannten drei Zweigen der von ihm geführten Kolonial-
politik in unserem ostasiatischen Schutzgebiete gewidmet sind. Die
ersten zwei Aufsätze waren bereits im Jahrbuch der Bodenreform ver-
öffentlicht worden, der dritte und größte ist neu. Fehlt den drei Auf-
sätzen auch die innere Zusammengehörigkeit, die nur ein einheitlich
konzipiertes Buch zu bieten vermag, so sind sie doch durch die Per-
sönlichkeit des Verfassers und seine Stellungnahme zu der von ihm ge-
leisteten erfolgreichen Arbeit einander sehr nahe gebracht. Inhaltlich
bieten sie dem Kenner nur in Einzelheiten Neues. Das Material an Ge-
setzen, Verordnungen, Verträgen u. dgl. ist ja bereits durch das ausge-
zeichnete Handbuch Mohrs allgemein zugänglich gemacht, und das
günstige Urteil über die Verwaltung Kiautschous auf fast allen Ge-
bieten ist heute eine festbegründete Tatsache. Das muß um so mehr be-
tont werden, als Verf. — wie mir scheint in Uebereinstimmung mit.
vielen Angehörigen der Marine — gegenüber jeder Kritik unseres Vor-
gehens in Kiautschou recht empfindlich ist. Dazu besteht aber wahrhaftig
kein Anlaß; denn abgesehen davon, daß eine sachliche Kritik jeder-
manns Recht ist, hat doch die Verwaltung von Kiautschou, insbesondere
nach den letzten Verhandlungen im Reichstage über Kiautschou, keinen
Anlaß zur Klage mehr. Daß unsere Zeitungen sich früher über ost-
asiatische Fragen verbreiteten und dies zum Teil heute noch tun, ob-
wohl sie davon nichts verstehen, liegt bloß an der geringen „Anteilnahme
des Publikums an diesen Dingen. Auch das hat sich gebessert, nicht
zuletzt dank der Initiative des Reichsmarineamts, das zielbewußt seinen
Weg ging — aber auch dank dem deutschen Parlament, das ihm in der
ersten Zeit völlig freie Hand ließ. Gründliche Vergleiche über die
Verhältnisse der anderen ostasiatischen Hafenkolonien und ähnlichen
Gebilde hätten auch dem Verf. die Ueberzeugung verschafft, daß nicht
nur die deutsche Verwaltung im Recht war, wenn sie sich ihren eigenen
Weg suchte, sondern daß sie auch mit der Kritik, die sie daheim und
in der Kolonie fand, recht zufrieden sein kann (man vergleiche z. B.
die Entwicklung Hongkongs).
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 537
Meine Zustimmung zu der vom Verf. vertretenen Bodenpolitik des
Gouvernements (die übrigens nicht ein Ausfluß bodenreformerischer
Erziehung ist) zu seiner Stellungnahme in der Frage der Selbstverwal-
tung und der Zollpolitik habe ich bereits an anderer Stelle auf Grund
vergleichender Studien ausgesprochen.
Das vorliegende Buch bringt viel Material, doch läßt mich dessen
Fülle für den Absatz fürchten. Noch immer liest das deutsche Publi-
kum lieber zehnmal dieselben Plattheiten über unsere Kolonien in zehn
Reisebriefen, als einmal eine selbständige Untersuchung, deren Studium
übrigens selbst den Verantwortlichen zu beschwerlich zu sein scheint.
Das mir vorliegende Exemplar des im übrigen gefällig ausgestatteten
Buches ist bemerkenswert schlecht geheftet.
Halle a. S. Ernst Grünfeld.
Jahn, Theod., Der Geburtenrückgang in Pommern von 1876—1910. (Ver-
öffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung. Im Auftrage Sr. Exz.
des Herrn Ministers des Innern hrsg. von der Medizinalabteilung des Ministeriums.
Bd. 4, Heft 1.) Berlin, Richard Schoetz, 1914. 53 SS. mit 3 Tafeln. M.2,10.
Schroft, Richard, u. August Fischer, Europa—Uebersee. Geschichte der
wirtschaftlichen Ausbreitung der europäischen Staaten in Uebersee, unter be-
sonderer Berücksichtigung der Auswanderung, Einwanderung und wirtschaftlichen
Besiedlung. Bd. 1. England, Frankreich und Belgien in Brasilien. Wien, Manz,
1914. 26X16. XXII S. und I Bl. und 171 SS. M. 4,30.
Avola (avv.), Mario, Colonizzazione antica e moderna; regime libico.
Catania, tip. E. Coco, 1914. 16. 37 pp.
&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Reinhardt, E., Die Kupferversorgung Deutschlands und die Ent-
wicklung der deutschen Kupferbörsen. Bonn 1913.
Das Werk ist das 4. Heft der Kölner Studien zum Staats- und
Wirtschaftsleben. Es bemüht sich zu zeigen, wie das Mißverhältnis
zwischen dem Kupferkonsum Deutschlands und seiner Kupferproduktion
und seine Abhängigkeit vom Ausland hinsichtlich der Deckung seines
Bedarfs entstanden ist und welchen Erfolg die zur Beseitigung oder
wenigstens Einschränkung dieser Abhängigkeit gegründeten Kupfer-
börsen zu Hamburg und Berlin bis jetzt gehabt haben.
Im ersten Teil sind die Verhältnisse der Kupferproduktion und
des Kupferkonsums Deutschlands und der Welt, abgesehen von einigen
unwesentlichen Irrtümern, im allgemeinen richtig geschildert. Dann
folgt eine Darstellung der Organisation der Kupferversorgung. Sehr ein-
gehend ist im nächsten Abschnitt die Entwicklung und die Organisation
der deutschen Kupferbörsen in Hamburg und Berlin geschildert.
Von besonderem Interesse ist natürlich der letzte Abschnitt des
Buches über die Erfolge und die allgemeine Bedeutung der deutschen
Kupferbörsen. Diese haben in der kurzen Zeit ihres Bestehens seit
1910 bzw. 1911 schon eine respektable Steigerung der Umsätze in
Kupfer zu verzeichnen, in Hamburg betragen sie nahezu halb so viel,
in Berlin etwa 1/, der Umsätze an der Londoner Börse. Auch das
Termingeschäft hat sich an den beiden deutschen Kupferbörsen lebhaft
entwickelt. Ihre Kupfernotierungen sind natürlich, abgesehen von kleinen
538 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schwankungen, den Londoner Notierungen gefolgt. Von einer gewissen
Bedeutung ist die Rivalität zwischen der Hamburger und der Berliner
Börse, an dieser ist der kapitalkräftige Großhandel, an jener die kapital-
kräftige Spekulation besonders stark vertreten.
Wenn Verf. am Schluß meint, die Hauptbedeutung der deutschen
Kupferbörsen liege darin, daß sie dem Konsumenten die Möglichkeit
geben, sich gegen die Preisschwankungen, denen das rote Metall unter-
worfen ist, zu sichern, daß sie den deutschen Konsumenten unab-
hängiger von den amerikanischen Preisbeeinflussungen und den bedeuten-
den Konjunkturschwankungen machen, so ist das wohl eine etwas zu
optımistische Auffassung. Der Preis des Kupfers wird ebenso wie der
der anderen Metalle vom Weltmarkt beherrscht und ist den Einflüssen
unterworfen, welche mehr oder weniger auf die Weltwirtschaft ein-
wirken. Hier spielen aber einerseits die Verhältnisse des wichtigsten
Produktionslandes, Nordamerika, andererseits die Macht der alten Lon-
doner Metallbörse eine gewaltige Rolle. Das große Konsumland Deutsch-
land wird sich von beiden nur in geringem Maße unabhängig machen
können. Immerhin muß man anerkennen, daß durch die Einrichtung
der deutschen Kupferbörsen in Hamburg und Berlin die Verhältnisse des
Kupfermarktes für die deutschen Konsumenten und Händler übersicht-
licher geworden sind und daß dadurch auch schroffe Preisschwankungen
etwas erträglicher gemacht werden.
Halle a. S. Schrader, Bergrat.
Jenny, J., Der Teilbau, nebst der Monographie eines Teilbaugroß-
betriebes in Rußland aus der Zeit von 1891—1910. München und
Leipzig (Duncker u. Humblot) 1913. (Heft 171 der Staats- und sozial-
wissenschaftl. Forschung, hrsg. von Schmoller u. Sering.)
In einer Zeit, welche die interessante Frage über die Form der
landwirtschaftlichen Unternehmung, welche durch die den Doktrinen
landwirtschaftlicher Lehrbücher zuwiderlaufenden Erfolge italienischer
und rumänischer Pachtgenossenschaften wieder aktuell geworden ist,
neuerdings zur Debatte stellt, kommt das vorliegende Buch von Jenny
gerade recht. Nicht etwa, daß der Autor die Aktualität seines Buches
durch beschleunigte Publikation herbeigeführt hätte; vielmehr hat er
nicht nur augenscheinlich von langer Hand her ein überreichliches
Material über diese Spezialfrage gesammelt, er hat auch selbst seit
20 Jahren einen auf Teilbau basierenden Großbetrieb dirigiert. Der
zweite Teil seiner Arbeit, in welcher er uns seine Erfahrungen als Prak-
tiker mitteilt, ist deshalb von ganz besonderem Interesse, und durchaus
nicht von der Hand zu weisen die von dem Autor zum Schluß angeregte
Frage, ob das ehemals viel ausgebreitetere Prinzip der Naturalteilung
nicht elastisch genug wäre, um unter veränderter Form auch modernen,
technisch hochentwickelten Verhältnissen zugrunde gelegt werden zu
können.
Im ersten Teil finden wir alles Wesentliche über Standort, Formen
und Methodologie des Teilbaus in den verschiedenen Wirtschaftsgebieten
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 539
übersichtlich zusammengestellt. Das Literaturverzeichnis ist von großer
Vollständigkeit.
München. Leonhard.
Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der kgl. Landwirtschafts-Gesell-
schaft Hannover. 1764—1914. Hannover, M. u. H. Schaper, 1914. Lex.-8. XII—
872 SS. mit Taf. und 1 farb. Karte. M. 20.—.
Kreutzer (Forstmeister), E., Der Verfall der Bodenreinertragslehre. Prag,
Gustav Neugebauer, 1914. Lex.-8. 14 SS. M. 0,50.
Pudor, Dr. Heinr., Waldpolitik, (Kultur und Fortschritt, No. 512 u. 513.)
Gautzsch bei Leipzig, Felix Dietrich, 1914. 8. 25 58. Je M. 0,25.
Redlich, Prof. Dr. Karl A., Die Zukunft des Goldbergbaus im süd-
lichen Böhmen. Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1914. Lex.-8. 10 SS. mit 6 Fig.
M. 1.—.
Steiger (Oekon.-Rat, Gen.-Sekr.), Heinrich, Landwirtschaftliche Verbält-
nisse der Provinz Hannover. Dargestellt zur Feier des 150-jährigen Bestehens der
Kgl. Landwirtschafts-Gesellschaft. (Arbeiten der Landwirtschaftskammer für die
Provinz Hannover, 38. Heft.) Hannover, M. u. H. Schaper, 1914. 40,5x2ö cm.
27 farb. (Taf. u.) Karten mit IV S. M. 14.—.
Stille (San.-Rat), Dr. G., Deutschlands Ernährung im Kriege. Leipzig,
Dieterich, 1914. 8. 24 88. M. 0,30.
Cheyney, E. G, and Wentling, J. P., The farm woodlot; a handbook
of forestry for the farmer and the student in agriculture. New York, Macmillan.
12. 12+343 pp. $ 1,50.
Gibson, Rowland R., Forces mining and undermining China. New York,
Century. 8. 12+302 pp. $ 2.—.
Bertolio (ing.), Sollmann, Coltivazione delle miniere. Terza edizione
aggiornata. Milano, U. Hoepli (U. Allegretti), 1914. 24. VIII—371 pp. 1. 3,50.
Manetti, dott. Car., I boschi nell’ economia nazionale: discorso pro-
nunziato nella r. scuola normale G. Carducci il 2 aprile 1914. Pisa, tip. F. Simon-
cini, 1914. 8. 18 pp.
Serra, Eug., Nuova forma di contratto agrario per condurre alla divisione
del latifondo: conferenza, con prefazione dell’ avv. Biagio La Manna. Palermo,
tip. A. Brangi, 1914. 8. 22 pp. 1.1.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Oswald Whitman Knauth, The policy of the United
States towards Industrial Monopoly. Studies in history,
economies and public law edited by the faculty of political science of
Columbia University. Vol. LVI, No. 2, New York 1914. 233 S.
Das Buch gibt eine sehr eingehende Darstellung der Politik, welche
die 3 dafür maßgebenden Instanzen des Staates gegenüber den Trusts
eingeschlagen haben: der Kongreß in der Einführung von Gesetzen,
die Exekutive in der Durchführung dieser Gesetze und in den
Ratschlägen, die sie dem Kongreß gibt, und das Oberste Gericht
in der- Auslegung der Gesetze.
Das erste Kapitel zeigt das Entstehen der Antitrustpolitik, enthält
zunächst interessante Angaben über die Entwicklung der politischen
Bewegung gegen die Trusts, und insbesondere die Entstehung des
Sherman-Gesetzes. Aus dem folgenden Kapitel, welches die
Tätigkeit des Kongresses behandelt, ist nur die Gründung des Bureau
of Corporations 1903 zu erwähnen, während sonst der Kongreß diejenige
540 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Instanz gewesen ist, welche sich einer bundesstaatlichen Regelung der
Trusts immer am meisten ablehnend gegenüber verhalten hat. Im
dritten Kapitel werden die Anschauungen des Präsidenten von
Harrison 1889 bis Ende der Taftschen Periode 1913 sowie ihrer General-
staatsanwälte angeführt, die meist nur sehr allgemein gehaltene Urteile
und Ansichten liefern.
Das Hauptkapitel IV des Buches enthält die Entscheidungen des
Obersten Gerichtshofes, welche bisher für die Bekämpfung der
Trusts am meisten von Wichtigkeit gewesen sind. 36 der bedeut-
samsten Entscheidungen werden mitgeteilt und eine Liste der noch
schwebenden Gerichtsfälle. Unter den ersteren sei der Fall der
Northern Securities Company, die Auflösung der Standard Oil Company
und der American Tobacco Company genannt.
Das Schlußkapitel enthält dann eine Beurteilung der staat-
lichen Trustpolitik und zwar in 2 Teilen: 1) die Politik, die
monopolistischen Vereinigungen zu verbieten, 2) die Frage, wie sie
behandelt werden sollen. Doch war bis zum Falle der Northern
Securities Company 1904 eigentlich die allgemeine Tendenz vorhanden,
die Anwendung des Sherman-Gesetzes und die Bekämpfung der Trusts
den Einzelstaaten zu überlassen. Erst im letzten Jahrzehnt bricht sich
der Gedanke immer mehr Bahn, daß die Regierung auch gegen die
in den Einzelstaaten konzessionierten Gesellschaften vorgehen müsse.
Seit 1910 verlangte daber Taft bundesstaatliche Inkorporierung aller
Gesellschaften, welche ein zwischenstaatliches Geschäft betreiben. Nur
der Kongreß ist bisher noch immer dagegen gewesen, aber es scheint,
daß es jetzt dem Präsidenten Wilson gelingen wird, seinen Widerstand
zu überwinden.
Aus der Darstellung des Buches geht auch wieder hervor, wie
außerordentlich ungenügend sowohl die angewandten Maßregeln selbst,
als auch die Gesichtspunkte, aus denen heraus sie erfolgten, für eine
wirkliche Regelung der monopolistischen Vereinigungen gewesen sind,
und daß wir aus dieser amerikanischen Trustpolitik so gut wie nichts
lernen können. Man hat immer nur das Prinzip der freien Konkurrenz
aufrecht zu halten gesucht, niemals erkannt, daß auch die Konkurrenz
ungünstig wirken kann. Man hat niemals versucht, aus den wirtschaft-
lichen Verhältnissen selbst festzustellen, ob und wann eine monopolisti-
sche Organisation ungünstig wirkt, sondern hat einfach das Prinzip
aufgestellt, daß eine solche in jedem Fall, außer wenn sie auf Patenten
beruht, zu verbieten sei. Man hat infolgedessen jede gemeinsame Preis-
festsetzung, ja auch nur die Möglichkeit, Preisvereinbarungen vorzu-
nehmen, für ungesetzlich erklärt.
Aber auch die neuesten Gesetze der Einzelstaaten stehen noch auf
dem Standpunkt, allgemeine Gesichtspunkte für die Gültigkeit großer
Korporationen aufstellen zu können. Als ein Beweis sei zum Schlusse
das neue Gesetz des Staates New Jersey vom 19. Februar 1913 im
Wortlaut mitgeteilt, das die Ansichten des gegenwärtigen Präsidenten
Wilson in der Bekämpfung der Trusts enthalten soll.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 541
„Ein Trust ist eine Zusammenfassung oder eine Verständigung
zwischen 2 oder mehreren Gesellschaften, Firmen oder Personen für
die folgenden Zwecke und ein solcher Trust wird hiermit als unge-
setzlich erklärt:
1) um Beschränkungen im Handelsverkehr herbeizuführen oder
durchzuführen oder um ein Monopol zu erlangen, sei es im innerstaat-
lichen, sei es im zwischenstaatlichen Geschäftsverkehr;
2) um die Produktion einer Ware zu begrenzen oder einzuschränken
oder um ihren Preis zu erhöhen;
3) um die Konkurrenz im Gewerbe, Transportwesen, beim Kauf oder
Verkauf von Waren zu beseitigen;
4) für eine Ware, die zum Gebrauch im Staate oder anderswo
bestimmt ist, sei es bei der Produktion, sei es beim Handel, den Preis so
festzusetzen, daß er für das Publikum oder den Konsumenten in irgend
einer Weise unter Kontrolle steht;
5) irgendeine Verabredung zu treffen, durch die direkt oder in-
direkt freie und uneingeschränkte Konkurrenz beim Verkauf oder beim
Transport beseitigt wird, sei es dnrch Gewinnverteilung, Zurückhalten
vom Markte, Festsetzung der Verkaufspreise oder in irgendeiner
Weise, durch die der Preis beeinflußt werden könnte;
6) irgendeine geheime mündliche Verabredung zu treffen oder
eine Verständigung ohne ausdrückliche Verabredung vorzunehmen, durch
welche direkt oder indirekt freie und uneingeschränkte Konkurrenz
beim Verkauf oder beim Transport beseitigt wird, sei es durch Gewinn-
verteilung, Zurückhalten vom Markte, Festsetzung der Verkaufspreise
oder in irgendeiner Weise, durch die der Preis beeinflußt werden
könnte.“ Robert Liefmann.
Perlick, A., Die Luftstickstoffindustrie in ihrer volkswirt-
schaftlichen Bedeutung. Leipzig (Dr. Werner Klinkhardt) 1913. Geh.
5 M., geb. 6 M.
Bekanntlich hat die Frage einer verhältnismäßig billigen Be-
schaffung des gebundenen Stickstoffs sowohl für die Industrie als auch
ganz besonders für die Landwirtschaft eine außerordentliche Bedeu-
tung. Der in ungeheueren Massen zur Verfügung stehende atmosphä-
rische Stickstoff befindet sich in freier ungebundener Form, während
besonders der Verbrauch der Pflanzen nur durch gebundenen Stickstoff
gedeckt werden kann. Die Ueberführung des atmosphärischen Stick-
stoffs in Verbindungen war früher außerordentlich schwierig und in
größeren Massen fast unmöglich, so daß nur die Blitzentladungen und
die mit Bakterien zusammenarbeitenden Leguminosen oder Hülsen-
früchte als Quelle für gebundenen Stickstoff dienen konnten. Von dem
in früheren Erdepochen in dieser Art gebildeten Stickstoffverbindungen
finden sich glücklicherweise große Vorräte in den alten Kohlen- und
Torflagern, sowie im Chilisalpeter, der in großen Lagern allein in
Chile zu finden ist. Aus kohleartigen Stoffen wird bei der Gasgewinnung
der Stickstoff als Ammoniak gewonnen und technisch und landwirtschaft-
lich verwendet. Volkswirtschaftlich muß diese letztere Quelle vor allem
542 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ins Auge gefaßt werden, damit möglichst keine Verbrennung in Heizungs-
anlagen stattfindet, ohne daß der dabei freiwerdende Stickstoff nicht
in gebundener Form gewonnen würde. Vorläufig überwiegen aber noch
die in dieser Beziehung unrationellen Feuerungs- und Heizungsanlagen,
so daß ungeheuere Mengen des wertvollen gebundenen Stickstoffs bei
jeder Verbrennung von Kohle und Holz völlig wertlos in die Atmo-
sphäre gehen. In ein neues Stadium ist nun diese Stickstofffrage ge-
treten durch neuere physikalisch-chemische Verfahren, nach denen die
Gewinnung des atmosphärischen Stickstoffs in nutzbarer Form auch
technisch in großen Massen möglich ist. Zuerst wurde in dieser Hin-
sicht Kalkstickstoff hergestellt, über den bereits in’ dieser Zeitschrift
bei Gelegenheit einer früheren Besprechung -(W. Rabius, Kritische
Betrachtungen zur voraussichtlichen Lösung der Stickstofffrage. Jena
1907) Näheres mitgeteilt wurde. Die jetzt zur Besprechung vorliegende
Schrift von Perlick behandelt nun die gesamte Frage der Gewinnung
von Stickstoffverbindungen aus der Atmosphäre, sowohl in chemisch-
physikalisch-technischer, als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht. Vor
allenı berücksichtigt sie die in der allerneuesten Zeit noch auf diesem
Gebiete gemachten Fortschritte, die immerhin geeignet sind, die ganze
Frage wirtschaftlich günstiger zu gestalten. Es konnte früher schon
darauf hingewiesen werden, daß zwar in Form des norwegischen Kalk-
salpeters und des Kalkstickstoffs gebundener Stickstoff so gewonnen
werden kann, daß eine gewisse Konkurrenz mit dem bisher vorwiegend
verwendeten Chilisalpeter und schwefelsauren Ammoniak immerhin in
Frage kam. Ebenso wurde auch in der früheren Besprechung vom
Unterzeichneten schon Jarauf hingewiesen, daß die vorhandenen Wasser-
kräfte nicht ganz ausreichend sind, um ähnlich große Massen zu pro-
duzieren, wie sie bisher in Form von Salpeter und Ammoniak gebraucht
wurden; weiter aber auch, daß bei der Verwendung von Kohle als
Energiequelle an Stelle der Wasserkräfte die Kosten verhältnismäßig
groß wären und auch der Raubbau mit den vorhandenen Kohlenvorräten
der Erde immer noch weiter gesteigert würde. Das Problem ist aber
auch in der neueren Zeit in immer höherem Maße noch vorhanden, den
Luftstickstoff mit möglichst geringen Kraftaufwendungen in gebundene
Form überzuführen. Der Verf. des oben genannten Buches sieht den be-
deutendsten Fortschritt in dieser Hinsicht in einem neuen Verfahren
von Haber, bei dem mit Hilfe einer Kontaktmasse reines Ammoniak
mit verhältnismäßig geringen Energieaufwendungen gewonnen werden
kann. Nach diesem und dem Serpekschen Verfahren können verhältnis-
mäßig billig große Mengen von Ammoniak aus Luftstickstoff her-
gestellt werden, die nach einem bereits für andere Zwecke konstruierten
Verfahren von Ostwald in Salpeter umgewandelt werden können. Im
übrigen behandelt Verf. gründlich alle Fragen, die mit der Luftstick-
stoffindustrie zusammenhängen, und zwar sowohl in ihrer Bedeutung für
den Ackerbau, als auch für die Industrie. Er kommt dabei zunächst noch
nicht zu übermäßig glänzenden Aussichten, wenigstens was die Kon-
kurrenz mit den vorhandenen Chilisalpeter- und Ammoniakquellen be-
trifft für landwirtschaftliche Zwecke. Da die Industrie im ganzen ge-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 543
ringere Massen von gebundenem Stickstoff braucht und hochwertige
Produkte daraus gewinnt, kann sie höhere Preise für den gebundenen
Stickstoff bezahlen, so daß für sie die Frage wirtschaftlich als gelöst
zu betrachten ist. Für landwirtschaftliche Zwecke, für die sehr
große Massen gebraucht werden, aber nicht hoch bezahlt werden können,
bleibt nach Perlick die Frage noch offen. Er hofft aber, daß bei der
bisherigen Entwicklung der Stickstoffindustrie doch auch wirtschaftlich
das Problem gelöst werden wird. Für die gründliche Orientierung
über den gegenwärtigen Stand der Luftstickstofffrage ist die Schrift
von Perlick jedenfalls sehr gut geeignet.
Halle. P. Holdefleiß.
Kaiser, Carl, Die Wirkungen des Handwerkergesetzes in Würt-
temberg und Baden. (Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen,
hrsg. von Carl Johannes Fuchs, 4. Heft.) Stuttgart (Ferdinand Enke),
1909. 92 SS. 3 M.
Verf. schickt eine Schilderung der Handwerkerorganisation in der
Zeit von der Einführung der Gewerbefreiheit (1862) bis zum Erlaß des
sogenannten Handwerkergesetzes (1897) voraus. Etwa 20 Jahre dauerte
die Herrschaft des unbeschränkten wirtschaftlichen Individualismus im
Handwerk, im Sinne jener Anschauung, die nicht nur die staatlich er-
zwungene Organisation ablehnte, sondern teilweise auch dem freiwilligen
Zusammenschluß skeptisch gegenüberstand. Vor allem waren die fach-
lichen Vereinigungen unbeliebt bei den Handwerkern, die noch aus
eigener Anschauung die Gebundenheit der Zunft kannten. Die Gewerbe-
vereine dagegen, „die eigentlichen Träger des wirtschaftlichen Liberalis-
mus“, die die gemeinsamen Interessen des ganzen Handwerkerstandes
vertraten, blühten auf. Immerhin faßte unter dem Eindruck der Hand-
werkergesetzgebung der 80er Jahre der Innungsgedanke auch im Süd-
westen Deutschlands wieder Fuß, besonders nach dem Gesetz von 1897.
Nach wie vor aber sind die Gewerbevereine für die Entwicklung des
württembergischen und badischen Handwerks typisch und die Innungen
sind trotz starker Vermehrung — wobei man sich aber nicht durch hohe
Relativzahlen, die nur bezeugen, daß von sehr kleinen Zahlen ausgegan-
gen wird, beirren lassen darf — bei weitem nicht so häufig, wie im
Norden: in Süddeutschland entfallen auf 10000 Einwohner 29,9, in
Norddeutschland dagegen 97,8 Innungsmitglieder. Der größte Teil der
Innungen, in Württemberg 78,2 Proz., in Baden 61,8 Proz., sind freie
Innungen, die Zwangsinnungen haben sioh nicht so durchsetzen kön-
nen, wie die Befürworter des Gesetzes gehofft hatten. Daß ihre Mit-
gliederzahl größer ist als die der freien Innungen, will nichts besagen,
die Erklärung liegt sehr einfach in der Tatsache, daß eine beträchtliche
Zahl Zwangsmitglieder darin steckt, die diese Organisation abgelehnt
haben, aber überstimmt worden sind. Die fachlichen Vereinigungen ver-
schiedenster Art (freiwillige und auf Zwangsmitgliedschaft beruhende)
haben die allgemeinen Standesvereinigungen zurückgedrängt, wenngleich
die letzteren immer noch wesentlich mehr Mitglieder umfassen als erstere.
Ueber die Tätigkeit der einzelnen Organisationen des Handwerks
unterrichten die weiteren Kapitel des Buches, und zwar auf Grund der
544 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Berichte der Handwerkskammern, unmittelbare Feststellungen scheint
Verf. wenig gemacht zu haben, was sich bei manchen Punkten (Lehr-
lingsschutz!) bemerkbar macht. So viel geht jedoch aus den Ausführun-
gen mit Sicherheit hervor, daß die mannigfachen Mißstände auf dem
Gebiet des Lehrlingswesens unter dem Einfluß des neuen Gesetzes und
unter der Aufsicht der Handwerkskammern doch wesentlich gemildert
sind, was ja einen tüchtigen Fortschritt bedeutet, da eine der ersten
Voraussetzungen wirtschaftlichen Gedeihens die ist, daß der Nachwuchs
eine Ausbildung erhält, die ihn befähigt, das Werk der Alten fortzusetzen.
Immerhin bleibt noch genug zu bessern und oftmals stehen die Erfolge
in keinem Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe und Arbeit. Nicht
viel anders liegen die Dinge im Gesellenwesen, auch hier Besserungen,
aber dem, was die Befürworter des Gesetzes seinerzeit erwartet haben,
entsprechen sie doch recht wenig. Den Meistern, den angehenden, sowohl
als denen, die es schon sind, wird durch die Unterrichts- und Fortbil-
dungskurse, für die Staat und Gemeinden Mittel zur Verfügung stellen,
geholfen. Man kann den Bestrebungen auf Einführung von Prüfungen
im Handwerk sehr skeptisch gegenüberstehen. Das aber wird man an-
erkennen, daß die Lern- und Fortbildungsgelegenheiten, die mit der Ein-
führung dieses Prüfungswesens geschaffen worden sind, ein wichtiges
und vor allem der Zeit entsprechendes Rüstzeug dem Handwerker liefern
können für den wirtschaftlichen Kampf. Darin — und nicht in den
Titeln, die man durch Berechtigungen schmackhafter gemacht hat —
liegt die beste Wirkung des Handwerkergesetzes vom 26. Juli 1897.
Kaiser hat das Thema fleißig und objektiv bearbeitet. Sein Buch
ist daher ein guter Beitrag zur Literatur über die Handwerkerfrage.
Berlin-Friedenau. Erhard Schmidt.
Straus, Walter, Die deutschen Ueberlandzentralen und ihre wirt-
schaftliche Bedeutung als Kraftquelle für den Kleinbetrieb in Landwirt-
schaft und Gewerbe. Berlin, Franz Siemenroth, 1913. 6 M., geb. 7 M.
Das Buch bringt zunächst Angaben über den augenblicklichen Stand
der Ueberlandzentralenbewegung in Deutschland und über die Richtungs-
linien ihrer Entwicklung; es stellt dann einen Vergleich zwischen dem
Elektromotor und anderen Kleinkraftmaschinen auf, untersucht weiter
die wirtschaftliche Bedeutung der Elektrizitätsversorgung durch Ueber-
landzentralen für den Kleinbetrieb in Landwirtschaft und Gewerbe, und
schließt mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse und
einem Ausblick. Beigelegt sind dem Buche eine Statistik und eine Karte
der Ueberlandzentralen.
Nach der Absicht des Verf., die er im Vorwort ausspricht, ist es für
jene bestimmt, die sich für den Stoff interessieren, sich aber bisher noch
nicht mit ihm beschäftigt haben. Um dieser Aufgabe zu genügen, hätte
es in vieler Hinsicht die angeschnittenen Fragen und Betrachtungen
wesentlich ausführlicher und erschöpfender behandeln müssen, während
sich Verf. in mancher andern Beziehung, z. B. bei den vergleichenden
Tabellen über die Betriebskosten der verschiedenen Motorarten, bedeu-
tend kürzer fassen müßte, um nicht zu ermüden.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 545
Das Buch bringt aber eine große Anzahl von Tabellen, Kostenauf-
stellungen, Benutzungszeiten der Motoren in verschiedenen Betrieben
usw. und von Kurven von Brennstoff- bzw. Stromverbrauch bei ver-
schiedenen Belastungen, sowie statistische Daten über die Zunahme
der Verwendung von Maschinen in der Landwirtschaft und deren Eig-
nung für den elektrischen Antrieb, die aus einer großeu Anzahl von
Schriften und Veröffentlichungen zusammengetragen wurden. Diese
machen das Buch dem mit dem behandelten Stoffe bereits Vertrauten
unter Umständen wertvoll als Nachschlagewerk und zur schnellen
Orientierung.
Berlin-Schmargendorf. K. Uhl, Ingenieur.
Die deutsche Industrie, Festgabe zum 25-jährigen Regie-
rungsjubiläium S. Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. Dar-
gebracht von Industriellen Deutschlands 1913. Berlin (Verlagsbuch-
handlung Leopold Weiß). 3 Bände.
Die vorliegende Festgabe, drei umfangreiche Prachtbände, soll die
Entwicklung des Deutschen Reiches zum Industriestaat während der
25-jährigen Regierung Wilhelms II. von 1888—1913 schildern. 64 In-
dustrielle und praktische Volkswirte haben Beiträge dazu geliefert. Nach
der Schilderung „Deutschland als Weltmacht im Außenhandel“ von
Wendlandt, behandelt Stresemann ‚Die deutsche Industrie und
Gesetzgebung unter Kaiser Wilhelm II.“, Oberst z. D. Denecke er-
örtert dann ‚Die Industrie der nationalen Verteidigung“ und Ragöczy
gibt einen Ueberblick über die „Führer der deutschen Industrie‘.
Dieser Abschnitt ist so recht geeignet, den Wert der Persönlichkeit für
wirtschaftliche Unternehmungen ins rechte Licht zu rücken und zu
zeigen, daß die beispiellose Entwicklung unserer Industrie in der
Berichtszeit nicht zuletzt das persönliche Verdienst ihrer führenden
Männer gewesen ist. Die Person ist hier noch immer das Ausschlag-
. gebende, nicht die Massen. Das für die neuere Entwicklung charakte-
ristische „Industrielle Organisationswesen“ beschreibt Edwin Krueger.
Dann folgt die Schilderung der einzelnen Industriezweige, zunächst des
Steinkohlenbergbaus (Dr. Jüngst) und die Braunkohlenindustrie (Dr.
Stillich). Bei den weiteren Abschnitten ist in der Regel einleitend aus
fachkundiger Feder ein Gesamtüberblick gegeben, und im Anschluß
daran werden die Firmen, welche sich an dem Werk beteiligt haben,
monographisch dargestellt. Auf diese Weise sind die allgemeinen Dar-
legungen geschickt illustriert. Der reiche Inhalt des Werkes kann nur
kurz skizziert werden. Die Metall-, die Maschinenindustrie, der Eisen-
bahnwagenbau, der Schiffsbau und die Automobilindustrie füllen den
ersten Band. Interessant ist ein Abschnitt über die „volkswirtschaft-
liche Bedeutung des Eisenbahnverkehrs (Dr. Alexander Krueger).
Der zweite Band enthält die Elektrotechnik, die Instrumentenfabrikation,
die chemische und keramische Industrie, die Glasindustrie, die Leder-
und Gummiwarenindustrie, die Textilindustrie und schließlich die Seiden-
und Sammetindustrie. Der dritte Band ist der Teppich- und Wirkwaren-
industrie, der Wäscheindustrie und Konfektion, der Papierindustrie, der
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 35
546 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Industrio der Holzverarbeitungsgewerbe, der Spielwaren-, der Mühlen-,
Zucker- und Schokoladenindustrie gewidinet. Weiter beschäftigt er sich
mit der Gärungsindustrie, der Konservenfabrikation, dem Tabaks- und
Baugewerbe und der graphischen Industrie. Den Schluß bildet ein Ab-
schnitt über „die Reklame und die deutsche Industrie‘ (Macke).
Das Werk ist wohl geeignet, seinen Zweck zu erfüllen: die Auf-
merksamkeit erneut auf die Mannigfaltigkeit deutscher Erzeugnisse
für den Welthandel zu lenken und deutsche Leistungsfähigkeit in helles
Licht zu rücken.
Berlin-Halensee. M. Rusch.
Madelung, Ernst, Die Entwicklung der deutschen Portland-
Zement-Industrie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer
Berücksichtigung der Kartelle. München. und Leipzig (Duncker und
Humblot) 1913. 99 SS.
Die Schrift bringt nicht, wie der Titel verheißt, eine allgemeine
Schilderung der wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Portland-
zementindustrie, sondern sie bietet in der Hauptsache eine Darstellung
der Kartellentwicklung innerhalb dieser Industrie. Vergleicht man die
Schrift mit der kurz vorher erschienenen, dem Verf. noch nicht be-
kannten Arbeit von Fritz Ritter, Entwicklungen und Bestrebungen
in der deutschen Portlandzementindustrie, Berlin 1913 (von mir in diesen
Jahrbüchern, Bd. 46, S. 104 besprochen), so findet man, daß das Buch
von Ritter trotz seines bescheideneren Titels eine wesentlich umfassen-
dere Darstellung dieses Gebietes gibt. In einzelnen Punkten bringt.
die Schrift von Madelung aber auch manche Ergänzungen zu dem
Ritterscher Buche.
Aachen. Richard Passow.
Neumann (Versuchsanst.-Dir., Doz.), Dr. M. P., Brotgetreide und Brot.
Lehrbuch für die Praxis der Getreideverarbeitung und Hand- und Hilfsbuch für
Versuchsstationen, Nahrungsinittel-Untersuchungsämter und Laboratorien "der
Mühlen, Bäckereien und Fachschulen. Berlin, Paul Parey, 1914. 8. VII—#15 SS.
mit 181 Abbildungen. M. 18.—.
Problemi del lavoro e problemi del’ l’industria: relazione della presidenza
della lega industriale di Torino all’ assemblea generale del 27 maggio 1914. Torino,
- tip. ditta eredi Botta, 1914. 8. 37 pp.
Rigoli, Gius., L'industria della pietra in provincia di Firenze: note storico-
statistiche. Prato, tip. Nutini, 1914. 8. XI—44 pp. l. 2.—.
Valenti, Lu., L’industria zolfifera siciliana. Roma, tip. Unione ed., 1914.
8. 49 pp.
6. Handel und Verkehr.
Schmidt, Hermann, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen
Türkei. Berlin (Franz Simenroth) 1914. Geh. 4,50 M., geb. 5,50 M.
Das Interessenspiel der Großmächte Europas in der asiatischen
Türkei ist hinlänglich bekannt. Die Gegensätze der Mächte daselbst
treten bei der Schwäche der türkischen Regierung in der Regel dann
unverhüllt in Erscheinung, wenn es sich um die Anlegung von Eisen-
bahnen handelt, die einmal die weiten, zum Teil fruchtbaren Gebiete
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 547
Kleinasiens erschließen sollen, dann aber den politischen Einfluß der
mit der Konzession zum Balınbau ausgestatteten europäischen Großmacht
zu stärken geeignet sind.
Dieses Streben nach Vermehrung des politischen Einflusses in
Kleinasien setzte der mißtrauische Sultan Abdul Hamid besonders bei
England, Frankreich und Rußland voraus. Er erteilte daher im Jahre
1888 einer deutschen Gruppe die Konzession zum Bau der anato-
lischen Eisenbahn Heidar-Pascha-Ismit-Eskischehir-Angora. Mit dieser
Konzessionserteilung rückte der deutsche Einfluß in das Eisenbahnwesen
der asiatischen Türkei ein. Das neue anatolische Eisenbahnunternehmen
zeigte sich bald als lebensfähig. Deshalb regten sich, wie nicht anders
zu erwarten, die Dreiverbandsmächte England, Rußland und Frankreich.
Rußland besonders fühlte sich in seinen Interessen bedroht; es wußte
die Forderung durchzusetzen, daß die gegenüber Konstantinopel abzwei-
gende, nach dem Innern Kleinasiens gehende Eisenbahnlinie die nörd-
lichen Gebiete Kleinasiens nicht berühren dürfe, sondern daß diese an
das Schwarze Meer angrenzenden Landesteile als zur Interessensphäre
Rußlands gehörig anzusehen seien. Diese Vorrechte hat Rußland neuer-
dings seinem Geldgeber Frankreich überlassen. Infolge des Vorgehens
Rußlands konnte die Verlängerung der anatolischen Linie von Eskische-
hir aus, d. i. die Bagdadbahn, deren Bau im Jahre 1903 gleichfalls
einer deutschen Kapitalsgruppe übertragen wurde, nicht durch die frucht-
baren Landstriche Angora-Kaisarie-Diarbekir gelegt, sondern mußte
den südlichen Teil Kleinasiens über Konia-Aleppo-Mosul nach Bagdad
geführt werden.
Die im Laufe der Zeit eingetretene Internationalisierung der Bag-
dadbahn unter deutscher Führung war eine wirtschaftliche Notwen-
digkeit, um andere Eisenbahngesellschaften zum Anschluß an diese
sich als Rückgrat durch Kleinasien nach dem Persischen Golf hinzie-
hende Bahn zu veranlassen und so deren Prosperität zu sichern. So
beteiligte sich schließlich das französische Kapital mit 40 Proz. an der
Finanzierung des Bagdadbahnunternehmens, und auch England er-
hielt Sitz und Stimme in der Gesellschaft. Englischem Einfluß zufolge
entstand die Zweiglinie nach Alexandretta, einem Hafen des Mittel-
meers, gegenüber dem von England besetzten Cypern. Dieser Hafen
wird zurzeit von einer deutschen Gesellschaft ausgebaut und mit den
modernsten Einrichtungen versehen. Weiter verzichtete, englischen Wün-
schen nachgebend, die Bagdadbahngesellschaft auf das ihr zugestandene
Recht zum Bau einer Zweiglinie von Subeir nach einem Punkte des
Persischen Golfs (Kuweit). Nach den noch nicht ganz abgeschlossenen
Verhandlungen zwischen Deutschland und England soll Basra als vor-
läufiger Endpunkt der Bagdadbahn angesehen und von dort der Schatt
el Arab für die größten Seeschiffe bis zum Golf schiffbar gemacht wer-
den. Die englische Regierung wird eine Schiffahrtsgesellschaft ins
Leben rufen, die den Euphrat und Tigris befahren und die deutschen
und englischen Interessen gleichmäßig wahrnehmen soll.
Von diesen in großen Umrissen gezeichneten Tatsachen ausgehend,
baut sich die Schmidtsche Arbeit auf. Der Verfasser kennt die Verhält-
35*
548 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nisse Kleinasiens nicht aus eigener Anschauung; wenigstens findet sich
in seiner Schrift nirgends eine gegenteilige Angabe, die doch für die
Bewertung der Ausführungen von großer Bedeutung gewesen wäre. Die
Schrift bildet eine Wiedergabe wichtiger und interessanter Teile der bis-
her erschienenen Literatur über das kleinasiatische Wirtschafts- und Eisen-
bahnwesen. Das gilt besonders auch von den Erörterungen über Ent-
stehung, Entwicklung und neuesten Stand der einzelnen Eisenbahngesell-
schaften. Immerhin ist das Werk als wohlgelungen zu bezeichnen. Es
vereinigt zahlreiche für die deutsche auswärtige wirtschaftliche Entwick-
lung bedeutsame Angaben, die sonst verstreut in mehr oder weniger un-
bekannten Denkschriften, Geschäftsberichten usw. ruhen. Diese Zu-
sammenfassung scheint mir an der Arbeit besonders wertvoll zu sein. Die
durch deutschen Unternehmergeist geschaffene Bagdadbahn ist nach
ihrer Lage die Zentral- und Hauptbahn Kleinasiens, bildet die kürzeste
Verbindung zwischen Konstantinopel und den türkisch-arabischen Pro-
vinzen, zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf, zwischen
Europa und Indien. Von diesem Gesichtspunkte aus ist eine Arbeit wie
die Schmidtsche zu begrüßen ; sie fördert das uns Deutschen vielfach noch
fehlende Verständnis für große wirtschaftliche Unternehmungen im
Ausland. Es kann daher der Schrift nur allseitige Beachtung und
weiteste Verbreitung gewünscht werden.
Halle (Saale). Paul Ritter.
Jahrbuch für Verkehrswissenschaften. Hrsg. von F.
Peitgen. Schriftleitung Adolf Goetz, Hamburg. Schleswig, J. Ibbeken.
Jahrgang 6 M., Einzelheft 1,75 M.
Das Jahrbuch für Verkehrswissenschaften ist eine neue Erscheinung
und hat sich aus dem Jahrbuch für Verkehrsbeamte, das nur praktischen
Bedürfnissen diente, entwickelt. Die Verkehrseinrichtungen werden heut-
zutage von der Wissenschaft bei den verschiedensten Disziplinen, der
Wirtschaftspolitik, der Finanzwissenschaft, dem Staatsrecht, Verwal-
tungsrecht usw. behandelt. Schon hieraus ergibt sich für die Lehre über
die Verkehrseinrichtungen eine gewisse Zersplitterung. Sie zu be-
seitigen wird bei der Vielseitigkeit der Verkehrseinrichtungen nur bis
zu gewissem Grade möglich sein. Ein unbegrenztes Feld dagegen bietet
sich für die Erforschung der Beziehungen unserer Verkehrseinrichtun-
gen zueinander und für die Klarstellung ihres Verhältnisses zu unserem
gesamten Wirtschafts- und Rechtsleben. Hier eine Grundlage zu
bieten, ist die Aufgabe, der das neue Jahrbuch für Verkehrswissen-
schaften dienen soll. Wir haben. den Eindruck, daß die Darbietungen
des uns vorliegenden ersten Heftes dieser Aufgabe gerecht werden. Was
die Beziehungen der Verkehrsmittel zueinander anbetrifft, so sei auf
die Arbeit von Kreuzkam „Die Bedeutung der Binnenschiffahrt‘“ hin-
gewiesen, worin die noch vielfach vorhandene Auffassung widerlegt
wird, daß die Binnenwasserstraße unbedingt ein Konkurrent der Eisen-
bahn sei. Beide Einrichtungen können sich befruchten und tuen es
auch; sie sind nicht Selbstzweck, sondern beide bestimmt, der Volkswohl-
fahrt zu dienen. Ferner sei, was das Verhältnis der Verkehrsmittel
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 549
zum Wirtschaftsleben anbelangt, hingewiesen auf die Arbeit „Der Pa-
namakanal, eine Weltumwälzung‘“ von Fitger, worin neben einer kurzen
Entstehungsgeschichte dieses Kanals so manche seiner Wirkungen in
weltwirtschaftlicher Beziehung übersichtlich und verständlich dargelegt
wird. Eine wohl das modernste Problem behandelnde Arbeit sei noch
angeführt: „Die Luftfahrzeuge im Dienste des Verkehrs“ von Buck.
Das Jahrbuch ist, wie gesagt, eine neue Erscheinung; es wird noch
einige Wandlungen durchzumachen haben. Immerhin hinterläßt der
Inhalt des ersten Heftes die Gewißheit, daß die Einrichtung sich bei den
Volkswirten einbürgern und nicht nur hier, sondern auch in den Kreisen
des Handels und Verkehrs nach mancher Richtung hin aufklärend
wirken wird.
Halle (Saale). Paul Ritter.
de Leener, G., La politique des transports en Belgique. Brüssel
und Leipzig (Misch u. Thron), 1913. X u. 320 SS. kl. 8. 3 fres.
Das Buch gehört zu den Veröffentlichungen der sozialpolitischen
Abteilung des Instituts Solvay, die sich die Aufgabe gestellt hat, eine
Reihe sozialpolitischer Fragen durch eigene Schriften erörtern zu lassen.
Die Verkehrspolitik in Belgien verdient gerade in gegenwärtiger Zeit
eine besondere Untersuchung, weil über eine Anzahl wichtiger, grund-
sätzlicher Fragen erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen, die
auch die Oeffentlichkeit stark beschäftigen. Hierher gehört die Frage,
ob überhaupt und in welchem Umfang es Aufgabe des Staates ist, seinen
Einfluß auf die Entwicklung des Beförderungswesens geltend zu
machen, ferner die Frage, ob das System der Beförderungsmittel durch
den Ausbau und die Erweiterung der Wasserstraßen oder der Eisen-
bahnen zu verbessern ist, wie sich der Staat gegenüber der Anlage
der Scehäfen zu verhalten hat. Diese und eine Reihe anderer damit zu-
sammenhängende Fragen werden von dem Verf. gründlich untersucht.
Er beschränkt sich nicht auf die Erörterung der Verhältnisse in
Belgien, sondern zieht überall die der Nachbarländer, Holland, Frank-
reich, Deutschland und die Schweiz heran, die er auch durch eigene
Anschauung kennen gelernt hat. Ebenso hat er die in den letzten Jahren
veranstalteten Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik und der
großen englischen und amerikanischen Kommissionen über die Wasser-
straßenfrage verwendet.
Der grundsätzliche Standpunkt des Verf. ist der der deutschen
sozialpolitischen Schule, und dieser grundsätzliche Standpunkt tritt bei
all seinen Ausführungen in den Vordergrund. Es ist Pflicht des Staates,
bei der Regelung des Verkehrswesens einzugreifen. Da der Staat die
Hauptbahnen fast vollständig besitzt, so hat er für Aufstellung der
Tarife nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen, d. h. für tunlichste
Herabsetzung der Tarife auf der Grundlage der Selbstkosten zu sorgen.
Verf. glaubt, daß eine Tarifermäßigung sich durch Aenderungen im
Tarifsystem, bessere Anpassung der Tarife an die Bedürfnisse von
Handel, Industrie und Schiffahrt (also auch Erweiterung der Seehafen-
ausfuhrtarife) erreichen ließe, ohne daß wesentliche finanzielle Aus-
550 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
fälle zu befürchten seien. Er ist ein entschiedener Gegner des Aus-
baues der Wasserstraßen durch Herstellung von Kanälen und wider-
spricht nachdrücklich der Behauptung, daß die Kanäle zu günstigeren
Bedingungen befördern könnten, als die Eisenbahnen. Seine klaren
Ausführungen in dem 5. Kapitel, S. 201ff., hierüber halte ich für sehr
beachtenswert. Er stimmt in allen Hauptpunkten überein mit Ulrichs
Untersuchungen in dessen Buche Staffeltarife und Wasserstraßen, das
übrigens dem Verf. nicht bekannt zu sein scheint. Die neueste preußische
Wasserstraßenpolitik findet seine Billigung, wenngleich sie nicht für
Belgien ohne weiteres anwendbar ist.
Für den deutschen Fachmann ist es besonders wertvoll, daß ihm
dieses Buch vollständige, zuverlässige Angaben über die Verkehrs-
verhältnisse in Belgien bringt, über die meines Wissens in Deutschland
recht wenig veröffentlicht ist. Sehr eingehende Mitteilungen finden
wir vornehmlich auch über die belgischen Seehäfen, darunter in erster
Linie Antwerpen.
Das Buch bildet eine willkommene Bereicherung der Literatur
über das Verkehrswesen.
Berlin-Wilmersdorf. A. v. der Leyen.
Wölfel, F., Der Handlungsreisende. Eine wirtschaftsgeschicht-
liche Studie. Leipzig (Otto Wigand) 1913. 118 SS. 2,40 M.
Dem Referenten, welcher den modernen „Muster- oder auch Ellen-
reiter“ aus langjähriger eigener Anschauung recht gut kennt, scheint
der Autor das Thema doch etwas zu sehr nach dem Durchschnittstypus
des „Probenreisenden‘ behandelt zu haben. Wölfel sieht nämlich mehr
oder weniger nur Wald, aber keine Bäume. Das soll besagen, daß
zwischen Handlungsreisendem und Handlungsreisenden eben doch größere
sachliche Unterschiede bestehen, als der Autor meint. Gibt es doch — ich
entnehme diese 'Behauptung meiner Erfahrung — zahlreiche Fabrikanten,
welche 100 und mehr Arbeiter beschäftigen und mit Musterkoffern
„auf Tour gehen“. Wenn nun so ein meist wohlhabender „Chef“ noch
mehrere „Herren“ reisen läßt, so gehen die letzteren mit Mustern wohl
auch auf Tour, aber zwischen ihnen und dem reisenden Chef bestehen
doch große wirtschaftliche und soziale Unterschiede. Darauf hätte Verf.
mehr Gewicht legen müssen. Dann hätte er aber auch darauf zu
sprechen kommen müssen, daß es zahlreiche hochbezahlte Handlungs-
reisende gibt, welche nur „große Plätze“ besuchen, in denen die große
Kundschaft schon sehnsüchtig auf den Besuch des Vertreters wartet,
während so mancher Handlungsreisende lediglich mit den kleinen
schwierigen Plätzen sich abquälen muß. Wer die volkswirtschaftliche
Bedeutung des modernen „Ellenreiters‘ feststellen will, wird aber gerade
darauf wohl Rücksicht zu nehmen haben. Wenn zwei dasselbe tun, ist
es ja nicht immer das gleiche. Daß und warum gerade so viele Juden
Handlungsreisende sind, für welche Industrie und Geschäfte — und
warum ? — jüdische „Vertreter“ aber nicht tätig sind: diese gewiß heiklen
Fragen wird man in einer (sozial-)wissenschaftlichen Arbeit
nicht nur aufwerfen, sondern auch beantworten müssen, jedenfalls dies
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 551
zu tun versuchen müssen. Der interessante historische Teil ist recht
lesenswert. Daß bei der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung der
Handlungsreisenden die deutsche Berufsstatistik keine quantitativen Aus-
weise über diese Kategorie aktiv tätiger Personen gibt, erscheint wirk-
lich sonderbar. Eine stärkere Dosis Psychologie hätte der Ver-
geistigung gerade dieses Themas nicht geschadet. Aber gleichwohl ver-
dient die Wölfelsche Studie Beachtung.
München. Ernst Müller.
Schmidt (Sekr., Handelshochsch.-Prof.), Dr. Pet. Heinr., Die Schweiz
und die europäische Handelspolitik. Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8. VIII—
319 SS. M. 5,60.
Tableau general du commerce de la Belgique avec les pays étrangers
pendant l'année 1913, publiqué par le ministre des finances. Ire Partie. Commerce
extérieur; transit; préliminaires; état de développement; résumés; appendice.
Bruxelles, Établissements généraux d'imprimerie, 1914. 39X26,5; cartes, dia-
grammes. 2+413 pag. L'ouvrage complet en 3 parties. fr. 12.—.
Frank, Rob. J., Commentary on the science of organization and business
development; a practical treatise on the promotion, organization, reorganization
and management of business corporations; with special reference to approved plans
and procedure for the financing of modern business enterprises. 4th ed. Chicago,
Laird and Lee, 1914. 8. 374 pp. $ 2,75.
Mariotti, Aug., Della intermediazione e dei suoi rapporti con la coope-
razione e la concentrazione capitalistica nel commercio al minuto. Napoli, tip.
L. Fierro e figlio, 1914. 8. VIII—l4ł pp. 1. 4.—.
Romegialli, prof. E. A., Trattato sistematico di mercilogia, 0 conoscenza
delle merci, ad uso delle scuole commerciali maschili e femminili, degli istituti
tecnici, delle scuole industriale e delle scuole tecnico-commerciali italiane al-
l’estero. Quinta edizione, quasi completamente rifatta e aumentata. Torino, ditta
G. B. Paravia e C., 1913. 16. VI—786 pp. 1. 5,50.
7. Finanzwesen.
Sowers, Don C., Professor of Municipalities, The financial history
of New York State from 1789 to 1912. New York, Columbia Univer-
sity, 1914. 346 SS. $ 2,50.
Die finanzielle Entwicklung des Staates New York wird vom Verf.
entsprechend der ökonomischen in 3 große Zeitabschnitte zerlegt: 1789
—1840, 1840—1880 und der Zeit nachher. Im ersten Abschnitt ist
das landwirtschaftliche Interesse durchaus vorherrschend; der Staat
bemüht sich, den bei allen am Beginn ihrer Entwicklung befind-
lichen Gemeinwesen sich am schärfsten fühlbar machenden Bedürf-
nissen abzuhelfen: dem Mangel an Kapital und Transportgelegenheit.
Im zweiten tritt die Landwirtschaft von ihrer Bedeutung zurück infolge
der überlegenen Konkurrenz der westlichen Gebiete; Handel und In-
dustrie, namentlich die letztere, nehmen einen ungeahnten Aufschwung;
der Staat wird in eine immer mehr passive Haltung zurückgedrängt;
es ist die Zeit des laissez faire. Diese Entwicklung der verschiedenen
Haupterwerbszweige setzt sich im dritten Abschnitt in gleicher Rich-
tung fort; der Staat ergreift aber wieder eine mehr aktive Rolle,
allerdings weniger auf rein ökonomischem als vielmehr sozialpolitischem
Gebiete.
552 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Verschiebung des wirtschaftlichen Schwerpunktes bedingt auch
einen entsprechenden Uebergang in den Hauptsteuerarten: in den
ersten Zeiten der Union spielt die Kopfsteuer in den Budgets der
Einzelstaaten eine bedeutende Rolle; die sodann völlig dominierende
Steuer auf das immobile Vermögen tritt später zurück hinter der 1880
eingeführten und verschiedentlich modifizierten Steuer auf das mobile
und auf die korporative Organisation jeder Art von Handelsgesell-
schaften und deren Neuordnung (Kapitalserhöhung).
In den ersten 50 Jahren war daher die direkte Besteuerung nur
von unerheblicher Bedeutung; der Staat zog seine Haupteinkünfte aus
den Landverkäufen, die dazu häufig sehr unrationell und verschwenderisch
vorgenommen wurden. Erst 1880 änderte sich diese Politik: die Ver-
käufe wurden sistiert und man schritt sogar zu ausgedehnten Auf-
forstungen auf verwüsteten Gebieten; die Ausdehnung des dem Staate
heute gehörenden Landes ist aber nicht genau bekannt. Das durch
die Landverkäufe erzielte Geld wurde hauptsächlich zur Anlage und
zum Ausbau von Kanälen verwandt, die eine solche Pflege erhielten,
daß man sie verschiedentlich als ‚canal mania“ bezeichnete. Dagegen
verhielt sich der Staat auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens — bis
auf gelegentliche Subventionierung — durchaus passiv: er überließ es
völlig dem privaten Unternehmungsgeist, dies wichtigste Verkehrsmittel
zu pflegen.
In den Hauptabschnitten seines Werks gibt Verf. sodann eine
klare, stellenweise aber etwas weitschweifige und sich ins Detail ver-
lierende Darstellung der Entwicklung der Steuergesetzgebung, die durch
zahlreiche Tabellen über die Bewegung der Ein- und Ausnahmen illu-
striert wird. Nur wenige Punkte, die von deutschen Verhältnissen
abweichen und besonders charakteristisch sind, seien kurz hervorge-
hoben.
Eine Einkommensteuer besteht, wie in den meisten Staaten, nicht;
nur zur Zeit des Bürgerkrieges wurde sie vorübergehend erhoben.
Trotzdem beruht das Finanzsystem auf der direkten Besteuerung: der
Vermögenssteuer auf immobiles und mobiles Vermögen; der Steuersatz
wird nach „mils“ berechnet, d. h. Y/‚ooo vom Dollar. Daneben gibt
es eine Reihe von indirekten Abgaben, Lizenzen, Stempelgebühren und
dergleichen, sowie eine Erbschaftssteuer, die den Nachlaß in der direkten
Linie mit 1 Proz. von 5000 $ an, steigend bis zu 4 Proz. bei 1000000
erfaßt; in der Seitenlinie mit 5 Proz. von 1000 bis zu 8 Proz. bei
1000000. Außerdem bezieht der Staat ein beträchtliches Einkommen
aus seinem fiskalischen Vermögen. Eine besondere Eigentümlichkeit
bilden die sogenannten „Fonds“. Während in den europäischen Staaten
das Budget gewöhnlich alle Einnahmen enthält und diese dann auf die
verschiedenen Ausgabezweige verteilt werden, gibt es eine solche Verteilung
in New York und den meisten nordamerikanischen Bundesstaaten nicht.
Hier werden die Einnahmen in getrennten Rechnungen, den Fonds,
geführt und aus ihnen die betreffenden Ausgaben bestritten, So be-
stehen in New York besondere Fonds für die Staatsschuld, das Er-
ziehungs- und Bildungswesen, die Polizei, Gesundheitspflege u. a. m.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 553
Die Ausgaben der Einzelstaaten erstrecken sich hauptsächlich auf
folgendes: Kosten der Legislatur, Gehälter der Verwaltungs- und
sonstigen Beamten, Justiz, Freiwilligenmiliz, Staatsschuld, Bildungs-
und Wohltätigkeitswesen. Sie erfordern also keine hohen Summen:
in allen Bundesstaaten zusammen erreichen sie etwa nur 1/, derer, die
die Union zu leisten hat. Dagegen betragen die Ausgaben der lokalen
Verbände — Städte und Counties — ebensoviel wie die Gesamtsumme
der Ausgaben der Union und der Bundesstaaten. Der Schwerpunkt
der Finanzen und der Verwaltung liegt also in den Vereinigten Staaten
an ganz anderer Stelle als im Deutschen Reich.
Schließlich gibt Verf. noch eine Schilderung der Finanzverwaltung,
deren Veranlagung, der Kontrollmaßregeln usw., wobei er auch die
Schattenseiten nicht übergeht: die stellenweise sich zeigende Korruption
und das verschwenderische Umgehen mit öffentlichen Mitteln.
Im ganzen erhält man aus dem Buche einen ziemlich vollständigen
Eindruck von der Finanzentwicklung und der jetzigen Finanzgebahrung
des wirtschaftlich wohl hervorragendsten Bundesstaates der Nord-
amerikanischen Union.
Straßburg i. E. W. D. Preyer.
Chen, Shao-Kwan, The system of taxation in China in the Tsing
dynasty, 1644—1911. New York, Longmans. 8. 118 pp. $ 1.—.
Seligman, Edn. Rob. Anderson, The income tax; a study of the
history, theory, and practice of income taxation at home and abroad. 2d ed. rev,
and enlarged with a new chapter. New York, Macmillan, 1914. 8. 11+743 pp.
$ 3—.
Anelli (avv.), Giov., La finanza e l'ordinamento dei tributi nella teoria
e nel diritto positivo italiano. 2a edizione, riveduta dall’ autore. Palermo, tip.
Gazzetta commerciale, 1914. XV—475 pp. l. 6.—.
Vicario, Fr., Le amministrazione centrali dello stato: la ragioneria generale
dello stato; la corte dei conti; l’amministrazione del debito pubblico. Torino,
Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 221 pp. 1l. 5.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Versiecherungs-Bibliothek, herausgegeben von Prof. Dr.
Alfred Manes, Berlin. 1. Band: Versicherungsbuchführung, von Mathe-
matiker Joseph Koburger; 2. Band: Die Feuerversicherung, von Justiz-
rat Dr. Karl Domizlaff, Direktor der Concordia, Hannoverschen Feuer-
versicherungsgesellschaft A.-G. in Hannover. Berlin (E. S. Mittler u.
Sohn) 1914.
Seitdem im Jahre 1900 der deutsche Verein für Versicherungs-
wissenschaft ins Leben getreten ist, hat die bis dahin in der Volkswirt-
schaftslehre verhältnismäßig stiefmütterlich behandelte Lehre vom Ver-
sicherungswesen eine umfangreiche Behandlung gefunden, und die Ver-
sicherungsliteratur ist seit dieser Zeit erheblich bereichert worden.
Insbesondere der Generalsekretär des genannten Vereins ist nicht nur
selbst vielfach mit hervorragenden Publikationen auf dem Gebiete des
Versicherungswesens hervorgetreten, sondern hat anderen Anregungen zur
Bearbeitung versicherungswissenschaftlicher Fragen gegeben. Außer den
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft
554 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
und den grundlegenden Arbeiten von Manes über das Versicherungs-
wesen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das von Manes heraus-
gegebene Versicherungslexikon zu nennen, welches unter Mitwirkung
zahlreicher Versicherungspraktiker und -theoretiker zu einem das gesamte
Gebiet des Versicherungswesens zusammenfassenden Kompendium aus-
gestaltet worden ist. Trotz dieser Bereicherung der Versicherungs-
literatur zeigen sich noch immer manche Lücken, und zwar insbesondere
da, wo es darauf ankommt, Darstellungen aus der Praxis der Versiche-
rungsunternehmungen zu erhalten. Dies tritt um so mehr in die Er-
scheinung. da sich, wie Manes im Geleitwort zu der oben genannten
Versicherungs-Bibliothek ausspricht, neuerdings in Fachkreisen zufolge
der höheren Anforderungen, welche an den Beruf eines Versicherungs-
beamten gestellt werden, wie auch in Kreisen der Kaufleute, Indu-
striellen und Landwirte das Bestreben geltend macht, in geeigneter Weise
über alle wichtigen Fragen des gesamten Versicherungswesens belehrt
zu werden. Diesem Verlangen will die nunmehr ins Leben gerufene
„Versitherungs-Bibliothek“ Rechnung tragen, die nach dem Geleitwort
des Herausgebers eine Sammlung selbständiger, gemeinverständlicher,
wissenschaftlicher Hand- und Lehrbücher für das Gesamtgebiet der
Privat- und Sozialversicherung werden soll. Nach dem zugrunde liegen-
den Plan ist diese berechnet sowohl für die höheren Versicherungs-
beamten mit entsprechender Vorbildung, wie für Strdenten namentlich
auch der Handelshochschulen und für gebildete Versicherte; dieselbe
soll nur Werke aus der Feder bewährter akademisch gebildeter Prak-
tiker enthalten, die sich durch langjährige Tätigkeit innerhalb des Ver-
sicherungswesens ausgezeichnet haben, zugleich aber auch die nicht
minder wichtige theoretische Seite des Versicherungswesens gründlichst
kennen. Zunächst erschienen sind die oben erwähnten beiden Bände,
denen weitere Arbeiten über Versicherungsagenten und -makler, über die
Kapitalanlagen der Privatversicherungsanstalten, über Lebensversiche-
rungsmedizin, über Lebensversicherungen, Haftpflicht, landwirtschaft-
liche Versicherungen und anderes mehr folgen sollen. Jeder Band im
Umfange von 175 Druckseiten wird zum Preise von 4 M. geboten.
In dem 1. Bande wird die in der Literatur bisher noch am wenig-
sten berücksichtigte Versicherungsbuchführung behandelt, und zwar wird
vom Verf. der Versuch gemacht, die gesamte Versicherungsbuchführung
allgemein und einheitlich darzustellen, ohne sich dabei an die Einrich-
tungen bestimmter Gesellschaften anzuschließen, wobei selbstverständlich
bewährte Einrichtungen der Praxis zur Illustration herangezogen wer-
den. Das Buch will sich in erster Linie an Interessenten aus dem Ge-
biete des Versicherungswesens wenden, bei denen die erforderliche Ver-
trautheit mit dem Wesen der Buchführung nicht vorausgesetzt werden
kann. Es ist daher dem speziellen Teil, der sich mit der einheitlichen
Versicherungsbuchführung befaßt, ein allgemeinerer Teil vorangestellt,
in welchem eine Darstellung der Buchführung im allgemeinen gegeben
wird. Dabei sind naturgemäß als Beispiele stets Geschäftsfälle aus dem
Gebieto der Versicherung verwendet. Zur Orientierung für Leser, die
mit der Buchführung, aber nicht mit dem Versicherungswesen vertraut
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 555
sind, ist in der Einleitung ein Ueberblick über die Grundbegriffe der
alllgemeinen Versicherungslehre dargeboten, wobei im übrigen auf die
in den letzten Jahren entstandenen bekannten Lehrbücher von Manes,
Moldenhauer, Wörner sowie auf das Versicherungslexikon Bezug ge-
nommen wird. Der Hauptteil des Buches über die Versicherungsbuch-
führung behandelt nach allgemeinen Ausführungen die Versicherungs-
buchführung und die Gesetzgebung, die Buchführung der deutschen
größeren Privatversicherungsunternehmungen, die Agenturbuchführung
sowie Kontrolle und Revision im Versicherungswesen. Für alle die-
jenigen, welche als Angestellte in Versicherungsbetrieben über die Ver-
sicherungsbuchführung eingehend orientiert sein müssen, insbesondere
auch für die neuerdings vielfach ins Leben gerufenen Versicherungsfach-
schulen, welche sich mit der speziellen Fortbildung der Angestellten
der Versicherungsbetriebe beschäftigen, wird die Verwertung dieses
Buches von Vorteil sein und seine Anschaffung kann daher nur dringend
empfohlen werden. Darüber hinaus können auch weitere Kreise aus
der vorliegenden Publikation hinreichende Orientierung über Buch-
führungsfragen gewinnen, was insbesondere für Richter und Dozenten
an Universitäten und Hochschulen von Bedeutung sein dürfte.
Das zweite zur Besprechung vorliegende Buch behandelt die ge-
samte Feuerversicherung und gibt somit im Gegensatz zu dem erst-
genannten Werk, welches eine das gesamte Versicherungswesen an-
gehende Spezialfrage behandelt, eine umfangreiche Darstellung eines
einzelnen Versicherungszweiges, womit gleichzeitig, da die Bearbeitung
in den Händen eines erfahrenen Versicherungspraktikers liegt, ein guter
Einblick in die Praxis dieses Spezialzweiges gegeben wird. Domizlaff
gibt zunächst in der Einleitung einen kurzen Ueberblick über die ge-
schichtliche Entwicklung des Feuerversicherungswesens und behandelt
dann zunächst das Feuerversicherungsrecht, und zwar einerseits nach der
verwaltungsrechtlichen Seite hin — andererseits im Hinblick auf die
Bestimmungen über den Versicherungsvertrag. Besonders wertvoll er-
scheinen diese Ausführungen, weil sie die allgemein gültigen gesetzlichen
Bestimmungen in ihrer Bedeutung für die Feuerversicherung als solche
behandeln. Im zweiten Teil gibt Verf. sodann eine Darstellung der Feuer-
versicherungstechnik. Diese wird als die Zusammenfassung der auf den
Betrieb der Feuerversicherung gerichteten Arbeiten charakterisiert. Als
das Ziel der mannigfaltigen geschäftlichen Tätigkeit wird es bezeichnet,
neue Feuerversicherungsverträge zum Abschluß zu bringen und den Be-
stand der Versicherungen zu erhalten, die Rentabilität und Lebenskraft
der Versicherungsunternehmungen und deren geordneten Geschäftsgang
zu sichern, daneben aber auch die Aufgabe, zur Verhütung und Unter-
drückung der Schäden beizutragen und die sachgemäße weitere Aus-
bildung der Feuerversicherung zu fördern. Von dieser Auffassung des
Begriffe: der Feuerversicherungstechnik ausgehend wird zunächst die
innere Organisation und die „Akquisition“ , d. h. also das Agentenwesen
dargestellt. Dem schließt sich ein zweites Kapitel über die Technik
zwecks Rentabilität, d. h. über die Gefahrenbeurteilung und über die
Tarifierung, die Interessierung des Versicherungsnehmers am Risiko und
556 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die Verteilung des Feuerrisikos an. In diesem Zusammenhang wird
auch die Schadensregulierung sowie Buchführungs- und Rechnungs-
legungsfragen behandelt. Im dritten Kapitel dieses Abschnittes finden
sich Ausführungen über die Technik zur Verhütung und Unterdrückung
der Schäden, die Mittel zur weiteren Ausbildung der Feuerversicherungs-
technik, wobei außer auf die Verbandsbildung und die Statistik auf die
Maßnahmen der Versicherungsunternehmungen zur Einschränkung der
Brandgefahr eingegangen wird. Ein Schlußkapitel trägt die Ueberschrift
„Rückblick und Ausblick“. In diesem geht Verf., von dem eigentlichen
Ziele seiner Darstellung etwas abweichend, auf neuere Erscheinungen
in der Geschäftspraxis von Versicherungsunternehmungen teils erfreu-
licher Natur, wie sie in dem Zusammenarbeiten der verschiedenen
Kategorien von Versicherungsgesellschaften zu sehen sind, teils weniger
erfreulicher und wirtschaftlich bedenklicher Art, wie sie im Kon-
kurrenzkampf neu entstandener Unternehmungen, in sogenannten Selbst-
versicherungsbestrebungen und ähnlichem sich geltend machen, näher
ein; auch die durch das Eingreifen sozialdemokratischer Organisationen
in das Versicherungswesen hervorgerufene Gefahr, die hauptsächlich in
der Vermischung von Politik und Versicherung zu sehen ist, wird berührt.
„Durchkreuzt in Zukunft“, so sagt Verf., „die Politik das vom Fach-
interesse getragene Bestreben der Versicherung, so kann sich die traurigste
Desorganisation mit feindseligster Interessenverfolgung und weiterer Ver-
giftung des öffentlichen Lebens ergeben.“ Für den Verf. ergibt sich das
Bedenken, daß infolge derartiger Bestrebungen einer reichsseitigen Ver-
staatlichung der Feuerversicherung im Reichstag nicht mehr der er-
forderliche Widerspruch entgegengesetzt werden würde; seine Hoffnung
setzt er auf das über das private Versicherungswesen außerordentlich
gut orientierte Reichsaufsichtsamt, welches infolge seiner Kenntnis der
Verhältnisse seine Verantwortung erkennen werde, Einwirkungen auf
das seiner Aufsicht anvertraute Versicherungswesen abzuwehren, die
es in seinem starken Gefüge erschüttern und in seinem gemeinnützigen
Ausbau unter Gefährdung des Gemeinwohls schädigen können. An
die Gesamtheit der Unternehmungen richtet Verf. die sehr beachtens-
werte Mahnung, stets auf der Wacht zu sein und durch Schärfung des
Assekuranzgewissens, Steigerung der Leistungen, Vervollkommnung der
Technik und Verbreitung der Kenntnis des Feuerversicherungswesens
die lebenskräftige Feuerversicherung noch mehr zu stärken und ihr die
allgemeine Anerkennung zu erkämpfen. Es kann nur als dringend er-
wünscht bezeichnet werden, daß die Versicherungsunternehmungen, und
zwar nicht nur aus der Feuerversicherungsbranche dieser Mahnung eines
erfahrenen Praktikers die weitestgehende Beachtung schenken, denn
sicherlich ist es der beste Schutz gegen die Verstaatlichung einzelner
Erwerbszweige, wenn sie sich derart vorzüglich bewähren, daß sie allen
Bedürfnissen gerecht werden und zu irgendwelchem Eingreifen im Inter-
esse der Oeffentlichkeit keine Veranlassung bieten. — Wie die vorstehen-
den Ausführungen zeigen, bietet das Buch von Domizlaff in vieler Be-
ziehung Interessantes, Belehrendes und Anregendes, so daß ihm im
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 557
Interesse der Ausbreitung der Kenntnis vom Versicherungswesen nur
weiteste Verbreitung gewünscht werden kann.
Hamburg-Bergedorf. Leuckfeld.
Osborne, Algernon Ashburner, Speculation on the New
York Stock Exchange, September 1904—March 1907. New York 1913,
Columbia University. 172 SS.
Auf Grund der Wochenberichte des Commercial and Financial
Chronicle beschreibt der Verfasser die spekulativen Kursschwankungen
der New Yorker Fondsbörse in den 31 Monaten zwischen dem nach der
Krisis von 1903 im September 1904 einsetzenden Aufschwung und der
im März 1907 beginnenden Krisis dieses Jahres, die inzwischen in
eine noch heute anhaltende Depression des gesamten nordamerika-
nischen Wirtschaftslebens übergegangen ist. Die im November 1904
erfolgte Wahl Roosevelts, ein ausnahmsweise billiger Geldstand — täg-
liches Geld für Spekulanten hatte einen Zinsfuß von 7/),—?2 Proz. —
sgwie zahlreiche Effektenkäufe aus Europa bewirkten eine andauernde
Hausse an der New Yorker Fondsbörse, die dann 1905 und 1906 in
den steigenden Dividenden der führenden Eisenbahnpapiere und den
großen Käufen amerikanischer und europäischer Anlagekapitalisten ihren
Rückhalt fand. Erst als diese infolge der zunehmenden Versteifung
der großen europäischen Geldmärkte Ende 1906 aufhörten, setzte eine
Abschwächung der Tendenz ein, der Vorbote der nordamerikanischen
Krisis von 1907, die ja in der Hauptsache auf das Mißverhältnis
zwischen Kapitalbıldung und Kapitalbedarf zurückzuführen ist.
Dies alles hat der Verfasser zutreffend in dem engen Rahmen
seines Themas unter Beibringung zahlreicher Kurstabellen und anderer
statistischen Zusammenstellungen geschildert. Am Schlusse seines
Buches kritisiert er eingehend die verschiedenen zur Eindämmung der
‚Ueberspekulation an der New Yorker Fondsbörse vorgeschlagenen Maß-
regeln, und kommt zu dem richtigen Schluß, daß solche Maßregeln aus
wirtschaftspsychologischen Gründen in den Zeiten einer längeren Hausse
doch fruchtlos sind.
Falkenberg OS. Landrat Dr. jur. et phil. Freiherr v. Reibnitz.
Obst (Bankdir. a. D., Handelshochschul-Doz.), Dr. Georg, Das Bank-
geschäft. 2. (Schluß-) Bd. (Bankpolitik.) Leipzig, Carl Ernst Poeschel, 1914.
gr. 8. XIII—585 SS. M. 12.—.
Wei, Wen Pin, The currency problem in China. New York, Longmans.
8. 156 pp. (Columbia Univ. studies in history, economics and public law.) $ 1,25.
Sacerdote (avv.),, Emunuele, La nuova legge sulle borse et con-
tratti differenziali. Torino, Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 18 pp.
9. Soziale Frage.
Gäbel, Dr.Käthe, Die Heimarbeit, das jüngste Problem des
A rbeitsschutzes. Jena (G. Fischer) 1913. 8°. 243 SS.
Das Buch, dem ein warmes Geleitwort von Professor R. Wil-
brandt vorausgeschickt ist, enthält eine systematische Behandlung des
558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ganzen Heimarbeitproblems, zu der die ursprüngliche Doktorarbeit unter
den Händen der fleißigen Verfasserin sich ausgewachsen hat. Wil-
brandt legt ihm die Bedeutung eines streng wissenschaftlich begründe-
ten Werturteils über die Heimarbeit bei. Diese Charakterisierung ist
nicht ungefährlich in einer Zeit des Streites um die Berechtigung,
Werturteilen, wenigstens in den Wirtschaftswissenschaften, einen wissen-
schaftlichen Charakter zuzuerkennen. Doch wird jeder unbefangene
Leser des Buches nicht nur seinen durchaus wissenschaftlichen Ge-
halt anerkennen, sondern auch den Eindruck einer gediegenen wissen-
schaftlichen Leistung von ihm erhalten. Es zeigt sowohl eine gründ-
liche Kenntnis der Wissensgebiete, auf denen die Forschung sich be-
wegi, als auch die reiche praktische Erfahrung, die sich die Verfasserin
in mannigfacher sozialer Tätigkeit, besonders als Sekretärin des Ge-
werkvereins der Heimarbeiterinnen, erworben hat, endlich und vor allem
aber eine in der Arbeit des Lebens selbstgewonnene und befestigte Denk-
weise und Lebensanschauung. Sie erfaßt mit gesundem Blick alles das,
was das Leben und die Lage der Heimarbeiter, besonders der weiblichen,
eigenartig und daher für die von ihr angestellte Untersuchung reizvoll
macht, und versteht es zu klarem Ausdruck und in logisch geordneten
Zusammenhang zu bringen. Ihre Darstellungsweise ist natürlich und
anspruchslos, ihr Urteil reif und besonnen, überall deutlich auf eine gute
Kenntnis der Verhältnisse, besonders auch der von ihr im Jahre 1912
an Ort und Stelle studierten englischen Heimarbeitsverhältnisse gestützt.
Sie beherrscht das von ihr mit Fleiß, Sorgfalt und Geschick zusammen-
gebrachte bedeutende Material durchaus und zeigt in dessen Anordnung
und Gliederung, in seiner Vergleichung und in seiner Verwertung zu
Schlüssen anerkennenswerte Geschicklichkeit und Urteilskraft. Die große
Mannigfaltigkeit in den Verhältnissen der verschiedenen Arten von
Heimarbeit und den daraus sich ergebenden Folgeerscheinungen, wo-
durch die Bearbeitung dieses Problems sehr erschwert wird, überwindet
sie in glücklicher Weise und es gelingt ihr, zu einheitlichen, großen Ge-
sichtspunkten gegenüber der Gesamtheit des Problems und den Fragen
nach seiner Lösung zu gelangen. Das stärkste Interesse widmet sie
den Lohnämtern, ihrer systematischen Anwendung auf die Heimarbeit,
ihrer organisatorischen Vervollkommnung, sowie der Darstellung und
kritischen Wertung der Versuche mit dieser neuen Organisationsform.
Von ihnen handelt fast die Hälfte des Buches.
Der erste Teil des sich auf die städtische Heimarbeit beschränken-
den Buches behandelt das Problem, der zweite die Versuche zu seiner
Lösung auf den üblichen Wegen, der dritte die Lohnämter und ihre
Wirkungen. Ein gutes Literaturverzeichnis ist beigegeben. Die Lage
der Heimarbeiterschaft wird dabei als durch die bisherigen Unter-
suchungen gut bekannt vorausgesetzt, was aber die Verfasserin glück-
licherweiso nicht abhält, ein reiches Maß neuen Tatsachenmaterials,
namentlich in den ersten Teil der Darstellung, einzuflechten. Die für
und wider die völlige Abschaffung der Heimarbeit sprechenden Mo-
mente werden im ersten Teil eingehend untersucht und gegeneinander
abgewogen, ohne daß jedoch bei der verschiedenartigen Bedeutung der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559
Heimarbeit auf ihren verschiedenen Gebieten darüber ein generelles
Urteil gefällt wird. Die Bedeutung der Heimarbeit für die Unternehmer
wie für die verschiedenen Arten der Heimarbeiter selbst — Männer,
Frauen, ledige Heimarbeiterinnen und „halbe Kräfte“ — wird durch
die verschiedenen sachlichen und örtlichen Heimarbeitsgebiete hindurch
verfolgt und im Anschluß daran die Wechselwirkung zwischen Heim-
arbeit und Fabrikgesetzgebung sowie die soziale und wirtschaftliche
Wirkung der Umwandlung von Heim- in Fabrikarbeit auf die Arbeiter-
schaft untersucht.
Als besonders beachtenswert sei daraus erwähnt, daß die Heimarbeit
in Großbritannien und den Vereinigten Staaten eine erheblich geringere
Rolle als in Deutschland, Oesterreich und Frankreich spielt und daß
in Deutschland die großstädtische männliche Heimarbeit auf dem Aus-
sterbeeta‘ steht. Die Zahl der männlichen Heimarbeiter ist in den
Städten wie auf dem Lande überhaupt in starkem Rückgang, besonders
in fast allen Zweigen der Textilindustrie, in der Möbeltischlerei und
Drechslerei und bei gleichzeitigem Vordringen der weiblichen Heim-
arbeit, namentlich auch in der Schuhmacherei und Kürschnerei. Alle
diese Gewerbe sind vorwiegend städtische. Der Uebergang zur Fabrik-
arbeit bedeutet im allgemeinen einen Vorteil in gesundheitlicher Hin-
sicht sowie vermöge der besseren Organisationsfähigkeit in geschlosse-
nen Betrieben auch eine Aussicht auf Erreichung besserer Löhne.
Die Fabrikarbeit schwächt auch die Lohnschwankungen wesentlich ab
und läßt überlange Arbeit in Zeiten großer Aufträge nicht zu. Die
Männer und die ledigen Arbeiterinnen drängt ihr Interesse weit eher
der geregelten Fabrikarbeit zu als die Frauen, deren Heimarbeit schon
durch die große Wichtigkeit der häuslichen Versorgung der Kinder und
die Möglichkeit, den Säuglingen die natürliche Nahrung zu erhalten,
gerechtfertigt wird. Dies beweisen die mitgeteilten Tabellen über Fabrik-
arbeit der Frau und die Säuglingssterblichkeit sowie die Tatsache, daß
relativ wenig Heimarbeiterkinder verwahrlosen. Heimarbeit ermöglicht
ferner nachweislich bei größerer Kinderzahl weit eher Verdienst als die
Fabrikarbeit. Vorteile der letzteren sind dagegen die Begrenzung der
Arbeitszeit, die oft bessere Entlohnung, namentlich aber wichtige er-
ziehliche Momente. Auch wirken bei der Heimarbeit nachteilig auf
den Haushalt die oft endlos lange Arbeitszeit, die Nachtarbeit und die
Unordnung und der Schmutz, die gewisse Hausindustrien in den Haus-
halt bringen. Dem stehen als Vorzüge gegenüber die große Anpassungs-
fähigkeit der Heimarbeit an die Bedürfnisse des Haushalts, besonders
in zeitlicher Hinsicht. Die Bilanz der Möglichkeiten, die beide
Arbeitsarten der Frau in bezug auf die Haushaltführung gewähren,
scheint sich der Verfasserin dees zugunsten der Heimarbeit zu ge-
stalten. Gerade der Gesichtspunkt der Erhaltung der Frau für die Fa-
milie gibt einer nicht auf Abschaffung der weiblichen Heimarbeit ge-
richteten Heimarbeitspolitik ihre innere Berechtigung.
Für die „halben Kräfte“ ist die Frage der Heimarbeit nicht ein-
heitlich zu beantworten. Geschlecht, Alter und Gewerbe entscheiden
hier im Einzelnen. Von Interesse ist, daß das Alter der gelernten Heim-
560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
arbeiter sich kaum von dem der gewerblichen Arbeiter überhaupt
unterscheidet. Nur in den ungelernten -Berufen ist der Altersunter-
schied von Bedeutung und hier ergibt sich eine erhebliche Ueberlegenheit
der Heimarbeit für den älteren Arbeiter. Für die Wechselwirkung von
Heimarbeit und Fabrikschutzgesetzgebung ist wichtig, daß jede gut
organisierte und aufgeklärte Arbeiterschaft die Abschaffung der ersteren
für nötig zur Förderung der letzteren hält. Im Interesse der Gewerbe-
hygiene liegt sie jedenfalls, während die Frage, ob die Heimarbeit die
Löhne der Fabrikarbeiter drückt, nicht leicht zu beantworten ist. Da-
gegen verstärkt der Wunsch der organisierten Arbeiter, ihre Organi-
sation möglichst auszubreiten, ihre Agitation gegen die Heimarbeit.
An den Verhältnissen in der Textilindustrie und in der englischen Kon-
fektion wird endlich gezeigt, daß die Ueberführung in die Fabrik dem
Sweatingsystem keineswegs ein Ende macht, daher die neueste soziale
Gesetzgebung Englands ebenso rein fabrikmäßig betriebene wie Haus-
industrien zum Gegenstande hat. Das führt zu der wichtigen Schluß-
erkenntnis: „Es heißt eben das Problem der unterbezahlten Arbeit viel
zu eng fassen, wenn man darunter immer nur die Heimarbeit versteht.
Insbesondere das Problem der unterbezahlten weiblichen Heimarbeit
mündet in ein viel größeres ein und das heißt: „Ungelernte Frauen-
arbeit“.
In zweiten Teil wird eine ausführliche Uebersicht über die
genossenschaftlichen, gewerkschaftlichen und die auf die Abschließung
von Arbeitstarifverträgen gerichteten Selbsthilfebestrebungen der Heim-
arbeiter sowie über die Entwicklung und den Stand der die Heimarbeit
betreffenden Schutzgesetzgebung und Versicherung in den verschiedenen
Ländern gegeben. Die genossenschaftliche Selbsthilfe scheint der Ver-
fasserin nur unter besonders günstigen Umständen geeignet zu sein,
die Lage der Heimarbeiter zu heben. In der Organisationsfrage ver-
wertet sie ihren reichen Erfahrungsschatz auf das fruchtbarste und ent-
wickelt namentlich für die psychologischen Seiten dieses wichtigen
Problemteils und speziell in den die inneren Bedingungen der Organi-
sation betreffenden Fragen ein feines Verständnis. Von dem den christ-
lichen Gewerkschaften angeschlossenen Gewerkverein der Heimarbei-
terinnen (mit 8071 Mitgliedern), dessen Sekretärin sie war, bekennt
sie offen, daß er ohne die leitende Mitarbeit der Frauen anderer Stände
nicht zustande gekommen wäre noch von Bestand sein würde. Die
Frage, ob die Heimarbeiterinnen nicht besser den männlichen Berufs-
organisationen zuzuführen wären, erledigt sie mit dem Hinweis darauf,
daß in England wie in Deutschland diese letzteren sich nur da um die
Kolleginnen gekümmert hätten, wo ihnen diese als lohndrückende Kon-
kurrenz gegenübergetreten seien. Besonders beachtenswert sind die
Ausführungen über die technische Möglichkeit von Tarifverträgen in
Industrien mit schnellem Wechsel der Mode und großer Musterzahl. Sie
findet die Hauptschwierigkeiten nicht so sehr im Abschluß als in der
Durchführung solcher Verträge, über deren mangelndes Einhalten eben-
so wie über die Schwierigkeiten genügender Kontrollierung der Lohn-
zahlung allgemein geklagt werde. Nur eine verhältnismäßig kleine
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 561
Zahl von Heimarbeitern, namentlich von weiblichen, arbeiten daher
unter Tarifverträgen. Von letzteren wird eine Zusammenstellung zu
geben versucht.
Das neue Hausarbeitergesetz vermag die Verfasserin nicht mit
reiner Freude anzusehen, besonders weil es den wichtigsten Heimarbeiter-
schutz, den Lohnschutz, nicht enthalte. Immerhin bringe es wenigstens
einige wichtige Verbesserungen. Wieweit die sanitären Bestimmungen
und die Fachausschüsse sich bewähren würden, hänge von ihrer Hand-
habung ab.
Bei der Erörterung des Lohnämterproblems (Teil III) scheinen ihr
weit wichtiger als die bisherigen Versuche mit solchen die mit frei-
willigen, besonders mit tarifvertraglichen Lohnvereinbarungen gemach-
ten Erfahrungen zu sein. Das australische Beispiel beruhe auf eigen-
artigen Verhältnissen, das englische sei noch zu jung für ein sicheres
Urteil. Die Lohnämter seien aber der Idee wie der Wirklichkeit nach
nur ein Ersatz für fehlende oder zu schwach entwickelte Organisation.
Was gute Organisationen für ihren Bereich erlangt hätten, sollten und
könnten die Lohnämter auch erreichen. Mehr sei von ihnen nicht
zu erwarten. Namentlich seien ihre Lohnfestsetzungen durchaus von
den wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig und niemand würde die
Wirkungen eines falschen Entscheides schneller am eigenen Leibe
spüren als die das Lohnamt selbst bestellenden und bildenden
Arbeiter und Arbeitgeber. Eine eingehende Darstellung der austra-
Lachen und der englischen Lohnämter und der sozialen und wirt-
schaftlichen Lage der vier von den letzteren geregelten Industrien
mit einer Feststellung und kritischer Wertung ihrer Ergebnisse führt
zu denı Schluß, daß die Befruchtung der Organisationstätigkeit ihre
erfreulichste Wirkung sei. Was die Bemühungen von Generationen
nicht erreichen konnten, ist hier mit einem Schlage Tatsache geworden:
die Parteien sind auf eine verhandlungsfähige Basis gehoben. Außer-
dem geht aber durch alle noch nicht geregelten unteren Arbeiterschichten
und besonders durch die weiblichen nun ein allgemeines Erwachen. Sie
beginnen über ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse nachzudenken. End-
lich lehrt der englische Versuch, wie die amtlichen Vertreter bestätigen,
seine praktische Durchführbarkeit, selbst da, wo die verschiedenartig-
sten Bedingungen obwalten.
Daran schließt sich eine Wiedergabe und Besprechung der gleich-
artigen Österreichischen, französischen und belgischen Entwürfe sowie
der Entwicklung und des Standes der Lohnämterfrage in Deutschland,
wo das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und der Gedanke
immer weitere Kreise ergreift. Den Schluß bildet eine so weit als
möglich geführte, sehr beachtenswerte Untersuchung der Wirkungen
der Lohnämter, und zwar auf den Detailpreis, den Absatz und Kon-
sum, dio in- und die ausländische Konkurrenz sowie auf die Heim-
arbeit selbst. .
Das Buch ist vorzüglich geeignet, das Verständnis für die Heim-
arbeitfrage in weite Kreise bringen und es zugleich zu vertiefen.
Möge es ihm beschieden sein, der Entwicklung der Heimarbeit, an
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 36
562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
deren gänzliche Beseitigung ernstlich nicht mehr gedacht werden kann,
zu gedeihlichen Verhältnissen und zu einem gesunden Gliede am volks-
wirtschaftlichen Körper die Wege bahnen zu helfen.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
Halbwachs, La classe ouvrière et les niveaux de vie. Recherches
sur la hiérarchie des besoins dans les sociétés industrielles contemporaines.
Paris 1913. 80. 495 SS.
Das Werk enthält eine reichhaltige und tiefgreifende soziologisch-
statistische Studie über die Lebenshaltung der Arbeiterklasse, auf-
gebaut auf der Grundlage der beiden bedeutendsten Untersuchungen, die
in neuerer Zeit in Deutschland auf diesem Gebiete veranstaltet worden
sind, nämlich der vom Kaiserlich Statistischen Amt, Abteilung für
Arbeiterstatistik, vorgenommenen „Erhebung von Wirtschaftsrechnungen
minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche“ und „320 Haus-
Er ee en von Metallarbeitern‘“, bearbeitet und herausgegeben
vom Vorstand des deutschen Metallarbeiterverbandes, beide aus dem
Jahre 1909. Beigegeben sind ihr eine wertvolle Bibliographie aller
bedeutenderen Erhebungen über private Haushaltungsbudgets in den
verschiedensten Ländern und Jahren sowie eine vom Verf. aus den
Ergebnissen der erstgenannten Erhebung rechnerisch zusammengestellte
Tabelle, in der die Mitgliederzahl, die Einkommenshöhe und die Ver-
teilung der Ausgaben der untersuchten Haushaltungen zueinander in
Beziehung gesetzt sind.
In der Einleitung werden Begriff und Wesen der sozialen Klassen
und das sich daran knüpfende Interesse an eingehenden Studien über die
Konsumtionsgewohnheiten der Klassenangehörigen und ihre Lebens-
haltungsniveaus eingehend erörtert. Zugleich wird die Untrennbarkeit
derartiger Studien von einer Analyse der Arbeitsbedingungen oder der
Funktion der Konsumenten im Produktionsorganismus dargetan. End-
lich werden die Notwendigkeit, auf dem so gekennzeichneten For-
schungsgebiete bestimmte Grenzen innezuhalten sowie die Gründe auf-
gezeigt, auf denen es zweckmäßig erschien, sich auf die Arbeiter-
klasse und auf die Gegenwart zu beschränken. In letzterer Hinsicht
kommen namentlich die große Gleichförmigkeit und Einfachheit in
den Lebensgewohnheiten der Arbeiterklasse in Betracht, wodurch diese
im Verhältnis zu anderen Klassen ganz besonders homogen und zugleich
von diesen scharf geschieden erscheint. Da sie aber auch von allen
Schichten der Gesellschaft diejenige ist, die dem Einflusse und den
Impulsen ihrer Vergangenheit am wenigsten unterliegt, so hielt der Verf.
die historische Methode hier nicht für angebracht, vielmehr die Be-
schränkung auf die Gegenwart für geboten.
Von den drei Büchern, die den Inhalt bilden, beschäftigt sich das
erste mit den Grenzen und der Wesenseinheit der Arbeiterklasse unter
getrennter Behandlung der Bodenbebauer und der gewerblichen Arbeiter,
die beiderseits auf ihre technischen und rechtlichen Bedingungen hin
untersucht werden. Verf. kommt dabei, allerdings die Verhältnisse in
Frankreich ins Auge fassend, zu dem Ergebnis, daß sowohl nach ihren
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 563
wirtschaftlichen Verrichtungen als nach ihrer rechtlichen Lage die
Bauern sich mehr und mehr mit den gewerblichen Arbeitern iden-
tifizieren, daß bei den ersteren aber aus Gründen, die in der Gebunden-
heit ihrer Arbeit an die Natur liegen, ein Klassenbewußtsein sich nicht
entwickelt. Damit ein solches entstehe, muß das soziale Leben sich
hinlänglich intensiv, organisiert, von der Natur losgelöst gestalten,
muß die Arbeit die Menschen in mechanische und materielle Ver-
bindungen bringen, wie es im städtischen Leben der Fall ist. Die in-
dustriellen Arbeiter leben viel enger zusammengedrängt als die Bauern
und entwickeln außerhalb ihrer Arbeitsstätte ein von ihrem Berufe
unabhängiges, intensives soziales Leben, was sie dazu führt, Qualität
und Umfang ihrer Bedürfnisse in kollektiven Vorstellungen zu formu-
lieren. Die Masse der Bauern und die Gesamtheit der städtischen
Arbeiter stehen sich sonach nicht wie zwei verschiedene Klassen, son-
dern nur wie zwei „genres de vie“ gegenüber. Die gewerbliche Arbeiter-
schaft bildet ihrerseits trotz der Arbeits- und Berufsteilung ein soziales
Ganzes. Durch den Charakter der modernen gewerblichen Arbeit, die
den Arbeiter zu einer Art lebendiger Maschine und zu einem bloßen
Rädchen im industriellen Organismus macht, wird die Entstehung
eines lebendigen kollektiven Bewußtseins innerhalb der Angehörigen
einer jeden durch die Arbeitsteilung gebildeten Gruppe nicht gefördert,
sondern gerade verhindert. Der Arbeiter findet sich in seiner Arbeit
und durch sie nur zu den Arbeitsmitteln, nicht auch zu den Menschen
in Beziehung gesetzt. Er steht den seelenlosen Naturkräften isoliert.
gegenüber. Nicht aus den technischen Bedingungen der Arbeit, sondern
aus den Beziehungen von Person zu Person, aus dem Lohnverhältnis,
aus dem Gefühl bestehender Quantitätsbezichungen zwischen Lohn und
Preis des Produkts, aus der Vergleichung der Lage der Arbeiter mit
derjenigen anderer Klassen entspringen soziale Vorstellungen, die das
Klassenbewußtsein wachrufen.
Das zweite Buch behandelt die Ausgaben der Arbeiter, das dritte
die in ihren Konsumtionsverhältnissen waltenden Tendenzen. Die ge-
nannten beiden Erhebungen dienen hier hauptsächlich, daneben aber
auch andere, zum Teil französische, als Material, aus dem die Antworten
auf die sich aufdrängenden Fragen entnommen werden. Jene beiden
Erhebungen sind nach Halbwachs die weitaus besten ihrer Art, wenn
auch bei der Verschiedenheit ihres Umfangs und ihrer Methode ihre
Ergebnisse keineswegs gleichartige sind. Ueberhaupt scheinen ihm
privato Haushaltungsrechnungen zwar vielerlei Bedenken zu unterliegen,
doch bessere Mittel nicht vorhanden zu sein, um die Ausgaben der Ver-
braucher näher kennen zu lernen. Auch die nationalen Verschiedenheiten
gelten ihm nicht als bedeutend genug, um daraus entscheidende Be-
denken gegen die Ableitung von für die gesamte Arbeiterklasse gültigen
Schlüssen entnehmen zu können. Er verwertet daher dieses Material
nach jenen beiden Hauptrichtungen hin unter den verschiedensten
Gesichtspunkten. Dabei ist er der Benutzung von Durchschnittszahlen
für die Zwecke seiner Untersuchung stark abgeneigt, denn es sind nicht
individuelle Differenzen, die sich in ihnen abschwächen und ausgleichen,
36*
564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
sondern soziale Divergenzen, die sich gegenseitig verdunkeln, während
gerade ihre sorgfältige Hervorhebung die Pflicht des Beobachters wäre.
Dagegen versucht er mit anderen Mitteln der Statistik, wie dem Median-
wert, dem dichtesten Werte und der Methode typischer Einzelbeobach-
tungen zum Ziele zu kommen. Zu den wichtigsten der dabei erzielten
Ergebnisse gehört die Feststellung, daß kein Bedürfnis rein physisch
oder individuell ist, vielmehr die Bedürfnisse alle soziale sind, d. h. in
der Richtung vor Zwecken liegen, welche die Gesellschaft vertritt und
die sie dem Einzelnen in weitem Maße und um so reichlicher setzt, je
komplizierter und intensiver das soziale Leben in der Gruppe, der er
angehört, sich entfaltet. Ferner daß der Beruf als solcher gar keinen
Einfluß hat auf die Entstehung der Regelmäßigkeiten wie der Aus-
nahmen in den gegenseitigen Beziehungen der Einkommenshöhe und
der Zusammensetzung der Familien einerseits, zu den Beträgen der ver-
schiedenen Ausgaben und ihrem Verhältnis zur Gesamtausgabe ander-
seits. Keine soziale Gruppe fesselt mit engeren Banden auch heute
noch den Arbeiter als seine Familie, besonders wenn mehrere ihrer
Glieder in derselben Stadt wie er wohnen. Aber die Glieder dieser
Familien gehören oft ganz verschiedenen Berufen an.
Die durch statistische Tabellen und graphische Veranschaulichungen
reich belebten Untersuchungen erstrecken sich in den Hauptzügen auf
die Ausgaben in Städten verschiedener Größe und in verschiedenen
Berufen, ferner auf die Abstufung der Einkommen nach Be-
rufen, die Verteilung der Einzelausgaben in den nach der Zusammen-
setzung der Familie wie nach der Gesamtausgabe differenzierten Arbeiter-
haushalten, die Ernährungs- und die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter.
Die bekannten Engelschen Sätze werden dabei auf ihre Richtigkeit ge-
prüft und teils bestätigt teils berichtigt. Es scheint dem Verf., daß
mit steigendem Einkommen die Ausgabe für Nahrungsmittel im Ver-
hältnis zu den übrigen Ausgaben abnimmt, der Anteil der Wohnungs-
ausgabe für die Haushaltungen mit wenigen Mitgliedern wächst, für
die übrigen gleich bleibt, daß die „anderen Ausgaben“ und die für
Kleidung wachsen, die für Heizung und Beleuchtung abnimmt.
Das dritte Buch wird als Beitrag zu einer soziologischen Theorie
der Bedürfnisse eingeführt. In dieser tiefdurchdachten und feinbegrün-
deten individual- und sozialpsychologischen Studie wird zunächst die in-
dividualistische Bedürfnistheorie scharf kritisiert und dabei besonders
gegen die Grenznutzenlehre entschieden Stellung genommen, die auf
einer völlig irreführenden Voraussetzung beruhe, insofern sie annehme,
daß die Bedürfnisse an und für sich, abgesehen von allen sozialen Be-
ziehungen zwischen den Menschen, Quantitäten darstellten. Man ver-
wechsele dabei die Bewußtseinszustände mit ihren Ursachen oder ihren
physischen Erscheinungsformen, weil man den Zusammenhang zwischen
diesen und jenen gar nicht kenne. Weiter wird die Gliederung der Be-
dürfnisse, und zwar trotz der äußersten Verschiedenheit ihrer näher
geschilderten Gegenstände und Formen, nach Einteilungsprinzipien
sozialen Charakters als notwendig nachgewiesen und durchgeführt.
Das Gesamtergebnis ist, daß Natur und Zahl aller wichtigen Be-
dürfnisse durch die Gesellschaft bedingt sind. Doch kann man daraus
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565
noch nich! ableiten, welcher Rang und welche relative Intensität ihnen
innerhalb einer durch die Größe der Familie oder des Einkommens
oder durch den Beruf, den Ort oder sonstwie bestimmten Gruppe zu-
kommt. Um sich darüber zu unterrichten, muß man, wie im zweiten
Buche versucht worden, auf die Tatsachen selbst näher eingehen. Man
kann dann aber auch den ganzen Sinn der Feststellungen, zu denen,
man dabei gelangt, viel besser verstehen. Von diesen sei als die wich-
tigste hier genannt, daß die Arbeiter bei steigendem Einkommen nicht
ihre Wohnungsverhältnisse (Wohnung, Wohnungsausstattung usw.) ver-
bessern, sondern das Mehr zu Ausgaben verwenden, die ihren Gegen-
stand außerhalb der Familie, in der Gesellschaft im weiteren Sinne
haben. Sie opfern das Wohnungsbedürfnis den Ausgaben für Kleidung,
Vergnügungen, kurz alledem, was sie in engere Berührung mit den
Gruppen der Straße oder ihrer Klasse bringt. Ueberhaupt ist von allen
wirtschaftlichen Bedürfnissen der Arbeiter das Wohnungsbedürfnis das
am wenigsten entwickelte. Auf dem Gebiete der gesamten „Arbeiter-
wohnungsfrage“ liegen, wie diese kurzen Wiedergaben schon erkennen
lassen, die wichtigsten und verdienstvollsten der Forschungsergebnisse
und Anregungen, die das Werk in reichem Maße enthält.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
Marschallvon Bieberstein, Freih., Landrat des Unterwester-
waldkreises, Die Sparpflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage.
Jena (Gustav Fischer) 1914.
An der vorliegenden 130 Seiten umfassenden Schrift sollte keiner
vorübergehen, dem die Lösung der Wohnungsfrage wirklich am Herzen
liegt. Die Enttäuchung, die der preußische Wohnungsgesetzentwurf den
vielen gebracht hat, welche hofften, durch diesen auf dem Wege zur
Besserung der Wohnungsverhältnisse einen entschiedenen Schritt weiter
zu kommen; die Erklärung‘der Regierung: „große Mittel zur Be-
seitigung gibt es nicht“, hat wohl auf weite Kreise lähmend gewirkt
und allgemein deprimiert. Da ist es um so freudiger zu begrüßen, daß
ein Verwaltungsbeamter, ein Mann der Praxis, mit einem geradezu
genialen Gedanken hervortritt, der mit einem Schlage ganz andere
lichtvolle Perspektiven eröffnet. In der vorliegenden Broschüre wird
dieser Gedanke in großen Zügen entwickelt. Es ist ein reiflich durch-
dachter, sorgsam durchgearbeiteter Plan, bei dem auch alle Gegengründe
und Schwierigkeiten sachlich erwogen sind.
Es handelt sich um folgendes: „Zum Zwecke einer großzügigen
Wohnungsfürsorge reichsgesetzlich eine Sparpflicht für jugendliche Ar-
beiter beiderlei Geschlechts zu statuieren und so, unter weitgehender
Zuhilfenabme des Kredites der Kommunen und unter möglichster Heran-
ziehung des Privatkapitals, die Summen zu beschaffen, die für eine
Lösung der Wohnungsfrage, falls sie im großen Stile und in der
Hoffnung auf dauernden Erfolg betrieben werden soll, als unerläßlich
erscheinen.‘
Schon ohne jenes wichtige Ziel, meint Marschall, sei eine solche
Einbehaltung eines Teiles des Lohnes der Jugendlichen wertvoll, da
diese sich durch ihre im Verhältnis zu den Löhnen der erwachsenen
566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Arbeiter übermäßig hohen Löhne meist an Ansprüche und Ausgaben
gewöhnen, die sie später als Familienväter und -mütter nicht aufrecht
erhalten können. Der Verfasser ist sich wohl bewußt, daß ein so tiefer
Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit bei den Betroffenen wenig Gegen-
liebe finden wird und läßt auch die sicher in vielen Einzelfällen ent-
gegenstehenden ernsten Gründe durchaus gelten, glaubt aber, daß das
wichtige Ziel, die Nichtberücksichtigung dieser Gründe rechtfertigt,
zumal bei liberaler Gewährung von Ausnahmen. In der Tat ist nicht
einzusehen, warum der Versicherungszwang nicht auch nach dieser
Richtung ausgebaut werden soll, zumal er jeden einzelnen nur 7 Jahre
seines Lebens hindurch belastet und die Wohltat jener Lohneinbehaltung
schneller, sicherer und augenfälliger zutage tritt als bei den anderen
Versicherungen. Die Gefahr, daß die Versicherungsanteile auf die
Arbeitgeber: abgewälzt werden, ist hier kaum zu befürchten, da die
Jugendlichen keine Macht repräsentieren, die geschlossen auf Lohn-
steigerungen hinzuwirken vermag.
Der Verfasser denkt sich die Sache folgendermaßen: Die Gelder,
welche durch Sparzwang einbehalten werden (10 Proz. des Lohnes der
Jugendlichen), werden ergänzt durch Beiträge der Kommunen und durch
vermittels Aktienausgabe erzielter Beiträge privater Kapitalisten in je
gleicher Höhe. Von allen Städten über 40000 Einwohner, von den
Kreiskommunen oder Zweckverbänden für das Land und die kleinen
Städte wird eine „gemischt wirtschaftliche‘ Baugesellschaft errichtet
mit der Aufgabe, mit jenen Geldern den Bedarf an Kleinwohnungen in
bestmöglicher Weise zu decken. Die einbehaltenen Gelder der heran-
gewachsenen Jugendlichen verbleiben der Baugesellschaft dauernd,
eventuell durch Generationen hindurch, und werden nur ausbezahlt,
wenn das Kapital zum Ankauf eines eignen Häuschens verwendet
werden soll. Von den Zinsen, die als Dividende einen verhältnismäßig
hohen Prozentsatz erreichen können, deren untere Grenze aber durch
die Stadt- resp. Kreiskommune garantiert ist, wird ein Teil der Miete
direkt an die Vermieter gezahlt, soweit sie nicht der Baugesellschaft
als Vermieter verbleiben.
Dies nur die allerwichtigsten Gedanken, die, wie erwähnt, in der
Broschüre weiter ausgeführt sind und dadurch noch überzeugender
wirken.
Eins haben wir allerdings hier, wie an den meisteu derartigen Plänen
resp. Einrichtungen auszusetzen, daß nur die jugendlichen Arbeiter
jenem Sparzwang unterworfen werden sollen, warum nicht auch höhere
Kategorien von jungen Erwerbstätigen. Damit würde auch die Be-
sorgnis des Verfassers, daß der Mittelstand seinen Vorschlag als
mittelstandsfeindlich auffassen könnte, weil manche kleine Bauunter-
nehmer und Handwerker durch die Tätigkeit der gedachten Baugesell-
schaften lahmgelegt, werden viel an Grundlage entzogen. Allerdings
müßte für diese wohl der Sparzwang auf etwa das 16.—23. Jahr ver-
schoben werden, wodurch eine größere Anzahl Jugendlicher später ab-
fallen würde, wegen Militärpflicht der jungen Männer und wegen Heirat
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567
der Mädchen. Dennoch sollte man, scheint uns, sich nicht auf die ein-
fachen Arbeiter beschränken.
Wir hoffen, daß die Schrift weiteste Verbreitung findet und daß
die sozial interessierten und zumal die die Sozialpolitik schaffenden
Kreise sich eingehend mit dem Gedanken des Sparzwanges der Jugend-
lichen beschäftigen, um ihn in nicht allzu ferner Zeit der Verwirklichung
entgegenzuführen. Aber auch die Gegner eines neuen Versicherungs- -
zwanges sollten das Buch zur Hand nehmen, um die darin enthaltenen
wertvollen Anregungen auf sich wirken zu lassen, denn es ließe sich
vielleicht daran denken, einen Teil der durch die bereits bestehenden
Versicherungen einlaufenden- Kapitalien in der Weise zu einer durch-
greifenden Besserung der Wohnungsverhältnisse zu verwerten, wie der
Verfasser sie vermittels des Sparzwanges Jugendlicher im Auge hat.
Dr. Else Kesten-Conrad.
Pudor, Dr. Heinrich, Zur Sozialpolitik des Mittelstandes. (Kultur und
Fortschritt, No. 517—519.) Gautzsch bei Leipzig, Felix Dietrich, 1914. 8. 41 SS.
Je M. 0,25.
Wirtz (Rechtsanw.), Dr. Edm., Wohnungsverhältnisse, Bauordnung und
Grundstückspolitik der Stadt Cöln und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit.
(Zeitfragen, Bodenpolitische. Hrsg. von Präs a. D. Prof. Dr. R. van der Borght,
Heft 2.) Berlin, Carl Heymann, 1914. gr. 8. 99 SS. mit 1 farb. Tafel. M. 1.—.
Martin, Prof. J., L’activite sociale des étudiants catholiques allemands.
Recueil de documents traduits. (Vox temporis No. 6.) M.-Gladbach, Volksvereins-
Verlag, 1914. 8. 82 SS. M. 1.—.
Foster, W. Trufant, The social emergency; studies in sex hygiene and
morals; with an introduction by C. W. Eliot. Boston, Houghton Mifflin. 12. 222 pp.
8 1,35.
Hobson, J. Atkinson, Work and wealth; a human valuation. New York,
Macmillan. 8. 16-+367 pp. $ 2.—.
Gonzales, C. Em., La soluzione del problema sociale della donna. Palermo,
tip. fratelli Marsala, 1914. 24. 16 pp. Cent 50.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde,
Moses, Robert, The Civil Service of Great Britain. Studies in
History, Economics and Public Law, edited by the Faculty of Political
Science of Columbia University, Vol. 57, Nr. 1. New York (Columbia
University) 1914. Geb. 2 $.
Das Buch von Moses läßt uns einen interessanten Einblick in die
Regierungsmaschinerie des britischen Weltreiches tun. Verf. verfolgt
dabei den besonderen Zweck, seinen amerikanischen Landsleuten die Ver-
hältnisse des englischen Civil Service als in vielem mustergültig vor-
zuhalten.
Das Buch setzt die den englischen Lesern geläufige Trennung des
englischen Verwaltungsapparates in die politischen Chefs der einzelnen
Verwaltungszweige und in die unpolitischen Verwaltungsbeamten, den
eigentlichen Civil Service, als bekannt voraus. Das System der parla-
mentarischen Regierung bringt es bekanntlich mit sich, daß nicht nur die
Chefs der einzelnen Ministerien, sondern auch die sogenannten parla-
mentarischen Unterstaatssekretäre und Sekretäre bei einem Regierungs-
wechsel aus dem Amte scheiden, während der eigentliche Civil Service
568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in England durch einen solchen gar nicht berührt wird. Diese Stetig-
keit, die den englischen Civil Service von jeher ausgezeichnet hat,
unterscheidet ihn vorteilhaft von dem amerikanischen System, dem soge-
nannten Rotations- und Beutesystem (system of rotation and ,„spoils`).
Es besteht darin, daß die bei den Wahlen siegreiche Partei nicht nur
die als politische herausgehobenen hohen Posten, sondern fast alle Ver-
waltungsstellen mit politischen Parteigängern neu besetzt.
Den Hauptteil des vorliegenden Buches bildet die Schilderung der
Entwicklung des englischen Civil Service in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts, von dem ursprünglich herrschenden Patronagesystem
bis zu dem heutigen System der auf freiem Wettbewerb (open compe-
tition) beruhenden Staatsexamina.
Die sonst so durchgreifende Reform Bill des Jahres 1832 hatte das
Patronagesystem innerhalb des Civil Service unberührt gelassen, ohne
daß man dadurch aber zu amerikanischen Zuständen gelangte. Denn
wenn auch die Ernennung der Beamten des Civil Service seitens der
politischen Departementschefs durch politische Rücksichten und Er-
wägungen beeinflußt wurde, so gerieten die Ernannten doch niemals in
Gefahr, den Parteigängern einer neuen Regierung den Platz räumen zu
müssen. Dagegen bestand der Hauptnachteil des Patronagesystems in
der Aufnahme ungeeigneter und unfähiger Elemente, die natürlicher-
weise einen besonders engherzigen Bürokratismus großzogen. Derselbe
machte sich vor allem in der Kolonialverwaltung so unangenehm be-
merkbar, daß der bezeichnete Bericht von Lord Durham des Jahres
1839 über die Zustände in Britisch-Nordamerika diesem Bürokratismus
eine große Mitschuld an dem Abfall der amerikanischen Kolonien vom
Mutterlande zuschrieb. Oeffneten diese schweren Verluste in England
die Augen über die Mängel des Patronagesystems, so ist es kein Zufall,
daß dasselbe zuerst in einem sehr wichtigen Zweig der auswärtigen Ver-
waltung abgeschafft wurde, und zwar in der Verwaltung Indiens. Die
Einführung eines offenen Examens zum Eintritt in den Indian Civil
Service ist größtenteils das Verdienst Macaulays. Das Examen war allge-
meiner, besonders literarischer Natur. Ein Probejahr schloß sich vor
der endgültigen Uebernahme an dasselbe an.
Dieser Reform des Jahres 1853 folgte allmählich die Reformierung
der übrigen Zweige des Verwaltungsdienstes. Eine in diesem Jahre er-
nannte Kommission sprach sich nach dem Muster des Indian Civil
Service für die allgemeine Einführung der open competition und für die
Einteilung der Verwaltungsbeamten (clercs) in 2 Klassen aus, nämlich
in einen höheren Verwaltungsdienst, der mit akademisch Gebildeten
besetzt werden sollte, und einen niederen Verwaltungsdienst für die mehr
mechanische Schreibarbeit. 2 Jahre später wurde durch Ordre im
Concil eine unabhängige Examenskommission, die Civil Service Com-
mission, geschaffen. Im Jahre 1870 war dann der Reformprozeß fürs
erste beendet, das Patronagesystem endgültig beseitigt und das Prinzip
des freien Wettbewerbs allseitig durchgeführt. Auch die eben erwähnte
Zweiteilung in first class und second class clercs wurde fast in allen
Ministerien eingeführt. Trotzdem eine neue Kommission des Jahres
1875 Zweifel an dem Erfolg des open competition-Systems verlauten
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569
ließ, hielt man doch, von geringen Rückschlägen abgesehen, an den
neuen Errungenschaften fest. In den Jahren 1888—1890 tagte eine
neue Kommission, die unter anderem auch die schwierige Frage der
Abgrenzung des höheren und niederen Verwaltungsdienstes erneut prüfte.
In den letzten 2 Jahren saß schließlich die letzte Untersuchungskom-
mission über die Zustände im Verwaltungsdienste. deren — in dem vor-
liegenden Buch noch nicht berücksichtigter — Bericht im April 1914
erschien. Sie kam zu dem Gesamtresultat, daß — abgesehen von
einigen Mängeln — die verschiedenen Reformen des Civil Service die
Schaffung eines tüchtigen Beamtenstandes erreicht hätten, und daß zu
diesem Erfolg das System des freien Wettbewerbs wesentlich beigetragen
habe.
In dem letzten Kapitel seines Buches gibt Moses einen Vergleich
der englischen und amerikanischen Zustände, der sehr zuungunsten
seiner Heimat ausfällt. Besonders rügt Verf. den tatsächlich bestehenden
Ausschluß des freien Wettbewerbs, die damit in Zusammenhang stehende
mangelhafte Vorbildung der Beamten und die mangelnde Unterscheidung
eines höheren und eines niederen Verwaltungsdienstes, deren Fehlen in
einer mißverständlichen Auffassung der Demokratie ihren Grund hat.
Auch die deutschen, vor allem die preußischen Verhältnisse zieht
Verf., freilich wohl ohne tiefere Kenntnis unserer Einrichtungen, zum
Vergleiche heran. So berühren die von ihm gebrauchten Ausdrücke
„Staatsreferendar“ und „Staatsökonomie‘“ seltsam (S. 62). Sie sind
auch unnötig, da Verf. selbst an derselben Stelle die richtigen Aus-
drücke „Regierungsreferendar‘“ und „Staatswissenschaft‘‘ verwendet. Der
Vergleich zwischen den deutschen und den englischen Einrichtungen ist
nun aber vor allem in zweierlei Hinsicht von Interesse.
Zunächst ist es die absolut scharf durchgeführte Scheidung von
niederem und höherem Verwaltungsdienst, die Verf. als das deutsche
System bezeichnet (S. 119). Ein Aufsteigen vom niederen in den
höheren Verwaltungsdienst ist bei uns unter normalen Verhältnissen
— für abnorme Verhältnisse vergleiche man den in dieser Hinsicht sehr
interessanten Fall des Schwindlers Thormann — nicht möglich. Dem-
gegenüber ist nach dem englischen System die Scheidung nicht so
schroff, da Uebernahmen aus dem niederen in den höheren Verwaltungs-
dienst bei besonderer Tüchtigkeit öfters vorkommen. Der Report von
1914 schlägt übrigens eine Dreiteilung vor. Er will die Beamten des
höheren Verwaltungsdienstes als „Administrative Class“ bezeichnen und
ihr eine gehobene mittlere Klasse unter dem Titel „Senior Clerical
Class“ und eine Unterbeamtenklasse unter der Bezeichnung „Junior
Clerical Class“ gegenüberstellen.
Wichtiger ist aber der zweite Vergleichspunkt, der wohl zugunsten
Englands spricht, und das ist die Frage der Art und des Zeitpunktes
des Examens. Im Anschluß an Macaulay ist das englische Examen für
den höheren Verwaltungsdienst noch heute kein Fachexamen, sondern
soll einen Ueberblick über die allgemeine Befähigung des Kandidaten
ergeben. Ueber die dabei gestellten Anforderungen gibt der dem Buche
von Moses beigegebene Anhang guten Aufschluß (vgl. z. B. S. 290 ff.).
Dieses Examen kann nur im Alter von 22—24 Jahren abgelegt werden.
570 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Da immer nur so viel Kandidaten als bestanden erklärt werden, als
Stellen vorhanden sind oder in nächster Zeit frei werden, so hat dieses
System gegenüber dem deutschen eine Reihe von Vorteilen. Die erfolg-
reichen Kandidaten kommen in jungen Jahren in gut bezahlte Stellen
(von 200 '£ aufwärts). Die Durchgefallenen sind auf der anderen Seite
noch nicht überaltert und können jede neue Chance ergreifen, zumal sie
sich ja noch auf keine Fachbildung festgelegt haben. Denn ein Körn-
chen Wahrheit steckt zweifellos in dem folgenden Satze von Moses:
„+ + the Regierungsreferendar ... . . must be conspicuously incapable
to fail in the ultimate examinations when family and political pressure
are added to the scruples of the examiners against turning a man of
28 loose in the world without a vocation“ (S. 62). Und die Bewegung
gegen die von Zeit zu Zeit seitens der Regierungsbehörden gemachten
Versuche, größeren Gruppen von Leuten, die beide Staatsexamina ge-
macht haben, die Anstellung im Staatsdienste überhaupt zu verschließen,
hat ihren berechtigten Grund in dem Gefühl, daß der Staat die Pflicht
hat, Leute, von denen er weiß, daß er sie doch nicht beschäftigen kann,
in einem Zeitpunkte abzulehnen, in dem ihnen noch ein anderes Fort-
kommen möglich ist. In dieser Hinsicht vermeidet das englische System
viel Verbitterung und läßt denjenigen, der sich dem Examen unterzieht,
seine Chancen viel klarer übersehen, als das bei uns möglich ist.
Auf verschiedene andere interessante Punkte einzugehen muß ich
mir versagen. Auf jeden Fall bietet das Buch von Moses für die heute
in allen Ländern so wichtige Frage der zweckmäßigsten Regelung des
Staatsdienstes eine Fülle von interessantem Vergleichsmaterial.
Günterstal bei Freiburg (Baden). Köllreuter.
Bendix (Rechtsanw.), Dr. Ludw., Der gesetzliche Zahlungsaufschub im
Kriege, nebst Anhang neuerer und neuester Moratoriengesetze des In- und Aus-
landes. Berlin, Carl Heymann, 1914. gr. 8. VIII—70 SS. M. 2.—.
Beutner, W., Die Rechtsstellung der Ausländer nach Titel II der preußi-
schen Verfassungsurkunde. (Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- und
Völkerrecht, XII, 2.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1913. M. 3,20.
Forch (Reg.-Rat), Dr., Patent- und Musterschutz im Deutschen Reich
(Staatsbürger-Bibliothek, Heft 51.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, '1914. 8.
48 SS. M 0,40.
Glaser (Rechtsanw.), Dr. Fritz, Der Einfluß des Krieges auf Privatrechts-
verhältnisse. Gemeinverständlich dargestellt. Nebst Anhang: Die privatrechtlichen
Kriegsgesetze und Kriegsverordnungen mit Erläuterungen. Dresden, F. Emil
Boden, 1914. 8. 48 SS. M. 0,50.
Heiman (Synd.), Hanns, u. (Rechtsanw.) Ernst Tauber, Drs., Wichtige
kaufmännische Rechtsfragen in Kriegszeit (nebst Anhang: Notgesetzliche Bestim-
mungen, betr. Gläubiger und Schuldnerschutz während des Krieges.) Berlin,
Verlag für Fachliteratur, 1914. 8. 48 SS. M. 0,75.
Jaffa (Rechtsanw.), Dr. S., Das Prozeßverfahren während des Krieges.
Eine Erläuterung des Gesetzes vom 4. 8. 1914, betr. den Schutz der infolge des
Krieges an Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen. 20 SS. M. 1,30. —
Zahlungsaufschub und Konkursverhütung während des Krieges. Eine Zusammen-
stellung und Erläuterung der neuen gesetzlichen Bestimmungen über das Teil-
moratorium, die Konkursverhütung, den Wechselprotest sowie die Stundung von
Miet- und Hypothekenforderungen. M. 1,20. Berlin, Conrad Haber, 1914. 8.
Koller (Oberstaudit., oberster Landwehrgerichtsh.-Rat), Dr. Alex, Aus-
nahmegesetze und Verordnungen für den Kriegsfall in der österreichisch-ungarischen
Monarchie. (Manzsche Gesetzausgabe No. 84.) Wien, Manz, 1914. kl. 8. X—250 SS.
M. 1,80.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 571
Kriegsgesetze, Die, vom August 1914, erläutert durch die einschlägigen
Vorschriften des Bundesrats und die bayerischen Vollzugsvorschriften. Mit einem
Anhang: Die Gestaltung der Privatrechtsverhältnisse durch den Krieg. (Schweitzers
Textausgabe.) München, J. Schweitzer, 1914. kl. 8. VIII—95 SS. M. 1,20.
Leifer, Dr. Frz., Die Einheit des Gewaltgedankens im römischen Staats-
recht. Ein Beitrag zur Geschichte des öffentlichen Rechts. München und Leipzig,
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. X11I—326 SS. M. 8.—.
Müller, Dr. Hans, Das KExpropriationsrecht in der Schweiz. Mit be-
sonderer Berücksichtigung der eidgenössischen und der zürcherischen Gesetzgebung.
(Beiträge zur schweizerischen Verwaltungskunde. Hrsg. von der schweizerischen
Staatsschreiber-Konferenz, Heft 17.) Zürich, Orell Füßli, 1914. gr.8. 73 SS. M.2.—
Pannier, Karl, Die Verfassung des Deutschen Reichs, nebst dem Ein-
führungsgesetz für Elsaß-Lothringen, dessen Verfassungs- und Wahlgesetz und
Gesetzen verwandten Inhalts. Textausgabe mit kurzen Anınerkungen und Sach-
register. 19. Aufl. (Universal-Bibliothek, No. 2732.) Leipzig, Philipp Reclam,
1914. 16. 136 5S. M. 0,60.
Pechhold, Eugen, u. Hans Ullmann, Drs., Das geltende Recht der
Pensionsversicherung, unter Berücksichtigung der Novelle vom 28. 6. 1914. Wien,
Dr. Eugen Pechhold, 1914. 8. 96 SS. M. 1,50.
Sartorius, Prof. Dr. Carl, Modernes Kriegsrecht. Sammlung von Staats-
verträgen über Land- und Scekriegsrecht. Mit Einleitung und Sachregister hrsg.
München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, 1914. kl. 8. XIII—162 SS.
M. 2,25.
Sieskind (Landrichter a. D.), Dr. J., Prozeßrechtlicher Schutz der Kriegs-
zeit. Ein Kommentar zum Gesetz, betr. den Schutz der infolge des Krieges an
Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen, vom 4. 8. 1914. Berlin,
J. Guttentag, 1914. 8. 70 SS. M. 1,60.
Sutner (OÖber-Reg.-Rat), Carl Aug. v., Das Gesetz über den Kriegszustand
vom 5. 11 1912 in der Fassung des Gesetzes vom 6. 8. 1914. Mit Erläuterungen
und einem Anhang, enthaltend die Vollzugsvorschriften, das Gesetz über das Ein-
schreiten der bewaffneten Macht u. a. München, ©. H. Becksche Verlagsbuch-
handlang, 1914. kl. 8. III—111 SS. M. 2,10.
Thaa (Minist.-Sekr.), Wilh. Ritter v., Das novellierte Pensionsversiche-
zungsgesetz. Mit Materialien und einer Uebersicht über die durch die Novelle
nicht berührte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Wien, Manz, 1914.
kl. 8. VII—162 SS. M. 1,70.
Zeitungsrecht, Das deutsche, in Einzeldarstellungen. Hrsg. vom Verein
deutscher Zeitungs-Verleger. 4. Bd. Das Anzeigenrecht. Eine systematische Dar-
stellung der rechtlichen Verhältnisse des Anzeigenwesens. 2. vollständ. umgearb.
Auflage. Magdeburg, „Der Zeitungsverlag“, Verein deutscher Zeituugsverleger,
1914. gr. 8. X—280 SS. M. 6.—.
Benson, Allan L., Our dishonest constitution. New York, Huebsch, 1914.
12. 182 pp. $ 1.—.
Oppenheimer, Franz, The state; its history and development viewed
sociologically: auth. transl. by J. M. Gitterman. Indianapolis, Bobbs-Merril. 12.
6 +302 pp. $ 1,25.
Legge comunale e provinciale: testo completo commentato ed illustrato nelle
disposizioni che si riferiscono alle elezioni amministrative con le circolari e le
istruzioni del ministero dell’ interno. Roma, tip. Camera dei Deputati, 1914. 16.
VIII —234 pp. 1. 2.—.
Lessona (avv.), Silvio, Trattato di diritto sanitario. Vol. I. (Concetti
fondamentali, Le professioni sanitarie.) Torino, fratelli Bocca (E. Schioppo), 1914.
8. 447 pp. 1. 12.—.
Ravà, Ad., Lo stato come organismo etico. Roma, soc. ed. Athenaeum,
1914. 4. 83 pp. 1. 3.—.
Zanghi, dott. Aug., Manuale di contabilità generale dello stato. Seconda
edizione, riveduta e corretta. Roma, E. Voghera, 1914. 8. XXVII—523 pp.
1. Ba
572 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Forberger (Pastor), Joh., Moralstatistik Süddeutschlands. Berlin
(Sämann-Verlag) 1914. 138 SS. 2 M.
Der Dresdener Pastor Forberger hat schon vor einigen Jahren sich
als Moralstatistiker bekannt gemacht, als er seine Moralstatistik des
Königreichs Sachsens veröffentlichte. Eine für Ethik und Volkskunde
nicht unbrauchbare Schrift. Nun hat Forberger in der vorliegenden
kleinen Studie einem weiteren Kreis von Lesern, die persönlich oder be-
ruflich ein Interesse an solchen ‘Ergebnissen haben, einen Ueberblick über
die moralstatistische Lage der süddeutschen Länder gegeben. Eingehende
Untersuchungen anzustellen, war nicht des Verf. Absicht. Ihm kam es
lediglich nur darauf an, vergleichende Darstellung zu bieten. Lehrt
ja doch der vergleichende Gesamtüberblick „manches sehen, begreifen
und richtiger beurteilen, was ohne solchen Ueberblick unbeachtet und
unverständlich bleibt oder einseitig beurteilt wird.“ Daß wir jedoch
durch moralstatistische Zahlen kein definitives Wissen über das Sitten-
leben erhalten, darüber ist sich Verf. von vornherein klar. Denn, ‚was
hinter den Zahlen steht und in ihnen nur ein Spiegelbild findet, das
wirkliche Volksleben in seiner unendlichen Fülle von Einzelheiten und
verschiedenartigen Ausgestaltungen, das lernt man aus statistischen
Zahlen nicht kennen.“ 100 Selbstmorde aus rein ideellen Motiven,
aus patriotischen z. B., machen letzten Endes doch nicht doppelt soviel
Selbstmorde aus wie deren 50 aus kraß egoistischem, materialistisch
motiviertem Lebensüberdrusse? Und doch ist jenes nach den gewöhn-
lichen statistischen Begriffen ganz unbestreitbar eine doppelt so hohe
Selbstmordfrequenz wie dieses. Aber gibt es im Gebiete der sozialen
Erscheinungen nicht auch Motive und Folgen der Taten, welche sich
eigentlich gar nicht quantitativ, d. h. mit Ziffern, sondern nur durch
Werturteile, also nur qualitativ, ausdrücken lassen ? Weil diese Frage
sich nicht negativ beantworten läßt, kann, wie auch Forberger selbst
zugeben muß, die Moralstatistik nicht in die Tiefe der Motive aller
zahlenmäßig erfaßbaren menschlichen Taten eindringen. Leider kann
aber auch die Moralstatistik von den guten und edlen Taten der Men-
schen viel weniger erfassen als von den üblen, so daß sie uns „notge-
drungen eine Anhäufung pessimistischen Materials“ bietet. Obwohl hier
kein Berufsstatistiker die Feder ergriffen und auch nicht für solche er-
greifen wollte, so wird gleichwohl ein jeder, der sich mit diesen Dingen
beschäftigt, auch Forbergers kleine Studie zur Hand nehmen müssen.
Im Quellenverzeichnis vermißt man Wiedemanns Dissertation über
den Selbstmord in seiner detailgeographischen Ausgliederung im Deut-
schen Reich (München 1910), eine Studie aus dem statistischen Seminar
v. Mayrs, des bedeuteyden Moralstatistikers. 3
München. Ernst Müller.
Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern.
1913. Jahrg. 12. München 1913. 469 und 112* SS.
Der 12. Jahrgang dieses Jahrbuches erscheint wiederum in nicht
unbedeutender Erweiterung. Sehr dankenswert erscheint uns die Ueber-
Die periodische Presse des Auslandes. 573
sicht über Erzeugung und Verwertung von elektrischer Energie, ebenso
die Erweiterung der Genossenschaftsstatistik, der Gesundheitspflege,
der Unterrichtsstatistik und als Ergänzung dazu der Volksbildungs-
bestrebungen, der Finanzstatistik etc, Im Anhange sind Vergleiche mit
anderen Bundesstaaten durchgeführt und 4 kartographische Darstellungen
dankenswert hinzugefügt. J. Conrad.
Statistik, Preußische. Hrsg. in zwanglosen Heften vom Kgl. Preuß.
Statist. Landesamt. No. 243. Tetzlaff, Dr. Osk., Finanzstatistik der preubi-
schen Städte und Landgemeinden für das Rechnungsjahr 1911. Ostpreußen. Im
amtlichen Auftrage bearb. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914.
33,5 X24 cm. VIII—324 SS. M. 8,40.
Amerika.
Halsey, Frederic Magie, The railways of South and Central America;
a manual containing statistics and other information concerning the important
railways of South and Central America, Mexico and the West Indies. 1914 ed.
New York, F. E. Fitch. 8. 6+9—183 pp. $ 1,50.
Italien.
Mortara, Giov., Tavole di mortalità secondo le cause di morte, per la
popolazione italiana 1901—1910 (Direzione generale della statistica e del lavoro.)
Roma, tip. ditta L. Cecchini, 1914. 8. 79 pp.
13. Verschiedenes.
Hierl, Ernst, Die Entstehung der neuen Schule. Geschichtliche Grund-
lagen der Pädagogik der Gegenwart. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8. IX—211 SS.
M. 2,80.
Kjellen, Prof. Dr. Rud., Die Großmächte der Gegenwart. Uebersetzt von
Dr. C. Koch. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. III—208 SS. M. 2,40.
Mackay, Dr. B. L., Frhr. v., Deutschland und der Weltkrieg: Der Tag
der Abrechnung! München, Hans Sachs-Verlag, 1914. 8. 34 SS. M. 0,80.
Müller, Rob., Was erwartet Oesterreich von seinem jungen Thronfolger?
München, Hugo Schmidt, 1914. 8. VII—113 SS. M. 1,40.
Neefe, Fritz, Geschichte der Leipziger Allgemeinen Zeitung 1837—1843.
Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens in der Zeit des Kampfes um die
Preßfreiheit. (Nach Akten und Briefen aus dem Verlagsarchiv der Firma F. A.
Brockhaus in Leipzig.) (Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte, hrsg. von
Karl Lamprecht, Heft 32.) Leipzig, R. Voigtländers Verlag, 1914. gr. 8. XVI—
192 SS. M. 6,80.
Schneider (Geh. Kriegsr.), Paul, Staat und Rotes Kreuz. Berlin, E. 8.
Mittler u. Sohn, 1914. 8. IV—232 SS. M. 3,50.
Die periodische Presse des Auslandes.
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Henri van Groenendael. — Geboorte en sterfte naar den welstand te Amsterdam,
door J. Reitsma. — Het effectenbezit der Nederlandsche bank, door Curt Eisfeld.
— De Engelsche regeering als petroleum exploitante, door A. Voogd. — etc.
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genossenschaftlich-sozialer Grundlage (Schluß), von A. Drexler. — etc.
M. Amerika.
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results of permitting and regulating combinations. IV. The alleged advantages
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Die periodische Presse Deutschlands.
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bahnen der asiatischen Türkei (Forts.), von (Dipl.-Ing) M. Hecker. (V. Tech-
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Freise. — Die Eisenbahnen Deutschlands, Englands und Frankreichs in den Jahren
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Die königlich-württembergischen Staatsbahnen in den-Jahren 1911 und 1912. — etc.
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Kolonisation und der Krieg, von Dr. Erich Keup. — Ein Beitrag zur Frage der
inneren Kolonisation im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, insbesondere die
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A. Pohlmann. — Der Besitzwechsel bei der inneren Kolonisation in anderer Be-
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burgh. — Das automatische Wachsen des Kapitals, von W. L. Hausmann. — Der
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von E. C. Lehmann. — etc. — No. 34: Erfinderschutz und Patentgebühren, von
Arved Jürgensohn. — ete. — No. 35: Das ohnmächtige England. — Die Belgier,
von Julius Bab. — ete. — No. 36: Krieg und Volkswohlstand, von Otto Neurath.
— Ein Sondermoratorium für das selbständige Unternehmertum. — etc. — No. 37:
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von (Marinebaurat) Bökemann. — Principe und St. Thomé. Eine hervorragende
koloniale Leistung der Portugiesen, von (Konsul) Singelmann. — Erfahrungen
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Die periodische Presse Deutschlands. 575
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orduungsrecht des Kaisers in den Kolonien (Forts.), von Dr. Aloys Petri. — etc.
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England, von Max Schippel. — Der Krieg und die deutsche Volkswirtschaft, von
Julius Kaliski. — Die deutschen Gemeinden während des Krieges, von Dr. Hugo
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Umbreit. — Ueber die Juden in Rußland, von Dr. Raphael Seligmann. — etc.
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No. 6: Psychologie des modernen „Kulturfortschrittes“, besonders des Kapitalismus
und der Sozialdemokratie, von G. v. Glasenapp. — Ueber Rasse, von (Stabsarzt)
Dr. F. Münter. — Die Gefahren der oberen Volksschichten in rassenhygienischer
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von Robert Franz. — Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten.
— etc. — No.: 1651: Im Krieg, von W. Christians. — Die deutschen Banken
im Jahre 1913 (V), von Robert Franz. — Deutschlands Volkswohlstand. —
Arbeiterfürsorge im Bergbau. — etc. — No.: 1652: Die Entwicklung des deutschen
Volkes, von W. Christians. — Die deutschen Bauken im Jahre 1913 (VI), von
Robert Franz. — etc. — No.: 1653: Der Deutschen Siegeslauf. — Die Waren-
produktion im Kriege. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (VII), von Robert
Franz. — Krieg und Lebensversicherung. — etc. — No. 1654: Fort mit der über-
lebten englischen Weltmacht!, von W. Christians. — Die deutschen Banken im
Jahre 1913 (VIII), von Robert Franz. — etc.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 34/35: Felix Germania. — Lebensversicherung
als Kriegshilfe, von G. B. — Krieg und Rechtspflege. — etc. — Heft 36/37: Zu
neuen Ufern. — Ultimogelder, von G. B. — Versicherungsdarlehen. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, September 1914: Wir und sie, von Prof. Dr.
Theodor Schiemann. — Deutschlands Erhebung, von (Generalleutnant) v. Görtz.
— Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und der Balkankrieg (Forts.),
von (Kgl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A. Sturdza. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, September 1914, Heft 12: Das Viktoria-
nische England (Schluß), von Charlotte Lady Blennerhasset. — etc.
Rundschau, Masius’ Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 26,
1914, Heft 8: Die private deutsche Lebensversicherung im Jahre 1913. —
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft
im Deutschen Reich. Jahrg. 38, 1914, Heft 3: Geschichte der Lohntheorien,
von Gustav Schmoller. — ‚Die berufliche und soziale Gliederung des deutschen
Volkes“ nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907 (II), von Paul Kollmann. —
Der Geburtenrückgang und seine Statistik, von Eugen Würzburger. — Ein Beitrag
zur preußischen Wasserwirtschaft und Wassergesetzgebung der letzten hundert
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Kommanditgesellschaften auf Aktien, von Otto Bundschuh. — Bulgariens Stellung
in der Weltwirtschaft, von Wilhelm Offergeld. — Die Ausgabenverteilung im
Haushalte des Arbeiters und des mittleren Beamten, von Gerhard Albrecht. — Die
internationale Stellung der deutschen Eisenindustrie, von Ernst Günther. — Die
neuere Entwicklung des öffentlichen Schuldenwesens in Deutschland, von Johannes
Pfitzner. — Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen und die Nationalökonomie
(I), von Oscar Engländer. — etc.
Verwaltung und Statistik. (Monatsschrift für deutsche Beamte.) Jahrg. 4,
September 1914, Heft 9: Von unserer Seefischerei. — Die Arbeiterversicherung
in Rumänien, von Franz Xaver Ragl. — Der deutsche Städtetag zur Realkredit-
frage und zur Frage der gemischt wirtschaftlichen Unternehmungen. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Bearb. im
Kaiserl. Statist. Amte. Ergänzungsheft zu 1914: II. Geschäftsergebnisse, Die,
der deutschen Aktiengesellschaften im Jahre 1912/13.
Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 12,
Heft 3: Zur Geschichte der Memminger Weberzunft und ihrer Erzeugnisse im 15.
und 16. Jahrhundert (I. Teil), von Dr. Ascan Westermann. — Die Sonderbe-
steuerung der jüdischen Bevölkerung in Galizien und der Bukowina bis zum
Jahre 1848. Eine steuergeschichtliche Studie, von Dr. Victor Hoffmann v. Wellen-
576 Die periodische Presse Deutschlands.
hof. — Staszyck als Statistiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Statistik in Polen,
von Dr. Sigismund Gargas. — etc.
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 16: Der Handel
im Kriege, von E. Fitger. — Börse und Geldmarkt im Kriege. — Die Wirt-
schaftspolitik im Kriege. (Eine Uebersicht der wichtigeren Maßnahmen bis zum
11. August.) — ete. — No. 17: Der Patentschutz während des Krieges, von
(Dipl.-Ing.) Dr. Alexander Lang. — Handelspolitische Glossen zum Kriege. —
etc. — Beilage: Zwei Zeitfragen (Schluß), von Rud. Dietrich. (2. Betriebsherr
und Wissenschaftler.) — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 19: Jaurès. — Der Krieg, von
K. Kautsky. — Zur Einwanderungsfrage (Forts.), von Hermann Schlüter. — etc.
— No. 20: Volkskrieg. — Die Vorbereitung des Friedens, von K. Kautsky. —
Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — Zur Einwanderungsfrage (Schluß),
von Hermann Schlüter. — etc. — No. 21: Krieg und Kultur. — Imperialismus,
von Karl Kautsky. — Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — etc.
Zeitschrift des Kgl. Bayerischen Statist. Landesamts. Jahrg. 46, 1914,
No. 3: Die Zwangserziehung in Bayern 1904—1913. — Die Ehescheidungen in
Bayern in den Jahren 1911—1913. — Die Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte
in Bayern im Jahre 1913. — Altersgliederung der Bevölkerung in den kreis-
unmittelbaren Städten und Bezirksämtern nach der Volkszählung vom 1. De-
zember 1910. — Der Verkehr auf den bayerischen Wasserstraßen im Jahre 1913.
— Geburten und Sterbefälle in 25. bayerischen Städten im Jahre 1913. — Sta-
tistik der bayerischen Knappschaftsvereine im Jahre 1913. — ete.
Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Ergänzungsheft 31.
Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1912, von (Geh. Reg.-Rat)
Prof. Dr. A. Petersilie. —
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 70. Jahrg., 1914, Heft 3:
Der Kampf gegen die Landfiucht, die ländliche Arbeiterfrage und die Reform
des Fideikommißgesetzes, von Kuno Waltemath. — Das Einnahmebudget des
Arbeiterhaushaltes, von Dr. Gerhard Albrecht. — Die Tendenz der öffentlichen
Sparkassen in Preußen zu bankmäßiger Betätigung, von (Reg.-Ass.) Dr. v. Hanse-
mann. — Die Gewinn- und Verlustkonten der Rheinisch-Westfälischen Provinzial-
großbanken, von Dr. Walther Däbritz. — Das spanische Sparkassenwesen, ins-
besondere die Sparkasse von Madrid, von Dr. Pfitzner. — Kritische Bemerkungen
zu dem Reichstagsantrage auf Abänderung des Genossenschaftszesetzes, von (Amts-
richter) Dr. Rob. Deumer. — Die französischen Südscebesitzungen und der Panama-
kanal, von Dr. Ernst Schultze. — Die Pachtgenossenschaften in Italien. — etc.
— 49. Ergänzungsheft: Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre, von
Eduard Weber. — 50. Ergänzungsheft: Konzentration der Güterschiffahrt
auf der Elbe, von Dr. Erich Pleißner.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 14, Sep-
tember 1914, Heft 5: Die Selbstverwaltung der Krankenkassen, von (Wirkl. Geh.
Ober-Reg.-Rat) Dr. Hoffmann. — Der Abschluß des Versicherungsvertrags und die
Natur des Versicherungsantrags nach deutschem und schweizerischem Recht,
von Dr. F. Basler. — Feuerversicherungsprämien in der amerikanischen Theorie
und Praxis, von Prof. Dr. W. F. Gephart. — Die Haftpflichtversicherungs-
anstalten der Berufsgenossenschaften bis zur Neuordnung durch die Reichversiche-
rungsordnung, von Dr. phil. J. W. Brandt. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 9: Die Preis-
kurve und das Teuerungsproblem. (2. Teil. IV), von Dr. Lorenz Glier. — Die
inneren jahreszeitlichen Wanderungen der Landarbeiter und die landwirtschaft-
lichen Stellenvermittelungsämter in Italien (I), von Dr. Livio Marchetti. — Vogel-
schutzbewegung und Schmuckfederindustrie (II), von W. Th. Linnenkohl. —
Arbeitszeiten und Lohnverhältnisse in der württembergischen Heimarbeit. — Ueber
die Lage der westdeutschen Montanindustrie unter dem Einfluß des Krieges. —
etc. — Beilage: Statistische Uebersichten über die allgemeine Wirtschaftslage,
zusammengestellt von Prof. Dr. L. Pohle, Juli 1914.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
P
K. Schönheyder, Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie usw. 577
V
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie
und der Volkswirtschaft.
Von
Dr. K. Schönheyder, Kristiania.
Ueberall in der organischen Welt sind die Bedürfnisse und die
Bedarfsbefriedigung das Kennzeichen des Lebens. Im Leben der
Tiere und Pflanzen ist die Bedarfsbefriedigung eine rein natürliche,
organische Befriedigung. Im Leben des Menschen ist sie ein öko-
nomisches System.
‘Der Mensch ist das erste Geschöpf, das mit vollem Ziel-
bewußtsein anfängt seine Bedürfnisse zufriedenzustellen, indem er
die Natur umformt.
An der Entwicklungsbasis, die hierdurch geschaffen ist, ist
nichts Unnatürliches. Sie ist eine natürliche Folge der Fähigkeit.
des Menschen, Erfahrungen zu machen oder Erfahrungen mit-
einander zu verbinden. Das erste Individuum, das darauf kam, zwei
Baumstämme zusammenzubinden und sie als Floß zu gebrauchen,
war ein Mensch. Hier sind im buchstäblichen Sinne zwei Erfah-
rungen miteinander verbunden. Einmal, daß Holz auf dem Wasser
schwimmt. Und zweitens, daß zwei Dinge sich untereinander stützen
können und dadurch am „Schlingern‘ verhindert werden.
Auf dieser Zusammenbindungs- oder Kombinationsfähigkeit, die
man Gedanke nennt, und auf der damit verbundenen Grundlage einer
höheren Entwicklung durch Umformung der natürlichen Hilfsmittel
baut sich die ganze Kultur auf.
Der Uebergang von Natur hat sich nicht von innen heraus aus
irgendeinem Naturbedarf des Menschen entwickelt. Der ursprüng-
liche Naturbedarf nach Essen und Trinken hat an und für sich nie
andere Werkzeuge hervorgebracht, als die, mit denen die Natur
selbst das Individuum versorgt.
Eine Waffe, die durch eine Umformung der Natur erzeugt ist,
liegt ebensosehr außerhalb der Schöpfungskraft des rein organischen
che wie sie außerhalb der eigenen Schöpferkraft der Natur
legt.
Und der organische Bedarf nach Nahrung an und für sich
hat auch nie eine Umformung der natürlichen Nahrungsmittel her-
vorrufen können. Nicht der Bedarf nach Nahrung brachte den Men-
schen von Anbeginn dahin, seine Nahrung zuzubereiten. In dem
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 37
578 K. Schönheyder,
ursprünglichem, rein organischem Bedarf nach Nahrung ist nicht
die geringste Andeutung enthalten zu einem Bedarf nach gekochter
oder gebratener Nahrung, oder nach zubereiteter Nahrung, oder nach
irgendwelchen anderen Variationen, als denen, die die Natur selbst
darbietet und die durch natürliche Verhältnisse bedingt werden.
Die Bedürfnisse, die der Kulturmensch zufriedenstellt, unter-
scheiden sich von den rein natürlichen, organischen Bedürfnissen
ebensosehr, wie die Mittel, durch die der Kulturbedarf zufrieden-
gestellt wird, von den Befriedigungsmitteln, die direkt aus der Hand
der Natur kommen, sich unterscheiden.
In dieser Umformung der Bedarfsmittel und Bedürfnisse, die
die Kulturentwicklung ausmachen, liegt auch noch ein anderes ent-
halten, das diesen Uebergang zu einem unendlich viel tieferen
menschlichen Phänomen macht. Die Umformung des Bedarfes und
der Bedarfsmittel an sich ist nur eine notwendige Voraussetzung der
Oekonomie. Doch es liegt in dieser Entwicklung noch ein anderes,
ohne welches die Bedarfsbefriedigung des Menschen nicht
ökonomisch werden könnte.
In der Umformung der Bedarfsmittel und Bedürfnisse liegt
nämlich eine Entwicklung und Umformung der Tätigkeit des
Menschen, wodurch in Wirklichkeit der ursprüngliche organische
Bedarf zu einem ökonomischen Kulturbedarf umgebildet wird.
Die Natur sorgt für ihre Kinder. Nicht immer gleich reich-
lich, und nicht immer gleich reichlich für alle. Aber sie sorgt doch
wenigstens so einigermaßen dafür, den Fond, aus dem das organische
Leben seine Nahrung holt, zu erhalten.
In der Tätigkeit hingegen ist es die Tätigkeit selbst,
die sich selbst und dadurch das höhere Niveau der Bedarfsbefriedi-
gung, das neue Kulturniveau, das der Mensch sich mit seiner
Tätigkeit erschaffen hat, im Gang erhält.
Tätigkeit ist die planmäßig fortgesetzte, stetige und
dauernde Befriedigung der Bedürfnisse auf kultureller
Grundlage.
Durch die Tätigkeit wird der Bedarf ein ökonomischer Kultur-
bedarf, ein Bedarf nach einer Befriedigung, die etwas mehr enthält,
als die rein natürliche, organische Befriedigung, die rein augen-
blickliche Sättigung. Tätigkeit bedeutet die planmäßige Durch-
führung der Befriedigung. Durch die Tätigkeit wird der Bedarf
ein Bedarf nach einer andauernden Befriedigung.
Indem der Mensch seinen Bedarf durch eine Umformung der
Natur zufriedenzustellen sucht, die eine vollkommenere Aus-
nutzung der Kräfte — der außen vorliegenden und der des Indivi-
duums selbst — erzielt, entsteht also eine Tätigkeit. Und diese
Tätigkeit wird selbst ein Bedarf, der außerhalb der eigentlichen,
organischen Bedürfnisse liegt. Sie wird ein Kulturbedarf, ein Kultur-
bedarf, eine Waffe in der Hand zu haben, — eine Keule — eine
Axt, einen Bogen und einen Pfeil, um das Wild des Waldes zu
fällen, und mit der Beute heimzukehren in sein Wigwam, um sie
am Feuer des heimlichen Herdes zuzubereiten. Und dieser Bogen.
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 579
diese Waffe sind des Mannes Stolz, wie der Schmuck des Weibes.
Ist das nicht ein Kulturbedarf?
Oder der Mann wird fest ansässig, siedelt sich mit seiner
Familie auf dem Erdfleck, den er sich erwählt hat, an, baut seine
Hütte, bearbeitet das Erdreich, sät, pflanzt und läßt sein Vieh
weiden. Was für ein Neues ist hier hinzugekommen? Der Tätig-
keitstrieb ist gewachsen. Er hat einen neuen Bedarf gefühlt, einen
Kulturbedarf nach einer geordneteren, systematischeren Tätigkeit.
Sein Bedarf umfaßt nicht mehr nur den organischen, physischen
Trieb des Tages. Ein neuer Trieb und eine neue Befriedigung
sind hinzugekommen. Seine Mahlzeiten, ja selbst seine Ruhe reihen
sich als Glieder seiner Tätigkeit, seiner festen ökonomischen Tätig-
keit ein. Und im tiefsten Innern lebt die Zufriedenheit mit der
wirtschaftlichen Stellung, die er sich errungen hat, oder der Drang
nach mehr.
Durch die Tätigkeit meldet sich etwas Neues. Nämlich die
Befriedigung, die die Tätigkeit selbst schafft. Und diese
Befriedigung ist um so viel umfassender als die Befriedigung der
Arbeit, als die Tätigkeit selbst umfassender als Arbeit ist. Und je
höher die Tätigkeit sich auf die Höhen der Kultur schwingt, desto
fühlbarer wird ihre Befriedigung, um schließlich völlig mit der
Tätigkeit und ihrer Mühe zusammenzufallen. Dem Gelehrten und
dem Künstler ist die grundlegende Arbeit an sich eine Befriedigung,
weil er die Kraft, die die treibende Kraft aller Tätigkeit vom
Niedrigsten bis zum Höchsten ist, — den Eroberungs- und Er-
weiterungstrieb so ungeheuer stark in sich fühlt.
Die Tätigkeit des Menschen ist der Natur ihres Wesens nach
Entwicklung und Fortschritt. Sie ist ein einziger, großer Er-
oberungszug, — eine große Völkerwanderung zu reicheren Kultur-
weiden. Sie ist der Ausfluß des menschlichen Eroberungstriebes.
Die große Völkerwanderung, die Eroberungszüge der wilden Horden
im Altertum waren wahrlich nicht eine Folge von Uebervölkerung
oder unzulänglichen Weiden, ebensowenig wie Uebervölkerung ein
Volk zu einer seefahrenden Nation machte. Die Nähe des Meeres,
der großen, unendlichen Fläche, mit ihrer mystischen Anziehungs-
kraft, deren eigentlicher psychologischer Kern der Eroberungstrieb
ist, bewegte den Menschen dazu, seine zerbrechlichen Fahrzeuge
zu bauer und sie auf gut Glück aufs Meer hinaus zu schicken,
ohne Kompaß, ohne nautische Kenntnisse und ohne Kenntnis des
Fahrwassers und der Küste.
Auch die großen Eroberungsvölker folgen einem solchem starken
inneren Naturdrang. Der Kampf ist ihr Leben. Was bedeuten die
großen Opfer? Was bedeuten Leben und Glück? Frieden und Ruhe
gegen mehr Macht, mehr Herrschaft, — vielleicht nicht einmal
Aë eg Individuum selbst, aber für das Volk, die Nation, die Zu-
unft.
Die Tätigkeit des Menschen ist für das Individuum die er-
lösende ethische Macht. Sich ein Heim zu bauen, sich eine solide
37*
580 K. Schönheyder,
und sichere Grundlage der Existenz zu schaffen, eine ökonomische
Stellung, ein Bewußtsein, daß unser Ziel etwas Höheres ist als
eine augenblickliche, rein organische Befriedigung, — in dem Be-
wußtsein mit einem Kreis von Menschen für seine eigene und des
Geschlechtes Zukunft solidarisch zu wirken, darin liegt ein starker
Hebel für das Individuum.
Tätigkeit schafft Energie, übt Fertigkeit, entwickelt Fähigkeit,
spornt Willen an und treibt den Menschen und den Menschengeist
vorwärts, immer vorwärts.
Die Tätigkeit des Menschen setzt auch den Gedanken und die
Phantasie in Bewegung. Sie ist das Sesam, das die Pforten zu den
verborgenen Kräften der Natur, zu den Rätseln des unendlichen
Weltenraumes und zu dem Märchenreich der Wirklichkeit öffnet.
— Wißbegier, Kenntnisdrang, der Trieb, die Herrschaft des Geistes
zu erweitern, wächst und entwickelt sich, und je mehr die Kenntnis
wächst, desto mehr wächst der Kenntnistrieb. — Und wo die Erde
und der Weltenraum nicht mehr ausreichen, da liegt das Tiefste,
Fernste des Bewußtseins bereit, Und in Tönen und Formen, in
Farben und Worten findet der Menschengeist einen Ausdruck für
den wunderbaren Gesang des Lebens, — des Lebens, das durch des
Menschen eigene Tätigkeit und eigenen Tätigkeitsdrang sich schafft
und entwickelt.
Der tierische organische Bedarf ist das Gefühl eines Augen-
blickes und seine Befriedigung die augenblickliche Sättigung eines
Naturtriebes. Die Tätigkeit des Menschen befriedigt einen Kultur-
bedarf, der zu allen Zeiten gleich stark ist und bleibt, wie gründ-
lich auch der organische Bedarf gesättigt wird. Der Kulturbedarf
ist ein unersättlicher Bedarf, der mit dem Wachstum der Tätigkeit
eher noch steigt und sich erweitert.
Die Tätigkeit und der dadurch geschaffene Kulturbedarf und
die Umformung dieses Kulturbedarfes ist die tragende und treibende
Kraft der Kultur. Und diese menschliche Tätigkeit ist der
Grundbegriff der ökonomischen Wissenschaft, — der alles
umfassende Begriff in der Oekonomie.
Die ökonomische Wissenschaft ist die Wissenschaft von
dem Gesetz der Tätigkeit des Menschen.
Selbstverständlich nicht die technischen Gesetze, die der kon-
kreten Tätigkeit gelten, nur die Gesetze von der Tätigkeit als
Tätigkeit an sich betrachtet.
Der Schwerpunkt in dieser Definition liegt in der Auffassung
des Begriffes Tätigkeit als einer planmäßigen und kulturgemäß
fortgesetzten, immer zurückkehrenden, stetigen Bedarfsbefriedigung.
Die ökonomische Wissenschaft ist demnach also die prinzipale
Wissenschaft der Kultur und Kulturentwicklung. Ganz so wie
die Mathematik die prinzipale Wissenschaft aller der Wissenschaften
ist, die sich auf der Gesetzmäßigkeit der Natur aufbauen.
Die ökonomische Wissenschaft ist kein Teil, keine Unterabtei-
lung der sozialen Wissenschaft. Die Gesellschaft und deren Ent-
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 581
wicklung sind nämlich direkt durch die Tätigkeit des Menschen
geschaffen, und eine Folge der Entwicklung dieser Tätigkeit, in
derselben Weise, wie die Forderung rechtlich geordneter Ver-
hältnisse eine Forderung ist, die direkt aus der Umformung der
Kulturwirksamkeit hervorgegangen ist.
In der Perspektive der Tätigkeit gesehen, werden die öko-
nomischen Begriffe schärfer hervortreten. Diese Perspektive ist aber
nicht die, die Böhm-Bawerk!) in der ökonomischen Wissenschaft
angeführt hat. Viel eher das Gegenteil. Böhm-Bawerks Auf-
fassung der Jetztzeit und Zukunft der Oekonomie stimmt nicht mit
dem Wesen und der Natur der Oekonomie überein.
Die Tätigkeit ist ein sehr viel umfassenderer Begriff als der
Begriff Produktion. Nicht so zu verstehen, daß Tätigkeit nicht ein
spezifischer ökonomischer Begriff wäre, sondern im Gegenteil so,
daß Produktion es nicht ist.
Darum verursachte auch der Begriff Produktion anfangs viel
Unklarheit in der ökonomischen Wissenschaft. Produktion bedeutet
nämlich Hervorbringung und ist ein rein technischer Begriff. Und
es war daher ganz natürlich, daß man anfangs nicht ieicht ein-
sehen konnte, daß Produzieren etwas anderes war als Hervorbringen.
Später wurde man genötigt, den Begriff „produzieren“ in einer
spezifisch ökonomischen Bedeutung aufzufassen, — nicht als Pro-
duzieren im gewöhnlichen Sinne, sondern als Wertproduzieren.
Allein dadurch konnte das Produzieren jenen bedeutenden Teil der
produktiven Tätigkeit umfassen, der in dem Umsatz und Austausch
der produzierten Waren besteht.
Doch noch heutigen Tages bedeutet in der ökonomischen Wissen-
schaft Produktion die eigentliche technische Erzeugung der Waren
im Gegensatz zu ihrem Umsatz und ihrer Konsumtion oder Nutzung.
Der Begriff Tätigkeit hingegen bedeutet sowohl die Produktion
der ökonomischen Güter und ihren Umsatz, als auch die Art, in
der man sich die ökonomischen Güter nutzbar macht, oder die
Form, in der diese Nutzbarmachung stattfindet.
Die Tätigkeit umfaßt die Umformung des Stoffes, von der Er-
zeugung des Rohstoffes bis zu dessen Vernichtung durch die Kon-
sumtion, oder eigentlich bis zu seiner Rückkehr zur Natur. Sie
umfaßt die Erde, das Meer und die Luft, die Fabrik, die Verkehrs-
mittel, das Geschäft und das Heim. Man kann fast sagen, daß
der Begriff Tätigkeit sich seine eigentliche Kraft am heimischen
Herde holt. Die Stuben, die man bewohnt, sind auch die eigent-
liche Heimat der Tätigkeit. Die endliche Stoffumformung als Ver-
mittler des Genusses ist das Endziel jeder Tätigkeit, der letzte Ab-
schnitt in dem kleinen Roman der Tätigkeit.
‚Die Tätigkeit wird eigentlich erst da zum ökonomischen Be-
griff, wo man sie ästhetisch, ethisch und kulturell auffaßt.
1) E. v. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins.
582 K. Schönheyder,
Auch die natürliche Entwicklung und Umformung der Tätig-
keit liegt — wie die der Bedürfnisse und Bedarfsmittel — in einer
Spezialisierung. Die verschiedenen Anlagen, Neigungen und Fähig-
keiten schaffen einen spezialisierenden Tätigkeitstrieb, der die In-
dividuen allmählich in Gruppen und Untergruppen einteilt. Die
Arbeitsteilung ist die natürliche Entwicklungstorm des menschlichen
Tätigkeitstriebes, und die natürliche Entwicklung der Umformung
der Bedarfsmittel.
Bei dieser Arbeitsteilung entsteht ein neues Moment, das die
menschliche Tätigkeit völlig umformt und verwandelt. Die Tätig-
keit des einzelnen Individuums wird zum Glied der großen Ge-
meintätigkeit. Die Tätigkeit, die am heimischen Herde ihre Wurzel
hat, wird zum großen Baum, der die Welt beschattet.
Kein Wunder, daß man sich so versehen hat in diese mächtige
Krone mit ihren unendlichen Verästelungen, daß man fast ver-
gessen hat, daß die Wurzel der Tätigkeit doch eigentlich fern von
der großen Welt, in der wir alle uns bewegen, heimisch ist,
nämlich drinnen in den engen Stuben, wo unser eigentliches, persön-
liches Leben sich entfaltet, und daß diese Stuben selbst das Alpha
und Omega der Tätigkeit sind.
Aber diese große unendlich verzweigte Tätigkeit hat auch
eine objektive Seite. Sie trägt in sich eine Stoffanhäufung und
eine Stoffentwicklung und Umformung, die vom ersten Augenblick
an die besondere Aufmerksamkeit der ökonomischen Wissenschaft
erregt hat.
Sie ist eine Entwicklung und Umformung von Kapital.
Ueber ein Jahrhundert hat die ökonomische Wissenschaft sich
damit beschäftigt, die wissenschaftliche Formung dieses Phäno-
mens zu finden. Auf hundert verschiedene Weisen hat sie versucht,
diesen Begriff zu deuten und zu vertiefen, ohne daß es ihr geglückt
ist, das entscheidende Wort zu finden.
Das Kapital ist also der zentrale, begriffsmäßig notwendige
Bestandteil der Tätigkeit.
Trotzdem die Wissenschaft seit Adam Smith das Kapital-
phänomen als ein — man kann sagen produziertes — Produktions-
mittel betrachtet hat, so ist die wissenschaftliche Auffassung kaum
mehr als die volkstümliche eine bestimmte und sichere gewesen.
Es hat sich nämlich herausgestellt, daß der eigentliche Begriff Pro-
duktionsmittel an einer ganz merkwürdigen Unbestimmtheit und
Dehnbarkeit litt, die im Grunde der mangelnden Erkenntnis des
Wesens und der Bedeutung der Tätigkeit in der Oekonomie zuge-
schrieben werden muß.
Der Begriff Kapital mußte unter denselben Mängeln, mit denen
der Begriff Produktion durch die ganze Geschichte der Oekonomie
behaftet war, leiden. Und zwar müssen alle Schwierigkeiten bei der
Bestimmung des Kapitalbegriffes und dessen Umfang in dem Aus-
druck Produktionsmittel gesucht werden.
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 583
Das Kapital ist nicht ein Produktionsmittel, sondern ein Mittel
im Dienste der Tätigkeit. Es ist das Werkzeug der Tätigkeit,
das Werkzeug der Kulturentwicklung. Das Kapital beginnt da, wo
die Umformung der Tätigkeit beginnt. Sein Anfang ist eine rein
stoffliche Umformung. Und sein Ende — muß ja natürlich auch
an rein stoffliche Umformung geknüpft sein, an die physische Um-
formung nämlich, die man Vernichtung nennt, die Umformung, an
die die Nutzung des Kapitals sich knüpft.
Bei der rein instinktiven organischen Konsumtion ist die Um-
formung der natürlichen Bedarfsmittel nur ein Uebergang zurück
zur Natur in einer anderen Form. Das Ganze ist nichts als ein
natürlicher organischer Prozeß. In der Tätigkeit gibt es ein Zwi-
schenstadium, und dieses Zwischenstadium ist das Kapital.
Das Kapital hat einen Gegensatz, einen begrifflich sicheren,
unwandelbaren Gegensatz, dessen Grenzen durchaus zweifellos und
scharf sind, der Genuß, die Nutzung und gleichzeitig die Ver-
nichtung des Kapitals. Das Kapital geht mehr oder weniger grad-
weise in Genuß über und hört damit technisch und ökonomisch auf,
Kapital zu sein!).
Es ist auch zwischen dem ProduktionsprozeßB und dem Kon-
sumtionsprozeß kein reeller Gegensatz. Beide bezeichnen im Grunde
denselben Prozeß, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet.
Durch die Tätigkeit produziert man, durch die Tätigkeit kon-
sumiert man. Man kann den ganzen ökonomischen Prozeß als einen
Wertproduktionsprozeß betrachten, dessen letzte Hervorbringung der
Genuß oder die Befriedigung ist. Oder umgekehrt kann man ihn als
einen Konsumtionsprozeß betrachten, der durch die Kulturentwick-
lung umgeformt worden ist, — einen langsamen Verdauungsprozeß.
Zwischen den zwei verschiedenen Kapitalformen, dem Werk-
zeug und dem Vorrat, sind scheinbar einzelne Wesensunterschiede.
Das eine ist scheinbar ein indirektes Befriedigungsmittel, das andere
ein direktes. Das eine kann in verschiedenem Grade ausgenutzt
werden, man kann, so oft oder so selten man will, Gebrauch davon
machen; das andere dagegen scheint nur das eine Mal Dienst zu
tun, und will man die Konsumtion vermehren, so kann das in keiner
anderen Weise geschehen, als indem man seinen Vorrat vermehrt,
Dieser Unterschied ist indessen nur ein scheinbarer und fällt
weg, wenn man das Ding ökonomisch, nicht technisch betrachtet.
Was einen Vorrat von Nahrungsmitteln — auch in einer isolierten
Wirksamkeit — zum Kapital in ökonomischem Sinne macht, macht
es gleichzeitig zu einem, in ökonomischem Sinne indirekten Befriedi-
1) In „Economic Journal“ VII und VIII geben Fisher und Canan in
ein paar Abhandlungen eine Darstellung des Kapitalbegriffes, die der in der vor-
liegenden Arbeit behaupteten sehr nahkommt. Sie betrachten das Kapital näm-
lich als ‚the existing stock of wealth", im Gegensatz zum Einkommen, das als
„a flow of wealth“ bezeichnet wird. — Ein wirklicher scharfer Gegensatz existiert
hier jedoch nicht. Die Sache ist nämlich die, daß „the existing stock of wealth“
in Wirklichkeit nichts anderes ist als: „a flow of wealth".
584 K. Schönheyder,
gungsmittel. Der Vorrat spielt nämlich in der isolierten Tätigkeit
eine Rolle, die vollständig der entspricht, die er in der sozialen
Gesellschaftsordnung spielt. Die Teilung der Arbeit hat in Wirklich-
keit in der isolierten Tätigkeit mit diesem Vorrat bereits angefangen.
Nicht eine Verteilung der Arbeit auf verschiedene Hände, sondern
eine Verteilung auf verschiedene Zeitpunkte.
Ein solcher Vorrat ermöglicht es in der isolierten Tätigkeit dem
Individuum, die verschiedenen Arbeiten auf die Zeitpunkte zu ver-
legen, wo sie den größtmöglichen Ertrag liefern, oder wo sie allein
möglich sind. Und er ermöglicht es dem einzelnen, umfassendere
Arbeiten vorzunehmen, als sonst möglich wäre, in ähnlicher Weise
wie bei der sozialen Teilung der Arbeit.
In seiner Eigenschaft als Kapital ist dieser Vorrat daher kein
direkteres Befriedigungsmittel als eine Axt. Ein Nahrungsmittel
hervorzubringen, das einen Teil eines Vorrates ausmachen soll, der
das Individuum fähig macht, eine Axt hervorzubringen, ist eine
gerade so indirekte Tätigkeit, wie die ein technisches Werkzeug her-
vorzubringen, das das Individuum fähig machen soll, andere Be-
friedigungsmittel hervorzubringen.
Und hinsichtlich des zweiten Punktes ist es ja auch klar, daß
beide Formen von Kapital im verschiedenem Grade ausgenützt wer-
den können, und daß die Grade, wie man- in beiden Fällen das
Kapital ausnützt, verschiedene Grade von Konsumtion sind. Will
man von seinem Vorrat mehr konsumieren, so muß man auch mehr
produzieren, oder ihn öfter erneuern. Und ebensowohl wie man
eine erhöhte Konsumtion von Nahrungsmitteln auf zweierlei Art
ermöglicht, indem man entweder die Größe des Vorrates vermehrt
oder ihn öfter erneuert, so kann man auch eine erhöhte Konsumtion
seiner Werkzeuge auf die gleiche zweierlei Art und keine andere
ermöglichen.
Produktion und Konsumtion sind ökonomisch dasselbe Phänomen,
von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus gesehen. Vom Pro-
duktionsgesichtspunkt aus sieht man vorwärts nach dem endlichen
Resultat. Vom Konsumtionsgesichtspunkt aus sieht man rückwärts
nach dem Umformungsprozeß, der ein ewiger, endloser Kreislauf,
ein Verdauungsprozeß des Stoffes der Natur ist. Aber den eigent-
lichen wahren ökonomischen Gesichtspunkt erhält man nur, indem
man das Ganze als einen Tätigkeitsprozeß, einen menschlichen Tätig-
keits- und Umformungsprozeß betrachtet, und den ganzen Tätigkeits-
prozeß als eine Einheit. Und damit hat man auch den Begriff des
Kapitals deutlich und klar skizziert.
Diese Umformung ist nicht immer buchstäblich zu verstehen.
Sie ist: nicht immer eine rein technische Umformung. Doch in
ökonomischen Sinne ist sie es immer, und ihr ökonomisches Kriterium
ist die Tätigkeit. — Man kann in der ökonomischen Wissenschaft
natürlich nicht die Tätigkeit vermittelst des Begriffes Umformung
und die Umformung durch den Begriff Tätigkeit definieren. Darin,
daß die Tätigkeit ein ökonomisches Kriterium der Umformung ist,
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 585.
liegt ja nichts anderes, als daß die Umformung der Tätigkeit immer
auf die eine oder andere Weise technisch sichtbar werden muß.
Nicht immer in einer technischen Umformung des Naturproduktes,
sondern in den ökonomischen und technischen Umständen, die sich
an dieses Naturprodukt knüpfen.
Die Früchte der Bäume und die Beeren des Feldes sind keiner
Umformung unterworfen von dem Augenblick an, wo sie gepflückt
werden, bis zu dem Augenblick, wo sie in einer Fruchtschale liegen.
Es sind die begleitenden Umstände, die die Tätigkeit und ihre Um-
formung bezeichnen und die den Apfel, die Ananas oder die Erd-
beere in dem Augenblick des Genusses zu ökonomisch umgeformten
Gütern machen. Ein Eimer, eine Schüssel, ein Keller, ein Laden,
ein Beförderungsmittel, eine Wohnung, ein Tisch, ein Stuhl, ein
Teller, ein Messer, ein Löffel, — alles das sind begleitende ökonomi-
sche und technische Umstände. Und hierzu kommen außerdem noch
alle die ökonomischen und technischen Verhältnisse, die die ganze
Wirksamkeit des Gärtners und Beerenpflückers begleiten.
Der ganze ökonomische Konsumtionsprozeß unterscheidet sich
deutlich und klar von dem Konsumtionsprozeß des Naturmenschen
und des Tieres als ein Umformungsprozeß im Gegensatz zu einer
rein organischen Lebensäußerung.
Um den Umfang des Kapitals vollständig zu begrenzen, er-
übrigt also noch eins: die Grenze zwischen der Natur selbst und
der umgeformten Natur zu ziehen. Um die Natur umgeformt nennen
zu können, ist es also, ökonomisch gesehen, nicht notwendig, daß die
Tätigkeit die Natur im buchstäblichen Sinne umformt. Die Um-
formung ist eine ökonomische Umformung, deren Kriterium die
Tätigkeit ist, das heißt, die begleitenden Umstände, die sich an die
Tätigkeit knüpfen.
Dahingegen muß für die ökonomische Umformung, durch welche
die Tätigkeit sich das selbständige Werkzeug schafft, gefordert
werden, daß die Umformung mehr als eine Bearbeitung der Natur
sei. Es muß eine organische Ausscheidung von der Natur gefördert
werden, die bei selbständigem Kreislauf schließlich zur Natur zurück-
kehrt. Nur das, was sich in einem vergänglichen, dinglichen Phä-
nomen offenbart, ist Kapital. Und diese Vergänglichkeit muß eine
andere sein, als die, denen die Organismen selber kraft ihrer Natur
unterworfen sind.
Die Vergänglichkeit der Stoffumformung ist das Wesen des
Kapitals. Nur der Stoff selbst ist unvergänglich und immer dauernd.
Das Kapital zu etwas anderem machen zu wollen, als zu einer
Sammlung, einer Masse von Kapitalgegenständen, hieße dem Kapital
eines seiner Wesensmerkmale, seine Dinglichkeit, zu rauben. Die
dingliche Vergänglichkeit des Kapitals ist eine naturnotwendige
Voraussetzung für seine Funktion im Dienste der Tätigkeit. Wie es
durch Umformung entsteht, so hört es durch Umformung auf. Und
die Dauer des Kapitals ist verschieden für die verschiedenen Kapital-
gegenstände.
586 K. Schönbeyder,
Die unendliche Dauer des Kapitals!) ist nicht eine Eigenschaft
des Kapitals. Nicht das Kapital erhält sich selbst, die Tätigkeit
ist es, die es dauernd erneuert, es dauernd in ihren Kreislauf von
der Natur zurück zur Natur hereinzieht.
Es ist wahr: der fließende Fluß ist nicht die jederzeit im Fluß
befindliche Wassermasse, sondern der stete Kreislauf, und der Wald
ist ein steter Waldbestand, und das Menschengeschlecht ist wech-
selnde Generation. Doch alle diese Dinge erneuern sich selbst,
empfangen ihre Erneuerung direkt von der Natur selbst. Dasselbe
kann bis zu einem gewissen Grade auch vom Staat und von der
Gesellschaft gesagt werden. Und wenn das Kapital sich in ähnlicher
Weise selbst erhielte oder seine Erneuerung direkt von der Natur
selbst empfinge, würde auch der Kapitalbegriff dahin ausgedehnt
werden können, daß er die immer dauernde Einheit wechselnder
Bestandteile umfaßte.
Doch das wäre ja gänzlich in Streit mit dem Begriff und
dem Wesen des Kapitals. Nicht von der Natur oder aus sich selbst
erhält das Kapital seine Erneuerung, sondern von der Tätigkeit,
Das Kapital ist kein natürliches Phänomen, es ist eine durch das
Eingreifen der menschlichen Tätigkeit umgeformte Natur.
Was diese Vorstellung von der unendlichen Dauer des Kapitals
geschaffen hat, ist das Gefühl, daß eine höhere Einheit den Zu-
sammenhang zwischen den im Laufe der Zeit stetig wechselnden
Kapitalgegenständen bezeichnet, ebenso wie eine höhere Einheit
den Zusammenhang zwischen den verschiedenen im Augenblick exi-
stierenden Kapitalgegenständen bezeichnet.
Und es gibt auch eine solche höhere Einheit, die das schwin-
dende Kapital mit dem werdenden Neuen vereint. Doch ist diese
Einheit nicht ein höherer Kapitalbegriff. Es ist die Tätigkeit. Wenn
die Tätigkeit einmal in ganz bestimmter Weise geformt ist, hat sie
zu ihrem sichtbaren Ausdruck eine immerwährende konstante Ka-
pitalmasse. '
Indem die Tätigkeit sich selbst erhält, erhält sie das
Kapital. Und das ist auch die einzige Art, wie die Tätigkeit sich
selbst erhalten kann. Die gefüllten Lager erhalten sich dauernd
durch dieselbe Tätigkeit, die sie leert. Und solange die Tätigkeit
sich nicht verändert, ist und bleibt das Kapital unverändert.
Wenn Clark die unendliche Dauer des Kapitals so stark betont,
so tut er das in Wirklichkeit deshalb, weil er den Gedanken, der
im Begriff Tätigkeit liegt, hervorheben will. Er überträgt die
Stabilität der Tätigkeit auf das Kapital. Darum ist es nötig,
alle die verschiedenen konstruierten Arten von Kapital auf dieselbe
ökonomische Linie zu stellen und zu zeigen, daß selbst die flüssig-
sten Kapitalgüter ökonomisch ein ebenso stabiles Phänomen sind, wie
1) John B. Clark, The distribution of wealth, New York 1899, und Essen-
tials of economic theory, New York 1907, und die Abhandlungen von Clark
und Böhm-Bawerk in Zeitschrift für Volkswirtschaft usw., 1906—1907.
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 587
das dauerndste Kapitalgut. Er stellt die Kapitalgüter so durchaus
gleich, daß sie nicht allein nicht mehr oder weniger dauernde
Kapitalgüter werden, sondern daß alles Kapital im eigentlichen
Sinne unendlich dauernd ist!).
Es ist Clarks wissenschaftliches Verdienst, daß er, indem er
diese Stabilität gehoben hat, den Weg für die ökonomische Auf-
fassung von der wirklichen Natur der Tätigkeit gebahnt hat. Und
der starke Anklang, den sein höherer Kapitalbegriff trotz seines
offenbar fiktiven Charakters gefunden hat, bezeichnet hinreichend,
wie die in der Tätigkeit liegende wissenschaftliche Wahrheit sich
mehr und mehr in das wissenschaftliche Denken hineingedrängt hat.
Die Wirklichkeit der Tätigkeit ersetzt also die von Clark auf-
gestellte Fiktion und macht sie überflüssig. Die Stabilität und öko-
nomische Gleichstellung der Kapitalgüter tritt natürlich hervor,
wenn alle Kapitalsonderungen wegfallen dadurch, daß das Kapital
in das richtige Verhältnis zur Tätigkeit und zu seinem Gegensatz
— der Befriedigung oder dem Genuß — gestellt wird.
Oekonomisch gesehen, ist die Natur nur das spärliche, kärgliche
Erdreich. Durch den Zuwachs, den das Kapital gibt, wird die Natur
gleichsam in breite, fruchtbare Gefilde verwandelt. Wie die Früchte
der Natur immer wieder von der Natur selbst erhalten werden, so
werden auch die Früchte des Kapitals — der Genuß oder die Be-
friedigung — dauernd durch die Tätigkeit erhalten.
Und wenn man das Kapital technisch betrachtet als ein tech-
nisches Arbeitsprodukt, so wird der durch die Tätigkeit stetig
fließende Strom der Befriedigung nicht der technischen Quantität
des Kapitals, sondern der technischen Quantität der Tätigkeit, d.h.
der technischen Arbeitsmenge, die das Kapital erhält, entsprechen.
Das technische Produkt des Jahreswerkes von hundert Arbeitern ist
nie mehr als hundert Jahreswerke, auch wenn diese hundert Ar-
beiter ein Kapital erhalten, das das Jahreswerk von tausend
Arbeitern enthält.
Die Umformung des Kapitals und der Tätigkeit vermehrt nicht
die technische Quantität der Tätigkeit, es hebt sie nur auf ein
höheres Kulturniveau.
Das Kapital ist also das Mittel, das Werkzeug, nicht die
reifende Frucht. Befriedigung oder Genuß sind eine Frucht der
Tätigkeit, und im Verhältnis dazu ist das Kapital nur als der
Klumpen Erde zu betrachten, aus dem alles hervorsprießt.
Die Vorstellung von dem Kapital als einer reifenden Frucht
hat in der ökonomischen Wissenschaft die Tätigkeit in ein falsches
Licht gerückt. In der Hand der Tätigkeit ist das Kapital nicht eine
1) Clarks Auffassung des Kapitals als ‚the permanent fund of productiv
goods, the identy of whose component elements is forever changing“ hat übrigens
ihre Vorläufer. Eine ähnliche Auffassung liegt den Kapitalrententheorien zu-
grunde. die Böhm-Bawerk unter der Benennung Nutzungstheorien zusammenfaßt,
und die sich wesentlich an die Namen I. B. Say, Hermann und Menger knüpfen.
Vgl. auch Schellwien, Die Arbeit und ihr Recht.
588 K. Schönheyder,
früher oder später reifende Frucht, nicht ein künftiges Gut. In
und mit der Tätigkeit ist im Menschen eine ökonomische Kultur-
anschauung von den Mitteln zu Befriedigung und Genuß erwacht.
Wie für den Wilden sein Pfeil und sein Bogen, so ist für den
Ackerbauer sein Haus und sein wohlgefüllter Keller nicht ein zu-
künftiges Gut. Alles das sind ihm Kulturgüter, die einen Kultur-
bedarf der Tätigkeit direkt zufriedenstellen. Genau so ist auch für
die Gesellschaft als Ganzes die gesamte Summe von Kulturmitteln
nicht ein künftiges, sondern ein im höchsten Grade gegenwärtiges
Gut, ebenso wie für den Gelehrten seine Bücherei, Tintenfaß, Feder
und Papier, oder die Bibliothek, aus der er seine wissenschaftlichen
Werke holt, oder wie der Marmor und der Ton für den Bildhauer,
die Geige für den Musiker.
Alle die Kulturmittel, durch welche die Tätigkeit hervortritt,
sind der Standard of life des Kulturmenschen geworden. Man
verlangt alle diese Dinge in ihrer verschiedenartigen Funktion.
Man verlangt ein Telephon, um zu seinem Kaufmann sprechen zu
können und ihn zu bitten, die Kolonialwaren und Südfrüchte, die
die großen Frachtschiffe herbeigeholt haben, von seinem Lager zu
uns zu bringen. Man verlangt, mit den fernsten Orten in regel-
mäßiger Fracht- und Personen- und Post- und Telegraphenverbindung
zu stehen. Man verlangt die wohlgefüllten und wohlversehenen Lager
der Kaufläden, man verlangt Maschinen und Werkzeuge. Man: ver-
langt feste Theater und tägliche Zeitungen, Schulen und Kirchen.
Man verlangt gepflasterte, erleuchtete Straßen, Herde in seinen
Küchen, Bäder und gute Wirtschaftsräume. Und man verlangt noch
eine ganze Menge anderes. Und alle diese Dinge als Zukunftsgüter
zu bezeichnen wäre Sinnlosigkeit.
Denn alles dies ist — als Einheit betrachtet — "die Plattform,
auf der die Tätigkeit des Kulturmenschen sich aufbaut. Und in
dieser Bezeichnung besteht keinerlei Unterschied zwischen den Be-
standteilen, aus denen das Kapital besteht.
Die natürliche Befriedigung, die Befriedigung des flüchtigen
Augenblicks, des Jetzt, existieren für den Kulturmenschen in seiner
Kulturwirksamkeit in Wirklichkeit nicht. Die Befriedigung existiert.
air als Glied einer planmäßig fortgesetzten, stetigen Befrie-
igung.
Eine Tätigkeit kann nur in der Zeit existieren. Eine Tätigkeit
des Augenblickes ist ein Widerspruch in sich. Ebenso wie eine Reise
von Berlin nach Paris nicht in einem Augenblick vorgenommen
werden kann. Und sobald die Tätigkeit entsteht, verschwindet der
Augenblick sozusagen aus der Oekonomie und macht der durch die
Tätigkeit und die Mittel der Tätigkeit geschaffenen höheren Einheit,
in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgehen, Platz.
. Die Frage von der Natur der Tätigkeit und des Kapitals kann
nicht gelöst werden, ohne daß man zu voller Klarheit kommt über
den Unterschied zwischen der augenblicklichen Anschauung des
Naturzustandes und der ökonomischen Anschauung des Kultur-
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 589
standes von der höheren Einheit der Tätigkeit. Und Böhm-Ba-
werk hat selbst, durch seine entgegengesetzte Auffassung von
dem Kapital als einem zukünftigen Gut, das einem Reifeprozeß
unterworfen ist, das Verdienst, der ökonomischen Wissenschaft die
Erkenntnis aufgedrängt zu haben, daß der Kulturmensch sein Dasein
nicht auf der Befriedigung eines isolierten Augenblicks, sondern
auf der fortwährenden, planmäßigen Bedarfsbefriedigung aufbaut.
Böhm-Bawerk brachte die Zeitfrage in die Wissenschaft hin-
ein; dagegen glückte es ihm nicht, selbst zu der Erkenntnis der Um-
formung und Verwandlung zu gelangen, die die Naturbedürfnisse
durch die Tätigkeit erlitten haben, — das also, was sie aus einem
rein organischen Phänomen zu einem ökonomischen Kulturphänomen
macht. |
Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß auch in dem Kultur-
menschen ein rein isoliertes, ganz organisches Befriedigungsgefühl
entstehen kann, oder ein ganz isolierter Trieb, der völlig außerhalb
des Gebietes der Wirksamkeit liegt. Ein augenblicklicher oder zu-
fälliger Notstand kann den verhärtetsten Kulturmenschen zu einem
Naturmenschen machen, der rein instinktiv als organisches Wesen
handelt und fühlt. Doch gerade diese rein isolierten, außerhalb des
Begriffes der Tätigkeit liegenden Zufälligkeiten bekräftigen die
wahre Natur der auf der Tätigkeit ruhenden Kulturbefriedigung.
Der rein ursprüngliche natürliche organische Bedarf an und
für sich hätte diese umgeformten Kulturmittel nicht hervorbringen
können. Das hat einzig der umgeformte Kulturbedarf vermocht.
Nicht der organische Bedarf an Nahrung, sondern der umgeformte
Bedarf, dem rein körperlichen Bedarf eine kulturgemäße Befriedi-
gung zu sichern.
Darum ist es, streng genommen, auch nicht ganz korrekt, wenn
man die Kapitalproduktion als einen Produktionsumweg bezeichnet
hat. Im Verhältnis zu dem organischen Bedarf wäre es allerdings
ein riesiger Umweg. Aber im Verhältnis zu dem umgeformten
Kulturbedarf ist es eine ebenso direkte und natürliche Befriedi-
gungsform, wie der Apfel im Paradies es war. Den Stoff muß man
ja nun einmal benutzen, um eine Befriedigung zu erlangen, und dann
steht der umgeformte Stoff in demselben Verhältnis zu dem umge-
formten Bedarf, wie der natürliche Stoff zu dem natürlichen Bedarf.
Der Kapitalproduktionsprozeß ist der einzige Weg, der zu dem
Ziel, das die Tätigkeit sich gesteckt hat, nämlich zu der rein kon-
kreten Befriedigung, die man durch die Tätigkeit erlangt, führt.
Wenn man seine Gedanken niederschreibt oder drucken läßt, so
erreicht man doch etwas mehr und Größeres als eine ganze alltäg-
liche Mitteilung an irgendwen. Wenn man einen Weg in zierlichen
Windungen auf eine Höhe hinauf: anlegt, so erreicht man doch
eigentlich etwas anderes, als wenn man ihn einfach über Berg und
Tal laufen läßt.
Wenn man sich in den Expreßzug setzt und von Berlin nach
Paris fährt, oder wenn man durch das Telephon seinem Kaufmann
590 K. Schönheyder,
den Auftrag gibt, Waren zu bringen, die man dann mit einer Geld-
summe bezahlt, so ist das doch etwas anderes und mehr, als man
ohne ein solches Kapitalwerkzeug erreicht haben würde.
Und wenn man in der Oekonomie das Kapital ein Werkzeug
nennt, so hat das eigentlich dieselbe Bedeutung, wie wenn man den
Apfel im Paradies ein Werkzeug nennt, insofern nämlich, als es
ein Mittel ist, um eine Befriedigung zu erlangen, — ein Befriedi-
gungswerkzeug.
Die Kapitalproduktion ist, ökonomisch betrachtet, kein Umweg,
sondern Tausende von großen und kleinen Wegen, die zu demselben
großen gemeinsamen Ziel führen. Und dieses gemeinsame Ziel kann
nicht einmal örtlich näher bezeichnet werden. Es ist wie das sich
kreuzende Straßennetz einer großen Stadt. Es führt zu jedermanns
Haus. —
Gleichzeitig damit, daß das Kapital eine Einheit und ein Mittel
ist, ist es auch eine Kraft, eine produktive Kraft, die in der
ökonomischen Wissenschaft unter dem Namen Produktivität bekannt
ist. In dem Unterschiede zwischen den Resultaten der Kulturwirk-
samkeit und des Naturzustandes offenbart sich die Produktivität,
in den kulturumgeformten Bedarfsmitteln der Tätigkeit, im Gegen-
satz zu den Befriedigungsmitteln, die direkt aus der Hand der
Natur kommen. Man hat sich in der ökonomischen Wissenschaft
einseitig dabei aufgehalten, daß die Produktivität eine quantita-
tive Vermehrung des Produktionsertrages, — eine rein numeri-
sche Vermehrung sei. Mit den Maschinen, heißt es, wird ja so viel
mehr produziert, als durch Muskelkraft. — Die Teilung der Arbeit
bewirkt, heißt es, daß bei jedem einzelnen eine größere Fertigkeit
erreicht wird, so daß viel mehr produziert werden kann, als früher,
wo jeder einzelne eine Reihe verschiedenartiger Funktionen aus-
führen mußte. Als typisches Exempel der Produktivität nach der
früheren Auffassung des Begriffes kann man wohl die Stecknadel-
fabrikation aufstellen, in der jetzt pro Arbeiter tausendmal so viele
Stecknadeln fabriziertwerden, als unter den primitiveren Produktions-
verhältnissen in dieser Branche.
Doch verglichen mit der qualitativen Umformung, der alle
Bedarfsmittel durch die Kapitalwirksamkeit unterworfen sind, hat
diese quantitative Vermehrung, die in der Produktivität liegt, doch
nur eine verschwindende Bedeutung.
Daß die physische oder technische Grundlage der Produktivität
etwas rein Quantitatives ist, liegt in der Natur der Sache. Das
Kapital bedeutet rein technisch eine quantitativ vermehrte Aus-
nutzung der in der Natur wohnenden Kräfte und der Eigenschaften
des Stoffes.
Doch diese vermehrte Ausnutzung bedeutet in der Oekonomie
etwas Qualitatives. Und wenn die Produktivität eine vorwiegend
ökonomische Quantitätsfrage gewesen wäre, würden das Kapital
und die ökonomische Tätigkeit eine ganz bescheidene Rolle in der
Entwicklungsgeschichte des Menschen gespielt haben. — Roschers
bekannte, arme Fischerbevölkerung litt kaum Mangel an Fisch.
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 591
Das Typische für die Umformung der Bedarfsmittel durch die
Tätigkeit, die Entwicklung des Kapitals, ist ja gerade, daß sie eine
Umformung ist, eine Verwandlung sowohl der Bedarfsmittel als
auch der Bedürfnisse selbst. Sie ist ein kulturelles Qualitätsphä-
nomen. An dem Abstand zwischen dem Bedarf des Kulturmenschen
und des Naturmenschen kann der riesenhafte Umfang der Produk-
tivität gemessen werden.
Hier könnte möglicherweise eingewandt werden, daß dies nicht
direkt die Natur der Produktivität als solcher, — sondern nur eine
indirekte Folge der quantitativen Bedeutung der Produktivität in
der Produktion ist. Erstens aber würde es bei der überwiegenden
Menge von Fällen eine absolute physische, technische und mathe-
matische Unmöglichkeit sein, nachzuweisen, woraus die quantitative
Vermehrung eigentlich bestehen sollte, da man ja nicht mit einheit-
lichen Zahlen zu tun hat, und überhaupt nichts existiert, was zum
Gegenstand eines Vergleiches gemacht werden kann. — Zweitens
würde man bei der überwiegenden Menge der erübrigten Fälle sehen,
wie das rein Qualitative als ein Wesensbestandteil und Hauptfaktor
in das Quantitative übergeht. Und bei den ganz wenigen übrigen
Fällen, wo man auf reine und klare Zahlen deuten kann, — eine
Million Stecknadeln statt tausend — wird man bei näherer Analyse
doch auch ein Qualitätsmoment finden, das nicht übersehen werden
darf, und das nicht indirekt und abgeleitet ist, sondern direkt in
der quantitativen Vermehrung liegt.
Erstens: Wenn man weit in der Kulturgeschichte der Um-
formung zurückgreift, — das Feuer! Wo ist denn da die quantitative
Vermehrung, die man Produktivität genannt hat. Man kann zwi-
schen einem Feuer und zwei Stücken Holz, — oder zwischen einem
Stück gebratenen und einem Stück rohen Fleisches keine mathe-
matische Subtraktion vornehmen. Die Zahlen sind nicht einheitlich,
und trotzdem läßt es sich ohne Zweifel nicht leugnen, daß das
Feuer eine gewaltige Eroberung einer Naturkraft ist, derer Pro-
duktivität alles, was sich überhaupt in Zahlen ausdrücken läßt,
übertrifft. Was bedeutet eine Million, wo von einer solchen Natur-
kraft die Rede ist, und zwar selbst da, wo man sich den verhältnis-
mäßig spärlichen Nutzen denkt, den die wilden Menschen davon
haben können.
Oder man denke an all das Kapital, das die Menschen in
ihre Gebäude und deren Ausstattung hineinlegen. Wo ist da die
qualitative Vermehrung? Ein Haus ist quantitativ nicht mehr als
10000 Mauersteine, ein Eßzimmermeublement quantitativ nichts
anderes als eine bestimmte Anzahl eichener Bretter.’ Und doch liegt
in der Bereicherung, die die Kulturentwicklung in dieser Richtung
gemacht hat, eine qualitative Produktivität, die nicht geringer ist,
als die quantitative Vermehrung in der Stecknadelfabrikation.
Oder man denke an die zahllosen neuen Genußmittel, mit
denen erfinderische Köpfe die Menschheit ausstatten. Hier handelt
592 K. Schönheyder,
es sich nicht um eine Million Stecknadeln, sondern um eine Million
mehr oder weniger verschiedenartiger Befriedigungsmittel, um die
Verschwendung der Kultur, verglichen mit der Einfachheit der Natur.
Zweitens: Wie geht nicht das Qualitative in das Quantitative
über bei einer Erfindung, wie z. B. der der Buchdruckerkunst! Hier
handelt es sich weniger um eine Million Bücher im Vergleich zu
tausend. Es handelt sich hier um eine neue Kulturmacht, die die
Bedürfnisse umformt. Ein Buch ist nicht länger nur Eigentum der
Auserwählten, sondern des ganzen Volkes, — nicht länger ein
Luxusartikel, sondern jedermanns Eigentum. — Nicht mehr eine
Kuriosität, sondern eine Quelle, aus der der Menschengeist sich
dauernd bereichert. Und die Buchdruckereien sind nicht mehr bloß
Buchdruckereien, sondern auch Zeitungsdruckereien. Völlig neue Be-
darfsmittel und eine völlig neue Kulturmacht werden geschaffen.
Und in alles dieses Neue wird das Netz von neuen technischen und
ökonomischen Umformungen gewoben, — der Telegraph und die
verbesserten Verkehrs- und Postversendungsmittel.
Und diese Verkehrsmittel selbst, wie deutlich bezeichnen sie
nicht die qualitative Produktivität. Zwar kann man sagen, daß
sie eine quantitative Vermehrung der Transportfähigkeit bedeuten.
Doch wie wenig ist im Grunde damit gesagt. Und was bedeutet
nicht die Vermehrung der Transportgeschwindigkeit, — der Trans-
portrouten, — des vermehrten Komforts und der Bequemlichkeit,
verglichen mit der rein quantitativen Seite. Es ist in der Tat etwas
qualitativ ganz Neues geschaffen, das sich in Zahlen nicht aus-
drücken läßt.
Und außerdem, was erreicht man eigentlich durch den Trans-
port? Man befördert eine Ware. Ist das ein quantitatives Resultat?
Kaum. Die Quantität der Waren ist und bleibt dieselbe, die öko-
nomische Qualität der Waren ist es, die sich verändert. Ihr Verhältnis
zu den Bedürfnissen ist ein anderes geworden.
Drittens: Die rein quantitative Vermehrung bedeutet die in
der Regel nicht eine wirkliche qualitative Umformung in der Be-
darfsbefriedigung und Wirksamkeit der Menschen? Schafft sie in
Wirklichkeit nicht ganz neue Befriedigungsmittel, wenn sie z. B.
das Unmögliche möglich, das Unbrauchbare brauchbar macht. Was
soll man mit einer Stecknadel, die vielleicht eine Stunde Arbeit
gekostet hat? Wer hätte für ein solches Ding Gebrauch? Ueberfluß
muß sein, damit sie zu einem wirklichen Befriedigungsmittel, sowie
sie es heute für arm und reich sind, werden können. Dinge, die
kraft ihrer Natur geschaffen sind, Notwendigkeitsartikel zu sein,
sind nicht dazu geschaffen, Luxusartikel zu sein.
Und bedeutet die quantitative Vermehrung auch nicht eine
qualitative Veränderung für alle, so doch für eine ganze Reihe von
Konsumenten, die erst dann dieses Gutes teilhaft werden können.
Natürlich gibt es auch Fälle, wo Maschinenkraft Handkraft
direkt ersetzt und mathematisch in Handkraft umgesetzt und aus-
gedrückt werden kann, und wo das Kapital eine enorme numerische
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 593
Produktivität, eine gewaltige Eroberung von Naturkraft und tech-
nische Nutzung bezeichnet. Kräne zum Winden, Maschinen zur
Verarbeitung von Schuhen, Nähmaschinen und Strickmaschinen wer-
den erfunden. Und man kann ja doch nicht sagen, dab die Be-
dürfnisse z.B. durch die Schuhfabrikation merklich umgeformt
werden. — Und wenn alle Arbeit in einer einzelnen Branche, wie
z. B. beim Warentransport, allein durch menschliche Arbeit aus-
geführt werden sollte, so wäre sicherlich alle Arbeitskraft der Welt
zusammengenommen quantitativ nicht ausreichend zu dieser einen
Arbeit.
Soll man dies nun aber eine quantitative oder eine qualitative
Produktivität nennen? Bedeutet es recht eigentlich mehr Transport,
oder mehr von all den andern Zweigen, die zur Kulturwirksamkeit
gehören? Als Roschers armes Fischervolk seinen ersten Fischfang-
apparat bekam, so bedeutete das sicherlich nicht mehr Fisch, sondern
mehr von allen andern Gütern des Lebens. Und hätten sie nur
Fisch bedeutet, so wäre das arme Fischervolk ebenso arm geblieben,
wie vorher. Also selbst da, wo die Produktivität ausschließlich
quantitativ numerisch ist, ist ihre Bedeutung doch wesentlich eine
qualitativ kulturelle.
Hier kommt noch ein weiteres Moment hinzu, wodurch es zur
Unmöglichkeit wird, einen rein quantitativen Maßstab anzulegen.
Nämlich all der Stoff, den das Kapital verschlingt und den man in
dem fertig verarbeiteten Produkt nicht wiederfindet. Der Stoff des
Kapitals selbst ist inkommensurabel mit dem endlichen Produkt,
das das Kapital produktiv macht.
Wenn nun aber die Produktivität rein quantitativ nicht meßbar
ist und nicht durch Zahlen ausgedrückt werden kann, womit soll
sie denn eigentlich gemessen werden? Sie ist ja eine Kraft, wenn
auch zunächst eine ökonomische. Und eine Kraft muß auf irgend-
eine Weise ausgedrückt werden können. Sollte man sie vielleicht
mit Hilfe der gewonnenen Naturkraft, in Pferdestärken ausgedrückt,
oder einer andern Einheit vergleichen?
In der Oekonomie wäre das kaum tunlich. Eine Nähmaschine
z. B. entwickelt ja überhaupt keinerlei Kraft. Sie muß erst selbst
durch Kraft getrieben werden. Doch, einmal in Bewegung gesetzt,
führt sie eine Arbeit aus, die in Pferdestärken auszudrücken absolut.
keinen Sinn hätte. Die Produktivität in Pferdestärken auszudrücken,
wäre also in der Oekonomie eine Unmöglichkeit. Das durch die
Tätigkeit erzielte Resultat ist in der Oekonomie das Wesentliche.
Dahingegen würde es sich vielleicht machen lassen, einen
technischen Maßstab an das produktive Resultat der Tätigkeit
in der Oekonomie anzulegen. Man hat ja einen technischen Nutz-
begriff. Der Nutzen in der Technik beruht auf der Brauchbarkeit
des Dinges zu einem bestimmten technischen Zweck, z. B. der
Brauchbarkeit eines Schlosses zum Schutz des unter Verschluß Be-
findlichen. Dieser Nutzen kann größer oder kleiner sein, das Ding
kann zu dem bestimmten Zweck mehr oder weniger brauchbar sein.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 38
594 K. Schönheyder,
Das Ding kann dienlich oder nützlich sein zu einem bestimmten
Zweck, aber zu einem anderen ganz unbrauchbar. Doch — Vergleiche
anzustellen zwischen dem Nutzen oder der Brauchbarkeit verschie-
dener Dinge zu verschiedenen Zwecken, ist, technisch gesehen, nicht
tunlich. Dinge, die verschiedenen Zwecken dienen, sind technisch
ganz inkommensurabel.e Der rein technische Nutzen z.B. eines
Regenschirms und eines Gewehrs läßt sich nicht vergleichen. Es
sind beides in Beziehung auf ihren speziellen Zweck nützliche oder
zweckmäßige Gegenstände. Aber man kann nicht sagen, der Regen-
schirm sei nützlicher als Schutz gegen Regen, als das Gewehr zu
seinem Zweck.
Dagegen hat man einen Maßstab für die Produktivität, der
spezifisch ökonomisch ist. Man kann nämlich die Produktivität mit
Hilfe von Wert ausdrücken, oder besser: man kann die Produktivität
ökonomisch nicht anders als durch Wert ausdrücken. Wert ist
nämlich der ökonomische Maßstab für die Dinge, ganz wie die
Kraft in der Mechanik und der Nutzen in der Technik.
Eine Wage mit Gewichten, eine Dampfmaschine führt in der
Mechanik eine mechanische Funktion, in der Oekonomie eine öko-
nomische Funktion aus. Ein Schlüssel, eine Nähmaschine — führt in
der Technik eine technische Funktion, in der Oekonomie eine öko-
nomischeFunktion aus. Und diese ökonomische Funktion ist in beiden
Fällen die gleiche, — Befriedigung zu erzeugen. — Um zwischen
den qualitativ verschiedenen Dingen, die die verschiedenen Formen
der Wirksamkeit hervorbringen, Vergleiche anstellen zu können,
muß man das ökonomische Wertmaß an die Dinge legen.
Es verhält sich also nicht allein so, wie Böhm-Bawerk mit
so großem Nachdruck geltend macht, daß ein Ding die Produktivität
als Quantitätsfrage, ein ganz anderes die Produktivität als Wert-
frage ist. Nein, es ist viel mehr, daß es nämlich, ökonomisch ge-
sehen, in Wirklichkeit nur ein Ding gibt: die Produktivität als
Qualitäts- oder Wertfrage. Die Produktivität ist eine rein ökonomi-
sche Frage, für die es nur einen einzigen Maßstab, den ökonomischen
Maßstab, den Wert gibt.
Was ist nun also die eigentliche Ursache zu diesem ökonomi-
schen Phänomen, — der Wertproduktivität des Kapitals?
Als Wertphänomen wird die Produktivität des Kapitals zu der
großen und brennenden Frage in der ökonomischen Wissenschaft.
Diese Frage hat jedoch zwei Seiten. Erstens: was ist die ökonomischa
Ursache, daß das Kapital den Wert des Ertrages der Tätigkeit ver-
mehrt? Zweitens: woher kommt es, daß die Wertvermehrung sich
auf eine Weise verteilt, daß sie der Arbeit nicht ausschließlich zu-
gute kommt? — Die erste Frage ist eine rein produktivökonomische,
die zweite eine sozialökonomische.
Diese beiden in Wirklichkeit so verschiedenen Fragen hat man
in der ökonomischen Wissenschaft nie ganz auseinanderzuhalten
vermocht. Teils hat man in der Kapitalrente eine natürliche Folge
von der technischen Produktivität des Kapitals gesehen und einen
Strich durch die soziale Seite der Sache gemacht. Teils hat man —
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 595
im Gefühl der Unzulänglichkeit der rein technischen Begründun
der Produktivität — versucht, sie dadurch zu stützen, daß man si
an ein ökonomisches Moment des Kapitals gehalten hat, das mit
seiner Produktivität durchaus nichts zu tun hat.
Letzteres ist der Fall mit der Theorie, die die Produktivität
des Kapitals direkt mit dem Zeitmonat in der Kapitalwirksamkeit
in Verbindung gesetzt hat. — Böhm-Bawerks bekannte Theorie
stellt ja die ökonomische These auf, daß Güter, die der Konsumtion
zugängig sind, im Augenblick wertvoller sind, als dieselben Güter,
wenn sie erst in Zukunft zugängig sind. Dies ist eine Folge der per-
spektivischen Verkleinerung, in der die Menschen die Bedürfnisse
und Bedarfsmittel der Zukunft sehen. Das Charakteristische an den
Kapitalgütern ist nach Böhm-Bawerk gerade das, daß sie der
Konsumtion im Augenblick nicht zugängig sind, sondern einen
kürzeren oder längeren Reifeprozeß durchzumachen haben. Hieraus
wird nun geschlossen, daß der endliche Wert dann teilweise eben
diesem Reifeprozeß zugeschrieben werden muß, oder dem Umstand,
daß die Güter, die vormals nur zukunitige, der Konsumtion unzu-
gängliche Güter waren, im Laufe der Zeit vorwärtsschreiten und
immer an Wert gewinnen, durch den Umstand, daß sie sich dem
Konsumtionsaugenblick nähern. So daß die Ursache zu der Produk-
tivität des Kapitals eben gerade die ist, daß man in der Kapital-
produktion nicht allein mit Arbeit, sondern auch mit Zeit produziert.
Dieser ökonomische Reifeprozeß, der während der Kapital-
produktion vor sich geht, ist indessen keine Eigentümlichkeit des
Kapitals. Das Bild einer solchen Reife ist ja direkt aus der Natur
geholt. Diese Reife geht ja tagaus, tagein überall vor unseren
Augen vor sich. Ja, sie geht tagtäglich mit den Bedürfnissen
selbst vor sich.
Alle Produktion, alle Tätigkeit, alle Konsumtion geht in der
Zeit vor sich. Wie die Zeit allmählich dahinschreitet, wächst Produkt
auf Produkt, Konsumtionsmittel auf Konsumtionsmittel aus der
Natur und der Arbeit und der Tätigkeit oder aus den instinktiven
Lebensäußerungen des organischen Wesens hervor, um die Bedürf-
nisse, die auch auf dieselbe Weise emporwachsen, zufriedenzu-
stellen. Die Frage von der Produktivität des Kapitals stellt sich
demnach so: weshalb ist der Reifeprozeß, der durch die
Kapitalwirksamkeit vor sich geht, produktiver, als der, der
ohne oder mit geringerem Kapital vor sich geht?
Um beidieser Frage von der Produktivität desKapitals zur Klar-
heit zu kommen, um den Kapitalreifeprozeß unter demselben Gesichts-
winkel, wie den Naturreifeprozeß zu sehen, mußman die Produktions-
formen, auf die es ankommt, in voller Tätigkeit, mit dem Kapital
als feste und unveränderliche Größe der Tätigkeit, vergleichen,
— Warum gibt denn da die eine Form der Tätigkeit, nach weicher
die ökonomischen Güter auf die oder jene Weise reifen, einen
größeren Wertertrag als eine andere Tätigkeit, wo die Reife auf
eine andere Weise vor sich geht? — Die Beantwortung dieser Frage
A8*
596 K. Schönheyder,
setzt voraus, daß man seinen Ausgangspunkt von der rein isolierten
Tätigkeit nimmt und zeigt, wie die wertvermehrende Tendenz in der
ökonomischen Natur des Kapitals selbst und des Wertes begründet ist.
Die ökonomische Eigentümlichkeit der Werte ist, daß sie sich
selbst aufheben oder negieren. Die Werte machen sich selbst über-
flüssig. Ohne das wären sie kein Wert. Je größer die Menge eines
bestimmten Gutes, über die das einzelne Individuum verfügt, um
so kleiner ist die Bedeutung, die das Individuum jedem einzelnen
Teil dieses Gutes zuschreibt. Der Grenzwert sinkt, je mehr die
Quantität wächst, doch der Wert der gesamten Quantität, das
Produkt: des Grenzwertes g und der Quantität k kann ab- oder zu-
nehmen, je nachdem man sich den Grenzwert schnell oder langsam
sinkend denkt.
Wenn der Grenzwert schneller sinkt, als die Quantität wächst,
d.h. wenn g progressiv sinkt, wird das Wertprodukt ok mit der
wachsenden Quantität des Gutes abnehmen. Sinkt dagegen g lang-
samer, als k wächst, d. h. regressiv, so nimmt das Wertprodukt gk
mit der wachsenden Quantität des Gutes zut).
Derjenige, der für die kommende Woche nur imstande ist, sich
ein einziges Brot zu verschaffen, und keinerlei andere Lebensmittel,
wird diesem einen Brot einen ganz außerordentlichen Wert zu-
schreiben. Ein Mensch kann auf die Dauer nicht von einem Brot
pro Woche leben, und dieses eine Brot wird höchstens ausreichen,
ihn vor den schlimmsten Hungersqualen, und zwar vielleicht nur
für Augenblicke zu schützen. Wird er sich drei Brote verschaffen
können, so muß er ganz naturgemäß jedem einzelnen der Brote einen
bedeutend geringeren Wert beimessen. Von einer eigentlichen Hun-
gersnot ist nicht mehr die Rede. Er kann einen Bedarf befriedigen,
der in seinen Aeußerungsformen weit schwächer ist. Kann er sich
vier Brote verschaffen, so wird der Wert jedes einzelnen bedenklich
sinken. Er ist von Mangel jetzt so weit entfernt, daß im Gegenteil
von Ueberfluß die Rede sein kann. Und kann er für seine Brote
keine andere Anwendung finden, als sie selbst zu essen, wird er
für das fünfte, geschweige denn das sechste und siebente sich nicht
im geringsten anstrengen oder gar sich ein Opfer auferlegen.
Man sieht also, daß eine so kleine Quantität, wie fünf oder
sechs Brote, eine Wertskala von dem denkbar Höchsten und Mög-
lichsten bis auf Null herab überspannt. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß der Grenzwert hier so schnell sinkt, daß jede be-
liebige quantitative Vermehrung eine Wertverminderung der ge-
samten Quantität bedeutet. Daß mit anderen Worten der Wert von
drei Broten, wenn man sich so viel verschaffen kann, kleiner ist,
als der Wert von zwei Broten, wenn man sich nur diese zwei ver-
schaffen könnte.
Annähernd ebenso wird es sich aber überall da verhalten, wo
es eine rein quantitative Vermehrung gilt. Bei einer solchen rein
1) Vergleiche meine Abhandlung Das Progressionsprinzip in der Besteue-
rung“ in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1911.
Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 597
quantitativen Vermehrung wird das Maximum der Werte und des
Genusses, der Punkt, wo eine Erhöhung der Quantitäten nur eine
Verminderung der Werte bedeuten kann, sehr schnell erreicht sein.
Solange die Vermehrung innerhalb der Grenze des streng Not-
wendigen zu liegen scheint, kann man noch davon ausgehen, daß
die Vermehrung auch eine Vermehrung des Wertes bedeutet. So-
bald indes der eigentliche Notstand aufgehört hat, und nur von der
Befriedigung eines gewissen Ueberflußbedürfnisses die Rede sein
kann, muß man annehmen, daß das Sinken des Grenzwertes so
stark ist, daß der gesamte Wert — trotz der quantitativen Ver-
mehrung — doch verringert wird, um schließlich, wenn der Ueber-
fluß erreicht ist, ganz auf Null herabzusinken.
Wenn also in einer Tätigkeit, in der kein absoluter Not-
stand herrscht, mit der Vermehrung der Kapitalquantität
in der Tätigkeit nichts anderes vorginge, als eine rein quan-
titative Vermehrung im Ertrag der Tätigkeit, so würde
diese Vermehrung immer eine Wertverringerung bedeuten
müssen.
Woher kommt denn nun der vermehrte Wert, den die ver-
mehrte Kapitalmenge dem Ertrag der Tätigkeit gibt? — Die Wert-
erhöhung schreibt sich eben von jener ökonomischen Eigentümlich-
keit des Kapitals her, die in der vorliegenden Abhandlung näher
entwickelt und begründet ist, nämlich, daß das Kapital eine quali-
tative Bereicherung, eine neue Form der Tätigkeit und Bedarfs-
befriedigung bezeichnet.
Der Kulturmensch ist reicher als der Naturmensch, nicht weil er
seinen Bedarf in größerer Ausdehnung befriedigt, sondern weil
seine Bedarfsbefriedigung sich über einen sehr viel größeren Kreis
von Bedürfnissen erstreckt. Je entwickelter die Umformung der
Bedarfsmittel, — je reichere Variationen die im übrigen verwandten
Güter bieten können, desto schneller wird das Sinken des Grenz-
wertes abnehmen. — Ist nur von dem ökonomischen Nährwert der
Güter die Rede, so ist man bald befriedigt. Was indessen die spe-
ziellen Geschmackseigenschaften der Güter betrifft, so kommt es
oft vor, daß die Augen größer sind, als der Magen. Wo es nichts
als Schutz gegen Wind und Wetter gilt, sinkt der Bedarf bald auf
den Nullpunkt. Hinsichtlich der Bequemlichkeit und des Komforts
in einer Wohnung gibt es hingegen keine Grenzen für die An-
sprüche, die man stellen kann. Doch alles dies gilt in noch viel aus-
geprägterem Grade da, wo die Kapitalvermehrung eine ganz neue
Reihe von Bedarfsbefriedigung bedeutet. Diese Reihen, deren An-
zahl mit dem Kapital fortwährend wächst, sind ein neues Niveau
für die Tätigkeit, das dem Kapital seine Wertproduktivität gibt.
Das Kapital ist die große Kulturmacht, die den Menschen eine
weitere Grundlage für ihre Tätigkeit verleiht. Ohne Kapital ist
die Tätigkeit wie ein einziger Ton, mit Kapital wird sie die große
Symphonie.
Was das Kapital und die Kapitalvermehrung produktiv macht,
ist also nicht eine gewisse quantitative Vermehrung des
598 K. Schönheyder, Die Tötigkeit als Grundbegriff der Oekonomie usw.
Ertrages innerhalb eines bestimmten Zweiges der Tätigkeit.
Die Produktivität der Kapitalvermehrung liegt in dem veränderten
Charakter, den sie der Tätigkeit und Bedarfsbefriedigung im all-
gemeinen verleiht. Und dieser veränderte Charakter springt uns
am deutlichsten in die Augen, wenn man zwei Zeitperioden, die
durch einen längeren Zeitraum getrennt sind, oder zwei verschiedene
Kulturstufen miteinander vergleicht. In dieser Verwandlungsfähig-
keit des Kapitals offenbart sich seine Produktivität, seine wert-
erhöhende Macht.
Dieses Verhältnis wird in der sozialen Tätigkeit mit ihren
sozialen Werten und sozialen Verhältnissen zum Teil verdunkelt.
Während es der isolierten Tätigkeit darum zu tun ist, den größt-
möglichen Ertrag der gesamten Tätigkeit, nicht eines einzelnen
Zweiges der Tätigkeit zu erreichen, ist es natürlich vom Gesichts-
punkt des privaten Kapitalisten völlig gleichgültig, ob der gesamte
Ertrag in der sozialen Tätigkeit der größtmögliche ist oder nicht,
wenn er nur den größtmöglichen Ertrag für seine eigene Produktion
erreicht. Daß diese beiden Dinge nicht zusammenzufallen brauchen,
— ja, daß sie in Wirklichkeit im Streit miteinander sind, liegt in
der Natur der Sache.
Der Grund, warum die soziale Gesellschaft sich darein finden
muß, daß die Rücksicht auf die allgemeine gesellschaftliche Pro-
duktivität der Rücksicht auf die Rentabilität des privaten Kapitals
weichen muß, ist ein sozialökonomisches Problem, dessen Lösung
die Entwicklung einer anderen Seite des Kapitals als ökonomisches
Phänomen fordert, — des Kapitals als sozialer Faktor.
Die in der vorliegenden Abhandlung dargestellte Seite des
Kapitalsphänomens, — das Kapital als produktiver Faktor und
Grundlage der planmäßig fortgesetzten, stetigen Tätigkeit und Be-
darfsbefriedigung, — seine Umformung durch die Tätigkeit, mit
der daraus folgenden qualitativen und kulturellen Bereicherung,
das ist das Fundament für das ökonomische Leben und die ökonomi-
sche Wissenschaft.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 599
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV.
Die amerikanische Bankreform.
Von
L. Bendix, und Dr. J. Jastrow,
Docent an der New York University Professor an der Universität Berlin.
Während die große amerikanische Bankreform sich den letzten
Stadien ihrer tatsächlichen Ausführung nähert, ist der Weltkrieg des
Jahres 1914 entbrannt und hat jener Reform nicht nur für die Ver-
einigten Staaten selbst, sondern auch für Europa eine noch viel höhere
Bedeutung gegeben, als man schon bei ihrer Inangriffnahme voraus-
sehen mußte. Noch einmal hat sich in aller erschreckenden Deutlichkeit
gezeigt, daß die Union, solange sie auf ihre alte rückständige Bank-
verfassung angewiesen ist, Geld- und Kreditkrisen heftiger als jedes
andere Land empfindet. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß der
europäische Krieg in den Vereinigten Staaten eine größere finanzielle
Verwirrung hervorgerufen hat, als bei irgendeiner der direkt beteiligten
Mächte. In der Bewegung der fremdländischen Wechselkurse an der
New Yorker Börse ist dies unwiderlegbar zum Ausdruck gekommen.
So stieg beispielsweise der englische Wechselkurs, dessen oberer Gold-
punkt mit ungefähr 4,881/, $ für das Pfund Sterling anzunehmen ist,
bereits in der Woche vom 24. zum 31. August von 4,873/, $ auf
6,35 $, was einem Agio des englischen Wechselkurses von 13,3 Proz.
entsprach. Der äußere Grund dieser beispiellosen Bewegung ist be-
kannt. Von Europa aus waren in den Tagen vor dem Kriegsausbruch in
erheblichen Beträgen amerikanische Wertpapiere verkauft worden, um
auf diese Weise die Goldkriegsvorräte zu vermehren. Die sich daraus
ergebende Steigerung der fremden Wechselkurse an der New Yorker
Börse machte die Ausfuhr von Gold nach Europa erforderlich, die aber
durch den Ausbruch des Krieges verhindert wurde. Dadurch war die
amerikanische Bankwelt, wenn sie ihre Verpflichtungen gegenüber dem
Auslande erfüllen wollte, in die Notlage versetzt, telegraphische Aus-
zahlung auf europäische Plätze, insbesondere auf London zu jedem
Preise zu erwerben. Dies aber ist lediglich der äußere Grund für das
Versagen des amerikanischen Geldmarktes. Wäre das am 23. Dezember
1913 zur Annahme gelangte neue amerikanische Bankgesetz im Juli
dieses Jahres bereits in Wirkung gewesen, so würden sich die Dinge
fraglos ganz anders abgespielt haben.
600 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die fernere Entwicklung hat deutlich den Verlauf gezeigt, den der
Vorgang bei Vorhandensein einer Zentralreserve gleich bei Beginn des
Krieges gehabt hätte. In dem Augenblick nämlich, als der Federal
Reservo Board zur Ansammlung eines besonderen „gold-pool‘‘ von
100 Mill. $ seine Zustimmung erteiltel), haben die Wechselkurse
wieder einen annähernd normalen Stand erreicht. Für das regelmäßige
Funktionieren des Geld- und Kreditverkehrs in den Vereinigten Staaten
ist allerdings nicht nur die volle Durchführung des neuen amerikanischen
Bankgesetzes, sondern vor allem auch die Bildung eines amerikanischen
Geldmarktes von internationaler Bedeutung erforderlich. Man muß sich
klar machen, daß im Weltzahlungsverkehr die Vereinigten Staaten von
Nordamerika bisher lediglich eine Provinz des Sterlingwechsels waren.
Es gehört zu den merkwürdigsten Beweisen für den konservativen
Charakter gewisser Handelsinstitutionen, daß dieses Land mit leben-
sprühender Wirtschaftsentwicklung sich nicht zu dem Ehrgeize ver-
stiegen hat, ein eigenes papierenes Zahlungsmittel in den Weltverkehr
hineinzuwerfen, sondern bis auf den heutigen Tag sich der europäischen
Wechsel bedient hat, die die Union bei ihrer Begründung als herrschend
vorfand. Weil infolgedessen dem Wechsel sozusagen die Spitze seiner
Karriere fehlte, hat er auch in der unteren, inländischen Stufe des
Verkehrslebens nicht die Rolle wie bei uns gespielt. Die schwerfällige
und weniger durchsichtige Form des Solawechsels, bei uns auf den
Kleinverkehr und gewisse Ausnahmefälle beschränkt, ist in Amerika
üblich geblieben?). Damit hängt es zusammen, daß für die amerika-
nischen Zettelbanken im Unterschiede von den europäischen die Wechsel-
diskontierung als Hauptbetätigung nicht in Betracht kam. Nun kann
es von ausschlaggebender Bedeutung werden, daß die Bankreform, die
eigentlich erst einen selbständigen amerikanischen Wechsel schafft, zeit-
lich mit der Kriegskrisis zusammenfällt, die zunächst wenigstens den
Sterlingwechsel entthront. Zusammengenommen mit dem den Banken
verliehenen Rechte, Auslandsfilialen zu errichten, kann dies dazu führen,
die Flut des Dollarwechsels in die Ebbe des Sterlingwechsels hinein-
zuleiten 3). Und wenn auch die Handelsgeschichte lehrt, daß Geldein-
richtungen, die Jahrhunderte hindurch bestanden haben, einer noch so
starken einmaligen Erschütterung nicht ohne jede Möglichkeit der Er-
holung erliegen, so werden doch ganz sicher für einen Ansturm des
1) Aus diesem Pool sollen die europäischen Verpflichtungen derartig ab-
getragen werden, daß ein Teil nach Canada übergeführt, der andere aber als
Goldguthaben den ausländischen Gläubigern zur Verfügung gestellt wird. — Vgl.
durchweg: Bendix, Die amerikanische Volkswirtschaft unter dem ersten Ein-
fluß des amerikanischen Krieges in dem „‚Kriegsheft‘‘ des „Archivs für Sozial-
wissenschaft‘ 1914.
2) Vgl. Jastrow, Finanz- und Handelsblatt der Vossischen Zeitung vom
14. April 1914.
3) Die größte der amerikanischen Privatbanken, die in New York domi-
zilierende National City Bank, hat bereits Ende August — wie es die neue ge-
setzliche Vorschrift verlangt — bei dem FRBoard um die Erlaubnis zur Errich-
tung von Zweigniederlassungen in Rio de Janeiro, Buenos Aires und Valparaiso
nachgesucht. Auf den Antrag ist umgehend die Zustimmung gefolgt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 601
jungen Dollar- gegen den alten Sterlingwechsel die Chancen bei der
Ausführung des neuen amerikanischen Bankgesetzes ungleich günstiger
und verheißungsvoller sein, als man bei dem Gesetzgebungsakte selbst
annehmen konnte.
Aus diesem Grunde haben wir in diesen einleitenden Worten die
Stellung des Bankgesetzes zum Wechselverkehr vorweggenommen. Es
zeigt dio Seite, die im Augenblick das größte Interesse hat. Orga-
nisch aber liegt der Wert des Gesetzes in seinen Zentralisierungsbestim-
mungen. Während die Vereinigten Staaten mit über 7500 National-
banken bisher das Beispiel der weitestgehenden Dezentralisation zeigten,
führt das neue Gesetz zwar nicht ein Zentralnoteninstitut ein, aber es
schafft doch in jedem der 12 Distrikte, in die die Union eingeteilt wird,
eine gewisse Zusammenfassung durch Einrichtung je einer „Federal
Reserve Bank“, die alle zusammen eine Spitze in Washington erhalten.
Eine genaue Kenntnis der neuen Bankverfassung kann man ohne
den Wortlaut des Gesetzes nicht erhalten. Mit diesem Wortlaut freilich
auch nicht. Denn nicht nur, daß die amerikanischen Gesetze in Wulst
und Schwulst des Ausdrucks, in lächerlicher Wiederholung gleich-
bedeutender, in Anhängung nichtssagender Redewendungen ihre eng-
lischen Vorbilder pomphaft zu überbieten suchen: die anscheinende
Pedanterie ist noch nicht einmal Uebertreibung eines Strebens nach
Korrektheit. Dieses Streben sucht man in dem Gesstze vergebens. Die
Nachlässigkeit der Gesetzesarbeit steigert sich in manchen Teilen bis
zur Liederlichkeit. Durch Satzungeheuer peinlich gehäufter juristischer
Formeln muß man sich durcharbeiten, um schließlich einzusehen, daß
der Verfasser sich um das, was er sagen will, nur allzuwenig Sorge ge-
macht hat. Das sachlich klug und besonnen aufgebaute Gesetzgebungs-
werk hat eine äußere Form erhalten, die seiner Bedeutung nicht ent-
spricht.
Aus diesen Gründen haben wir zwar großes Gewicht darauf gelegt,
dem deutschen Leser eine ungekürzte wortgetreue Uebersetzung des
Gesetzestextes zu geben, aber wir haben die Bezeichnung „wortgetreu“
nicht mechanisch gefaßt. Nach den für die Lektüre bewährten Grund-
sätzen eines bereits veröffentlichten Auszuges!) sind lediglich floskel-
hafte Wendungen weggelassen, d. h. solche Wendungen, bei denen durch
genaue Prüfung festgestellt ist, daß sie dem Inhalte nichts hinzu-
fügen. Um von der abschreckenden Sprache des Originals auch in der
Uebersetzung ein Bild zu geben, bleibt an Beispielen solcher Floskeln
immerhin noch genug übrig. — Da aber aus sachlichen Gründen das
Gesetz für den deutschen Leser nur verständlich ist, wenn auf die Be-
deutung der einzelnen Bestimmungen vorher aufmerksam gemacht wird,
so haben wir für die wichtigsten dieser Bestimmungen einen darstellen-
den Teil vorangeschickt. Wir sind bemüht gewesen, diesen so zu halten,
daß er gleichzeitig als Kommentar zu den entsprechenden „Sektionen“
gelten kann.
1) Jastrow, Textbücher zu Studien über Wirtschaft und Staat. Bd. 4.
Geld und Kredit (Berlin 1914) S. 160—167.
602 Nationalökonomische Gesetzgebung.
I. Allgemeines.
In der Federal-Reserve-Acte vom 23. Dezember 1913 sind zwei
Bills verkörpert, die Glass bill und die Owen bill. Jene hat ihren
Namen nach dem Vorsitzenden der Bankkommission des Repräsentanten-
hauses, diese nach dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für Bank-
wesen erhalten. Diese beiden Bills haben den Kongreß über ein halbes
Jahr beschäftigt. Sie aber zu einem einheitlichen Ganzen zusammen-
zufassen, fehlte es schließlich an Zeit. Nachdem der Senat seine eigene
Bill, die Owen’sche, mit einigen Abänderungen angenommen hatte, han-
delte es sich darum, zwischen dieser und der Glass bill ein Kompromiß
zu schaffen. Damit hatte sich der aus Vertretern beider Häuser zu-
sammengesetzte Konferenzausschuß zu befassen. Dieser trat am 20. De-
zember zusammen; bis Weihnachten sollte die Gesetzgebung unbedingt
zustande gebracht werden, um so mehr als Präsident Wilson in jener
Zeit dringend einer Erholung bedurfte. Somit blieben diesem Ausschuß
nur 3 Tage für seine Beratung und für Redigierung des Kompromiß-
entwurfes.
Der wesentliche Inhalt der FRActe läßt sich, wie folgt, skizzieren:
Es wird eine neue Art von Banken geschaffen, die den Namen
FRBanken erhalten. Die Anzahl dieser in den verschiedenen Teilen der
Union zu errichtenden Banken ist im Gesetz nur insofern bestimmt
worden, als die Höchstzahl auf 12 und die Mindestzahl auf 8 fest-
gesetzt worden ist!).
Jede Nationalbank muß innerhalb eines Jahres nach Erlaß des
Gesetzes Mitglied der in dem Distrikt befindlichen FRBank werden.
Die sogenannten Staatenbanken (d. h. Banken mit Konzession der
Einzelstaaten) und Trust-Bankgesellschaften können, wenn sie beson-
deren Vorbedingungen entsprechen, Mitglieder werden. Die Mitglied-
schaft ist an den Erwerb und Besitz eines FRBankanteils gebunden, und
zwar muß jede Mitgliedsbank mit 6 Proz. ihres Eigenkapitals und der
Reserven an der in ihrem Distrikt liegenden FR Dank beteiligt sein 21.
Bei Erhöhungen oder Ermäßigungen des Kapitals oder der Reserven tritt
1) Der Reservebank-Organisationsausschuß, dessen Bildung und Tätigkeit
im Gesetz genau vorgeschrieben ist, hat sich nach eingehenden Verhandlungen für
zwölf Banken entschieden, und zwar an folgenden Orten: New York, Phila-
delphia, Cleveland, Richmond, Atlanta, Chicago, St. Louis, Minneapolis, Kansas
City, Dallas (Texas), San Francisco.
2) Bei aller Kompliziertheit der Vorschriften im einzelnen ist also Prinzip
und Sinn dieser „Reserve“ einfach und klar. Daß bei uns auch das Prinzip der
Neuerung vielfach nicht verstanden wird, hat seinen Grund in einer bloßen
Aeußerlichkeit. Das Wort ‚‚Reserve“ spielte nämlich schon in dem bisherigen
amerikanischen Banksystem eine Rolle. Die ‚Country Banks‘ an kleineren Orten
unterhielten Agenten an den größeren Plätzen und waren befugt, ihre Reserven
zum Teil bei diesen Agenten in den (danach so benannten) „Reserve Cities“ zu
unterhalten; ebenso wie die Banken der größeren Plätze in einer der drei „Central
Reserve Cities“ (New York, Chicago, St. Louis). Aber diese Einrichtung (die
als bloße Klassifizierung der Bankplätze bestehen bleibt) hat mit den neuen
„Federal Reserve Banks“ nichts zu tun, und es wäre besser gewesen, für die
neue Sache einen neuen Namen zu wählen oder die alte Bezeichnung abzuschaffen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 603
‚eine entsprechende Aenderung des Anteils ein. Infolgedessen wird das
Kapital der Reservebanken ständig schwanken, je nachdem Mitglieder
ein- und austreten oder Erhöhungen bzw. Herabsetzungen ihres Grund-
kapitals oder der Reserven vornehmen (Sect. 2)1).
Die Reservebanken werden von einem aus 9 Mitgliedern bestehen-
den Direktorium geleitet. Das Direktorium ist aus 3 Klassen zusammen-
gesetzt, und zwar werden gewählt:
die Mitglieder der Klasse A, von den Banken als deren Vertreter,
die Mitglieder der Klasse B, als Vertreter von Handel und Indu-
strie, von dem FRBoard,
die Mitglieder der Klasse C, als Vertreter des Board.
Das Board bestimmt gleichzeitig, wer von den Mitgliedern der
Klasso C das Amt der FRAgenten bzw. des FRAgent-Stellvertreters be-
kleiden soll. Der FRAgent ist Vorsitzender des Direktoriums. (Sect. 4.)
Als drittes Glied der neuen Organisation wird das Federal-Advisory-
Council (Federal-Beratungsausschuß) geschaffen. Jede FRBank wählt.
aus ihrem Distrikt eine für dieses Amt geeignete Person als Mitglied
des Federal-Advisory-Oouncil. Die Rechte des Federal-Advisory-Council
sind auf Beratungen über die allgemeine Geschäftslage beschränkt. Im
übrigen steht dem Couneil Vorschlagsrecht in bezug auf die Festsetzung
der Diskontsätze und die Geschäftsführung der Banken im allge-
meinen zu.
Das Federal-Advisory-Council muß mindestens viermal jährlich in
Washington einberufen werden. (Sect. 12.)
Der Geschäftskreis der FRBanken ist, wie folgt, abgegrenzt:
a) Annahme von Depositen,
b) Ueberweisung und Giroverkehr,
c) Notenausgabe,
d) Diskontierung von Wechseln,
e) Handel in Geldbarren und Münzen,
f) Erteilung von Vorschüssen auf Geld oder Aufnahme von Dar-
lehen in Geld,
g) Kauf und Verkauf von Wertpapieren.
Des weiteren ist die Tätigkeit der FRBanken durch eine Anzahl
von Bestimmungen eingeschränkt, und zwar
A. Hinsichtlich der Annahme von Depositen.
a) Der Depositenverkehr darf nur mit der Regierung und den Mitglieds-
banken unterhalten werden ;
b) den Mitgliedsbanken dürfen für die Depositen keine Zinsen vergütet
werden.
B. Hinsichtlich der Diskontierung von Wechseln.
a) In bezug auf die Laufzeit:
1. Mäer dürfen im allgemeinen nur eine Höchstlaufzeit von 90 Tagen
a H
1) Die Klammervermerke beziehen sich auf den im Anhang abgedruckten
wörtlichen Text des (Gesetzes.
604 Nationalökonomische Gesetzgebung.
2. Wechsel, die für die Zwecke der Landwirtschaft ausgestellt oder
in Umlauf gesetzt werden, dürfen eine Laufzeit bis höchstens
180 Tage haben.
b) In bezug auf den Betrag:
1. die Diskontierung von Bankakzepten ist auf die Hälfte des Aktien-
kapitals und der Reserven der rediskontierenden Bank beschränkt ;
2. keine Bank darf mehr als 10 Proz. ihres Aktienkapitals und ihrer
Reserven in Wechseln rediskontieren, die das Akzept oder Indossa-
ment ein und derselben Firma tragen ;
3. die für die Zwecke der Landwirtschaft zur Wee seet a
langenden Wechsel mit einer mehr als 90-tägigen Laufzeit dürfen
einen von dem FRBoard zu bestimmenden Prozentsatz des Aktien-
kapitals der rediskontierenden Bank nicht überschreiten.
C. Hinsichtlich des Handels in Wertpapieren.
Der Handel ist auf Schatzanweisungen und Bonds der Vereini Staaten
sowie kurzfristige Obligationen beschränkt. Zudem sollen für Käufe und Ver-
kais dieser Art von dem FRBoard noch besondere Vorschriften erlassen
werden.
Schließlich sollen die Federalbanken im allgemeinen nur mit den Mit-
gliedsbanken arbeiten. Am offenen Geldmarkt dürfen sie nur im Rahmen der
von dem FRBoard für diesen Zweck besonders zu erlassenden Bestimmungen
sich betätigen.
D. Hinsichtlich der Notenausgabe.
Die Ausgabe der neuen Noten erfolgt durch die Regierung. Die Noten
werden durch die Federalbank nur in den Verkehr gebracht. Das Quantum
der von den einzelnen Banken für diesen Zweck zu überlassenden Noten ist
dem Ermessen des Board bzw. der FRAgenten vorbehalten. Die Ueberlassung
der Noten erfolgt nur gegen Aushändigung eines gleichen Betra diskont-
fähiger Wechsel. Ferner muß gegen den Notenumlauf eine Goldreserve von
40 Proz. gehalten werden. Für die Ueberlassung der Noten ist eine Steuer zu
entrichten, deren Höhe durch das Board von Fall zu Fall festgesetzt wird.
Die an die Kassen der einzelnen Federalbanken gelangenden, von anderen
FRBanken in den Umlauf gesetzten FRBanknoten dürfen nicht wieder in
den Verkehr paent, sondern müssen der ausgebenden Bank zur Einlösung
übersandt werden.
Im übrigen stehen die FRBanken in allen ihren Geschäften unter
der Oberaufsicht des FRBoard. Diese Behörde besteht aus zwei stän-
digen Regierungsvertretern, dem jeweiligen Schatzsekretär (Secretary
of the Treasury) und dem Währungskontrolleur (Comptroller of the
Currency) sowie fünf von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten er-
nannten Mitgliedern, deren Amtsdauer zunächst auf 2—10 Jahre fest-
gesetzt ist. Spätere Ernennungen sollen aber auf 10 Jahre erfolgen,
auch ist Wiederernennung nicht ausgeschlossen.
Im einzelnen sind dem Board folgende Rechte eingeräumt:
1) weitgehende Prüfung der Geschäftsbücher ;
2) die Vorstandsbeamten und Aufsichtsräte der einzelnen FRBanken von
ihrem Amte zu suspendieren oder zu entlassen ;
3) Abschreibungen von Forderungen anzuordnen ;
4) den Geschäftsbetrieb zu suspendieren, die betreffenden Banken vorüber-
me zu verwalten und eventuell zu liquidieren oder zu Age det)
5) Anordnung oder Erlaubnis der Wechseldiskontierung der FRBanken
untereinander ;
6) Aufhebung sämtlicher Reservevorschriften ;
7) Ueberwachung und Regulierung der Ausgabe von FRXNoten;
Nationalökonomische Gesetzgebung. 605
8) deu Charakter einzelner Städte als Central-Reserve-Citys bzw. Reserve-
Citys zu bestimmen bzw. zu verändern;
9) von den FRAgenten Sicherheitsleistung zu verlangen ;
10) allgemeine Aufsicht über die FRBanken ;
11) Nationalbanken den Charakter als eh ee zu verleihen, so-
è weit dies nach den bestehenden Gesetzen möglich is
Das Board ist verpflichtet, wöchentlich den Status der 12 Bänken
zu veröffentlichen sowie jährlich einen ausführlichen Bericht über seine
Tätigkeit dem Kongreß einzureichen.
II. Die Notenausgabe!).
Das neue Umlaufsmittel erhält den Namen ‚Federal-Reserve-Notes‘.
Es ist formell Staatspapiergeld im älteren, weiteren Sinne, indem es
dem Wortlaute nach, und sonst auch äußerlich, als von der Vereinigten
Staaten-Regierung zur Ausgabe gelangt gekennzeichnet ist. Rechtlich
sind diese FRNotes indessen ebenso einlösbares Staatspapiergeld wie
auch einlösbare Banknoten, weil beide, die Regierung und die die Noten
in den Verkehr bringenden Banken, zur Bareinlösung verpflichtet sind.
Außerdem haben die Noten ein Vorzugsrecht auf die sämtlichen Aktiva
der Banken. Ihrem Wesen nach sind die neuen Noten jedoch reine Bank-
noten, weil sie teilweise durch bar und teilweise durch leicht realisier-
bare Aktiva, nämlich kurzfristige Wechsel, gedeckt sein müssen. Auch
sonst ist in der Gesetzgebung großer Wert darauf gelegt, ein allen
Forderungen vorsichtiger Bankpolitik entsprechendes Umlaufsmittel zu
schaffen. Deshalb sind nicht nur hinsichtlich der Deckung des Noten-
umlaufs strenge, vielleicht sogar zu strenge Bestimmungen vorgesehen.
sondern es ist auch dafür vorgesorgt, daß die zur Ausgabe gelangten
Banknoten möglichst schnell wieder an die Banken zurückfließen. Die
Bardeckungsvorschrift ist, wie eine ganze Anzahl anderer wichtiger Be-
stimmungen des Gesetzes, der deutschen Bankverfassung nachgebildet.
Indessen ist die Minimaldeckungsquote auf 40 Proz. festgesetzt wor-
den gegenüber 331/, Proz. im deutschen Gesetze. (Sect. 16.) Darüber
hinaus wird — gegenüber 662/, Proz. im deutschen Bankgesetze —
für den vollen Betrag der in Umlauf gesetzten Banknoten Wechsel-
deckung verlangt, so daß also die neuen amerikanischen Banknoten
gewissermaßen mit mindestens 40 Proz. in bar überdeckt sein müssen.
Freilich kann diese, vielleicht übertriebene Vorsicht, auch ihre Nachteile
haben. Es ist sehr leicht möglich, daß eine 40-proz. Bardeckung für
außergewöhnliche Zeiten zu hoch gegriffen ist, und daß dadurch die
Tätigkeit der neuen Institute gerade dann in Frage gestellt werden kann,
wenn eine möglichst willige Kreditgewährung durch Vermehrung der
Notenausgabe zur Verhütung von Krisen dringend notwendig ist. Aller-
dings sieht auch das Gesetz eine geringere Bardeckung vor; jedoch sind
die Banken nur dann dazu berechtigt, wenn der Federal-Board die Auf-
1) Die Bestimmungen über die Ausgabe der neuen FRNoten sind haupt-
sächlich in Sect. 16 enthalten; die über die Ausgabe von Banknoten auf Grund
des alten Nationalbankgesetzes sind in Sect. 4 und 18 zu suchen.
606 Nationalökonomische Gesetzgebung.
hebung sämtlicher Reservevorschriften anordnen sollte. (Sect. 11c.) Es
ist anzunehmen und zu erwarten, daß sich diese Aufsichtsbehörde
hierzu nur in großer Notlage entschließen wird. Wollte sie anders han-
deln und die Deckungsvorschriften bei regelmäßig wiederkehrender
Geldknappheit aufheben, wie solche beispielsweise gelegentlich der Ein-
bringung der Ernte in Amerika gewöhnlich auftritt, so würde diese Vor-
schrift überhaupt ihren Wert als Präventiv gegen eine übermäßige
Notenausgabe verlieren.
Der schnelle Rückfluß der zur Ausgabe gelangten FRXNotes soll
auf folgende Weise zweifach erreicht werden. Die FRNoten werden der-
artig gekennzeichnet, daß jede FRBank für die von ihr in Verkehr ge-
setzten Noten ein besonderes Merkmal hat; gelangt nun eine Banknote
an die Schalter einer „fremden“ Federal-Bank, so darf diese die Note
nicht wieder verausgaben, sondern muß sie der Ausgabebank zur Ein-
lösung einreichen. Ferner werden die FRBanken für alle ihnen über-
lassenen und in den Verkehr gesetzten Banknoten durch das Board be-
lastet. Für den so entstehenden Schuldbetrag haben die Banken einen
Zinssatz zu zahlen, dessen Höhe dem Ermessen des Board in jedem ein-
zelnen Falle überlassen bleibt. Hierdurch erhält das Board einen sehr
weitgehenden Einfluß auf das Notengeschäft; ganz abgesehen davon,
daß ihm auch das Recht zusteht, den Banken die Ueberlassung von
Noten überhaupt zu verweigern.
In bezug auf die Notenstückelung ist das Gesetz einer neuen Rich-
tung gefolgt und hat neben Noten von 100 und 50 $ auch kleine Ab-
schnitte in Beträgen von 20, 10 und 5 $ vorgesehen. Während früher
in der Theorie energisch der Standpunkt vertreten wurde: Der Charakter
der Banknote als Kreditmittel müsse durch eine möglichst hohe Stücke-
lung gesichert werden, wird heute in der kleinen Note das gegebene
Mittel gesehen, durch das ein Noteninstitut seinen Goldbestand erhalten
und sogar erhöhen kann. Der deutschen Reichsbank haben die „kleinen
Noten“ (zu 50 und 20 M.) nicht nur beträchtliche Goldmengen zu-
geführt, sondern sie haben jetzt auch mit dazu gedient, die durch den
Krier: im Geldwesen entstandene Lücke auszufüllen. Zu berücksichtigen
ist aber, daß sich die Reichsbank das Recht zur Verausgabung kleiner
Noten erst zubilligen ließ, nachdem über den Zweck dieser Maßnahme
in Fachkreisen keinerlei Zweifel entstehen konnten. Für Amerika trifft
dieses Beispiel nicht zu, weil dort ein großer Teil des Goldes ohnehin
beim Schatzamt konzentriert ist, und im Verkehr mit Ausnahme des
Westens Gold überhaupt kaum kursiert. Deshalb wäre mit Rücksicht
darauf, daß in Amerika ohnehin schon eine übergroße Anzahl kleiner
Papiergeldzeichen besteht, die Stückelung der Noten besser nicht so weit
nach unten vorgenommen worden.
Neben den FRNotes können die FRBanken auch noch Banknoten
auf Grundlage des veralteten Systems, d. h. gegen Deckung von Staats-
schuldtitel zur Ausgabe zu bringen. Für derartige sich auch in der
Form von den neuen FRXNotes unterscheidende Banknoten sind keine
einschränkenden Bestimmungen vorgesehen (Sect. 4 No. 8). Indessen
Nationalökonomische Gesetzgebung. 607
ist kaum anzunehmen, daß die Banken von diesem Rechte einen sehr
weitgehenden Gebrauch machen werden. Es soll dadurch wohl nur deın
Markt der United State- Bonds eine neue Absatzquelle erschlossen
werden.
Für den allmählichen Uebergang des alten Nationalbanksystems ist
ein, 2 Jahre nach Erlaß des Gesetzes beginnender, Zeitraum von
20 Jahren vorgesehen. Während dieser Periode können die National-
banken ihr Notenrecht auf die FRBanken allmählich derart übertragen,
daß diese jährlich bis zur Höhe von 25 Mill. United States-Bonds von
jenen erwerben. Die FRBanken können alsdann gegen die so ange-
kauften Bonds entweder Banknoten (auf Grund des alten Gesetzes)
ausgeben oder sie gegen 3-proz. Bonds ohne Notenprivileg umtauschen.
Ferner steht ihnen das Recht zu, die Hälfte der erworbenen Bonds
gegen Schatzanweisungen mit einjähriger Laufzeit umzutauschen, jedoch
übernehmen damit die Banken für 30 Jahre die Verpflichtung, diese
Schatzanweisungen auf Ansuchen des Schatzamtssekretärs von Jahr zu
Jahr zu verlängern. Somit kann von einer vollständigen Aufgabe des
alten, unelastischen Notenbanksystems keine Rede sein. Es konnte aber
wohl kaum anders vorgegangen werden, wenn man nicht über die wohl-
erworbenen Rechte der bestehenden Nationalbanken einfach hinweggehen
wollte. Der gefundene Ausweg erscheint recht und billig, und er er-
öffnet zugleich die Aussicht auf eine Vereinfachung des gesamten Noten-
bankwesens in zwar ziemlich langer, aber doch immerhin absehbarer
Zeit. Auch ist wohl anzunehmen, daß, je besser sich die neuen Noten
einbürgern werden, um so schneller die alten aus dem Verkehr ver-
schwinden werden. Da der gegenwärtige Notenumlauf ca. 750 Mill. $
beträgt, wird das allerdings bei einer höchstzulässigen Verminderung
von jährlich 25 Millionen in der ersten Zeit nicht in die Erscheinung
treten (Sect. 18).
Noch bevor die neuen FRNoten in den Verkehr gesetzt worden
sind, haben übrigens die Vereinigten Staaten ein Notstandsgesetz er-
halten, das nach einer auf die FRActe übergegangenen Gesetzgebung
vom 30. Mai 1908 (der sogenannten Vreeland Aldrich-Bill) für Krisen-
zeiten vorgesehen ist. Nach diesem Gesetze sollten die Nationalbanken-
vereinigungen (die aus den Nationalbanken der einzelnen Städte gebildet
werden) berechtigt sein, insgesamt bisher 500 Mill. $ solcher Notstands-
Noten gegen Hinterlegung von Wechseln zur Ausgabe zu bringen. Dieses
absoluto Maximum ist nun aber auf Grund der ersten Aenderung des
neuen Gesetzes gefallen und der Betrag auf 125 Proz. von Kapital
und Reserven der Banken erhöht, und ferner bestimmt worden, daß
auch die dem FRSystem beigetretenen bzw. noch beitretenden Staaten-
banken und Trustgesellschaften von diesem Rechte Gebrauch machen
können. Zu hoffen ist, daß diese Noten nach Eintritt normaler Verhält-
nisse bald wieder aus dem Verkehr verschwinden werden. Um das zu
erreichen, sieht das Gesetz auch eine mit 3 Proz. per Jahr und nach
dem ersten Vierteljahr von Monat zu Monat um 1/ Proz. bis auf
6 Proz. steigende Besteuerung dieser Noten vor.
608 Nationalökonomische Gesetzgebung.
II. Der offene Geldmarkt.
Der wesentlichste Unterschied zwischen dem noch während der
Präsidentschaft Tafts unter den Tisch gefallenen republikanischen
Aldrich-Plan, und der in der FRActe verkörperten demokratischen Glass
Owen-Bill, besteht in der verschiedentlichen Abgrenzung des Ge-
schäftskreises der FRBanken. Während Aldrich mit seiner National-
Reserve-Association lediglich eine Bank der Banken, und zwar nur
eines kleineren Teiles derselben, nämlich der Nationalbanken, vorsah, er-
öffnet die FRActe sowohl den Nationalbanken als auch den von den
Einzelstaaten konzessionierten Banken, den sogenannten State-Banks und
Trust-Companies, die Möglichkeit, dem neuen Banksystem als Mit-
glieder beizutreten. Darüber hinaus sollen dann aber die einzelnen
FRBanken berechtigt sein, mit dem offenen Geldmarkt zu verkehren,
so oft ihnen dies im Interesse einer wirksamen Diskontpolitik zweck-
mäßig oder notwendig erscheint.
In dieser letzteren Bestimmung ist auch der große bankpolitische
Vorzug des demokratischen Gesetzes gegenüber dem republikanischen
Gesetzentwurf zu erblicken. Während nach diesem das Maß der Be-
tätigung des Zentralinstituts ganz von dem freien Willen der National-
banken abhängig gewesen wäre, ist es nunmehr in die Hand der ein-
zelnen Federal-Banken gegeben, dieses Maß durch Betreibung einer
entsprechenden Diskontpolitik und eventuelles Aufsuchen des offenen
Marktes selbst zu bestimmen. Unglücklicherweise ist es gerade die die
offenen Marktoperationen behandelnde Sektion 14, die die größten
Schwächen in der Abfassung enthält. Es befinden sich in diesem Ab-
schnitt (vgl. S. 630) eine Anzahl von Bestimmungen, die mit dem Geld-
markt nichts zu tun haben, und eigentlich in den Abschnitt 13 hinein-
gehören 1).
Mit Recht hat die Gesetzgebung Wert darauf gelegt, daß die
FR Banken, sofern sie an den offenen Geldmarkt herantreten, nur das
beste Wechselmaterial erwerben. Ganz unverständlicherweise sind diese
Wechsel nun aber für die Notendeckung unverwendbar gemacht worden.
Die FRAgenten dürfen nämlich FRNotes nur für solche Wechsel ver-
abfolgen, die den Vorschriften des Abschnittes 13 des Gesetzes ent-
sprechen. Hierunter sind aber nur die seitens der FRBanken von den
Mitgliedsbanken im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erworbenen
Wechsel zu verstehen. Auf diese Weise sind die FRBanken natur-
gemäß in ihrer Betätigung am offenen Geldmarkt sehr gehemmt. Es
1) Dadurch könnte es sogar fraglich erscheinen, ob die FRBanken auch das
Recht haben, Wechsel im offenen Geldmarkt zu kaufen. Während nämlich
diesen Banken nach dem ersten Absatz des Abschnittes 14 dieses Recht fraglos
zusteht, könnte aus den Worten „von Mitgliedsbanken zu kaufen und mit
oder ohne ihre Unterschrift kaufmännische Wechsel zu verkaufen“ geschlossen
werden, daß die FRBanken am offenen Markte mit Umgehung der Mitglieds-
banken zwar rediskontieren, aber nicht diskontieren dürfen. Dieser Wider-
spruch ist aber nur dadurch entstanden, daß sich in dem Abschnitt Bestimmungen
befinden, die mit dem offenen Geldmarkt an sich nichts zu tun haben.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 609
steht ihnen für diesen Zweck nur ein Teil der frei verfügbaren De-
positengelder zur Verfügung, wobei sie aber mit großer Vorsicht zu
Werke gehen müssen, eben weil die so erworbenen Wechsel auch im
Notfalle nicht zur Notendeckung herangezogen werden können. Die
Betreibung einer wirksamen Diskontpolitik oder gar die Erlangung einer
gewissen Herrschaft über den offenen Geldmarkt wird durch diese ganz
unzweckmäßige und wohl nur versehentlich erfolgte Einschränkung
ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Wie verlautet,
soll denn auch bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit durch
eine entsprechende Aenderung des Gesetzes dieser Fehler gutgemacht
werden 1).
Die Bestimmungen über den Devisen- und Goldhandel sind gleich-
falls in dem Abschnitt über den offenen Geldmarkt aufgenommen wor-
den (Sect. 14a). Sie erscheinen durchaus ausreichend, um den FRBanken
auf diesem wichtigen Gebiet eine hinlängliche Betätigung zu sichern,
ganz besonders dadurch, daß die FRBanken berechtigt sind, im Auslande
Agenturen zu errichten oder sich sonstwie Verbindungen zu schaffen,
durch die sie an der Regelung des internationalen Geld- und Zahlungs-
verkehrs wirksam teilnehmen können (Sect. 14e).
In gleicher Weise vorsorglich ist an die Goldpolitik gedacht worden,
indem den FRBanken nicht nur der Handel in Goldmünzen und -Barren
im In- und Ausland freisteht, sondern sogar die Aufnahme von Gold-
darlehen gegen Hinterlegung entsprechender Sicherheiten gestattet wor-
den ist (Sect. 14a).
IV. Die Nationalbanken.
Wohl die schwierigste Aufgabe der Gesetzgebung bestand darin,
die Nationalbanken in ihrer gegenwärtigen Machtstellung einzuengen und
sie trotzdem für das neue System zu gewinnen. Um beides zu er-
reichen, mußten einerseits diesen Banken neue Rechte eingeräumt,
andererseits alte Rechte genommen werden.. Die Befugnis zu der — bis
dahin nicht gestatteten — Wechselakzeptierung (Sect. 13 Abs. 6)?), zur
Errichtung von Auslandsfilialen (Sect. 25), zur Gewährung von Dar-
lehen auf landwirtschaftlichen Grund und Boden (Sect. 24) dienen dem
ersten, die Aenderung der Depositenreservebestimmungen dem zweiten
Zwecke (Sect. 19). In der Tat eine glückliche Lösung des schwierigen
Problems, denn durch die den Nationalbanken erteilten neuen Rechte,
insbesondere durch die Schaffung des Bankakzeptes und die Gestattung
zur Errichtung von Auslandsfilialen werden sie für den Verlust ihres
Notenmonopols durch die ihnen aus der Ausdehnung ihres Geschäfts-
kreises erwachsenden Gewinne entschädigt, und gleichzeitig wird auch
der Allgemeinheit damit gedient, indem erst durch diese Erweiterung
die Begründung eines Geldmarktes von internationaler Bedeutung ermög-
1) Eine diesbezügliche bill liegt gegenwärtig dem Bankausschuß des Senats
zur Beratung vor.
2) Diese Bestimmung befindet sich im Gesetz da, wo man sie am wenigsten
vermutet — unter Rechte der FRBanken! Ein bezeichnendes Beispiel für die
flüchtige Anordnung des Ganzen.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 39
610 Nationalökonomische Gesetzgebung.
licht wird. Ebenso gewähren die geänderten Reservebestimmungen
einen doppelten Vorteil. Einerseits sichert die Ansammlung der Bar-
reserven bei den den öffentlichen Interessen dienenden FRBanken der
neuen Organisation einen sehr wünschenswerten Einfluß auf die Ge-
schäftsführung der privaten Banken, und da andererseits ein Teil dieser
bis dahin festgelegten und auch in Krisenzeiten unverwendbaren Re-
serven künftig von FR Banken für die Betreibung ihrer Geschäfte benutzt
werden, so werden diese ganz besonders in Notstandszeiten in der Lage
sein, die im Geld- und Zahlungsverkehr entstehende Lücke durch reich-
lichere Kreditgewährung auszugleichen.
Die Aenderung des Reservesystems konnte jedoch nur derart durch-
geführt werden, daß eine längere Uebergangsfrist bis zur vollständigen
Durchführung des neuen Systems gegeben und gleichzeitig auch der
Prozentsatz der von den Banken gegen ihre Depositen zu haltenden
gesetzlichen Reserven vermindert wurden. Nach der Nationalbankgesetz-
gebung hatten die sogenannten Landbanken eine gesetzliche Depositen-
reserve von 15 Proz. zu halten, von denen sie einen Teil ihren Agenten
in den Reserve- und Zentralreservestädten zuführen konnten. Für die
Reservestädte und Zentralreservestädte betrug die gesetzliche Reserve
25 Proz., von denen die ersteren die Hälfte zur zinstragenden Ver-
wendung ihren Korrespondenten in den Zentralreservestädten zuführen
durften. — Die neue Gesetzgebung ermäßigt nun die Sätze für die gesetz-
lich zu haltenden Reserven, nimmt aber dafür den Landbanken und den
Banken in den Reservestädten das Recht, einen Teil der Reserven ihren
Verbindungen in den Reservestädten bzw. Zentralreservestädten zuzu-
führen. Es wird ferner fortan zwischen kurzfristigen und langfristigen
Depositen unterschieden und gefordert, daß für letztere durchweg eine
Reserve von 5 Proz. gehalten werden muß. Hinsichtlich der kurzfristigen
Depositen ordnet die Gesetzgebung an, daß die Landbanken 12 Proz.,
die Banken in den Reservestädten 15 Proz. und schließlich die Banken
in den Zentralreservestädten 18 Proz. ihrer Depositen zu Reserve-
zwecken abzusondern haben. Hiervon müssen nun bestimmte Prozent-
sätze (vgl. Sect. 19) bei den FRBanken gehalten werden, einen anderen
Teil müssen die Nationalbanken in eigener Verwahrung halten, und be-
züglich eines Restes ist ihnen anheimgestellt, ob sie die Reserven ihren
FRBanken zuführen oder selbst verwalten wollen.
Vielleicht noch komplizierter sind die Bestimmungen, die auf das
allmähliche Erlöschen des Notenprivilegs der Nationalbanken hinzielen.
Auf sie ist bereits oben in der Ausführung über die Notenausgabe ver-
wiesen worden. Der leitende Grundgedanke ist, daß das Notenrecht den
Nationalbanken zwar belassen, ihnen aber auch ein Anreiz gegeben
werden soll, dieses Recht durch Verkauf der gegen die Noten hinterlegten
United States-Bonds auf die FRBanken zu übertragen. Indessen soll
hiermit erst nach einer Frist von 2 Jahren begonnen werden, und in
keinen Fall dürfen die Federal-Banken zusammen mehr als 25 Mill. $
United States-Bonds jährlich erwerben. Des weiteren zielt die Gesetz-
gebung darauf hin, die durch Regierungsschulden gedeckten Banknoten
allmählich dadurch eingehen zu lassen, daß sie den solche Bonds er-
werbenden FRBanken anheimstellt, diese mit 2-proz. Verzinsung aus-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 611
gestatteten Schuldtitel in solche mit 3-proz. Verzinsung umzutauschen,
jedoch mit der Maßgabe, daß gegen die letzteren Noten nicht ver-
ausgabt werden dürfen. Und ebenso erlischt mit dem Umtausch der er-
worbenen 2-proz. Bonds gegen Schatzanweisungen das Notenprivileg
auf dio ersteren. Die vorstehenden Erläuterungen werden die im folgen-
den abgedruckte Uebersetzung der FRActe hoffentlich verständlich
machen.
V. Bedeutung des Reformwerks.
Ueber die Zweckmäßigkeit der neuen Gesetzgebung ist viel ge-
schrieben und gestritten worden. Insbesondere ist in der deutschen
Literatur häufig der Gedanke zum Ausdruck gebracht worden, daß die
Gründung von Distriktsbanken nur ein halber Schritt auf dem Wege
der Zentralisation im Notenbankwesen sei. Das neue System würde
daher keinesfalls gleich gute Dienste leisten können wie das reine
Zentralbanksystem 1).
Endgültig kann nur die Praxis zeigen, ob eine derartige Befürch-
tung begründet ist oder nicht. Für die gegenwärtige Beurteilung
scheinen uns auch jetzt noch die Gesichtspunkte maßgebend, die Ben-
dix in seiner ersten Schrift über die amerikanische Bankreform dar-
gelegt bai äi:
„Wenn es für die Aufstellung bankpolitischer Grundsätze schon im all-
gemeinen gilt, daß mit dem historisch Ueberkommenen gerechnet werden muß
und nur auf diesem aufgebaut werden kann, daß Umgestaltungen mit Rücksicht
auf politische, wirtschaftliche und sonstige Verhältnisse vorzunehmen sind, daß
überhaupt die praktische Bankpolitik nicht immer das erstrebenswerte Beste
sich zum Ziel setzen kann, sondern in erster Linie auf die erreichbaren Mög-
lichkeiten gerichtet sein muß, so gilt das für die Vereinigten Staaten noch in
ganz besonderem Maße. Ein Land, in dem die Durchführung irgendeines Ge-
setzes fast stets von weitgehenden Kompromissen abhängig ist; ein Land, das
der Zentralisation im Notenbankwesen die schlechtesten Erinnerungen be-
wahrt; ein Land vor allem, in dem die Einzelstaaten ängstlich darauf bedacht
sind, die Zentralgewalt der Bundesregierung nicht zu groß werden zu lassen;
ein Land endlich, das einerseits in der Zentralisation des Notenbankwesens
eine weitere Stärkung des Großkapitals und der Börse erblickt, während es
auf der anderen Seite einen Eingriff in die Geschäftstätigkeit der Nationalbanken
als Verletzung von bestehenden Rechten perhorresziert, ein solches Land kann
nicht zur Annahme eines reinen Zentralnotenbanksystems veranlaßt werden,
selbst nicht, wenn sich in den großen Staaten Europas dieses System nun schon
während eines Jahrhunderts, teilweise sogar noch länger als das einzige, das
gegebene Notenbanksystem bewährt hat.“
Von diesen Gesichtspunkten aus wird man die FRActe als einen
außerordentlich glücklichen Kompromiß zwischen dem bankpolitisch
Erstrebenswerten und politisch Möglichen bezeichnen müssen, um so
mehr, als die Gesetzgebung Mittel und Wege gefunden hat, die an sich
selbständigen 12 FRBanken zu einem einheitlichen Ganzen zusammen-
1) u. a. Edgar Jaffe, Reformbestrebungen im amerikanischen Bankwesen,
Bankarchiv, 12. Jahrg., No. 23; derselbe, Die endgültige Regelung der ameri-
kanischen Bankgesetzgebung, Bankarchiv, 13. Jahrg., No. 11.
2) Bendix, Der Aldrich Plan, seine Bedeutung für das amerikanische Bank-
wesen und den internationalen Geldmarkt, New York 1912, S. 8ff.; derselbe in:
The Aldrich- Plan in the light of modern banking, New York 1912, S. XIII,
39*
612 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zuschweißen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß im Grunde die
12 Banken sich in allen wichtigen Maßnahmen nach den Bestimmungen
des FRBoard zu richten und seinen Weisungen zu folgen haben. Prüft
man darauf hin die dem FR Doard eingeräumten Rechte und die den
FRBanker auferlegten Pflichten, sowie die Rechte beider in bezug auf
die Kontrolle der Gesamtheit der mit ihnen arbeitenden Banken, so
muß man sogar zu dem Schlusse kommen, daß das neue System in ge-
wisser Beziehung eine Zentralisation des Bankwesens darstellt, wie wir
sie nicht einmal in Europa kennen. Schon allein dadurch, daß die Mit-
gliedsbanken gezwungen sind, fortan einen Teil ihrer Reserven bei den
FRBanken zu unterhalten, und daß die FRBanken in der Verwendung
dieser Reserven von der Diskontpolitik des FRBoard abhängig sind,
zeigt sich, daß der Zentralisationsgedanke in der Gesetzgebung viel weit-
gehender Ausdruck gefunden hat als das den Fachgenossen im allge-
meinen und .den Amerikanern insbesondere zum Bewußtsein ge-
kommen ist.
Auch gegen das neu zu schaffende Umlaufsmittel, gegen die
FRNotes sind vielfach Bedenken erhoben worden. Der Umstand, daß
dieses Wertzeichen als Staatspapiergeld zur Ausgabe gelangt, hat nämlich
in solchen Kreisen, denen die durch die amerikanische Noteninflation
hervorgerufenen großen wirtschaftlichen Schäden vorschwebten, starke
Kritik gefunden. Dabei ist nur übersehen worden, daß, wie oben aus-
führlich dargelegt, die FRNotes nur der Form nach Staatspapiere sind,
daß sie aber von den Banken auf Grund kaufmännischer Geschäfte in
Umlauf gesetzt werden, daher ihrem Wesen nach reine Bank-
noten sind. Zudem ist in den großen europäischen Ländern, wo die
Banknoten seitens der Zentralnoteninstitute in Umlauf gesetzt werden,
der 'Staatskredit mit der Kreditfähigkeit dieser Institute so eng ver-
knüpft, daß auch diese Banknoten in den verschiedenen historischen
Fällen einer Staatsverpflichtung gleichkamen. Mit anderen Worten: in
England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich etec. sind die Regie-
rungen an der Zahlungsfähigkeit ihrer Noteninstitute in der gleichen
Weise interessiert, wie wenn es sich um eigene Verbindlichkeiten handeln
würde. Und mit vollem Recht haben in kritischen Zeiten, wie sich jetzt
erst wieder gezeigt hat, diese Zentralnoteninstitute von ihrem Notenrecht
zur Befriedigung des Staatskredits Gebrauch zu machen, so daß letzten
Endes zwischen dem neuen amerikanischen Staatspapier und den Bank-
noten der europäischen Zentralnotenbanken ein wirtschaftlicher Unter-
schied kaum noch besteht. Dabei ist natürlich Voraussetzung, daß an
den jetzt erlassenen gesetzlichen Bestimmungen festgehalten und nicht
etwa durch eine willkürliche Aenderung des Gesetzes eine andere Rege-
lung der Notenausgabe vorgenommen wird, die zu einer Papiergeldwirt-
schaft bzw. Papiergeldmißwirtschaft führen könntel). Für eine solche
Vermutung fehlt es aber, solange der Geist vorwaltet, aus dem heraus
diese neue Gesetzgebung entstanden ist, an jedem Anhalt.
1) In dieser Beziehung kann die jetzt vorgenommene Ausgabe von Notstands-
papiergeld (s. o S. 607) schon einen Schritt abseits vom rechten Wege bedeuten.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 613
Vergegenwärtigt man sich den Einfluß, den die Reichsbank auf die
deutsche Volkswirtschaft ausgeübt hat, indem durch ihre Begründung
das deutsche Währungssystem erst befestigt, die Bildung eines deutschen
Geldmarktes von internationaler Bedeutung ermöglicht und dem deut-
schen Bankwesen der nötige Rückhalt gegeben wurde, um dem steigen-
den Kreditanspruch der aufblühenden Industrie gerecht werden zu
können, so läßt sich ungefähr ermessen, was das neue Bankgesetz für
die Vereinigten Staaten bedeutet. Oft und schwer genug haben sich in
der Union die Nachteile des veralteten Notenbanksystems fühlbar ge-
macht. So gewaltig die wirtschaftliche Entwicklung während der letzten
Jahrzehnte auch gewesen ist, so ist sie dennoch durch das Fehlen einer
modernen Kreditorganisation zweifellos stark gehemmt worden. In Zeiten
günstiger Konjunktur und lebhafter Geschäftstätigkeit war es der
Mangel an Zirkulationsmitteln und die dadurch bewirkte vorzeitige und
übermäßige Steigerung der Zinssätze, die die wirtschaftliche Entfaltung
störte, und bei kritischen Ereignissen wurden durch das Versagen des
gesamten Banksystems Verluste herbeigeführt, durch die ein großer Teil
der vorangegangenen Vermehrung des Volksreichtums wieder verloren
ging. Unter der alten Bankordnung war für die Befriedigung eines
außergewöhnlichen Kreditbegehrs keine Vorsorge getroffen. Eine ent-
sprechende Ausdehnung des Notenumlaufs war unmöglich, weil sie an
die kostspielige Erwerbung und umständliche Hinterlegung des an sich
eng begrenzten Betrages der ausgegebenen Regierungsbonds gebunden
war. Verfügbare Barreserven in nennenswertem Umfange bestanden
nicht; denn die den New Yorker Banken aus allen Teilen der Vereinigten
Staaten zufließenden Depositen mußten teils in Kundenkrediten, teils
durch Ausleihung an der Börse in Form von „call money“ angelegt
werden. Beim Auftreten jedes stärkeren Geldbedarfes wurden dann
die „täglichen Gelder“ in großem Umfange gekündigt und die Kredit-
gewährung an Handel und Industrie plötzlich eingeschränkt. Sprung-
hafte Steigerung der Zinssätze, empfindliche Rückgänge am Effekten-
markte und Störungen im gesamten Wirtschaftsleben waren die regel-
mäßigen Begleiterscheinungen; unter Umständen, wie noch zuletzt im
Jahre 1907, wurde dieses Versagen des Kreditsystems sogar zur direkten
Ursache schwerer Krisen.
Diese gefährliche Lücke in der bisherigen Organisation des Bank-
wesens soll nun durch die Federalbanken ausgefüllt werden. Ihnen
fällt, wie den europäischen Zentralnotenbanken, die Aufgabe zu, als
letzte und sicherste Kreditinstanz zu dienen. Zu dem Zwecke ist diesen
Banken die Notenausgabe auf Grund der Wechseldiskontierung gestattet
worden; außerdem wird bei ihnen ein größerer Teil der verfügbaren
Barreserven des Landes konzentriert. Mit diesen Mitteln ausgestattet,
sollen die Federalbanken namentlich gelegentlich der Erntebewegung,
bei besonders lebhaftem Geschäftsgange und in Krisen ihren Mitglieds-
banken beistehen, damit diese künftig nicht mehr gezwungen sind, be-
stehende Schwierigkeiten durch Kreditkündigungen noch zu erhöhen.
Da einer übermäßigen Notenausgabe vorgebeugt ist, werden die FR-
Banken in der Hauptsache zur Betreibung ihrer Aktivgeschäfte auf die
614 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Ausnutzung sogenannter „fremder Gelder“ angewiesen sein. Diese er-
halten sie teils durch die Mitgliedsbanken, die einen bestimmten Teil
ihrer Depositen zwecks Reservehaltung den Federalbanken zuführen
müssen, teils durch Ueberweisung flüssiger Regierungsmittel. Von diesen
fremden Geldern sind allerdings nicht nur 35 Proz. in bar als Reserve
bereitzuhalten, sondern es ist davon auch die für den Notenumlauf ge-
forderte 40-proz. Golddeckung abzuzweigen. Trotzdem ist anzunehmen,
daß den Federalbanken noch ein recht beträchtlicher Teil der Depositen
zur Kreditgewährung übrig bleiben wird. Gerade darin liegt die große
wirtschaftliche Bedeutung der neuen Bestimmung über das Depositen-
wesen. Während bisher die den Nationalbanken vorgeschriebene Min-
destbarreserve in keiner Weise nutzbar gemacht werden konnte, wird
sie durch teilweise Ueberführung an die FRBanken künftig in einem
gewissen Umfange zur Befriedigung des Kreditbedarfs verfügbar.
Außerdem können die Mitgliedsbanken ihre freien Barreserven, die
sie bisher überwiegend in Börsendarlehen anlegen mußten, fortab in
erster Linie zum Erwerbe kaufmännischer Wechsel verwenden. Für
die Mitgliedsbanken wird nämlich die Anlage in Wechseln erst durch
die Möglichkeit der Rediskontierung zu einer jederzeit flüssig zu
machenden Reserve, und für die Federalbanken ist die Wechseldiskon-
tierung das gegebene Geschäft. Freilich nur unter der Voraussetzung,
daß die Qualität der zur Einreichung gelangenden Wechsel auch den
Forderungen vorsichtiger Bankpolitik entspricht. Bei dem jetzt herr-
schenden Geschäftsgebrauch läßt sich allerdings der Charakter eines
Wechsels nicht leicht feststellen. In den Vereinigten Staaten ist es
nicht üblich!), daß die Verkäufer auf die Käufer ziehen und, wenn
sie flüssiger Mittel bedürfen, die „Tratten“ oder „Akzepte“ (Prima-
wechsel) bei ihrer Bank diskontieren; vielmehr pflegen sie auf Grund
ihrer buchmäßigen Außenstände den Kredit ihrer Banken in An-
spruch zu nehmen und ihnen darüber Solawechsel auszustellen. Es
liegt auf der Hand, daß auf diese Weise der Wechselkredit viel leichter
mißbraucht werden kann, als beim gezogenen Wechsel, bei dem die das
Papier erwerbende Bank aus dem Ursprung des Wechsels mit größerer
Sicherheit feststellen kann, ob es sich um Betriebs- oder Anlagekredit
handelt. Die Banken werden gegenüber ihren Kunden keinen leichten
Stand haben, wenn sie statt des Solawechsels in Zukunft eine Tratte
verlangen. Hier wird die Diskontpolitik der FRBanken einzusetzen
haben, indem sie für die beiden Wechselarten verschiedene Diskont-
sätze festsetzen, wozu sie nach dem Gesetze berechtigt sind.
Eine weitere Verbesserung des Kreditverkehrs erhalten die Ver-
einigten Staaten durch die Einführung des Bankakzepts. Hierdurch
erst eröffnet sich für die Union die Möglichkeit, einen Teil ihres
Außenhandels selbst zu finanzieren. Während der amerikanische Im-
porteur gegenwärtig selbst nach außereuropäischen Gebieten fast aus-
schließlich in europäischer Währung und mit europäischen Bankakzepten
bezahlt, wird er in Zukunft häufiger das Dollarakzept einer heimischen
Bank verwenden können. Ferner wird nach Schaffung eines inter-
1) s. o 8. 600.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 615
nationalen Marktes für Dollar-Bankakzepte wohl auch der amerikanische
Exporteur mehr als jetzt Zahlung in Dollar erhalten. Die amerika-
nische Volkswirtschaft kann dadurch recht beträchtliche Summen er-
sparen, die sie jetzt an europäische Banken für die Vermittlung ihres
ausländischen Zahlungsverkehrs abgeben muß. Eine solche Entwick-
lung kann sich natürlich nicht von heute auf morgen vollziehen. Aber
trotzdem ist damit zu rechnen, daß, genau so wie es den deutschen
Banken gelungen ist, dem Markwechsel als internationalem Zahlungs-
mittel Geltung zu verschaffen, die amerikanische Bankwelt dem Dollar-
wechsel zum mindesten eine ähnliche Stellung erringen wird. Die Er-
reichung dieses Zieles kann, wie das deutsche Beispiel zeigt, durch die
Errichtung von Auslandsfilialen wesentlich gefördert und erleichtert
werden. Dem hat auch die neue amerikanische Bankgesetzgebung vor-
sorgend Rechnung getragen, indem sie den FRBanken das Eingehen
ausländischer Geschäftsverbindungen und den Nationalbanken die Be-
gründung von Zweigniederlassungen im Auslande gestattet.
Das neue Gesetz stellt also nicht nur das Kreditwesen der Ver-
einigten Staaten auf eine breitere Basis, sondern es ermöglicht überhaupt
erst einen amerikanischen Geldmarkt von internationaler Bedeutung.
Ein Ausgleich von Geldüberfluß und Geldknappheit zwischen diesem
und den europäischen Geldmärkten wird sich dadurch viel leichter und
besser als bisher ermöglichen lassen. In Zeiten einer Geldteuerung am
amerikanischen Markte, wie sie z. B. jährlich durch die Erntebewegung
hervorgerufen wird, kann die Union mehr als früher auf die finanzielle
Unterstützung Europas rechnen und sich auf dem ausländischen Geld-
markte, wo die Zinssätze am billigsten sind, mit Geldmitteln versehen.
Umgekehrt werden etwa flüssige Mittel der Union fortan dort im Aus-
land Anlage finden, wo sie am besten verwendet werden können.
Zinssätze für tägliches Geld von 25 Proz. oder sogar von 40—50 Proz.,
wie sie im Jahre 1907 an der New Yorker Börse vorgekommen sind,
werden der Vergangenheit angehören; aber auch die abnorm niedrigen
Raten werden verschwinden. Unter der neuen Ordnung der Dinge wird
die Wertpapierbeleihung aufhören, das wichtigste Mittel für vorüber-
gehende Geldanlage zu sein. Der Börse, die von dem alten System
überwiegend Nachteil gehabt hat, kann diese Aenderung nur erwünscht
sein. Indem sie sich nämlich in ihren Bewegungen und Ansprüchen
in Zukunft mehr der internationalen Geldmarktlage anzupassen haben
wird, ist sie besser geschützt, als wenn sie ausschließlich mit solchen
Mitteln des Heimatlandes arbeitet, die ihr entweder überreichlich zu-
fließen oder plötzlich entzogen werden.
Durch die Bankreform erhält nicht nur der Geld- und Kreditverkehr
der Union eine vollständig neue Gestalt, sondern aucb die großen euro-
päischen Geldmärkte werden, wie sich schon aus den vorstehenden Aus-
führungen ergibt, davon wesentlich beeinflußt werden. Dieser Einfluß
läßt sich sogar zahlenmäßig veranschaulichen. Am 30. Juni 1913 hatte
das Schatzamt einen verfügbaren Bestand an Gold oder Goldzertifikaten
von 108,4 Mill. $; zu gleicher Zeit hielten die National- und Staaten-
banken 862,9 Mill. $. Fraglos wird ein großer Teil dieser Gold-
reserve den Federalbanken zufließen. Ferner ist anzunehmen, daß diese
616 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Banken die aus dem Verkehr an sie gelangenden Goldzertifikate (deren
am 30. Juni 1913 insgesamt 1086,9 Mill. $ ausgegeben waren) nicht
wieder zur Ausgabe bringen, sondern damit ihre Goldreserve erhöhen
werden. Unter solchen Verhältnissen ist damit zu rechnen, daß sich der
gesamte Goldbestand der FRBanken höher stellen wird, als der irgend-
eines der großen europäischen Noteninstitute. Aengstliche Gemüter
ziehen denn auch daraus den Schluß, daß die Vereinigten Staaten unter
dem neuen System in kurzer Zeit mit einem Goldexport von 400 Mill. $
zu rechnen haben werden. Diese ziemlich weit verbreitete Anschauung
stützt sich darauf, daß der Einfluß der neuen Banknoten sich in einer
Verdrängung des wertvolleren Geldes, des gelben Metalls, nach dem Aus-
lande äußern würde. Wir haben bereits dargelegt, daß der Notenausgabe
enge, wahrscheinlich sogar zu enge Schranken gesetzt worden sind,
so daß selbst bei einem starken Kreditbegehr, d. h. bei einer (vielleicht
durch das neue Bankgesetz hervorgerufenen) großen wirtschaftlichen
Aufschwungsbewegung, ein Mißbrauch des neuen Notenrechtes ausge-
schlossen erscheint. Abgesehen hiervon aber gibt es für die Vereinigten
Staaten im allgemeinen nur zwei Ursachen für den Goldexport. Die
eine kommt in wirtschaftlich besonders günstiger Zeit vor, wenn in-
folge hohen Preisstandes in der Union die Wareneinfuhr zunimmt,
während die Ausfuhr abnimmt oder unverändert bleibt. Wenn dann
der „verschlechterten‘“ Handelsbilanz kein anderes Moment entgegen-
wirkt, so wird nach wie vor zum Ausgleich einer passiven Zahlungs-
bilanz eine Goldausfuhr erfolgen. Die Goldausfuhr würde alsdann auf
den amerikanischen Geldmarkt ungünstig einwirken, dort höhere Zins-
sätze und schließlich auf dem Warenmarkte niedrigere Preise hervor-
rufen, woraus sich die Korrektur dann ganz von selbst ergibt. Ein
anderer Fall größerer Goldausfuhr tritt ein, wenn Gold in Europa
vorteilhaft verwertet werden kann, d. h. wenn in Europa die Zinssätze
beträchtlich und dauernd höher sind als in Amerikal). Eine derartige
Entwicklung könnte der Union nur willkommen sein, sie würde ihr
Gelegenheit geben, sich in Europa Goldreserven zu schaffen, über die sie
in dem Augenblick verfügen kann, wenn bei ihr wieder eine starke Geld-
nachfrage einsetzt. Diese Art der Anlage ist jedenfalls gefahrloser, als
die in „call money“ an der New Yorker Börse, die zwar vorübergehend
der Effektenspekulation dienen mag, aber, wie die Erfahrung gelehrt
hat, mehr Nachteile als Vorzüge hat.
Somit läßt sich eine dem Goldbestand der Vereinigten Staaten durch
die neue Bankgesetzgebung drohende Gefahr nicht einmal theoretisch
konstruieren ?). In praxi aber wird die Erschließung der bis jetzt
weder für den heimischen noch für den internationalen Geldmarkt ver-
fügbaren Goldreserven nur dazu beitragen, den Kredit der Vereinigten
Staaten zu heben. Mit anderen Worten: Wenn die Union williger als
1) Einen gleichen Einfluß hat der Verkauf amerikanischer Effekten von
seiten Europas im Wege der internationalen Arbitrage.
2) Zudem hat sich erst jüngst gezeigt, daß das veraltete amerikanische
Banksystem am allerwenigsten geeignet war, um eine Goldausfuhr in kritischen
Zeiten zu verhindern, wohl aber hat es eine Diskreditierung des amerikanischen
Währungssystems zur Folge gehabt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 617
bisher ihr überschüssiges Gold den großen europäischen Ländern über-
läßt, wenn diese es brauchen, so kann sie sicher damit rechnen, daß
auch ihr das Gold und der Kredit des Auslandes im Bedarfsfalle noch
mehr und zu günstigeren Bedingungen als bisher zur Verfügung gestellt
werden wird.
Aus alledem ergibt sich, daß das Bankgesetz an sich die Sicherheit
des amerikanischen Währungssystems in keiner Weise gefährdet; im
Gegenteil, es ermöglicht die Bildung eines neuen kraftvollen Gliedes in
der Kette der großen Geldmärkte, was nur zur Erhöhung des Wider-
standes gegen den Ausbruch internationaler Geldkrisen beitragen kann.
Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die neue Organisation be-
währen wird, daß das FRBoard, frei von politischen Beeinflussungen,
seine Maßnahmen lediglich im öffentlichen Interesse ergreift, und daß
die FRBanken bei der Betreibung ihrer Geschäfte das öffentliche
Interesse dem privatwirtschaftlichen voranstellen. Davon allein ist letzten
Endes die ganze wirtschaftliche Wirkung der neuen Gesetzgebung ab-
hängig. Unzweifelhaft wird die Bankreform große Aenderungen und
Erleichterungen im Geld- und Bankverkehr hervorrufen. Diese können
ebensogut den Anstoß zu einer überhasteten Entwicklung der Volkswirt-
schaft geben, wie sie ihr umgekehrt außerordentliche Vorteile bringen
können. .
VI. Wortlaut des Gesetzes in Uebersetzung.
[Public No. 43=63D Congress.]
(H.R. 7837.)
Gesetz, betreffend die Errichtung von Federal Reserve-Banken, die Schaf-
fung eines elastischen Notenumlaufs, die Aufbringung von Mitteln zur Dis-
kontierung von Warenwechseln, eine wirksamere Ueberwachung des Bankwesens
in den Vereinigten Staaten und ähnliche Aufgaben.
Von dem im Kongreß versammelten Senate und Repräsentantenhaus der
Vereinigten Staaten wird beschlossen: Der abgekürzte Titel dieses Gesetzes soll
„Federal Reserve Act“ sein.
Wo immer in diesem Gesetz das Wort „Bank“ gebraucht ist, sind Staats-
banken, Bankvereinigungen und Trustgesellschaften eingeschlossen ; ausgenommen
jedoch, wenn auf Nationalbanken oder Federal Reserve-Banken besonders Be-
zug genommen wird.
ie in diesem Gesetz gebrauchten Bezeichnungen „Nationalbank“ und
„Nationale Bankvereinigung“ sind als gleichbedeutend und gegenseitig ersetzbar
anzusehen. Unter der Bezeichnung „Mitgliedsbank“ ist jede Nationalbank,
Staatsbank, Bank oder Trustgesellschaft zu verstehen, die Mitglied einer der
durch dieses Gesetz geschaffenen Reservebanken geworden ist. Der Ausdruck
„Board“ soll Federal Reserve-Board, „Distrikt“ Federal Reserve-Distrikt und
„Reserve-Bank“ Federal Reserve-Bank bedeuten.
Federal Reserve-Distrikte.
Sect. 21). Der Bundesschatzsekretär (Secretary of the Treasury), der Bundes-
sekretär für Landwirtschaft (Secretary of Agriculture) und der Währungs-
kontrollkommissar (Comptroller of the Currency) sollen als „Reserve-Bank-
Organisationskommission“ sobald als angängig das Festlandsgebiet der Ver-
einigten Staaten — ausschließlich Alaska — in Distrikte einteilen und min-
destens 8, aber nicht mehr als 12 Städte bestimmen, die als FRStädte gelten
1) Die Zählung beginnt mit 2.
618 Nationalökonomische Gesetzgebung.
sollen. Jeder Distrikt soll nicht mehr als eine dieser FRStädte einschließen.
Die von der Organisationskommission vorgenommene Einteilung kann ledig-
lich durch das FRBoard nach dessen Konstituierung geändert werden. Die
Distrikte sollen zweckmäßig und mit gebührender Rücksicht auf bestehende
Geschäftsverhältnisse abgegrenzt werden; sie brauchen sich nicht notwendiger-
weise mit den einzelnen Staatsgebieten zu decken. Die so geschaffenen Distrikte
können von Zeit zu Zeit geändert, und neue Distrikte nach Gutdünken des
FRboard errichtet werden; indessen darf die Gesamtzahl der Reservebanken
12 nicht überschreiten. Die Distrikte sollen den Namen „FRDistrikte‘“ führen ;
sie können nach Nummern bezeichnet werden. Bei Anwesenheit einer Mehr-
heit ist die Organisationskommission beschlußfähig und berechtigt zu handeln.
Diese Organisationskommission soll ermächtigt sein, sich eines Rechts-
beistandes zu bedienen, Sachverständige zu Rate zu ziehen, Zeugen zu ver-
nehmen, Personen vorzuladen und Dokumente einzufordern, sowie Eide auf-
zuerlegen. Diese Kommission ist ferner berechtigt, zwecks Festlegung der
Reservedistrikte und Bestimmung der Städte, in denen die einzelnen FRBanken
errichtet werden sollen, die ihr notwendig erscheinenden Untersuchungen vor-
zunehmen. Die Kommission soll in jeder Stadt, für die eine FRBank vorgesehen
ist, die Organisation überwachen. Jede FRBank soll in ihrer Firma den Namen
der Stadt, in der sie ihren Sitz hat, enthalten; z. B. „FRBank in Chicago“.
Auf Grund seitens der ÖOrganisationskommission zu erlassender Bestim-
mungen ist jede in den Vereinigten Staaten bestehende Nationalbank verpflichtet,
und jede wählbare Bank in den Vereinigten Staaten sowie Trustgesellschaft inner-
halb des Distriktes Columbia berechtigt, innerhalb 60 Tagen nach Annahme des
Gesetzes ihre Zustimmung zu den in diesem Gesetz enthaltenen Grundsätzen
und Vorschriften zu erklären. Nachdem die Organisationskommission die Städte,
in denen FRBanken errichtet werden sollen, bezeichnet und die geographischen
Grenzen der Distrikte festgelegt hat, soll jede Nationalbank binnen 30 Tagen
nach Aufforderung der Organiatichakoinmimilon auf das Grundkapital der
FRBank ihres Distriktes einen Betrag zeichnen, der 6 Proz. ihres eigenen ein-
bezahlten Aktienkapitals zuzüglich des „Surplus“1) gleichkommt. Von dem
zeichneten Betrag sind ein Sechstel nach Aufforderung der Organisations-
ommission oder des FRBoards, ein Sechstel innerhalb der nächsten 3 Monate
und ein Sechstel binnen weiterer 6 Monate einzuzahlen. Der Rest oder irgend-
ein Teil davon unterliegt dem Abrufe des FRBoards, falls dieser weitere Ein-
zahlungen für notwendig erachtet. Die Zahlungen können in Gold oder Gold-
zertifikaten geleistet werden. Die Anteilseigner jeder FRBank sind persönlich,
leichmäßig pro rata ihres Anteils und nicht einer für den anderen, haftbar
ür all» Verpflichtungen aus Verträgen, Schulden und sonstigen Verbindlich-
keiten einer solchen Bank. Die Haftbarkeit ist über den vollen gezeichneten
Kapitalbetrag hinaus — gleichgültig ob die Einzahlung ganz oder nur teilweise,
wie im Gesetz vorgesehen, bereits geleistet ist — beschränkt auf die Höhe des
Nominalbetrags der Beteiligung ?).
Unterläßt eine Nationalbank innerhalb der oben festgesetzten Zeit von
60 Tagen, ihre Zustimmung zu den Bestimmungen dieses Gesetzes zu erklären,
so hört sie auf, als „Reserve-Agent“ 3) zu wirken, und zwar nach Ablauf einer
Kündigungsfrist von 30 Tagen, deren Beginn durch die Organisationskommission
oder das FRBoard nach Gutdünken festzusetzen ist. Falls eine der jetzt
bestehenden Nationalbanken sich nicht bereit erklärt, innerhalb eines Jahres
nach Erlaß dieses Gesetzes als Mitgliedsbank beizutreten, oder unterläßt sich
1) Surplus - Reserven; bei amerikanischen Banken schließt dieser Posten
meistens auch Gewinnvorträge ein.
2) Diese Bestimmung steht im Einklang mit dem Nationalbankgesetz, wo-
nach die Inhaber von Nationalbank-Aktien zu einem Nachschuß bis zur Höhe
der in ihrem Besitze befindlichen — also bereits bezahlten — Anteile ver-
pflichtet sind.
3) Nach dem Nationalbankgesetz werden die Banken, bei denen seitens
anderer Nationalbanken gesetzliche Reserven deponiert werden dürfen, als „Re-
serveagent“ bezeichnet.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 619
irgendeiner der bezüglichen Bestimmungen dieses Gesetzes anzupassen, so ver-
liert sie damit alle hte, Privilegien und Befreiungen, sowohl aus dem alten
Nationalbank- als auch aus dem vorliegenden Gesetz. Indessen soll jede Nicht-
beachtung oder Verletzung dieses Gesetzes vor einem zuständigen Bundes-
richt in dem Distrikte, in dem die betreffende FRBank ihren Sitz hat, durch
lage bewiesen und richterlich entschieden werden, bevor die Bank als auf-
gelöst erklärt werden soll. Die Klage soll auf Anordnung des FRBoards durch
den Comptroller of the Currency in eigenem Namen angestrengt werden. Mit
Ausnahme des einen Falles, daß eine Bank sich weigert, Mitgliedsbank zu
werden, ist bei Nichterfüllung oder Verletzung dieses Gesetzes jeder Direktor 1),
der au dieser Nichterfüllung oder Verletzung teilnahm oder ihr zustimmte,
für alle Verluste, die der betreffenden Bank, den Aktionären oder sonstigen
Personen daraus entstanden sind, persönlich haftbar.
Durch die Auflösung einer Nationalbank sollen die ihr, ihren Aktionären
oder Beamten früher auferlegten Geldstrafen oder sonstige Verpflichtungen
weder beeinträchtigt noch aufgehoben werden.
Erscheinen der Organisationskommission die Zeichnungen der Banken auf
das Grundkapital einer oder mehrerer FRBanken ungenügend, um das er-
forderliche Kapital zu beschaffen, so kann genannte Komisioa unter den
von ihr festzusetzenden Bestimmungen bis zu einer von ihr zu bestimmenden
Höhe Anteile der betreffenden FRBank bzw. -Banken zur öffentlichen Zeich-
nung zu pari auflegen. Die Bedingungen betreffs Einzahlung und Haftung
sind hierbei die gleichen wie für Mitgliedsbanken. j
Mit Ausnahme der Mitgliedsbanken des Distriktes darf keine Einzel-
pewon; offene Handelsgesellschaft oder Korporation für mehr als nominal
5000 $ Anteile einer FRBank zeichnen oder zu irgendeiner Zeit besitzen.
Diese Anteile gelten als öffentlich (public stock) und sind übertragbar durch
Ueberschreibung in den Büchern der FRBank auf Anordnung des Vorsitzenden
des Direktoriums der betreffenden Bank.
Sollte nach Ansicht der ÖOrganisationskommission der Betrag der von
den Banken und dem Publikum gezeichneten Anteile zusammen nicht ausreichen,
um das erforderliche Kapital aufzubringen, dann soll die Organisationskom-
mission einen von ihr festzusetzenden Betrag dieser Anteile der Bundes-
ne zuweisen. Diese Anteile sollen zum Nennwerte aus den jeweils im
Schatzamte frei verfügbaren Mitteln erworben werden. Der Schatzamtsekretär
soll die Anteile in Verwahrung nehmen und sie zugunsten der Regierung nach
eigenem Gutdünken an einem geeigneten Zeitpunkte und zu einem angemessenen
Preise — jedoch nicht unter pari — verkaufen.
Die nicht im Besitz von Mitgliedsbanken befindlichen Anteile haben kein
Stimmrecht.
Das FRBoard wird hierdurch ermächtigt, betreffs Uebertragung solcher
Anteile besondere Bestimmungen festzusetzen und zu erlassen. Keine FRBank
soll ihre Tätigkeit mit weniger als 4 Mill. $ gezeichnetem Kapital beginnen.
Die Organisation von Reservedistrikten und FRStädten soll nicht dahin aus-
gelegt werden, daß die gegenwärtige Einteilung der Reservestädte und Zentral-
reservestädte geändert wird, ausgenommen insoweit, als dieses Gesetz den Be-
trag der Reserven, die bei anerkannten „Reserveagenten“ der Distrikte ge-
halten werden können, ändert.
Zwecks Durchführung der im Gesetz enthaltenen Bestimmungen soll
die Organisationskommission befugt sein, geeignete Hilfskrüfte in Dienst zu
stellen und erforderliche Ausgaben zu machen, zu deren Deckung vom Schatz-
amt eine Summe bis zu 100000 $ bereit gestellt werden soll. Der Regierungs-
schatzmeister hat gegen Quittung, die vom Schatzamtsekretär gegengezeichnet
ist, die entsprechenden Zahlungen aus den frei verfügbaren Mitteln des Schatz-
amtes zu leisten.
1) Das Direktorium einer amerikanischen Aktiengesellschaft entspricht un-
gefähr dem deutschen Aufsichtsrat; indessen übernehmen für gewöhnlich einer
oder mehrere Direktoren die Funktionen von Vorstandsmitgliedern (Direktoren
der deutschen Aktiengesellschaften).
620 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Zweiganstalten.
Sect. 3. Jede FRBank soll innerhalb ihres Distriktes, und kann inner-
halb des Gebietes etwa aufgehobener FRBanken, Zweiganstalten errichten.
Diese Filialbanken sollen von einem Direktorium auf Grund der vom FRBoard
nehmigten Statuten und Geschäftsordnungen geleitet werden. Die Leiter dieser
Dwsiganstallen sollen die gleiche Qualifikation wie die Mitglieder des Direk-
toriums der FRBanken besitzen. Vier von den Direktoren sollen von der
FRBank, drei durch das FRBoard ernannt werden. Ihre Amtsdauer liogi
in dem Ermessen des Mutterinstituts bzw. des FRBoards. Einer dieser Filial-
Direktoren soll von der FRBank zum Geschäftsführer (manager) ernannt
werden.
Federal Reserve-Banken.
Sect. 4. Nachdem die Organisationskommission die in Sect. 2 vorge-
sehenen FRDistrikte festgelegt hat, soll dem Comptroller of the Currency ein
Plan eingereicht werden, in dem die geographischen Grenzen der einzelnen
Distrikte und die entsprechenden FRStädte verzeichnet sind. Hierauf soll
der Comptroller of the Currency veranlassen, daß an jede Nationalbank und auf
Antrag an alle anderen zur Mitgliedschaft berechtigten Banken ein von der
Organisationskommission gutgeheißenes Antragsformular geschickt wird. Dieses
soll auch den Text eines von dem Direktorium der einzelnen Bank zu
fassenden Beschlusses enthalten über die Zeichnung auf das Kapital der in
dem betreffenden Distrikte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu errich-
tenden FRBank.
Ist das für die Errichtung einer FRBank vorgesehene gesetzliche Mindest-
kapital gezeichnet und zu eteilt, so soll die Organisationskommission aus den
um die Mitgliedschaft sich bewerbenden Banken fünf bestimmen, die unter
Beidruck ihres Siegels eine Gründungsurkunde ausstellen. Dieses Schrift-
stück soll insbesondere folgende Angaben enthalten:
den Namen der betreffenden FRBank ;
die geographischen Grenzen des Distriktes, innerhalb welcher die FRBank
tätig sein soll;
den Namen der Stadt und des Staates, in denen die FRBank ihren Sitz
haben soll;
die Höhe des Kapitals und die entsprechende Anzahl der Anteile ;
die Namen und Sitze sowohl der die Gründungsurkunde ausstellenden
als auch aller anderen auf das Kapital der FRBank zeichnenden Banken
und die Zahl der von jeder einzelnen gezeichneten Anteile;
die Tatsache, daß die bereits jetzt schon als Mitglieder geltenden Banken
und solche, die späterhin die Mitgliedschaft erwerben, berechtigt sind,
von den Vorteilen dieses Gesetzes Gebrauch zu machen.
Die Ve dee soll gerichtlich oder notariell beglaubigt und zu-
sammen mit dem Beglaubigungsinstrument dem Comptroller of the Currency
übermittelt werden. Dieser ist verpflichtet, die Dokumente zu registrieren und
sorgfältig in seinem Bureau aufzubewahren. Mit dieser Registrierung erwirbt
die FRBank die Eigenschaft einer juristischen Persönlichkeit und als solche
Gë unter dem in der Gründungsurkunde bezeichneten Namen soll sie be-
ugt sein:
1) zur Führung eines Korporationssiegels `
2) auf einen Zeitraum von 20 Jahren zu bestehen, falls sie nicht früher
durch Sondergesetz des Kongresses aufgehoben wird oder sie wegen Ver-
letzung des Gesetzes der Berechtigung verlustig geht;
3) Verträge abzuschließen ;
‚4) zu klagen und verklagt zu werden, anzuklaeen und sich zu verteidigen
vor jedem Gerichtshof oder anderen gesetzlichen Körperschaft ;
` Di durch ihr Direktorium die erforderlichen Beamten — soweit solche
nicht schon durch das Gesetz vorgesehen sind — zu ernennen oder anzustellen,
deren Wirkungskreis zu bestimmen, Kautionen und Strafen festzusetzen und
nach Gutdünken die Beamten zu entlassen ;
Nationalökonomische Gesetzgebung. 621
6) durch ihr Direktorium Statuten, die dem Gesetz nicht entgegenstehen,
auszuarbeiten, die eine allgemeine Geschäftsordnung enthalten sollen und des
weiteren anzugeben haben, wie die durch das Gesetz gewährten Privilegien
ausgeübt werden ;
7) durch ihr Direktorium oder besonders bevollmächtigte Beamte alle die
durch Gesetz ausdrücklich gewährten und stillschweigend zuerkannten Rechte,
wie sie zur Vornahme von Bankgeschäften innerhalb der durch dieses Gesetz
festgelegten Grenzen notwendig sind, auszuüben ;
8) gegen Hinterlegung von Staatsschuldverschreibungen beim Schatzsekretär
nach den für Nationalbanken geltenden Bestimmungen in der Höhe des Nominal-
betrages der hinterlegten Bonds vom Comptroller of the Currency Notenblanketts
zu erhalten. Für die Ausgabe dieser Noten sollen die gleichen gesetzlichen Vor-
schriften gelten wie für die durch Regierungsschuldverschreibungen gedeckten
Nationalbanknoten, mit der Ausnahme jedoch, daß der Gesamtbetrag der aus-
egebenen Noten nicht auf die Höhe des Grundkapitals der betreffenden FRBank
chränkt sein soll.
Keine FRBank soll mit ihrer Geschäftstätigkeit — ausgenommen sind
notwendige vorbereitende oder mit der Organisation in Zusammenhang stehende
Geschäfte — beginnen, bevor sie nicht durch den Comptroller of the Currency
besonders dazu ermächtigt ist.
Jede FRBank soll unter Aufsicht und Kontrolle eines Direktoriums stehen,
dem sowohl die gewöhnlichen Pflichten eines Bankvorstandes als auch die
besonders durch das Gesetz vorgesehenen Aufgaben obliegen. Das Direk-
torium soll seine Tätigkeit möglichst unparteiisch ausüben und weder zu-
gunsten noch zuungunsten irgendeiner Mitgliedsbank jeder Bank solchen Dis-
kontkredit, Vorschüsse und Vorteile gewähren, wie sie mit vorsichtiger und
vernünftiger Geschäftsführung vereinbar sind und den gesetzlichen Bestim-
mungen und den Erlassen des FRBoards, sowie den Ansprüchen und Forde-
rungen der einzelnen Banken entsprechen.
Das Direktorium soll in der unten angegebenen Weise ausgewählt werden
und aus 9 Mitgliedern mit 3-jähriger Amtszeit bestehen; es wird in 3 Klassen
eingeteilt, die als Klasse A, und C bezeichnet werden sollen.
Klasse A soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die von den Anteile besitzenden
Banken gewählt werden und diese vertreten ;
Klasse B soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die zur Zeit ihrer Wahl inner-
halb ihres Distriktes in Handel, Landwirtschaft oder einem anderen Erwerbs-
zweig tätig sind;
Klasse C soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die durch das FRBoard be-
zeichnet werden. Letzterer ernennt, nachdem das zur Errichtung einer FRBank
notwendige Kapital gezeichnet ist, die Direktoren der Klasse © und bestimmt
zugleich einen dieser Direktoren als Vorsitzenden des für die betreffende
Bank zu wählenden Direktoriums. Bis zur Ernennung eines solchen Vorsitzenden
soll die Organisationskommission alle die Rechte und Pflichten ausüben, die
während der Begründung einer FRBank mit dem Amte des Vorsitzenden ver-
bunden sind.
Kein Senator oder Abgeordneter des Kongresses soll Mitglied des FRBoard,
Vorstandsbeamter oder Direktor einer FRBank sein.
Kein Direktor der Klasse B soll Vorstandsbeamter, Direktor oder An-
gestellter einer Bank sein. i
Kein Direktor der Klasse C soll Vorstandsbeamter, Direktor, Angestellter
oder Aktionär irgendeiner Bank sein.
Die Direktoren der Klasse A und B sollen folgendermaßen gewählt werden :
Der Vorsitzende des Direktoriums der FRBank jedes einzelnen Distriktes
— oder, falls dessen Ernennung noch nicht erfolgt ist, die Organisations-
kommission — soll die Mitgliedsbanken des betreffenden Distriktes in drei
nach Zahl und Kapitalstärke ungefähr gleiche Gruppen teilen, die nach
'ummern bezeichnet werden sollen. In einer ordnungsmäßig einberufenen
Sitzung des Direktoriums jeder Mitgliedsbank des Distriktes soll in geheimer
ahl ein Distriktswahlmann bestimmt werden, dessen Namen dem Vorsitzenden
des Direktoriums der FRBank mitgeteilt werden soll. Der Vorsitzende des
622 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Direktoriums der FRBank jedes Distriktes soll dann die Namen der so ge-
wählten Wahlmänner, aus jeder der drei Bankengruppen getrennt, zusammen-
stellen und jedem Wahlmanne eine Liste übermitteln. h
Jede Mitgliedsbank soll berechtigt sein, dem Vorsitzenden je einen Kan-
didaten als Direktor der Klasse A und B vorzuschlagen. Die Namen dieser
Kandidaten sollen vom Vorsitzenden in einer Liste, unter Angabe der Mit-
gliedsbank, von der sie vorgeschlagen sind, zusammengestellt werden. Innerhalb
15 Tage nach Fertigstellung der Liste soll eine Abschrift davon durch den
Vorsitzenden jedem Wahlmann zugestellt werden. Innerhalb 15 Tage nach Er-
halt der Liste soll dann jeder Wahlmann dem Vorsitzenden auf einer von
diesem gelieferten Vorzugswahlliste die Namen je eines Direktors der Klasse A
und B einreichen, für die er in erster, zweiter und eventuell weiterer Linie
stimmt. Jeder Wahlmann soll die Namen der von ihm so vorgeschlagenen
Direktoren der Klasse A und B mit einem Kreuz bezeichnen. Für jeden
Kandidaten darf nur in einer der Linien gestimmt werden.
Ein Kandidat gilt als gewählt, wenn er die Mehrheit aller unter I (erste
Linie) abgegebenen Stimmen besitzt. Falls keiner der Kandidaten die Stimmen-
mehrheit aus dem ersten Wahlgange aufweisen kann, dann sollen die für
sie unter II (zweite Linie) abgegebenen Stimmen mit den unter I vorhandenen
Stimmen zusammengezählt werden. Der Kandidat, der hieraus eine Stimmen-
mehrheit erzielt, gilt als gewählt. Besteht jedoch keine solche Majorität, so
sollen die unter III abgegebenen Stimmen in gleicher Weise zugezählt und
der Kandidat, der hieraus die Stimmenmehrheit erhält, als gewählt angesehen
werden. Die Ergebnisse der Wahlen sollen sofort bekannt gegeben werden.
Die Direktoren der Klasse © werden vom FRBoard ernannt; sie sollen
wenigstens seit 2 Jahren in dem Distrikte, für den sie ernannt werden, an-
sässig gewesen sein. Einer der Direktoren dieser Klasse soll vom Board zum
Vorsitzenden des Direktoriums der FRBank und zum „FRAgent“ ernannt
werden. Es soll dies ein Mann von erprobter Erfahrung in Banksachen sein;
er hat neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Direktoriums der FRBank
im Gebäude der betreffenden Federalbank nach den vom FRBoard zu er-
lassenden Vorschriften eine Ortsstelle dieses Boards einzurichten. Er soll dem
Board regelmäßig Bericht erstatten und als sein amtlicher Vertreter alle durch
dieses Gesetz dem Board übertragenen Funktionen ausüben. Er soll ein vom
Board festgesetztes Jahresgehalt beziehen, das ihm in monatlichen Raten von
der FRBank, der er zugeteilt ist, bezahlt werden soll. Ein zweiter der Direk-
toren der Klasse C, ebenfalls ein Mann mit erprobter Erfahrung in Banksachen,
soll vom Board als Stellvertreter des Vorsitzenden und stellvertretender FRAgent:
ernannt werden; in Abwesenheit ader bei Verhinderung des FRAgent gehen
dessen Rechte als Vorsitzender des Direktoriums und FRAgent auf den Stell-
vertreter über.
Die Direktoren der FRBanken sollen in Ergänzung anderweitig vor-
ee Entschädigungen einen angemessenen Betrag zur Deckung ihrer Un-
osten von ihrer FRBank bewilligt erhalten. Jede Vergütung, die vom Direk-
torium der FRBank für Direktoren, Beamte oder Angestellte vorgesehen werden
sollte, soll der Zustimmung des Boards unterliegen.
Zwecks Errichtung der FRBanken darf die Reservebank-Organisations-
kommission in den verschiedenen Distrikten Versammlungen von Bankdirektoren
einberufen. soweit dies zur Erfüllung dieses Gesetzes notwendig erscheint. Sie
kann ferner bis zur vollendeten Organisation der einzelnen FRBanken die
Tätigkeit und Befugnisse des Vorsitzenden des Direktoriums der betreffenden
FRBanken ausüben.
Auf der ersten Versammlung des vollzähligen Direktoriums jeder FRBank
soll es Pflicht der Direktoren der Klasse A, bzw. C sein, je ein Mitglied
jeder Klasse zu bestimmen, dessen Amtsperiode nach 1, 2 bzw. 3 Jahren —
vom 1. Januar desjenigen Jahres an gerechnet, der dem Datum der Ver-
sammlung zunächst liegt — ablänft. Nach Ablauf dieser ersten Perioden soll
jeder Direktor sein Amt auf 3 Jahre ausüben. Ersatzwahlen können in der
gleichen Weise, wie oben bestimmt, vorgenommen werden. Dabei sollen die
Ersatzmänner ihre Tätigkeit nur für den Rest der Amtsperiode ihrer Vor-
gänger ausüben.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 623
Anteilsausgabe; Erhöhung und Herabsetzung des Kapitals.
Sect. 5. Das Aktienkapital jeder FRBank soll in Anteile von je 100 $
eingeteilt werden. Von Zeit zu Zeit, wenn Mitgliedsbanken ihr Kapital oder ihre
Reserven erhöhen oder neue Banken Mitglieder werden, soll der ausstehende
Kapitalbetrag vermehrt werden. Er kann vermindert werden, wenn Mitglieds-
banken ihr Kapital oder ihre Reserven verringern oder aufhören, Mitglieds-
banken zu sein. FRBankanteile, die Eigentum von Mitgliedsbanken sind, sollen
weder übertragen noch verpfändet werden. Falls eine Mitgliedsbank ihr Kapital
oder ihre Reserven erhöht, so soll sie einen weiteren Betrag von Anteilen der
FRBank ihres Distriktes zeichnen, der 6 Proz. ihrer eigenen Kapital- oder
Reserveerhöhung entspricht. Von diesem gezeichneten Betrage ist die Hälfte
in der gleichen Weise einzubezahlen, wie es für die ursprünglichen Zeichnungen
vorgesehen ist; die andere Hälfte unterliegt dem Abruf des FRBoards. Eine
Bank, die sich um Anteile einer FRBank zu irgendeiner Zeit nach deren Or-
ganisierung bewirbt, muß einen solchen Betrag von FRBankanteilen zeichnen,
der 6 Proz. ihres eigenen eingezahlten Kapitals und der Reserven gleichkommt.
Sie hat die Anteile zum Nennwert plus !/; Proz. Stückzinsen pro Monat vom
Zeitpunkte der letzten Dividendenzahlung an zu bezahlen. Nachdem das Kapital
irgendeiner FRBank erhöht worden ist, sei es auf Grund einer Kapitalserhöhun
von Mitgliedsbanken, sei es infolge Neuaufnahme von Mitgliedsbanken, so sol
das Direktorium veranlassen, daß dem Comptroller of the Currency eine Ur-
kunde über die vorgenommene Erhöhung, die eingezahlten Beträge und die
Namen der Einzahler eingereicht wird. Falls eine Mitgliedsbank ihr Kapital
herabsetzt, soll sie einen entsprechenden Betrag ihres Besitzes an FRBank-
anteilen zurückgeben. Liquidiert eine Mitgliedsbank freiwillig, so soll sie alle
in ihrem Besitz befindlichen FRBankanteile ausliefern und von noch nicht
einberufenen Zeichnungen entbunden werden. In beiden Fällen sollen die
zurückgegebenen Anteile vernichtet werden. Als Zahlung soll die Mitglieds-
bank unter vom FRBoard festzusetzenden Vorschriften einen Betrag erhalten,
der den von ihr auf die zurückgegebenen Anteile eingezahlten Summen zu-
züglich 1/ə Proz. Stückzinsen pro Monat vom Zeitpunkte der letzten Divi-
dendenzahlung an entspricht. ie Zahlung soll jedoch nicht den Buchwert
der Anteile übersteigen. Etwaige Verbindlichkeiten einer solchen Mitgliedsbank
gegenüber der FRBank sollen abgezogen werden.
Sect. 6. Wird eine Mitgliedsbank für zahlungsunfähig erklärt und ein
Konkursverwalter für sie ernannt, so sollen die im Besitze dieser Bank befind-
lichen FRBankanteile vernichtet werden, ohne daß dadurch die Verpflich-
tungen der Bank aufgehoben werden. Die auf diese Anteile einbezahlten Beträge
sollen zuzüglich 1/ə Proz, Stückzinsen pro Monat vom Zeitpunkt der letzten
Dividendenzahlung an (wobei aber der Buchwert nicht überschritten werden
soll) zunächst gegen die Verbindlichkeiten der zahlungsunfähigen Mitglieds-
bank bei der FRBank aufgerechnet werden. Ein etwa verbleibender Rest soll
dem Konkursverwalter der zahlungsunfähigen Bank ausgezahlt werden. Bei
jeder Kapitalsherabsetzung einer FRBank, mag sie durch Kapitalverminderung,
iquidation oder Zahlungsunfähirkeit einer Mitgliedsbank hervorgerufen sein,
soll das FRBankdirektorium veranlassen, daß dem Comptroller of the Currene
eine Urkunde über die vorgenommene Herabsetzung und die an eine Ban
zurückgezahlten Beträge eingereicht wird.
Gewinnverteilung.
Sect. 7. Nachdem alle notwendigen Ausgaben einer FRBank bestritten
worden sind, oder für sie Vorsorge getroffen ist, sollen die Anteilseigner An-
spruch auf eine jährliche Dividende von 6 Proz. auf ihr einbezahltes Kapital
haben. Diese Dividende soll kumulativ t) sein. Nach vollständiger Befriedigung
all dieser Dividendenansprüche soll der verbleibende Reingewinn den Ver-
einigten Staaten als eine Privilegiengebühr gezahlt werden, mit der Ausnahme,
daß die Hälfte dieses Reingewinnes so lange einem Reservefonds zufließen
1) Wird in einem Jahre eine geringere Dividende verteilt, dann haben
die Anteilseigner Anspruch auf Nachzahlung in späteren Jahren.
624 Nationalökonomische Gesetzgebung.
soll, bis dieser die Höhe von 40 Proz. des eingezahlten Aktienkapitals der
Bauk erreicht hat.
Die Reingewinne, die die Vereinigten Staaten von FRBanken erhalten,
sollen nach Ermessen des Schatzamtsekretärs verwendet werden; und zwar
entweder zur Verstärkung der Goldreserve für das im Umlauf befindliche
Papiergeld der Vereinigten Staaten (United States Notes), oder gemäß den vom
Schatzamtsekretär zu erlassenden Vorschriften zur Tilgung von ausstehenden
Obligationen der Vereinigten Staaten. Falls eine FRBank aufgelöst wird oder
liquidierl, soll nach Begleichung aller Schulden und der oben erwähnten Divi-
dendenansprüche sowie nach Rückzahlung des Kapitals zum Nennwerte ein
etwa noclı verbleibender Ueberschuß in das Eigentum der Vereinigten Staaten
übergeben und ähnlich verwendet werden. FRBanken (ihr Kapital, ihre Re-
serven und die von ihnen gezahlten Gewinne) sind befreit von Bundes-, Staats-
und örtlicher Besteuerung; sie sind nur der Grundstückssteuer unterworfen.
Sect. 81). Sect. 5154 der United States Revised Statures (revidierte Gesetz-
sammlung) wird hiermit abgeändert und erhält folgenden Wortlaut:
Jede Bank, die durch Sondergesetz eines Einzelstaates oder der Ver-
einigten Staaten inkorporiert oder unter den allgemeinen Gesetzen eines Einzel-
staates oder des Bundes organisiert ist, kann mit Zustimmung des Comptroller
of the Currency durch Beschluß der Aktionäre, die mindestens 5l Proz. des
Grundkapitals einer solchen Bank oder Bankgesellschaft besitzen, in eine
Nationalbank mit einem vom Comptroller gebilligten Namen umgewandelt
werden, sofern ihr wirklich vorhandenes Kapital unter den bestehenden Gesetzen
ihr das Recht geben würde, Nationalbank zu werden. Diese Umwandlung
darf jedoch nicht dem Gesetz des Einzelstaates (State Law) widersprechen.
u einem solchen Falle können der Gesellschaftsvertrag- und das Organi-
sationszertifikat von einer Mehrheit des Direktoriums der betreffenden Bank
oder Bankvereinigung ausgefertigt werden. Das Zertifikat soll die Erklärung
enthalten, daß die Eigentimsr von 5l Proz. des Aktienkapitals das Direk-
torium ermächtigt haben, ein solches Zertifikat auszustellen und die Bank
in eine Nationalbank umzuwandeln. Nachdem der Gesellschaftsvertrag und
das Organisationszertifikat ausgestellt sind, hat eine Mehrheit des Direktoriums
das Recht, alle übrigen Urkunden auszufertigen und alle Maßnahmen zu er-
‘greifen, die zur Umwandlung der Bank in eine Nationalbank erforderlich sind.
ie Aktien jeder solchen Bank können auch fernerhin auf denselben Nenn-
betrag wie vor der Umwandlung lauten. Die Direktoren können in ihrem Amte
bleiben, bis andere gemäß den Bestimmungen der Statutes of the United States
gewählt oder ernannt werden. Sobald der Comptroller of the Currency der be-
treffenden Bank ein Zertifikat darüber ausgestellt hat, daß die Bestimmungen
‚dieses Gesetzes erfüllt worden sind, hat die Bank, bzw. Bankgesellschaft, ihre
Aktionäre, Vorstandsbeamten und Angestellten die gleichen Machtbefugnisse
und Vorrechte und sind in jeder Hinsicht denselben Pflichten, Verbindlichkeiten
und Vorschriften unterworfen, wie sie in der FRActe und im Nationalbankgesetz
für Gesellschaften, die ursprünglich als Nationalbankvereinigungen organisiert
wurden, vorgesehen sind.
Staatsbanken als Mitglieder.
Sect. 9. Jede Bank, die durch Sondergesetz eines Einzelstaates inkorporiert
oder unter den allgemeinen Gesetzen des Bundes oder eines Einzelstaates errichtet
ist, kann vor Organisierung des Boards bei der FRBank - Organisationskom-
mission, später aber beim FRBoard sich um das Recht bewerben, Anteile
der bereits errichteten oder zu errichtenden FRBank ihres Distriktes zeichnen
zu dürfen. Die Organisationskommission bzw. das Board können auf Grund
der von ihnen zu erlassenden Vorschriften und Anordnungen und im Ein-
klang mit den Bestimmungen dieses Artikels der antragstellenden Bank
statten, Anteilseigner der FRBank ihres Distriktes zu werden. In jedem
alle, in dem die Organisationskommission oder das FRPBoard der antrag-
stellenden Bank gestattet, Anteilseigner zu werden, soll die Ausgabe und Be-
1) Hier wird unter dem Abschnitt Gewinnverteilung das Recht der Banken
zum Beitritt in die neue Organisation behandelt!
Nationalökonomische Gesetzgebung. 625
zahlung der Anleihe unter denselben Bedingungen und Vorschriften erfolgen,
wie sie in diesem Gesetz für Nationalbanken, die Anteilseigner von Reserve-
bauken werden, vorgesehen sind.
Die Organisationskommission bzw. das FRBoard sollen Statuten auf-
stellen zwecks allgemeiner Festlegung ihres Verhaltens bei Erledigung der
Anträge von Staatsbanken, Bankvereinigungen und Trustgeseilschaften auf Zu-
teilung von FRBankanteilen. In diesen Statuten sollen solche Banken, die
nicht unter Bundesgesetz errichtet sind, verpflichtet werden, die vorgesehenen
Kapital- und Reserveerfordernisse zu erfüllen, sich den Revisionen und den
von der Oıganisationskommission oder dem Board verordneten Vorschriften zu
unterwerfen. Eine antragstellende Bank soll als Mitglied einer FRBank nur
dann zugelassen werden, wenn sie ein einbezahltes, unvermindertes Kapital be-
sitzt, das sie gemäß den Bestimmungen des Nationalbankgesetzes berechtigt,
in dem Orte ihrer Niederlassung Nationalbank zu werden.
Jede Bank, die auf Grund der Vorschriften dieses Artikels die Mitglied-
schaft einer FRBank erwirbt, hat sich außer den vorstehenden Bestimmungen
und Beschränkungen auch folgenden, den Nationalbanken durch Gesctz auf-
erlegten Vorschriften und ferner den vom FRBoard weiterhin zu erlassenden
Anordnungen zu unterwerfen:
1) Vorschriften betr. die Beschränkung der Verbindlichkeit einer Einzel-
person, Firma oder Gesellschaft gegenüber einer solchen Bank;
2) betr das Verbot des Verkaufs oder der Verpfändung von Aktien
‚solcher Banken ;
3) betr. Rückzahlung oder teilweisen Verlust des Kapitals ;
4) betr. die Zahlung nicht verdienter Dividenden.
Auch die in den Sektionen 5193, 5290, 5201, 5298, 5209 der „Revised
Statutes“ enthaltenen Vorschriften und Strafbestimmungen finden auf solche
Bauken, ihre Direktoren, Agenten und Angestellten Änwendung. Die Mit-
gliedebanken sollen ferner gemäß Sekt. 5211 und 5212 der Revised Statutes
verpflichtet. sein, dem Comptroller of the Currency Berichte über ihren Status
und ihre Dividendenzahlungen einzureichen. Falls eine Bank diese Verpflich-
tung nicht erfüllt, so sollen die in Sect. 5213 vorgesehenen Strafbestimmungen
zur Anwendung kommen. Wenn eine Mitgliedsbank es nach Ansicht des
FRBoard zu irgendeiner Zeit versäumt hat, den Bestimmungen dieser Sektion
oder den Vorschriften des Boards gerecht zu werden, so soll dieser nach
voraugegangener Vernehmung das Recht haben, von der betreffenden Bank
die Zurückgabe ihres Besitzes an FRBankanteilen zu verlangen. Gegen Aus-
lieferung der Anteile soll die FRBank den Betrag der baren Einzahlungen auf
die Aktien zuzüglich Zinsen zum Satze von {a roz. pro Monat von der Ver-
teilung der letzten Dividende — falls eine solche verdient ist — an gerechnet,
vergüten. Dic Zahlung soll den Buchwert der Anteile jedoch nicht über-
steigen. Die Verbindlichkeiten der Bank gegenüber der FRBank sol!en dabei
abgezogen werden, mit Ausnahme der Verpflichtungen aus noch nicht ein-
berufenen Aktienzeichnungen ; von diesen soll die Bank entbunden werden.
Auf Anordnung des FRBords so!l dann die FRBank der betreffenden Mit-
gliedsbank alle Vorteile der Mitgliedschaft entziehen, innerhalb 39 Tagen nach
dieser Anordnung die Anteile einziehen und vernichten und die oben vor-
gesehenen Zahlungen leisten. Das ED Board kann, wenn ihm der Beweis erbracht
wird, daß die Vorschriften dieser Sektion nunmehr erfüllt sind, die Mitglied-
schaft wiederherstellen.
Federal Reserve-Board.
Sect. 10. Hiermit wird ein FRBoard geschaffen, das aus 7 Mitgliedern
bestehen soll. Der Schatzamtssekretär und der Comptroller of the Curreney
sollen ihm ex officio angehören, während die andern 5 Mitglieder vom Prä-
sidenten der Vereinigten Staaten nach Anhörung und mit Zustimmung des
Senates ernannt werden. Bei der Auswahl dieser 5 Mitglieder so!l aus keinem
FRDistrikt mehr ais ein Mitglied bestimmt werden. Ferner soll der Präsident
unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geographischen Bedeutung
‚eine möglichst gerechte Vertretung der verschiedenen Landesteile anstreben.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 40
626 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die 5 Mitglieder des FRBoards sollen, nachdem sie vom Präsidenten ernannt
und wie eben erwähnt bestätigt sind, ihre ganze Zeit ausschließlich den Ge-
schäften des FRBoard widmen. Jedes Mitglied des Boards soll ein Jahres-
gehalt von 12000 $ beziehen, das ihm zusammen mit den gehabten not-
wendigen Reiseunkosten in monatlichen Raten ausbezahlt werden soll. Der
Comptroller of the Currency als ex officio-Mitglied des Boards soll außer seinem
Gehalt als Comptroller of the Currency noch 7000 $ jährlich für seine Dienste
als Mitglied des Boards empfangen.
Die Mitglieder des FH Boards, der Schatzamtsekretär, dessen Assistenten
und der Comptroller of the Currency dürfen während ihrer Amtsperiode und
noch zwei Jahre danach kein Amt oder Stellung in einer Mitgliedsbank be-
kleiden. Von den 5, vom Präsidenten ernannten Mitgliedern müssen mindestens
2 Bank- oder Finanzfachmänner sein. Ein Mitglied soll vom Präsidenten
für eine Amtszeit von 2 Jalıren, eines für 4, eines für 6, eines für 8 und
eines für 10 Jahre ernannt werden. Später soll jedes ernannte Mitglied eine
Amtszeit von 10 Jahren ausfüllen, sofern es nicht früher durch den Präsidenten
wegen Dienstvergehen des Amtes enthoben wird. Der Präsident soll eines
der 5 ernannten Mitglieder als Gouverneur und eines als Vize-Gouverneur
des Boards bezeichnen. Der Gouverneur soll die Funktionen des Geschäfts-
führers ausüben ; seine Handlungen unterliegen aber der Nachprüfung des
Boards. Der Schatzamtsekretär kann im Hause des Schatzamtes dem Board
Bureauräume zur Benützung überlassen. Jedes Mitglied des Boards hat inner-
halb 15 Tagen nach Bekanntgabe seiner Ernennung den Amtseid zu leisten.
Das FRBoard soll ermächtigt sein, halbjährlich von den FRBanken einen ihrem
Aktienkapital und ihren Reserven entsprechenden Beitrag einzuziehen, zwecks
Deckung der geschätzten Unkosten und der Gehälter von Mitgliedern und
Beamten des Boards für das nächste halbe Jahr oder zum Ausgleich eines
im vorangegangenen Semester eventuell entstandenen Fehlbetrages.
Die erste Sitzung des Boards soll sobald als möglich nach Inkraft-
treten dieses Gesetzes in Washington, D. C., an einem von der Reservebank-
Organisationskommission festgesetzten Tage abgehalten werden. Der Schatz-
anıtsekretär soll ex officio der Vorsitzende des Boards sein. Kein Mitglied
des Boards darf Vorstandsbeamter oder Direktionsmitglied irgendeiner Bank,
Trustgesellschaft oder FRBank sein; auch der Besitz von Aktien einer Bank
oder Wat een ist verboten. Vor Antritt seines Amtes soll jedes Mit-
gued des FRBoards dem &Schatzamtsekretär gegenüber die Erfüllung dieser
edingung eidlich bestätigen. Falls unter den fünf vom Präsidenten ernannten
Mitgliedern ein Posten aus anderen Gründen als durch Ablauf der Amts-
periode frei wird, so bestimmt der Präsident nach Anhörung und mit Zu-
stimmung des Senats einen Nachfolger. Dieser soll den Posten für den Rest
der Amtszeit seines Vorgängers innehaben. Wird eine solche Stelle während
der Senatsferien frei, so steht es in der Macht des Präsidenten, das freie Amt
durch Ernennung eines Stellvertreters, dessen Bestellung aber 30 Tage nach
Wiederzusammenkunft des Senates erlischt, zu besetzen.
Keine Bestimmung dieses Gesetzes soll dahin ausgelegt werden, daß da-
durch die Machtbefugnisse des Schatzamtsekretärs treffs Ueberwachung,
Leitung und Kontrolle des Schatzamtes und der diesem untergeordneten Amts-
stellen beeinträchtigt werden.
In allen Fällen, wo die dem Board oder dem FRAgenten durch dieses
Gesetz verliehenen Befugnisse den Rechten des Schatzamtsekretärs zu wider-
sprechen scheinen, sollen diese Befugnisse unter Ueberwachung und Kon-
trolle des Schatzamtsekretärs ausgeübt werden. Das FRBoard soll dem Prä-
sidenten (Speaker) des Repräsentantenhauses jährlich einen ausführlichen Be-
richt über seine Tätigkeit einreichen. Der Präsident soll diesen Bericht
durch Drucklegung zur Kenntnis des Repräsentantenhauses bringen.
Scect. 324 der Revised Statutes of the United States wird abgeändert und
erhält folgenden Wortlaut:
Eine Abteilung des Schatzamtes soll mit der Durchführung aller vom
Kongreß erlassenen Gesetze betreffs Ausgabe und Regulierung der durch
Bundesschuldverschreibungen gedeckten Nationalbanknoten und (unter der Ober-
aufsicht des FRBoards) sämtlichen FRNoten beauftragt werden. Der Leiter
Nationalökonomische Gesetzgebung. 627
dieser Abteilung, der seine Tätigkeit gemäß den vom Schatzamtsekrelär zu
gebenden allgemeinen Anordnungen auszuüben hat, soll den Namen Comp-
troller of the Currexcy führen.
Sect. 11. Das FRBoard soll befugt und berechtigt sein:
a) Nach eigenem Ermessen die Rechnungen, Bücher und die Geschäfts-
führung jeder FRBank und jeder Mitgliedsbank nachzuprüfen und die ihm
notwendig erscheinenden Aufstellungen und Berichte zu verlangen. Das Board
soll wöchentlich einmal einen Ausweis über den Status jeder einzelnen FRBank
und einen den Status sämtlicher Reservebanken enthaltenden Ausweis ver-
öffentlichen. Diese Ausweise sollen die einzelnen Aktiv- und Passivposten jeder
FRBank und der Gesamtheit dieser Banken zeigen, über die Gliederung des
als Reserve gehaltenen Kassenbestandes Aufschluß geben und genaue Angaben
über den Betrag, Art und Fälligkeit der in vorübergehendem oder andauerndem
Besitze befindlichen Wertpapiere und sonstigen Kapitalsanlagen enthalten.
b) FRBanken zu gestatten oder (bei bejahender Abstimmung von min-
destens 5 Mitgliedern des Boards) sie sogar zu zwingen, die diskontierten
Wechser anderer FRBanken zu rediskontieren. Die zu berechnenden Diskont-
sätze sind vom Board festzusetzen.
c) Jede Reservevorschrift dieses Gesetzes für einen Zeitraum von höchstens
30 Tagen aufzuheben und diese Aufhebung von Zeit zu Zeit für Perioden bis
zu 15 Tagen zu erneuern; mit folgender Maßgabe: Auf die Beträge, um die
die Reserven hinter die weiter unten festgesetzte Grenze zurückgehen dürfen,
muß das Board eine abgestufte Steuer legen. Ferner soll das Board, wenn die
Goldreserve für FRNoten unter 40 Proz. sinkt, eine abgestufte Steuer auf
die nicht genügend gedeckten Noten erheben, und zwar eine Steuer von
nicht mehr als 1 Proz. bei einem Fallen der Goldreserve bis zu 32!/, Proz.
und eine steigende Steuer von nicht weniger als 1!/, Proz. für je 2!/ Proz.
(oder einen Teil davon) Unterdeckung bei einem Sinken der Goldreserve unter
321/, Proz. Die Steuer soll durch die FRBank bezahlt werden; diese soll
aber einen entsprechenden Betrag auf die Zins- und Diskontsätze, die der
FRBoard festgesetzt hat, zuschlagen.
d) Durch das unter Leitung des Comptroller of the Curreney stehende
Bureau die Ausgabe und Zurückziehung von FRNoten zu überwachen und zu
regulieren und Vorschriften zu erlassen, nach welchen der Comptroller of the
rn solche Noten an die darum nachsuchenden FRAgenten verabfolsen
arf.
e) Die Zahl der auf Grund bestehenden Rechtes als Reserve- und Zentral-
reservestädte bezeichneten Orte, in denen Nationalbanken den in Sekt. 20
des vorliegenden Gesetzes festgelegten Reservevorschriften unterworfen sind,
zu vermehren; die bestehende Einteilung von Reserve- und Zentralreservestädten
zu ändern oder ihnen diesen Charakter überhaupt zu nehmen.
f) Vorstandsbeamte oder Direktoren der FRBanken von ihrem Amte zu
suspendieren oder zu entlassen; die Angabe des Grundes dafür hat schriftlich
durch das FRBoard an den betreffenden Beamten oder Direktor und an die
Bank zu erfolgen.
) Abschreibungen auf zweifelhafte oder wertlose Aktiven in den Büchern
und Bilanzen der FRBanken zu verlangen. $
h) Bei Verstoß gegen irgendeine Bestimmung dieses Gesetzes den Ge-
schäftsbetrieb einer FRBank aufzuheben, ihn zu übernehmen, während der
Aufhebung zu verwalten und, falls notwendig, eine solche Bank zu liquidieren
oder zu reorganisieren.
i) Von den FRAgenten Kautionen zu verlangen und Bestimmungen zu
erlassen zur Sicherstellung für alle bei ihnen hinterlegten Pfandobjekte, Schuld-
verschreibungen, FRNoten, -Bargeld oder sonstige Wertgegenstände irgend-
welcher Art. Das Board soll die in diesem Gesetz näher bezeichneten Pflichten,
Funktionen oder Tätigkeiten erfüllen und alle zu deren wirksamen Durch-
führung nötigen Verordnungen und Vorschriften erlassen.
) Die allgemeine Ueberwachung über die FRBanken auszuüben.
e ) Nationalbanken auf ihren Antrag hin das Recht zu erteilen — falls
dies nicht im Widerspruch zu einem Staats- oder Ortsgesetz steht — als
40*
628 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Treubänder, Testamentsvollstrecker, Vermögensverwalter, Registrator von Aktien
und Schuldverschreibungen zu dienen, gemäß den vom Board zu erlassenden
Bestimmungen.
1) Die für die Tätigkeit des Boards erforderlichen Anwälte, Sachverständi
Assistenten, Beamten oder sonstige Hilfskräfte anzustellen. Alle Gehälter un
hal, iger sollen vom Board im voraus festgesetzt und in der gleichen Weise
bezahlt werden, wie die Gehälter der Mitglieder des Boards. Alle diese Anwälte,
Sachverständigen, Assistenten, Beamten und sonstigen Hilfskräfte sollen bestellt
werden ohne Rücksichtnahme auf die Bestimmungen des Gesetzes vom 16. Ja-
nuar 1883 (Band 22 der „United States Statutes at Large“ Seite 403), dessen
ge n oder der auf Grund des Gesetzes erlassenen Entscheidungen
und Regelungen.
Federal-Advisory-Council!).
Sect. 12. Hierdurch wird ein Federal-Advisory-Couneil Sen der
sich aus genau so viel Mitgliedern zusammensetzen soll wie FRBanken be-
stehen. Jede FRBank soll durch ihr Direktorium jährlich aus ihrem Distrikte
ein Mitglied dieses Councils erwählen. Die diesen Mitgliedern zu zahlende
Vergütung und Entschädigung wird von dem Direktorium festgesetzt und
unterliegt der Genehmigung des FRBoard. Die Sitzungen des Federal-Ad-
visory-Council sollen in Washington D. C. stattfinden, mindestens viermal jähr-
lich und öfters, falls durch das Board einberufen. Außer diesen Sitzungen
kann der Council, soweit es nötig erscheint, noch andere Zusammenkünfte
in Washington oder sonstwo abhalten. Der Federal-Advisory-Council kann
seine eigenen Vorstandsbeamten ernennen und seine Geschäftsordnung selbst
festsetzen. Eine Mehrheit seiner Mitglieder soll eine zur Erledigung der Ge-
schäfte beschlußfähige Versammlung darstellen. ` Ersatzwahlen für Mitglieder
des Councils sollen von den betreffenden FRBanken vorgenommen werden
und jeweils für den Rest der Amtsperiode gelten.
Der Federal-Advisory-Council als solcher, oder vertreten durch seinen Vor-
stand, soll das Recht haben:
2) mit dem FRBoard direkt über die allgemeine Geschäftslage zu beraten:
2) mündlich oder schriftlich beim Board Vorstellung in Angelegenheiten,
für die das Board zuständig ist, zu erheben.
3) Auskunft zu verlangen und Vorschläge zu machen über die Diskont-
sätze, das Rediskontierungsgeschäft, die PORAIRA; die Reservebedingungen in
den verschiedenen Distrikten, ferner über den Kauf und Verkauf von Gold
und Wertpapieren seitens der Reservebank und die Geschäfte dieser Banken
am offenen Geldmarkte, sowie über die allgemeinen Angelegenheiten des Re-
servebanksystems.
Befugnisse der Federal Reserve-Banken.
Sect. 13. Jeder FRBank ist es naes von ihren Mitgliedsbanken und
von der Bundesregierung aus flüssigen Mitteln Depositen in gesetzlichem Gelde,
Nationalbanknoten, FRNoten oder Schecks und Sichtwechsel auf zahlungs-
fähige Mitgliedsbanken anzunehmen. Außerdem kann sie — ausschließlich zu
Zwecken des Abrechnungsverkehrs — von anderen FRBanken aus flüssi
Depositen entgegennehmen in tzlichem Gelde: Nationalbanknoten er
Schecks und Sichtwechsel auf zahlungsfähige Mitglieds- oder andere FRBanken.
Jede FRBank kann von irgendeiner Mitgliedsbank indossierte und von
einer Verzichterklärung auf Protestaufnahme begleitete Solawechsel, Tratten
akeni diskontieren, soweit diese tatsächlich aus geschäftlichen Transaktionen
herrühren, d. h. Solawechsel, Tratten und Akzepte, die für die Zwecke
von Landwirtschaft, Industrie oder Handel Soszestalle oder gezogen sind oder
deren Erlös zu solchen Zwecken verwandt wurde oder verwandt werden soll.
Das FRBoard hat das Recht, den Charakter der danach im Sinne dieses Ge-
setzes diskontfähigen Papiere festzulegen und zu begrenzen. Keine Bestim-
mung dieses Gesetzes soll so ausgelegt werden, daß dadurch Solawechsel,
Tratten und Akzepte, die durch landwirtschaftliche Stapelprodukte, sonstige
1) Dem Zentralausschuß der Reichsbank nachgebildet.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 629
Waren, Güter oder Handelsartikel gedeckt sind, von der Diskontierfähig-
keit ausgeschlossen werden. Diese Definition soll jedoch Solawechsel, Tratten
und Akzepte nicht einschließen, die lediglich eine Kapitalsanlage darstellen
oder die zum Zwecke des Prolongierens oder Handelns in Aktien, Schuldver-
schreibungen oder anderen Anlagepapieren (ausgenommen Regierungs-Schuld-
verschreibungen und -Schatzscheine der Vereinigten Staaten) ausgestellt oder
ezogen sind. Solawechsel, Tratten und Akzepte, die unter den Bestimmungen
ieses Artikels zur Diskontierung zugelassen sind, dürfen zur Zeit der Dis-
kontierung eine Laufzeit von höchstens 90 Tagen haben, mit der Maßgabe:
Solawechsel, Tratten und Akzepte, die für landwirtschaftliche Zwecke (ein-
schließlich der Viehzucht und des Viehhandels) ausgestellt oder ogen sind,
dürfen, wenn sie eine Laufzeit von höchstens 6 Monaten aufweisen, dis-
kontiert werden, und zwar bis zu einem Höchstbetrage, der vom Board in
Prozenten des Aktienkapitals der FRBank festgesetzt werden soll. Jede FRBank
kann Akzepte, die auf dem Import oder Export von Waren beruhen, diskontieren.
Diese Akzepte dürfen zur Zeit der Diskontierung eine Laufzeit von höchstens
3 Monaten Buben und müssen von mindestens einer Mitgliedsbank indossiert sein.
Der Gesamtbetrag der so diskontierten Akzepte darf zu keiner Zeit die Hälfte
des eingezahlten Grundkapitals und der Reserven der rediskontierenden Mit-
gliedsbank übersteigen.
Die Gesamthöhe von solchen Solawechseln und Akzepten, die die Unter-
schrift oder das Indossament irgendeiner Person, Firma, Gesellschaft oder
Korporation tragen und von irgendeiner Bank rediskontiert sind, darf zu keiner
Zeit mehr als D Proz. des unverminderten Kapitals und der Reserven dieser
Bank betragen. Diese Einschränkung ist jedoch nicht auf die Diskontierung
von Wechseln anzuwenden, die gutgläubig gegen wirklich vorhandene Werte
gezogen sind. /
Jede Mitgliedsbank darf auf sie gezogene Tratten oder Wechsel akzeptieren,
die aus Warenimport- oder -export chäften hervorgehen und auf nicht mehr
als 6 Monate nach Sicht lauten. Keine Bank darf aber einen höheren Betrag
solcher Wechsel zu irgendeiner Zeit diskontieren, als die Hälfte des eingezahlten
Grundkapitals und der Reserven beträgt.
Sect. 5202 der „Revised Statutes of the United States“ wird hiermit ab-
abgeändert und erhält folgenden Wortlaut: Keine Nationalbank soll zu irgend-
einer Zeit Schulden. oder irgendwelche Verbindlichkeiten aufweisen, die den Be-
trag ihres bis dahin tatsächlich einbezahlten und durch Verluste oder sonstwie un-
vermindert verbliebenen Grundkapitals übersteigen; ausgenommen hiervon sind
jedoch folgende Verpflichtungen :
1) die umlaufenden Noten,
2) Depositen und Inkassogelder,
3) Wechsel oder Tratten, die die Bank gegen von ihr unterhaltene De-
positen oder ihr gutkommende Gelder gezogen hat, ;
4) Verbindlichkeiten gegenüber den Aktionären der Bank für Dividenden
oder Gewinnreserven,
5) Verpflichtungen, die auf Grund der Bestimmungen des FRGesetzes ein-
gegangen sind.
as Rediskontieren von irgendwelchen Inkassi, von in- oder ausländischen
Wechseln und von durch dieses Gesetz gestatteten Akzepten seitens irgend-
einer FRBank ist solchen Beschränkungen, Begrenzungen und Bestimmungen
unterworfen, als das FRBoard festsetzen mag.
Geschäfte am offenen Markte.
Sect. 14. Auf Grund der Bestimmungen und Vorschriften des Boards
kann jede FRBank am offenen Markte, im In- oder Auslande, von in- oder
ausländischen Banken, Einzelpersonen, Firmen oder Gesellschaften mit oder
Indossament: einer Mitgliedsbank kaufen oder an dieselben Kreise verkaufen :
Kabelauszahlungen, Bankakzepte und solche Wechsel, die nach Art und Fällig-
keit durch dieses Gesetz für diskontierfähig erklärt sind.
Jede FRBank soll berechtigt sein:
a) Im In- oder Auslande in Goldbarren oder Goldmünzen zu handeln,
Darlehen darauf zu bewilligen, FRNoten gegen Gold, Goldmünzen oder Gold-
630 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zertifikate umzutauschen, Verträge zwecks Aufnahme von Darlehen in Gold-
münzen oder Goldbarren abzuschließen und dafür, falls erforderlich, ange-
messene Sicherheit zu stellen, unter anderem auch durch Verpfändung von
Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten oder von anderen Wertpapieren,
die FRBanken zu besitzen en sind.
b) Im In- oder Auslande zu kaufen oder zu verkaufen : Schuldverschrei-
bungen und Schatzscheine der Vereinigten Staaten, ferner Wechsel, Noten
(kurzfristige Obligationen), Zollanleihen und Lagerhausscheine, die am Tage
des Ankaufs eine Laufzeit von höchstens 6 Monaten haben und auf Grund der
vorzunehmenden Einziehung von Steuern oder des erwarteten Eingangs fester
Einkünfte von einem Staate, einem Landkreis, einem Distrikt, einem Kommunal-
verband oder einer Gemeinde innerhalb des kontinentalen Gebietes der Ver-
einigten Staaten (einschließlich Be- und Entwässerungs- und Kultivierungs-
distrikten) ausgegeben sind. Der Erwerb solcher Papiere ist in Ueberein-
stimmung mit den vom FRBoard festzusetzenden Regeln und Bestimmungen
vorzunehmen.
c) Warenwechsel der oben definierten Art von Mitgliedsbanken mit oder
ohne deren Indossament zu kaufen oder an sie zu verkaufen.
d) Von Zeit zu Zeit die von der FRBank für jede einzelne Klasse von
Wechseln zu berechnenden Diskontsätze festzusetzen, wobei jedoch die Be-
dürfnisse von Handel und Verkehr angemessene Berücksichtigung finden sollen.
Die Diskontraten unterliegen der Nachprüfung und eventuell anderweitigen
Festsetzung durch das FRBoard.
e) Zum Zwecke des Abrechnungsverkehrs Konten bei anderen FRBanken
zu unterhalten, sowie mit Zustimmung des Boards sich im Auslande Bank-
konten eröffnen zu lassen und aufrecht zu erhalten, Korrespondenten zu
ernennen und in geeigneten Ländern zum Zwecke des Kaufs, Verkaufs und
der Einziehung von Wechseln Agenturen zu gründen; — durch solche Korre-
spondenten und Agenturen mit oder ohne eigenes Indossament Wechsel zu kaufen
oder zu verkaufen, die tatsächlich aus geschäftlichen Transaktionen stammen,
höchstens 90 Tage Laufzeit haben ke die Unterschriften von mindestens
zwei zahlungsfähigen Parteien tragen.
Regierungsdepositen.
Sect. 15. Mit Ausnahme des 5-proz. Einlösungsfonds für ausstehende
Nationalbanknoten und der in diesem Gesetz für Einlösung der FRNoten vor-
Ego: Fonds können die Bestände der allgemeinen Kassenverwaltung des
chatzamtes auf Anordnung des Schatzamtsekretärs bei FRBanken deponiert
werden. Diese Banken sollen auch, falls der Schatzamtsekretär es verlangt.
als Agenten des Fiskus dienen. Regierungseinkünfte können ebenfalls ganz
oder teilweise bei FRBanken deponiert werden und Auszahlungen können mittels
gegen solche Depositen gezogene Schecks vorgenommen werden.
Oeffentliche Fonds der Philippinen, Postsparkassengelder oder irgend-
welche sonstigen Regierungsfonds dürfen im kontinentalen Gebiete der Ver-
einigten Staaten nur bei solchen Banken deponiert werden, die dem System
der FRPanken angegliedert sind; jedoch mit der Maßgabe, daß keine Bestim-
mung dieses Gesetzes dahin Perche? werden soll, daß dadurch dem Schatz-
anıtsckretär das Recht entzogen würde, Mitgliedsbanken als Hinterlegungs-
stellen zu wählen.
Notenausgabe.
Sect. 16. Hiermit wird die Ausgabe von FRXNoten gestattet. Diese soll
nach Gutdünken des FRBoards stattfinden, und zwar, wie weiter unten näher
ausgeführt, nur zu dem ausschließlichen Zwecke, den FRBanken durch die
FRAgenten Vorschüsse zu gewähren. Diese Noten sollen Schuldverpflichtungen
der Vereinigten Staaten sein und sollen von jeder National-, Mitglieds- und
FRPBank, sowie für alle Steuern, Zölle und sonstige öffentlichen Abgaben in
Zahlung genommen werden. Sie sollen bei dem Schatzamte der Vereinigten
Staaten in Washington, D. C., auf Verlangen in Gold oder von jeder FRBank
in Gold oder E EEN Gelde eingelöst werden.
‚Jede FRBank kann bei ihrem FRAgenten die Verabfolgung des not-
wendigen Betrags von FRNoten beantragen. Gleichzeitig mit dem Äntrage soll
Nationalökonomische Gesetzgebung. 631
als FRNoten verlangt werden und nach Genehmigung des Antrags ausgegeben
werden sollen. Die angebotene Sicherheit soll in Prima- oder Solawechseln,
die auf Grund Sect. 13 des Gesetzes zum Rediskont angenommen wurden,
bestehen. Der FRAgent soll dem Board täglich über die Ausgabe oder Zurück-
ziehung von FRXNoten seitens der Reservebank, der er zu eteilt ist, Bericht
erstatten. Das Board kann jederzeit von einer Reserveban weitere Sicher-
heitsdeckung gegen die von ihr ausgegebenen FRXNoten verlangen.
Jede FRBank hat folgende Reserven zu halten: gegen ihre Depositen
mindestens 35 Proz. in Gold oder gesetzlichen Gelde; gegen ihre tatsächlich
im Umlauf befindlichen Noten, soweit sie nicht durch bei dem FRAgenten
deponiertes Gold oder gesetzliches Geld gedeckt sind, mindestens 40 Proz.
in Gold. Die so ausgegebenen Noten sollen zwecks Unterscheidung auf der
Vorderseite einen Buchstaben und eine Seriennummer tragen, die vom Board
für jede FRBank bestimmt werden. Falls eine FRBank von einer anderen
FRBank ausgegebene Noten erhält, sO sollen diese Noten umgehend an die
Bank, durch die sie ursprünglich Lie wurden, zur Gutschrift oder Ein-
servebank ausgegebene Noten nicht wieder zu Zahlungen verwenden. Bei Zu-
widerhandlung 1st eine Steuer von 10 Proz. des
ausgabten Noten als Strafe zu entrichten. Noten, die bei dem Bundesschatzamt
zur Einlösung vorgele werden, sollen aus dem Einlösungsfonds bezahlt und
der Reservebank zurückgegeben werden, durch die sie ursprünglich ausgegeben
wurden. Diese FRBank soll dann auf Verlangen des Schatzamtsekretärs den
Einlösungsfonds wieder ergänzen und zwar in gesetzlichem Gelde oder, falls
die Noten vom Schatzamte in Gold oder Goldzertifikaten eingelöst worden sind,
in Gold oder Goldzertifikaten, soweit dies vom Schatzamtsekretär verlangt
wird. Jede FRBank soll, solange noch irgendwelche ihrer FRNoten ausstehen,
bei dem Schatzamtsekretär einen Goldbestand unterhalten, der nach Ansicht
des Sckretärs für alle durch ihn vorzunehmenden Einlösungen ausreichen
ist. Die bei dem Schatzamt zu anderen Zwecken als zur Einlösung eingehenden
Das FRBoard soll von jeder Reservebank die Aufrechterhaltung eines
Golddepositums bei dem Schatzamt der Vereinigten Staaten verlangen, dessen
Betrag nach Ansicht des Schatzamtsekretärs zur Einlösung der einer solchen
Bank überlassenen FRXNoten ausreichend ist; jedoch darf es keinesfalls weniger
als 5 Proz. betragen. Ein solches Golddepositum soll als ein Teil der oben ge-
forderten 40-pro2. Reserve gerechnet und in sie eingeschlossen werden. Das
Board soll das Recht haben, durch den FRAgenten den Antrag einer jeden
Reservebank auf Verabfolgung von FRXNoten ganz oder teilweise zu bewilligen,
oder auch ganz abzulehnen. Insoweit aber ein soleher Antrag durch den
FRBoard bewilligt werden mag, soll dieser die antragstellende Bank durch
ihren FRAgenten mit FRXNoten versorgen lassen. Diese Bank soll mit dem
Betrage solcher Noten belastet werden und soll diesen Betrag ZU einem
vom Board festgesetzten Satze verzinsen. Die so an irgendeine FRBank aus-
gegebenen FRXNoten sollen nach Ablieferung zusammen mit den von der
gervebank auf Grund von Sect. 18 dieses Gesetzes gegen Hinterlegung 2-proz.
Regierungsschuldverschreibungen der Vereinigten Staaten in Umlauf gesetzten
Noten das erste Vorzugsanrecht auf alle Aktiven einer solchen Bank erhalten.
Jede FRBank kann jederzeit durch Hinterlegung von eigenen FRXoten,
Goldzertifikaten oder gesetzlichem Gelde der Vereinigten Staaten beim FR-
Agenten ihre Verbindlichkeiten aus ausstehenden FRXNoten herabmindern.
Noten, die so hinterlegt werden, sollen nicht wieder ausgegeben werden, es sei
denn nach Erfüllung der für eine Neuausgabe vorgesehenen Vorschriften.
632 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Der FRAgent soll solches Gold, Goldzertifikate oder gesetzliches Geld
ausschließlich für den Umtausch solcher ausstehenden FRXNoten bereithalten,
die ihm von der Reservebank, deren Direktor er ist, angeboten werden. Auf
Aufforderung des Schatzamtsekretärs soll das FRBoard von dem FRAgenten
verlangen, daß er so viel von diesem Golde an das Schatzamt der Vereinigten
Staaten überweist, als für den ausschließlichen Zweck der Einlösung solcher
Noten erforderlich sein mag.
Unter den vom Board zu erlassenen Bestimmungen und mit Zustimmung
des FRAgenten kann jede Reservebank nach Belieben die bei ihrem FRAgenten
zur Deckung ihrer FRNoten hinterlegten Sicherheiten zurückziehen. Sie muß
aber gleichzeitig diese Sicherheiten im selben Betrage durch andere gleich-
artige ersetzen.
Zwecks Beschaffung zum Umlauf als FRNoten geeigneter Noten soll der
Comptroller of the Currency nach Anweisung des Schatzamtsekretärs Platten und
Matrizeu in zum Schutze gegen Nachahmungen und betrügerische Fälschungen
geeignetster Weise gravieren lassen. Von diesen Platten soll eine solche Anzahl
dieser Noten in Stückelung von 5, 10, 20, 50, 100$ gedruckt und mit Nummern
versehen werden, als zum Zwecke der Versorgung der Reservebanken nöti
erscheint. Diese Noten sollen in Form und Wortlaut nach den auf Grun
der Bestimmungen dieses Gesetzes gemachten Angaben des Schatzamtsekretärs
hergestellt werden. Sie sollen die Unterscheidungsnummern der verschiedenen
Reservebanken, durch die sie ausgegeben wurden, tragen.
Diese Noten sollen nach der Herstellung in dem, Sen Sitze jeder FRBank
nächstgelegenen Schatzamte (Treasury), Unterschatzamte (Sub-Treasury) oder
Münze der Vereinigten Staaten aufbewahrt und für den Gebrauch einer solchen
Bank bereitgehalten werden, falls der Comptroller of the Currency, wie in
diesem Gesetz vorgesehen, Auftrag zur Auslieferung gibt.
Die durch den Comptroller of the Currency zum Drucken dieser um-
laufenden Noten geschafften Platten und Matrizen sollen unter seiner Kontrolle
und Verfügung verbleiben. Die bei Ausführung der gesetzlichen Bestimmun
bezüglich der Herstellung dieser Noten notwendigerweise entstehenden Un-
kosten, sowie alle anderen durch ihre Ausgabe oder Einziehung verursachten
Ausgaben sollen von den FRBanken bezahlt werden. Das FRBoard soll in
seinen Voranschlag der von den Reservebanken zu erhebenden Kostenbeiträge
einen zur Deckung der hier vorgesehenen Ausgaben genügenden Betrag ein-
schließen.
Die in Sect. 5174 der „Revised Statutes“ vorgesehene Nachprüfung der
Platten, Matrizen, Stempel usw. und die auf die Nachprüfung der Platten,
Matrizen usw. der Nationalbanknoten bezüglichen Bestimmungen werden hier-
mit auch auf die im Vorstehenden vorgesehenen Noten ausgedehnt.
Irgendeine bereits erfolgte Bereitstellung aus dem allgemeinen Fonds des
Schatzamtes zur Herstellung von Platten und Matrizen, zur Anschaffung
von besonders geeignetem Papier oder zur Deckung irgendwelcher sonsti
in Zusammenhang mit dem Drucken von Nationalbank- oder durch das be
sctz vom 13. Mai 1908 vorgesehenen Noten entstandener Unkosten, sowie die
zur Zeit der Annahme dieses Gesetzes etwa vorhandenen Vorräte besonders
:cigeneten Papieres können nach Belieben des Schatzamtsekretärs für die
wecke dieses Gesetzes Verwendung finden. Sollten jedoch diese früher bereit-
estellten Beträge nicht ausreichen, die Erfordernisse dieses Gesetzes neben den
ür die auf Grund bestehender Gesetze umlaufenden Noten nötigen Ausgaben
zu decken. so wird der Schatzamtsekretär hiermit ermächtigt, aus im Schatz-
amte vorhandenen, nicht zu anderen Zwecken bereitgestellten Geldmitteln den
zur Anschaffung vorstehend erwähnter Noten benötigten Betrag zu entnehmen;
mit der Maßgabe jedoch. daß keine Bestimmung dieser Sektion dahin aus-
elegt werden soll, daß National- oder Reservebanken von ihrer Verpflichtung
efreit werden sollen, der Regierung die durch Drucken und Ausgabe von
Noten verursachten Kosten zurückzuerstatten.
Jede FRBank soll von Mitgliedsbanken oder von anderen Reservebanken
auf ihre Depositenkunden gezogene Schecks und Tratten zum Nennwerte als
Depositen annehmen; ebenso Schecks und Wechsel, die von einem Depositen-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 633
kunden irgendeiner anderen Reserve- oder Mitgliedsbank auf sein Guthaben
bei dieser Reserve- oder Mitgliedsbank gezogen sind, wenn diese Papiere von
einer FRBank eingesandt werden. Keine Bestimmung dieses Gesetzes soll so
ausgelegt werden, da8 dadurch einer Mitgliedsbank verboten wird, ihren Kunden
die ihr bei Einziehung oder Uebersendung von Geldern oder Verkauf von
Iulandsdevisen tatsächlich entstandenen Spesen zu belasten. Das FRBoard soll
durch Verordnung die Höhe der Provisionen festsetzen, die Mitgliedsbanken
ihren Kunden berechnen dürfen, wenn deren Schecks durch die ervebank
abgerechnet werden; er soll außerdem auch die Sätze bestimmen, die Reserve-
banken für ihre Verrechnungs- und Einkassierungsdienste in Ansatz bringen
können.
Das FRBoard soll von Zeit zu Zeit Bestimmungen erlassen betr. Ueber-
weisunz von Geldern zwischen FRBanken und deren Zweiganstalten und
die dafür zu berechnenden Kosten bekannt geben. Er mag nach Gutdünken
selbst die Funktionen einer Abrechnungsstelle für die Resenvebanken über-
nehmen oder irgendeine Reservebank mit der Ausübung dieser Funktionen be-
auftragen. Er kann auch anordnen, daß jede Reservebank die Funktionen einer
Abrechnungsstelle für ihre Mitgliedsbanken übernimmt.
Sect. 17. Die in Sect. 5119 der „Revised Statutes of the United States“,
Sect. 4 des Gesetzes vom 20. Juni 1874, Sect. 8 des Gesetzes vom 12. Juli
1882 und in anderen bestehenden Gesetzen enthaltenen Bestimmungen, wonach
Nationalbanken einen bestimmten Betrag eingetragener Schuldverschreibungen
der Vereinigten Staaten an das Schatzamt zu übertragen oder einzuliefern haben,
bevor ihneu das Recht, Bankgeschäfte zu beginnen, erteilt wird, werden hier-
mit aufgehoben.
Zurückziehung von Staatsschuldverschreibungen.
Sect. 18. Jede Mitgliedsbank, die ihre umlaufenden Noten ganz oder teil-
weise zurückziehen will, kann zwei Jahre nach Erlaß dieses Gesetzes und
von da ab zu jeder Zeit während eines Zeitraumes von 20 Jahren beim Schatz-
meister der Vereinigten Staaten (Treasurer of the United States) den Antrag
stellen, daß er die den zurückziehenden Notenumlauf deckenden Schuldverschrei-
bungen der Vereinigten Staaten zum Nennwerte zuzüglich laufender Zinsen
für ihre Rechnung verkauft.
Der Schatzmeister soll jeweils am Ende von vierteljährlichen Zeiträumen
dem FRBoard eine Liste dieser Einträge einreichen. Das Board kann nach
eigenem Ermessen von den Reservebanken verlangen, solche Schuldverschrei-
bungen von Banken zu erwerben, deren Anträge beim Schatzmeister min-
destens 10 Tage vor Ablauf der vom Board zur Vollziehung des Kaufes
festgesetzten Vierteljahrsperiode eingegangen sind, mit der Maßgabe, daß FR-
Banken im Verlauf eines Jahres nicht mehr als 25 Mill. $ solcher Schuld-
verschreibungen kaufen dürfen, wobei Schuldverschreibungen, die von den
FRBanken auf Grund von Sect. 4 dieses Gesetzes erworben worden sind, in
diesen Betrag einzurechnen sind.
Das FRBoard soll jeder FRBank einen dem Verhältnis ihres Kapitals
und ihrer Reserven zu dem Gesamtkapital und den Gesamtreserven aller FR-
Bankeu entsprechenden Anteil solcher Schuldverschreibungen zuteilen.
Nachdem der Schatzmeister jeder Mitgliedsbank den Betrag der auf diese
Weise für ihre Rechnung verkauften Schuldverschreibungen mitgeteilt hat,
sollen die betreffenden Nationalbanken diese Schuldverschreibungen ordnungs-
mäßig auf die laufende FRBank schriftlich übertragen und überweisen. Darauf
soll die betreffende FRBank die Kaufsumme für diese Schuldverschreibungen
in gesetzlichem Gelde beim Schatzmeister der Vereinigten Staaten hinterlegen.
Nach Abzug eines zur Einlösung der durch diese Schuldverschreibungen ge-
deckten Kalender Noten ausreichenden Betrages soll der Schatzmeister den
verbleibenden Rest der die Schuldverschreibungen verkaufenden Mitgliedsbank
auszahlen. Die betreffenden Noten sollen nach der Einlösung für immer zurück-
behalten und ungültig gemacht werden.
Die die Schuldverschreibungen kaufenden FRBanken sollen das Recht
haben, einen dem Nennwerte dieser Schuldverschreibungen entsprechenden Be-
trag Noten in Umlauf zu setzen.
634 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Jede FRBank, die beim Schatzmeister der Vereinigten Staaten in der
durch Gesetz vorgeschriebenen Weise so gekaufte oder auf Grund von Sect. 4
dieses Gesetzes erworbene Schuldverschreibungen mit Notenprivileg hinter-
legt, soll berechtigt sein, gegen diese Hinterlegung vom Comptroller of the
Currency Notenblanketts, nach den gesetzlichen Vorschriften registriert und
gegengezeichnet, im Betrage des Nennwertes der so hinterlegten Schuldver-
schreibungen entgegenzunehmen. Diese Noten sollen Verpflichtungen der sie aus-
gebenden Reservebanken sein; ihre Form soll durch den Schatzamtsekretär
vorgeschrieben werden; sie sollen denselben Wortlaut und die gleiche Gültig-
keit als die jetzt im Gesetz vorgesehenen Nationalbanknoten erhalten; ihre
Ausgabe und Einlösung soll unter denselben Vorschriften und Bedingungen wie
bei den Nationalbanknoten erfolgen, jedoch soll ihre Ausgabe nicht auf die
Höhe des Grundkapitals der sie ausgebenden Reservebank beschränkt sein.
Auf mit Zustimmung des Boards gestellten Antrag irgendeiner FRBank
kann der Schatzamtsekretär im Austausch für 2-proz. Goldschuldverschreibungen
der Vereinigten Staaten (United States 2 Proz. Gold Bonds) mit Notenprivileg,
gegen die aber keine Noten mehr ausstehend sind, bis höchstens zur Hälfte
des zum Umtausch angebotenen Betrags der 2-proz. Schuldverschreibungen
einjährige Goldschatzscheine (Gold Notes) der Vereinigten Staaten ohne Noten-
privileg. und für den Rest 30-jährige 3-proz. Goldschuldverschreibungen (3 Proz.
Gold Bonds) ohne Notenprivileg ausgeben; mit folgender Maßnahme: gleich-
zeitig mit einem solchen Umtausch soll die diese einjährigen Goldschatz-
scheine empfangende FRBank dem Schatzamtsekretär gegenüber die Ver-
pflichtung übernehmen, auf dessen Verlangen bei Fälligkeit dieser Schatz-
scheine von den Vereinigten Staaten einen gleichen Betrag neuer einjähriger
Schatzscheine in Gold zu kaufen und bei jeder weiteren Fälligkeit so ge-
kaufter Schatzscheine einen ihr von dem Schatzamtsekretär etwa zugewiesenen
Betrag soleher Noten von der Regierung zu erwerben. Dieser Betrag soll
die Summe der erstmalig im Umtausch gegen 2-proz. Goldschuldverschreibungen
erworbenen Schatzscheine nicht übersteigen. Diese Verpflichtung, solche Schatz-
scheine bei Fälligkeit zu kaufen, soll für einen Zeitraum bis zu 30 Jahren in
Kraft bleiben.
Um den in diesem Artikel vorgesehenen Umtausch vornehmen zu können,
wird der Schatzamtsekretär ermächtigt, nach Gutdünken auf Namen oder
Inhaber lautende Schatzscheine in Stücken von 100 $ oder einem Vielfachen
hiervon zum Nennwerte auszugeben. Diese Schatzscheine sollen 3 Proz.,
vierteljährlich zahlbare, Zinsen tragen und müssen mindestens innerhalb eines
Jalues vom Tage ihrer Ausgabe an in Goldmünzen des gegenwärtigen Wäh-
rungssystems rückzahlbar sein. Sie sind hinsichtlich Kapital und Zinsen von
der Zahlung sowohl aller Bundessteuern und Abgaben (mit Ausnahme der
durch dieses Gesetz vorgesehenen) als auch jeglicher Staats-, Stadt- oder
Orissteuer befreit. Zum gleichen Zwecke ist der Schatzamtsekretär befugt
und ermächtigt, 3-proz. Goldschuldverschreibungen der a Se Staaten,
30 Jahre nach Ausgabe rückzahlbar, zum Nennwert auszugeben. Diese Schuld-
verschreibungen sollen den gleichen allgemeinen Wortlaut und dieselbe Gültig-
keit erhalten, wie die jetzt ausgegebenen und ausstehenden 3-proz. Schuldver-
schreibungen der Vereinigten Staaten ohne Notenprivileg und sollen unter
Gë allgemeinen Grundsätzen und Bedingungen ausgegeben werden, wie
1ese.
Auf, mit Zustimmung des Boards, gestellten Antrag irgendeiner FRBank
kann der Schatzamtsekretär solche 3-proz. Schuldverschreibungen im Um-
tausch gegen die in diesem Artikel vorgesehenen einjährigen Goldschatz-
scheine zum Nennwerte ausgeben.
Bankreserven.
: Sect: 19. Kurzfristige Depositen im Sinne dieses Gesetzes sollen alle
innerhalb 30 Tagen rückzahlbare Depositen umfassen, langfristige Depositen
alle nach mehr als 30 Tagen rückzahlbare Depositen, sowie Sparkonten
SCH Depositenscheine, die einer mindestens 30-tägigen Kündigung unterworfen
sind.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 635
Nachdem der Schatzamtsekretär in einer von ihm zu bestimmenden Form
die Errichtung der FRBank eines Distriktes amtlich bekanntgegeben hat, soll
jede Anteile zeichnende Mitgliedsbank Reserven, wie folgt, sich schaffen und
aufrecht erhalten:
a) Eine Bank, die ihren Sitz nicht in einem jetzt oder später als „Re-
serve“- oder „Zentral-Reserve“-Stadt bezeichneten Platz hat, soll 12 Proz.
des Gesamtbetrags ihrer kurzfristigen und 5 Proz. ihrer langfristigen De-
positen als Reserven halten und aufrecht erhalten, und zwar wie folgt:
In eigener Verwahrung für einen Zeitraum von 36 Monaten nach ge-
nanntem Zeitpunkt!) äis und späterhin dauernd #/j»-
Bei der FRBank ihres Distriktes für einen Zeitraum von 12 Monaten
nach genanntem Zeitpunkt ?/,s und für jede weiteren 6 Monate !/iọ mehr,
bis Biz so deponiert sind. Dies soll auch der dann dauernd verlangte Betrag
sein.
Der Rest der Reserven kann für einen Zeitraum von 36 Monaten nach
enanntem Zeitpunkte in eigener Verwahrung oder bei der FRBank oder bei
Nationalbanken in zurzeit gesetzlich als „Reserve“- bzw. „Zentral-Reserve“-
Städten bezeichneten Plätzen hinterlegt werden.
Nach Ablauf dieser 36 Monate sollen die Reserven, soweit sie nicht
nach vorstehenden Bestimmungen in Verwahrung der Mitgliedsbank selbst oder
bei der FRBank zu halten sind, nach Wahl der Mitgliedsbank in ihren
eigenen Gewölben, in der FRBank, oder geteilt in beiden hinterlegt werden.
b) Eine Bank, die ihren Sitz in einem jetzt oder später als „Reserve“-Stadt
bezeichneten Platze hat, soll 15 Proz. des Gesamtbetrags ihrer kurzfristigen
und 5 Proz. ihrer langfristigen Deposiien als Reserven halten und aufrecht
erhalten, und zwar wie folgt:
In eigener Verwahrung für einen Zeitraum von 36 Monaten nach ge-
nanntem Zeitpunkt Jm und späterhin dauernd 5/13.
Bei der FRBank ihres Distriktes für einen Zeitraum von 12 Monaten
nach genanntem Zeitpunkte mindestens 3/,; und für jede weiteren 6 Monate
Lin mehr. bis Bis so deponiert sind. Dies soll auch der dann dauernd ver-
langte Betrag sein.
Der Rest der Reserven kann für einen Zeitraum von 36 Monaten nach
a Zeitpunkte in eigener Verwahrung oder bei der FRBank oder bei
\ıtionalbanken in zurzeit gesetzlich als „Reserve“- bzw. „Zentral-Reserve“-
Städten bezeichneten Plätzen hinterlegt werden.
Nach Ablauf dieser 36 Monate sollen alle diese Reserven, soweit sie
nicht nach vorstehenden Bestimmungen in Verwahrung der Mitgliedsbank
selbst oder bei der FRBank zu halten sind, nach Wahl der Mitgliedsbank in
ihren eigenen Gewölben, in der FRBank, oder geteilt in beiden hinterlegt
werden.
c) Eine Bank, die ihren Sitz in einem jetzt oder später als „Zentral-Re-
serve“ -Stadt bezeichneten Platz hat, soll 18 Proz. des Gesamtbetrags ihrer
kurzfristigen und 5 Proz. ihrer langfristigen Depositen als Reserven halten und
aufrecht erhalten, und zwar wie folgt:
in eigener Verwahrung $/ı3,
bei der FRBank 1/is,
der Rest der Reserven soll nach ihrer Wahl in ihren eigenen Gewölben
oder bei der FRBank hinterlegt werden.
Jede FRBank kann von den Mitgliedsbanken bei jeder Einzahlung von Re-
serven bis zur Hälfte des Betrages Papiere entgegennehmen, die nach Sect. 14
als diskontfähig bezeichnet sind, vorausgesetzt, daß diese ordnungsmäßig in-
dossiert und der betreffenden Reservebank genehm sind.
Falls eine Staatsbank oder Trustgesellschaft durch das Gesetz ihres
Staates verpflichtet ist, ihre Reserven entweder in eigener Verwahrung oder
bei einer anderen Staatsbank bzw. Trustgesellschaft zu halten, so sollen solche
1) Unter „genanntem Zeitpunkt“ ist im folgenden stets der Tag der amt-
lichen Bekanntmachung des Schatzamtsekretärs über die Errichtung einer FRBank
zu verstehen.
636 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bei einer Staatsbank oder Trustgesellschaft deponierte Reserven im Sinne dieser
Sektion den bei einer Nationalbank in einer „Reserve“- oder „Zentral-Reserve“-
Stadt hinterlegten Reserven gleichgestellt werden, jedoch nur für einen Zeit-
raum von 3 Jahren nach der amtlichen Bekanntgabe des Schatzamtsekretärs,
daß die Errichtung einer FRBank in dem Distrikte, in dem eine solche Staats-
bank oder Trustgesellschaft ihren Sitz hat, erfolgt ist. Keine Mitgliedsbank
soll bei irgendeiner Nicht-Mitgliedsbank einen Betrag als Depositum hinter-
legen, der 10 Proz. ihres eigenen eingezahlten Aktienkapitals und ihrer Re-
serven übersteigt, es sei denn auf Grund der vorstehenden Bestimmungen.
Ohne Erlaubnis des FRBoards soll keine Mitgliedsbank als Vermittler oder
Agent für eine Nicht-Mitgliedsbank beim Nachsuchen oder Empfangen von
Diskontkredit auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes tätig sein.
Die bei einer FRBank unterhaltenen rven einer Mitgliedsbank können
zur Deckung bestehender Verbindlichkeiten von dieser zurückgezogen oder
gegen die Verpflishtungen bei der FRBank aufgerechnet werden; mit der
aßgabe, daß sich die Bank den Vorschriften und etwa verhängten Straf-
bestimmungen des FRBoards unterwirft und daß sie zu keiner Zeit neue Dar-
lehen gewähren und irgendwelche Dividenden zahlen darf, bevor die volle
gesetzliche Reserve wiederhergestellt ist.
Bei Festsetzung der in diesem Gesetz verlangten Reserven soll der Saldo
zwischen dem Guthaben bei und den Forderungen von anderen Banken als
Grundlage für die Berechnung der Depositen, gegen die eine Reserve zu halten
ist, dienen. Hierbei sollen Guthaben von Mitgliedsbanken bei FRBanken, so-
weit als dies hier vorgesehen ist, als Reserven zählen.
Nationalbanken, die ihren Sitz in Alaska oder außerhalb des Festland-
bietes der Vereinigten Staaten haben, brauchen nicht Mitglieder von FR-
nkeu zu werden; sie sollen in diesem Falle den für sie jetzt bestehenden Ge-
setzen unterworfen bleiben und die darin vorgesehenen Reservevorschriften
erfüllen. Mit Genehmigung des Boards können jedoch solche Banken, mit
Ausnahme der Banken in den Philippinen, Mitgliedsbanken irgendeiner FR-
Bank werden; in diesem Falle sollen sie Anteile übernehmen, Reserven halten
und allen anderen Bestimmungen dieses Gesetzes unterworfen sein.
Sect. 20. Section 2 und 3 des Gesetzes vom 20. Juni 1874, betr. „Fest-
setzung des Betrages des Papiergeldes der Marg Staaten, Vorkehrun
für eine Tenang von Nationalbanknoten und für andere Zwecke“ (An Act
fixing the amount of United States notes, providing for redistribution of the
national-bank currency, and for other purposes), werden insofern geändert,
als die Bestimmungen, daß der von einer Nationalbank zur Einlösung ihrer
Noten beim Schatzamt hinterlegte Fonds zu den gesetzlichen Reserven zu
zählen sei, hiermit aufgehoben werden. Vom Zeitpunkte der Annahme dieses
Gesetzes an und späterhin soll dieser 5-proz. Fonds von einer Nationalbank
nicht mehr als Teil ihrer gesetzlichen rven gerechnet werden.
Bankrevision.
Sect. 21. Section 5240 der „United States Revised Statutes“ wird hiermit
abgeändert und erhält folgenden Wortlaut:
Der Comptroller of the Currency soll mit Zustimmung des Schatzamt-
sekretärs Revisoren ernennen, die bei jeder Mitgliedsbank mindestens zweimal
jährlich und, falls nötig, öfters Revisionen vornehmen sollen. Mit der Maß-
gabe jedoch, daß das FRBoard bei Staatsbanken und Trustgesellschaften Re-
visionen durch einzelstaatliche Behörden als Ersatz anerkennen kann; das
Board kann aber jederzeit bei Staatenbanken und Trustgesellschaften, die Anteils+
eigner einer Reservebank sind, besondere Revisionen anordnen. Bei Vornahme
der Revision irgendeiner Nationalbank oder sonstigen Mitgliedsbank ist der
Revisor ermächtigt, sämtliche Geschäfte der Bank eingehend nachzuprüfen;
dabei hat er das Recht, Eide aufzuerlegen und jeden Beamten und enten
der Bank unter Eid zu vernehmen. Ueber die Verhältnisse der betreffenden
Bank soll er dem Comptroller of the Currency einen ausführlichen, ins ein-
zelne gehenden Bericht erstatten.
„Auf Vorschlag des Comptrollers of the Currency soll das FRBoard die
Gehälter sämtlicher Bankrevisoren festsetzen und dem Kongresse darüber einen
Nationalökonomische Gesetzgebung. 637
Bericht einreichen. Die Kosten der hier vorgeschriebenen Revisionen sollen
von dem Comptroller of the Currency auf die revidierten Banken im Ver-
hältnis der von ihnen zur Revisionszeit ausgewiesenen Aktiven oder Be-
triebsmittel umgelegt werden.
In Ergänzung der unter Leitun des Comptroller of the Currency VOT-
striktes vornehmen lassen. Die Kosten dieser Revisionen sınd von den revidierten
Banken zu tragen. Solche Revisionen sollen in der Weise durchgeführt werden,
daß die FRBank über die Geschäftsverhältnisse ihrer Mitgliedsbanken und
über die Verteilung der von diesen gewährten Kredite unterrichtet wird. Jede
FRBank soll dem Board jederzeit etwa verlangte Auskünfte über die Ge-
schäftsverhältnisse irgendeiner Mitgliedsbank ihres Distriktes erteilen.
Eine Bank braucht sich keinen anderen Revisionen Zu unterwerfen, als
den im Gesetz vorgesehenen, den Gerichten zustehenden oder solchen, die vom
Kongreß, einem seiner Häuser oder einer ordnungsmäßig bevollmächtigten Kom-
mission des Kongresses oder eines seiner Häuser ausgeführt oder angeordnet
Mindestens einmal jährlich soll das FRBoard eine Revision einer jeden
Reservebank vornehmen lassen und auf gemeinsamen Antrag von 10 re ieds-
banken eine besondere Revision und Berichterstattung über die Gesc
dnen.
Sect. 22. Weder Mitgliedsbanken selbst noch ir endeiner ihrer Vorstands-
beamten, Direktoren oder Ängestellten soll von jetzt ab ir endeinem Bankrevisor
ein Darlehen gewähren oder eine Vergütung anbieten. Jeder gegen diese Be-
stimmung verstoßende Vorstandsbeamte, Direktor oder Angeste
soll eines Verbrechens schuldig erachtet werden und mit Gefängnis bis zu
1 Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 5000 $ oder beidem bestraft werden;
‚außerdem kann noch eine weitere Geldstrafe in Höhe des ausgeliehenen bzw.
vergüteten Betrages verhängt werden. Jeder Revisor, der ein Darlehen oder
eine Vergütag von irgendeiner von ihm revidierten Bank oder einem ihrer
eamten, Direktoren oder Angestellten annimmt, soll eines Verbrechens
schuldig erachtet werden und mit Gefän nis bis zu 1 Jahr oder einer Geld-
strafe bis zu 5000 $ oder beidem bestraft werden; außerdem kann noch eine
‚weitere Geldstrafe in Höhe des geliehenen bzw. als Vergütung empfangenen
Betrages verhängt werden. Außerdem soll ein solcher Revisor für immer die
‘Quali ikation eines Nationalbankrevisors verlieren. Während seiner Amtszeit
soll ein Nationalbankrevisor gegen Bezahlung keine anderen Dienste für irgend-
eine Bank, deren Vorstandsbeamte, Direktoren oder Angestellte leisten.
; Außer den üblichen Gehältern oder Direktoriumsvergütungen, die an
Mitglieder des Vorstandes und Direktoriums oder Ange 2 einer Mitglieds-
bank bezahlt werden, und außer einer angemessenen ergütung für ge eistete
Dienste sollen weder Mitglieder des Vorstandes oder Direktoriums, noch An-
gestellte oder Bevollmächtigte einer Mit liedsbank direkt oder indirekt irgend-
welche Vorteile, Vergütungen, Vermittlungsgebühren, Geschenke oder Ent-
schädigungen für oder in i it i
erhalten. Ein öffentlicher oder privater Revisor soll niemand anders als dem
zuständigen Beamten einer Bank Angaben über die Namen der Darlehnsnehmer
oder die Deckung der Darlehen einer Mitgliedsbank machen, ohne dazu vor-
her vom Comptroller of the Currency oder von dem Direktorium der Ban
die ausdrückliche schriftliche Erlaubnis erhalten zu haben, es sei denn, daß
ein zuständiges Gericht, der Kongreß der Vereinigten Staaten, eines seiner
Häuser oder eine ordnungsmäßig bevollmächtigte Kommission de Kongresses
oder eines seiner Häuser dies anordnen. Wer gegen irgendeine Bestimmung
dieses Artikele verstößt, soll mit einer Geldstrafe bis zu 009 $ oder mit Ge
Soweit diese Bestimmungen nicht bereits in bestehenden Gesetzen ent-
halten sind, sollen sie erst 60 Tage nach Annahme dises Gesetzes Wirksamkeit
‚erlangen.
Sect. 23. Die Aktionäre jeder Nationalbank sollen persönlich. jeder —
über den in Aktien angelegten Betrag hinaus — bis zur Höhe des Nennwertes
638 Nationalökonomische Gesetzgebung.
seiner Kapitalbeteiligung für alle Verträge, Schulden und Verbindlichkeiten
einer solchen Bank haften. Aktionäre irgendeiner Nationalbank, die inner-
halb 60 Tagen vor der Zahlungseinstellung einer solchen Bank ihre Aktien
übertragen haben oder die Uebertragung eintragen ließen oder diejenigen, die
von dem bevorstehenden Konkurs Kenntnis hatten, sollen in gleichem Umfange
haftbar sein, als wenn keine solche Uebertragung vorgenommen worden wäre,
jedoch nur insoweit, als der folgende Aktienbesitzer seinen Verpflichtuuren
nicht nachkommt. Diese Bestimmung soll jedoch nicht dahin ausgelegt werden,
daß dadurch das Rückgriffsrecht eines Aktionärs gegen Personen, auf deren
Namen solche Aktien zur Zeit der Zahlungsfähigkeit eingetragen sind, irgend-
wie berührt würde.
Darlehen auf landwirtschaftliche Grundstücke.
Sect. 24. Jede Nationalbank, die nicht in einer „Zentral-Reserve“-Stadt
ihren Sitz hat, kann auf kultivierte, unbelastete, innerhalb ihres FRDistriktes
relerene ländliche Grundstücke Darlehen gewähren. Solche Darlehen sollen
jedoch nicht auf eine längere Zeit als auf 5 Jahre gegeben werden; die Be-
leihung soll 50 Proz. des wirklichen Wertes des als Sicherheit angebotenen
Grundstückes nicht überschreiten. Jede derartige Bank kann solche Darlehen
bis zu einer Gesamthöhe von 25 Proz. ihres Kapitals und ihrer Reserven oder
bis zu ein Drittel ihrer langfristigen Depositen gewähren. Dabei bleibt das
techt der Bank zur Annahme Tangfristiger Depositen und zur Zahlung
von Zinsen für diese nach wie vor bestehen.
Das FRBoard soll ermächtigt sein, die Liste der Städte, in denen National-
banken keine Darlehen auf Grundbesitz in der in diesem’ Artikel beschriebenen
Weise gewähren dürfen, zu vergrößern.
Auslandstilialen.
Sect. 25. Zum Zwecke der Förderung des Außenhandels der Vereinigten
Staaten kann jede Nationalbank mit Kapital und Reserven von 1000000 $ oder
mehr beim FRBoard unter vom Board etwa festzusetzenden Bedin'rungen
und Bestimmungen beantragen, ihr die Ermächtigung zur Errichtung von Zweig-
niederlassungen in auswärtigen oder von den Vereinigten Staaten abhängigen
Ländern zu erteilen. Auf Verlangen sollen solche Niederlassungen dano als
Fiskalagenten der Vereinigten Staaten tätig sein. Die einen solchen Antrag
stellende Bank soll neben ihrem Namen und Kapital genau angeben: den
Platz bzw. die Plätze, in denen die beabsichtigten Bankgeschäfte betrieben
werden sollen und den Kapitalbetrag, den die betreffende Bank zur Führung
ihrer Auslandsgeschäfte bereitgestellt hat. Das Board soll das Recht haben,
solche Anträge zu genehmigen oder, falls seiner Meinung nach das zur Führung
der Auslandsgeschäfte vorgesehene Kapital unzulänglich ist oder andere Gründe
vorliegen, die die Genehmigung des Antrags als unangebracht erscheinen lassen,
abzulehnen.
Jede Nationalbank, die die Ermächtigung zur Errichtung von Auslands-
filialien erhalten wird, soll jederzeit verpflichtet sein, dem Comptroller of the
Currency auf Verlangen über die Verhältnisse solcher Zweigniederlassunren
Auskunft zu erteilen. Das FRBoard kann zu besonders geeignet erscheineuden
Zeitpunkten außerordentliche Revisionen dieser Auslandsfilialien anordnen. Die
Konten jeder einzelnen Auslandsfiliale sollen bei jeder Nationalbank getrennt
von denen anderer Auslandsniederlassungen und der Zentrale geführt werden.
Am Ende eines jeden Fiskaljahres sollen die von den einzelnen Anslands-
filialen ausgewiesenen Gewinne bzw. Verluste in getrennten Posten ins Haupt-
buch übertragen werden.
Seet. 261). Bestehende gesetzliche Bestimmungen werden insoweit, aber auch
nur insoweit aufgehoben, als sie durch Vorschriften dieses Gesetzes ersetzt werden
oder mit ihnen unvereinbar sind. Mit der Maßgabe: keine Bestimmun dieses
Gesetzes soll dahin ausgelegt werden, daß dadurch die Vorschriften über die
1) Auch hier wieder eine Bestimmung, die mit dem Titel, unter dem sie auf-
geführt ist, nicht das mindeste zu tun hat.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 639
Parität widerrufen würden, die enthalten sind im Gesetz vom 14. März 1900,
„betr. den Aufbau und die Festlegung des Währungssystems, die Aufrecht-
erhaltung der Parität für die von den Vereinigten Staaten ausgegebenen oder
geprägten Zahlungsmittel jeglicher Art, die Zurückzahlung öffentlicher Schulden
und andere Zwecke“ (An Act to define and fix the standard of value, to
maintain the parity of all forms of money issued or coined by the United
States, to refund the public debt, and for other purposes). Der Schatzant-
sekretär kann zwecks Aufrechterhaltung dieser Parität und zur Verstärkung
der Goldreserven Gold sich leihen gegen Verpfändung und Schuldverschrei-
bungen der Vereinigten Staaten (auf Grund von Sektion 2 des letztgenannten
Gesetzes) oder von einjährigen Goldschatzscheinen mit einem Zinserträgnis
bis zu 3 Proz. Falls nötig, kann er zwecks Erlangung von Gold die genannten
Wertpapiere auch Se Wenn die im Schatzamt verfügbaren Mittel es
estatten, kann der Schatzamtsekretär solche ausstehenden Schuldverschrei-
ungen und Schatzscheine kaufen und aus dem Verkehr zurückziehen.
Sect. 27. Das Gesetz vom 30. Mai 1908, durch das die Gründung
von „National Currency Associations“, die Ausgabe weiterer Nationalbank-
noten und die Schaffung einer „National Monetary Commission“ gestattet
wurde, wird hiermit, obgleich es nach den Bestimmungen jenes (rsetzes
am 30. Juli 1914 außer Kraft treten sollte, bis zum 30. Juni 1915 aus-
edehnt. Die durch das Gesetz vom 30. Mai 1908 abgeänderten Seetionen
153, 5172, 5191, 5214 der „Revised Statutes of the United States“ werden
hiermit wieder in der Fassung, die sie vor dem 30. Mai 1908 hatten, her,-
gestellt, soweit nicht dieses Gesetz Abänderungen oder Einschränkungen vor-
sicht. Mit der Maßgabe jedoch, daß die in Section 9 des eingangs dieser
Section erwähnten Gesetzes festgelegten Steuersätze hiermit abgeändert werden.
Der betreffende Teil jener Section soll nunmehr, wie folgt, lauten: National-
banken, die anders ln durch Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten
gedeckte Noten ausgegeben haben, sollen folgende Steuern für den Durch-
schnittsbetrag solcher im Umlauf befindlichen Noten entrichten: für die ersten
3 Monate zum Satze von 3 Proz. p. a, für jeden weiteren Monat «ine
Zuschlagssteuer von je ji Proz., bis eine Gesamtsteuer von 6 Proz. er-
reicht ist. Von da ab bleibt der Steuersatz von 6 Proz. p. a., auf den Durch-
schnittsbetrag solcher Noten berechnet, bestehen.
Sect. 28. Section 5143 der „Revised Statutes“ wird hiermit abzrän.ert
und tritt in folgender Fassung wieder in Kraft: Jede unter diesem Gesetz
errichtete Gesellschaft kann durch Beschluß von zwei Dritteln des Aktien-
kapitals besitzenden Aktionären ihr Kapital herabsetzen, jedoch nicht unter
den Mindestbetrag, den dieses Gesetz für die Gründung von Gesellschaften vor-
sieht. Es soll jedoch keine Herabsetzung gestattet sein, die das Kapital
der Gesellschaft unter den für den ausstehenden Notenumlauf gesetzlich erforder-
lichen Betrag bringt. Außerdem darf keine Kapitalherabsetzung vorgenommen
werden, bevor der Umfang der beabsichtigten Verminderung dem Comptro!ler
of the Currency angezeigt und von diesem zusammen mit dem FRBoard oder
(bevor die Organisation des FRBoards vollendet ist) zusammen mit der Or-
ganisationskommission genehmigt worden ist.
Sect. 29. Wenn durch ein zuständiges Gericht irgendeine Klausel, ein
Satz, Paragraph oder sonst ein Teil dieses Gesetzes aus irgendeinem Grunde
für ungültig erklärt wird, so soll ein solches Urteil den Rest dieses Gesotzes
nicht berühren oder ungültig machen, sondern soll in seiner Wirkung auf die
Klausel, den Satz, Paragraph oder sonstigen Teil des Gesetzes beschränkt.
bleiben, der direkt bei der entschiedenen Streitfrare herangezogen wurde.
Sect. 30. Das Recht zur Ergänzung, Abänderung oder Aufhebung dieses
Gesetzes wird hiermit ausdrücklich vorbehalten.
Erlassen am 23. Dezember 1913.
640 Miszellen.
Miszellen.
XVIII.
Bemerkungen zu der Streitfrage: Ist die Statistik
eine Methode oder eine Wissenschaft?
Von Dr. Pfitzner, Privatdozent in Gießen.
Wenn man für wissenschaftliche Zwecke Begriffe definieren will,
so geht man zweckmäßig vom allgemeinen Sprachgebrauch aus. Es ist
zwar unbestreitbar, daß die Wissenschaft festere Begriffe braucht, als
sie der allgemeine Sprachgebrauch in der Regel liefert, daß sie also
häufig genötigt ist, allgemein gebräuchliche Begriffe, sei es enger, sei
es sogar anders zu definieren. Indessen muß sich die Wissenschaft davor
hüten, ohne triftige Gründe solche Begriffe anders definieren zu wollen,
denn sonst besteht die Gefahr, daß ihre künstlichen Dee ee sich
nicht einbürgern oder sogar Verwirrung anrichten.
Unter Statistik versteht man nach dem allgemeinen TEE AEAT
heutzutage zunächst einmal zahlenmäßige Belege (Zahlenmaterial) zur
Bekräftigung oder zum Beweise von Behauptungen wissenschaftlichen
oder politischen Inhalts. So sagt man beispielsweise: Statistik bringen,
Statistik anführen, die Zuhörer mit Statistik belästigen. Zweitens ver-
steht mau unter Statistik die Ergebnisse der statistischen Praxis: Sta-
tistik des Deutschen Reiches usw., Gewerbestatistik, Berufsstatistik usw.,
eine Statistik bearbeiten, verwerten usw. Man denkt drittens bei dem
Worte an die statistische Praxis selber, insbesondere die amtliche: in
der Statistik tätig sein, Organisation der amtlichen Statistik usw. Man
denkt endlich an eine statistische Wissenschaft oder wenigstens Lehr-
disziplin: über Statistik lesen, ein Lehrbuch oder Grundriß der Statistik
verfassen.
Statistik ist an sich ein griechisches Adjektivum, läßt also ver-
schiedene Substantiva als Ergänzung zu; welche, darüber entscheidet
der Sprachgebrauch. Sehr häufig ergänzt man sich bei solchen auf ik
endigenden Adjektiven lateinischen oder griechischen Ursprungs Wissen-
schaft (so bei Physik, Botanik, Ethik, Aesthetik, Pädagogik, Heraldik,
Numismatik usw.), häufig außerdem Kunst (Technik) oder Praxis (so
bei Keramik, Optik, Aviatik, Historik, Politik usw.) und dement-
sprechend auch Kunstlehre (Technik im Sinne von Technologie). Bei
dem Worte Statistik kennt der Sprachgebrauch, wie gezeigt, noch andere
Miszellen. 641
Ergänzungen; es ist also an sich nichts dagegen einzuwenden, wenn
die Wissenschaft sich noch besondere Ergänzungen gestattet, wie z. B.
Methode, also sagt, die Statistik sei eine Methode.
In wissenschaftlichen Arbeiten und Lehrbüchern ist häufig die
Frage aufgeworfen worden: Ist die Statistik eine Wissenschaft
oder bloß eine Methode? Unter Methode kann man aber zweierlei
verstehen: Forschungsmethode oder Summe der technischen
Methoden (Methodenkomplex, Methodenlehre). Daß beides etwas ganz
Verschiedenes ist, scheint den meisten Autoren nicht recht bewußt ge-
wesen zu sein, woraus sich auch wohl die zahlreichen Unklarheiten er-
klären. die man in den Erörterungen über diese Frage findet. Die stati-
stische Forschungsmethode besteht in der systematischen zahlen-
mäßiger Massenbeobachtung und ist eine Spezialart der Induktion; sie ist
das der statistischen Forschung charakteristische Forschungs-
prinzip, wie etwa das Experiment, gleichfalls eine Spezialart der In-
duktion, das den Naturwissenschaften charakteristische Forschungs-
prinzip ist. Ihre eingehende theoretische Behandlung gehört also nicht
bloß in die statistischen Lehrbücher, sondern auch in die Methodenlehre
der Logik. Dagegen gehört die statistische Methodenlehre,
d. h. die Darstellung der empirisch gewonnenen, praktisch zur An-
wendung gelangenden technischen Methoden der Statistik (Erhebungs-,
Verarbeitungs-, Darstellungsmethoden), selbstverständlich nur in die sta-
tistischen Lehrbücher. Man bezeichnet die statistische Methodenlehre
häufig sehr richtig mit statistischer Technik (Technik im Sinne von
Kunstlehre, Technologie). Die technischen Methoden der Statistik sind
in der Praxis ausprobierte, also empirisch gewonnene
Hilfsmittel, gewissermaßen das Handwerkszeug des statistischen
Praktikers und Forschers und dürfen nicht mit dem logischen
Grundprinzip der statistischen Forschung verwechselt werden.
Die Frage: Ist die Statistik eine Wissenschaft oder eine Methode ?
bedeutet also entweder: Ist die Statistik eine Wissenschaft
oder eine Forschungsmethode? oder: Ist die Statistik eine
(selbständige) Wissenschaft oder nur eine Methodenlehre
(methodische Wissenschaft) ? Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet die
statistische Forschungsmethode nicht als Statistik, und aus wissenschaft-
lichen Gründen ließe sich eine solche Terminologie höchstens dann allen-
falls rechtfertigen, wenn man in der Statistik nur eine Forschungsmethode
erblickt. Erkennt man dagegen eine statistische Wissenschaft an, so ist
die statistische Forschungsmethode die der Statistik (statistischen Wissen-
schaft) charakteristische Forschungsmethode, aber nicht die Statistik
selber, und es ist dann kein triftiger Grund vorhanden, weshalb man ent-
gegen dem Sprachgebrauch außer der statistischen Wissenschaft auch die
statistische Forschungsmethode kurzweg als Statistik bezeichnen sollte.
Man hat die quantitative Massenbeobachtung deshalb als statistische
Forschungsmethode bezeichnet, weil sie in erster Linie für die stati-
stische Wissenschaft und Praxis in Frage kommt; sie ist aber weder die
einzige Forschungsmethode, welche von der Statistik angewendet wird,
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 41
642 d Miszellen.
noch wird sie ausschließlich in der Statistik verwendet. Ebenso ist
das Experiment, das man oft als die naturwissenschaftliche For-
schungsmethode bezeichnet, nicht identisch mit der Physik im alten Sinne
des Wortes (= Naturwissenschaften), denn diese verwendet weder aus-
schließlich diese Forschungsmethode, noch ist das Experiment aus-
schließlich auf ihr Arbeitsgebiet beschränkt (das physische Experiment
allerdings, aber nicht das Experiment überhaupt). Auch würde wohl
niemand auf den Gedanken kommen, die Physik als eine Forschungs-
methode zu bezeichnen.
Wenn behauptet wird, die Statistik sei deshalb keine Wissenschaft,
weil die statistische F'orschungsmethode auch in zahlreichen anderen
selbständigen Wissenschaften in Frage kommt, so ist darauf zu er-
widern, daß überhaupt nirgends das Gebiet einer Wissenschaft mit dem
Anwendungsbereich einer Forschungsmethode zusammenfällt. Eine For-
schungsmethode kann wohl mitbestimmend bei der Abgrenzung einer
Wissenschaft sein, wie es namentlich bei der statistischen Wissenschaft
der Fall ist, aber nicht entscheidend; die Abgrenzung erfolgt vielmehr in
erster Linie aus Gründen der Arbeitsteilung und durch die Tradition. Da
die Statistik eine staatswissenschaftliche Lehrdisziplin ist, so ist sie zweck-
mäßig auf staats-, kultur- und wirtschaftspolitische Fragen zu beschränken,
die eine Behandlung und Vertiefung nach der statistischen Seite, d.h. mit-
tels der statistischen Forschungsmethode der quantitativen Massenbeobach-
tung in besonderem Maße erlauben und erfordern. Zu einer statistischen
Materialsammlung, wie etwa in dem Grundriß der Statistik von Ballod,
darf die statistische Wissenschaft selbstverständlich nicht herabsinken;
das statistische Zahlenmaterial darf zwar einen breiten Raum in Lehr-
büchern der Statistik einnehmen, aber niemals seinen sekundären
Charakter verleugnen. Die statistischen Zahlenangaben sind
für die statistische Wissenschaft nur Mittel zum Zweck,
nämlich zur Darstellung oder zum Beweise politischer
und wirtschaftlicher Tatsachen und Vorgänge. Sie bilden
das Bearbeitungsmaterial der statistischen Wissenschaft, in analoger
Weise wie etwa die Rechtsquellen das Material der Rechtswissenschaft,
die geschichtlichen Urkunden das Material der Geschichtswissenschaften
usw. Hierbei ist darauf aufmerksam zu machen, daß die statistische
Wissenschaft ebensowenig sämtliches statistisches Material zu verarbeiten
braucht, wie etwa die Rechtswissenschaft sämtliche Rechtsquellen, die
Geschichtswissenschaften sämtliche Geschichtsquellen ; das Urmaterial be-
stimmt also ebensowenig den Inhalt einer Wissenschaft wie eine ihr etwa
charakteristische Forschungsmethode.
Wenr aber auch für die Abgrenzung einer Wissenschaft in erster
Linie Gründe der Arbeitsteilung und die Tradition maßgebend sind, so
dürfen selbstverständlich nicht heterogene Wissensgebiete zu einer
Wissenschaft vereinigt werden. Das ist aber bei der Statistik auch gar
nicht der Fall, wenn sie ihr Arbeitsgebiet auf die genannten Fragen be-
schränkt, also eine staatswissenschaftliche Disziplin bleibt und sich
nicht zu einer Allerweltswissenschaft ausbildet (wie seinerzeit die Achen-
Miszellen. 643
wallsche Statistik). In sachlicher Hinsicht ist dann ein innerer Zu-
sammenhang vorhanden.
Die eine Tatsache bleibt freilich bestehen, daß die statistische
Wissenschaft kein originales Arbeitsgebiet hat, sondern sich
in eklektischer Weise die sie interessierenden Fragen aus der
Politik und der Nationalökonomie herausnimmt und mittels der stati-
stischen Forschungsmethode einer speziellen Bearbeitung unterwirft.
Dieser Eklektizismus tritt ja in dem von Zahn herausgegebenen Werke:
„Die Statistik in Deutschland“ auch äußerlich sehr deutlich in Er-
scheinung. Würde sich die Statistik auf volkswirtschaftliche Fragen
beschränken, so könnte man sie der Volkswirtschaftslehre als dritten
Teil anfügen, also allgemeine, spezielle und statistische Volkswirtschafts-
lehre unterscheiden. Tatsächlich hat auch Conrad in seinem Lehrbuch
diese Einteilung vorgenommen, nur die Benennungen sind etwas anders
(Nationalökonomie, Volkswirtschaftspolitik, Statistik), außerdem hat er
die Finanzwissenschaft als Teilwissenschaft seinem System angegliedert.
Indessen ist die Bevölkerungsstatistik (einschließlich der Moralstatistik),
die den ersten Teil in jeder speziellen Statistik bildet, eine grundlegende
Wissenschaft nicht bloß für die Wirtschafts-, sondern auch für die
Kultur- und die (staats-)politische Statistik. Das Fundament würde
gewissermaßen zu breit sein.
Aber selbst bei Beschränkung auf die Wirtschaftsstatistik wird der
eklektizistische Charakter der statistischen Wissenschaft ein etwas un-
organisches Bild darbieten, das dem Wissenschaftssystematiker stets
peinlich sein wird. Anderseits verbietet sich ein Aufgehen der statisti-
schen Wissenschaft in der Volkswirtschaftspolitik (speziellen, praktischen
Nationalökonomie) aus praktischen Gründen unbedingt, da diese Wissen-
schaft bereits so umfangreich geworden ist, daß sie eher der Aussonde-
rung noch anderer Gebiete zu ihrer Entlastung bedarf. Das Gesagte be-
zieht sich außerdem nur auf den speziellen Teil der Statistik, in
welchen: die Bevölkerungsstatistik, Wirtschaftsstatistik usw. behandelt
werden, nicht aber auf den allgemeinen Teil, der vielmehr durchaus
einen geschlossenen Charakter hat und in die Volkswirtschaftspolitik
nicht hineinpassen würde. Der allgemeine Teil (Geschichte, Theorie
und Technik der Statistik) bildet fast schon eine Wissenschaft für sich.
Manche Autoren, wie namentlich neuerdings wieder Kaufmann!),
haben die Frage, ob die Statistik eine Wissenschaft oder nur eine Me-
thode sei, dahin entschieden, die Statistik sei keine selbständige
Wissenschaft, sondern nur eine Methodenlehre (methodische
Wissenschaft). Dieser Standpunkt ist unhaltbar, denn zur stati-
stischen Wissenschaft gehört auch die Theorie der statistischen For-
schungsmethode und die Geschichte der Statistik (d. h. der statistischen
Wissenschaft und Praxis). Kaufmann hat den begrifflichen Unter-
schied zwischen Forschungsmethode und technischer Methodenlehre nicht
erkannt und geglaubt, Theorie der statistischen Methode sei Theorie
1) Theorie und Methoden der Statistik, 1918.
41*
644 Miszellen.
der statistischen Methodenlehre. Eine Theorie einer Methodenlehre
gibt es aber überhaupt nicht!), und was er in dem ersten Teil seines
Lehrbuchs?) bietet, ist auch tatsächlich die Theorie der statistischen
Forschungsmethode, also ein Teilgebiet der logischen Methodenlehre,
das mit der statistischen Technik (Methodenlehre, Kunstlehre, Techno-
logie) direkt gar nichts zu tun hat. Also auch das Kaufmannsche Lehr-
buch, das die Geschichte der Statistik völlig ignoriert, besteht nicht
bloß aus einer Methodenlehre, sondern auch aus einer Theorie der
Statistik, also aus Theorie und Technik der Statistik.
Die statistische Methodenlehre betrachtet Kaufmann mit anderen
nur als eine Hilfswissenschaft und sagt dementsprechend, die Statistik
sei keine selbständige Wissenschaft, sondern nur eine Hilfswissen-
schaft. Ganz abgesehen davon, daß die Statistik nicht bloß aus einer
Methodenlehre, sondern auch aus Geschichte und Theorie besteht, wird
man den Begriff einer Hilfswissenschaft im absoluten Sinne schwer-
lich anerkennen können. Selbständige und Hilfswissenschaft sind über-
haupt keine Gegensätze; jede selbständige Wissenschaft ist bekanntlich
auch Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften. Hilfswissenschaft
ist nur ein relativer Begriff. Als selbständige Wissenschaft be-
zeichnet man jedes Wissensgebiet, das einen sachlichen und logischen
Zusammenhang und einen gewissen Umfang aufweist. Der sachliche und
logische Zusammenhang in der statistischen Methodenlehre ist un-
bestreitbar, es frägt sich also bloß, ob ihr Umfang derartig ist, daß sie
auf den Namen einer selbständigen Wissenschaft Anspruch machen
könnte. Hält man ihren Umfang nicht für ausreichend, so ist sie eine
Teilwissenschaft und muß als solche innerhalb des Systems der
Wissenschaften irgendeiner anderen selbständigen Wissenschaft ange-
gliedert werden, etwa der Mathematik oder der Nationalökonomie, für
welche sie ja in erster Linie in Frage kommt3). Kaufmann selber
beschränkt indessen die statistische Wissenschaft nicht auf die Me-
thodenlehre; daß aber selbst bei völliger Nichtbeachtung der Geschichte
der Statistik die Theorie und die Methodenlehre der Statistik dem Um-
fange nach ausreichen, um den Anspruch der statistischen Wissenschaft
auf den Rang einer selbständigen Wissenschaft als gerechtfertigt er-
scheinen zu lassen, beweist ja schon der Umfang des über 500 Seiten
starken Lehrbuchs von Kaufmann. Es wäre allerdings denkbar, man
ließe die Theorie der statistischen Forschungsmethode in der Methoden-
lehre der Logik verschwinden und die Geschichte der Statistik in der
Geschichte der Nationalökonomie. Das praktische Bedürfnis der wissen-
1) Von technischen Methoden läßt sich höchstens eine systematische Dar-
stellung geben. Die statistische Methodenlehre gehört zu den praktischen
Wissenschaften; diese vermitteln praktische, aber keine theoretischen Kenntnisse,
wenn auch die Theorie sich bisweilen in sie verirrt. Andere praktische Wissen-
schaften sind z. B. die Banktechnik, die landwirtschaftliche Betriebslehre, die
Forstbetriebslehre, die naturwissenschaftlichen Technologien.
2) Die theoretischen Grundlagen der statistischen Methode.
3) Die logisch unmögliche Frage: selbständige oder Hilfswissenschaft? ist
auch hinsichtlich der Mathematik erhoben worden (vgl” Wundt, Einleitung
in die Philosophie), kann aber wohl als längst erledigt betrachtet werden.
Miszellen. 645
schaftlichen Arbeitsteilung verlangt aber nach einer Zusammenfassung
dieser Wissenschaft, wie man denn überhaupt sagen kann, daß für die
Konstituierung einer Wissenschaft in letzter Linie doch das praktische
Bedürfnis der wissenschaftlichen Arbeitsteilung entscheidet. Auch über
die Existenzberechtigung eines speziellen Teils der Statistik, dessen
etwas unorganische Struktur sich wohl schwer ableugnen läßt, wird
schließlich das praktische Bedürfnis entscheiden, außerdem die Tradition,
denn je mehr Lehrbücher den speziellen Teil berücksichtigen (bisher
ist es nur in dem Lehrbuch von Conrad und dem noch nicht voll-
endeten von v. Mayr der Fall), desto weniger wird wohl dessen
Existenzberechtigung geleugnet werden. Davon bleibt die sehr berech-
tigte Forderung, daß die Nationalökonomie, namentlich die praktische
(die Volkswirtschaftspolitik), mehr als bisher die Ergebnisse der stati-
stischen Praxis berücksichtigen soll, natürlich unberührt.
Die Geschichte der Statistik kann man unmöglich, wie
Kaufmann es tut, einfach ignorieren wollen. Sie zerfällt in zwei Teile:
Geschichte der statistischen Praxis und Geschichte der statistischen
Wissenschaft. '
Die Ergebnisse der statistischen Praxis oder, kurz gesagt, die Sta-
tistik in diesem Sinne des Wortes ist nicht bloß stets für Regierungen
und Verwaltungen von erheblicher praktischer Bedeutung gewesen, son-
dern geradezu weitaus überwiegend zunächst nur für Regierungs- und
Verwaltungs- (politische und administrative) Zwecke geschaffen wor-
den. Um ein Land gut und erfolgreich regieren und verwalten zu
können, müssen Regierung und Verwaltung sich fortlaufend über die
tatsächlichen Zustände des Landes und der Bewohner informieren, sei es
durch persönliche Beobachtung, sei es durch Berichte der nachgeordneten
Behörden, sei es durch statistische Ermittlungen.
Neben und an die Stelle persönlicher Berichte der Regierungsorgane
ist die Statistik in immer stärkerem Maße als eines der wichtigsten In-
formationsmittel der Regierung und Verwaltung getreten 1),
das zudem. den Vorteil völliger Objektivität hat, während die persönlichen
Berichte der untergeordneten Behörden notgedrungen stets subjektiv ge-
färbt sind. In vielen Fällen ist die Statistik sogar das einzig mögliche
Informationsmittel, da hier die subjektive Beurteilung völlig versagt,
so z. B. hinsichtlich der Bevölkerungsvermehrung und -bewegung, der
Ein- und Ausfuhr usw., überhaupt in allen Fällen, in denen das Be-
obachtungsfeld zu weit und für den Einzelmenschen nicht mehr über-
schaubar ist.
Der Ursprung der statistischen Praxis wie überhaupt der Statistik
ist in diesem rein praktischen Bedürfnis des Staates, sich über Land und
Leute zu informieren, zu suchen. Je komplizierter sich ein Staatswesen
gestaltet, desto stärker wird dieses Bedürfnis und damit auch das spe-
zielle Bedürfnis, sich über die quantitativen Verhältnisse von Land
und Leuten durch möglichst genaue und möglichst erschöpfende Zäh-
1) v. Mayr bezeichnet die Statistik in Handbuch der Politik, 2. Aufl. S. 235,
sehr treffend als politischen Aufklärungsdienst.
646 Miszellen.
lung und Messung Klarheit zu verschaffen. Die quantitativen Fest-
stellungen sind an sich völlig objektiv im Gegensatz zu den auf persön-
lichen Ansichten und Eindrücken beruhenden Berichten der nachge-
` ordneten Behörden und würden ein geradezu ideales Informationsmittel
sein, wenn sie stets absolut richtig und genau wären. Dies ist aber
bekanntlich nur in beschränktem Umfange der Fall. Wenn die Objekte
der Zählung und Messung die Einzelmenschen oder solche ihrer An-
gelegenheiten sind, die nicht offen zutage liegen, so hängt die Genauig-
keit der statistischen Ermittlungen von der Bereitwilligkeit, Ehrlichkeit,
dem Wissen und Verständnis der Einzelmenschen ab; im übrigen
werden die Zählungen und Messungen durch die Individualität der
zählenden und messenden Personen, eventuell auch durch die Zuver-
lässigkeit der von ihnen benutzten Hilfsmittel, in starkem Maße beein-
flußt. Das an sich völlig objektive Informationsmittel der systematischen
Zählung und Messung ist demnach indirekt doch wieder subjektiv stark
bedingt. Ja selbst die Ergebnisse der Statistik sind häufig subjektiv
verschieden deutbar. Daher kann die Statistik die Beurteilung auf
Grund persönlicher Beobachtung und Erfahrung nie völlig überflüssig
machen, bedarf vielmehr dieser Beurteilung zur Bestätigung, Erklärung,
Ergänzung, Korrektur, soweit dies angängig ist. Auf der anderen Seite
braucht nicht betont zu werden, daß das Informationsmittel der syste-
matischen quantitativen Ermittlungen namentlich in der Neuzeit eine
nie geahnte Bedeutung erlangt hat, der gegenüber seine Schwächen stark
in den Hintergrund treten, zumal diese durch immer feinere Aus-
bildung der technischen Methoden und größere Ansammlung von prak-
tischer Erfahrung in wachsendem Maße verschwinden.
Wie die amtliche, so dient auch die private Statistik, die in der
Gegenwart eine nicht unerhebliche Bedeutung erlangt hat, in der Regel
zunächst praktischen Zwecken. Die Wissenschaft spielt also gegenüber
der Statistik im allgemeinen eine durchaus sekundäre Rollel); sie
muß sich mit dem Material begnügen, das und wie es ihr die Praxis
darbietet. Sie kann höchstens Anregungen zur Durchführung von Er-
hebungen und zur Verbesserung technischer Methoden geben. Je besser
und je umfangreicher aber insbesondere die amtliche Statistik wird, desto
weniger ist dieses Abhängigkeitsverhältnis fühlbar; ja man hat heut-
zutage im Gegenteil oft die Empfindung, daß die Wissenschaft gegen-
über der Fülle des gebotenen Materials nicht mehr recht mitkommt,
daß ihr der Atem ausgeht. Wenn ihr in besonderen Fällen das gebotene
Material nicht genügt, so ist sie auf die Enquete angewiesen, die aber in
der Regel weniger wertvolles Material liefert.
1) Unabhängig ist die Wissenschaft in statistischen Fragen z. B. in der
Astronomie, Anthropologie, Sprachforschung, Meteorologie usw. Dementsprechend
ist die systematische zahlenmäßige Massenbeobachtung in erster Linie eigentlich
kein Prinzip wissenschaftlicher Erkenntnis (Forschung), wie z. B. das
Experiment, die Quellenkritik usw., sondern ein Prinzip der Erkenntnis für prak-
tische (politische und administrative) Zwecke. Nicht die Wissenschaft, sondern die
Praxis ist es in erster Linie, welche die Methode der zahlenmäßigen Massenbeob-
achlung anwendet (ebenso die technischen Hilfsmethoden dieser Forschungs-
methode).
Miszellen 647
Die statistische Praxis und die statistische Wissenschaft stehen
sich also gewissermaßen in getrennten Lagern gegenüber. Dieser Gegen-
satz wird aller Wahrscheinlichkeit nach immer bestehen bleiben und
dementsprechend wird es auch auf der einen Seite nie an routinierten
Praktikern fehlen, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, auf der
anderen Seite nie an Theoretikern, die mangels hinreichender Kenntnis
der statistischen Technik oder infolge ungenügender Beherrschung des
Zahlenmaterials zu Fehlschlüssen oder unzulässigen Verallgemeinerungen
gelangen. Immerhin wird der Gegensatz mit der Zeit dadurch immer
mehr gemildert werden, daß die statistische Praxis gut bezahlten, mit den
erforderlichen allgemeinen wissenschaftlichen Kenntnissen ausgestatteten
Kräften übertragen wird und auf der anderen Seite die Wissenschaft sich
immer eingehender mit der Statistik beschäftigt, ferner dadurch, daß
Statistiker aus der Praxis zur Wissenschaft und umgekehrt übergehen
oder gleichzeitig in der Wissenschaft und in der Praxis tätig wird.
Das letztere wird aber stets nur eine Ausnahme bleiben, der Gegen-
satz zwischen statistischer Wissenschaft und Praxis daher nicht beseitigt
werden können. Denn die statistische Praxis ist eine Berufstätigkeit,
welche in der Regel die Arbeitskraft eines Einzelnen vollkommen in An-
spruch nimmt, ja sogar diesen häufig zwingt, sich auf ein einzelnes
Spezialgebiet zu beschränken. Lassen sich Berufsstatistiker durch Eitel-
keit oder Ehrgeiz verleiten, auch wissenschaftlich tätig zu sein, ohne
durch besondere Vorbildung und Begabung für diese Doppeltätigkeit
prädestiniert zu sein, so sind Arbeiten von zweifelhaftem wissenschaft-
schaftlichen Wert oder stark dilettantenhafiem Charakter das unerfreu-
liche Ergebnis; höchstens auf ihrem Spezialgebiet werden sie auch
wissenschaftlich Wertvolles zu leisten vermögen. Andererseits muß man
von dem wissenschaftlichen Statistiker verlangen, daß er sich hinreichend
mit der statistischen Technik vertraut macht und vor allem, daß er
sich in das statistische Zahlenmaterial einzuarbeiten und es richtig zu
verwerten versteht; dazu gehört, wenn auch nicht die Kenntnis der
höheren Mathematik, so doch eine gewisse mathematische Begabung.
Infolge des Gegensatzes zwischen Wissenschaft und Praxis der
Statistik zerfällt auch die Geschichte der Statistik in zwei natürliche
Teile, die auch zweckmäßig getrennt darzustellen sind, zumal die Ge-
schichte der statistischen Praxis uralt ist, die Geschichte der statistischen
Wissenschaft dagegen erst mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
beginnt. Die Geschichte der statistischen Praxis kann man auch als
statistische Quellenkunde, die Geschichte der statistischen Wissenschaft
auch als Geschichte der statistischen Literatur bezeichnen.
Nach dem Gesagten zerfällt der allgemeine Teil der Statistik (sta-
tistischen Wissenschaft) in vier natürliche Hauptabschnitte: Geschichte
der statistischen Praxis, Geschichte der statistischen Wissenschaft, Theorie
der statistischen Forschungsmethode, statistische Methodenlehre (Technik).
648 Miszellen.
XIX.
Die Entwicklung des Viehstandes während der letzten
Maul- =
Jahr der Be- Jahr der tiere, Kühe
Staaten Volks- Vieh- Pferde | Maul- | Bindeieh) | Schafe
3 völkerung
zählung zählung esel, Gesamt- |p. 1000
Esel zahl Einw.
Preußen (altes 1817 10 319 993 1817 1243 261 4013 912| 2 154 645| 209 | 8 260 396
Gebiet vor 1849 16 296 483 1849 1577417 5371 644/3078 126| 188 |16 236 328
1866) 1867 19671 841| 1867 1 871 852 5 853 686| 3 653 787 | 186 18 806 400
1873 20 400 000! 10. 1. 1873 ı 882 318 6 530 866| 3 821 024| 188 16763 224
1883 22409794 10. 1. 1883 |1 983 728 6 630 771| 3 894969| 174 |12 362 936
1892 24 728 972| 1. 12. 1892 |2 176 954 7 490 286 — — 8 217 296
1. 12. 1905 |30 959 480| 2. 12. 1907 |2 516 051| 5995 | 9095 692| 4 560213 | 147 | 4 337 938
1910 |33380758) 1910 |2566962| — |86946089) — — | 3781633
1912 = 1912 |2620613| — | 8898419) — — | 3353 105
1. 12. 1913 1913 2648433| — 9 168 450| 5031469 | 148 | 3 085 611
Preußen (ein- 1867 24 047 934 1867 2 279 337 7 996 590| 4 865 768 | 202 |22 261 330
schließlich 1873 24 689 252| 10.1.1873 |2 274 932 8612 150 5056400| 204 |19 624 ;58
neue Pro- 1883 27 279 111| 10.1.1883 |2 417 158 8737 641|5 132839 | 188 |14 747 975
vinzen) 1892 29 957 367| 1. 12. 1862 |2 653 700 9850960) — — [10092 568
y 1.12.1905 |37 293 324| 2. 12. 1907 |3 046 304| 6973 |12011584 5 967 693 | 160 | 5 408 567
1.12.1910 |40 165 219| 1.12.1910 |3 128 535| — |11592 521 — — 4 632 069
1912 — 1912 3 190 357| 8075 |11 856 106 — 159 | 4 107 377
1.12.1913 1913 52266490| — [12 301 157| 6 650 388 3 832 909
Königreich 1810 3 500 000 1810 292414 1 828 083| 825 720| 299 | 1074 232
Bayern 1854 4 600 000 1854 347 229 2616 152| 1 341 362| 296 | 1 22357
1863 4 770 000 1863 379 467 3 162 456| 1 551 000| 311 2 040 372
1873 4 860 000| 10. 1. 1873| 350 807 3 066 203| 1 557 286| 320 | E342 190
1883 5 284 778| 10. 1. 1883 | 360 636 3033 263| 1 584 456| 299 | 1 178 270
1892 5 594 982| 1. 12. 1892 | 368 636 3 333 953 — — 965 772
1.12.1905 | 6524 372| 1. 12. 1907 | 392091) 602 | 3725 430| ı 718377 | 263 735 113
x, 1910 6 887 291 1912 400 264| — |3554117| — — 473 634
1913
Königreich 1820 1432 241 1820 98 600 669 850| 328 000| 229 487 040
Württemberg 1855 1669 7201| 1855 95 038 811 159 — — 485 488
1864 1 748 328 1864 104 527 974 9ı7| 485 602 | 270 705 656
1873 1 818 539| 10. 1. 1873 96 970 946 228 _ — 577 290
1883 1971 118| 10.1.1883 | 96885 904 139| 459737 | 223 550 104
1892 2036 522| 1. 12.1802 | 101625 970 059 — — 384 335
1.12.1905 | 2 302 179| 2. 12. 1907 | 115 352| 235 | 1073 122| 506010| 220 278 337
1910 2437 574 1912 115646) — 1 063 109 — — 212121
1913
Königreich 1834 1595 b0% 1834 73535 546 942| 345784] 215 604 950
Bachsen 1853 1 987 612 1853 94 870 610 386| 397 700| 200 485 147
1867 2 426 300 1867 112 Bou 625 260| 513755| 170 304 087
1873 2 600 000| 10.1.1873 | 115667 64,074 — —_ 206 830
1883 2972 805| 10.1.1853 | 126 886 651 329| 442050 | 148 149 037
1892 3 502 684 1. 12. 1892 | 148417 664 077 — — 104 882
1.12.1905 | 4 508 601| 3. 12. 1907 | 171 715| 757 731528 459384| 102 66 120
1910 4 806 601 1912 175 192| — 702 049 — — 55 395
1913 176 116 713 928 . 58 271
1) Die Angaben bis zum Jahre 1905 aus Conrads Jahrb., 3. F. Bd. 39, 1910,
2) 2. Juni 1913 in Preußen 15 490 101.
2. Juni 1914: 17 967 859.
ipa
Miszellen. 649
Dezennien in den hauptsächlichsten Staaten Europas‘).
Sa. Hauptgroßvieh
Landwirtschaftl. Sa. Hauptgroßvieh einschl.
ee U.) benutzte Fläche | Acker- Pferde und Esel
Schweine Ziegen, ee ie ET, ee
Gesamt- p. 1000)Jahr d. h ha Gesamt- Keim eg auf 1000ha
zahl Einw. | Erheb zz zahl nutzter Fi. | Ackerland
2 494 369 143 433| 5 325 496| 516 11 048 600| 7 190 386 641
1 466 316 584 771| 7672 254| 470 12 055 500| 10 035 378 840
3785674 | 1043 764| 8873634) 451
3367 792 | 1149 395| 9152918| 4:8
4504 611 1309 552| 9092328 405
5916539 | 1536592] 9919 189| 446
10 915 628 1 749 061|12 368 148| 400
11553472 == > =
14 579 000| 1 1 681 412 801
11979 595 820
14 406 855 838
14 494 847 912
1900 |17 738 593|14 677 328 804 972
11583 861 |16230015|12014946| 343 -— = = 714 _
12 186 240 1 685 414|12 664 020| 370 — — 933 1133
4875114 | 1343615|11 553 475| 480 — _ |14972469 | 856
4278531 | 1477 335|11 767 369| 47 17 415 587115 179 767 871
5818 732 1 679 686|11 806 653| 433 — 15 432 360 886
7704354 | 1953 74812929 117) 435 17 527 740|16 900 199 964
15095854 | 2253529116 512729] 443 | 1900 |23 020 987|17 661 549|18 800 944 817 1065
16 491 559 E = =
17452951 | 2085 446/16 303 869| 390
= ga — 18 430 774 800 1040
501509 | 65289| 2616362| 77 | | | = 2 505 188 1091
48071 142°)| 2 176 306/17 378091| 413 | II ` 2 176 obt" 378 091| 413 22 218 051 966 1159
501 509
492 767 103 184| 2892 715| 629 3413557 1071
922453 148 493| 3 911 909| 820 3 186 000 4481 109 1406
872 098 193 881| 3 439 286| 707 3 965 586 1239
1038 344 220 818| 3 442 812| 650 3 070 378| 3 967 286 1292
1 356 674 268 992| 3 792 114| 677 3051 347| 4 345 068 1424
2 050b 222 308 150| 4338 675| 665 1900 4.029) 520 3097 191| 4 633 045 1001 1521
1 812 224 310861) 4080441| 585 4347 284 939 1426
128 830 23 120| 751217] 524 7128830 | 231201 ?75121ı7| 524 | | | 7000001 88ı 117 1260
143 524 42064, 896658] 537 — 1039 215 1300
263 504 35 202| ı 114 509| 638 927 250| 1 271 299 1371
267 350 38 305| 1073 936| 591 1219 391 1360
292 206 54 876| 1036773) 526 879 971 1 182 099 1343
394 402 69 987| 1 112 924| 547 879 108| 1 265 375 1439
537 ı85 88 201| 1 252 163| 544 1902 I E 851| 875 620| 1 338 894 1075 1528
480 494 111 630) 1 213 748| 500 — 1 290 845 1036 1474
104 689 48 553| 638 967| 429 767 000, 749 269 975
124 158 74726| 606915| 350 _ 839 220 1050
325 564 93 004| 744 I14| 306 839000) 913 354 1089
301 091 105 401| 751815) 289 _ 925 315 1101
355 550 116547) 798966) 269 812 268| 989 295 1218
433 435 128 482| 793931) 229 831 226| 1016555 1223
744 517 144 858| 971310) 215 zum 1028 144 843 759| 1100475 1071 1304
57 02
132073) 882420] 183 — | 999 215 972 1184
760 291 136 372
650 Miszellen.
Be- Jahr der
völkerung ee Pferde
Jahr der
Volks-
zählung
Staaten Bincvieb
Groß- I 110 000 1825 69 610 480 487| 224 970| 202 189 000
herzogtum 1855 1 314 837 1855 68 828 582 486| 322 768| 245 162607 ¢
Baden 1868 1 438 872 1868 75 223 603 840| 326012| 210 17412)
1873 I 500 000| 10. 1. 1873| 70285 621 888 — — 156287
1883 1 570 254| 10. 1. 1883| 66607 5493 526| 323 384| 206 131461
1892 1 657 807| 1. 12.1892 | 64.089 635 015 — — 98 369
1. 12. 1905 | 2 010 728| 2. 12. 1907 75 842 274| 673 140| 346 805| 172 §2 020
1910 2 142 833 1912 74 134 649 163 _ — 40425
1913
Deutsches 1871 41.058 804| 10. 1.1873 |3 352 231| 13 31515 776 702| 8 961 221 218 |24 999 406
Reich 1885 46 55 704| 10.1.1883 |3 522 545| 9795|15 786 764| 9087 293 195 19 189 715
1890 49428 470| 1.12.1892 |3 836 273| 6703|17 555 834| 9946 255 201 13 589 662
1900 56 367 178| 1.12. 1900 |4 195 361| 7 848|18 939 692 10 458 631| 187 9 692501
1905 60 641 278| 1. 12. 1904 |4 267 403| — |19331 568| 10 456 137| 172 7 907 173
1905 60 641 278| 2. 12. 1907 |4 345 043| 11 291120 630 544 10 222 792| 169 7 703 710
1912 66096 000| 1912 14516297) 12 862|20 158 738 — | — | 57878
1913
Frankreich 1812 30 000 000 1812 2122617 6 681 952| 3 909 959| 130 |35 000 000
1840 34 230 178| 1840 |2818 400 9936518| 5501 825| 161 |32 151430
1866 38 067 064 1866 3 313 232 12 733 188| 6694 502| 186 130 386 233
1872 36 102 921 1872 2 882 851 10023 716| 6013 089| 166 |24 707 49%
1879 37 672 048 1879 12817 803 11 586 197| 7 267 573| 193 122 993 867
1886 38 218 903 1886 2911392 13 104 970| 6414 487| ı70 |22616547
1891 38 343 192 1891 2 883 460 13 661 533| 6557 632| ı70 121791909
4.3.1906 |39 252 245 1907 3 094 698/552 78813 949 722| 7 336 214| 187 [17 460 284
1911 39 b01 509 1911 3236 110 — |14435 530] 7 606 670| 192,08| 16 425 330
T 8013 368) — | — 15184664
1863 21 974 236 1863 1 365 344 8 610 1062| 4 185 328| 199 5 682431
1870 20 394 980 1870 1 367 023 7425 212| 3 831 136| 188 5 026 398
1880 22 144 244 1880 I 463 282 8 584. 077| 4 138 625| 186 3 841340
1890 23 895 413 1890 1548 197 8 643 936 — — | 3 186 787
31. 12. 1900 |26 150 708 1900 1 716 488| 66 647| 9511 170| 4749 152| 182 2 621 026
1910 28571934| 1910 ı 802 848| — | 9160009| 4 901 886| 171,05| 2 428 101
1863 14672526 1863 |2095 055 5 646 954| 2 167 758| 147 J11 281 805
1870 |15 509455! 1870 2 158819 5 276 193| 2052 488| 132 |15076997
1880 |15725710! 1880 12078528 5311378 — — |983979
1884 15 738468) 1884 |r 748 859 4879038| 1 752 406| ııı 110594 831
31.12.1900 |19254 559 1908 |r 859 586| 15 930) 6 446 477 R — | 7872742
— 1911 |2351481| — |7319121| 3179811ı| — | 8548 204
1866 2 519630 1866 105 799
1876 2 669 147 1876 106 191
1886 2917 754 1886 98 622
Ungarn
993 291| 553 205| 219 447 001
1035 856| 592413| 222 367 549
1 212538] 663 102| 227 341 804
Schweiz
Oesterreich | 1857 18 224 500 1857 I 342 036 8013 368
1.12.1900 | 3325023) 1906 135 372) 4 832 1498 144| 785 950| 236 209 997
1911 3781 430| 1911 144 1283| — | 1443483] 796909|210,74| 161414
Britisches 1867 130334 999| 1867 — 8731473 — — |3381795!
Reich 1870 131205 444| 1870 |1 750498 923505: — — |32786783
1875 |32749167| 1875 |18190687 10162787) — — |33491948 |
1881 |34929679| 1881 |1923619 990501; — — |27896273 |
1886 35241 487| 1886 |1927527 10872811 — — |28955240
1891 37 879 285| 1891 |2026 170 11 343 686 — — |33 533 988
31.3. 1901 |41 458721 1908 2 150 300|271 484|11 697 592| 4350 205| 105 |31 245836 |
1912 S 1912 |22288o9| — |11874594| 4383 375| — |28886561
|
U
Schweine
204 000
245 413
340713
272333
291 001
390 761
558 278
476.094
~ 7 124088 |2320002|20 250 999|493 | 1878 |36 726 015|26. 063 084|22 7:
9 206 195
12 174412
16 807 014
18 920 666
22 146 532
21 885 073
4 910 721
5 889 624
5 377 231
5 502 638
5 881 088
b 096 232
6 995 124
6719570
3 409 590
3 646 703
2551473
2 721541
3 549 700
4 682 654
6 432 080
4 504 905
4443 279
4 160 127
4 803 639
5 358 802
7 580 446
304 428
334 507
394 917
548 970
570 226
4 221 100
3 650 730
3 495 167
3 146 173
3 497 165
4 272764
4 041 322
3 979751
—
Sa. Hauptgrußvieh
ausschl. Pferde u.
Miszellen.
651
Landwirtschaftl.
È benutzte Fläche | Acker-
Ziegen |— Esel —— | fläche
Gesamt- |p. 1000|Jahr d. h
zahl | Einw. | Erheb. R
23 100| 552 487| 498
57014| 665 659| 506
57 302| 709 727| 493
68 873| 7113551474
90782| 686 987| 438
102 547 | 751 087| 453
119821 827 714| 412 1900 852 867
134928 | 783 474| 365 = =
2 320 002 |20 250 999| 493 1878 |36 726 015|26 063 084|22 771 830
2 640 994 |20 227 308| 433 1883 |35 640 419|26 177 35!|22 874 175
3 091 508 |22 210 037| 449 1893 |35 164 597|26 243 214|25 096 594
3 206 997 |24 382 946| 433 | 1900 |35 055 39*|26 257 313|27 533 391
3 329 881 |25 129 942| 415 | 1900 |35 055 398|26 257 313|28 330 494
3 533 970 |27 232 046| 450 1900 |35 055 398126 257 313/30 496 474
3 383 971 |26 490 789 400,8 | — — |29501054
964 000 |14 459 674| 422 — j 687 274
1 679 938 |17 384 217| 457 28 889 430|22 354 005
1 791 725 |15 248 782| 432 — 19 947 934
1 546 566 |15 390 122| 409 =- 19 bın 825
1 483 342 |16 960 500| 450 = 21 327 594
1 480 229 |17 488 134| 456 28 114 384|21 813 324
1 421 009 |17 562 948| 447 1907 |39 811 700|26 220 918|20 160 366
1 424 180 |17 876 638| 451,11), — |36 834 600 — 20 034 045
1 027 018 | 9479 950| 520 — 11 493 010
1 086 852 |10 180 652| 463 10 487 018|12 228 668
979 104 | 8 647 311| 424 10 183 425|10 697 844
1 006 675 | 9 732 485| 439 10 6,6 834|11 927 408
1035 832| 9 936 359| 416 10 854 875112 258 654
I 019 664 |1 1 028 909| 422 1907 |18 014 200|10 633 493|13 349 599
1 256 778 |15 939 631| 557,87 17 745 39! = 17 141 530
430973 | 7 937 27 1 541 9 839 588|11 079 852
572951| 7 945 458| 512 9 840 826) ı 1 183 685
333 214 | 7 363 158| 468 10 910 078) 10 480 950
270 192| 7 161 946| 455 11 741 575| 9785 236
277 060 | 8 596 540| 447 | 1907 |20 560 700113 768 299| 9 999 195
426 981 |10 104 635| — — 11 672 289|
375482 | 1 145 385| 454 2 080 929| 1 304 025
396 001 | ı 189 237| 446 2 16: 830| 1 348 522
416323 | 1 380 140| 479 2 129 000| 1 598073
362 117 | 1 686 563| 507 1906 | 2 240 100 — 1 790 508
341 296 | 1 630 022| 431,22 2 321 234 1 726 707
=- 13 168 543] 434 18 381 761 —- — |
ER 13 426 412| 430 18 701 834 =- 16 052 159
— [14385 774| 439 18 162 084| — |17115306
-— |13 481 933| 385 19296675| — |16367360
— 13855 764| 393 — [|16747053
_ 15 766 275| 442 — 18 805 530
— 15 853 031| 382 1908 |19 698 500| 7 882 908|17 601 498
mm 15758 188) — 19 824 200| 17 244 001|
Sa. Hauptgroßvieh einschl.
Pferde und Esel
auf rooo ha
landw. be-
nutzter Fl. | Ackerland
= 874
== 874
= 956
870 1049
Sg 1079
_ 1162
843 1123
759
776
506 769
543,89 >
1166
1050
1121
1129
686 1162
965,97 SC
1126
1136
obt
833
486 726
626
624
759
799 =
743,87
858 —_
893 =
848 —
894 2233
869,84
652 Miszellen.
XX.
Die Bedeutung und bisherigen Erfolge
der deutschen Ueberlandzentralen.
Von K. Uhl.
Dio Ueberlandzentralenbewegung hat in Deutschland in den letzten
Jahren einen beinahe beängstigenden Aufschwung genommen, und bereits
heute ist fast das ganze Deutsche Reich in Interessengebiete der ver-
schiedenen Zentralen aufgeteilt und von einem Netz von Starkstrom-
drähten überspannt. ‘Geht man den Gründen nach, die zu dieser Ent-
wicklung geführt haben, so wird man als ursprüngliches treibendes
Moment, das Bedürfnis der großen elektrische Maschinen bauenden Ge-
sellschaften finden, sich neue Absatzgebiete für ihre Erzeugnisse zu
schaffen. Der ungeahnte Aufschwung der elektrischen Kraftüber-
tragung in Fabriken, Bergwerksbetrieben und Bahnen hatte dazu ge-
führt, daß ganz bedeutende Kapitalien in derartigen Gesellschaften an-
gelegt wurden, die gewaltige Nachfrage nach elektrischen Maschinen
erzwang geradezu immer neue Vergrößerungen bestehender Fabriken und
verleitete zu Neugründungen. So konnte es nicht ausbleiben, daß die
Aufnahmefähigkeit der bestehenden Betriebe für elektrische Maschinen
erschöpft wurde.
In den Ueberlandzentralen, die die elektrische Energie vor jede Tür
führen und es so auch dem kleinsten Betriebe und dem Handwerker
möglich machen sollten, ihre Vorteile auszunützen, erhoffte man Rettung,
und der Gedanke an sich ist wohl auch gesund. Wird es doch nunmehr
dem Fabrikanten und Handwerksmeister möglich, alle grobe, besondere
Körperkräfte beanspruchende Arbeit durch Motoren verrichten zu lassen,
so daß er bei der Auswahl seiner Gesellen und Arbeiter in dieser Hin-
sicht nicht mehr beschränkt ist, was sicherlich auch auf die Qualität der
gelieferten Arbeit von Einfluß ist. Dieselben Gründe, die natürlich auch
für die Landwirtschaft in Frage kommen, und der nun auch auf dem
Lande erhältliche größere Komfort werden auch geeignet sein, die
Landflucht einzuschränken. Auch werden nunmehr viele Fabriken auf
die besseren Eisenbahnverbindungen der Großstädte verzichten können,
da für sie die Herbeischaffung der Betriebsmaterialien wegfällt, die bei
manchen Betrieben bisher den weitaus größten Teil ihres Frachten-
verkehrs ausmachte. Vor allem aber wird das Volksvermögen durch
wesentlich bessere Ausnützung der Kohle und durch Erschließung in
Wasserläufen schlummernder Energiequellen geschont.
Miszellen. 653
Sieht man nun aber die Bilanzen aller dieser Ueberlandzentralen
an, so findet man, daß vielleicht der größere Teil von ihnen mit Ver-
lusten arbeitet, daß die meisten der übrigbleibenden nur so gerade mit
knappen Gewinnen durchkommen und nur ganz wenige wirklich gut
und gewinnbringend arbeiten. Das Studium der in den verschiedenen
Statistiken veröffentlichten Ziffern beweist bald, daß die veröffentlichten
Bilanzen nicht nur nicht pessimistisch, sondern häufig genug eher noch
optimistisch gefärbt sind. Um diesem unerfreulichen Ergebnis abzu-
helfen, hat man den Nutzeffekt der verwendeten Maschinen immer wieder
verbessert und ist heute bereits auf einer erstaunlichen Höhe. Man ruft
auch nach billigeren Tarifen, um dadurch dem Uebel zu steuern, überlegt
aber häufig nicht, ob bei den jetzigen Verhältnissen eine solche Er-
mäßigung nicht noch größeren Schaden anrichtet, trifft jedenfalls,
selbst wenn vielleicht kleine Erfolge erzielt werden, mit alledem nicht
des Uebels Wurzel.
Um diese zu erkennen, wollen wir uns einmal die Art der Anlage-
kosten und der Betriebskosten einer Ueberlandzentrale kurz vergegen-
wärtigen. Die Anlagekosten.lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen:
1) Anlagen für die Erzeugung und gebrauchsfertige Herrichtung
der elektrischen Energie: dazu gehören Grund und Boden, Gebäude,
Maschinen, Schalteinrichtungen und Transformatoren. Alle diese Kosten
sind, auf de Einheit bezogen, um so niedriger, je größer die Leistungen
der einzelnen Maschinensätze gewählt werden. Unter sonst gleichen Ver-
hältnissen ist also eine Anlage mit wenigen großen Einheiten besser
daran, als eine solche mit vielen kleinen Einheiten.
2) Anlagen für die Fortleitung des elektrischen Stromes. Die
Kosten dieser Anlagen sind, ob nun große oder kleine Energiemengen
zu übertragen sind, in gewissen Grenzen, die eben für die Ueberland-
anlagen in Betracht kommen, auf die Längeneinheit bezogen, ziemlich
gleich, d. h. es ist wieder unter sonst gleichen Verhältnissen die Anlage
günstiger, die das kleinere Leitungsnetz hat, und es ergibt sich somit
aus den Anlagekosten als Ideal eine Ueberlandzentrale mit möglichst.
großen Einheiten und möglichst kleinem Versorgungsgebiet.
Auch die Betriebskosten kann man in zwei untereinander wesent-
lich verschiedene Hauptgruppen teilen:
1) Die festen Betriebsausgaben, d. h. diejenigen Ausgaben, die ge-
macht werden müssen, ob nun die Zentrale Energie erzeugt und ver-
kauft, oder nicht. Hierher gehören die gesamten Aufwendungen für
Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und fast alle Auslagen
für die Erneuerung der Anlage, für Gehälter und Löhne und für
Instandhaltung, wenn auch hier durch eine gute Beschäftigung des
Werkes kleine Erhöhungen der erforderlichen Aufwendungen bedingt
werden können.
2) Die beweglichen Ausgaben, d. h. die Ausgaben, die erst gemacht
werden müssen, wenn elektrische Energie erzeugt wird. Das sind haupt-
sächlich die Ausgaben für den Betriebsstoff (Kohle, Rohöl, Gas usw.)
und für Putz- und Schmiermaterial. Streng genommen müßte noch ein
Teil dieser Ausgaben unter die festen Betriebsauslagen gerechnet werden,
654 Miszellen.
denn die Ueberlandzentrale muß wenigstens eine Maschine in Betrieb
halten, auch wenn gar keine elektrische Energie tatsächlich entnommen
wird, aber eine solche Unterscheidung würde zu weit führen.
Um eine Vorstellung des Verhältnisses der festen Kosten zu den
beweglichen zu erhalten, nehmen wir ein praktisches Beispiel: Eine
Ueberlandanlage mit Dampfbetrieb mit einer größten Leistungsfähigkeit
von 5000 kW möge 7,5 Mill. M. gekostet haben, dann belaufen sich
die festen Auslagen erfahrungsgemäß auf etwa 0,9 Mill. M. Die beweg-
lichen Kosten sind natürlich je nach den Kosten des Betriebsstoffes und
je nach dem durchschnittlichen Wirkungsgrade, mit dem die Anlage
arbeitet, sehr verschieden; man wird aber nach Möglichkeit die Zentrale
dort anlegen, wo der ‚Betriebsstoff möglichst billig beschafft werden kann.
In unserem Falle mögen sie sich auf 2 Pf. für die nutzbar abgegebene
Kilowattstunde belaufen.
Hätte nun unsere Ueberlandzentrale eine mittlere Benutzungsdauer
von 100 Stunden im Jahre, gäbe also 100 x 5000 = 500000 kW-Std.
nutzbar ab, so wären an beweglichen Ausgaben aufzubringen 0,02 X
500000=10000 M. Die festen Kosten betragen 0,9 Mill., die Gesamt-
kosten also 0,91 Mill. oder für jede Kilowattstunde 1,82 M. Beträgt die
mittlere Benutzungsdauer 1000 Stunden, die nutzbare Stromabgabe also
5 Mill. KW-Std., so wachsen die beweglichen Ausgaben auf 100000 M.,
die gesamten Ausgaben auf 1,0 Mill. M.; es stellt sich dann die Kilowatt-
stunde auf 0,2 M. Bei 5000 Benutzungsstunden sind die entsprechenden
Zahlen: bewegliche Ausgaben 0,5 Mill. M., gesamte Ausgaben 1,4 Mill. M.,
die Kilowattstunde 5,6 Pf., bei der praktisch höchsten erreichbaren Zahl
von 8000 Stunden lauten die Ziffern 0,8 bzw. 1,7 Mill. bzw. 4,25 Pf.
Bei einer 80-fachen Steigerung der mittleren Benutzungsdauer steigen
also die Gesamtkosten nur um das 1,87-fache und der Gestehungspreis
für die Kilowattstunde sinkt auf den 43. Teil, und zwar nimmt dieser
Gestehungspreis zunächst sehr schnell ab und nähert sich zum Schluß
sehr langsam einem Mindestpreis.
Aus dieser Betrachtung ergibt sich nun das von der Ueberland-
zentrale anzustrebende Ziel ganz klar, nämlich die Erzielung einer mög-
lichst hohen durchschnittlichen Benutzungszeit. Es zeigt aber auch,
daß dio bisher meist übliche Art der Vergütung für gelieferte elektrische
Energie, nämlich ein bestimmter Betrag für die bezogene Kilowattstunde,
bei ganz kleinen Anlagen ohne jede Berücksichtigung der Benutzungs-
zeit und auch bei größeren Anlagen nur verhältnismäßig geringe Er-
mäßigung bei hohen Benutzungszeiten, falsch ist, und dies ganz be-
sonders bei Ueberlandzentralen, die durchweg mit Wechselstrom (Dreh-
strom) betrieben werden, bei denen also ein Auf-Vorrat-Arbeiten auf
Sammlerbatterien nicht oder doch nur in ganz beschränktem Maße mög-
lich ist.
Beschäftigen wir uns zuerst einmal mit dem zweiten Punkt. Der
Tarif, der der Entstehungsweise der Eigenkosten des Werkes am meisten
entspricht, müßte eine Grundgebühr für das angeschlossene oder noch
richtiger für das maximal gleichzeitig bezogene Kilowatt festlegen und
außerdem einen bestimmten, nun natürlich entsprechend niedrigen Betrag
Miszellen. 655
für jede bezogene Kilowattstunde. Derartige Tarife sind auch für größere
Anschlüsse bereits vielfach in Gebrauch, für kleine Anlagen sind sie aber
nicht verwendbar, weil sie ziemlich verwickelte und damit teuere Meß-
einrichtungen erfordern. Auch ist die Verrechnung nach solchem Tarife
so schwierig, daß sie der Bauer und kleine Handwerker nicht ohne
weiteres übersieht und darum von Anfang an dagegen mißtrauisch
ist. Durch die Leihgebühren für die Meßeinrichtungen erwachsen ihm
außerdem noch Kosten, deren Berechtigung er nicht verstehen kann.
Auf eine größtmögliche Einfachheit des Tarifes ist aber gerade bei den
Bevölkerungsschichten, die als Kunden für eine Ueberlandzentrale in
Betracht kommen, das allergrößte Gewicht zu legen. Betrachten wir
nun noch einmal die oben mitgeteilten Ziffern, so finden wir, daß die
festen Kosten die beweglichen, selbst bei ununterbrochenem Vollastbe-
trieb, noch übersteigen. Die Ziffern gelten allerdings nur für Dampf-
zentralen, aber bei Gaszentralen, Dieselanlagen und Wasserkraft-
maschinen verschieben sich die Ziffern noch mehr zugunsten der beweg-
lichen Kosten. Da ist doch das Gewiesene, besonders für kleinere An-
schlüsse den reinen Pauschaltarif einzuführen. Größere Betriebe könnte
man ja dadurch noch günstiger stellen, daß man bei ihnen die Zeit,
in der der Ueberlandzentrale überhaupt kein Strom entnommen wird,
den ersparten beweglichen Ausgaben entsprechend vergütet. Eine Ein-
richtung, die die Dauer dieser Zeit feststellt, ist sehr einfach und billig
zu beschaffen und hat nahezu keinen Eigenbedarf an elektrischer
Energie.
Der Pauschaltarif hätte einige ganz erhebliche Vorteile: in erster
Linie seine große Einfachheit und Klarheit. Der Stromkunde hat monat-
lich oder wöchentlich einen bestimmten Betrag zu zahlen und kann
nun mit seinem Strom machen, was er will. Die Einrichtung, die ver-
hindern soll, daß er zuviel Strom entnimmt, der Stromunterbrecher, ist
einfach, billig und durch viele Tausende von Ausführungen erprobt. Er
kann z. B. seine Beleuchtungsanlage so reichlich ausstatten, wie er will,
und hat darum doch nicht mehr für den Strom zu zahlen, denn das Werk-
ist ja durch den Unterbrecher geschützt, ja, man kann ihm noch weiter
entgegenkommen und zu besonderen Anlässen, häuslichen Festlichkeiten
usw. gegen eine kleine Gebühr den Unterbrecher kurz schließen, damit
er dann seine ganze Installation ausnützen kann. Ferner braucht man
beim Pauschaltarif keinen Zähler und es fällt damit die in weitesten
Kreisen äußerst unbeliebte Zählermiete fort. Aber auch das Werk spart
damit nicht nur an Anschaffungskosten, sondern auch an Stromkosten.
Ein Wechselstromzähler, wie er für Ueberlandanlagen in Betracht kommt,
hat einen Eigenverbrauch von etwa 2 Watt, das ergibt bei 8760 Jahres-
stunden einen Eigenverbrauch von 17,520 kW-Std. im Jahre. Diese
Energiemenge muß also das Werk für jeden Zähler aufbringen, auch
z. B. in einer Anlage von 6 Flammen zu 25 Watt (Anlagen, wie sie
außerordentlich häufig sind). Nimmt man eine mittlere Brenndauer
von 400 Stunden im Jahre für jede Lampe an, so verbraucht die Anlage
6 X 400 x 0,025 = 60 kW-Std. Um also den Verbrauch von 60 kW-Std.
festzustellen, muß das Werk 17,5 kW-Std. aufbringen. Dieses Miß-
656 Miszellen.
verhältnis wird natürlich um so krasser, je teurer der Strom ist, je spar-
samer also der Kunde damit umgeht.
Aber einen Nachteil hat der Pauschaltarif: Da eine ununterbrochene
Benutzung des Stromes möglich ist, muß bei seiner Bemessung auch mit
einer solchen gerechnet werden und der Preis wird daher ziemlich hoch
ausfallen. Da muß nun die Werbetätigkeit des Werkes einsetzen. Der
Standpunkt, auf dem leider auch heute noch manche Werksleitungen
stehen, das Publikum sei für ihre Werke da und müsse es als eine be-
sondere Vergünstigung betrachten, wenn es überhaupt Strom erhält, muß
gründlich verlassen werden. Während Gasleitungen in allen Straßen-
zügen liegen und Neubauten von vornherein mit Gasanschluß versehen
und mit Gasleitungen ausgestattet werden, gibt es selbst in größeren
Städten noch ganze Straßenzüge, auch in besseren Stadtteilen mit fast
durchweg 4- und Öd-Zimmerwohnungen, die kein elektrisches Kabel
haben, und wo von den Kunden, die elektrischen Anschluß wünschen,
verlangt wird, daß sie das ganze erforderliche Anschlußkabel auf
ihro Kosten herstellen lassen oder wenigstens erheblich dazu bei-
tragen. Mir ist ein allerdings ganz krasser Fall bekannt, wo
vor noch nicht langer Zeit ein schlecht ausgenütztes und mit Ver-
lust arbeitendes Elektrizitätswerk den Anschluß einer Fabrik mit
einem jährlichen Strombezuge in der Höhe von mindestens 50000 M.
bei 10-jährigem Vertrage ablehnte, weil die Fabriksleitung sich weigerte,
das erforderliche Anschlußkabel, das etwa 30000 M. gekostet hätte, auf
eigene Kosten herstellen zu lassen. Wegen einer einmaligen Auslage von
30000 M., d. h. jährlichen Kosten von etwa 3000 M., ließ sich also die
Werksleitung einen Kunden entgehen, der ihr mindestens 50000 M.
jährliche Einnahmen gebracht hätte, voraussichtlich aber in kurzer
Zeit noch weit mehr, da das Kabel an einer Anzahl anderer Betriebe
vorbeigeführt hätte, von denen dann wohl auch der eine oder andere
noch Strom bezogen hätte. Und es handelte sich im fraglichen Falle um
eine staatliche Fabrik, also ein ganz sicheres Unternehmen.
Und schließlich ist ja auch der etwas höhere Strompreis nicht so
schlimm, wie es zunächst scheinen möchte. Fabrikanten und Verkäufer
kleiner Verbrennungsmotoren für Benzin, Spiritus, Rohöl usw. haben
umfangreiche Tabellen aufgestellt, durch die nachgewiesen werden soll,
daß sich diese Art von Motoren im Betriebe billiger stellen, als Elektro-
motoren im Anschluß an Ueberlandzentralen. Um das günstige Ergebnis
herauszurechnen, müssen eine Anzahl von Voraussetzungen gemacht
werden, dio der Bauer und Handwerker gar nicht beurteilen kann bzw.
auf die er keinen Einfluß hat. Den anderen Motorarten gegenüber hat
der Elektromotor von vornherein zwei große Vorteile: Er ist in seinen
Anschaffungskosten bei weitem am billigsten und seine Bedienung ist
am einfachsten. Je weniger Kapital, das er sich vielleicht erst leihen
muß, der kleine Mann festzulegen hat, desto lieber ist es ihm, und ebenso
wird er in den meisten Fällen dem den Vorzug geben, der ihm klipp
und klar sagen kann, wieviel er jährlich oder monatlich zu zahlen hat.
Und das kann eben nur das Elektrizitätswerk bzw. die Ueberlandzentrale.
Ja, beide können noch mehr: gerade, weil bei den Elektromotoren die
Miszellen. 657
Anschaffungskosten verhältnismäßig niedrig sind, können sie auch die
Motoren und Installationen leihweise abgeben und sich damit gewiß
noch manchen Kunden gewinnen, dem auch die niedrigen Anschaffungs-
kosten bereits zu hoch oder zu unsicher sind. Es gibt wohl kaum eine
andere Möglichkeit, wie die freien Reserven dieser Werke vorteilhafter
angelegt werden können, als in solchen Leihinstallationen. Da die Werke
im Großen viel billiger einkaufen, als der Einzelne, können sie schon
an und für sich eine beträchtlich höhere Verzinsung dieser Reserven
erzielen, als auf irgendeine andere Weise, und dann unterstützen sie ja
durch Erhöhung des Umsatzes auch noch das arbeitende Kapital. Hat
sich aber die Zentrale einmal zum Pauschaltarif entschlossen, so hat
sie sich damit ein Mittel verschafft, um auch noch weiter zur Populari-
sierung der Elektrizität beizutragen, indem sie ihre Kunden auf weitere
vorteilhafte Verwendungsmöglichkeiten aufmerksam macht, die natür-
lich nach den jeweiligen Verhältnissen herausgesucht werden müssen.
Der Bauer wird es z. B. begrüßen, wenn er am Morgen heißes Wasser
zur Futterbereitung vorfinden kann und dafür nur die Leihgebühren für
eine entsprechende Warmwasserbereitungsanlage zu zahlen hat, die auf
das einfachste eingerichtet werden kann. Das erforderliche Faß stellt
er selbst bei, das Werk brauchte also nur die Heizschlangen beizustellen.
Er erspart sich damit das Feueranmachen und viel kostbare Zeit. Auch
mit der Einrichtung einer Kochkiste wird er sich schnell befreunden,
und so werden sich noch manche andere Verwendungsmöglichkeiten für
den Strom finden, wenn man den Bedürfnissen der Kunden nachgeht.
Die Zentrale wird es am Brennstoffverbrauch kaum spüren, ob sie nur
den Erregerstrom für die Transformatoren zu liefern hat, oder ob auch
noch etwas Nutzstrom miterzeugt wird, dem Kunden aber wird sein
Vertrag mit dem Werke durch derartige anderweitige Verwendungen des
Stromes um so wertvoller erscheinen.
Ich möchte das noch einmal unterstreichen: Die Werksleitung und
der Akquisiteur muß den Bedürfnissen der Kunden nachgehen, muß dem
Kunden Mittel und Wege zeigen, wie er den Strom möglichst ununter-
brochen nutzbringend verwenden kann. Es werden sich bei aufmerk-
samer Beobachtung der Bedürfnisse der Kunden gewiß noch manche
Verwendungsmöglichkeiten ergeben, an die heute niemand denkt, oder
auf die der Kunde selbst in seinem besonderen Fall nicht kommen
konnte, weil er die Verwendungsmöglichkeiten der elektrischen Energie
nicht genügend kennt. Man sollte sogar den Kunden die erforderlichen
Einrichtungen zur Ausnützung des Stromes erst eine Zeitlang kostenlos
zur Verfügung stellen, damit sie sich mit ihrer Handhabung vertraut
machen und von ihren Vorteilen überzeugen können.
Und was hier zunächst für die kleinen Kunden gesagt wurde, gilt
natürlich in erhöhtem Maße für große Anschlüsse. Städte und Ge-
meinden haben unzählige Möglichkeiten, elektrische Energie zu ver-
wenden, ohne daß dadurch das gleichzeitig bezogene Maximum ver-
schoben würde. Diese Möglichkeiten müssen nur herausgesucht und‘
die Ortsgewaltigen müssen dann in dezenter Weise in die Lage versetzt
werden, selbst darauf zu kommen. Ebenso sind die Werksleitungen
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 42
658 Miszellen.
großer Betriebe zu behandeln. So würde, um nur einige Beispiele zu
nennen, die Energie, die für die öffentliche Beleuchtung bezogen wird,
in der Zeit, wo diese nicht in Betrieb ist, dazu verwendet werden können,
Schulen und öffentliche Gebäude zu ventilieren und zu ozonisieren. Die
hierfür nötigen Anlagekosten wären gering, der Nutzen an der Volks-
gesundheit wahrscheinlich überraschend groß. Gemeinden, die auch
industrielle Anlagen haben, wie Gas- und Wasserwerke, Kanalisation,
Hafenanlagen usw., haben natürlich eine noch bedeutend vielseitigere
Verwendungsmöglichkeit für diese Energie, besonders, wenn es gelingt,
die Leitungen der einzelnen Verwaltungszweige dahin zu bringen, daß
sie sich bei ihren Betriebsdispositionen untereinander verständigen.
Wasserwerk und Kanalisation z. B. brauchen unter Umständen, abge-
sehen von ganz unerheblichem Lichtstrom, zur Erhöhung des gleich-
zeitig bezogenen Maximums bei entsprechender Betriebseinteilung über-
haupt nichts beizutragen, weil die vorhandenen Reservoire meist so groß
sein werden, daß die Maschinen dieser Betriebe während der Zeit des
Maximums ganz stillgesetzt werden können. Ebenso werden Bergwerke
ihre Wasserhaltungen und andere Betriebe ihre Preßwasser und Preßluft-
anlagen dazu benutzen können, um einen möglichst gleichmäßigen Strom-
bezug zu erzielen.
Wir sind damit ganz von selbst auch auf die erste Forderung ge-
kommen, die wir aus der Betrachtung der Betriebsausgaben einer
Ueberlandzentrale abgeleitet hatten, denn je ausgiebiger von jedem ein-
zelnen Kunden die ihm zur Verfügung gestellte elektrische Energie aus-
genutzt wird, um so höher wird eben auch die durchschnittliche Be-
nutzungzeit. Wir kommen damit aber auch jenem Ziele nahe, das wir aus
der Betrachtung der Eigenart derAnlagekosten als erstrebenswert erkannt
hatten: denn wenn alle Kunden systematisch dazu erzogen werden, den
Strom überall zu verwenden, wo er mit Vorteil oder auch nur ohne Mehr-
kosten verwendet werden kann, dann wird sich auch auf einem kleinen
Gebiete bereits ein so großer Energiebedarf ergeben, daß große Ma-
schinensätze zu seiner Deckung nötig sind, und es wird damit die Länge
der Leitungsanlagen, die zur Ausnützung der großen Maschinensätze er-
forderlich sind, verringert.
Die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen kann man kurz
in folgende Sätze zusammenfassen:
1) Der starke Aufschwung der Ueberlandzentralenbewegung in
Deutschland ist vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus zu begrüßen,
und es ist zu wünschen, daß er durchweg in gesunde Bahnen ge:
leitet werde.
2) Um dies zu erreichen und die Wirtschaftlichkeit der Werke
sicherzustellen, empfiehlt sich die Einführung eines den jeweiligen Be-
dürfnissen entsprechenden Pauschaltarifes; unbedingt erforderlich ist eine
zielbewußte Werbetätigkeit nicht nur in Wort und Schrift, sondern auch
durch praktische Vorführungen und durch möglichst weitgehende, unter
Umständen zunächst kostenlose, dann leihweise Beistellung der zur Aus-
nutzung des elektrischen Stromes erforderlichen Einrichtungen.
Miszellen. 659
XXI.
Die statistische Beobachtung des Wohnungsbedarfs
der Eheschließenden.
Von Dr. A. Sigerus, Halle.
Der Wohnungsbedarf, d. h. der jährliche oder zeitliche Bedarf
an Wohnungen unbeachtet des vorhandenen bewohnten Wohnungsbestan-
des einer Stadt, wird zunächst bestimmt durch die Bewegung der Haus-
haltungsmasse. Darunter ist zu verstehen der Zuzug und die Neu-
gründung von Haushaltungen, dann der Fortzug und die Auflösung
solcher. (Wollte man auch die Größe der benötigten Wohnungen be-
trachten, so würde jeweils auch die Größe dieser Haushaltungen hinzu-
zuzählen sein und ferner die Erweiterung von Haushaltungen durch Zu-
nahme der Zahl der Familienangehörigen, vornehmlich durch Geburten.)
Der Zuzug von Haushaltungen ist gegeben in der Zahl der zuziehenden
Haushaltungsvorstände, wie sie sich aus den polizeilichen Meldeblättern
gewöhnlich ergibt!). Hierin sind auch solche Zuziehende enthalten,
die eine neue Haushaltung gründen (also auch junge Ehepaare). Die
Neugründung von Haushaltungen kann statistisch nur so weit erfaßt
werden, als es sich um Gründung von Haushaltungen bei Eheschließungen
handelt. Auf diese soll unten eingegangen werden. Der Fortzug von
Haushaltungen wird statistisch festgehalten in den polizeilichen Ab-
meldeblättern. Diese enthalten dem Anmeldeblatt entsprechende An-
gaben. Die Auflösung von Haushaltungen endlich kann auf ver-
schiedene Weise vor sich gehen. Entweder sie geschieht durch den Tod
des Haushaltungsvorstandes, wenn dabei kein Uebergang der Haus-
haltung auf einen anderen Vorstand (den verwitweten Teil der Ehe-
gatten) stattfindet, oder durch sonstige zwangsweise oder freiwillige
Lösung (Ehescheidung, Aufgabe der Selbständigkeit usw.). Die Auf-
lösung von Haushaltungen kann mittelbar abgeleitet werden aus der
Statistik der Sterbefälle von Familienoberhäuptern?). Dabei wird aller-
1) In Halle ergibt sich aus den polizeilichen Meldeblättern die Zahl der
Haushaltungsvorstände in der Zahl der Personen, die eine eigene Wohnung ein-
genommen haben. Solche zuziehende Familienoberhäupte, die nicht Haushaltungs-
vorstände sind, weil sie keine eigene Wohnung einnehmen, sind hierbei nicht
mitenthalten. l
2) So enthält das Zählblatt, betreffend den Sterbefall in Halle, die Frage
nach dem Familienstand des Verstorbenen, bei Personen von über 5 Jahren ob:
ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden.
42*
660 Miszellen.
dings nur die Gesamtzahl dieser Fälle beobachtet ohne Bezugnahme auf
das Bestehenbleiben oder die Auflösung der Haushaltungen. Aus der
Zahl der Sterbefälle von Witwern oder Witwen ist auch nur ein allge-
gemeiner Schluß auf die Auflösung von Haushaltungen gestattet.
Betrachten wir z. B. einige der für unsere Untersuchung in Frage
kommenden vorhandenen Zahlen für eine Stadt wie Halle: Im Jahre
1913 betrug das Wanderungsergebnis für die Haushaltungsvorstände
—521). Die Zahl der Eheschließungen betrug 1520. Die Sterbefälle
von Witwern: 150, von Witwen: 393.
Die Zahlen zeigen, daß, soweit die statistisch beobachteten Fälle
der Bestimmung des Wohnungsbedarfs berücksichtigt werden, an erster
Stelle sich die Eheschließungen geltend machen. Ihnen werden
wir im folgenden unser Augenmerk zuwenden.
Neben den genannten Bewegungsformen der Haushaltungen geht
für die Bestimmung des Wohnungsbedarfs dann noch einher das Maß
der Brauchbarkeit der vorhandenen, speziell der alten baufälligen Wohn-
häuser bzw. Wohnungen. Durch sie entsteht ebenfalls ein Bedarf, und
zwar an neuzeitlich gerechten Wohnungen. In der Zahl der dauernd leer-
stehenden Wohnungen dürften wir den aus diesen Gründen erwachsenden
Wohnungsbedarf gleichzeitig erfaßt haben.
Mit der statistischen Erfassung des Wohnungsbedarfs der Ehe-
schließenden werden wir somit auch den größten Teil des Gesamt-
wohnungsbedarfs ermittelt haben.
Bei Betrachtung der Eheschließungen muß zuerst berücksichtigt
werden, daß wir mit der Zahl der Eheschließungen in einer Stadt nur
einen Teil der gesamten Ehen, die für den Wohnungsbedarf dort in
Frage kommen, erfaßt haben. Durch die von ansässigen Männern aus-
wärts geschlossenen Ehen, die ihren Wohnsitz in dem Aufenthaltsort des
Mannes aufschlagen, findet ein Zuzug von neuen Ehen statt, die genau
so wie die in der Stadt geschlossenen sich für den Wohnungsbedarf
geltend machen. Deren Zahl ist uns indes — wie erwähnt — durch die
polizeilichen Anmeldungen bekannt, bzw. sie ist enthalten in der Zahl
der in die Stadt zugezogenen Haushaltungsvorstände. Wir können dem-
nach mit ihr im ganzen rechnen, wenn wir sie auch nicht gesondert
betrachten können. Die gesonderte Betrachtung der Zahl dieser Ehen
ist aber entbehrlich, da einmal das Schwergewicht unserer Betrachtung
auf der Haushaltung liegt und ferner die Zahl dieser Ehen relativ gering
ist. Unsere Untersuchung soll sich somit auf die in der Stadt ge-
schlossenen Ehen beschränken.
An Hand einer dahinzielenden Erhebung über den Wohnsitz der
Eheschließenden in der Stadt Halle soll untersucht werden, wie weit die
Zahl der Eheschließungen einer Stadt einen brauchbaren Maßstab für
den Wohnungsbedarf der Eheschließenden abgibt.
Das Zählblatt für die Eheschließungen i in Halle enthält für unseren
BIER die Fragen:
1) Während es im ganzen + 978 betrug.
Miszellen. 661
1) Letzter Wohnort des Mannes vor der Eheschließung.
2) Letzter Wohnort der Frau vor der Eheschließung.
3) Gemeinsame Wohnung nach der Eheschließung.
4) Hatte Mann oder Frau schon vor dieser Eheschließung eine
eigene Wohnung?
Die Beantwortung dieser Fragen gelegentlich der standesamtlichen
Eheschließungen bildete die Grundlage für die Auszählung, die zum
Zwecke nachstehender Untersuchung für die 3 Jahre 1911—1913 durch-
geführt wurde. Die Ausfüllung der Zählblätter erfolgte jeweils durch
den Bezirksbeamten des Standesamts. Zur Auszählung gelangten alle
4 Fragen, und zwar die drei erstgenannten in bezug auf den Wohnort
bzw. die Wohnung in Halle und auswärts, für Mann und Frau. Alle
4 Fragen wurden gegliedert nach dem Beruf und der Stellung im Beruf,
wobei die übliche Einteilung der Berufsstatistik des Deutschen Reichs
in Anwendung kam.
Die Zahl der Eheschließungen, wie sie durch die statistische Er-
hebung auf Grund standesamtlicher Registrierung ermittelt wird, gibt
noch kein Bild über die jährliche Zahl der Eheschließungen, mit der man
vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus in einer Stadt rechnen muß.
Die Zahl dieser Ehen ist eine ganz andere und kann erst auf Grund
einer diesbezüglichen Untersuchung annähernd festgestellt werden. Sie
wird bestimmt durch mehrere Faktoren, die hier der Reihe nach zu be-
sprechen sind. Zunächst tritt bekanntlich der Fall häufig ein, daß eine
Eheschließung nicht in derselben Stadt vollzogen wird, die das Brautpaar
als künftigen Wohnsitz gewählt hat. Meist wird die Ehe am Wohnsitz
der Braut geschlossen und das neuvermählte Paar bezieht den Berufs-
und Aufenthaltsort des Mannes. Dieser stimmt in den meisten Fällen
mit dem letzten Wohnsitz des Mannes überein. Wir müssen also die nach
der Trauung fortziehenden Ehepaare der Zahl nach kennen. Kennen
wir den letzten Wohnort der sich in einer Stadt verheiratenden Männer,
so werden wir allgemein auf die Zahl derjenigen Paare, die in dieser
Stadt nach der Eheschließung auch bleiben, einen gewissen Schluß
schon ziehen können. Genau erfassen wir die Zahl der verbleibenden
neuvermählten Personen erst, wenn wir auch den neuen Wohnsitz
der Eheschließenden kennen. Oft kann es ein beträchtlicher Teil sein,
der aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Verbande der Stadt aus-
tritt, bzw. ihm — trotzdem man es leichthin annehmen wird — gar
nicht erst beitritt.
Die in Halle durchgeführte Zählung des Wohnsitzes der Ehe-
schließenden ergab, daß 1520 Männer und ebensoviel Frauen (bzw.
Mädchen) die Ehe im Jahre 1913 eingingen (1912: 1529, 1911:
1546). Außerhalb Halles schlugen ihren gemeinsamen Wohnsitz auf
436 Paare, die von den genannten 1520 abzuziehen sind, wenn man nur
die hier verbleibenden betrachtet. Die Zahl 1084, oder für den Durch-
schnitt der drei letzten Jahre ausgedrückt, die Zahl 1106, würde somit
angeben die Zahl der in Halle neu hinzukommenden und verbleibenden
Ehepaare. In Prozent der gesamten Eheschließungen sind es somit
28,6 Proz., die Halle im letzten Jahre verlassen haben (1912:
26,8 Proz., 1911: 27,1 Proz.).
662 Miszellen.
In bezug auf das Geschlecht verteilen sich die fortziehenden Paare,
wie folgt:
Letzter Wohnort vor der Eheschließung.
1911 1912 1913
m. | w. | total m. | w. | total m. | w. | total
Halle 1131 1425 2550 1134 1408 2542 1107 | 1375 2482
auswärts 415 121 530 395 121 516 413 145 558
zusammen] 1546 | 1546 | 3092 | 1529 | 1529 | 3058 | 1520 | 1520 | 3040
Von den 3040 eheschließenden Personen beiderlei Geschlechts im
Jahre 1913 hatte demnach vor der Eheschließung nur ein verhältnis-
mäßig kleiner Teil seinen Wohnsitz außerhalb Halles, 18,3 Proz., der
hierher gezogen ist, um mit Einheimischen oder Ansässigen getraut
zu werden. Den weitaus größten Teil hiervon stellten die Männer; ent-
sprechend der Sitte, daß die Trauung am Wohnorte der Braut stattfindet.
In 145 Fällen ist die Frau zugezogen (ist also entweder zu ihren in
Halle wohnenden Eltern zur Hochzeit gezogen oder aber beging sie
nicht im eigenen Vaterhause die Feier der Eheschließung!). Nur
23 Männer sind nach der Eheschließung nach auswärts gezogen. Ob
23 von den auswärtigen Frauen dazu den Anlaß gegeben haben, oder ob
soviel Männer, infolge einer neuen Beschäftigung außerhalb Halles,
verzogeu sind, ist nicht gefragt. Man sieht indes, daß 413 Männer
— wie anzunehmen ist, dieselben die vorher schon außerhalb Halles
wohnten — mit ihren Frauen nach der Trauung zurückgezogen sind?).
Die oben genannte Zahl der 1106 in Halle für den Durchschnitt
der drei letzten Jahre hinzugekommenen Ehepaare beschränkt sich nun
für den praktischen Gebrauch am Wohnungsmarkt aus einem weiteren
Grund noch merklich. Nicht alle neu geschlossenen Ehen machen auch
bekanntlich eine neue Wohnung erforderlich. Zunächst die nicht,
die keine neue Haushaltung mit sich bringen, sei es weil die Haus-
haltung der Eltern, oder des einen der Ehegatten (z. B. bei verwitweten
Personen) bezogen wird, ober sei es daß man keinen Haushalt gründen
will oder kann und das Ehepaar in Aftermiete oder bei den Eltern oder
Schwiegereltern wohnt. — Eine eigene Wohnung in Halle vor der
Eheschließung hatten im Jahre 1913: 281 Personen, wovon 164 Männer
und 117 Frauen waren.
1) Die Zahl der Eheschließungen von verwitweten und geschiedenen Frauen
dürfte diese Zahl stark bestimmt haben. (Sie betrug 147 im Jahre 1912.)
2) Wenn man das Verhältnis der Geschlechter vergleicht, wird man indes
auch noch nicht erkennen können, ob die Stadt durch Ehen mehr Personen ver-
loren als gewonnen hat. Will man der Stadt Halle nicht weniger heiratslustige
Männer zusprechen als heiratende Frauen, so kann man annehmen, daß die Zahl
der Eheschließenden, die die Stadt durch außerhalb geschlossene Ehen orts-
ansässiger Männer gewinnt, mehr oder weniger der Zahl nahe kommt, die Halle
an eheschließende weiblichen Geschlechts durch Verheiratung mit ortsfremden
Männern verliert. — Eine Stadt, die mehr heiratsfähige Töchter produziert als
heiratswillige Männer, wird mehr Eheschließende verlieren als gewinnen.
Miszellen. 663
Wohnort nach der Eheschließung.
ot EZ - ZS v S -$ 5:
EE ET:
HECKER E EE die
ze’ e gA ER EC
Ee IK =
1911 4 106 39 4 19 31 203
e m4|1912| — | 103 | 44 5 | 36 5 193
Eigene 1913 2 98 29 — 32 3 164
Wohnung vor der
Eheschließung | 1911| — 39 9 21 I I 71
w.\| 1912] — 54 20 19 2 53 148
1913 I 37 23 18 2 36 117
Geht man davon aus, daß jener Fall, daß eine in Halle eine eigene
Wohnung besitzende Person in Halle getraut wird und nach auswärts
zieht, immerhin selten vorkommen dürfte, so kann man aus obigen
Zahlen direkt einen Schluß ziehen auf diejenigen Fälle, wo eine Neu-
haushaltung mit der Eheschließung nicht Hand in Hand geht, eine
andere Wohnung daher auch nicht gebraucht wurde. Allerdings sind
auch hier mehrfache Einschränkungen nötig. Nicht immer wird dieselbe
Wohnung, die ein Ehegatte innehatte, auch nach der Eheschließung be-
zogen. Leider läßt sich dies aus dem Zählblatt nicht erkennen, da
die Frage nach der eigenen Wohnung mit „ja“ oder „nein“ beantwortet
wurde!). Für das Jahr 1911 ist diese 13mal (bei 274 Angaben),
und zwar ausschließlich bei Frauen zu verzeichnen. Immerhin sind
die Zahlen auch ohne diese spezielle Angabe wichtig. Wird z. B. eine
der eigenen Wohnungen dadurch frei, daß die Ehegatten nach der
Eheschließung eine andere Wohnung nehmen, so bleibt dieses für den
Wohnungsmarkt nur insoweit von Effekt, als sich dieser Bedarf wie der
im Fallo eines Umzuges geltend macht. Es findet nur ein Wechsel statt;
eine Mehrwohnung wird nicht erforderlich. Wir können somit
obige Zahlen — und zwar die Zahlen der von Personen beiderlei Ge-
schlechts innegehabten Wohnungen — von den Zahlen der Ehepaare,
die nach der Eheschließung in Halle blieben, abrechnen und werden
damit im großen ganzen zu brauchbaren Unterlagen über den Bedarf an
Wohnungen der Eheschließenden gelangen. Die Zahlen sind dann für
die 3 Jahre: 803 bzw. 778 und 842 für das Jahr 1911. Oder wenn
wir den Durchschnitt berechnen und von unserer, oben mit 1106 an-
gebenenen Durchschnittszahl der in Halle hinzugekommenen Ehepaare,
1) Bei anderer Fragestellung ließe sich hier leicht Näheres erkennen. Es
müßte die Wohnung genannt werden. — Die Frage ist aber auch offenbar
öfters dahin verstanden worden, daß angenommen wurde, es handele sich darum,
zu wissen, ob jemals in Halle eigene Wohnung innegehabt wurde. Dies folgt aus
dem Umstand, daß der letzte Wohnort vor der Eheschließung oft auswärts ist,
während sich gleichzeitig die Frage nach der eigenen Wohnung ın Halle mit „ja“
beantwortet findet. — Am weitesten geht von den deutschen Statistischen Aemtern
das Statistische Amt der Stadt Breslau in der Feststellung des Wohnsitzes und der
Wohnung Letztere wird unterschieden für die Braut (in Breslau wohnhaft), ob
in demselben Hause, in derselben Straße, nicht in derselben Straße liegend. All-
gemeines Stat. Archiv, Bd. 7, Ergänzungsheft.
664 Miszellen.
die Durchschnittszahl der eigenen Wohnungen, d. i. 299, abziehen,
erhalten wir die Zahl 807. Sie zeigt an die in Halle neu hinzu-
gekommenen Ehepaare, die im Durchschnitt für die 3 letzten
Jahre als Konsumenten auf dem Wohnungsmarkt auftraten.
Auch diese Zahl muß indes noch eine weitere Einschränkung erfahren.
Eine genaue Feststellung der Zahl der eigenen Wohnungen vor der
Eheschließung, die von den Eheschließenden nach der Eheschließung
eingenommen werden, ließe sich nur auf Grund einer diesbezüglichen
Befragung ermitteln 1). — Die Zuhilfenahme des Adreßbuches der
Stadt Halle für das Jahr 1912?) hat dadurch insbesondere zu keinem
nennenswerten Ergebnis geführt, als für den größeren Teil, der mit
eigener Wohnung laut Zählblatt registrierten Personen, das Adreßbuch
Abweichung) ergab. Diese Abweichung erklärt sich — wie man fest-
stellen kann — auch aus der, in den untern Kreisen besonders häufig
anzutreffenden Uebereinstimmung der Hausangabe von Mann und Frau
für den Wohnsitz vor der Ehe. Vielfach wird es sich auch um gemein-
same Wohnung handeln, was indes hier nicht festzustellen ist. Dazu
mögen auch jene Fälle hinzutreten, in denen die Eheschließung zeitlich
hinter der Aufnahme der Adressen (durch den Herausgeber des Adreß-
buches) liegt und seither bis zur Verheiratung eine eigene Wohnung
von einem der Ehegatten bewohnt wurde®). Von den oben genannten
219 Personen, die im Adreßbuch abweichend von den Angaben im Zähl-
blatt enthalten sind, hatte in 81 Fällen, nach dem Adreßbuch, ein
Teil der Ehegatten eine eigene Wohnung’), die dann auch als gemein-
schaftliche Wohnung in der Ehe beibehalten wurde. Man kann an-
nehmen, daß ein bemerkenswerter Teil, etwa rund 130 Personen 5) keine
eigene, später noch beibehaltene Wohnung hatten. 50 Ehepaare würden
somit ebenfalls eine neue Wohnung bezogen haben. Diese sind zu der
oben ermittelten Durchschnittszahl von 807 noch hinzuzuzählen, damit
man die Zahl jener Ehepaare erhält, für die eine Mehrwohnung in Frage
kommt. Die Zahl 857, d. i. 56 Proz. aller Eheschließungen in diesem
Jahre, ergibt somit die letzte Angabe jener Eheleute, die in Halle als
neue Konsumenten von Wohnungen für das Jahr 1912 anzusehen
waren, auf Grund der Heranziehung des Adreßbuches. Somit wäre
1) Doch dürften hierdurch wesentliche Feststellungen kaum erzielt werden
aus dem oben (S. 663) angeführten Grund (vgl. auch die Anmerkung daselbst).
2) Es wurde das Adreßbuch für das Jahr 1913 mit dem Inhalt von
September-Oktober des Jahres 1912 benutzt.
3) z. B. statt Mann und Frau nur Mann oder nur Frau mit eigener
Wohnung.
4) Bei Benutzung des Adreßbuches zu derartigen Zwecken muß bedacht
werden, daß Abweichungen schon aus dem Grunde unvermeidlich sind, weil es sich
im einen Fall um eine zeitlich über das ganze Jahr erstreckte, fortschreibende
Erhebung handelt, im andern dagegen um eine Art Bestandszählung, die sich
auf zirka einen Monat (September-Oktober) erstrekt. Während der Zeit von der
ersten standesamtlichen Zählung im Januar des Jahres bis zur, Ermittelung der
Adressen im September kann und wird sich manches verändert haben, und um-
gekehrt von der Ermittelung der Adressen bis zur Eheschließung.
5) Mann allein oder Frau allein.
Miszellen. 665
dies Ergebnis nur ein bedingt richtiges. Im folgenden soll daher die
Zahl 807 beibehalten werden.
Von besonderer Bedeutung für den Wohnungsmarkt wird es sein,
über Größe und Art der in einer Stadt neugegründeten oder zugezogenen
Haushaltungen einen Einblick zu erhalten. Anschließend sei daher die
Berufszugehörigkeit der Eheschließenden und deren Stellung im Berufe
betrachtet. Danach läßt sich ein Schluß ziehen auf deren soziale
Stellung und wirtschaftliche Lage und danach richtet sich ja meist
auch deren Wohnungsbedarf. Interessant ist es vornehmlich, zu wissen,
welchen Berufen die Ehemänner der 807 Ehen, die in Halle im
Durchschnitt der 3 letzten Jahre hinzukamen, angehören, und welche
Stellung im Berufe sie einnehmen.
Zieht man die Zahl der eine eigene Wohnung in Halle vor der Ehe-
schließung besitzenden Eheschließenden (Männer und Frauen) ab von
der Zahl der nach der Ehe in Halle mit ihren Frauen wohnenden
Männer, und unterscheidet dann nach Beruf und Stellung im Beruf der
Männer, so erhält man genauere Hinweise auf die Menge und Kategorie
der nötig gewordenen Mehrwohnungen:
A Arbeiter, Arbeiter,
| Selbständige | Angestellte gelernte E total
— 2
Landwirtschaft
Industrie und Hand-
arbeit
Handel und Verkehr
Häusliche Dienste
Beamte, Militär, fr.
rufe
Ohne Beruf und Be-
rufsangabe
zusammen [1912 57 79 496 146 778
1913 45 | 132 484 142 803
Von den 803 Ehepaaren, die im Jahre 1913 in Halle einer Mehr-
wohnung bedurften (oder den 807, im Durchschnitt der 3 letzten
Jahre), gehören absolut die meisten der Industrie und dem Handwerk
an, wio das dem Gesamtanteil der Halleschen Bevölkerung an dieser
Berufsabteilung entspricht). Hierauf folgt Handel und Verkehr und
dann Beamte (Militär und freie Berufe). Die soziale Stellung, die diese
803 Ehepaare einnehmen, ist zum weitaus größten Teil eine der unter-
sten. Es gehören 77,9 Proz. der Arbeiterklasse, bzw. den beiden unter-
sten beruflichen Stellungen an. Die Zahl der Angestellten ist relativ
1) Laut Berufsstatistik von 1907 waren in Halle von den 172149 orts-
anwesenden Personen die meisten, 86954 Berufszugehörige, in der Industrie (ein-
schließlich Bergbau und Baugewerbe), darauf folgt Handel und Verkehr mit
41615 Berufszugehörigen.
666 Miszellen.
klein, noch kleiner naturgemäß die der Selbständigen. Ganz allgemein
— soweit die Stellung im Berufe über das Einkommen und dieses
wiederum über die Angabe für Miete entscheidet — ergibt sich hieraus,
daß rund 630 Mehrwohnungen für die Bedürfnisse der untersten sozialen
Schicht für das letzte Jahr in Frage kamen. Von den übrig bleibenden
177 Ehepaaren, deren Stellung im Beruf eine höhere ist, kann man
nun noch ein gut Teil hinzuzählen, die infolge von Einkommen und
ihrer ganzen privatwirtschaftlichen Lage ebenfalls für Wohnungen
solcher Qualität in Frage kommen. So daß sich deren Bedarf, der Bedarf
an Kleinwohnungen für die bescheidensten Ansprüche, sogar vielleicht
auf 700 erhöht. Außer diesen Eheleuten, deren Wohnungsbedarf (in
bezug auf Zimmerzahl, Mietpreis, Stockwerklage, Lage zur Stadt, Sitte,
Gewohnheit, Komfort usw.) ein ganz anderer ist als derjenige der
höheren Schichten, kommt nun eine Nachfrage (nach obiger Annahme)
von rund 60 Wohnungen hinzu, für Eheleute, die der Angestellten-
kategorio angehören und höhere menschliche Bedürfnisse mitbringen,
und endlich für 45 Selbständige, zu denen allerdings auch ein erheb-
licher Teil ebenfalls kleiner Leute (Handwerker und Inhaber von kleinen
Handelsbetrieben) gehören wird, die aber immerhin beachtenswert und
in anderer Richtung sich am Wohnungsmarkt geltend machen dürften.
Aus dem Beruf und der Stellung im Beruf der Eheschließenden
läßt sich somit für die Kategorie der von ihnen benötigten Wohnungen
nur wenig erkennen. — Eine Kombination mit dem Einkommen dürfte
der Frage näher kommen. Doch scheint auch hier erst eine dahin-
gehende Befragung über die vom Ehepaar gemeinsam zu beziehende
Wohnung — deren Durchführbarkeit hier dahingestellt bleiben mag —
einwandfreie Resultate erzielen zu können. Als ein Hilfsmittel wäre
hierbei auch heranzuziehen die Feststellung der Wohnungsgröße nach
Material der Wohnungsstatistik, um damit dem anzustrebenden Ziele
— die statistischen Feststellungen verschiedenen Inhalts, als Ergänzung
bei entstehenden Lücken tunlichst zu verwerten — gleichzeitig näher-
zukommen.
Literatur. 667
Literatur,
IV.
H. Bächtold, Der norddeutsche Handel im 12. und
beginnenden 13. Jahrhundert.
Berlin und Leipzig (Dr. W. Rothschild) 1910. VIII, 314 SS. 80. M. 9.
(A. u. d. T.: Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte.
Hrsg. von G. v. Below, H. Finke, G. Meinecke, H. 21.)
Besprochen von Prof. Dr. Karl Heldmann, Halle a. S.
Das 12. und 13. Jahrhundert ist für die Deutschen eine Zeit regsten
Wanderdranges und fröhlichster Unternehmungslust. In allen Schichten
des Volkes gärt und brodelt es, wird es lebendig, geht in langer Er-
ziehungsarbeit gelegte Kultursaat auf. Den Ritter führen nicht mehr
nur die Romfahrten der Könige und Kaiser über die Alpen, sondern
auch die Kreuzzüge in ferne Lande des Orients; den fahrenden Scholaren
zieht es nach Frankreich und Italien an die Stätten alter Bildung; der
Bauer Altdeutschlands setzt den Wanderstab in die neugewonnenen
Slawengebiete jenseits der Saale und Elbe; und aus den Toren nach Zahl
und Bedeutung wachsender Marktflecken und Städte wagt sich das seiner
selbst bewußt gewordene gewerbfleißige und handeltreibende Bürgertum
immer weiter hinaus auf die Land- und Wasserstraßen des Kontinents,
ja bis aufs Meer. Der bisherige, im wesentlichen auf das Rheingebiet
beschränkte, in bescheidenem Maße auch das Donaugebiet durchziehende
Warenverkehr breitet sich über das ganze alte und neue Reichsgebiet
aus, und dem Binnenhandel tritt ein Außenhandel von wachsender Aus-
dehnung und Stärke an die Seite.
Es sind zwei nur lose miteinander verknüpfte Handelsgebiete, in
die das Deutschland jener und der folgenden Jahrhunderte zerfiel: ein
oberdeutsches, dessen Handelsbeziehungen sich nach Italien und dank
den Kreuzzügen weiter nach dem Orient hin ausdehnten und dessen
Träger neben Regensburg seit dem 12. Jahrhundert insbesondere Augs-
burg und Ulm, Enns und Wien wurden, und ein niederdeutsches, das, mit
der nordsüdlichen Zentrallinie des Rheines, sich von der Schelde bis
zur Elbe erstreckte, am Ende des 12. Jahrhunderts mit einem immer
dichter werdenden kontinentalen Wegenetz die Küstenschiffahrt verband
und durch diese neue westöstliche Zentrallinie kommerzielle Beziehungen
sowohl zu Nordwesteuropa (Flandern und England) wie zu Nordost-
europa (den festländischen Küstengebieten der Ostsee bis zum finnischen
668 Literatur.
Meerbusen und nach Rußland — Smolensk und Nowgorod — einerseits,
den skandinavischen Ländern — Schonen und Gotland — andererseits)
zu knüpfen wußte.
Dieses norddeutsche Handelsgebiet in seiner vorhansischen Zeit, von
etwa 1100 an bis etwa 1230, hat der Verfasser des vorliegenden, aus
einer von G. v. Below angeregten Freiburger Dissertation (S. 1—88)
hervorgewachsenen Buches zum Gegenstand seiner Untersuchungen ge-
macht. Seine Absicht ist nicht auf die Organisation und Verfassung des
norddeutschen Handels gerichtet. Vielmehr will er, ausgehend von
der verkehrsgeographischen (oro- und hydrographischen) Struktur des
norddeutschen Handelsgebietes, seinen Beziehungen zu und seinen Ver-
schiedenheiten von den Nachbargebieten (Einleitung, S. 1—13), nur den
äußeren Verlauf der Warenzirkulation sowohl im Binnenhandel (I. Teil,
S. 15—191) wie im Außenhandel (II. Teil, S. 193—309) bestimmen.
Er sucht somit die handelsgeschichtliche Bedeutung der einzelnen Siede-
lungen und Landschaften zwischen Schelde und Elbe, Mittelgebirge und
Nordsee festzustellen, die Wege zu verfolgen, durch welche dieselben ver-
bunden, den Grad zu ermitteln, in dem sie am Binnen- und Außenhandel
beteiligt waren. Er will Einsicht gewinnen in die Warentransporte, die
die nordsüdlichen und westöstlichen Wege dieses Gebietes belebten und
durch deren Austausch die einzelnen Länder und Plätze des nord-
deutschen Binnen- und Außenhandels einander wechselseitig ergänzten.
Soweit das Quellenmaterial es zuläßt, soll so die wirtschaftliche Physio-
gnomie der verschiedenen Orte und Gegenden des norddeutschen Handels-
gebietets zu klarer und anschaulicher Darstellung gebracht werden.
Um es sogleich zu sagen: der Verfasser hat dieses sein Ziel in
geradezu vorbildlicher Weise erreicht. Nicht nur historisch und volks-
wirtschaftlich, sondern auch geographisch und germanistisch gründlich
geschult, in der weitverstreuten Literatur und vor allem in den Quellen
trefflich zu Hause, sorgfältig und exakt in seinen Untersuchungen, um-
sichtig und besonnen in seinem Urteil, vermochte er ein Werk zu
schaffen, das erstmalig das norddeutsche Handelsgebiet im ganzen zu-
sammenhängend behandelt und namentlich im einzelnen eine Fülle feiner
Beobachtungen und neuer Erkenntnisse darüber ausgebreitet hat und
dauernd seinen Platz in der handelsgeschichtlichen Literatur behaupten
wird. Ganz besonders hervorzuheben ist die präzise, knappe und pla-
stische Schreibweise, die den Leser bis zum Ende bei der Sache hält und
nur in Einzelheiten öfters zu Ausstellungen Anlaß gibt1).
1) Einige Belege hierfür: S. 28 „Der Verfasser fährt weiter“ (statt „fährt
fort“); S. 95 dreimal ‚lassen‘ hintereinander; 8. 166 ‚Die Zollfreiheit wurde für
immer mehr Orte, die Zollpflicht für immer weniger gültig“ (,Orte‘“ gehört
hinter „weniger“); S. 189 „elbeein- und ausgingen“; S. 197 „dank der (statt
„den“) Ausführungen“; S. 229 ‚es wird gewichtige Argumente brauchen“ (statt
„gewichtiger Argumente bedürfen“); 8S. 243 ‚auf dem auffallendsten Ziel...
beziehen“; S. 253 „erbeten“ (statt „erbitten‘“); mit Vorliebe endlich braucht der
Verf. namentlich auf den letzten Bogen „zwar“ ohne Nachsatz (statt „freilich“).
Literatur. 669
Die Arbeit ist im allgemeinen zwischen die Jahre 1100 und 1230
eingespannt. Den unteren dieser Grenzpunkte wird man ohne weiteres
billigen müssen. Denn er ist gegeben durch das Hervortreten der Hanse
mit ihrer weitverzweigten Handelsorganisation, in die schließlich die ge-
samte Entwicklung des norddeutschen Handels, so wie B. sie zur Darstel-
lung gebracht hat, ausmündet. Es würde mir aus diesem Grunde aber auch
richtiger erschienen sein, wenn der Verf. das Schlußkapitel (S. 267 ff.), in
dem die beiden Hauptlinien des norddeutschen Außenhandels, die des Ost-
see- und die des Nordseegebietes, zu einer Einheit zusammengefaßt und
so die beiden Polpaare desselben miteinander und durch die neben Köln,
den bisherigen Zentralplatz, sich neu entwickelnden Zentren Lübeck und
Hamburg auch zum Binnenland in Beziehung gesetzt werden, zu einem
selbständigen Abschnitt (3) des 2. Teiles ausgestaltet hätte; dadurch
würde er sogleich den Ausblick in die Geschichte der Hanse gewährt.
haben. Weniger befriedigt die Wahl der oberen Grenze. Sie ist vor-
nehmlich offenbar durch den bekannten Coblenzer Zolltarif von 1104
und die sachliche und methodische Notwendigkeit, vom Rhein aus-
zugehen, bestimmt worden. Immerhin bleibt es aber doch zu be-
dauern, daß Verf. sich nicht die Zeit genommen hat, auch noch die
Anfänge des niederrheinischen und norddeutschen Markt- und Handels-
lebens etwa seit der Karolingerperiode in kurzem Ueberblick zur Dar-
stellung zu bringen; um so mehr, als er im Laufe seiner Untersuchungen
doch immer wieder einmal bei diesem oder jenem Platz über das Jahr
1100 hinausgreifen muß. Wäre es da nicht besser gewesen, er hätte uns
im Zusammenhang gezeigt, wie die Fortschritte der allgemein geschicht-
lichen Entwicklung dieses niederrheinisch-norddeutsche Handelsnetz all-
mählich geknüpft haben ?
Das führt uns zu einem weiteren und tiefer greifenden Bedenken
methodischer Art.
Mit großer Sorgfalt ist B. den einzelnen Handelswegen nachge-
gangen und scharfsinnig hat er die bald über-, bald unterschätzte Be-
deutung einzelner Handelsgebiete und -plätze (z. D Westfalens, S. 122 ff.,
128ff.; Tiels, S. 34ff.; Magdeburgs, S. 163ff., 171ff.) sowie die
Aussagen der Zollprivilegien und Zolltarife (z. B. S. 220 ff.) ins rechte
Licht zu rücken vermocht. Wenn er gleichwohl nicht immer zu sicheren
Ergebnissen gelangt ist und man auch sonst öfters das Gefühl hat, auf
schwankendem Boden bei ihm zu stehen, so liegt das doch nicht bloß an
objektiv unzulänglicher Quellenüberlieferung. Vielmehr hat gerade sein
Bestreben, sich möglichst exakt nur an das durch seine zeitlichen Grenz-
punkte gegebene Material zu halten, den Verf. gewisse Hilfsmittel
nicht genügend oder gar nicht zur Geltung bringen lassen, die an sich
durchaus verwendbar waren. Wir meinen einmal die Feststellung
sämtlicher auch schon vor 1100 vorhandenen Märkte und Städte. Sie
alle bestimmen zugleich absolut sicher die Ausgangspunkte von Handels-
wegen auch für die Zeit nach 1100. Hierin ist z. B. B. Knüll
(Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter, Breslau 1903,
S. 169ff. und 181ff.) mit Recht viel weniger ängstlich, freilich auch
670 Literatur.
wieder etwas zu summarisch verfahren. Jahrmärkte (Messen) knüpfen
sich aber vor allem an die Bischofs- und Klosterkirchen. Und da ist es
dem Verfasser nun weiter entgangen, daß über die Handelswege auch die
Nachrichten über Pilgerstraßen Aufschluß geben. Denn die Pilger sind
keine anderen Wege gezogen als die Krämer und Kaufleute, und die
großen Pilgerstraßen, die an Bischofs- und Klosterkirchen vorbeiführten,
sind zugleich die großen Handelsstraßen.
Gerade für das 12. Jahrhundert besitzen wir eine allerdings wenig
bekannte Aufzeichnung, die für unser Gebiet in Betracht kommt und des
Verfs. etwas unsichere Ausführungen über die nordsüdlichen Wege des
west- und ostfälischen Handels (S. 125, 270 u. ö.) zu vervollständigen
und insbesondere seine Ansicht (S. 129), die kommerziellen Beziehungen
Westfalens hätten nicht „in südlicher, südöstlicher und südwestlicher
Richtung“ geführt, sondern „am Rhein, namentlich in Duisburg und
Köln, eine nahe Grenze gefunden“, zu berichtigen geeignet ist. Das ist `
die von E. Chr. Werlauff in einem Kopenhagener Universitäts-
programm vom Jahre 1821 (,Symbolae ad geographiam medii aevi ex
monumentis Islandieis‘‘) als „Summa Geographiae medii aevi ad mentem
Islandorum, cui accedit itinerarium ad Romam et terram sanctam suscep-
tum“ herausgegebene Reisebeschreibung eines isländischen
Abtes Nikolaus, jedenfalls von Thingör, der 1154 von einer Pilger-
fahrt nach Rom in die Heimat zurückkehrte und 1159 gestorben ist.
In diesem in altnordischer Sprache geschriebenen Werkchen werden für
die Reise von Norwegen nach Mainz (und weiter nach Rom) zwei
Hauptrouten angegeben: eine über Dänemark, eine über die Nieder-
lande. Die dänische Route verläuft zunächst von Aalborg nach Viborg
(2 Tage), „Heidab&ar‘‘ (Heidiba, Hedeby, Heidebam: Ad. Gesta
Hammab., MG. SS. 7, 304 und 318) ‚in der Nachbarschaft von Schles-
wig“ (1 Woche), an die Eider, wo „Dänen und Holsteiner, Sachsen und
Wenden aneinander stoßen“ (1 Tag), über „Heitsinnabæ“ (Itzehoe) in
Holstein (1 Tag) und die Elbe nach Stade. Hier teilt sie sich. Der
eine (längere) Weg führt über Verden nach Nienburg (2 Tage), Minden,
Paderborn (2 Tage) über ein „porp er Horus heitir, annat heitir.
Kiliandr, ok par er Gnitaheidr er Sigurdr va et Fabni“ (S. 16), also
über Horhusen (vgl. Bächtold, S.118ff., 149, 281) und ein südlich davon
gelegenes, nicht näher bestimmbares Dorf Kiliandr (Kaldern westl. Mar-
burg? Calantra: Dronke, Trad. Fuld. 6, 50 f.), nach Mainz (4 Tage).
„Der andere führt durch das östliche Sachsen“ nach, Harsefeld, „Valfo-
borgar“ (Walsrode ?), „Hanabruinborgar‘“ (Hannover ?), Hildesheim, Gan-
dersheim, Fritzlar, „Arinsborgar“ (wohl Kl. Arnsburg in der Wetterau)
nach Mainz; „das ist der kürzere Weg“. Und nun heißt es: „pessar II
piodleidir fara Nordmenn ok kemr saman leidin i Meginzoborg ef pessar
ero farnar ok er bat flestra manna för“ (S. 16): „Auf diesen beiden
Wegen, die sich in Mainz wieder vereinigen, pflegen die nordischen
Pilger, und mit ihnen viele andere, zu fahren.“ Die niederländische
Route ist einfacher zu beschreiben: sie führt entweder über Deventer (vgl.
Bächtold, S. 26, 50, 58, 297) oder über Utrecht (Bächtold, S. 50 ff.,
Literatur. 671
264ff. u. ö.) nach Köln (6 Tage) und weiter ebenfalls nach Mainz
(6 Tage) (S. 17£.).
Die Beobachtung über Beziehungen zwischen Pilger- und Handels-
straßen, zwischen den bevorzugten Stätten kirchlicher Devotion und
verkehrswirtschaftlichen Lebens wird auch zur Entscheidung der offenen
Frage (S. 135) beitragen können, ob Bischof Dietrich III. von Münster
im Jahre 1226 auf seiner Reise nach Lüttich die Lippe bei Lünen oder
bei Werne gekreuzt hat: für ersteres spricht, daß in seiner Nähe das
Kloster Kappenburg lag, in dem er Herberge genommen haben dürfte.
Schwieriger ist die vom Verf. auch nicht in seine Rechnung ein-
gestellte Frage zu beantworten, inwieweit etwa noch heute vorhan-
dene Bezeichnungen alter Straßenzüge zur Ermittelung des Wegenetzes
seiner Periode hätten herangezogen werden können. Aber auch da ver-
dient es doch Beachtung, daß von den beiden Landwegen des Abts
Nikolaus der westliche, von der unteren Weser durch Westfalen nach
Mainz führende, auf der Strecke zwischen Horhusen und Mainz Ver-
wandtschaft zeigt mit der sogenannten „Weinstraße“, die, noch heute am
westlichen Rande der Wetterau (Oberrosbach-Butzbach) herziehend, über
die Höhen westlich von Marburg verläuft und einstmals offenbar Mainz
mit deu sächsischen Bischofsstädten Paderborn, Minden, Verden und
Bremen verbunden hat. g
Ob die von Wiedenbrück über Bielefeld und Herford ziehende
Straße erst bei Minden (S. 130) und nicht vielmehr schon bei Vlotho
(Vlothou 1234, Kloster 1266) auf die Weser gestoßen ist, möchte wohl zu
erwägen sein. Auf diesen Ort zielte auch die Straße von Salzuflen— Lage
—Detmold her, sicher ein uralter Weg. Minden würde ich eher als
Brückenpunkt einer die Weser kreuzenden Westoststraße auffassen wie
Hameln und Höxter (S. 159). Bei den von diesen beiden Orten aus-
gehenden westöstlichen Straßen (Hameln—Koppenbrügge—Elze—Hildes-
heim und Höxter—Einbeck—Gandersheim— Goslar) vermißt man (S. 143)
die westlichen Anschlüsse (Bielefeld—Lemgo und Lippstadt—Pader-
born), die sicher auch damals schon vorhanden waren. Die östlichen
Fortsetzungen dieser Straßen (Hildesheim— Braunschweig und Goslar—
Halberstadt) nach Magdeburg sind nach der Meinung des Verfs. für
seine Periode „völlig in Dunkel“ gehüllt (S. 153, 156). Aber längst
vorhandene Marktorte (Uhrsleben 1051, Osterwieck 994), von Braun-
schweig und Halberstadt selbst abgesehen, sowie die 1197 erwähnte
„strata publica“ bei Schöningen (Knüll a. a. O. S. 183 N. 1) sichern
diese Strecke mehr als ausreichend.
Zu überschätzen scheint mir Verf. die Bedeutung von Goslar ais
Exportplatz für Harzkupfer (S. 147). Er bezieht jede Erwähnung von
Kupfer aus Ostsachsen und vom Harz auf den „Nordabhang‘“ dieses Ge-
birges (S. 210), während doch auch die mansfeldischen Bergwerke des
Ostabhanges Kupfer förderten; und sicher stammte von daher das
Kupfer, das auf den Schiffen altmärkischer Kaufleute (zuerst die Saale
und dann) die Elbe hinab verfrachtet wurde (S. 150, 158, 182, 210).
672 Literatur.
Seine Vermutung über den Zusammenhang und antikölnischen
Charakter der beiden Privilegien Friedrichs I. von 1164 und 1173 zu-
gunster der Flandrer hätte Verf. auch noch durch den $ 3 des letzt-
genannten Privilegs (Keutgen, Urkk. S. 51f.) über die neue Münze
verstärken können, die, zu Duisburg in Denaren, zu Aachen in Hälb-
lingen ausgebracht, immer um 1 Den. auf die Mark schwerer als die
kölnische sein und auch in Flandern Kurswert haben soll.
Leider fehlt dem Werk eine Wegekarte. Man vermißt sie um so
mehr, als das „Ortsregister“ (S. 311ff.) ganz unzulänglich ist. Ich
habe ohne Mühe mehr als zwei Dutzend geographische Namen eintragen
können, die darin fehlen, darunter sogar Coblenz, dessen Zollrolle v. J.
1104 so überaus häufig erwähnt wird. Auch für die verzeichneten
Namen sind die Verweisstellen nicht vollständig. Ebenso läßt das sonst
dankenswerte „Warenregister“ (S. 314) an Genauigkeit zu wünschen
übrig.
Literatur. 673
Vv
Von der Diskontpolitik zur Herrschaft
über den Geldmarkt.
Von Sven Helander.
In einer Neubildungsperiode der bankpolitischen Lehrmeinungen
und Praktiken wie derjenigen, die wir heute erleben, würde man das
neuerschienene Werk Plenges!) schon wegen seiner Problemstellung
willkommen heißen müssen. Um so mehr zu begrüßen ist, wenn dieses
Problem im Geiste des stolzen Mottos: „Max und Hegel!“ in die groß-
artigste Perspektive hineingeordnet wird und eine Lösung versucht wird,
bei der auch die sicher nicht ausbleibenden Gegner den Scharfsinn an-
erkennen, vielleicht sogar den Reiz der starken Persönlichkeit empfinden
werden, die eben alles in Frage stellen möchte.
Die Reichsbank hat sich bisher einer wohlwollenden Wissenschaft,
einer guten Presse erfreut, Plenge möchte die „Legende von der Reichs-
bank“ zerstören und die Reichsbank, die selbst an der übrigen Kredit-
verfassung Kritik geübt hat, einer bisher vernachlässigten Kritik unter-
ziehen: die Reichsbank hat mit ungenügenden Mitteln gearbeitet, sie
hat ihre eigenen Aufgaben in dieser neuen Epoche nicht verstanden,
ihre Reformvorschläge sind deshalb prinzipiell verfehlt.
Es sind vier große Entwicklungslinien, durch welche Plenge die
richtige Perspektive für die Beurteilung der Gegenwartsprobleme ge-
winnen will. In der Zirkulation, die Degradation des Hartgeldes
durch andere Zahlungsmittel und eine Konzentration der Metallbestände.
In der Kreditentwieklung die Vermehrung des privaten Kreditange-
bots, durch die die Zentralbank sich auf die Aufgabe der Geldverwaltung
zurückziehen kann. In seiner politischen Situation ist der Hoch-
kapitalismus eine Friedensgesellschaft, aber mit durchaus kriegerischer
Tradition, schließlich die organisatorische Zusammenfassung
aller Märkte durch die Kartelle und Trusts, was durch die neuere Ent-
wicklung „von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt“
auch auf den Geldmarkt ausgedehnt worden ist. Plenge befürchtet, daß
das angestrebte Bankenkartell auch seinen eigenen Willen zur Macht
bekommen könnte, und zwar im Gegensatz zur Reichsbank. — Plenge
will darum versuchen, im letzten Moment die Rettungsaktion noch zu
unterbrechen, die Spritze zurückreißen, die an falscher Stelle in Arbeit
getreten ist.
1) Johann Plenge, Vom der Diskontpolitik zur Herrschaft über den
Geldmarkt. Berlin (Springer) 1913. XXVI u. 431 SS. M. 12.—.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 43
674 Literatur.
Zunächst bestreitet Plenge das Recht der Reichsbank zu einer
solchen „Gesetzgebung unter der Hand“, die nur möglich geworden ist,
da die Sachkenntnis in dem allein zuständigen Parlament sehr gering
vertreten ist, wie es in der Demokratie mit Notwendigkeit geschieht,
wodurch die sachverständige Spezialverwaltung Aufgaben übernehmen
konnte, von denen im Bankgesetz nichts steht. Aber auch theoretisch.
wandelt die Reichsbank auf falschen Bahnen, wenn sie versucht, der un-
genügenden Liquidität der deutschen Volkswirtschaft und der bestehen-
den Kreditüberspannung der Banken durch eine gemeinsame Maßregel
abzuhelfen. Um diese zwei Probleme kombiniert zu lösen, müssen wegen
der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes Krediteinschränkungen in einem
für den Gang der Volkswirtschaft gefährlichen Umfange vorgenommen
werden, um so viel Bargeld zu gewinnen, daß eine Erhöhung der Liqui-
dität der Volkswirtschaft eintritt. Hierbei ist jedoch zu unterscheiden,
indem gegen Kreditüberspannung der Kunden Kreditmaßregeln, gegen
die Kassenüberlastung der Banken Kassenmaßregeln vorgenommen
werden.
Besonders die Reichsbank hat sich der Kassenüberlastung schuldig
gemacht, wie ihre immer schlechtere Liquidität zeigt, trotzdem heute
neue Kreditorgane entstanden sind, durch die die Reichsbank sich auf
die Geldverwaltung hätte spezialisieren können. Plenge hält einen
Kassenbestand der Reichsbank von 3 Milliarden für notwendig, dann
würdo die relative Goldsicherung (das Verhältnis des konzentrierten Gold-
schatzes zu dem Umfang des Wirtschaftslebens) ungefähr dieselbe wer-
den wie Mitte der 1890er Jahre und absolut betrachtet ebenso groß wie
die Goldbestände der Bank von Frankreich oder der russischen Staats-
bank. Das ist zu erreichen durch die Entgoldung des jetzt mit über-
flüssigen Golde versehenen Verkehrs, was am sichersten durch die kleine
Banknote zu erreichen ist. Hierdurch wird die von Plenge sonst in Aus-
sicht gestellte Krediteinschränkung der Reichsbank überflüssig und die
früheren Fehler gutgemacht. Aber diese große Reform des Geldwesens
darf nicht im kleinen vertan werden: nicht durch die schleichende Ent-
goldung des Verkehrs darf die Reichsbank sich über die Schwierigkeiten
des Augenblickes hinweghelfen, sondern nur als Mittel einer durch-
greifenden Verbesserung ihres Goldbestandes.
Von den „wirklichen und eingebildeten Gefahren außerhalb der
Reichsbank“ ist die vielbeklagte Quartalsanspannung eine im wesent-
lichen physiologische, nicht pathologische Erscheinung des Hoch-
kapitalismus, die außerdem stark abnehmen wird mit der Zunahme
des Gebrauches von bargeldersparenden Zahlmethoden. Auch der Bedarf
der Börse an Zählgeld wird angesichts seines hochgesteigerten Zirku-
lationsmechanismus von der Reichsbank überschätzt.
Der Gegensatz Zentralbank—Geldmarkt, den die Reichsbank jetzt
durch das Bankenkartell aufheben möchte, ist im Prinzip gesund, nur
augenblicklich reformbedürftig. Auch früher hat die Reichsbank keine
volle Herrschaft über den Geldmarkt gehabt, aber auch heute kann sie,
wenn es darauf ankommt, eine zielbewußte Diskontpolitik durchführen,
wenn sie nur will. Die dauernde Spannung Privatsatz—Banksatz ist
Literatur. 675
eine Frage der allgemeinen Kreditpolitik, nicht der Diskontpolitik, für
welche die vorübergehende Auseinanderbewegung ausschlaggebend ist.
Für diese empfiehlt Plenge als Gegenmaßregel die Rediskontierung des
Wechselportefeuilles der Reichsbank, von der Depositenpolitik verspricht
er sich keine Erfolge.
Die Unterscheidung Kassenüberlastung—Kreditüberspannung will
Plenge weiterdifferenzieren in eine physiologische und eine pathologische
Art. Das Einreservesystem ist im Zeitalter des Hochkapitalismus ebenso
physiologisch wie eine gewisse natürliche Kreditüberspannung. Die
gegen früher geringeren Kreditkatastrophen scheinen darauf hinzudeuten,
daß das Maß der Kreditübertreibung in Deutschland nicht besonders
gefährlich ist. Während der Expansion des Weltwirtschaftskörpers wer-
den alle Sparkapitalien so schnell verschluckt, daß eine Steife des An-
lagemarktes die notwendige Folge ist, welche als ganz physiologische
Erscheinung eine Heranziehung des kurzfristigen Kapitals für lang-
fristigo Zwecke bewirkt. Wenn gewisse pathologische Erscheinungen
dabei auch vorkommen mögen, so rechtfertigt das nicht eine volkswirt-
schaftliche Eisenbartkur, wie die Reichsbank sie herbeiführen will,
sondern nur eine größere Vorsicht in der Kreditgewährung.
Eine Entartung des Einreservesystems liegt erst dann vor, wenn
neben einer kleinen Zentralkasse kleine Kreditkassen bestehen, wie das
augenblicklich in Deutschland der Fall ist. Ebenso zweifelhaft wie
die Kreditüberspannung ist, ebenso sicher ist die Kassenüberlastung —
es ist also nicht eine oberflächliche Halbheit, nur Kassenmaßregeln zur
Heilung vorzuschlagen. Dabei soll eine Kassenerhöhung der Zentral-
bank vorangehen. Aber im Dienste der größeren unmittelbaren Wider-
standsfähigkeit des ganzen Kreditsystems wünscht Plenge auch eine
Erhöhung der Kassen der Kreditbanken, selbst auf die Gefahr hin, daß
die Diskontpolitik der Reichsbank durch das Selbständigwerden der
Kreditbanken erschwert werden könnte.
Wenn Deutschland seit 40 Jahren keine Panik gehabt hat, so muß
sich das Bankwesen trotzdem auf die Kraftprobe sogar eines schweren
Krieges schon in Friedenszeiten vorbereiten. Plenge will in erster Linie
die Stellung der Zentralbank in der finanziellen Mobilmachung und vor
allem ihre Kraft gegenüber der ersten Belastung des Geld- und Kredit-
systems durch den Krieg untersuchen. In dreierlei Gestalt tritt die
Kriegspanik auf: stürmischer Bedarf nach Kassenkapital, stürmischer
Bedarf nach Bargeld und eigentliche Panik. Die Hauptgefahr bildet
die Zurückziehung vieler vorher erteilter Kredite im Kriege, auch ab-
gesehen davon, daß vielfach Veränderungen an beiden Seiten des Bank-
status vorkommen mögen. Immerhin bleibt ein erheblicher Mehrbedarf
an Zahlungsmitteln, wobei nicht mehr die Friedensbedenken gegen eine
Inflation gelten, da diese Vermehrung der Zirkulationsmittel nur dem
vermehrten Bedarf entspricht, eine Einwirkung auf die Zahlungsbilanz
also nicht zu befürchten ist. Ein äußeres Goldagio ist also mit großer
Woabhrscheinlichkeit zu vermeiden. Die Dritteldeckung, das gesetzliche
Notenrecht, muß natürlich erheblich überschritten werden. Plenge führt
die neuen Begriffe „wirtschaftliche Notentoleranz‘ und ‚„Notenmaximum“
43*
676 Literatur.
ein für das Recht, bis zum 6- bzw. 9-fachen Betrag des Barbestandes Noten
auszugeben, dieses soll nur im Falle der äußersten Not angewandt wer-
den, jenes kann so gut wie sicher ohne wirtschaftliche Gefahr benutzt
werden. Schon der gegenwärtige Betrag der Reichsbankkasse (das Vor-
wort datiert vom Mai 1913) würde mit erheblicher Ueberschreitung der
Dritteldeckung ausreichen, mit der von Plenge vorgeschlagenen Drei-
milliardenkasse würde das Notenmaximum 27 Milliarden ausmachen.
Besonderen Wert legt Plenge auf die Einheitlichkeit der Umlaufsmittel,
er will deshalb die Reichskassenscheine abgeschafft wissen. Im Kriege
muß die Reichsbank sowohl Finanzwechsel diskontieren — alle Wechsel
tragen dann mehr oder weniger den Charakter von Finanzwechseln —
wie auch ausgiebigen Lombardkredit erteilen. Wenn aber die allgemeine
Panik da ist, muß zu einem Moratorium gegriffen werden, eventuell
auch im Interesse der Banken und Sparkassen, wobei rückzahlbare
Effekten, industrielle Bankkredite, Schecks auch in Frage kommen, da
im Interesse der Erhaltung der ganzen Produktionsverfassung und
Kreditorganisation die Interessen der Geldbesitzer zeitweilig geopfert
werden müssen. Ein derartig modernisiertes Moratorium kann als radi-
kales Mittel zur Bekämpfung der Kreditnot und zur Erhaltung der
Werte kaum entbehrt werden.
Nach allem ist die Reformaktion der Reichsbank ein Fehlgriff,
sie hat vieles erreichen wollen, unter anderem auch die Herrschaft über
den Geldmarkt. Ihre Aufgabe hat sich nach Plenge zu beschränken
auf die nationale Geldverwaltung und eine formale Kreditkontrolle,
damit hält sie sich in den Grenzen ihres natürlichen Wirkungskreises
und würde damit eine außerordentliche Verstärkung der nationalen
Kreditorganisation herbeiführen. Plenge empfiehlt als erste Staffel der
Reformaktion eine Wiederherstellung der Liquidität der deutschen Volks-
wirtschaft, als zweite eine Revision der Diskontpolitik der Reichsbank
und schließlich die Verlegung der nationalen Geldverwaltung zu der
Reichsbank, die Kreditverwaltung zu den anderen Banken. —
So sieht in seinen Hauptzügen das Plengesche Programm aus, unter
Fortlassung verschiedener, etwas unerfreulicher Nebenerscheinungen in
persönlicher Hinsicht.
Sachlich betrachtet, hat das Programm alle Vorzüge des selb-
ständigen, konsequent aufgebauten Systems — selbst seine Einseitigkeit
hat den Vorzug, nicht nur neue Gesichtspunkte zu bringen, sondern vor
allem von dieser bestimmten Seite aus zu entschiedener Vertiefung des
Problems beizutragen. Einige mögen in der Erkenntnis dieser Ein-
seitigkeit das Programm überhaupt ablehnen, andere, geblendet durch
die glänzende Darstellungsart des Verfassers, vielleicht etwas zu un-
kritisch ans Werk gehen. Beide dürften unrecht haben, auf jeden Fall
aber haben diejenigen unrecht, die mit einem Herumkritisieren an den
Details an Plenge herantreten wollen — nur gegen das Ganze kann die
Kritik eines so konsequenten Systems sich richten. In diesem Sinne
sollen hier einige Bemerkungen angeführt werden, wie von den Plenge-
schen Ergebnissen aus weiter vorzudringen wäre.
Literatur. 677
Um zunächst zu zeigen, wie von einer scheinbar sehr angreifbaren
Detailfrage der Weg weiter zur Plengeschen Grundauffassung führt, so
behauptet Plenge (S. 108, 196, 236 und 352), die Ableitung von
Diskontmaterial von der Reichsbank zu den Privatbanken würde deren
Mittel mehr in Anspruch nehmen, folglich eine Annäherung des Markt-
satzes an den Banksatz bewirken. Der sehr naheliegende Einwand
lautet: die einmalige Annäherung zugegeben, so werden neue Mittel den
Kreditbanken immer wieder zugeführt, folglich die von Plenge zuge-
gebene Tendenz (S. 194) einer vielleicht zunehmenden Spannung
zwischen den zwei Geldsätzen als Tendenz nicht geändert, die alten
Schwierigkeiten werden sich bald wieder einstellen. Nun ist aber das
letztere ein Problem der Kreditverfassung, das Plenge glaubt prinzipiell
der Zukunft überlassen zu können, um die mehr drängenden Fragen
der Geldverfassung in der Gegenwart zu lösen. Oder wie Plenge es
selbst einmal gelegentlich ausdrückt (S. 378/9): wenn das Herz (die
Geldverfassung) schwach ist, ist es die Hauptsache, dieses zu kurieren,
wenn man einwendet, daß der Patient im übrigen (die Kreditverfassung)
schwächlich und blutarm sei und bald sterben werde, so ist dies ein
späteres Problem. Aber auch diese Auffassung steht nicht aus einem
Zufall da, sondern ist wiederum verankert in den Entwicklungslinien
des gegenwärtigen Zeitalters, welche Plenge gezeichnet hat. Da heißt
es (S. 34): wir müssen die beiden einseitigen Standpunkte vereinigen,
sowohl die marktbeherrschende Organisation wie das ungeordnete Massen-
geschehen von Angebot und Nachfrage in der heutigen Wirtschafts-
periode berücksichtigen. Indem diese Auffassung, wobei in erster
Linie die zwei Extreme betont werden, in eigenartiger Weise vereinigt
wird mit einer anderen Entwicklungslinie, entsteht, soweit ich sehen
kann, die Einseitigkeit im Plengeschen System. Plenge konstatiert näm-
lich weiter (S. 21): „ein straff gegliedertes System von Banken, Spar-
kassen und Genossenschaften, die in riesenhaftem Umfang Kredit nehmen
und gewähren“ und (S. 22) „das System unserer Kreditvermittlung ist
so lückenlos entwickelt, seine Leistungsfähigkeit ist so ungeheuer ge-
steigert, man wirbt so intensiv um neue Gelder und saugt so kräftig
alle verfügbaren Mittel an, um sie auszuleihen, daß es nicht mehr zu
den wesentlichen Aufgaben der Zentralnotenbank gehören kann, der
Volkswirtschaft dauernd möglichst große Summen zur Verfügung zu
stellen ... Für die reichliche Kreditversorgung unserer Volkswirtschaft
sind viele Organe wetteifernd tätig, die ihre Leistungsfähigkeit auch
noch weiter steigern können, für die gute Geldverwaltung ist nur die
eine Zentralbank da.“ Indem hier der bloße, „riesenhafte Umfang“
schon mit als ein Beweis dafür gilt, daß „ein straff gegliedertes System“
da ist, und die bloße Reichlichkeit der Kreditversorgung schon zum Be-
weis der Systematik derselben genügt, so scheidet von den erstgenannten
beiden extremen Gesichtspunkten, die marktbeherrschende Organisation
und das ungeordnete Massengeschehen von Angebot und Nachfrage, der
erste bis zu einem gewissen Grade aus, und da die Zwischenstufen wenig
hervortreten, so bleibt das Schwergewicht bei der letzteren. Und außer-
dem aus dem Grunde, weil Plenge das Extrem, die marktbeherrschende
678 Literatur.
Organisation selbst (z. B. ein Bankenkartell), für vorläufig unmöglich
hält, darf dieses Problem, was zur Frage der Kreditorganisation weiter-
führen würde, ausscheiden. Auch alle Zwischenstufen bleiben zwar nicht
unerwähnt, aber das Schwergewicht tendiert nach dem ungeordneten
Massenangebot. „Die großen Gesamttatsachen des Kapitalbedarfes und
der Kapitalnachfrage sind nun einmal notwendig als Ganzes ungeplante
Massenprozesse mit immer wechselnder Gleichgewichtslage. Sie müssen
es sein, solange man den höchsten wirtschaftlichen Nutzeffekt von
der möglichsten Selbständigkeit der Einzelwirtschaft erwartet. Ihr freies
Aufeinandertreffen stellt die Marktlage fest... der freie Geldmarkt
funktioniert um so besser, je schneller und beweglicher“ usw. (183).
Aendert man hier etwas die Nüance, wird man in der Kon-
zentration im Bankwesen gerade eine beginnende Aufhebung des alten
individualistischen Prinzips der Volkswirtschaft sehen, durch das gegen-
seitige Sich-gebunden-fühlen sind die Teilnehmer am Geldmarkte nicht
mehr in dem alten atomistischen Sinne „frei“, zwar noch keine „ge-
ordnete Masse“, dafür aber allerdings auch nicht eine „ungeordnete
Masse“. Man wird dann eher den höchsten volkswirtschaftlichen
Nutzeffekt davon erwarten, daß diese überall beginnenden Organisations-
ansätze sich nicht unkontrolliert auf das Gesamtresultat geltend machen
können, da die Gefahr besteht, daß diese jetzt machtvolleren Teilorgani-
sationen nach miteinander nicht direkt harmonierenden Prinzipien
arbeiten werden. Damit wird nicht einer schematischen Aufhebung
jedes Individualismus das Wort geredet, was sicher auf alle die
Schwierigkeiten stoßen würde, die Plenge schildert, sondern nur ein
einheitliches Zusammenführen der vorhandenen Organisationsanfänge
befürwortet. Ebenso wie Plenge in der Privatwirtschaft gegen Gefahren
der Kreditüberspannung Kreditmaßregeln, gegen Gefahren der Kassen-
überlastung Kassenmaßregeln einführen will, wird man in der Volks-
wirtschaft gegen Gefahren der Kreditorganisation Kreditorganisations-
maßregeln empfehlen. Plenge kennt die Gefahren, die durch sein Pro-
gramm entstehen: ein Kreditwesen, dem das planmäßig organisierte In-
einanderfunktionieren der verschiedenen Teile fehlt, in dem noch, dazu
einige Teile so stark geworden sind, daß sie durch eigene Maßnahmen
unerwartet die Gesamtentwicklung bedeutend beeinflussen können,
braucht viel größere Sicherungen und so erlangt dann — auf Kosten des
Kreditproblems — das Währungsproblem eine so ungeheure Bedeutung
bei Plenge. Alle Fragen der Systematisierung des Kreditwesens: Regu-
lierung der Quartalanspannung, der Börsenspekulation usw. dürfen ver-
nachlässigt werden, wenn nur eine kolossale Geldveränderung vorge-
nommen wird. Wenn er bei der statistischen Erfassung der Vorgänge auf
dem Diskontmarkte nur den Anteil der Reichsbank am gesamten
deutschen Wechselumlauf untersuchen will, unter Vernachlässigung der
statistischen Berücksichtigung der Konzentrationsvorgänge (daß eine
solche Statistik technisch schwer durchzuführen ist, ist natürlich kein
Argument für eine sachliche Vernachlässigung), das Ganze ebenso gleich-
mäßig atomistisch für alle Perioden hervortreten läßt, wie schon oben be-
tont wurde — so verschwindet damit auch das Problem der Verände-
Literatur. 679
rungen in der volkswirtschaftlichen Kreditorganisation. Folgen dieser
Entwicklung werden mitunter erwähnt: S. 194 die vielleicht steigende
Spannung Marktsatz—Banksatz, aber die dagegen empfohlene Maßregel
der Rediskontierungspolitik ist keine gegen diese Tendenz gerichtete
Kreditreform, sie würde vielleicht in einzelnen schwierigen Situationen
eing wirksame Maßregel abgeben, die erwähnte Entwicklungstendenz
bleibt dabei logischerweise unberührt, die Reform der Kreditorganisation
vermieden. Ebenso wird die Ueberfütterung mit Kredit in gewissen
Industrien erwähnt (S. 209), die auch eine Folge der Konzentration
im Bankwesen ist — deren Reformierung der Zukunft überlassen wird.
Gegen andere nicht statische, sondern dynamische Probleme der
Kreditorganisation, wie tendenziell größere Auslandsverschuldung, ten-
denziell größere Kreditüberspannung und vor allem unregelmäßige, weil
unorganisierte Schwankungen von beiden (man denke z. B. an die
Folgen einer Kündigung der Kreditbeziehungen zwischen dem russi-
schen Finanzministerium und dem Hause Mendelsohn), will Plenge
jetzt nichts unternommen wissen, die Systematik des Kreditwesens mag
sein wie sie will, wenn nur die große Geldsicherung da ist, die unter
diesen Umständen allerdings immer dringender wird. Das macht auch
das Krisenproblem so ungeheuer viel schwieriger für Plenge, indem in
diesem unreformierten, nicht einheitlich organisierten Kreditwesen so
viele Kreditorgane versagen („der Geldmarkt tritt außer Funktion“,
S. 295) und von der Reichsbank ersetzt werden müssen, um so
dringender wird schließlich wiederum die Geldreform.
Man würde, nach dem äußeren Erfolg betrachtet, anführen können,
daß eine gänzliche Revolutionierung des Geldwesens ebenso schwierig
wie eine solche des Kreditwesens durchzuführen ist, und Plenge hat
wohl — nach inzwischen bekannt gewordenen, authentischen Urteilen —
die praktischen Schwierigkeiten der Veränderungen im Geldwesen unter-
schätzt. Nach dem praktischen Erfolg betrachtet, wird dann die gleich-
zeitige Reformierung des Geld- und Kreditwesens einer Revolutionierung
nur des Geldwesens vorzuziehen sein. Aber auch innerlich ist diese
Verknüpfung erheischt, wenn man nicht die Veränderungen des Geld-
wesens ins Ungeheure steigern will, weil man gegen — von Plenge sicher
nicht geleugnete — Gefahren der Kreditorganisation nicht mit Reformen
der Kreditorganisation vorgehen will. Gerade daß Plenge für seine
Schätzungen der nötigen Goldsicherung von „stillschweigenden Voraus-
setzungen‘“ ausgehen muß (S. 127), die losgelöst von Rücksichten auf
die heutige Kreditorganisation sind, und entweder die deutsche Kredit-
organisation von 1895 oder die französische bzw. russische von 1913
ganz direkt zugrunde legt, überzeugt wohl am besten, wie nahe eigent-
lich die Rücksichten auf die miteinander zusammenarbeitenden Geld-
und Kreditwesen sein müßten, wie jedes eigenartige Kreditsystem seine
eigenartige Goldsicherung braucht, folglich ein reformiertes Kreditsystem
wahrscheinlich nur eine Geldreform, nicht eine Geldrevolution notwendig
macht.
Auch wenn Plenge es dem Leser etwas weniger oft zweifelhaft ge-
macht hätte, ob die Grenzen der für eine wissenschaftliche Diskussion
680 Literatur.
üblichen Formen innegehalten sind, scheint mir nach dem Obigen auch
sachlich die Beurteilung der Reformaktion der Reichsbank doch wesent-
lich anders ausfallen zu müssen.
Aber die wissenschaftliche Hochschätzung eines Buches ist keines-
wegs davon abhängig, ob man seine praktischen Resultate akzeptiert,
nicht einmal davon, ob man seine Grundauffassung, wenigstens in ihrer
ganz eigenartigen Nüance, annimmt. Diese Unterschiede, die in der
Kritik eines selbst so kritischen Buches besonders hervortreten müssen,
sind durchaus vereinbar mit der Hochschätzung, ja, Bewunderung des
weitumspannenden Geistes, der diesem Buche einen ganz seltenen Wert
verleiht. Man hat es oft als einen Mangel unserer zahlreichen Bank-
literatur bedauert, daß sie meistens von Nur-Spezialisten geschrieben ist,
denen eo ipso die letzten Fragen auch des Spezialfaches verschlossen
bleiben müssen. Um so mehr steht hier das Plengesche Werk als eine
Glanzleistung da, in seinen großartigen Perspektiven und scharfsinnigen
Deduktionen eines der selbständigsten Werke der ganzen modernen Bank-
literatur. Es wäre darum verfehlt, auf neue Einzelergebnisse Plenges
hinzuweisen, nicht einmal aus dem jetzt besonders aktuell gewordenen
4. Teile „Krieg und Panik“; das Entscheidende ist vielmehr die
energische Einstellung der Bankpolitik unter allgemeine volkswirtschaft-
liche Ziele und ihre konsequente Durchführung bis in die Detailfragen.
Nachdrücklich wie noch keiner vor ihm hat Plenge gegen das Fehlen
dieser Zielsetzung polemisiert, sei es in Form von „Fatalismus in der
Bankpolitik‘“, von Situationspolitik, da, wo die großen Perspektiven ein-
zuführen wären, oder von privatwirtschaftlicher statt volkswirtschaftlicher
Zielsetzung.
Ein solches Werk besonders zu empfehlen, ist nicht nötig, es hat
seit seinem Erscheinen schon den Ruf erworben, ein Werk zu sein, womit
sich jedermann auseinandersetzen muß, der sich überhaupt mit modernen
Bankproblemen beschäftigen will.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 681
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Simkhovitch, Vladimir G., Marxism versus socialism. New
York 1913. XVI u. 298 SS. Geb. 1,50 $.
Derselbe, Marxismus gegen Sozialismus. Uebersetzt von Th.
Jappe. Jena 1913. Geh. 5 M.
„Der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus ist bankerott.“ ,Heut-
zutage ist in der ganzen Welt die sozialistische Bewegung in einem ge-
wissen Sinne nur ein Suchen nach einem neuen, möglichen Inhalt für
das alte Wort Sozialismus.“ Das sind die Ergebnisse, zu denen Verf.
in seinem anregend geschriebenen Buch gelangt.
Der deutschen wissenschaftlichen Welt ist das nichts Neues; aber
damit ist nicht gesagt, daß das Buch von Simkhovitch überflüssig wäre.
Denn es fehlte an einer handlichen, zusammenfassenden Darstellung, die
das Fazit der bisherigen Marxkritik zöge und geeignet wäre, das ge-
bildete Publikum damit vertraut zu machen. (Die Bücher von Diehl
und Brunhuber stellen sich andere Aufgaben.)
S. gibt übrigens nicht bloß die Ergebnisse fremder Forschungen,
sondern trägt auch neues Material herbei und macht sich durch Heran-
ziehung der ‚russischen und amerikanischen Literatur verdient. Ueber-
haupt sind die literarhistorischen Kapitel seiner Schrift die bemerkens-
wertesten, so die Untersuchung über die Vorgeschichte der Marxschen
Klassenkampftheorie, die allerdings für deutsche Leser auch nichts durch-
aus Neues bringt. Meine Untersuchungen über Lor. v. Stein und Muck-
les Arbeiten über St. Simon sind dem Verf. unbekannt geblieben, und
so kommt es, daß er gerade St. Simon nicht gerecht zu werden scheint,
dessen vielgelesene Schriften manche Uebereinstimmung in den sozial-
philosophischen Anschauungen vor Marx erklären dürften.
S. sieht den Kern des Marxismus in der materialistischen Ge-
schichtsauffassung und widmet ihrer Widerlegung den größten Teil seines
Buches, da er seltsamerweise von der Ansicht ausgeht, daß sie bisher von
der Kritik am wenigsten zu leiden gehabt hätte. Zuzugeben ist nur,
daß gerade nationalökonomische Untersuchungen der Lehre Marxens sich
mehr mit dessen volkswirtschaftlichen Theorien beschäftigt haben:
Sozialismus umfaßt eben ein weiteres Gebiet als die Volkswirtschaftslehre,
die ja nicht ohne weiteres Sozialphilosophie ist.
Im allgemeinen ist S. wenig zu entgegnen; nur hätte er vielleicht
mit Rücksicht auf die bereits vorhandene Literatur manche Länge be-
seitigen und namentlich der deutschen Uebersetzung einige Striche
angedeihen lassen können.
682 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die deutsche Ausgabe kann im Interesse des gebildeten Laien-
publikums, zu dem sie hoffentlich den Weg finden wird, willkommen ge-
heißen werden. Leider ist die Uebersetzung nicht ganz sorgfältig; neben
Stellen, in denen der Sinn des Originals verwischt ist, finden sich Angli-
zismen und andere Schönheitsfehler, sowie Abweichungen vom ursprüng-
lichen Text, die mir recht willkürlich scheinen.
Bei einem Vergleich der äußeren Ausstattung des in Amerika her-
gestellten englischen und des deutschen Buches läßt sich leider die Be-
merkung nicht unterdrücken, daß man in Amerika mehr Geschmack auf
den Druck und den Einband wissenschaftlicher Bücher verwendet als
bei uns. Das wäre doch unschwer zu ändern.
Halle a. S. Ernst Grünfeld.
Carver, Thomas-Nixon, Professor an der Harvard-Universität,
La répartition des richesses. Traduit par Roger Picard. Paris (M. Giard
& E. Briöre) 1912. Bibliothèque internationale d'économie politique.
240 SS.
Da das 1904 erschienene englische Original des Buches seinerzeit
in dieser Zeitschrift nicht besprochen wurde, dürfte es nicht unangebracht
sein, die Leser auf die französische Uebersetzung desselben hinzuweisen.
Es ist eine jener Arbeiten über die „Grundbegriffe der Volkswirtschafts-
lehre“, wie sie in Amerika in den beiden letzten Jahrzehnten von
mehreren Schriftstellern erfaßt wurden, während wir in Deutschland —
etwa abgesehen von Oswalts „Vorträgen über wirtschaftliche Grund-
begriffe“ — seit Dietzels „Theoretischer Sozialökonomik‘“, 1895, nichts
ähnliches mehr zu verzeichnen hatten. Von alters her steht dabei
in der englisch-amerikanisch-französischen Theorie das „Verteilungs-
problem“ im Vordergrunde, und Arbeiten mit dem obigen Titel sind in
der genannten Literatur zahlreich, während man bei uns bisher regel-
mäßig vom Wertbegriff auszugehen pflegte und die meisten Theo-
retiker, die sich damit beschäftigten, überhaupt nicht über ihn hinaus
zu den sogenannten Verteilungsproblemen gelangt sind.
Allerdings, auch Carver geht vom Wert aus, aber vom Tausch-
wert, und kommt damit, wie die ganze ausländische Wissenschaft, die
die Verteilungslehre in den Mittelpunkt der ökonomischen Theorie
stellt, den Forderungen neuerer Methodologen, M. Weber, A. Amonn
und anderer entgegen, die nur die Tausch vorgänge als Objekt der öko-
nomischen Wissenschaft betrachtet sehen wollen. Tauschwert ist nach
der alten von Carver übernommenen Definition = Tauschkraft, power in
exchange. Sie soll nur solchen Gütern anhaften, welche „Nützlichkeit be-
sitzen“ (S.9). Da aber ein Gut nur begehrt wird, wo es „so wenig gleich-
artige Güter gibt, daß das Bedürfnis danach nicht völlig gesättigt werden
kann“ (S. 14), so kommt zur Nützlichkeit noch die Seltenheit hinzu.
Aber Carver erkennt, daß er damit nur den „Wert“ im Sinne der deut-
schen subjektiven Wertlehre definiert hat, und kommt nun zum Tausch-
wert, indem er behauptet (S. 26): die Höhe des Wertes (Tausch wert)
hängt ab vom Grad des Bedürfnisses, das das Gut befriedigt, im Ver-
gleich zu den andern Gütern“ (müßte korrekt natürlich heißen:
im Vergleich zu dem Bedürfnis nach andern Gütern).
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 683
Hier liegt nun, um von allen sonstigen Einzelheiten abzusehen, der
erste Grundfehler dieser ganzen Auffassung und damit des ganzen
Buches. Indem Carver den „Wert“ so als eine bloße Beziehung
zwischer allen Bedürfnissen, allen erstrebten Nutzen auffaßt, beraubt
er sich jeder Möglichkeit, von diesem Begriff aus zur Erklärung der
tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu gelangen. Positiv ausgedrückt:
sein Fehler ist, daß bei seinem Wertbegriff die Kosten gar nicht berück-
sichtigt werden. Es ist logisch unmöglich, aus dem bloßen
Nutzen ohne Berücksichtigung der Kosten, nur durch Ver-
gleichung der verschiedenen Nutzen, sei es bei einem Men-
schen, sei es bei allen Menschen, einen Begriff des Wertes oder,
bei allen Menschen, des Tauschwertes festzustellen, der bei der
Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen irgendwelche Bedeutung
hat. Dieser Wertbegriff steht daher auch mit den folgenden Kapiteln, in
denen die verschiedenen Einkommensarten erörtert werden, eigentlich in
keinem Zusammenhang. Wie diese Wertauffassung mit dem Begriff
Tauschkraft zusammenhängt, bleibt dunkel und ebensowenig ergibt sich,
wie die Verteilungstheorie nun auf dem Begriff des Tauschwertes be-
ruht. Verf. erklärt ausdrücklich (S. 9), sich nur mit den Problemen des
Wertes, nicht aber mit denen des Preises beschäftigen zu wollen, und
daraus ergibt sich nach unserer Ansicht der zweite Grundfehler der
ganzen Schrift, den sie allerdings mit der ganzen bisherigen National-
ökonomie teilt: in technisch-quantitativer Auffassung wird die Nor:
teilung‘ aus den sogenannten Produktionsfaktoren auf Grund der
Zurechnungslehre entwickelt, statt zu erkennen, daß alle Einkommen
Preise sind oder aus solchen zusammengesetzt sind, und die Ein-
kommens- und Verteilungslöhne daher aus der Erklärung des Preises
heraus zu entwickeln. —
Auf den Inhalt der Schrift näher einzugehen ist mir innerhalb
des hier zur Verfügung stehenden Raumes nicht möglich. Es sei nur
betont, daß sie ihr Thema ganz auf Grundlage der heute herrschenden
Anschauungen behandelt. Nach dem Kapitel vom Wert werden „die
abnehmenden Erträge“ behandelt. Daran schließt sich ein Kapitel
über „die Formen des Reichtums und des Einkommen“ an,
und die folgenden Kapitel beschäftigen sich der Reihe nach mit dem
Lohn, dem Zins, der Rente und dem Gewinn (Profit).
Die Darstellung muß als außerordentlich geschickt bezeichnet wer-
den, manche Beispiele sind sehr glücklich gewählt; so kann unter anderem
das in dem Abschnitt über den Lohn vorkommende Beispiel von den
Leuten, die Holz fällen, und denen, die Nüsse suchen, sehr gut als
Mittel dienen, die Preisbildung daran zu erläutern — denn das wird
man doch allmählich erkennen müssen, daß die Einkommenslehre nicht
an einen irgendwie künstlich konstruierten Wertbegriff, sondern an die
Preislehre anknüpfen muß. Einem etwas kritisch veranlagten Leser
kann die Schrift reiche Anregungen zum weiteren Durchdenken der
wichtigsten ökonomischen Probleme bieten, und da wir in der deutschen
Literatur eigentlich keine ähnliche Arbeit besitzen, kann eine Ueber-
setzung auch ins Deutsche nur als erwünscht bezeichnet werden.
R. Liefmann.
684 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Mann, Fritz Karl, Der Marschall Vauban und die Volkswirt-
schaftslehre des Absolutismus. Eine Kritik des Merkantilsystems. Mün-
chen und Leipzig (Dunker u. Humblot) 1914. 12 M.
Man versteht leicht, daß eine Gestalt wie Vaubans in der Geschichte
der Nationalökonomie die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Nicht nur
unterschied sich seine Ausbildung weit von der der übrigen, uns hier
begegnenden Autoren, sondern hinzu kommt noch, daß er mit seinem
ökonomischen Hauptwerk auf eigentümliche Weise sein eigenes Schicksal
entscheider sollte, und daher ist über jenem ein gewisser tragischer
Glanz ausgebreitet. Es sind denn auch im letzten Menschenalter nicht
so ganz wenig Monographien über Vauban sowohl in Frankreich als auch
in Deutschland erschienen —, jungfräuliche Erde beackert Verf. des
vorliegenden Buches nicht. Und doch — um es gleich zu sagen — ist
es ihm gelungen, in manchen Punkten neues Licht über die Darstellung
von Vauban zu werfen, und man kann allgemein sagen, daß das erste
Buch, welches Vauban und seine Tätigkeit behandelt, ein im großen und
ganzen sicher richtiges Bild zeichnet. Natürlich kann man hier und da
Einwände machen. So sagt Verf. (S. 84), daß man in Vaubans
Schriften sehr wohl Aussprüche finden könne, die miteinander direkt in
Widerspruch stehen, daß sich aber dies aus der ganzen Arbeitsweise und
dem Stimmungsgehalt Vaubans recht gut erklären lasse. Der Leser wird
hierbei ein wenig skeptisch dem Verf. selbst gegenüber, der wenige
Seiten vorher Vaubans Auffassung von der Gesellschaft bespricht und
hier in wesentlichen Punkten von der früherer Schriftsteller abweicht.
Man kann auch bedauern, daß Verf. sich darauf beschränkt, die damaligen
französischen Steuerverhältnisse als Hintergrund des Dixme royale zu
untersuchen, aber auf die allgemeine Steuertheorie jener Zeit nicht näher
eingeht; dies hängt, wie nachher gezeigt werden soll, damit zusammen,
daß Verf. die Geschichte der Theorien vernachlässigt; er hat nicht er-
klärt, was Christian Wolff meint, wenn er in seiner Besprechung von
Dixme royale (Acta eruditorum, Mai 1708) sagt: Proponit igitur de
Vauban ... Regi suo tale onerum subditis imponendorum systema,
quod memoratae ceterisque naturae legibus ad amussim respondens...
Entschieden ungünstig wirkt das zweite Buch, das Vaubans Stellung
in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre behandelt. Es ist ja richtig,
daß die Individualität eines Autors nur dadurch lebendig gemacht
werden kann, daß man sie im Verhältnis zu dem in seiner Zeit
Typischen sieht, aber Verf. des vorliegenden Buches hat anderes und
mehr geben wollen als den Hintergrund für seinen Helden: er hat mit
Vauban als Grundlage seine besondere Auffassung vom Merkantilismus
darlegen wollen. Das ist ihm nicht gelungen; er beherrscht Vauban
und dessen Schriften, aber nicht den ganzen Merkantilismus und die
merkantilistische Literatur. Dies zeigt sich einmal über das andere.
Verf. geniert sich nicht davor, ein so unhistorisches Verfahren anzu-
wenden, daß er alle vor-physiokratischen Schriftsteller oder wenigstens
Schriftsteller, die mit mehr als 100 Jahren Zwischenraum gelebt haben,
zusammenmengt und nachweist, wie sie untereinander sich widersprechen,
um daraus zu schließen, daß sie keinen gemeinsamen Ausgangspunkt ge-
habt haben. Die vor-physiokratische oder richtiger die vor-Smithsche Lite-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 685
ratur besteht für den Verf. nur aus „Sammlungen von praktischen Be-
triebsvorschriften, um die Staatsmaschine zweckmäßig zu bedienen“. Man
merkt hierin die Auffassung des Merkantilismus, welche der Lehrer des
Verf., Gustav Schmoller, seinerzeit aufstellte und welche von dem deut-
schen Historismus adoptiert worden ist. Verf. wandelt getreulich in
dessen Fußspuren, wenn er das Wort „Merkantilismus“ am liebsten
durch „Staatsinterventionismus“ oder dgl. ersetzt sieht. Köstlich ist es,
zu sehen, wie Verf. diese beiden Wörter gegeneinander abwägt (S. 375
bis 376): er sagt hier: „Insoweit der Staat zugunsten des Handels inter-
veniert, wäre darum immerhin die Bezeichnung als Merkantilismus mög-
lich; insoweit er zugunsten anderer Berufsgruppen .... interveniert, läge
in ihr eine erhebliche Gewaltsamkeit.“ Es ist ganz richtig, daß der
Merkantilismus sich als Staatseingriff in das Wirtschaftsleben zeigte,
und der Historismus ist wohl damit zufrieden, dies festzustellen, weshalb
Verf. auch allen Ernstes vorschlagen kann, das Wort „Merkantilismus“
durch „Staatsinterventionismus‘“ zu ersetzen; aber man soll weiter gehen,
soll fragen, warum der Staat eingriff, welche wirtschaftliche Gesell-
schaftsauffassung diesen Staatseingriffen zugrunde lag, warum der Staat
anfangs seine Aufmerksamkeit mehr dem Handel und der Industrie, als
der Landwirtschaft zuwandte usw. Man kann überhaupt nicht mit Erfolg
Wirtschaftsgeschichte studieren, ohne gleichzeitig die Geschichte der
wirtschaftlichen Theorien zu studieren; das glaubte und glaubt — dem
vorliegenden Buche nach zu urteilen — der deutsche Historismus offenbar
immer noch; daher seine Einseitigkeit.
Ich habe schon an anderer Stelle Gelegenheit gehabt, das Fehler-
hafte in der Auffassung des Merkantilismus, zu deren Fürsprecher sich
Verf. somit macht, zu präzisieren. Es bestand trotz aller Verschieden-
heiten eine gemeinsame Grundlage, auf der die „merkantilistischen
Schriftsteller und der „Merkantilismus“ überhaupt standen, eine gemein-
same Auffassung von der Gesellschaftsentwicklung, und diese war auf
dem wirtschaftlichen Gebiet, daß die Geldwirtschaft in der Entwicklung
einen Schritt weiter als die Naturalwirtschaft bedeutete; denn während
diese der Familie angehört, bedeutet der Staat auf dem wirtschaftlichen
Gebiet die Entstehung der Geldwirtschaft und der Arbeitsteilung; daher
der einseitige Blick auf Handel und Industrie, deren Auftreten eine
Geldwirtschaft voraussetzt. Aus dieser Einsicht heraus verstehen wir
auch das Wort „Merkantilismus“ selber, und wie treffend es ist. Will
man in einem Worte das Charakteristische desselben hervorheben, so
wird man nicht, wie Schmoller „Staatenbildung‘“, oder wie Mann
„Staatsinterventionismus‘“ wählen müssen, sondern „Erwerbsbildung‘“ ;
aber dies zeigt auch, wie treffend das Wort „Merkantilismus“ in Wirk-
lichkeit ist.
Kopenhagen. Axel Nielsen.
Thorsch, Dr. Berth., Soziale Entwicklung und Umbildung der Volks-
wirtschaft. Dresden, Carl Reißner, 1914. 8. 107 SS. M. 2.—.
Labriola, Arturo, Rincaro e capitalismo. 2a edizione, con l’aggiunta di
un’appendice sui salari e prezzi. Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1914.
16. 9l pp. l. 1—.
686 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Valenti, Pas., La teoria del valore: appunti di critica. Roma, Athenaeum
(Catania, tip. Nazionale, Coniglione e Grasso), 1914. 8. 73 pp. l. 2.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung
im 18. Jahrhundert. Herausgegeben von der Kgl. Akademie der Wissen-
schaften. Berlin, Paul Parey. 8°.
1) Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung
Preußens im 18. Jahrhundert. V. Bd., 2. Hälfte: Akten vom 4. Januar
1736 bis 31. Mai 1740, bearb. von G. Schmoller und W. Stolze.
1912. 1072 SS.
2) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Getreidehandelspolitik.
III. Bd. Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung
Preußens 1740—1756. Darstellung und Getreidepreisstatistik von
W. Naudé und A. Skalweit. Akten bearb. von G. Schmoller,
W. Naudé und A. Skalweit. 1910. XVI, 716 SS.
3) — — — Münzwesen. II.—IV. Bd. Das Preußische Münzwesen im
18. Jahrhundert. Münzgeschichtlicher Teil. Darstellung von Fr. Frhr.
v. Schrötter. Akten bearb. von G. Schmoller und Fr. Frhr. v.
Schrötter. 1908. X, 611 SS. — 1910. X, 580 SS. — 1913. VIII,
645 SS.
4) — — — Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. I. Bd. Die Han-
dels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713. Dar-
stellung von H. Rachel. Mit einer Karte des mittleren Staatsgebiets.
1911. XIX, 922 SS.
Ueber die ‚Acta Borussica‘‘ habe ich in dieser Zeitschrift ausführ-
lich berichtet in den Bänden 87 (1906) S. 564ff. und 96 (1911)
S. 129 ff. Seitdem ist in der grundlegenden Abteilung „Behördenorgani-
sation und allgemeine Staatsverwaltung‘ mit dem vorliegenden Halbband
(V, 2) das Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. erreicht, in
der Spezialabteilung „Getreidehandelspolitik‘ die Periode Friedrichs d. Gr.
betreten worden; das großartige Werk Frhr. v. Schrötters über das
Münzwesen hat mit der Zeit von 1740—1806 in 3 weiteren Bänden
seinen Abschluß gefunden; neu in Angriff genommen endlich ist die
Darstellung der „Handels-, Zoll- und Akzisepolitik“, von der, aus der
Feder des hierfür an G. Schmollers Stelle getretenen H. Rachel, jetzt der
erste Band vorliegt.
1) Die im Bd. V, 2 der „Behördenorganisation‘ mitgeteilten
554 Nummern zeichnen sich im allgemeinen nicht durch Wichtigkeit aus.
Zum weitaus größten Teil enthalten sie Kleinigkeiten persönlicher und
sachlicher Art, Verfügungen teils zur Ergänzung und Befestigung der
bisher durchgeführten Verwaltungsreformen auf allen Gebieten, teils zur
Beseitigung und Schlichtung von Kompetenz- und Rangstreitigkeiten
unter Behörden und Beamten. Von allgemeinerer Bedeutung sind nur
die Akten über die Errichtung einer Kammer in Gumbinnen im Jahre
1736 (No. 81, 103, 113, 122 usw.), über die seit der Wusterhäuser
KO. vom 26. September 1737 (No. 181) greifbar hervortretende Justiz-
reform, die nun besser als bei Mylius Schritt für Schritt und bis ins
einzelne zu verfolgen ist (No. 182, 189, 194, 201, 210, 229, 237,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 687
453 usw.), endlich über eine Revision des Generaldirektoriums und der
einzelnen Kammern, die dem König im August und Septeinber 1738 zu
zahlreichen scharfen Monita (No. 321, 350 usw.) Anlaß gegeben hat.
Die Person Friedrich Wilhelms I. steht auch hier überall im Vordergrund.
Auf alles hält der alte Herr stramme Aufsicht. Er verbietet (No. 87,
1736) den kurmärkischen Kriegsräten bei Dienstreisen „in Kutschen oder
aber in großen Schwimmerwagens‘“ mit 8 Vorspannpferden zu fahren:
vielmehr sollen sie „auf kleinen leichten Jagdwagens, und zwar ohne
Verdeck, fahren, auch jedesmal nicht mehr als nur 4 Vorspannpferde be-
kommen“. Er sendet, um wenigstens auf diese Weise persönlich an-
wesend zu sein, den Kammern in Königsberg und Gumbinnen sein Por-
trät (No. 159, 1737). Er verlangt (No. 452, 1739), daß Beilagen
zu deu Berichten der Clevischen Kammer und der Geldrischen Kom-
mission nicht mehr in niederländischer Sprache eingereicht, sondern zuvor
ins Hochdeutsche übertragen werden sollen. Selbst um den Stoff des
Mantels und die Form des Halstuchs der Advokaten, für die er höchst-
eigenhändig eine Zeichnung (S. 397) entwirft, bekümmert er sich. Es
mag ihm eine besondere Genugtuung gewesen sein, als ihm des Mark-
grafen von Bayreuth Liebden 1738 einen Regierungsrat zusandte, der
sich in „dem bisherigen Finanz- und Wirtschaftswesen gründlich infor-
mieren“ sollte und der kurmärkischen Kammer zur Ausbildung über-
wiesen wurde (No. 249). Und in das Gebiet des Politischen fällt —
gleichsam ein Anzeichen kommender Dinge — am Ende seiner Re-
gierungszeit die Bestellung eines Agenten (Meyer) in Dresden mit
200 Rthlr. Jahresgehalt, „sowie ungefähr der Langschmidt zu Han-
nover“ (No. 519). Den Schluß dieses Bandes bilden (No. 553,
S. 948ff.) Auszüge aus den Berichten des Grafen von Manteuffel an
den Grafen von Brühl vom 11.—30. Mai 1740 (im Dresd. Hauptstaats-
archiv, Loc. 457, Vol. XXXa) über die letzten Lebenstage Friedrich
Wilhelms I.
2) In der Abteilung „Getreidehandelspolitik‘“, deren erste
beiden Bände 1896 und 1901 erschienen waren, führt der von W. Naudé
begonnene, nach seinem Tode von A. Skalweit, dem wir ein vortreff-
liches Werk über „Die ostpreußische Domänenverwaltung unter Friedrich
Wilhelm I. und das Retablissement Litauens“ (hrsg. 1906) verdanken,
hergestellte 3. Band in die Zeit Friedrichs d. Gr. ein. Er umfaßt nur
die ersten 17 Jahre seiner Regierung, vom Ausbruch des 1. bis zum
Ausbruch des 3. schlesischen Krieges, und legt den allmählichen Ausbau
des von Friedrich Wilhelm I. überkommenen Systems dar, das später
durch die Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges zu der mustergültigen
Ausbildung der Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung ge-
führt werden sollte. War des Vaters Getreideschutzzoll- und Magazin-
politik, wie seine Agrarpolitik überhaupt, lediglich enge Domänenpvolitik
des Kammerstaats gewesen, so erweiterte sie sich unter dem genialeren
Sohne zu einer, die gesamte Landbevölkerung überhaupt gleichmäßig
berücksichtigenden Wirtschaftspolitik mit neuen und hohen Zielen.
Charakteristisch dafür ist einmal die auf Abwehr des Getreidemangels
durch Hebung der heimischen Produktion gerichtete und durch zeit-
688 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
weilige Ein- bzw. Ausfuhrbeschränkungen unterstützte agrarische Schutz-
zollpolitik (S. 3ff., 59ff., 83£f.), die freilich zu einer Unterbindung
des Getreideausfuhrhandels sowohl in Magdeburg wie in Stettin und
den übrigen Ostseehäfen führte (S. 121ff.). Daneben steht als zweites
Merkmal die Erweiterung und Reorganisation des Kriegsmagazinwesens,
dessen Verwaltung dem 1746 neubegründeten 6. Departement des General-
direktoriums unterstellt wurde, dessen oberste Leitung sich jedoch der
König persönlich vorbehielt (S. 171ff.). Seine ebensowohl wirtschaft-
lich regulierende und sozial fördernde (S. 235 ff.) wie militärisch grund-
legende und politisch weitreichende Bedeutung hat sich wie dem Staats-
wesen in seiner Gesamtheit, so insbesondere auch der Hauptstadt fühlbar
gemacht, deren schnelles Aufblühen — ihre Bevölkerung vermehrte sich
von 1740—50 um etwa 40 Proz. — vornehmlich durch diese Magazin-
politik des Königs bedingt worden ist (S. 279 ff.). In 179 Nummern
begleitet eine aus überreichem Material zusammengestellte Auswahl von
Urkunden und Akten (S. 314—583) die eindringende Darstellung.
Eine ganz besonders wertvolle Beigabe des Bandes aber bilden (S. 587
bis 676) 13 Tabellen der Getreidepreise Brandenburg-Preußens von
1740—1756 (mit 3 Anlagen), die vornehmlich aus den regelmäßigen
Preisnotierungen der zum erstenmal hierfür herangezogenen amtlichen
Intelligenzblätter gewonnen worden sind.
3) Ein Werk, das methodisch wie stofflich seinesgleichen sucht,
ist in der Abteilung „Münzwesen‘“ mit den Bänden 2—4 zu Ende
geführt worden. Nur in kurzen Zügen kann hier das Wesentliche aus
seinem reichen Inhalt herausgehoben werden. War der erste Band (1904)
der Münzverwaltung von 1701—1740 gewidmet gewesen, so schildert
der zweite zunächst die für die ganze Münzgeschichte Preußens grund-
legende und im einzelnen bis dahin fast völlig unbekannte Periode von
1740—1755: die Einführung eines ganz neuen, einheitlichen Münz-
systems durch Friedrich d. Gr., des sogenannten Graumannschen Fußes.
Sie bedeutete nicht nur münzpolitisch die unter Friedrich Wilhelm I.
nur erst hinsichtlich der Goldprägung vollzogene völlige Emanzipation
des friderizianischen Preußen vom Reiche, sondern auch die Notwendig-
keit einer völligen Neugestaltung der Münzverwaltung. Daß hierbei
Fehler und Mängel mitunterliefen, ist begreiflich. Aber der darüber
erfolgte Bruch Friedrichs mit Graumann (1755) bedeutete noch nicht
auch sogleich den allgemeinen Abgang von seinem Münzfuß. Diesen
brachte vielmehr,. wie der dritte Band zeigt, erst die Münzverschlechte-
rung der Kriegszeit (1759) zuwege, deren mannigfaltige Prägungen (1755
bis 1765) insbesondere in Gestalt der sogenannten Ephraimiten (1759
bis 1765) das ganze Elend dieses Kriegsgeldes enthüllen. Die heißen
und zähen Bemühungen des Königs um eine Reorganisation des Münz-
wesens nach dem Kriege (1763—65) führten nach der Episode der
Ephraimiten zur Wiederaufnahme der Graumannschen Reformen ohne
deren Uebertreibungen und Fehler, wenngleich auch die Folgezeit noch
viel schweres Lehrgeld hat zahlen müssen. Davon berichtet der
4. Band, der bis 1806 führt und die absolut-merkantilistische Zeit
Friedrichs d. Gr. (1765—86) von der aufgeklärt-freihändlerischen seiner
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 689
Nachfolger unterscheidet. Der wunde Punkt lag hier vor allem in einer
zu umfangreichen Scheidemünzprägung (seit 1770), die immer wieder
ein trübes Licht auf die preußische Münzpolitik wirft (besonders be-
merkenswert sind die preußischen Prägungen unter russischem und fran-
zösischenı Stempel), und in Schwierigkeiten, die durch die Schwan-
kungen der Edelmetallpreise, die politischen Verhältnisse und anderes
herbeigeführt wurden. Trotzdem hat der Graumannsche Münzfuß sich
behauptet als die Grundlage des preußischen Münzwesens und weiter
unseres heutigen Reichsmünzfußes. In jedem auch dieser 3 Bände folgen
auf die Darstellung Akten und Tabellen.
4) Eine ganz neue Abteilung tritt mit der „Handels-, Zoll- und
Akzisepolitik‘“ auf den Plan. Schon gleich bei der Inangriffnahme
der Acta Borussica (1887/88) ins Auge gefaßt, soll sie als das zu-
sammenhaltende Band der übrigen wirtschaftspolitischen Teilpubli-
kationen in deren Mittelpunkt treten und die staatliche Handelspolitik
und ihre Durchführung durch Zoll und Akzise zur Anschauung bringen.
Schmoller selbst hatte sich ihre Bearbeitung vorbehalten, hat sie dann
aber mit seinen dafür gemachten Sammlungen doch in andere Hände
legen müssen. H. Rachel, bekannt durch eine Reihe handelsgeschicht-
licher Untersuchungen, legt nun hier den ersten Band vor, der, weit
zurückgreifend, im ersten Buch (S. 3ff.) die Anfänge landesherrlicher
Zoll- und Handelspolitik zunächst in der Mark Brandenburg vom
15. Jahrhundert bis 1640, dann im zweiten (S. 181ff.) in den branden-
burgischen Territorien von 1640—1713 (mittleres Staatsgebiet, Ost-
preußen, westfälische Lande) behandelt, um im dritten Buch (S. 501 ff.)
die Elemente und Anfänge gesamtstaatlicher Wirtschaftspolitik auf dem
Gebiet der Akzise, der Manufakturpolitik und der inneren und äußeren
Handespolitik darzulegen. Das urkundliche Material ist mit Rück-
sicht auf seinen gewaltigen Umfang bis auf 6 Aktenstücke (S. 813—836)
der Darstellung einverwoben worden. Den Abschluß des Bandes bilden
auch hier tabellarische Beilagen sowie eine Erläuterung von Münz- und
Maßbezeichnungen ; besonders verdienstvoll ist die Beigabe einer Straßen-
und Zollkarte des mittleren Staatsgebietes: wohl das erste Veranschau-
lichungsmittel dieser Art.
Halle. K. Heldmanın.
Frankfurter Amts- und Zunfturkunden bis zum Jahre
1612. Herausgegeben von Karl Bücher und Benno Schmidt. (Veröffent-
lichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt a.M.) 2 Bde.
Frankfurt a. M. (Joseph Baer u. Co.) 1914.
Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittel-
alter. (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königl.
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 30. Bd.) Leipzig (Teub-
ner) 1914. D
Seit der grundlegenden Publikation Karl Büchers über die Bevölke-
rung des mittelalterlichen Frankfurtes wissen wir, daß wohl in keiner
anderen deutschen Stadt jener Periode ein gleich verzweigtes Gewerbs-
leben, eine so weitgehende berufliche Differenzierung geherrscht hat.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 44
690 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schon damals, d. h. vor fast 30 Jahren, hat Bücher den Wunsch aus-
gesprochen, einen Teil des bedeutungsvollen gewerberechtlichen und -ge-
schichtlichen Materiales der breiteren Oeffentlichkeit zugänglich ge-
macht zu sehen. War es ihm nun auch nicht vergönnt, selbst jenem
Wunsche Erfüllung zu bringen, so legt uns doch jetzt sein Assistent
B. Schmidt zwei stattliche Bände Frankfurter Zunfturkunden vor, denen
sich ein dritter Band mit Urkunden zur Geschichte des „städtischen Be-
amten und Halbbeanıtentumes“ anschließen soll.
Die Bezeichnung Frankfurter Zunfturkunden rechtfertigt sich
insofern, als die Publikation auch eine längere Reihe von Verordnungen
des Rates, die sich mit der Regelung allgemeiner Handwerkerfragen
beschäftigen, weil sie Gesellenordnungen und weil sie schließlich Bundes-
briefe enthält, die über die Mauern der einzelnen Stadt hinausgreifend
gleichgeartete Gewerbe verbanden. Das Hauptkontingent der Urkunden
aber stellen die eigentlichen, d. h. vom Rate bestätigten Zunftordnungen.
Sollten daneben in Frankfurt wirklich alle jene halboffiziellen Zusätze
gefehlt haben, die vom Handwerk aus eigener Machtvollkommenheit
beschlossen wurden, um unter Umständen niemals oder doch immer nur
nach einer längeren Zeit gewohnheitsmäßiger Uebung bestätigt zu
werden? Ich glaube doch kaum. Ihre Aufnahme in eine Publikation,
die die Urkunden sämtlicher Zünfte einer großen Stadt sammelt, ist
gewiß recht schwierig. Aber man muß sich dann auch darüber klar
sein, daß ein tieferer Einblick in das Wachsen und Werden der Hand-
werkerstatuten und der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die
ihnen zugrunde liegen, nur bei Heranziehung dieser halboffiziellen Ur-
kunden gewonnen werden kann, daß eine Publikation der Zunft-
ordnungen allein immer nach gewissen Richtungen hin ein schiefes Bild
gewähren wird.
Dem Abdrucke der Urkunden hat der Herausgeber eine Einleitung
von 92 Seiten vorausgeschickt, in der er sich mit Rücksicht auf die
ältere Arbeit Büchers darauf beschränkt hat, die wichtigsten Seiten des
Zunftlebens unter dankenswerter Angabe reichlicher Belegstellen zu
streifen. Die Edition selbst ist, soweit ein Urteil ohne Vergleich mit
den Originaldokumenten möglich erscheint, gut. Es soll auch
dieser Beurteilung keinen Eintrag tun, wenn ich daran eine prinzipielle
Bemerkung knüpfe, die sich mir aus eigener jahrelanger Beschäftigung
mit Zunfturkunden ergeben hat. Die rasche Benützbarkeit einer solchen
Quellenausgabe, namentlich zum Zwecke vergleichender Studien, würde
außerordentlich gewinnen, wenn einmal dem Register eine kurze Zu-
sammenstellung der wichtigsten Münz-, Maß- und Gewichtsverhältnisse,
mit denen wir es in den Urkunden zu tun haben, vorangestellt würde.
Des weiteren möchte ich einer stärkeren Ausbildung des Registers zum
Glossar hin das Wort reden. Registerstellen wie „Riet, am Webstuhl...‘“,
„Rohr, am Webstuhl . . .“, „Klude, Gewicht beim Wollhandel . . .“ sagen
den meisten Benutzern gar nichts. Ich kenne selbst die Schwierigkeiten,
die sich der Aufhellung mittelalterlicher Termini technici entgegen-
stellen, sehr wohl, aber diese Schwierigkeiten sind für den Heraus-
geber einer Urkundenpublikation viel geringer, wie für den Benutzer.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 691
Der Herausgeber hat doch, von unrühmlichen Ausnahmefällen abge-
sehen, die Urkunden nicht bloß mechanisch abgeschrieben, sondern sie
auch ihrem Inhalte nach sorgfältig durchgegangen. Er hat sich in
den durch den landschaftlichen Dialekt regelmäßig stark beeinflußten
Wortschatz seiner Urkunden eingelebt, er kennt die Parallelstellen, durch
deren Kombination häufig erst die Aufhellung des Wortsinnes möglich
gemacht ist. So wird ihm das zu einer vergleichsweise leichten Neben-
beschäftigung, was jedem Benutzer immer wieder die Notwendigkeit
eines selbständigen und zeitraubenden Studiums auferlegt.
Nun ist ja allerdings für unsern speziellen Fall dieser Wunsch zum
Teil durch die obengenannte Publikation Büchers erfüllt worden, die
fast gleichzeitig mit dem Quellenwerke erschienen ist. Bücher legt uns
darin nach einer bestimmten Richtung die Frucht seiner jahrzehnte-
langen Beschäftigung mit dem Frankfurter Archive vor. Er gibt uns,
in der Form eines Wörterbuches gefaßt, ein Verzeichnis aller Berufs-
bezeichnungen — es sind deren gegen 1500 — die sich hier bis zum
Jahre 1510 vorfanden. Unter den ausgebeuteten Urkunden nehmen die
Gewerbeurkunden fast den geringsten Platz ein. Hier marschieren wieder
die Bede und Gerichtsbücher, die Ratsmemoriale, Bürger- und Rechnungs-
bücher auf, deren Benützung schon die älteren Arbeiten Büchers jenen
erstaunlichen Stoffreichttum zu verdanken hatten. Auch jetzt steht
man wieder gebannt vor der Fülle exzerpierender, sichtender und Stoff
gestaltender Arbeit, die uns hier in einem sehr unscheinbaren Gewande
entgegentritt. Aber ihr Gewinn ist dafür auch groß und vielseitig. Ich
sehe ganz von der Befruchtung der Sprachforschung ab, so bedeutsam
sie auch sein mag, denn fast unerschöpflich ist schon die Einsicht, die
uns die einzelnen Namensfeststellungen, oft bis zum Range kleiner mono-
graphischer Artikel erhoben, in die wirtschaftlichen, sozialen und tech-
nologischen Verhältnisse jener Periode gewähren. Aus der äußerlich so
trockenen Aneinanderreihung der Belegstellen gewinnen wir Nachrichten
über die Zeit, in der die einzelnen Berufe auftreten, ihren Höhepunkt
erreichen, verschwinden bzw. durch andere, die mit einer neuen Technik
oder mit der Veränderung der wirtschaftlichen Unterlagen emporkommen,
abgelöst werden. So baut sich aus den kleinen und kleinsten Mosaik-
steinen ein Bild der mittelalterlichen Sozial- und Wirtschaftsverfassung
auf, das von der bisherigen Anschauung doch in wesentlichen Punkten
abweicht. Bücher hat schon früher auf die sachliche und zahlenmäßige
Bedeutung des städtischen Beamten- und Halbbeamtentumes jener Zeit
hingewiesen, ohne damit, soweit ich sehe, die späteren Darstellungen
durchschlagend zu beeinflussen. Jetzt sprechen allein die Hunderte von
Namen dieser Bevölkerungsgruppe eine zu lebhafte Sprache, als daß man
an jerer Konstatierung künftig vorübergehen könnte. So bildet das
Berufsverzeichnis zugleich eine verheißungsvolle Ueberleitung zu dem an-
gekündigten dritten Bande der Urkundensammlung, der uns ja, wie schon
erwähnt, die wichtigsten Urkunden über diese Institutionen vorführen soll.
NB. Könnte das nur unsicher erklärte Wort „gyseler“ nicht iden-
tisch sein mit Geißler, das mir in Urkunden aus dem 16. Jahrhundert
in der Bedeutung von ambulantem Fleischer und Viehhändler vor-
44*
692 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gekommen ist, aber auch noch andere Schattierungen zu haben scheint.
So bildeten in Breslau diese Geißler neben den Fleischern eine be-
sondere Innung mit eigenen Fleischbänken. (Markgraf, Zeitschr. des
Ver. f. G. u. A. Schlesiens, 1884.)
Halle. Gustav Aubin.
Boerner, A., Kölner Tabakhandel und Tabakgewerbe. 1628 bis
1910. (Veröffentlichungen des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs
in Köln, Bd. 2.) Essen (Baedeker) 1912. XIII u. 249 SS. 2 Tab. 8°.
Geb. 6 M.
Der Wert des Boernerschen Buches liegt weniger in der Darstellung
der neueren, als vielmehr der älteren Zeiten des Kölner Tabakgewerbes
begründet. Das wird weniger vom Verf. als von seinem Stoff bewirkt,
da die Bedeutung Kölns innerhalb der deutschen Tabakindustrie von
der eines Platzes allerersten Ranges stark zusammengeschrumpft ist
und jetzt eigentlich mehr nur in der Herstellung von einigen Schnupf-,
Rauch- und Kautabaken besteht, neben denen die der Zigarren und gar
der Zigaretten noch unwesentlicher ist.
In der älteren Zeit dagegen bietet das Kölner Tabakgewerbe recht
beträchtliche und nach vielen Seiten hin interessante Tatsachen dar,
die Verf. ausführlich schildert und mit denen er uns einen wichtigen
Beitrag zur Entstehungsgeschichte der modernen deutschen Industrie
überhaupt bietet. Die Kölner Tabakfabrikation entstand auf der Grund-
lage des Kölner Handels, der bekanntlich zum Teil mit auf dem Stapel
fußte, der sowohl die von Holland kommenden überseeischen Waren
als auch den Tabak der Pfalz ans Ufer der Stadt nötigte und ferner,
nachdem ihr die Entwicklung des Tabakgenusses in der Stadt voraus-
gegangen war. Dieser begann nach dem Verf. unter dem Einflusse der
ausländischen Truppen des 30-jährigen Krieges und die vielleicht damit
zusammenhängende scheinbar erste Erwähnung gab ihm die Veranlassung
zu dem im Titel des Buches stehenden Anfangsdatum. Es ist jedoch nie
empfehlenswert, die Anfänge allgemeiner Zustände, wie sie auch hier
vorliegen, so bestimmt zu datieren, sondern es ist geratener, sie nur un-
gefähr festzulegen. Tatsächlich ist auch hier jemand gekommen und
hat dem: Verf. schleunigst in der Kölnischen Zeitung nachgewiesen,
daß in Köln bereits so um das Jahr 1600 Tabakspfeifen erwähnt
werden!
Die Arbeit Boerners — das Ergebnis eines fleißigen Studiums an
der Kölner Handelshochschule — trägt hier und da noch Merkmale, die
man meist bei Leistungen historisch-wissenschaftlicher Anfänger und
zumal, wenn sie aus Akten arbeiten, feststellen kann. Sie geht häufig
zu sehr in die Breite, ohne daß dadurch nebenher etwa bezeichnende
oder interessante kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Erscheinungen mit
zutage gefördert würden. (Das gleiche war übrigens auch schon bei
Bd. I der Veröffentlichungen des Archivs, K. Kumpmanns Rheinischer
Eisenbahn, der Fall!) Sie entbehrt auch häufig der tieferen entwick-
lungsgeschichtlichen Fundierung der Tatsachen des Themas, die aller-
dings hier nur demjenigen möglich ist, der sich des weiteren bei den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 693
verwickelten und vielgestaltigen Zusammenhängen des rheinischen und
kölnischen Wirtschaftslebens eingebürgert hat.
So verknüpft sich der bedeutende Handel mit pfälzischen Tabaken
z. B. eng mit dem sehr alten großartigen Weinhandel der Kölner in der
Pfalz, und der Umstand, daß sich die Tabakindustrie in der Stadt rasch
bis zur Höhe von 500 Beschäftigten im 18. Jahrhundert empor-
schwingen konnte, erklärt sich mit den vielen dort brach liegenden
Menschenkräften, die ein Charakteristikum der sozialen Entwicklung der
großen Reichsstadt seit dem Ende des 16. Jahrhundert waren. Der Rat
ließ ausdrücklich aus sozialpolitischen Gründen die neue Tabakindustrie
von zünftlerischem Zwange frei, um den unteren Volksschichten Be-
schäftigung und Nahrung zu verschaffen.
Von der Kölner Tabakindustrie sind ferner Anregungen auf andere
rheinische Gegenden und Gewerbe ausgegangen. Sie hat eine Tochter-
industrie in der rechtsrheinischen Nachbarschaft der Stadt, besonders in
Mülheim, hervorgerufen, ein Seitenstück zu der von Köln nach dort aus-
gewanderten Seidenindustrie. Sie rief in den Töpferdörfern der west-
lichen Nachbarschaft eine bedeutende Pfeifen- und Pfeifenkopfindustrie
ins Leben, in Köln und den Bleidörfern der Eifel die Herstellung von
bleiernen Tabaksdosen, und im Bergischen Lande die von starken
Tabakspapieren. In Köln entstand ein besonderes Pfeifenschlauch-
gewerbe, das sich auch im Wuppertal ansiedelte. Wenn es sich hier
teilweise auch nur um relativ kleinere volkswirtschaftliche Erschei-
nungen handelt, so ist es doch immerhin instruktiv, den ganzen Bereich
eines Industriezweiges bloßzulegen.
Das alles ist aber kein Hindernis, daß man das junge, aufblühende
rheinisch-westfälische Wirtschaftsarchiv zu seinem Bestreben, nicht nur
zu sammeln, sondern auch zu verarbeiten, bei diesem Buche nur be-
glückwünschen kann.
Köln. Kuske.
Frahne, Dr. Carl, Das Wirtschaftsleben Schwedens. Ein Ueberblick auf
statistischer Grundlage, unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-schwe-
dischen Wirtschaftsbeziehungen. Diss. Berlin, Emil Ebering, 1914. gr. 8. 166 SS.
mit 1 Kartenskizze. M. 4.—.
Sander, Aug., Osnabrück und das Wirtschaftsgebiet der Ems. (Soziale
Studienfahrten. Hrsg. vom Sekretariat sozialer Studentenarbeit, 11. Bd.) M.-Glad-
bach, Volksvereins-Verlag, 1914. 16. 173 SS. mit Abbildungen. M. 1.—.
Bahi, Ricc., D'Italia economica nell’anno 1913: annuario della vita
commerciale, industriale, agraria, bancaria, finanziaria e della politica economica.
Anno quinto. Città di Castello, casa ed. S. Lapi, 1914. 8. XV—313 pp. 1. 4.—.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Fornasari Di Verce, Ett., Demologia generale: introduzione allo studio
della scienza della popolazione. Lucca, tip. Landi, 1913. 8. 96 pp.
Montesarchio, Alf., Emigrazione e analfabetismo. Sulmona, tip. Sociale,
1914. 16. 55 pp.
Pagnone, Car., L’emigrazione, l'organizzazione e la condotta degli emi-
granti. Tirano, tip. Fiorentini e ©., 1914. 16. 40 pp.
Spada, Fr., La colonizzazione della Libia. Bologna, N. Zanichelli, 1914.
16. 110 pp. 1. 1,50.
694 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Benetsch (Ober-Ing.), Dr. A., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der
Torfmoore und Wasserkräfte, unter besonderer Berücksichtigung der Luftstickstoff-
frage. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8. V—229 SS. mit 10 Abbildungen
(auf 5 Tafeln), 2 weiteren Tafeln, 17 Fig. und 35 (eingedr.) Tab. M. 5,50.
Dern, Aug., Weinbau und Weinbehandlung. (Thaer-Bibliothek, Bd. 87.)
Berliu, Paul Parey, 1914. 8. VIl—146 SS. mit 69 Abbildungen. M. 2,50.
Seelhorst (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. Conr. v., Handbuch der Moor-
kultur. 2. gänzlich neubearb. Auflage von „Acker- und Wiesenbau auf Moor-
boden“. Berlin, Paul Parey, 1914. 8. VIII—336 SS. mit 33 Abbildungen und
4 Tafeln. M. 9.—.
Winckel, Dr. Max, Krieg und Volksernährung. München, Carl Gerber,
1914. gr. 8. 28 SS. M. 0,80.
Siotto (avv.) Pelopida, Agricoltura e credito agrario In Sardegna.
Sassari, tip. della Livertä, 1914. 8. 23 pp.
5. Gewerbe und Industrie.
Bock, Otto, Die Ziegelei als landwirtschaftliches und selbständiges Ge-
werbe. 4. neubearb. Auflage, hrsg. von (Ziegelei-Ingen.) A. Nawrath (Thaer-
Bibliothek, Bd. 7). Berlin, Paul Parey, 1914. 8. 1V—147 SS. mit 118 Abbildungen.
M. 2,50.
Hoemer, Hans, Die Baumwollspinnerei in Schlesien bis zum preußischen
Zollgesetz von 1818. (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte.
Bd. 19.) Breslau, Ferdinand Hirt, 1914. 8. VI—83 SS. M. 2,25.
6. Handel und Verkehr.
Hennig, Richard, Die Hauptwege des Weltverkehrs. Jena
(Gustav Fischer) 1913. 301 SS.
Die Arbeit von Hennig schließt sich an seine früheren Veröffent-
lichungen unmittelbar an, zum Teil in so hohem Grade, daß längere
inhaltliche Wiederholungen vorliegen. Sie ist der Vereinigung für staats-
wissenschaftliche Fortbildung zu Berlin gewidmet, sie ist aber nicht,
was sich aus dem Vorwort folgern ließe, auf Veranlassung der Ver-
einigung in den Druck gegeben worden. Die Darstellung der Hauptwege
des Weltverkehrs, die Verf. in dem vorliegenden Buch geben will, gliedert
sich in „die Hauptwege des Seeverkehrs und die Seekanäle‘, „die Haupt-
wege der Binnenschiffahrt‘‘ und „die Hauptwege des Landverkehrs‘“.
Die Unterteilung in den Abschnitten erfolgt nach dem äußer-
lichen Merkmal der örtlichen Gegebenheit jedes Verkehrsweges. Die
geographische Betrachtungsweise ist vorherrschend, wie sie auch ent-
scheidend ist für die Berücksichtigung (ef. S. 54, Anm. 1; S. 143). Was
Hennig an Einzelheiten bringt, ist unter diesem Gesichtswinkel gesehen
regelmäßig richtig erfaßt und gut wiedergegeben; kleine Unstimmig-
keiten kommen indessen vor. Würde Verf. sich streng auf die Orientie-
rung der geographischen Probleme beschränken, so wäre kein Anlaß
gegeben, genauer auf den Inhalt, die Darstellung und die Methode ein-
zugehen, indem man es den Verkehrsgeographen überlassen könnte, sich
mit dem Buch abzufinden.
Verf. will jedoch mehr. Die Abhandlung soll einer noch zu
schaffenden „Wissenschaft vom Weltverkehr“ dienen. Die neue
Wissenschaft, für welche die alte, schlechthin „Verkehrswesen“ genannte
Disziplin naturgemäß nicht mehr genügt, müsse zusammengesetzt sein
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 695
aus „sehr verschiedenen Elementen mehrerer anderer Wissenschaften“.
Dazu hat sich der Autor bemüht, „geographische, wirtschaftliche, tech-
nische, historische, historische, politische und auch militärische Gesichts-
punkte in gleicher Weise zu berücksichtigen“ (S. V). Den Zweck der
wahllosen Vermengung vermag man schwer einzusehen und er wird selbst
nach der Lektüre wenig klarer erkennbar. Zudem wird man fragen
müssen: was sind Gesichtspunkte ? Beispielsweise in der Statistik. Viel-
leicht die gelegentliche Beibringung einiger Zahlen oder Zahlenreihen ?
Jene sind die positiven Elemente der Weltverkehrswissenschaft. Was sie
nicht zu bringen hat, was mithin „Aufgabe der Spezialwissenschaften“
bleibt, wird dann mitgeteilt. „Das juristische, verwaltungstechnische und
tarifarische Moment‘ sei „hingegen auszuschalten“ (S. V). Die Ab-
trennung der beiden ersten „Momente“ läßt sich vielleicht begründen.
Daß aber die Tarifpolitik in der neuen Disziplin unberücksichtigt bleiben
soll, ist kaum glaublich. Nach bisherigen Erfahrungen sind sämtliche
Verkehrswege gebaut worden, damit sie benutzt werden; daß für den
Umfang der Ausnutzung die Festsetzung der Tarife ausschlaggebende
Bedeutung hätte, war bisher gleichfalls allgemeine Erfahrungstatsache.
Schaltet man das Tarifwesen aus, so hat man es mit einer bloßen Auf-
zählung der einzelnen Kanäle und Bahnlinien, ihrer Länge und Bau-
geschichte und allenfalls noch ihrer geographischen Umgebung zu tun.
Das ist denn auch schließlich das, was Hennig in seinem Buche bringt.
Die schärfsto Kritik hat er selbst geschrieben, er habe sich bemüht, „ein
Werk zu liefern, das jedem Beruf etwas bietet“ (S. V). Damit könnte
man die Veröffentlichung auf sich beruhen lassen. Aber Verf. schmeichelt
sich (am Schluß des Vorworts), einige Bausteine zu dem neuen Gebäude
geliefert zu haben.
Inwiefern hat die Arbeit der noch zu schaffenden Wissenschaft die
Wege geebnet? Im Abschnitt über die Hauptwege des Seeverkehrs und
die Seekanäle wird im wesentlichen nichts anderes als die Geschichte und
der Bau der Seekanäle erzählt. Sehr ausführlich gelangen die Wege der
Binnenschiffahrt zur Darstellung. Dies wird damit begründet, daß die
größten Zuträger des überseeischen Güterverkehrs aus dem Inlande
„allenthalben, wo nicht die natürlichen Verhältnisse es von selbst ver-
bieten, die Wasserstraßen“ (S. 54) sind. In Deutschland habe sich in
10 Jahren die Zahl der Tonnenkilometer auf den Binnenwasserstraßen
prozentual ungleich schneller vermehrt als die Zahl der Eisenbahntonnen-
kilometer. Verf. geht allerdings auf die Zusammensetzung des Fracht-
gutes mit keinem Worte ein. Immerhin ist die Einordnung der Binnen-
schiffahrtswege in die Weltverkehrswissenschaft gelungen; und nun wird
jeder kleine und kleinste Kanal besprochen. Wer dächte z. B. an den
Plauer- oder den Stecknitzkanal als Hauptweg des Weltverkehrs. In-
direkt haben sie natürlich auf internationale Wirtschaftsbeziehungen in
beschränktem Umfange gewirkt. Aber will man den Rahmen so weit
spannen, dann könnte jeder schiffbare Graben zu einem Weltverkehrsweg
werden, denn schließlich ist der Güteraustausch über die Erde derart
intensiv verflochten, daß sich auch eine solche Einordnung mit einigem
guten Willen begründen läßt. Dasselbe gilt von der Auswahl’ der
696 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Eisenbahnen, die unter dem Titel: Hauptwege des Landverkehrs abge-
handelt werden. Einerseits werden die Anschlußbahnen Griechenlands
und des Balkan, über welche die belanglosesten Einzelheiten mitgeteilt
werden, die kolonialen Stichbahnen in Afrika usw. ausführlich geschil-
dert, während andererseits die großen pazifischen Eisenbahnsysteme der
Vereinigten Staaten und Kanadas mit wenigen Sätzen abgetan werden
und das britisch-indische Bahnsystem überhaupt nicht berücksichtigt
wird. „Dennoch ist, eben wegen der fehlenden Verbindung mit den
übrigen Bahnen des Erdteils, eigentlich keine einzige seiner Linien als
eine Weltverkehrsstraße großen Stiles zu bezeichnen“ (S. 230). Solcher
Widersprüche gibt es noch viele.
Sie alla erklären sich daraus, daß dem Verf., trotzdem er fast auf
jeder Seite von Weltwirtschaft und Weltverkehr spricht, das Verständnis
für eine wirtschaftswissenschaftliche Problemstellung, jede begrifflich
logische Schulung fehlt. Welches denn eigentlich die Wesensmerkmale
einer Weltverkehrslinie sind, wird nirgends gesagt. Lediglich an zwei
Stellen läßt sich das ahnen. Einmal bei der Ausscheidung der indischen
Bahnen (S. 230); es sei eine Verbindung mit den übrigen Bahnen des
Erdteils nötig.. Man fragt sich freilich, zu welchem Zweck die vielen
rein nationalen Bahnlinien und sogar Bahnsysteme in das Buch aufge-
nommen sind. Sodann bei der Besprechung der Ugandabahn (S. 255);
es sei eine Bahn, deren Wirkungsbereich erheblich über die Grenze
lokaler Bedeutung hinausgehe. Man stellt unwillkürlich die Frage:
was ist erheblich? Sind es 5000 t Beförderung oder 50000 t? Darüber
hinaus findet sich eine Begründung für die Aufnahme und mithin für
die Kennzeichnung als Hauptweg des Weltverkehrs nicht, es sei denn,
daß sie in Ausrufungszeichen zu suchen ist und in schmückenden Bei-
wörtern wie wichtig, hochwichtig, bedeutend, hochbedeutsam, hoch-
interessant, modern, die gelegentlich bis zu zwei- und dreimal auf einer
Seite sich häufen und noch durch die Charakterisierung als zweifellos
eine weitere Steigerung erfahren. Es wird niemand behaupten wollen,
daß auf solche Weise ein einwandfreies wissenschaftliches Einteilungs-
prinzip gewonnen wird.
Gehen wir auf die Durchführung im einzelnen ein. Die Quellen,
auf die Verf. sich stützt, sind vorwiegend Zeitschriftenaufsätze. Voran
stehen verkehrsgeographische und verkehrstechnische Abhandlungen und
in ganz ungewöhnlichem Maße Aufsätze seiner eigenen Zeitschrift. Die
wirtschaftswissenschaftliche Literatur hat sehr selten Erwähnung ge-
funden. Das, was in dieser Hinsicht z. B. angegeben wird für die
Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Kanada, ist äußerst
dürftig. Zudem sind die zitierten Stellen zum Teil sehr alt; z. B. wird
für den Stand der Binnenschiffahrt in Spanien und Portugal ein Bericht
aus dem Jahre 1890 genannt. Das reichsstatistische Jahrbuch wird in
einer Anmerkung herangezogen, im übrigen hat noch das australische
Jahrbuch und das westaustralische an je einer Stelle Dienste geleistet.
Es ist deshalb nicht unberechtigt, zu behaupten, daß das Urmaterial dem
Verf. unbekannt blieb. Sollten jedoch „wirtschaftliche und statistische
Gesichtspunkte“ die angekündigte Berücksichtigung finden, so war eıne
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 697
genaue Bekanntschaft gerade mit diesem Urmaterial unbedingte Voraus-
setzung.
Die Darstellung ist oft recht lebendig. An anderen Stellen sinkt
sie allerdings zu einer monotonen Aufzählung vieler Namen herab. Nicht
selten ist sie weitschweifig und zwar trotz der im Vorwort angekündigten
Selbstbeschränkung historisch weitschweifig. Wiederholungen finden sich
häufig (z. B. S. 180, 199/200, 225, 244, 262, 271). Dem Verf. ist es
nicht gegeben, streng im Rahmen der Gesamtdisposition zu bleiben!
Zu einem Teil führt ihn seine Freude an technischen Errungenschaften
auf Abwege. Es werden z. B. alle Rekorde mitgeteilt, ohne daß der
Zusammenhang mit dem Weltverkehr verständlich wird. Zum andern
Teile ist es seine Freude, Material zu haben zu einem Exkurs. Als
Beweise genügen die Betrachtungen über die Trustbestrebungen in Süd-
amerika (S. 272) und als ganz besonders charakteristisch, die im An-
schluß an das Jahrbuch des Norddeutschen Lloyd wiedergegebenen
Tabellen über die Zahl der Segler und Dainpfer, über die Größe der
einzelnen Schiffahrtsgesellschaften, über den Anteil der Flaggen usw.
(S. 46ff.), ferner die Erörterungen über die Bedeutung der Reichspost-
dampferlinien (S. 50). Alles dies berührt die Hauptwege des Welt-
verkehrs, wie sie Hennig versteht, nicht und sein Versuch der Be-
gründung (S. 52) macht das noch deutlicher. Wenn indessen jene Zahlen
gebracht werden, warum lediglich bei dem Seeverkehr, warum nicht bei
der Binnenschiffahrt und dem Eisenbahnverkehr ? Allerdings sind die
Angaben schwerer zu beschaffen, aber sie sind zu erlangen. Es kann
nicht als üblich bezeichnet werden, zufällig vorliegendes Material aus-
zubeuten.
Allo gerügten Mängel der Darstellung und des Aufbaues ver-
schwinden indessen noch vor den Mängeln der Schlußfolgerungen. Verf.
bezeichnet im Vorworte (S. VI) als „wichtigste Aufgabe der Verkehrs-
forschung‘, die er zu seinem Teil lösen will, die „Ergründung der
bisher noch sehr unvollkommen bekannten festen Gesetze, nach denen
jegliche Verkehrsabwicklung sich regelt (Harms ‚regelndes Prinzip‘).“
Hennig ist so bar der elementarsten wirtschaftswissenschaftlichen
Kenntnisse, daß er das „regelnde Prinzip“ mit dem Namen von Harms
(„Volkswirtschaft und Weltwirtschaft‘, III, 1) verknüpft und gar nicht
weiß, daß jenes „Prinzip“ zum eisernen Bestand der Lehrbücher gehört,
ganz abgesehen davon, daß über die Bedeutung, die Harms ihm zumißt,
und über die Schwierigkeit des Erkundens sich sehr streiten läßt. Dabei
vermag Verf. in der Harmsschen „Weltverkehrsgesellschaft“, deren
„regelndes Prinzip“ es zu erforschen gelten soll, nicht zu scheiden
zwischen Verkehr gleich Güteraustausch, worum es sich ausschließlich
handelt, und Verkehr gleich Verkehrswege und Verkehrsmittel. Von
nicht tieferer Einsicht zeugt die Aufstellung seiner Verkehrs,‚gesetze“.
Da sie überwiegend als verkehrsgeographische Gesetze (S. 1) bezeichnet
werden, darf die Beurteilung der Fachwissenschaft überlassen bleiben.
Zu ihrer Charakterisierung sei allein das „Grundgesetz“ in der Ausge-
staltung der Binnenschiffahrtsstraßen (S. 62) angeführt; es „lautet
dahin, den Landesteilen möglichst kurze und gute Verbindungen zum
698 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nächstgelegenen, gut brauchbarem See- oder Ozeanhafen zu bieten“. In
das Gebiet der Verkehrslehre fällt jedoch das „Gesetz des Seeverkehrs-
lebens“, zu dem Hennig am Schluß gelangt (S. 283): „Die Bedeutung
einer zwischen zwei getrennten Schiffahrts- und Kulturgebieten ver-
laufendeu Verbindungsbahn wächst im Personen- und Postverkehr direkt
proportional, im Güterverkehr umgekehrt proportional der Länge der
Bahn.“ Vergebens sucht man nach dem Material, auf Grund dessen der
Autor sich glaubt berechtigt zu sehen, das Gesetz aufzustellen. Es wird
unmöglich nur in den vorangeschickten Worten zu suchen sein, wonach
. das Gesetz „den durehschnittlichen Verhältnissen beim Fehlen
paralleler Schiffahrtswege jedenfalls gut (sic!) entsprechen wird“.
Kommen wir zum Schluß. Die Arbeit ist als Nachschlagewerk
über einzelne Verkehrswege im ganzen brauchbar. Soweit sie mehr sein,
insbesondere soweit sie einer „Wissenschaft vom Weltverkehr‘‘ die Grund-
lage verschaffen will, ist sie ein untauglicher Versuch mit untauglichen
Mitteln. Die Beurteilung mag hart klingen. Sie ist es aber nicht. Und
es ist um so notwendiger, die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen,
je mehr neuerdings „Weltwirtschaft“ und „Weltverkehr“ zu unklaren
Schlagwörtern werden.
Kiel. Friedrich Hoffmann.
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chera, 1913. 8. 199 pp. 1. 5.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Arnold, Ernst Günther, Untersuchungen über die Diskontie-
rung von Buchforderungen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung in
Deutschland. München 1913.
Verf. ist zweifellos von dem Wunsch erfüllt, der Diskontierung
von Buchforderungen die Wege zu ebnen, ihr Freunde zu gewinnen. Wo
er auf die angeblichen Vorteile zu sprechen kommt, legt er diese in aller
Ausführlichkeit dar, während er die geltend gemachten Zweifel und
Bedenken kurz erledigt, indem er sie für unbegründet und unbewiesen
erklärt und von der Entwicklung des Geschäftszweiges sich das Beste
verspricht. Und der von ihm aus den Untersuchungen selbst gezogene
Schluß: „Fassen wir nun abschließend — schreibt er — alle volkswirt-
schaftlichen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Diskontierung von
Buchforderungen nochmals zusammen, so wäre es Uebertreibung, die
neue Kreditform als außerordentlich bedeutsame Errungenschaft zu
preisen. ... Jedenfalls erscheint uns die Gruppe der Detaillisten,
Kleingewerbetreibenden und Handwerker, die direkt mit dem Konsu-
menten arbeiten, der neuen Kreditform bedürftiger als Fabrikanten und
Großhändler. Die Schwierigkeiten der Durchführung des Buchdiskonts
sind jedoch gerade bei den ersteren größer.“ Das dürfte eigentlich — zur
Ablehnung der Diskontierung von Buchforderungen als Geschäftszweig
bei Kreditinstituten doch genügen. Jedenfalls ist das Ergebnis nicht
gerade verheißungsvoll und paßt schlecht zu den warmen Worten der
Befürwortung in den früheren Kapiteln.
Die geschichtliche Darstellung der Diskontierung von Buchforde-
rungen ist vielleicht sehr stark beeinflußt durch die Hochachtung, die
700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
einen Frankfurter Kaufmann Benario entgegengebracht wird, der in
der Frankfurter Zeitung im August 1907 die Diskontierung der Buch-
außenstände behandelte. Es geht viel zu weit, ihn gewissermaßen als
den Erfinder zu bezeichnen.
Arnold behandelt eingehend „Begriff und rechtliche Qualität der
Buchforderungen“. Dabei stößt er gleich auf ein Hindernis für die
Ausbreitung dieses Geschäftszweiges, nämlich auf den Mangel einer
ordnungsmäßigen Buchführung gerade bei den Kreisen, die nach dieser
Kreditquelle am lautesten rufen. Es scheint, daß die Diskontierung von
Buchforderungen beschränkt werden soll auf eingetragene Kaufleute, weil
„für diese eine gesetzliche Buchführungspflicht besteht“. Es wird heute
vielfach die Erweiterung der Buchführungspflicht angeregt — vielleicht
nicht mit Unrecht. Und wenn die Erörterungen über die Diskontierung
von Buchforderungen den Erfolg haben, daß die Gewerbetreibenden der
Buchführung größere Aufmerksamkeit zuwenden, so ist das ‚vielleicht
wertvoller für sie als die Erweiterung des Kredits.
Der Geschäftsgang bei der Diskontierung von Buchforderungen
wird von Arnold anschaulich geschildert. Auch hier kann Verf. schließ-
lich seino Bedenken nicht unterdrücken, wenn er schreibt: „Kleine
momentane Vorteile durch Vereinfachung des Geschäftsganges könnten
große Schäden und Verluste in ihrer Entstehung begünstigen“ (S. 21).
An anderer Stelle wünscht Arnold eine Sicherung für die rationelle
Verwendung der einbezogenen Gelder. Da wird der Kreis der „Diskon-
Daten" nicht groß sein. Verf. erkennt auch an, daß die Diskontierung
von Buchforderungen die Liquidität des Kreditinstituts nachteilig be-
einflußt. Es ist eine bedenkliche Hilfe, auf die er verweist, wenn er
empfiehlt, für die Diskontierung von Buchforderungen Tochterinstitute
zu gründen, die die Wechsel an das Mutterinstitut weiter girieren
können, um so die erforderlichen Unterschriften zu gewinnen.
Das dem Buch beigegebene Material über die bisherigen Erfahrungen
der Diskontierung von Buchforderungen ist schwerlich als Empfehlung
zu betrachten. Auch selbst die von Arnold angezogenen angeblich er:
freulichen“ Erfahrungen sind nicht geeignet, große Hoffnungen zu
wecken. Auffallend ist, daß Verf. sein im Jahre 1913 erschienenes
Buch mit Material aus 1909 und 1910 abschließt. Wir möchten ver-
muten, daß neueres Material die Ergebnisse noch ungünstiger gestaltet
hätte. Zu denken gibt es, wenn die Deutsche Bank auf das Ersuchen
des Verf., ihm Material zur Verfügung zu stellen, „die dahingehende
Bitte abschlägig beschied‘“.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Diskontierung von Buch-
forderungen wird hier einseitig von dem Anhänger der Diskontierung
von Buchforderungen dargestellt. Die Ausführungen stehen in dem
Zeichen: Erweiterung des Kredits. Hier wäre vielleicht aber gerade ein
Abschnitt am Platz gewesen, in dem gezeigt worden wäre, daß doch
schließlich die Befriedigung des Kredits auch im Interesse der Allge-
meinheit ihre Grenzen hat. Die pessimistischen Gesichtspunkte der
Gegner stellt Arnold in zwei Gedankenreihen zusammen, wie folgt:
1) Krediterleichterung, Spekulation, Ueberproduktion, Zusammen-
brüche, heftigere Wirtschaftskrisen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701
2) Kreditüberspannung, Kreditverdoppelung, Kreditschwindel, Schä-
digung der Warengläubiger, Erschütterung des Vertrauens und der Ethik
im Wirtschafts- und Verkehrsleben. f
Verf. glaubt einfach nicht an diese Gefahren und fertigt die Be-
denken summarisch ab. Es ist hier nicht der Ort, über alle Einzel-
heiten zu sprechen. Nur eins soll hervorgehoben werden. Verf. rühmt
S. 54 die Vorteile der Barzahlung — mit Recht. Wenn er aber annimmt,
daß die Diskontierung von Buchforderungen die Barzahlung fördern
würde, so dürfte er sich im Irrtum befinden. Eher könnte das Gegenteil
der Fall sein.
Wenn auch Verf. die wesentlichen Unterschiede zwischen der Dis-
kontierung von Buchforderungen nicht verkennt, die in dem Geschäfts-
verkehr zwischen Kaufleuten entstehen und denen, die ihren Ursprung
in dem Verkehr zwischen dem Kaufmann und dem Konsumenten haben,
so wird er doch nicht genügend der Verschiedenartigkeit gerecht, die
sich für die Praxis ergeben. Dies ist um so auffallender, als er selbst
annimmt, daß die Gruppe der Detailisten, Kleingewerbetreibenden und
Handwerker, die direkt mit den Konsumenten arbeiten, der neuen Kredit-
form bedürftiger seien als Fabrikanten und Großhändler. Bekanntlich
wird Oesterreich gern als Vorbild für die Diskontierung von Buchforde-
rungen hingestellt. Da dürfte es doch weitere Kreise interessieren, wie
sich die Diskontierung der Detaillisten, Kleingewerbetreibenden und
Handwerker in Oesterreich gestaltet hat. Wie ich von authentischer
Seite erfahren habe, werden tatsächlich in der Regel nur Forderungen an
Handels- und Gewerbetreibende belehnt; ausnahmsweise nur, wenn die
Bonität des Schuldners außer Zweifel steht, werden auch Forderungen.
an Private eskomptiert.
Charlottenburg. Hans Crüger.
Zur Kritik des Buchforderungseskomptes. Ein Vortrag,
gehalten im Wiener kaufmännischen Verein am 21. April 1914 von
Dr. Max Sokal, Sekretär der Evidenzzentrale für den Eskompte offener
Buchforderungen in Wien. Leipzig und Wien (Franz Deuticke) 1914.
Die Kosten des Buchforderungseskomptes. Herausge-
geben von der Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforde-
rungen in Wien. Leipzig und Wien (Franz Deuticke) 1914.
In Oesterreich hat bekanntlich die Diskontierung von Buchforde-
rungen oder, wie sie dort genannt wird, der Buchforderungseskompte
verhältnismäßig weite Verbreitung gefunden. Zum erheblichen Teil
hängt dies damit zusammen, daß der Wechselverkehr in Oesterreich bei
weitem nicht die Ausdehnung genommen hat wie in Deutschland. Dabei
sei ausdrücklich bemerkt, daß auch in Oesterreich die Diskontierung
von Buchforderungen sich nicht etwa auf die Diskontierung von Forde-
rungen der Kleingewerbetreibenden an die Konsumenten bezieht, son-
dern auf die Forderungen, die im Geschäftsverkehr zwischen Gewerbe-
treibenden entstanden sind.
Die Verff. der beiden oben erwähnten Schriften beschäftigen sich
mit der Widerlegung der gegen die Diskontierung von Buchforderungen
geltend gemachten Einwendungen. Dr. Max Sokal nimmt Stellung zu
702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der an dem Buchforderungsdiskont allgemein geübten Kritik und sucht
die gegen den Buchforderungseskompte geltend gemachten Bedenken zu
zerstreuen. Die von der Evidenzzentrale, für den Eskompte offener
Buchforderungen in Wien, die bekanntlich geschaffen ist, um nach Mög-
lichkeit der Doppelverwertung der Forderungen zu begegnen, heraus-
gegebene Broschüre sucht die Behauptung, daß die Kosten des Buch-
forderungseskomptes hoch seien, zu widerlegen. Sie wendet sich vor
allem gegen eine in der „Allgemeinen österreichischen Gerichtszeitung“
erschienene Aufsatzfolge von Dr. Leo Hamburger: „Das Recht auf
die Deckung bei der nicht akzeptablen Tratte.“ Hans Crüger.
Eickemeyer, W., Zur Frage der zweiten Hypothek beim privaten
großstädtischen Wohnhausbau und -besitz in Deutschland. Tübinger
Staatswissenschaftliche Abhandlungen. Neue Folge Heft 2. Stuttgart
(W. Kohlhammer) 1913. 181 SS.
Die Beschaffung zweiter Hypotheken ist neuerdings eine der
aktuellen Fragen unserer Wirtschaftspolitik. Sie wird von interessierter
und uninteressierter Seite nach allen Richtungen hin theoretisch erörtert
und in fast allen größeren Städten sucht man praktisch nach zahl-
reichen Vorschlägen und gegenseitigem Muster der Hypothekennot ab-
zuhelfen. Bei dieser Sachlage wird man das Erscheinen eines Buches
begrüßen, das erstmals eine objektive Zusammenfassung aller wesent-
lichen Punkte zur Frage der zweiten Hypothek bringt, das sich nicht
nur mit der gegebenen Tatsache des Hypothekenbedürfnisses und seiner
Befriedigung beschäftigt, sondern auch die Grundlage und Entstehungs-
ursache des Problems ausführlich behandelt. Eine Zusammenfas-
sung, die deshalb nicht immer Neues bringt und dem bekannten Pro-
blem nicht irgendeine originelle Wendung oder Fassung gibt, die aber
den hinreichenden Vorzug der Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit be-
sitzt und damit gleichzeitig den ersten wichtigen Schritt zur Lösung
der ganzen Frage vollführt. Verf. versieht die einzelnen Erörterungen
mit einer knappen Kritik, wobei anscheinend die theoretische Durch-
dringung vorteilhaft von praktischer Erfahrung und Sachkenntnis unter-
stützt worden ist.
Wir geben kurz die einzelnen Etappen des Inhalts. Eickemeyer
geht aus von einer Besprechung des modernen kapitalschwachen speku-
lativen Bauunternehmertums und im Zusammenhang damit der in
Deutschland vorherrschenden und im Gegensatz zum Bauunternehmertum
großkapitalistischen Bodenspekulation. Er erörtert als Folgen des speku-
lativ gesteigerten Bodenpreises die wesentliche Erhöhung des Risikos für
das Baugewerbe bei geringerer Aussicht auf Gewinn, was gleichbedeutend
ist mit einem Zurückdrängen „der selbständigen und leistungsfähigen
produktiven Unternehmung auf diesem Gebiet“. Daher Kredit im Ueber-
maß bei der Mietwohnungsproduktion mit einer besonderen Finanzie-
rungstechnik und den bekannten und teilweise unerfreulichen Begleit-
erscheinungen des Spekulationsbaus: Belastung der nackten Baustelle,
Beschaffung möglichst hoher Baugelder, Hand in Hand damit die Ab-
hängigkeit des schwachen Bauunternehmers vom Bodenspekulanten, be-
sonders wenn dieser auch Geldgeber ist, endlich sogar Bauschwindel.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703
Die unzureichende erste Hypothek wird durch möglichst hohe Taxen
hinaufgetrieben, so daß der weitere Kredit auf zweite Hypothek ein
erhebliches Risiko birgt, und deshalb von vornherein eine gewisse Be-
schränkung im Kapitalangebot und relativ hohe Darlehensbedingungen
für solche Hypotheken erklärlich werden. Diesen Erörterungen sind
weitere angefügt über die Verschuldung des Miethausbesitzes, die be-
kanntlich noch stets die Tendenz zur weiteren Steigerung zeigt, und
über die Veränderungen im Kapitalangebot für Hypotheken, nament-
lich auch die letzte starke Versteifung des Marktes für zweite Hypo-
theken, die als unmittelbarer Anstoß für die gegenwärtige Abhilfe-
bewegung zu betrachten ist. Zur näheren Erläuterung dieser für ganz
Deutschland typischen Verhältnisse gibt Verf. Belege aus dem Münchener
Bauleben.
In dem kürzeren nächsten Abschnitt bespricht Eickemeyer allgemein
das Bedürfnis nach Abhilfe, d. h. einer Erweiterung unserer jetzigen
Grundkreditorganisation. Diese Bedürfnisfrage ist nur im Kompromiß
zu bejahen. Denn da die gegenwärtigen Formen der Wohnungsproduk-
tion und Wohnungshaltung nicht gerade ideal, ja als indirekte Ursache
des Kapitalmangels anzusehen sind, könnte man zuerst grundlegende
Reformen verlangen und eine weitere Krediterleichterung ablehnen.
Dies läßt aber die dann zu erwartende Wohnungsnot nicht ratsam er-
scheinen. Immerhin ergeben sich bestimmte Aufgaben bei der Kredit-
gewährung, die als einleitende Reformen zur Besserung der heutigen
Bau- und Wohnungsverhältnisse aufzufassen sind. Sie werden von
Eickemeyer in Leitsätze zusammengefaßt, die allerdings etwas allgemein
gehalten und leichter formuliert als realisiert sind. Diese beiden Ab-
schnitte geben im ganzen ein gutes Bild von der Sachlage des deutschen
Bau- und Hypothekenwesens, auch ist die Entstehung der Frage nach
den zweiten Hypotheken und deren Notwendigkeit deutlich heraus-
gearbeitet. Andererseits ist aber die Durchführung und Weiterführung
der Gedanken nicht immer so klar gelungen, wie dies die Disposition
vermuten läßt.
Der dritte Abschnitt befaßt sich mit den Vorschlägen und Maß-
nahmen, die zur Lösung der Hypothekenfrage gegeben und ergriffen
worden sind. Zunächst erörtert Verf. die nur als indirekte Abhilfemittel
anzusprechenden Mietverlustversicherung und Hypothekenversicherung,
ebenso die angestrebte Reform der rechtlichen Grundlage der Mietver-
fügung und Zwangsvollstreckung. Weit bedeutungsvoller ist schon die
Reform des Schätzungswesens, die nach der Ansicht des Verf. durch
kollegiala Taxämter in den einzelnen Städten nach süddeutschem Vor-
bild zu erreichen ist. Eickemeyer bezeichnet eine unabhängige und zu-
verlässige Schätzung als Voraussetzung für geordnete Verhältnisse im
Grundkredit, was wir unterstreichen wollen. Als wichtigstes Mittel zur
Lösung der Hypothekenfrage ist aber schließlich die organisierte Dar-
lehensgewährung zu betrachten, entweder als Selbsthilfe oder durch
kommunale Maßnahmen. Genossenschaftliche Kreditinstitute oder Ge-
nossenschaftsbanken lassen nur geringeren Erfolg erwarten, da die Ab-
satzfähigkeit der Pfandbriefe in Frage steht und andererseits Genossen-
schaften für langfristigen Hypothekenkredit ungeeignet sind. Eher wäre
704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
noch der Vorschlag geeignet, unter Voraussetzung der staatlichen Tax-
ämter die Beleihungsgrenze für die bestehenden Hypothekeninstitute
zu erweitern. Dabei müßte aber, wie Biermer vorschlug, um den
gesamten Bedarf decken zu können, für die zweite Stelle öffentliche
Garantie übernommen werden. Die kommunalen Maßnahmen haben
demgegenüber den Vorzug, daß sie zunächst als Notstandshilfen zur
Unterstützung des Kleinwohnungsbaues gedacht, sich mehr und mehr
zu dauernden kommunalen Krediteinrichtungen entwickelt haben und
damit tatsächlich schon praktische Wirkung ausüben. Eickemeyer be-
handelt ausführlich die Beleihungsversuche, sowie die Bestrebungen und
Erfolge in der Errichtung kommunaler Hypothekenämter. Allerdings
ist die Entwicklung in dieser Richtung in der neuesten Zeit so rasch
fortgeschritten, dal die Eickemeyersche Darstellung ihr schon nicht
mehr gerecht wird. Doch betont sie die Bedeutung der seinerzeit vor-
handen gewesenen Ansätze für die Kapitalbeschaffung durchaus. In
einem Schlußwort zieht Verf. die Bilanz seiner Untersuchung dahin,
dal) eine befriedigende Abhilfe ohne Eingreifen der öffentlich-rechtlichen
Verbände nicht erreicht werden kann, was ja die gegenwärtige Ent-
wicklung bestätigt. Entweder ist dazu notwendig die Errichtung von
Kreditinstituten für zweite Hypotheken oder die Garantieleistung für
solche Hypotheken oder Schuldverschreibungen anderer Kreditinstitute
zur Darlehensgewährung auf zweite Hypotheken. Dabei kann auch an
eine Vereinigung verschiedener kommunaler Hypothekenbanken oder
Kommunen zur Errichtung einer Städteverbandshypothekenbank gedacht
werden. Wir weisen nochmals darauf hin, daß namentlich diese Aus-
führungen des letzten Abschnitts alles Wesentliche der Maßnahmen zu-
sammenfassen und eine gute Orientierung geben. Den Wert der Arbeit
vermögen einige Schwächen, wie sie jede Anfängerarbeit aufweist,
nicht zu beeinträchtigen.
Mannheim. H. Meltzer.
Franz, Rob., Die deutschen Banken im Jahre 1913. (Aus: ‚Der deutsche
Oekonomist‘“.) Berlin, Wilhelm Christians, 1914. 35,5X 26,5 cm. 48 SS. M. 2.—.
Leiske, Dr. Walter, Die Finanzierung der Hypothekenanstalten deutscher
Großstädte für den bestehenden Hausbesitz. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8.
VI11I—188 SS. M. 4,50.
Linsmayer, Dr. Walter, Die Kriegsgefahr in der Lebensversicherung.
(Mit besonderer Berücksichtigung schweizerischer Verhältnisse. Diss.) (Abhand-
lungen zum schweizerischen Recht, hrsg. von Prof. Dr. Max Gmür, Heft 57.) Bern,
Stämpfli u. Cie., 1914. gr. 8. III—111 SS. M. 2,20.
Nissen, Dr. Oskar, Ein Beitrag zur Lehre von der Feuerversicherung von
Sachen, die zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehören. Berge-
dorf, Hans Köster, 1914. 8. VII—66 SS. M. 1,50.
Bonelli (avv.), Gustavo, La teoria dello check. Milano, F. Vallardi,
1914. 8. 18 pp.
9. Soziale Frage.
Mamroth, Karl, Gewerblicher Konstitutionalismus. Die Arbeits-
tarifverträge in ihrer volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. Jena
(Gustav Fischer) 1911. 80. 126 SS. y
Die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus einem überwiegen-
den Herrschafts- zu einem wirklichen Vertragsverhältnis vollzieht sich in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705
den Wegen und Formen der Ausbildung kollektiver Regelung der
Arbeitsbedingungen, also des Arbeitstarifvertrages. Er bringt auf dem
Wege der organisierten Koalition zu der bloß formalrechtlichen die wahr-
hafte und volle Gleichberechtigung beider Parteien des Arbeitsvertrages
hinzu und schafft daher ein System der Lohnarbeit, das große Aehnlich-
keit mit dem verfassungspolitischen System des Konstitutionalismus auf-
weist, der den mehr oder weniger aufgeklärten Absolutismus ablöste.
Die Bezeichnung als „gewerblicher Konstitutionalismus‘ für die neue,
auf zunächst beschränktem, aber sich stetig erweiterndem Gebiete wirk-
same Ordnung des Arbeitsverhältnisses ist unter diesem Gesichtspunkte
naheliegend und auch für dieses Buch als Titel gewählt worden, unter
dem ein Ueberblick über das Wesen, die Entwicklung und die wichtig-
sten Einzelheiten des neuen Systems gegeben wird. Die Bezeichnung
leidet freilich an dem Mangel, nicht zum Ausdruck zu bringen, daß
der Unternehmerabsolutismus nur auf dem Gebiete der Festsetzung der
Bedingungen für die Lohnarbeit durch das neue System gebrochen wird
und gebrochen werden soll. Sie kann also den irrigen Anschein er-
wecken, als gehe die Tendenz des letzteren auf grundsätzliche Einschrän-
kung der Unternehmerrechte auch auf anderen oder gar auf allen Ge-
bieten ihrer Betätigung, insbesondere auf denen der Auswahl der
Arbeitskräfte und der Kontrollierung ihrer Leistungen sowie der orga-
nisatorischen, technischen und kaufmännischen Betriebsleitung. Von
Gegnern des Arbeitstarifvertrags kann sie daher leicht gemißbraucht
werden und wird sie auch gemißbraucht zu dessen Verdächtigung als
eines Mittels, um die Form der privaten Unternehmung allmählich ihres
Inhalts zu berauben und damit die Grundlage unserer individualistischen
Wirtschaftsverfassung zu zerstören und durch kollektivistische Orga-
nisationen zu ersetzen. Man tut daher besser, dieses Bild trotz aller ver-
lockenden Aehnlichkeit nicht zur Bezeichnung des Systems kollektiver
Regelung der Arbeitsbedingungen zu verwenden, auch nicht mit dem
üblichen Vorbehalte der damit gemeinten Beschränkung, der jenen
Mißbrauch doch nicht verhindert.
Ein Ueberblick über das Tarifvertragswesen wird hier freilich
nur in großen Zügen gegeben. Nach einer näheren Bestimmung des Be-
griffes und des Charakters dieses Vertrages wird seine Entwicklung
von der Zeit der verfallenden Zunft an überschaut und sodann von
seinen reichen Inhalte eine in 5 Gruppen geordnete Auslese der Haupt-
bestandteile vorgeführt. Die Gewerkvereine und die Unternehmer-
verbände werden als die Stützen der Tarifverträge auf ihre Stellung zu
diesen: hin geprüft. Die Anwendbarkeit des Tarifvertrags auf die ge-
werblichen Betriebsformen bildet den Gegenstand weiterer Untersuchung.
An der Hand dieses Tatsachenmateriales werden dann die Vorteile und
Nachteile des Tarifvertrages ermittelt und abgewogen. Ein Ausblick
auf die Zukunft bildet den Schluß. Die Vorführung wie die Kritik des
Tatsachenmaterials geschieht durchgängig unter ausgiebiger Nutzbar-
machung der reichhaltigen Tarifvertragsliteratur.
Auffallend erscheint die der gewöhnlichen Anschauung entgegen-
gesetzte Meinung des Verf., daß die organisierten Arbeiter innerlich
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 45
706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nicht Gegner, sondern Anhänger der Akkordlöhnung seien. Es ist
nicht oder doch mindestens nicht mehr richtig, daß, worauf er sich be-
ruft, in der Tarifvertragsstatistik die Zeitlohntarife überwiegen. Nach
der zum ersten Male den Gesamtbestand aller Tarifverträge umfassen-
den amtlichen Statistik von Ende 1912 waren für 75,5 Proz. aller
tarifgebundenen Arbeiter sowohl Akkord- als Zeitlöhne und für 3,4 Proz.
derselben nur Akkordlöhne tariflich vereinbart. Als Hindernisse der
Ausbreitung des Tarifvertrags sieht M. namentlich an die Absorbierung
der Kräfte der organisierten Arbeiter durch die politische Bewegung, so-
wie das System der gemischten Industrieverbände ohne die feinere fach-
liche Gliederung der trade unions, durch das die Verhandlungsfähigkeit
herabgesetzt werde. Auch werde die moralische Position der Gewerk-
schaften gegenüber den Arbeitgeberverbänden herabgesetzt durch die
Bevormundung der „freien“ seitens der sozialdemokratischen Presse und
durch die Belastung ihres Kontos mit Gewalttaten gegen Unorganisierte
und Arbeitswillige. Er fordert von den Arbeitern größere Selbstzucht,
stärkeres, veredeltes Pflichtbewußtsein, und von ihren Organisationen,
daß sie sich um die fachliche Tüchtigkeit ihrer Mitglieder kümmern,
von den Arbeitgebern Vertiefung des sozialen Verständnisses für die
Rechte und den Gemeinschaftsgeist der heutigen Arbeiterschaft.
Im ganzen bekennt sich M. als überzeugten Freund des Tarif-
vertrages, in dem er, vor Uebertreibungen und Ueberschätzungen dabei
mit Recht warnend, einen großen sozialen Fortschritt erblickt. Er er-
wartet auch seine allmähliche Ausdehnung auf die Großindustrie und
hält ihn für diese sogar besonders geeignet, weil die Natur des Groß-
betriebs zu möglichst einheitlicher Festsetzung der Arbeitsbedingungen
für die Gesamtheit.der Arbeiter zwinge. Der Feinindustrie, in der der
Lohn der bedeutendste Faktor im Produktionsprozeß sei, biete der
Tarifvertrag wegen der Ausschaltung der Lohnunterbietung einen Ersatz
für die ihr durch die Spezialisierung ihrer Produktion erschwerte Kar-
tellierung. Irreführend muß jedoch M.s Eingehen auf das Tarifver-
tragswerk des Kaiserlichen Statistischen Amtes von 1908 wirken, da
dieses Amt seinen damaligen Standpunkt zur Frage des großindustriellen
Tarifvertrages seither völlig verändert hat. Auch das statistische Material,
das M. hier bringt, war schon beim Erscheinen seines Buches veraltet.
Die Frage der Eignung der Großindustrie für Tarifverträge wird durch
spezielle Betrachtung der fünf bedeutendsten deutschen Großindustrien
näher beleuchtet. Das Ergebnis lautet überwiegend günstig für ihre
Bejahung. Auch die wandelbare gewerbliche Technik „tariflich zu
bändigen“ scheint M. ausführbar, sofern die Form des Tarifvertrages
sich der technischen Eigenart der einzelnen Großgewerbe anpasse. Seine
Entfaltung werde dabei den umgekehrten Weg wie im Handwerk
nehmen, nämlich mit dem weitesten räumlichen Rahmen beginnen.
Wenn M. den Tarifverträgen mehrfach eine günstige Wirkung auf
Verminderung der Arbeitslosigkeit nachrühmt (S. 86 und 90), so wider-
spricht dem seine eigene Ausführung an anderer Stelle (S. 87), daß sie
„keine Einwirkung auf die Zahl der Beschäftigen üben“. Eine solche
ist in der Tat nicht erkennbar. Daß sie einen Ausleseprozeß unter den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707
Arbeitern nach deren Tüchtigkeit einleiten, trifft zu. Aber auch ohne
Tarifvertrag wird das Fortkommen den unterdurchschnittlich Befähigten
— Selbständigen wie Unselbständigen — auf allen Arbeitsgebieten heute
immer schwerer. Die vielfache Abwälzung der tariflichen Lohn-
erhöhungen auf die Konsumenten, die M. annimmt, ist nicht zu be-
zweifeln, aber doch nur ein Preissteigerungsfaktor unter vielen, dem
überdies die damit verbundene Steigerung der Kaufkraft der Massen
gegenübersteht. Die Staatsgewalt soll nach M. das gefährdete Konsu-
menteninteresse wahren. Wie sie das aber ohne Eingriffe in die Grund-
lagen der heutigen Volkswirtschaft wirksam tun kann, wird nicht gesagt.
Die Rechtslage und die Frage der gesetzlichen Regelung des
Tarifvertrages kommen bei M. im Verhältnis zu ihrer Wichtigkeit recht
kurz weg. Wie sie trotz der Kompliziertheit dieser heikelsten Seite des
Problems knapp und doch unter Herausholung des wesentlichen Kerns
behandelt werden können, hat Sinzheimer kürzlich vortrefflich gezeigt 1).
Entschiedene Verwahrung muß gegen den Vorschlag M.s eingelegt wer-
den, daß die Rechtswirksamkeit eines jedes Tarifvertrags von behörd-
licher Genehmigung abhängig gemacht und dazu vorher amtlich unter-
sucht werden soll, ob sein Inhalt nicht unklar ist und nicht gegen das
„öffentliche Interesse‘ verstößt. Solche bürokratische Behandlung würde
den gesunden Rechtstrieb, der im Tarifvertrage Ausdruck sucht, lähmen
und ersticken. Schon durch ihren kautschukartigen Charakter würde
eine solche Vorschrift den Möglichkeiten übelster Mißgriffe das Tor
weit öffnen. Wenn die Behörde ferner prüfen soll, ob der Fortbestand
des Tarifvertrages noch von Bedeutung ist, und die verneinendenfalls von
ihr auszusprechende Versagung der Wiederholung seiner Genehmigung
seine Lösung zur Folge haben soll, so wäre damit das ganze Tarifver-
tragssystem einer polizeistaatlichen Reglementierung unterworfen, die
seiner völligen Knebelung gleichkäüme und alle heilsamen Wirkungen,
die von ihr erwartet werden dürfen, im Keime ersticken würde. Es ist
schwer verständlich, wie ein Freund des Tarifvertrags ihm das antun
will, gänzlich damit unvereinbar aber, daß gleich darauf der viel ein-
geschränktere und jedenfalls diskutierbare Vorschlag Rosenthals, einem
Tarifamte die Befugnis vorzeitiger Abänderung oder Aufhebung des
Tarifvertrags im Falle wesentlich veränderter Wirtschaftskonjunkturen
zu übertragen, „als ein gewagtes Experiment, einer Behörde so gewaltige
Befugnisse in die Hand zu geben“, bezeichnet wird. Denn ein paritä-
tisches Tarifamt ist keine „Behörde“, sondern ein schiedsrichterliches
Organ der Vertragsparteien selbst, das für den Austrag dieser Frage
gegebenenfalls gerade die rechte Schmiede wäre. Nicht gleich gefährlich,
aber immerhin recht bedenklich erscheint der fernere Vorschlag, den
Arbeitskammern, auf deren Zusatndekommen sich M. übertriebene Hoff-
nung macht, das Recht der Ausübung eines nützlichen (?) Zwangs in
bezug auf die Ausdehnung des Tarifvertrags zu verleihen. Der Staat, der
sich mit peinlicher Gewissenhaftigkeit von Eingriffen in die Lohnfest-
1) „Brauchen wir ein Arbeitstarifgesetz?“, von Dr. Hugo Sinzheimer, Heft 44
der Schriften der Gesellschaft für soziale Reform, von mir besprochen im Jahr-
gang 1914, S. 120f. dieser Jahrbücher.
45>
708 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
setzungen fernhält, sollte Interessentenvertretungen gesetzgeberische
Zwangsrechte über das gesamte Gebiet des Arbeitsverhältnisses gleichsam
in blanco zu übertragen sich bereit finden ?
Erscheint so manches in M.s kritischen Ausführungen und posi-
tiven Anregungen recht anfechtbar, so erschließt er immerhin einen
zwar nicht erschöpfenden, aber informierenden Ueberblick über das
weite Gebiet des Tarifvertragproblems und namentlich über seine lite-
rarische Durcharbeitung. In dieser letzteren Hinsicht hätte, sich Verf.
jedoch einer sorgfältigen Auseinanderhaltung der von ihm wieder-
gegebenen zahlreichen Auslassungen und Urteile anderer Arbeiter auf
demselben Gebiete von seinen eigenen befleißigen müssen. So entstammt
z. B. der ganze zweite Absatz auf Seite 103, der im Zusammenhang als
Kundgebung einer noch dazu stark pointierten Auffassung des Verfassers
erscheint, wörtlich meiner Abhandlung „Der kollektive Arbeitsvertrag
als Gegenstand der Gesetzgebung‘ in Bd. 30, S. 289ff. dieser Jahr-
bücher (S. 303 daselbst), ohne daß diese Quelle genannt, ja ohne daß
die Stelle überhaupt als Zitat gekennzeichnet wäre. Wie vergleichende
Stichproben ergeben, ist es mit vielen anderen und zumeist recht umfang-
reichen Stellen des Buches ebenso bestellt, deren rein kompilatorischer
Charakter durch die gelegentlichen verweisenden Anmerkungen eher
verschleiert als klargestellt wird. Denn diese erwecken den unrichtigen
Eindruck einer Bezugnahme auf andere Autoren, deren Auslassungen zu-
gunsten einer bestimmten selbständigen Meinung des Verf. sprechen
sollen, während in Wirklichkeit nur eine Anleihe vorliegt. Zum mindesten
hätte in einem Vorwort oder einer Einleitung über diese ungewöhnliche
Art von Materialverwertung Klarheit gegeben werden müssen, und auch
dann noch wäre es korrekt gewesen, allerwenigstens diejenigen Zitate,
die ganze Sätze umfassen, auch als solche unzweideutig im Text hervor-
treten zu lassen. Einen so billigen Zins wäre eine solche beträchtliche
Anleihe wohl wert gewesen.
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe.
Kuczynski, R., Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und
Amerika 1870—1901. Berlin (J. Springer) 1913. VI u. 817 SS.
24 M.
Das Werk zerfällt in zwei verschiedene, nach Art der Quellen und
Verarbeitungsmethoden scharf unterschiedene Teile. Der erste (S. 1—377)
bringt der Hauptsache nach die Ergebnisse der internationalen Er-
hebungen über Arbeitszeit und Arbeitslohn, die das Arbeitsamt der Ver-
einigten Staaten erstmals 1898 unternommen, anläßlich der Weltaus-
stellung von St. Louis fortgesetzt und erheblich erweitert hat. Soweit es
dabei auf die Sammlung von Daten für das europäische Festland, d. h.
Deutschland, Frankreich und Belgien, ankam, war die Leitung der Unter-
suchung dem Verf. übertragen worden. Insofern konnte er dann bei der
Ausarbeitung des vorliegenden Werkes auch sein damals gewonnenes
handschriftliches Material verwerten. Obwohl die Erhebungen bereits in
den Bulletins des Arbeitsamtes veröffentlicht worden sind, kann doch auch
dieser Teil des Kuczynskischen Werkes dankbar aufgenommen werden,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709
da er eine den Bedürfnissen des deutschen Lesers besser entsprechende
Bearbeitung aufweist. Die Geldbeträge sind durchweg in Reichswährung
ausgedrückt worden. Zur Darstellung kommen überhaupt nur Gewerbe,
für die mindestens Angaben aus Deutschland und den Vereinigten
Staaten vorhanden sind, und innerhalb dieser Gewerbe wieder nur Berufe,
die mindestens in einem europäischen Lande und in den Vereinigten
Staaten in die Erhebung einbezogen werden konnten.
Die Schwächen der Arbeit liegen darin, daß der Zusammenhang
zwischen Lohnhöhe und Alter vollkommen unberücksichtigt geblieben
ist, daß nur männliche Arbeiter in Betracht kommen und auch bei ihnen
im allgemeinen nur die Zeitlohnverhältnisse. Sodann sind namentlich
die Materialien aus Frankreich und Belgien doch sehr beschränkter
Art. Ganz besonders aber muß betont werden, daß nur drei Gewerbe-
gruppen (Baugewerbe, Maschinenbau und Buchdruckerei) vertreten sind.
Nahezu die Hälfte des Raumes wird von den verschiedenen Berufen des
Baugewerbes in Anspruch genommen, 100 Seiten entfallen auf die Ma-
schinenindustrie und 50 auf die Buchdruckerei. Insofern versprechen
der stolze Titel und das Vorwort („Dieses Buch bildet den ersten Ver-
such, die Entwicklung der gewerblichen Löhne in den wichtigsten In-
dustrieländern auf breiter Grundlage darzustellen‘) weit mehr, als der
Inhalt rechtfertigt. Was will eine Darstellung besagen, in der Berg-
bau, Großeisenindustrie und Textilindustrie gänzlich fehlen! Auch der
Ausdruck „Europa“ ist sehr cum grano salis zu verstehen. Vom Fest-
lande kommen nur Deutschland und dieses wieder nur mit Berlin,
Nürnberg und Elberfeld, ferner Frankreich mit Paris und Lyon und
endlich Belgien allein mit Lüttich in Betracht. Ueber die Lückenhaftig-
keit der Erhebung braucht also kein Wort weiter verloren zu werden.
Der zweite Teil (S. 375—790) enthält nach dem Titel: „Arbeits
lohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika auf Grund von Tarif-
verträgen 1870—1909.“ Eigentlich müßte es heißen: Die Bestim-
mungen über Minimallohn und Maximalarbeitszeit in den deutschen und
amerikanischen Tarifverträgen der Baugewerbe und der Buchdruckerei.
„Europa“ wird hier ausschließlich durch das Deutsche Reich vertreten.
Von 415 Seiten nehmen die Baugewerbe 352 in Anspruch. Der Rest
des Raumes entfällt auf die Darlegung der allgemeinen Grundlagen der
Untersuchung (26 Seiten) und die Verhältnisse der Buchdruckereien.
Ungeachtet dieser weitgehenden Beschränkungen scheint mir der wissen-
schaftliche Wert des zweiten Teiles größer zu sein. Volle Anerkennung
verdient die Sammlung des uns bis jetzt unbekannt gebliebenen Mate-
riales amerikanischer Tarifverträge. Verf. hat für diesen Zweck eine
besondere Studienreise nach Amerika unternommen. Aber auch die
textliche Darstellung ist hier insofern brauchbarer, als sie nicht nur,
wie im ersten Teil, eine Umschreibung der Zahlen der Tabellen enthält,
sondern auch einen gewissen Einblick in die äußere Entwicklung der
Arbeitstarife eröffnet und manchen Hinweis auf wichtige und noch
weniger bekannte Materialien zum Studium der gewerkschaftlichen Be-
tätigung enthält. Im übrigen sieht Verf. freilich auch hier von jeder
Aufklärung über kausale Zusammenhänge ab. Er will lediglich eine
710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
sorgfältige tabellarische Darstellung der Angaben der Tarifverträge
vorführen. Er steht auf dem Standpunkte, daß eine lohnstatistische
Untersuchung weder darüber Aufschluß zu geben habe, wie hoch die
Produktionskosten des Arbeitgebers seien oder welche Lebenshaltung der
Arbeiter führen könne; sie habe lediglich die Aufgabe, an dem objek-
tivsten Maßstabe, d. h. der Geldeinheit, die Gegenleistung, die der
Arbeitgeber dem Arbeiter für seine Arbeit biete, zu messen. Man wird
dem Verf. eınwenden können, daß glücklicherweise selbst viele statistische
Aenıter ihre Aufgaben doch erheblich weiter fassen und sich mit Erfolg
bemüht haben, auch Kausalforschung zu betreiben. Leider hat Ku-
ezynski sein wertvolles Material nicht einmal so weit gruppiert, daß
der Kausalforscher ohne weiteres ınit seiner Arbeit einsetzen könnte. So
wird uns der Inhalt der Tarifverträge nur in der Weise vorgeführt,
daß die mehr als 2000 Einwohner zählenden Orte des Deutschen
Reiches, für welche sie gelten, in alphabetischer Reihenfolge zu-
grunde gelegt werden; sodann erfolgt die Darstellung nach Provinzen
und Einzelstaaten. Aber auch innerhalb dieser Anordnung tritt wieder
die alphabetische Reihenfolge ein, also Provinz Brandenburg, Adlers-
hof, Alt-Glienicke, Alt-Landsberg, Arnswalde, Bärwalde, Berlin, Bernau,
Borsigwalde usw. Warum wird uns keinerlei kartographische Dar-
stellung geboten, welche, gewissermaßen mit einem Blicke, die Lohn-
geographie eines Berufes zu erfassen gestatten würde ?
Gewiß, Verf. hat bereits eine Unsumme bienenfleißiger Arbeit ge-
leistet und leisten lassen, wofür ilm Dank und Anerkennung gebühren.
Es bleibt aber noch unendlich viel Arbeit zu tun übrig, wenn aus dem
Material alles zur Aufklärung der Lohnprobleme herangezogen werden
soll, was es latent enthält. H. Herkner.
Biel (Reg.-Baumstr.), F., Wirtschaftliche und technische Gesichtspunkte
zur Gartenstadtbewegung. (Mit einem Anhang von Lageplänen, Grundrissen und
Ansichten.) Leipzig, H. A. Ludwig Degener, 1914. gr. 8. 128 SS. M. 2,50.
Goldscheid, Rud., Frauenfrage und Menscheuökonomie. 2. Aufl. Wien,
Anzengruber-Verlag, 1914. 8. 32 SS. M. 0,50.
Kriegsfürsorge. Hrsg. von der Gemeinde Wien. Wien, Gerlach u. Wied-
ling, 1914. 8. 64 SS. mæ: 1 Tab. M. 0,50.
Roßnick, Fr., Deutsche Nüchternheitsbewegung. In Skizzen bearb. und
dem Andenken P. Anno Joseph Neumanns gewidmet. Hamm (Westf.), Breer u.
Thiemann, 1914. 8. VII—371 SS. M. 3,20.
Schriften des Verbandes deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig, Be-
rufsvereinigung der kaufmännischen Angestellten in Handel und Industrie. No. 34:
Die soziale Arbeitsgemeinschaft und die Stellung des Leipziger Verbandes in der
Standesbewegung. Rede. 16 SS. M. 0,30. No. 35: Achtuhr-Ladenschluß. ($ 139 f
der R.G.O.) Bearb. von der Abteilung kommunaler Sozialpolitik auf Grund be-
hördlicher Auskünfte nach dem Stande vom 15. 7. 1914. 45 SS. M. 0,50. —
No. 36: Werktags-Ausnahmetage. ($$ 139d u. e der R.G.O.) Bearb. von der Ab-
teilung kommunaler Sozialpolitik auf Grund behördlicher Auskünfte nach dem
Stande vom 15. 7. 1914. 37 SS. Leipzig, Buchhandlung des Verbandes deutscher
Handlungsgehilfen, 1914. gr. 8.
Weitpert (Berufsvormund), Dr. Konr., Die Münchener Säuglingsfür-
sorgeeinrichtungen. München, Ernst Reinhardt, 1914. gr. 8. 30 SS. M. 0,50.
Norel Izn, O., Adolf Stoecker en zijn sociaal-ethisch streven. Utrecht,
Kemink en Zoon. gr. 8. 4en 219 blz. mit 1 Portr. fl. 1,90.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711
Packer, Max, Handleiding by de invoering van het taylor-system.
(Wetenschappelijke werkwijze.) Deventer, E. E. Keuwer. gr. 8. 16 blz. fl. 0,15.
10. Genossenschaftswesen.
Vandervelde, Emil, Neutrale und sozialistische Genossenschafts-
bewegung. Uebers. von H. Gernsheimer-Hertz. Stuttgart (Dietz)
1914. V u. 154 SS. Geh. 1 M.
Div gute Uebersetzung, die das neue Buch Vanderveldes (es ist
1913 in Paris bei Alcan erschienen) zu billigem Preise der deutschen
Arbeiterwelt zugänglich machen soll, wird vielleicht einige Unruhe in
das Heer der deutschen Konsumvereinler bringen. Denn es vertritt einen
Standpunkt, der sich mit den Grundsätzen der deutschen und deutsch-
schweizer Genossenschaftsführer gar nicht verträgt. Während diese be-
kanntlich die politische Neutralität der Konsumvereine — die übrigen
Genossenschaftsarten haben ja schon längst alles theoretische Interesse
eingebüßt — verteidigen und sich damit begnügen, ihnen eine natür-
liche Tendenz zur Sozialisierung der Gesellschaft zuzuschreiben (Hans
Müller, ähnlich R. Wilbrandt), oder aber ihre Neutralität auch
im Klassenkampf dadurch zu behaupten suchen, daß sie eine neue
Theorie des Sozialismus versuchen (H. Kaufmann), erklärt Vandervelde
entschieden, daß die Genossenschaft an und für sich überhaupt nicht
geeignet sei, eine nicht-kapitalistische Wirtschaftsverfassung heraufzu-
führen, und daß sie unbedingt in den Dienst der sozialistischen Arbeiter-
bewegung gestellt werden müssen. Eine ähnliche Ansicht findet sich
übrigens bereits in Göhres Buch über die Arbeiterkonsumvereine.
Es ist jedenfalls sehr verdienstvoll, daß Vandervelde durch seine
klare und kenntnisreiche Darstellung, die sich in der Hauptsache auf
die Geschichte des Konsumvereinsgedankens bezieht, energisch die Vor-
stellung bekämpft, daß die Genossenschaft ihrem Wesen nach etwas
Sozialistisches und Antikapitalistisches sei. Der Wissenschaft ist das
ja nichts Neues, aber die breitere Oeffentlichkeit sieht gerade infolge
der Stellungnahme der Konsumgenossenschafter, die meist das Zeug zum
Ueberwinden des Kapitalismus in sich spüren, die ganze Konsum-
vereinsbewegung fast immer nur als eine Vorstufe des Zukunftsstaates an.
Mit Recht weist Vandervelde auch darauf hin, daß natürlich alles davon
abhänge, was man unter Sozialismus verstehe. Er hätte nur noch die
Frage aufwerfen sollen, wie weit das Genossenschaftswesen denn über-
haupt der herrschenden Wirtschaftsordnung zu widersprechen vermöge.
Die Antwort wäre freilich für ihn weniger wichtig als für die deutschen
„Nurgenossenschaftler“, und das Buch war ja zunächst für Franzosen
bzw. Belgier geschrieben. Es kann aber nicht ausbleiben, daß die deut-
schen Leser die aufgeworfenen Fragen selbst beantworten und den ver-
waschenen Theorien der Nurgenossenschaftler und damit entweder der
unaufrichtigen Neutralität oder dem utopistischen Sozialismus den Ab-
schied geben. Das Genossenschaftswesen verträgt sich durchaus mit den
gegenwärtig herrschenden Grundsätzen der Wirtschaftsordnung, wenn
aber die großen Mittel der Konsumvereine offen in den Dienst der
sozialistischen Bewegung gestellt würden, können sich daraus bedeut-
same praktische Folgen ergeben.
712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
D
Es ist ferner interessant, daß die übrigen Arten des Genossen-
schaftswesens neben den Konsumvereinen für Vandervelde so sehr zurück-
treten, daß er ihrer nicht einmal Erwähnung tut. Auch geht er der
Frage aus dem Wege, ob denn eine Arbeiterbewegung unbedingt sozia-
listisch sein muß? Und doch beruht auf deren Bejahung seine ganze
Schlußfolgerung, daß durch das Eindringen der Arbeiter in die Konsum-
vereine diese ganz von selbst auf die Bahn des Sozialismus gedrängt
werden.
Jedenfalls ist Vanderveldes Buch klar und offen geschrieben, ohne des
Verf. parteiliche Voreingenommenheit verheimlichen zu wollen, bedeutet
aber gerade wegen der Frische, mit der es den grundsätzlichen Fragen
gegenübertritt, einen Fortschritt in der Literatur über die Konsumvereine
und steht weit über den analogen Schriften, mit denen uns die meisten
der genannten deutschen Konsumvereinler beschenkt haben.
Halle a. S. Ernst Grünfeld.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Wassermann, L. u. R., Das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli
1909, in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juni 1912. München,
J. Schweitzer.
Die beiden Verf. haben in der Literatur über die deutsche Spiritus-
industrie und vor allem auch über die deutsche Branntweingesetzgebung
einen guten Namen. Mit der vorliegenden Publikation haben sie sich
ein besonderes Verdienst erworben: für den Juristen wie den Praktiker
bietet das Werkchen eine gute sachliche Orientierung, die derjenige be-
sonders zu schätzen weiß, der die Wirrnisse der deutschen Branntwein-
gesetzgebung kennt und sich in ihnen zurechtzufinden hat. An den
Text des Gesetzes sind die speziellen Ausführungsbestimmungen gleich
angeschlossen. Eine systematische Uebersicht leitet ein in die Motive;
eine Uebersicht, die in guter knapper Weise die leitenden Gesichtspunkte
der deutschen Branntweinbesteuerung, insbesondere die finanziellen und
wirtschaftlichen Grundideen der Gesetzgebung von 1909 und 1912 dar-
legt. Den Anhang bilden die Vereinbarungen des Reichs mit einigen
fremden Staaten betr. Regelung des Verkehrs in Alkohol. Erwähnen
möchte ich noch die sehr gute technische Uebersichtlichkeit der Materie,
die besonders dem Praktiker eine schnelle Orientierung über das Gesetz
und seine Ausführungsbestimmungen gestattet.
Reydon-Hall (England). C. Briefs.
Adolph (Geh. Hofr.), Dr. P., Vereinsgesetz vom 19. 4. 1908, nebst den
Ausführungsbestimmungen der deutschen Bundesstaaten vom 12. 5. 1908. Unter
Benutzung der amtlichen Quellen sowie unter Berücksichtigung ergangener Ent-
scheidungen, und der Erfahrungen der Praxis erläutert. 2. Aufl. (Juristische
Handhibliothek. Hrsg.: Oberlandesger.-Sen.-Präs. Max Hallbauer und Minist.-Dir.,
Geh. Rat: Dr. W. Schelcher, 279. Bd.) Leipzig, Roßbergsche Verlagsbuchhandlung,
1914. kl. 8. XII—450 SS. M. 7,80.
Appelius (Landesr.), Fr., (Geh. Reg.-Rat) A. Düttmann, (Landes-
versicherungs-Assessor) Seelmann, Das Verfahren vor den Versicherungsbehörden.
Kommentar zu den kaiserlichen Verordnungen über den Geschäftsgang und das
Verfahren vor den Versicherungsämtern, Oberversicherungsämtern und dem Reichs-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713
Reichsversicherungsamt vom 24. 12. 1911. 4. völlig umgearb. Aufl., von Appelius-
Düttmann. Kommentar zur Schiedsgerichtsordnung. Oldenburg i. Gr., Ad. Litt-
mann, 1914. gr. 8. XI—313 SS. M. 7,50.
Burckhardt, Prof. Dr. W., Kommentar der schweizerischen Bundes-
verfassung vom 29. 5. 1874. 2. vollständig durchgesehene Auflage. Bern, Stämpfli
u. Cie., 1914. Lex.-8. VIII—845 SS. M. 22.—.
Dunkhase (Geh. Reg.-Rat, Dir.), W., Beiträge zum Patentrecht. V. Das
Patenterteilungsverfahren und das Patentamt. 152 S5. M. 5.—. — VI. Nichtig-
keitsverfahren, Zwangslizsenz und Zurücknahme des Patents. 51 SS. M. 2,40.
Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8.
Fideikommißgesetzentwurf, Der, in den Beratungen des Königl.
Landes-Oekonomie-Kollegiums. Nebst Abdruck des Entwurfs zum Fideikommiß-
gesetz. (Aus: „Verhandlungen der 1. Tagung der XIII. Sitzungsperiode des Königl.
Laudes-Oekonomie-Kollegiums 1914.) Veröffentlichungen des Königl. Preuß. Landes-
Ockonomie-Kollegiums. Hrsg. vom Gen.-Sekr. Dr. v. Altrock, Heft 16.) Berlin,
Paul Parey, 1914. VII—116 SS. M. 2,50.
Handwörterbuch der Kommunal-Wissenschaften. Hrsg. von (Gch. Reg.-
Rat, Stadtbaurat a. D.) Prof. Jos. Brix, Drs. Hugo Lindemann, (Beigeordn.) Otto
Most, (Stadtrat, Handelshochschul-Prof.) Hugo Preuß, Alb. Südekum. Jena, Gustav
Fischer, 1914. Lex.-8. 3. Lieferung. 2. Bd. S. 1—160. M. 3,50.
Hoffmann (Geh. Ob.-Reg.-Rat, vortr. Rat), Dr. F., Die Gewerbeordnung
mit allen Ausführungsbestimmungen für das Deutsche Reich und Preußen. Er-
läutert. (Taschengesetzsammlung No. 36.) Berlin, Carl Heymann, 1914. kl. 8.
XX1V—1316 SS. M. 5.—.
Ingelmann, Dr. Alfons, Ständische Elemente in der Volksvertretung
nach den deutschen Verfassungsurkunden vom Jahre 1806—1819. (Abhandlungen
aus dem Staats- und Verwaltungsrecht mit Einschluß des Kolonialrechts und des
Völkerrechts, hrsg. von Proff. Drs. D. theol. Siegfr. Brie, Max Fleischmann,
Heft 35.) Breslau, M. u. H. Marcus, 1914. gr. 8. XII—176 SS. M. 5.—.
Kriegsgesetze, Die, verwaltungs- und öÖffentlich-rechtlichen Inhalts, vom
4. 8. 1914. Textausgabe mit Anmerkungen, Wiedergabe der angeführten Gesetzes-
stellen und alphabetischem Sachregister. (Deutsche Reichsgesetze in Einzelab-
drücken. Hrsg. von [Geh. Justizrat] Prof. Dr. Karl Gareis, No. 534/35.) Gießen,
Emil Roth, 1914. 8. M. 0,40.
Lehmann, Prof. K., und (Sen.-Präs.) V. Ring, Das Handelsgesetzbuch
für das Deutsche Reich. Erläutert. 2. Auflage, bearb. von Prof. K. Lehmann.
1. Bd. (Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebengesetzen (II).
Kommentar zu den Nebengesetzen. Berlin, Carl Heymann, 1914. Lex.-8. XXIV—
542 SS. M. 14.—.
Lenhard (Landrichter), A., und (Amtsrichter) Dr. W. Reichau, Preußi-
sches Wassergesetz vom 7. 4. 1913. Mit Kommentar und den Ausführungs-
verordnungen. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. Lex.-8. 2. Lieferung. S. 161—336.
M. 4,40.
Pannier, Karl, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat
vom 31. 1. 1850, nebst den gesetzlichen Bestimmungen über die Bildung der beiden
Kammern und dem Gesetz über den Belagerungszustand. Textausgabe mit kurzen
Anmerkungen und Sachregister. (Universal-Bibliothek, No. 3870.) Leipzig, Philipp
Reclam jun., 1914. 16. 87SS. M. 0,60.
Reichs-Gesetzbuch, Deutsches, für Industrie, Handel und Gewerbe,
einschließlich Handwerk und Landwirtschaft. Reichsgesetze, Verordnungen, Aus-
führungsbestimmungen usw. mit erläuternden Anmerkungen, orientierenden Hin-
weisen usw. Bearb. und hrsg. von der Red. des Reichs-Gesetzbuches für Industrie,
Handel und Gewerbe: (Rechtsanw.) Lipke, (Landger.-Sekr.) E. Petermann unter
Mitarbeit von (Amtsrichter a. D.) H. Klentzau, (Geh. Justizrat) G. Grünewald,
(Ob.-Zollinsp.) O. Schumpelick u. a. Mit einem einleitenden Wort von Prof.
Dr. Conr. Bornhak. Nachtrag 1913/14. Berlin, Verlag Deutsches Reichsgesetzbuch
für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1914. gr. 8. VI—262 SS.,
12, 5, VI, 89 u. 8 SS. M. 5.—
Sintenis (Synd.), Dr. Gust., Die finanz- und wirtschaftspolitischen
Kriegsgesetze 1914. Textausgabe mit einer Einführung, Anmerkungen und Sach-
714 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und .des Auslandes.
register. (Sammlung deutscher Gesetze. Hrsg. von Rechtsanw. Dr. Heinr. Wimpf-
heimer, Bd. 38.) Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. 174 SS. M. 2.—.
Stengel, Karl Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver-
waltuugsrechts. Begründet von St. 2. völlig neu gearb. und erweit. Auflage,
hrsg. von Max Fleischmann. 34.—36. Lieferung. 3. Bd. XII u. S. 801—1034.
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. Lex.-8. Je M. 2.—. (3. Bd. vollständig M. 26.—.)
Ischarner, Dr. L. S. v., Volk und Regierung beim Abschluß von Staats-
verträgen und sonstigen Fragen äußerer Politik in der alten Eidgenossenschaft.
Bern, Stämpfli u. Cie., 1914. gr. 8. IV—111 SS. M. 2,50.
Zalman (Hof- und Ger.-Adv.), Dr. Mor., Kommentar zur Moratoriums-
verordnung. Unter Berücksichtigung des deutschen und ungarischen Moratoriums.
Wien, Manz, 1914. kl. 8. V—140 SS. M. 2,10.
Falchi, Ant, I fini dello stato e la funzione del potere. Sassari, tip.
ditta G. Dessì, 1914. 8. VI—167 pp. l. 4.—.
Grassi, prof. Gius., Sulla posizione scientifica di una dottrina generale
dello stato. Milano, Società editrice libraria, 1914. 8. 17 pp.
Gualtieri (Di), D'un nuovo concetto dello stato. Napoli, tip. F. Giannini
e figli, 1914. 8. VIII—103 pp. L 2.—.
Rogari, dott. Vinc., Nozioni di contabilità generale dello stato. Città
di Castello, soc. tip. Leonardo da Vinci, 1913. 8. 50 pp.
Trattato generale teorico pratico di diritto commerciale, del prof. Ed-
mondo Thaller, col concorso e la collaborazione di altri specialisti, tradotto
ed arricchito di note e raffronti da Gustavo Bonelli, dal prof. Arnaldo
Bruschettini e da Mario D'Amelio. Fasc. 44—45 (principio del vol. I,
Del diritto marittimo, di G. Ripert. Traduzione del prof. A. Bruschettini).
Milano, Società editrice libraria, 1914. 8. 1—96 pp. 1l. 1. il fascicolo.
Houten, S. van, Onze internationale stelling. Haarlem, H. D. Tjeenk
Willink en Zn., 1914. gr. 8. 16 blz. fl. 0,20.
Wet op den staat van oorlog en beleg met uitvoeringsvoorschriften en aantee-
keningen. Alphen, N. Samsom. gr. 8. 8 en 105 blz. fl. 1,50.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Arbeitsverhältnisse, Die, in der Stuhlindustrie. Ergebnisse einer sta-
tistischen Erhebung vom November 1913. Hrsg. vom Vorstand des deutschen
Holzarbeiter-Verbandes. Berlin, Verlagsanstalt des deutschen Holzarbeiter-Ver-
bandes, 1914. gr. 8. 44 SS. M. 1.—.
Bericht, Statistischer, über den Betrieb der unter Königl. sächsischer
Staatsverwaltung stehenden Staats- und Privat-Eisenbahnen mit Nachrichten über
Eisenbahn-Neubau im Jahre 1913. Hierzu 1 (farb.) Uebersichtskarte vom Bahn-
netz. Dresden, H. Burdach, 1914. Lex.-8. IV—183 SS. M. 12,40.
Ehrler (Vorst.), Dr. Jos., Die Wohnungsverhältnisse in der Stadt Frei-
burg nach der Wohnungszählung vom 1. 12. 1910. (Beiträge zur Statistik der
Stadt Freiburg im Breisgau. Im Auftrage des Stadtrats hrsg. vom städt. Statist.
Amt, No 5.) Freiburg i. Br., Statist. Amt, 1914. Lex.-8. III—35 SS. M. 2.—.
Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte.
262. Bd. Die deutsche Flagge in den außerdeutschen Häfen im Jahre 1912. Berlin.
Puttkammer und Müblbrecht, 1914. 33,5xX26 cm. V—38 und 76 SS. M. 2—.
Oesterreich-Ungarn.
Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 31: Entwick-
lung des Volksunterrichtswesens der Länder der ungarischen heiligen
Krone. Budapest 1913. 499 SS.
Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 41: Viehbe-
stand in den Ländern der ungarischen heiligen Krone. Nach dem Stand
vom 28. Februar 1911. Budapest 1913. 1011 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 715
Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd.45: Die Schiff-
fahrt und Warenbewegung im Hafen von Fiume. Budapest 1913.
219 SS.
Die drei oben angegebenen Bände legen Zeugnis ab von der außer-
ordentlich rührigen Tätigkeit des ungarisch-statistischen Zentralamtes,
unter Leitung des Ministerialrates Dr. Julius von Vargha, und besonders
dankbar müssen wir hervorheben, daß überall das Vorwort, wie der
zusammenfassende Bericht auch in deutscher Sprache wiedergegeben ist,
so daß es auch uns ermöglicht ist, die wertvollen Ergebnisse zu ver-
werten. Außerordentlich detailliert und übersichtlich ist das ganze Volks-
schulwesen behandelt, unter Zuziehung‘ der Kinderbewahranstalten, des
Lehrlingsunterrichts, der Volksschullehrerausbildung, der Bibliotheken
ete., während in dem ungarischen statistischen Jahrbuche kürzere Ueber-
sichten über das gesamte Unterrichtswesen regelmäßig gegeben werden.
Der Viehstand ist für 1895 und 1911 detailliert geboten und auch
für die einzelnen Distrikte auf 100 qkm und auf 1000 Seelen berechnet.
Der dritte Band bietet eine detaillierte Nachweisung nicht nur
über den Schiffsverkehr, sondern auch die aus- und eingeführte Ware
für den Hafen von Fiume.
Wir behalten uns vor, an anderer Stelle auch das gebotene Zahlen-
material zu verwerten. J. Conrad.
Sanitätsbericht, Statistischer, der k. und k. Kriegsmarine für die Jahre
1912 und 1913. Zusammengestellt von der IX. Abteilung des k. u. k. Reichs-
kriegsministerinms, Marinesektion in Wien. Wien, Wilhelm Braumüller, 1914.
Lex.-8. 171 SS. M. 7.—.
Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statistischen Zentral-
kommission. 1. Bd. Ergebnisse, Die, der Volkszählung vom 31. 12. 1910 in
den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. 2. Heft. Die Be-
völkerung nach der Gebürtigkeit, Religion und Umgangssprache, in Verbindung
mit dem Geschlechte, nach dem Bildungsgrade und Familienstande; die körper-
lichen Gebrechen, die soziale Gliederung der Haushaltungen. 53 und 103 SS. mit
4 farb. Karten. M. 6.—. — 11. Bd. 1. Heft. Statistik des Sanitätswesens in den
im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern für das Jahr 1911. 3—118 SS.
M. 3,30. — 9. Heft. 1. Heft. Tafelwerk zur österreichischen Justizstatistik. Fin
Quellenwerk für justizstatistische Forschungen. 2. Jahrg. 1911. 13—528 SS.
M. 16,40. Wien, Carl Gerolds Sohn, 1914. 32,5X 25 cm.
Schweiz.
Bericht betr. Hauptergebnisse der vom kantonalen statistischen Bureau
im Auftiage der Landwirtschaftsdirektion vorgenommenen Ermittelungen über die
Schlachtvieh- und Fleischpreise in 24 größeren Ortschaften und Städten der
Schweiz und speziell in der Stadt Bern pro 1913. Bern, A. Francke, 1914. 8.
13 SS. mit 4 Tabellen. M. 0,50.
Italien.
Censimento della popolazione del regno d’Italia al 10 giugno 1911.
Vol. III: L’alfabetismo della popolazione presente. (Ministero di agricoltura, in-
dustria e commercio: direzione generale della statistica e del lavoro, ufficio del
censimento Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero ʻe C., 1914. 4. 230 pp. l. 2,50.
Statistica delle organizzazioni di lavoratori al 10 gennaio 1913. (Ministero
di agricoltura, industria e commercio.) Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero e C.,
1914. 8. 201 pp. con nove tavole.
716 Die periodische Presse des Auslandes.
13. Verschiedenes.
Blau (Ob.-Stabsarzt) u. Frau Lehr, Drs., Unser Sanitätswesen und das
Rote Kreuz im Weltkrieg 1914. Leipzig, J. J. Arnd, 1914. 8. 68 SS. M. 0,40.
Boas, Prof. Dr. Franz, Kultur und Rasse. Leipzig, Veit u. Comp., 1914.
gr. 8. VILI—256 SS. mit 1 eingedr. Kurve. M. 5.—.
Haeckel, Ernst, Englands Blutschuld am Weltkriege. Eisenach, H. Ja-
cobis Buchhandlung (W. Neuenhahn), 1914. 8. 13 SS. M. 0,20.
Naumann (Reichstags-Abg.), Dr. Friedr., Deutschland und Frankreich.
(Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh. 2. Heft.)
Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Halberger, 1914. gr. 8. 27 SS.
M. 0,50.
Wagner (Oberstleutn. a. D.), Reinhold, Der größte Verbrecher an der
Menschheit im 20. Jahrhundert, König Eduard VI. von England. Eine Flug-
schrift. 2. Aufl. Berlin, Carl Curtius, 1914. 8. 31 SS. M. 0,50.
Bülow (Di), Bern., Germania imperiale. Traduzione dal tedesco, autoriz-
zata e riveduta dall’autore. Milano, fratelli Treves, 1914. 8. 351 pp., con
ritratto. 1. 10.—.
Die periodische Presse des Auslandes.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr.
Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 36: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen.
— Der Außenhandel Rußlands. — etc. — No.37: Unsere Feldpost, von (Ministerial-
vizesekretär im Handelsministerium) Dr. Adolf Großmann. — etc. — No. 38: Die
Gründungstätigkeit in Oesterreich im 1. Semester 1914. — etc. — No. 40: Die
wirtschaftliche Bedeutung des Kriegsverkehrs auf den Eisenbahnen, von Dr. Victor
Krakauer — Hamburgs wirtschaftliche Lage nach dem ersten Kriegsmonate. — etc.
Mitteilungen, Volkswirtschaftliche, aus Ungarn. Jahrg. IX, Juni 1914,
Heft 6: Eine Gesetzesvorlage betr. Abänderungen einiger Bestimmungen über die
Branntweinbesteuerung. — Der Komitatssteuerzuschlag in Ungarn. — Die Komitats-
fonds in Ungarn im Jahre 1909. — Das Post-, Telegraphen- und Telephonwesen
im Jahre 1912. — etc.
Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentral-
Kommission. Jahrg. 19, 1914, Juli-August-Heft: Oesterreichs städtische Wohn-
plätze mit mehr als 25000 Einwohnern Ende 1910, ihr Wachstum seit 1869 und
die konfessionelle und sprachliche Zusammensetzung ihrer Bevölkerung 1880 bis
1910, von Dr. Richard Engelmann. — Der auswärtige Warenverkehr Bosniens
und der Herzegowina im Jahre 1912 im Vergleiche mit den Jahren 1911 und
1908. — etc.
Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im
Handelsministerium. Jahrg. 15, August 1914, Heft 7: Wettbewerbverbot (Deutsches
Reich, Ges.). — Revision des norwegischen Fabrikgesetzes (Regierungsvorlage). —
Fabrikgesetz (Schweiz). — Errichtung von Fachausschüssen für die Hausarbeit
(Deutsches Reich). — Regelung des Arbeitsverhältnisses der Bergarbeiter (Italien).
— Pensionsversicherung von Privatangestellten (Ocsterreich). — Sozialversicherung
(Oesterreich). — Die Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreich
in den Monaten März, April und Mai 1914. — Zählung der Arbeitslosen und
Arbeiter mit verkürzter Arbeitszeit in Nürnberg. — Durchführung der Altersver-
sicherung der Arbeiter und Landwirte in Frankreich. — Ergebnisse der Arbeits-
vermittlung in Oesterreich im Juni 1914. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLIX, Luglio
1914, No. 1: Il dazio sul grano alla luce delle esperienze fatte in Austrias
Ungheria, di Mario Alberti. — Associazione e cooperazione agricola nei vari
Die periodische Presse Deutschlands, 717
stati, di Giuseppe Bruccoleri. — Finanze turche, di Federico Flora. — Le
retribuzioni dei ferrovieri, di Giuseppe di Miceli. — etc. — Agosto 1914, No. 2:
Sintomi statistici dello sviluppo economico dell’ Austria, di Richard Sorer. —
Studio sull’industria laniera, di Carlo di Nola. — etc. — Supplemento:
Teoria dello sconto, di Gustavo del Vecchio. —
Rivista della Beneficenza pubblica. Anno XLII, Giugno 1914, No. 6:
La cassa di maternitä e l’organizzazione della previdenza materna, di Fanny
Norsa Pisa. — La assicurazione per le malattie degli operai (Continuazione e
fine), di dott. Vincenzo Magaldi. — etc. — Luglio 1914, No. 7: La cooperazione
di consumo quale mezzo per reprimere il pauperismo e risvegliare l’energia del
povero, di Elisa Boschetti. — La delinquenza giovanile ed i patronati dei minorenni,
di (avv.) Vincenzo Tazzari. — etc. — Agosto 1914, No. 8: I giusti rapporti tra
le autorita pubbliche e la beneficenza privata nel prevenire e soccorrere la
miseria, di dottoressa Sidney Webb. — Le questioni della pubblica assistenza in
parlamento (Continuazione), di (avv.) G. Della Favera. — etc.
G. Holland.
Economist, De, opgericht door Mr. J. L. de Bruyn Kops. 63. jaarg.,
September 1914, No. 9: De economische beteekenis van den oorlog, door C. A.
Verrijn Stuart. — Uit de geschiedenis van de banken van Leening in Nederland,
door H. J. Westerling. — Eugen von Böhm-Bawerk, 12 Februari 1851 — 28.
Augustus 1914, door C. A. Verrijn Stuart. — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. 36, Mai-Juni-Juli-
August 1914, Heft 5—8: Zum Abschluß der Fabrikgesetz-Revision, von Prof. Dr.
J. Beck. — Soziale Rundschau, von Pertinax. — Ein nationalökonomisches System
auf katholischer Grundlage, von Prof. J. Beck. — Die christliche Gewerk-
schaftsbewegung 1913, von Dr. Emil van den Boom. — Der Ausbruch des euro-
päischen Krieges. Nachtrag zur Sozialen Rundschau, von Pertinax. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks-
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 8: Die Stadt Nürnberg und ihre Arbeiter
(II. Teil), von (Rechtsrat) Dr. Christian Weiß. — Gedanken über die Möglich-
keit von Modernisierungen der Staatsverwaltungstechnik (Schluß), von (Bezirks-
amtsassessor) Max Zwiebel. — Die Organisation der auswärtigen Verwaltung nach
deutschem Recht, von (Priv.-Doz.) Dr. Franz Dochow. — etc.
Archiv, Allgemeines Statistisches. Bd. 8, 1914, 2. Vierteljahrsschrift:
Ortsanwesende Bevölkerung und Wohnbevölkerung, von (Direktor des Stat. Amts)
Dr. Wilhelm Böhmert. — Lebendes und totes Voiksvermögen, von (Oberfinanzrat,)
Prof. Dr. Hermann J. Losch. — Ueber die Berechnung von Korrelationskoef-
fizienten zwischen den Symptomen der wirtschaftlichen Entwicklung in Oester-
reich, von Dr. Richard Sorer. — Landwirtschaftliche Bodenpreisstatistik in
Deutschland, von Dr. Michael Horlacher. — Konfessionsstatistik und kirchliche
Statistik im Deutschen Reich, von H. A. Krose. — Zur Methodik der Inter-
polation des Bevölkerungsstandes, von E. J. Gumbel. — Die Statistik im Ver-
fassungsleben und in der Verwaltung Bayerns, von Dr. jur. et rer. pol. J. F.
Kleindienst. — Organisation einer Statistik von Groß-Berlin, von Prof. Dr.
Heinrich Silbergleit. — Die Deutsche Statistische Gesellschaft, von (Geheimrat)
Dr. Eugen Würzburger. — Getreidevorratsstatistik, von (Reg.-Ass.) Georg Däsch-
lein. — Internationale Statistik der Bevölkerungsbewegung, mit besonderer Be-
rücksichtigung des Geburtenrückgangs. — Die Frau in der Berufsstatistik Frank-
reichs, der Schweiz, Schottlands und Neu-Seelands. — Die gewerbliche Pro-
ER in den Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Zensus von
. — ete.
718 Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Ministerium der
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914: Gesamtinhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1 bis
36 (1878—1913)., zusammengestellt von (Geh. Rechnungsrat) H. Auerswald.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, September 1914, Heft 12: Häusler
und Einlieger in anderer Wertung des Ehrenberg- v. Oertzenschen Materials,
von (Reg.- und Landes-Oekonomierat) Dr. Stumpfe. — Innere Kolonisation in
Ungarn. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr-
gang 14, September 1914, No. 15/16: Zolltarife und Handelsverträge. — Der
englische Handelskrieg. — ete.
Bank, Die. September 1914, Heft 9: Wirtschaftliche Kriegsbereitschaft,
von Alfred Lansburgh. — Napoleons I. Krieg gegen das britische Kreditsystem,
von Dr. Peter Aretz. — Der internationale Zahlungsausgleich im Kriege, von
A. L. — Die Nationalwirtschaft im Lichte des Weltkriegs, von Ludwig Eschwege.
— Die deutschen Kriegsanleihen. — Die Leistungsfähigkeit der deutschen Privat-
notenbanken. — Börsenmoratorium und Ultimogeld. — etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, August-September 1914, No.8/9:
Die Gemeinden und der Krieg: Aufgaben der Gemeinden während des Kriegszu-
standes. — Kommunale und private Fürsorgearbeit in der Kriegszeit, zentralisiert
in einem Hilfsamte. — Lebensmittelversorgung und Maßnahmen zur Sicherung
der Volksernährung während des Krieges. — Zur Bekämpfung der Arbeitslosig-
keit. — Krieg und Volksversicherung. Ein Beitrag zu den Aufgaben der Ge-
meinde im Kriegsfalle, von (Amtmann) v. Borries. — Das preußische Kommunal-
abgabengesetz, Kreis- und Provinzialabgabengesetz, sowie Ausführungsgesetz zum
Zuwachssteuergesetz nach den Ergebnissen der Kommissionsberatungen (1. Lesung),
von C. Brandhuber. — Die Finanzgebarung und Bilanzierung werbender Kom-
munalbetriebe, unter besonderer Berücksichtigung der badischen Städte, von
(Stadtvrerordneten) Julius Neuhaus. — Kommunale Sparkassen und öffentlich-
rechtliche Lebensversicherung. — Der kommunale Aufstieg Kölns. — etc.
Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21.
1914, No 16—18: Soziale Fürsorge in der Kriegszeit, von Dr. jur. J. Altenrath. —
Der nationale Frauendienst. — Jugendpflege im Kriege und militärische Jugend-
vorbereitung, von Dr. Hertha Siemering. — Unfallverhütung durch Mitwirkung
der Arbeiter, von Dr. A. Bender. — Die Berufsvormundschaft in Bayern, von
Dr. Mich. Horlacher. — etc.
Export. Jahrg. 36, 1914, No. 38—41: Weshalb die Deutschen im Aus-
lande unbeliebt sind?, von Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf!
(Forts.). von Dr. R. Jannasch. — Unsere wirtschaftliche Kriegsbereitschaft. —
Die deutsche Kriegsanleihe. — Zur Lage der deutschen Industrie Anfang Ok-
tober d. J. — Skandinavische Wirtschaftsverhältnisse und der Krieg. — Chile
und der europäische Krieg. — etc.
Finanz-Archiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Jahrg. 31,
1914, Bd. 2: Der Begriff der Steuer, von G. N. Leon. — Die direkten Steuern
Frankreichs und ihre Reform, von (Priv.-Doz.) Dr. Emanuel Vogel. — Höhe
und Verteilung der Steuern ‚Japans, sowie Vorschläge zu ihren Reformen, von
Prof. Masao Kambe. — Wahrheit und Fiskalismus bei der Veranlagung der mo-
dernen Einkommensteuer, von (Hofrat) Dr. Franz Meisel. — Studie zur Ent-
wicklung des Berliner Etats, von Dr. phil. et jur. Erich Marx. — Das neue
TEinkommensteuergesetz in den Vereinigten Staaten von Amerika, von Dr. Paul
Marcuse. — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 38: Die Forderung des Tages, von
Friedrich Sievers. — etc. — No. 39: Die Aufhebung der Kapitulationen in der
Türkei, von E. Lehmann. — etc. — No. 40: Braucht Deutschland ein Sitten-
zeugnis?, von Heinrich Ilgenstein. — etc. — No. 41: Grey contra Grey. Kost-
pröbchen aus dem englischen Weißbuch. — etc.
Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46. Ergänzungsband. Berichte
der Kgl. Gärtnerlehranstalt zu Dahlem, der Kgl. Lehranstalt für Wein-, Obst-
und Gartenbau zu Geisenheim a. Rh. und der Kgl. Lehranstalt für Obst- und
Gartenbau zu Proskau für das Etatsjahr 1913. Erstattet von den Anstaltsdirektoren.
Die periodische Presse Deutschlands. 719
Jahrbücher, Preußische. Bd. 158, Oktober 1914, Heft 1: Das Ethos des
politischen Gleichgewichtsgedankens, von Prof. Dr. Ferd. Jac. Schmidt. —
Moltke als Politiker, von Dr. Rudolf Peschke. — Ucber den kriegerischen Charakter
des deutschen Volkes, von Hans Delbrück. — Ist ein Winterfeldzug nach Ruß-
land möglich? — Herrscht in Rußland Einigkeit?, von (ord. Honorarprof.) Dr.
Carl Ballod. — etc.
Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, August-September 1914, Heft 8/9:
Die Kartelle und der Krieg (I), von Dr. S. Tschierschky. — ete.
Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Oktober 1914, Heft 10: Der soziale Charakter
des großen Krieges, von Prof. Dr. Adolph Mayer. — Die Stufen der wirt-
schaftlichen Entwicklung, von (Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 18: Der Krieg und die sozial-
demokratische Presse, von Hugo Poetzsch. — England, von Max Schippel. —
Sozialistische Landesverteidigung, von Wolfgang Heine. — Nationale Solidarität,
von Walter Öehme. — Der Sozialismus während des Krieges, von Edmund
Fischer. — etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Oktober 1914,
No. 7: Weltenwende, vom Herausgeber. — Die Schande der weißen Rasse, von
Dr. Arminius. — Der Weltfeind, von Dr. G. Eichhorn. — Psychologie des mo-
dernen ‚‚Kulturfortschrittes‘‘, besonders des Kapitalismus und der Sozialdemokratie
(Schluß), von Gregor v. Glasenapp. — Die Gefahren der oberen Volksschichten
in rassenhygienischer Beziehung und Vorschläge zur Abhilfe (Forts.), von Erich
Weißenborn. — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1655: Der Kampf für
Wahrheit und Recht gegen Lüge und gemeine Niedertracht. — Die deutschen
Banken im Jahre 1913 (IX), von Robert Franz. — Aufsichtsamt und Kriegs-
versicherung. — etc. — No. 1656: Die Kriegsanleihe, von W. Christians. — Die
deutschen Banken im Jahre 1913 (X), von Robert Franz. — Ueberschätzung
des Goldes? — Der kleingewerbliche Kredit in Deutschland. — ete. — No. 1057:
Deutschlands Lebensmittelversorgung im Kriege. — Die deutschen Banken im
Jahre 1913 (XI), von Robert Franz. — ete. — No. 1658: Das politische Ziel
des Krieges. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XII), von Robert Franz.
— etc.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 38: Kriegsanleihe. — Staatsschulden und
Kriege in England, von Dr. Ernst Schultze-Großborstel. — etc. — Heft 39/40:
Milliarden — Kriegsbilanzen, von (Diplomkaufmann) Walter le Coutre. — etc.
— Heft 41/42: Harakiri. — Krieg und Lieferungsverträge, von Dr. jur. Albert
Herzog. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, 1914, August-Sept. Der Krieg, von
(Reichsgerichtsrat) Dr. Düringer. — Non silent leges inter arma, von Prof.
Dr. Theodor Kipp. — Völkerrecht und Stantsinteresse, von (Amtsgerichtsrat)
Riß. — Ueber den Einfluß des Krieges auf die Lage der großstädtischen Hypo-
thekenschuldner, von (Rechtsanw. und Priv.-Doz.) Dr. Arthur Nußbaum. — Der
Weltkrieg 1914, Rechtsbetrieb und Federfuchserei, von Richard Deinhardt. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Oktober 1914: Abrechnung, von Dr. Frhr.
v. Jette. — Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und der Balkan-
krieg (Forts.), von (Königl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A. Sturdza. —
Von Krieg und Politik, von Prof. Dr. Schiemann. — Rußlands Volks- und Ver-
kehrswirtschaft und der Krieg, von (Ministerialrat) v. Völcker. — Die Haltung
Italiens, von Philipp Hiltebrandt. — Die Moral in der Politik und die englische
Flotte. — etc.
Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 5: Der Krieg, von Dr. Flügler.
— Lohnbeschlagnahme, von Dr. W. Stein. — Geburtenfrage und Rassenhygiene,
von G. v. Hoffmann. — Das Reichsgesetz über den privaten Versicherungsvertrag
vom 30. Mai 1908, von Dr. Purpus. — Zur Frage der staatlichen Beschäftigung
Brotloser, von William Pember Reeves und L. Katscher. — etc.
Rundschau, Deutsche. Jahrg. 41, Oktober 1914: Die geschichtlichen
Voraussetzungen des modernen Krieges, von Friedrich Lenz. — Paris, von Jacob
Schaffner. — etc.
720 Die periodische Presse Deutschlands,
Sozial-Technik. Jahrg. 13, Oktober 1914, Heft 18 und 19: Soziale
Praxis im Kriege, von Dr. jur. Arthur Fischer. — Wohlfahrtseinrichtungen bei
den Wiener Straßenbahnen, von Wernecke. — Taylor und die Gewinnbeteiligung.
m etc.
Verwaltung und Statistik. (Monatsschrift für Deutsche Beamte.) Jahr-
gang 4, Oktober 1914, Heft 10: Von unserer Seefischerei (Schluß). — Das
Einkommen der deutschen Rechtsanwälte. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Bearb. im
Kaiserl. Statist. Amte. Ergänzungsheft zu 1914. Die Viehhaltung im Deutschen
Reich nach der Zählung vom 2. 12. 1912.
Weltverkehr und Weltwirtschaft. 4. Jahrg., 1914/15, August-September,
No. 5/6: Die deutschen Diamanten, von Dr. Paul Rohrbach. — Die Eisenbahnen
der südafrikanischen Union, von Dr. H. Kleinkemm. — Die Kriegsmoratorien, von
Wilhelm Bürklin. — etc.
Wirtschafts- Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 18: Aufklärung
des Auslandes, von Prof. Dr. Max Apt. — Deutschlands Ausfuhrhandel während
des Krieges — und nachher, von E. Fitger. — Die deutsche Finanzwirtschaft
im Kriege. — etc. — No. 19: Die deutsche Kriegsanleihe, von Prof. Dr. W. Lotz.
— Zur Lage auf dem wirtschaftlichen Kriegsschauplatz. — etc. — Beilage:
Die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt a. M., von
(Diplom-Kaufmann) Johannes Kähler. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 22: Wirkungen des Krieges, von
Karl Kautsky. — Der Krieg und die Gewerkschaften, von Adolf Braun. — etc.
— No. 23: Wirkungen des Krieges (Schluß), von Karl Kautsky. — Vom Wirt-
schaftsmarkt Kriegsanleihe und Produktionseinschränkung, von Heinrich Cunow.
— etc. — Jahrg. 33, 1914, No. 1: Die Sozialdemokratie im Kriege, von Karl
Kautsky. — Die Internationale und der Burgfrieden, von Karl Kautsky. —
Einige ungedruckte Briefe Lassalles an Marx, von Eduard Bernstein. — Krieg
und Presse, von Ernst Däumig. — etc.
Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Jahrg. 54, 1914, 3. Ab-
teilung: Die Bevölkerungsbewegung der letzten Jahrzehnte in Preußen und in
einigen anderen wichtigen Staaten Europas, von Prof. Dr. Carl Ballod. — Die
preußischen Sparkassen im Rechnungsjahre 1912, von (Reg.-Rat) Dr. jur. H.
Höpker. — etc.
Zeitschrift des Kgl. Sächsischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 60,
1914, Heft 1: Die Einschätzungen zur Einkommensteuer und zur Ergänzungs-
steuer auf die Jahre 1910 und 1912. — Die Einschätzungen zur Einkommensteuer
für 1912 mit Unterscheidung der Eingeschätzten nach ihren persönlichen Ver-
hältnissen — ZEhestatistik nach den Volkszählungen von 1905 und 1910, von
(Reg-Rat) Dr. Georg Lommatzsch. — Die Arbeitslosenzählung vom 12. Ok-
tober 1913, von (Reg.-Ass.) Dr. M. Busch, — Die Wohnungszählung vom 1. De-
zember 1910, von Dr. phil. O. Kürten. — Das Verhältnis zwischen Einkommen
und Wohnungsmietspreis, von Dr. phil. O. Kürten. — Die Finanzen der größeren
und mittleren Gemeinden in den Jahren 1906, 1908 und 1910, von Dr. phil.
Kurt Bormann. — Die Viehzählungen vom 2. Dezember 1912 und 1. Dezember
1913, von (Oekonomierat) Robert Georgi. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Sep-
tember 1914, Heft 6: Deutsches Wirtschaftsleben im Kriege, von Dr. Georg
Obst. — etc. — Beiblatt: Der Krieg und das Deutschtum im Wirtschafts-
leben, von Prof. Dr. A. Schröter. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 10: Die Preis-
kurve und das Teuerungsproblem (2. Teil, V. Schluß), von Dr. Lorenz Glier. —
Die inneren jahreszeitlichen Wanderungen der Landarbeiter und die landwirt-
schaftlichen Stellenvermittlungsämter in Italien (II, Schluß), von Dr. Livio
Marchetti. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfederindustrie (III), von W.
Th. Linnenkohl. — Ueber die Entwicklung der Essener Wohnungsverhältnisse
seit 1900. — Verschiebungen in der Seidenproduktion. — Die Errichtung von
soziologischen Lehrstühlen an den deutschen Hochschulen. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei ‘Hermann Pohle) in Jena.
Joachim Tiburtius, Der Begriff des Bedürfnisses. 721
VI.
Der Begriff des Bedürfnisses. Seine psy-
chologische Grundlage und seine Bedeutung
für die Wirtschaftswissenschaft.
Von
Joachim Tiburtius,
Kammergerichtsreferendar.
Einleitung.
a) Wissenschaft und Sprachgebrauch. b) Das Bedürfnisproblem in der bis-
herigen ökonomischen Forschung. c) Die Terminologie: Bedürfnis, Bedarf und
Befriedigungszustand. d) Unsere Aufgabe: Feststellung 1) des Begriffes des
Bedürfnisses, insbesondere des „wirtschaftlichen“ Bedürfnisses, 2) der wirtschaft-
lichen Bedeutung der Bedürfnisse.
Der Gegenstand der Untersuchung. Im Zeitalter des
volkswirtschaftlichen Historismus, der es sich zur Aufgabe gesetzt
hat, alle unser Wirtschaftsleben bestimmenden äußeren Tatsachen
in allen Gründen und Stufen ihrer Entwicklung zu erforschen,
scheint eine Klärung vonnöten, wie man dazu kommt, einem so
allgemeinen Begriffe, wie dem des Bedürfnisses, eingehenderes Nach-
denken zu widmen und ihn gar zum Gegenstande einer selbständigen
Darstellung zu machen. Die bisherigen Bemühungen um diese Auf-
gabe, wie die Franz Cuhels („Zur Lehre von den Bedürfnissen“),
haben bei der ökonomischen Kritik im ganzen nur geringes Interesse
(so trotz’ gewisser Anerkennung bei Philoppovich, Grundriß, Bd. 1,
S. 33) und zumeist den Ruf philologischer Haarspaltereien geerntet,
denen die Erkenntnis wirklich fördernde Ergebnisse nicht verdanke.
Nicht unberechtigt scheint es, diese Haltung aus dem Glauben abzu-
leiten, man dürfe bei der Verwendung eines so volkstümlichen Be-
griffes wie dem des Bedürfnisses getrost dem Sprachgebrauche
folgen, der von sicherem Instinkte geleitet, hierin das Richtige
treffe. Wir werden sicherlich keiner wissenschaftlichen Termino-
logie das Recht geben, an den vom Sprachgebrauche geschaffenen
Formen achtlos vorüberzugehen. Seine schöpferische Tätigkeit kann
jedoch die Forschung niemals von der Prüfung befreien, ob ein ihr
wesentlicher Begriff bereits mit unzweideutiger Bestimmtheit in
Bewußtsein und Sprache der Allgemeinheit Eingang gefunden habe.
Gerade die deutsche Sprache hat in einer Fülle von Formen für jede
Erscheinung den bezeichnenden Sonderausdruck gefunden. Nur
liegen die vorhandenen synthetischen Schätze vielfach verschüttet
und können nur von behutsamen Händen gehoben werden, welche
die klaren Linien der Sprachgebilde zu wahren und einen ver-
worrenen Mißbrauch dieses empfindlichen Instrumentes in einen
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 46
722 Joachim Tiburtius,
sinngerechten Sprachgebrauch umzuwandeln vermögen. Mittels die-
ser Philologie, im edelsten Sinne, hat Rudolf v. Ihering die Rechts-
philosophie um ein ganz neues Bild der menschlichen Gemeinschaft
in ihren Zusammenhängen bereichert, das den Unterscheidungsreich-
tum unserer Sprache in zwingendster Klarheit wiedergibt.
Um zu erkennen, daß die Wirtschaftswissenschaft zu einer
solchen Sicherheit in den Grundbegriffen noch nicht gelangt ist,
genügt es festzustellen, wie vieldeutig der Ausdruck „Bedürfnis“
nicht allein in der Umgangssprache des Alltages, sondern mit be-
sonderem Mangel an Unterscheidungsschärfe in der fachwissen-
schaftlichen Literatur verwendet wird. Die nationalökonomische
Begriffsbildung hat den „populären Sprachgebrauch“ noch nicht
von der „Vieldeutigkeit und Verschwommenheit gesäubert‘, wie es
Schmoller von ihr verlangt!). Inwiefern die Wirtschaftswissenschaft
an dem uns beschäftigenden Begriffe ein besonderes Interesse habe,
wird am Schlusse der Darstellung an der Hand des gewonnenen
Materiales zu beantworten sein, hier fragen wir nur nach der Be-
rechtigung terminologischer Kritik. Unter den volkswirtschaftlichen
Forschern, die sich eingehender mit dem Begriffe beschäftigten,
haben die meisten ihn als eine innere Bewußtseinstatsache gedeutet,
als ein bestimmtes Verhältnis des Menschen zu den ihm nötigen
Gütern, seinem Bedarfe. So finden wir das Bedürfnis erklärt bei
v. Hermann, Wagner, Brentano, Schäffle, Cuhel, Gurewitsch und
Oppenheimer. Daneben verwenden andere Schriftsteller die Aus-
drücke „Bedürfnis“ und „Bedarf“ ganz unterschiedslos. So er-
blickt Philoppovich?) im ersten Bande seines Grundrisses den Aus-
gangspunkt der menschlichen Wirtschaft zutreffend in dem Ver-
langen nach den erforderlichen Sachgütern. Die wirtschaftliche
Aufgabe besteht für ihn in der Beschaffung des erforderlichen Vor-
rates an Gütern; diesen nennt er „Bedarf“, das ihm geltende Ver-
langen „Bedürfnis“, ganz im Sinne unserer Vorschläge. Bald darauf
aber spricht er von einer „Bedarfsbefriedigung‘, während es nach
dem eben Gesagten doch unbestreitbar Bedürfnisbefriedigung heißen
müßte, da ein Sachvorrat nicht das Subjekt eines inneren Erlebnisses
sein kann.
Anders zu bewerten als diese sprachliche Ungenauigkeit ist
die grundsätzliche Gegnerschaft, die der Philosoph Döring zu den
an erster Stelle genannten Gelehrten einnimmt. Er versteht unter
Bedürfnissen gewisse objektive Erfordernisse?) unseres Daseins,
wie die Gesundheit, die Sättigung und das Wohlgefühl.
Uns erscheint es das Wesen des Begriffes mehr zu erschöpfen,
wenn wir in Richtung der v. Hermann-Oppenheimerschen Auffas-
sung das Bedürfnis als eine subjektive Gleichgewichtsstörung im
menschlichen Organismus ansehen. Wir wollen demnach unter-
scheiden: Bedürfnis, Bedarf und Befriedigungszustand.
1) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, S. 466.
2) Siehe § 31, 32.
3) Philos. Güterlehre, $ 5 ff.
Der Begriff des Bedürfnisses. 723
1) Das Bedürfnis, als seelisches Gebilde.
2) Den Bedarf, als ein objektives Phänomen der Güterwelt.
3) Den durch Beschaffung und Verwendung des Bedarfs herbei-
geführten Zustand der Befriedigung des Bedürfnisses.
Diese Trennung ermöglicht uns unser Wortschatz, im Gegen-
satze zum französischen, der für Bedürfnis und Bedarf nur das Wort
besoin kennt. Sie ist der Döringschen Fassung um deswillen vor-
zuziehen, weil diese in den Bedürfnisbegriff die im Interesse klarer
Unterscheidung entfernten objektiven Merkmale wieder hereinbringt
und so das Bedürfnis mit den Zuständen vermengt, deren Verwirk-
lichung es erstrebt.
Davon ausgehend, müssen wir es ablehnen, von einem „Be-
dürfnisse“ nach einem Zustande zu sprechen, der in der Vorstellung
des Subjektes gar nicht vorhanden ist, oder doch keine Begehrens-
regungen in ihm auslöst. So hört man z. B. manchmal sagen, X sei
ein Verschwender, für ihn sei Sparsamkeit ein dringendes ‚„Be-
dürfnis“. Wäre dies der Fall, so würde die Berechtigung entfallen,
X einen Verschwender zu nennen. Richtig wäre es, von der Not-
wendigkeit sparsamer Wirtschaft für X zu sprechen, oder, um seine
eigene Stellung zu bezeichnen, zu sagen: Es ist mir ein Bedürfnis,
daß X sich zur Sparsamkeit entschließe.
Damit ist Klarheit über den Gegenstand unserer Untersuchung
geschaffen, sein Wesen wollen wir aus seiner Entstehungsgeschichte
kennen lernen.
Es soll im folgenden der Versuch gemacht werden, aus einer
vergleichenden Darstellung ökonomischer, allgemein philosophischer
und, soweit vorhanden, auch psychologischer Forschungsergebnisse
den Begriff des Bedürfnisses zunächst in seiner gemeingültigen
Grundform festzustellen, um dann zu prüfen, in welchem Sinne wir
von einem wirtschaftlichen Bedürfnisse zu sprechen haben. Dabei
wollen wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf diejenigen Bedürfnisse
beschränken, deren Befriedigung unmittelbar zu wirtschaftlichen
Handlungen führt, sondern der gesamte Umkreis der gesellschaft-
lich-erheblichen Bedürfnisse soll uns beschäftigen.
I. Teil.
Der Begriff des Bedürfnisses.
Erstes Kapitel.
Die Entstehung der Bedürfnisse.
A. Entwicklung des eigenen Standpunktes. Quelle, Formen, mittelbares und
unmittelbares Ziel des Bedürfnisses. Unsere Definition. B. Der Stand der Mei-
nungen in der Literatur. I. Die Ableitung der Bedürfnisse aus Lust- und Un-
lustgefühlen. 1) Das Bedürfnis als Gefühl eines Mangels: v. Hermann, Wagner,
Brentano. 2) Psychologisch-genetische Darstellungen: Wahle, Gurewitsch, Münster-
berg. 3) Das Bedürfnis als Gefühl einer Gleichgewichtsstörung: Oppenheimer.
II. Lust und Unlust als Ziele, nicht als Ursachen der Bedürfnisse: Schmoller.
46*
724 Joachim Tiburtius,
IIl. Die Ausschaltung der Lust- und Unlustgefühle als notwendiger Bedingungen
der Bedürfnisse. a) Psychologische Versuche einer anderen Abteilung: Cuhel, Das
Bedürfnis als Streben nach objektiven Wohlfahrtszuständen. Döring, Das Be-
dürfnis als objektive Daseinsbedingung. Meinong, Das Bedürfnis als Verlangen nach
fehlenden Mitteln. Kraus, die Unterscheidung hedonistischer und gewohnheits-
mäßiger Bedürfnisse. Suabedissen, Naturtriebe und äußere Eindrücke als Erzeuger
der Bedürfnisse. b) Ethisierende Ableitungen der Bedürfnisse. Paulsen, Der ri-
goristische Willensbegriff. Schäffle, Die Läuterung des Bedürfnisses vom „‚Drange“
zur „sittlich geregelten Bedarfsgewöhnung“. Sax, Die Beschränkung des Be-
dürfnisbegriffes auf die Erreichung vernüftiger Zwecke. IV. Psychologie und
Oekonomik. Uebersicht über die Ergebnisse dieses Teils unserer Darstellung.
A. Entwicklung des eigenen Standpunktes.
Der Idealzustand eines stabilen Gleichgewichts aller den Orga-
nismus erhaltenden und bewegenden Kräfte wird sich in der
Dynamik des Lebens niemals einstellen. Der unaufhörlich aus-
schaltende und erneuernde Wechsel aller Kräfte des Körpers und
Geistes muß ständige Schwankungen zwischen Mangel und Ueberfluß
erzeugen. Diese Gleichgewichtsstörungen teilen sich der mensch-
lichen Nervenzentrale mit; soweit die Erfahrung reicht, gesellt sich
ihnen die Erinnerung an einen in der Vergangenheit bereits er-
reichten Lustzustand. Doch liegt auch schon vor aller Erfahrung im
Menschen die Ahnung einer Verbesserungsfähigkeit seiner Lage, sie
treibt den Neugeborenen zum Schreien.
Eine Trübung des gegenwärtigen Lustgefühles tritt bereits ein,
wenn eine Störung der objektiv in der Zukunft vorhandenen Har-
monie durch das Dazwischentreten eines bereits erlebten Ereignisses
befürchtet wird. Auch fernerliegende Ereignisse können somit Be-
dürfnisse wecken und fürsorgliche Maßnahmen über längere Zeit-
räume hinaus hervorrufen. Hierin liegt die Wurzel der wirtschaft-
lich erheblichen Bedürfnisse. Dieses subjektive Bild der gegen-
wärtigen Lage wächst mit dem vorgestellten Bilde einer besseren
Zukunft zu einem Gefühle zusammen, dem ein Verlangen nach Aus-
gleich der seelischen Disharmonie entspringt. Dieses Verlangen
wollen wir ein Bedürfnis nennen.
Sein Ziel ist die Bewahrung der noch vorhandenen, oder die
Wiederherstellung der verlorenen objektiven Harmonie.
Von seinen Elementen ist die Empfindung aktueller Unlust
das persönlichste, das nur aus der Eigenart seines Subjektes heraus
entstehen kann. Den begleitenden Vorstellungen kann mittels der
Erfahrung auch aus fremdem Erlebniskreise Inhalt zugeführt wer-
den. Eine Lustvorstellung kann auch aus der Erinnerung an Vor-
teile auftauchen, die wir andere aus dem Besitze eines Gutes haben
ziehen sehen, ohne daß wir für uns den gleichen Genuß zu erwarten
brauchen. Ein Bettler, der sein Wärmebedürfnis mit einer Wolldecke
ganz ausreichend stillt, wird angesichts eines Zobelpelzes nicht so
sehr an den Schutz gegen Kälte, als an den äußeren Glanz denken,
den dieser seinem Träger verleiht. Nicht ein Wärme-, sondern ein
Auszeichnungsbedürfnis wird er mit ihm befriedigen wollen. Die
Klarheit, mit der das Bewußtsein des Bedürfenden die Entstehungs-
Der Begriff des Bedürfnisses. 725
gründe des Bedürfnisses umfaßt; erstreckt sich nicht immer sofort
auf das äußere Ziel als Mittel seiner Erfüllung. Zu ihm führt der
Weg häufig durch Ahnung und Phantasie.
In der Stärke, mit der Ziel und Mittel begehrt werden, wollen
wir die Stufen des Wunsches und des Willens unterscheiden. In
jeder dieser beiden Begehrensformen mischen sich ein Streben und
eine Vorstellung, sie unterscheiden sich durch die Stärke des einen
und die Klarheit des anderen Elementes. Diese letztere mangelt der
‚untersten Begehrensstufe, dem Triebe.
In ihm herrscht das blinde Besitzverlangen, das sich weder
über die Bedeutung des erstrebten Gutes im Gesamtdaseinszu-
sammenhange des Subjektes, noch über den zu seiner Erlangung
führenden Weg, Rechenschaft zu geben vermag. Der Urform des
Triebes mangelt es an der Richtungsbestimmtheit, es fehlt ihr an
einem körperlich bestimmten äußeren Ziele.
Der unberührte Jüngling, der seiner Kraft bewußt wird, emp-
findet ein Sehnen nach dem weiblichen Geschlechte in seiner All-
gemeinheit, ein Verlangen nach lustvoller Befreiung von einem
Drucke. Die Richtung auf ein konkretes Ziel erhält der Trieb erst
durch die Berührung mit dem anderen Geschlecht. Die erlebte Be-
friedigung schafft einen Erfahrungsinhalt und wandelt so das un-
bewußte in ein bewußtes Bedürfnis.
Die Strebenskraft ist im Triebe mächtiger als in den
anderen Begehrensarten, am stärksten im konkreten Triebe, der sich
einem Ziele gegenübersieht.
Der höheren Form des konkreten Triebes, dem Instinkte,
mangelt gleichermaßen die Einsicht in die Angemessenheit des zu
erreichenden Zweckes, indessen treibt ihn sein Wesen in der Regel
auf solche Ziele. So verlangt schon der Neugeborene nach Be-
freiung von der ihm schädlichen Nässe, ohne ein Bewußtsein dieser
Schädlichkeit, noch eines besseren Zustandes zu haben.
Vom Triebe in jeder Gestalt unterscheidet sich der Wunsch
durch das Bewußtsein der vorgesetzten Aufgabe, das ihn als leitende
Macht erfüllt. Ihre Lösung wird jedoch nur als angenehm vor-
gestellt und erhofft, ohne daß der Entschluß entsteht, selber dafür
tätig zu werden.
Der Wille endlich zeigt das Begehren im Stande höchster Be-
wußtheit und stärkster Kraft. In ihm klärt die Besonnenheit des
Wunsches die Macht des Triebes. Das Begehren steigert sich im
Willen zu einer Selbstüberwindungs- und -erziehungsarbeit ım
Kampfe um die Lebensgüter. Im Bedürfnis regt sich das Begehren
zumeist als Trieb oder Wille; die Stärke des Impulses schwankt
indes je nach Erreichbarkeit und Art des Zieles wie auch der
Eigenart des Bedürfenden. Der Energische strebt die Beseitigung
eines als drückend empfundenen Mangels mit größerer Dringlich-
keit an, als der Gleichgültige, der einen mühsam zu erlangenden
Genuß zwar herbeiwünscht, durch fremde Hilfe aber bequemer zu
726 Joachim Tiburtius,
ihm zu gelangen hofft. Andererseits wird die Klugheit auch den
Tatkräftigen von einem Gebrauch eigener Mittel zurückhalten,
wenn er überzeugt sein darf, daß seınem Verlangen auf andere
Weise, z. B. durch eine Unternehmung der Allgemeinheit, Genüge
geschehen werde. Der gewissenhafte Kaufmann verhält sich nicht
jedem Vorteil verheißenden Geschäfte gegenüber mit der gleichen
Begehrlichkeit, wie der bedenkenfreie Jobber. Einen Gewinn, zu
dem er keinen ihm sittlich genügenden Weg sieht, wird er sich
vielleicht wünschen, aber nicht den eigenen Willen für ihn ein-
setzen.
Das Bedürfnis erscheint demnach als eine Begehrenskategorie.
Aus dem Begehren im allgemeinen hebt es sich durch die Besonder-
heiten seiner Ursachen und seines Zieles hervor:
Nur ein aus dem Gefühle oder der Vorstellung einer Gleich-
gewichtsstörung erwachsenes, auf Bewahrung oder Wiederherstellung
des Gleichgewichts zielendes Begehren wollen wir ein Bedürfnis
nennen.
Diesem Oberbegriffe wollen wir Trieb und Instinkt als „un-
bewußte“, Wunsch und Willen als „bewußte“ Bedürfnisse unter-
ordnen. Im Triebe wollen wir weiter eine „ungerichtete Urstufe“
und eine „gerichtete konkrete Stufe“ unterscheiden.
Wir erhalten somit folgenden Stufenbau:
Oberbegriff: Bedürfnis.
Unterbegriffe:
a. nach Richtung und b. nach Strebensstärke
Bewußtsein geordnet: geordnet:
a Trieb. a Wunsch. Strebensschwach.
vela Urtrieb, ungerichtet. B Wille.
wußt.)ß, Konkreter Trieb. y Instinkt.
B Instinkt. ò Trieb. Strebens-
Be- fy Wunsch. richtet. è Urtrieb. stark.
wußt.]d Wille. ò Konkreter Trieb.
Alle diese Begehrensformen haben den gleichen unmittelbaren
Gegenstand: das Gefühlsgleichgewicht. Eine Beeinflussung des ob-
geraro Zustandes der Körperwelt, der das zugrunde liegende Un-
ustgefühl reflektierend ausgewirkt hat, wird nur als Mittel zu
diesem Hauptzwecke erstrebt. Das Verlangen nach innerer Harmonie
erzeugt die Nebenbedürfnisse nach einem äußeren Zustande, mit dem
der innerliche Wert als verbunden vorgestellt wird, und nach den
zu seiner Herstellung dienlichen Gütern.
In die weitere Untersuchung wollen wir vom Boden folgender
Fassung aus eintreten:
Ein Bedürfnis ist das Verlangen, eine Gleichgewichtsstörung im
Organismus zu beseitigen und einen als angenehm bekannten oder
vorgestellten Zustand zu erreichen.
Der Begriff des Bedürfnisses. 727
B. Der Stand der Meinungen in der Literatur.
I. Die Ableitung der Bedürfnisse aus Lust- und Unlust-
gefühlen.
Der Streit der Meinungen in der Literatur gilt in der Haupt-
sache der Frage, welchen Anteil die Gefühle der Lust und Unlust
am Entstehen eines Bedürfnisses haben. Die stärkste Anerkennung
findet ihre Bedeutung in der Hermannschen*) Definition des Be-
dürfnisses als des „Gefühles eines Mangels, verbunden mit dem
Streben, ihn zu beseitigen“. Die Kritik dieser Lehre hat bisher fast
ausschließlich der Einseitigkeit ihre Beachtung geschenkt, mit der
hier der Mangel als letzte Ursache des Bedürfnisses gewürdigt
werde. Man hat demgegenüber oft betont, wie viele erhebliche Re-
dürfnisse gerade dem Ueberflusse entsprängen. Dabei ist aber ein-
mal übersehen worden, daß v. Hermann seinen Leitsatz nicht auf-
gestellt hat, ohne vor einem zu eng gefaßten Begriffe des „Mangels“
zu warnen. Er hat dann weiterhin das Bedürfnis als Aeußerung
des Triebes nach Selbsterhaltung und Fortdauer dargestellt. Er hat
den Mangel keineswegs mit materieller Not gleichgesteilt, sondern
mit diesem Worte die Tatsache eines Fehlens im weitesten Sinne
ausdrücken wollen. Auch’ dem Nabob kann zur inneren und äußeren
Harmonie viel fehlen, z. B. eine würdige Gelegenheit zur Verwen-
dung seines Reichtumes, wie es Bernhard Shaw) in seinem Essay
über die Not dieser Klasse am Beispiele unserer Tage schildert. Ihm
fehlt in der Arbeitsmöglichkeit ein Gut, dessen er zum vollendeten
Gleichgewichte bedarf. Diese Lücke wird zur Quelle von Bedürf-
nissen und heißt mit demselben Rechte ein Mangel, wie eine Leere
im Geldbeutel. Die Gegner v. Hermanns, wie z. B. Cuhel®), ver-
kennen die Relativität des Mangelbegriffes und sind vielleicht un-
bewußt in den Maßstäben volkstümlichen Denkens befangen. Der
Verfasser hätte sich diese Angriffe allerdings durch Wahl eines
geeigneteren Ausdruckes ersparen oder ihnen mindestens durch
einige, seine vom allgemeinen Sprachgefühle abweichende Auffassung
erläuternde, Beispiele vorbeugen können.
Wenn v. Hermann als Ziel des Bedürfnisses nicht die Be-
seitigung des „Gefühles“, sondern die des „Mangels“ selber hinstellt,
so übersieht er, daß damit nur der äußere Anlaß, nicht aber die
innere Ursache des Begehrens hinweggeräumt würde. Zum Aus-
gleiche der inneren Störung ist ferner die Behebung des sie hervor-
rufenden äußeren Zustandes oft weder erforderlich noch möglich.
Es muß vielmehr manchmal bei einer objektiven Abschwächung des
Schadens oder subjektiven Betäubung des Gefühles sein Bewenden
haben, wodurch dann das Bedürfnis ausgelöscht oder abgeschwächt.
wird, ohne daß der es verursachende Mangel aufgehört habe, zu
4) Staatswirtschaftl. Unters., 8. 43 ff.
5) Sozialismus für Millionäre, Berlin 1907. Deutsch von G. Landauer.
6) a. a. O. 8. 90.
728 Joachim Tiburtius,
existieren. Es kann z. B. neben ihn ein gänzlich anders gearteter
Wohlfahrtszustand treten, der ablenkend wirkt.
Zu diesem Irrtume über das Ziel des Bedürfnisses gesellt sich
die Nichtachtung der Erinnerungs- und Erfahrungsvorstellungen,
die den Gedanken ins Bewußtsein einführen, daß ein in der Ver-
gangenheit vom Subjekte selber oder einem seiner Beobachtung zu-
gänglichen Menschen erreichter Wohlfahrtszustand auch für die
Gegenwart oder Zukunft zu verwirklichen sei.
Die Fähigkeit dieser Vorstellungen, dem Bedürfnisse Inhalt
und Richtung zu geben, wird voll von Adolf Wagner?) erkannt,
der im übrigen auf dem Boden v. Hermanns steht. Er schildert
den Ablauf, in dem aus einem unbefriedigten Bedürfnisse Unlust,
und aus dieser wieder ein Bedürfnis entstehe. Der Gedanke an
früher genossene Lust ist dabei Sporn und Steuer des Begehrens.
Wagner gedenkt dabei auch der tierischen Bedürfnisse, die
Analogie zwischen dem Werdegange menschlicher und dem tierischer
Bedürfnisse wird von Wagner nur streifend berücksichtigt, sie
muß jedenfalls verteidigt werden gegen Kraus8), der den Tieren
schlechthin die Gabe abstrahierenden Denkens abspricht. Der
hungrige Hund eilt stets zu der Stelle, an der er bereits öfters ge-
füttert worden ist, oder zeigt die Künste, für die er Leckerbissen zu
erhalten gewohnt ist. Die Zuckerdose, den Hut seines Herrn und
die Peitsche vermag der kluge Hund durchaus in ihrer unterschied-
lichen Bedeutung für sein Wohl zu erfassen und offenbart in seinem
Verhalten diesen Gegenständen gegenüber die entsprechenden Be-
dürfnisse. Er wartet vor der Zuckerdose, bringt den Hut im Maule
herbei, um den Herrn zum Ausgehen zu ermuntern, oder äußert
Zeichen der Freude, wenn dieser ihn zur Hand nimmt, während er
die Peitsche flieht, sobald der Herr nur nach ihr greift. Hierin sind
deutlich die Stufen des Unbehagens über einen gegenwärtigen
Mangel, die Erinnerung an eine bereits erlebte bessere Lage und das
Verlangen nach ihrer Wiederherstellung erkennbar. Die Erinnerungs-
vorstellungen, die das Begehren auf einen bestimmten Gegenstand
hinlenken, sind keineswegs von dessen gegenwärtigem sinnlichen
Eindrucke abhängig. Der Hund sucht seinen Maulkorb in der
ganzen Wohnung, wenn er mitgenommen werden möchte. Die Vor-
stellung entsteht hier abstrakt ohne unmittelbare sinnliche Ver-
mittlung.
Dem Menschen weisen die tierischen Bedürfnisse die Wege zu
ihrer Erziehung und Beherrschung und werden so zur Grundlage
eigener Bedürfnisse.
Eine ähnliche Ungenauigkeit, wie wir sie bei v. Hermann an-
treffen, kennzeichnet die Brentanosche Definition des Bedürfnisses
als einer Unlustempfindung, verbunden mit dem Streben, den sie
7) Grundlegung der polit. Oekonomie I, 1, 1, S. 73 ff.
8) Das Bedürfnis, S. 19 ff.
Der Begriff des Bedürfnisses. 729
hervorrufenden Mangel zu beseitigen. Die Beziehung des Strebens
auf den objektiven Mangel, statt auf das ihn subjektiv wider-
spiegelnde Unlustgefühl verkennt das Ziel des Bedürfnisses. Für
Brentano wäre es leicht gewesen, dem Worte „Mangel“ einen über
die landläufige Bedeutung des Ausdruckes hinausgehenden, klärenden
Zusatz zu geben. Er schildert den Seelenzustand des Menschen als
ein Verhältnis von Lust- und Unlustempfindungen, in dem der
Abzug der letzteren von den ersteren den Ueberschuß eines Wohl-
gefühles ergebe. Trotz der Schiefheit dieses der Mechanik entlehnten
Bildes hätte sich doch aus ihm die Ueberlegung entwickeln können,
daß auch diesem positiven Saldo ein Bedürfnis nach Erhaltung oder
Verwendung der vorhandenen Kraft entstammen könne. Es hätte
sich dann leicht ein Ausdruck gefunden, der diese Bedürfnisquelle
mitberücksichtigt hätte, sei es daß er den subjektiven Zustand ge-
kennzeichnet hätte, wie etwa „Entbehren‘“, oder den objektiven, wie
„Fehlen“.
Eine eingehendere genetische Behandlung des Bedürfnisses hat
Wahle unternommen. Er unterscheidet die Abschnitte der Störung
eines „gewohnheitsmäßigen Ablaufes“, eines daraus entstehenden
Unlustgefühles, der Vorstellung eines davon befreienden Mittels und
dessen Verwendung, die zur Wiederherstellung des gewohnten Zu-
standes führt. Dieser Begriff der „Gewohnheit“ erscheint einerseits
zu enge, gleichsam stilisiert, als einzige Voraussetzung eines Be-
dürfnisses, entbehrt anderseits der festen Begrenzung hinsichtlich
seines Inhaltes. Er läßt keinen Raum für die Ableitung von Be-
dürfnissen, die in ungewohnten Lagen entstehen, in denen sich
ebensowenig eine feste Gewohnheit des Verlaufes bilden kann, wie
im Leben eines Menschen, in dem wechselnde Eindrücke von Be-
hagen und Unbehagen einander die Wage halten. Unterbrechungen
eines gewöhnlichen Schicksales sind häufig gerade das Ziel eines
Begehrens. Das Großstadtkind, das aus Lärm und Häuserenge her-
aus in den Frieden ländlichen Lebens gerät, der von Jugend auf
Kranke, dem Gesundheit geschenkt wird, sie werden in ganz neue
Zustände versetzt, ohne Unlustgefühle und Verlangen nach dem
gewohnten Gange der Dinge zu empfinden. Vielmehr wird das
Bedürfnis rege werden, den gewohnten Zustand fernzuhalten, sobald
er nur in der Erinnerung auftaucht.
Abweichend von der gemeinen Meinung ist die von Wahle ge-
gebene Analyse des Willens, als dessen Bestandteile der Verfasser
die Vorstellung der Ausführungshandlung und ihren Versuch ansieht.
Da der Versuch einer Handlung stets den Anfang ihrer Ausführung
darstellt, mithin bereits ein Teil ihres Verlaufes ist, würde der
Wille damit aus einer Seelentatsache zu einer äußeren Realität
werden.
Die Gefahren allzu knapper synthetischer Sprache bei der
Wiedergabe verwickelter innerer Vorgänge, werden am klarsten,
wenn man ihr die Arbeit eines Forschers gegenüberstellt, der sich
bemüht, für jedes Glied der Kette den sein Wesen verdeutlichenden
730 Joachim Tiburtius,
Sonderausdruck zu finden, jedem in der genetischen Darstellung
den ihm zukommenden Platz der Staffel anzuweisen. Diese pein-
liche Sorgfalt der Analyse findet sich bei Gurewitsch?). Er nennt
die zur Entstehung eines Bedürfnisses führenden Tatsachen in der
Reihenfolge ihres Wirksamwerdens. Er unterscheidet in jedem Be-
dürfnisse sieben Wurzeln:
1) den objektiven Zustand des Subjektes, er erzeugt ein Gefühl
des Unbehagens, das
2) ein Streben nach seiner Beseitigung hervorruft. Zu diesem
Streben gesellt sich als Wegweiser auf dem Wege zur Lust
3) das in der Erinnerung aufleuchtende Wohlgefühl, das durch
die letzte Bedürfnisbefriedigung hervorgerufen war. Es weist dem
Streben die innere Richtung und wandelt es in
4) das bestimmte Verlangen nach Wiederherstellung des er-
lebten Wohlfahrtszustandes. Zu diesem inneren muß
5) ein äußeres Ziel des Strebens treten, ein Gegenstand der
6) als taugliches Mittel zur Herbeiführung des ersehnten Zu-
standes vorgestellt wird. Das Zusammenwirken verschiedener Muskel-
und Bewegungsempfindungen führt dann endlich
7) zu der das Bedürfnis befriedigenden Handlung. Ohne eine
Vereinigung aller dieser Bestandteile kann der Verfasser ein Be-
gehren nur als zusammenhanglose Seelenbewegung ansehen, die zu
keiner zweckmäßigen menschlichen Tätigkeit führen, also auch nicht
unter den Begriff des Bedürfnisses fallen können.
In der Reihe der Elemente scheint uns der Schlußstein ent-
schieden ein Fremdkörper zu sein. In den der Befriedigungshandlung
vorangehenden Muskel- und Bewegungsempfindungen lebt nicht mehr
das Begehren nach einem Wohlfahrtszustande, sondern nur die Vor-
stellung von Teilen, des, zu seiner Verwirklichung führenden Tuns,
die wir von dem nebenher bestehenden Bedürfnisse trennen möchten.
Auch möchten wir bestreiten, daß stets ein gegenständliches
äußeres Ziel des Bedürfnisses vorhanden sei, es gibt Bedürfnisse
nach Handlungen und Zuständen, so nach einem Spaziergange oder
einer religiösen Andacht. Scharf betont ist der dem Bedürfnisse
wesentliche Erkenntnisinhalt, durch den es sich von den rein körper-
lich-organischen und den instinktiven Bewegungen und Regungen
trennt. Aus den Spuren, die letztere im Zentralorgane hinterlassen,
können dann in der nächsten Lage gleichen Charakters vermittels
Assoziationen der „Bewegungs- und Befreiungserinnerungen‘“1P)
Vorstellungen und von diesen erfüllte Begehren entstehen. Ohne
die Erinnerung an einen vergangenen Lustzustand kann Gurewitsch
sich ebensowenig ein Bedürfnis entstehend denken, wie ohne diese
Grundlage weiterhin eine zweckmäßige menschliche Handlung. Da-
bei legt er den Ton mit einer nicht verständlichen Einseitigkeit nur
9) Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und die soziale Gliederung
der Gesellschaft, 8. 1ff.
10) Gemeint sind damit offenbar Erinnerungen an den befreienden Erfolg
gewisser Bewegungen.
Der Begriff des Bedürfnisses. 731
auf das letzte Befriedigungserlebnis. Die Vorstellungskraft der Er-
innerung reicht auch in weiter zurückliegende Zeiträume, und er-
möglicht es dem Begehren, unter vielen Zuständen den für die je-
weilige Gegenwart am günstigsten erscheinenden zu wählen, ohne
daß die zeitliche Entfernung in der Vergangenheit darauf Einfluß
haben könne. Die Klarheit über den zu erreichenden Wohlfahrts-
zustand, welche die meisten Bedürfnisse beherrschen wird, im selben
Maße auch für das Mittel zu seiner Herstellung zu verlangen, geht
wohl etwas zu weit. Es kann jemand sehr wohl ein starkes und
deutliches Bedürfnis nach einer sättigenden Mahlzeit verspüren,
ohne im Augenblicke zu wissen, welches Nahrungsmittel ihm zu
diesem Genusse am wirksamsten und mühelosesten verhelfen könne.
Münsterberg!!) sieht in Unlust und Lust gleichfalls Trieb-
federn des Willens, die aus seinen Zielen heraus wirkten und Hand-
lungen zwecks Beseitigung der einen und „Fortdauer‘ der anderen
erzeugten. Dabei ist freilich die Lust nicht berücksichtigt, die erst
durch Beseitigung der Unlust gewonnen werden soll. Der Meinung
des Gelehrten, daß wir diese unmittelbar ursächlich wirkende Lust
nicht selber, sondern den ihr zugrunde liegenden Zustand herstellen
wollten, kann beigestimmt werden, wenn dabei an den inneren Zu-
stand der Kräfteharmonie zu denken ist. Diesen begehren wir aller-
dings um seines eigentlichen Wesens willen, weil er nämlich not-
wendigerweise Lust in sich schließt, mit Lust schlechthin iden-
tisch ist.
Mit der Definition, die Franz Oppenheimer in seiner „Theorie
der reinen und politischen Oekonomie‘‘12) gibt, hat unser Versuch
den Ausgangspunkt gemein. Auch er geht von dem Vorhandensein
einer „Störung im Gleichgewichte der Substanz und Energie des
Organismus“ aus, die im Bewußtsein reflektiere und sich in einem
Streben nach ihrer Beseitigung auswirke. Oppenheimer stellt die
Bedürfnisse, in denen ein Bewußtseinsgehalt wirkt, als solche ‚im
engeren Sinne“ den „Trieben“ gegenüber, für die er indes den Namen
eines Bedürfnisses im weiteren Sinne in Anspruch nimmt. Je
nachdem die eine oder andere Unterart vorherrscht, nennt er die
Phasen der Befriedigung, die sich aus dem „Bedürfnisse im
engeren Sinne“ entwickeln, eine „Handlung“ zur Wieder-
herstellung des Gleichgewichtes und dieses Ergebnis einen „er-
reichten Zweck“, während dem „Triebe“ eine energetische
„Reaktion im engeren Sinne“ und ein „Erfolg“ im Kräftever-
hältnisse entsprechen.
Allen bisher genannten Forschern ist die Ueberzeugung gemein-
sam, daß nur ein Unlustgefühl unmittelbare Quelle eines Bedürf-
nisses sein könne, mag es aus einem Ueberflusse oder einem Mangel
an Kräften im Organismus entspringen. Bei einigen anderen Schrift-
stellern ist eine so klare Stellungnahme zu dieser Grundfrage nicht
zu finden.
"sg 11) Philosophie der Werte, S. 61.
12) Siebe 8. 13 ff.
732 Joachim Tiburtius,
II. Lust und Unlust als Ziele, nicht als notwendige
innere Ursachen der Bedürfnisse.
Einen neutralen Standpunkt zeigt Schmoller!3). Er erklärt
„jede mit einer gewissen Regelmäßigkeit aus dem Leben des Or-
ganismus auftretende, gewohnheitsmäßige Notwendigkeit, durch
irgendeine Berührung mit der Außenwelt unsere Unlust zu bannen,
unsere Lust zu mehren“, für ein Bedürfnis. Es bleibt die Frage,
mit welchem Maßstabe die „Notwendigkeit“ zu messen sei, um ihr
Auftreten als „regelmäßig“ festzustellen. Der hier eingeführte
objektive Begriff der Notwendigkeit verwischt den Begehrens-
charakter des Bedürfnisses. Die Notwendigkeit, einëm Uebergewichte
von Lust oder Unlust zu steuern, kann vorhanden sein, ohne ein
Streben des davon Betroffenen zu erzeugen, so z. B. bei Zuständen
krankhafter Erregung oder Niedergeschlagenheit. Auch diese De-
finition verhindert es, wie die Wahlesche, außergewöhnliche Be-
gehrensregungen unter den Begriff des Bedürfnisses zu bringen.
Da seine Befriedigung nur durch Berührung mit der Außen-
welt möglich sein soll, so ist die Einordnung jedes Verlangens un-
möglich, dem nur durch innerlich-organische Vorgänge geholfen wer-
den kann. Wir denken dabei an die aus seelischer Not oder zum
Teile auch aus wirtschaftlicher Bedrängnis entstammenden Be-
“gehren, die häufig nur durch einen Willensvorgang, einen rettenden
Entschluß zu stillen sind. Die erzieherische Kräftigung und Läute-
rung des Willens, die das Individuum aus dem Erleben dieser in
ihrem Ziele streng innerlichen Bedürfnisse davonträgt, sichern
ihnen einen Platz in jeder soziologischen Betrachtung, die sich mit
den subjektiven Voraussetzungen der menschlichen Gemeinschaft-
lichkeit beschäftigt. Der Rahmen des Schmollerschen Werkes, in
dem sich diese Auslassungen finden, setzt der Behandlung unseres
Begriffes natürliche Grenzen hinsichtlich ihrer Ausdehnung und Ein-
dringlichkeit.
III. Die Ausschaltung der Lust- und Unlustgefühle als
notwendige Bedingungen der Bedürfnisse.
Mit anderem Maße muß unter den Gegnern unserer Motivlehre,
Franz Cühel, gemessen werden, der in einer Riesenmosaikarbeit wohl
das geschlossenste Bild der Bedürfnisentstehung bietet1#). Jedes
Wort seiner Darstellung legt Zeugnis ab von dem Bestreben, zu
einem reinlich klärenden Sprachgebrauche zu gelangen.
Das menschliche Leben stellt sich ihm als eine Kette von Zu-
ständen dar, die den Organismus in seinen Funktionen fördern oder
hemmen. In ihrer Gesamtheit ergeben diese partiellen Wohlfahrts-
zustände den „Totalwohlfahrtszustand‘“. Die Skala ihrer Verände-
rungsmöglichkeit führt von einem „absoluten Nullpunkte“, dem
Tode, über einen „relativen“, den Indifferenzpunkt zwischen lebens-
13) Grundriß, Bd. 1, 8. 23.
14) a. a. O.
Der Begriff des Bedürfnisses. 7133
hemmenden und -fördernden Zuständen, hinaus bis zu einem positiven
Wohlfahrtsgegenpole von schwankender Höhe. Die Wohlfahrts-
zustände gelangen zu unserem Bewußtsein durch Empfindungen, die
freilich häufig die Wirklichkeit nur umgebildet wiedergeben. Ein
negativer Wohlfahrtszustand kann ein Lustgefühl, ein positiver ein
Unlustgefühl erwecken. Dann gilt es, das gefühlsmäßig gefällte
Urteil ınit den Maßstäben des Denkens und der Erfahrung zu be-
richtigen. Oft bleibt eine unmittelbare Wirkung eines Zustandes auf
das Gefühlslebens aus, und erst eine seiner Folgeerscheinungen
spiegelt sich in einer Gefühlsbewegung.
So entstehen neben den körperlichen die gleichermaßen zu be-
wertenden geistigen Wohlfahrtszustände. Das Gefühl vermittelt uns
nicht allein das Erleben unserer persönlichen Wohlfahrtszustände,
sondern auch die Teilnahme an denen uns nahestehender Menschen.
Diese Verbindung pflegt besonders innerhalb der durch die Ge-
meinschaft des Blutes, der Nationalität und ähnlicher Bande ge-
bildeten Gruppen zu einem hohen Grade von Empfindlichkeit und
Stärke zu gelangen. Cühel unterscheidet die auf diesem Wege im
mitempfindenden Individuum entstehenden Wohlfahrtszustände als
„induzierte‘“, von den aus dem eigenen Organismus des Subjektes
hervorgehenden, als den „originären“. Als Erkenntniszentrum für
den Charakter der Zustände läßt er „vorderhand‘“ das Gefühl gelten,
dessen Ergebnisse dann der verstandsmäßigen Nachprüfung unter-
liegen sollen.
Der Verfasser unterscheidet im menschlichen Organismus psy-
chische Bewegungen mit Anteilnahme des Bewußtseins und phy-
sische, die dieses Einschlages entbehren. Die hier allein inter-
essierenden ersteren werden von den sogenannten Strebungen aus-
gelöst, Reaktionen der seelischen Energie auf einen siebeeinflussenden
Reiz. Sie erfolgen willkürlich oder unwillkürlich, wie z. B. die
psychischen Reflexe und die Gewohnheitsbewegungen, die lediglich
unter dem Eindruck einer Empfindung oder Wahrnehmung ohne
Mitwirkung eines Gefühles und eines mit ihm verbundenen Strebens
entstehen. „Der Instinkt dagegen ist ein durch Gefühl ausge-
löstes Streben nach objektiv zweckmäßigen (der Arterhaltung!5)
dienenden) Bewegungen ohne Bewußtsein ihres Zweckes.“ (S. 12.)
Begehren heißt nach einem vorgestellten Wohlfahrtszustande
streben, dessen Eintritt weder unmöglich noch notwendig im natür-
lichen Verlaufe der Ereignisse begründet erscheint. Zum Willen
wird nach Cühel ein Begehren dann, wenn es sich trotz entgegen-
stehender Bewußtseinsinhalte hemmungslos in eine Bewegung der
Organe oder in eine Veränderung des Bewußtseins umsetzen kann,
der Wunsch ist dagegen eine impulslose oder impulsschwache
Glücksvorstellung. Die Begehren entstehen aus Gefühlen, Ge:
15) Die Bedeutung der Instinkte für die Selbsterhaltung ist hier von Cühel
übersehen worden, obwohl sie näherliegt.
734 Joachim Tiburtius,
fühlsvorstellungen‘16), oder der Ueberlegung, daß bei ungestörtem
Fortgange ohne Eingreifen des Subjektes eine Erhöhung oder Ab-
schwächung des derzeitigen Wohlfahrtszustandes eintreten könne.
Diese Ueberzeugung äußert sich als Vorfreude beziehungsweise
Furcht; kommt es nur zu einer Vermutung, so entstehen Hoffnungen
oder Sorgen. Die Intensität der Hauptgefühle scheint dem Verfasser
die der Vorgefühle um deswegen stets überragen zu müssen, weil
anderenfalls mangels eines noch zu verwirklichenden Zieles kein
Begehren mehr bestehen bleiben könne. Andererseits erzeuge die
Vorstellung erheblicher Steigerungsfähigkeit der aktuellen Lust ein
das Begehren anspornendes Gefühl der Unzufriedenheit, während
umgekehrt die Vorfreude es abschwäche.
Eine unentbehrliche Bedingung des Begehrens erblickt Cühel in
dem Unlustgefühle nicht. Folgerichtig sieht er das wahre Ziel des
menschlichen Strebens nicht in der Glückseligkeit, sondern ‚in dem
mit einem objektiven Wohlfahrtszustande verbundenen Gefühle, dem
subjektiven Wohlfahrtszustande, der wiederum positiv oder negativ
ausfallen kann“. Die mit einem solchen Zustande etwa verbundene
Glückseligkeit diene nur dem Mechanismus der Arterhaltung.
In dieser beabsichtigten Verneinung liegt aber doch ein starkes
Zugeständnis; denn die subjektiven Wohlfahrtszustände, deren Vor-
stellung als Beweggrund der menschlichen Handlungen gelten soll,
werden doch der Lustseite näher liegen, als der entgegengesetzten,
da nur um dieser Bewegung willen, die Entstehung eines Begehrens
begriffen werden kann. „Glückseligkeit“ ist freilich wohl eine etwas
zu starke Gefühlsbetonung, es muß nur das erstrebte Ziel dem
positiven Wohlfahrtspole um einen Grad näherlıegen, als der gegen-
wärtige Zustand.
Für die subjektiven Wohlfahrtszustände hat Cühel eine Skala,
die sich von der für die objektiven aufgestellten nur durch das
Fehlen eines dem Tode entsprechenden absoluten Nullpunktes unter-
scheidet, da dessen subjektive Wirkung für viele Menschen in der
Erlösung von größerer Unlust liegt. In der Gesamtheit dieser Einzel-
zustände erblickt der Verfasser zwar einen Totalwohlfahrtszustand,
warnt aber davor, mit diesem Namen eine trügerische mathematische
Genauigkeit zu verbinden, da nicht die Zustände selber, sondern die
aus ihnen erwachsenden, schwankenden Begehren in Wechselwirkung
ständen, einander aufheben oder stärken könnten. Uns scheint die
Unmöglichkeit rechnerischer Bestimmungen der Gefühle als einer
Einheit minder in ihrer gegenseitigen Unabhängigkeit, als in ihrem
Veränderlichkeitskoeffizienten begründet zu sein. Als eines besonderen
Umstandes im Verhältnis von Gefühl und Begehren gedenkt Cuhel
der Abschwächung, die von einem Schmerzgefühle auf ein Lust-
begehren ausgehen kann, wenn der Schmerz selber lustbringend
4 16) Im Gegensatz zu seiner Lehre behauptet die gemeine Meinung, daß nur
eine Vereinigung von Vorstellung und Gefühl zu einem „Vorstellungsgefühl“, nicht
aber eine „Gefühlsvorstellung“ als Willensquelle anzusehen sei.
Der Begriff des Bedürfnisses. 735
wirkt, es sei denn, daß er nur als Vorgefühl empfunden, und eine
Steigerung durch den weiteren Begehrensverlauf erwartet wird.
Gar nicht einzuleuchten vermag es indes, daß die Intensität
der Vorgefühle, wie der Vorfreude und Sorge stets der Stärke des
nachfolgenden Hauptgefühles unterlegen sein solle. Die alltägliche
Erfahrung lehrt eher das Gegenteil. Wie oft werden beseligende
Vorstellungen kommender Freuden durch das wirkliche Erlebnis
zerstört oder doch durch eine an Lustgehalt wesentlich schwächere
Empfindung der Realität abgelöst. Auch bei Erreichung eines
positiven Wohlfahrtsgewinnes kann allzu lebhafte Vorfreude die
Empfindungskraft verbraucht und dem Hauptgefühle nur eine weit
geringere Stärke übrig gelassen haben. Dasselbe gilt von vielen
Fällen der Erwartung drohender Wohlfahrtsabnahme, für das Ver-
hältnis von Furcht im voraus und späterem Eindruck der Wirklich-
keit. Der Cühelsche Beweisversuch, ‚es könne bei einem das Haupt-
gefühl an Stärke überragenden Vorgefühle mangels eines zu ver-
wirklichenden Zieles kein Begehren mehr übrig bleiben“, vermag
vollends nicht durchzuschlagen, da in dieser Rechnung der Irrtum
als Wegweiser menschlichen Denkens und Strebens vergessen ist.
Die Wirkung eines starken Vorgefühles liegt gerade in der Er-
wartung eines noch höheren Grades von Genuß oder Unbehagen
in der Zukunft. Falls kein stärkerer Beweggrund aus dem Ver-
standesbilde des zu erwartenden Ereignisses hemmend eingreift,
wird diese Gefühlsbestimmung zur Triebfeder des Begehrens, das
nun je nach der Art des Erlebnisses auf seinen Eintritt oder seine
Abwehr gerichtet ist. Dem Gefühle selbst ist die etwa mangelnde
Uebereinstimmung des von ihm entworfenen Zukunftsbildes mit der
späteren Wirklichkeit in der Regel nicht erkennbar, sie kann daher
ohne eine besondere Denkarbeit nicht, wie Cuhel annimmt, das Be-
gehren ausschalten oder lähmen.
Gerade in der Freude, die ein erwartetes Ereignis voraus-
wirft, äußert sich die Tätigkeit der Lustvorstellung, durch Er-
weckung der Hoffnung auf eine die Gegenwart noch übersteigende
Zukunft den Menschen zu weiterem Kraftaufwande anzuspornen.
Diese Reizwirkung kann einem starken Vorgefühle jedenfalls zu
höherer Nützlichkeit im Mechanismus der Selbst- und Arterhaltung
verhelfen, als einem schwachen. Wir möchten bezweifeln, daß bei
korrespondierender Stärke oder gar einem nach Cühel orientierten
Verhältnisse der Vor- und Hauptgefühle die wichtigsten Erhaltungs-
leistungen zugunsten der beiden großen Weltgrundlagen noch ständig
auf ihrer gegenwärtigen Höhe stehen würden. Ohne einen Zusatz
heilsamen Irrtumes aus dem Vorrate des Optimismus wären die-
jenigen Lustvorstellungen nicht dauernd denkbar, die das Streben
nach den Gütern erwecken und rege halten.
Wir sehen, daß der Verfasser im Verlaufe seiner Arbeit der Be-
deutung der Glücksgefühle für das menschliche Wollen doch einen
weit höheren Grad von Aufmerksamkeit widmet, als man nach der
oben geschilderten programmatischen Stellungnahme wohl erwarten
736 Joachim Tiburtius,
durfte. Ihre Unentbehrlichkeit im „Mechanismus der Arterhaltung“
erkennt er wohl an, es fehlt nur das Zugeständnis, daß sie im Be-
wußtsein zu Willensmotiven werden. Ihre fortdauernde Wirksam-
keit in diesem Zusammenhange ist aber doch nicht ein jedes Mal
wieder überraschender zufälliger Nebenumstand, sondern lebt im
. Bewußtsein jedes Einzelnen als tiefgewurzeltes Erbteil der Urge-
schlechtserfahrung und erweckt das Streben nach Erhaltung der Art.
Weil Lust und Schmerz die wirksamsten Reizmittel des Willens
sind, deshalb ist ihre Verbindung mit Vorgängen zweckmäßig und
wirksam, die für den Bestand und die Fortentwicklung des Welt-
alles und seiner Bewohner in förderlichem, wie verderblichem Sinne
erheblich sind. Wie die Lust daran, Kinder zu erzeugen und in
ihnen fortzudauern, die Menschen paart, so treibt die Unlust des
Krankseins oder der Gefährdung durch Wassers- und Feuersmacht
zur Abwehr gegen diese Schädigungen. Diese Gefühle könnten nicht
motivierend wirksam werden, wenn die Erfahrung sie nicht dem
Bewußtsein reproduzierte und so das Streben erweckte, aus der
Gegenwart heraus in den Genuß des einen zu gelangen, das andere
zu fliehen. Ob wir in diesem Vorgange ein „Vorstellungsgefühl“
mit der gemeinen Meinung, oder eine „Gefühlsvorstellung‘“ mit Cühel
erblicken wollen, ist unerheblich. Wichtig ist nur, daß Gefühle sich
auf die Strebungen der Seele übertragen und ein Begehren nach dem
äußeren Mittel wachrufen, das zur Herstellung des Gleichgewichtes
dienlich ist.
Wer mit Cühel für die Lust eine wesentliche Rolle im Me-
chanismus der Arterhaltung in Anspruch nehmen, aber leugnen
will, daß sie der Grund und Gegenstand des Strebens sei, der bleibt
die Erklärung schuldig, wie sie dieser Aufgabe gerecht werden solle.
Zutreffend in unserm Sinne würdigt Döring!?) die Bedürfnisse
als die „innere Möglichkeit“ der zu ihrer Befriedigung nötigen
Güter. Die Bedürfnisse erst prägen den Dingen der Außenwelt den
Stempel von Gütern und Uebeln auf, sind ihre Wertursache und
ihr Wertmesser zugleich. Nur bleibt bei Döring, ähnlich wie bei
Schmoller, der Bedürfnisbegriff überwiegend im Objektiven stecken,
die Bedürfnisse sind für ihn „Erfordernisse unserer Existenz‘, die,
soweit ihnen Genüge geschieht, als Lust, anderenfalls als Unlust im
Bewußtsein zu reflektieren vermögen. Nicht das Verlangen nach
einer Daseinsbedingung, sondern diese selber soll ein Bedürfnis
heißen. In diesem ist ein Streben nicht enthalten, sondern erst in
seinem gefühlsbetonten seelischen Widerscheine. Das Streben ist
demnach bei Döring nicht der beherrschende Grundtrieb der Seele,
sondern erst ein sekundäres Erzeugnis unserer Unlust oder mangel-
haften Lust. Diese Auffassung scheidet sich von der unsrigen in
den Benennungen der Glieder des Herganges, hat aber in seiner Ab-
leitung wesentliche Punkte mit ihr gemein. Das verbindende
17) a. a. O. 8. 6ff.
Der Begriff des Bedürfnisses. 737
Merkmal ist die Ordnung des zum Streben führenden ursächlichen
Zusammenhanges, dessen Teile eine Störung im Gleichgewichte des
Organismus und ihr als Unlust empfundener Widerschein im Be-
wußtsein sind. Eine unvollkommene Lust wollen wir dabei der
Unlust gleichachten. Es fehlt bei Döring allerdings das Glied der
das Streben leitenden Erfahrungsvorstellung. Indes darf man wohl
annehmen, daß der Gelehrte die objektiven ‚Erfordernisse‘, die er
Bedürfnisse nennt, für ständig dem Bewußtsein innewohnende Be-
standteile hält, die im Vorstellungskreise sofort die ‚Schwelle‘
überschreiten, um mit Herbart zu reden, sobald ihnen nicht Genüge
geschieht. Zu denken ist dabei an die wichtigsten „Erfordernisse“,
wie Gesundheit, Sättigung, Liebe, Eintracht mit dem göttlichen
Willen, Bildung, wirtschaftliches Vermögen und andere individuell
verschiedene Wertdinge. Da der Verfasser selber den Begriff nicht
abgegrenzt hat, so können wir ihn nur aus einer weiterhin ge-
gebenen Einteilung entnehmen. Da läßt der Gelehrte freilich seıne
objektive Fassung des Begriffes im Stich und spricht von Bedürf-
nissen nach Existenzerfordernissen, so daß es nur mehr Bedürfnisse
nach Bedürfnissen gäbe. Der Widerspruch ist in seinem Buche
zwar ungelöst geblieben, kann aber wohl als unerheblich gelten.
Eine ähnliche Schwierigkeit entsteht aus Dörings Unterschei-
dung bei der Frage des Verhältnisses von Bedürfnis und Wert. Er
betrachtet wie wir die Bedürfnisse als die Wertursache der Güter.
Diese Beziehung ist aber nur dann möglich, wenn sie selbst nicht
gleichfalls innere Güter, sondern nur Verlangen nach solchen sind.
Auf demselben Standpunkte in der Wertfrage steht Meinong18).
Seine Erörterungen über die Priorität von Begehren oder Wert sollen
uns weiter unten beschäftigen, hier müssen wir uns zuvor gegen seine
mißverständliche Psychologie wenden. Er erklärt das Bedürfnis
als ein Verlangen nach Dingen, ‚die mir abgehen, wenn sie mir
nicht zur Verfügung stehen“. Ein anderes Mal leitet er die Be-
dürfnisse nach Gütern aus der Annahme des Bedürfenden ab, die
Güter hätten Wert für ihn, d.h. sie seien fähig, seine Bedürfnisse
zu befriedigen. Diese einfache und natürliche Ueberlegung wird in
ein etwas umständliches Gewand gekleidet durch den Zusatz, der
Bedürfnisbegriff sei niemals auszudenken ohne wesentliche Bezug-
nahme auf „Psychisches“. Eine erfreuliche Betätigung dieses Ge-
dankens ist es, wenn Meinong Wert darauf legt, festzustellen, daß
zu einem Bedürfnisse die Verknüpfung des Strebens mit dem Ziele
und, wenn auch in minderer Klarheit, den Mitteln der Befriedigungs-
handlung gehöre. Meinong betont, daß man nicht nach allen objektiv
wertvollen Gegenständen ein Bedürfnis habe, da man viele dieser
Gegenstände nicht einmal kenne. Hier ist deutlich die Grenze ge-
wahrt zwischen der im Bedürfnisse lebendig gewordenen, empfun-
denen und der unbewußt vorhandenen Notwendigkeit einer Güter-
verwendung.
18) Psychol.-ethische Untersuchungen zur Werttheorie.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 47
738 Joachim Tiburtius,
Leider vergißt der Verfasser die rechte Anwendung der als so
notwendig gewürdigten Psychologie bei der Frage, ob ein Bedürfnis
ein Unlustgefühl zur Voraussetzung habe. Die Verneinung, zu der
er gelangt, müßte sich jedenfalls auf andere Gründe stützen, als
die Verweisung auf Kleidungs- und. Obdachsbedürfnisse, die sich
auch ohne Unlustempfindungen einstellten. Die Unterschiede an
Art und Stärke, die diese Bedürfnisse zu verschiedenen Zeiten und
an verschiedenen Orten aufweisen, sollten die Bedeutung der Unlust
für ihr Zustandekommen besonders verdeutlichen. Gewiß hat auch
derjenige Bedürfnisse nach Kleidung und Wohnung, der über beide
gebietet, aber nur bei dem Gedanken, daß er sie in absehbarer Zeit
verlieren könne oder müsse. Eine solche Vorstellung muß aber,
wenigstens in unserem Klima und in geordneten Lebensverhältnissen,
notwendig Unlust und damit ein Bedürfnis nach Erhaltung des ge-
fährdeten Besitzes hervorrufen, das bei ungestörtem Verlaufe nie-
mals entstehen könnte. Nach der Wohnung, die ich inne habe, und
dem Rocke auf meinem Körper, habe ich keine Bedürfnisse, solange
mir nicht der Wirt wider meinen Wunsch mit einer Kündigung, oder
der Rock aus der Mode zu kommen droht. In diesen Fällen werden
häufig die Bedürfnisse nach den alten und neuen Spezies des Be-
sitztumes, ein Erhaltungs- und ein Beschaffungsbedürfnis, mitein-
ander streiten. In südlichen Gegenden werden Kleidungsstücke in
weit geringerer Zahl und von ganz anderer Art begehrt, als bei uns,
da die Witterungsverhältnisse dort den Verzicht auf wärmende
Kleidungsstücke gestatten und zum Teil verlangen. In den Aequa-
torialgegenden würden wir vielleicht den Begriff der Bekleidung
überhaupt nicht antreffen, wenn sie nicht als gesellschaftliches Unter-
scheidungsmittel in Ansehen stände. Der von diesen besonderen
Stammesanschauungen unberührte Europäer wird sich dort in seinem
Anzuge nur den klimatischen Bedingungen durch Verwendung
leichterer Stoffe anpassen. In beiden Fällen entsteht das Bedürfnis
nach Kleidung aus der Vorstellung, ohne ihren Besitz einem Mangel
ausgesetzt zu sein; diese Vorstellung hat nur in ihrem Unlustgehalte
einen Willenssporn. Dieser Zusammenhang offenbart sich natur-
gemäß ebenso in feiner verzweigten Begehrensabstufungen. In jedem
Lebenskreise bilden sich Sondermerkmale heraus, bei deren auch
nur vorgestelltem Fehlen in jedem seiner Glieder Unlust aufsteigt
und zur Quelle eines Beschaffungs: oder Erhaltungsbedürfnisses
wird. Dieser Ursächlichkeit gedenkt Meinong in einem Falle, dessen
Voraussetzungen er nicht ganz verständlich macht. Von der Regel,
daß Bedürfnisse nach unbekannten Gegenständen logisch un-
möglich seien, läßt er die Ausnahme zu, daß die „aus mühsamer
Arbeit stammende Unlust“ ein Verlangen nach dem „nützlicheren
Gegenstande“ erzeuge!?). Es ist nicht klar, ob mit diesem Gegen-
stande ein die Arbeit erleichterndes und verbesserndes Werkzeug,
oder ihr Ziel zu verstehen ist. In beiden Fällen würde aber das
Bedürfnisziel im Bewußtsein bereits seinen Platz haben, wenn
19) a. a. O. 8. 727.
Der Begriff des Bedürfnisses. 739
auch der Gestalt nach nicht bestimmt, sondern einstweilen nur als
Begriff. Die Besonderheiten dieser Bedürfnisart, die hier ausnahms-
weise ein Wirksamwerden der Unlust begründen sollen, werden
nicht erkennbar??). An anderer Stelle gibt der Verfasser diesen
Fall selber preis und meint, man könne hier auch von einem bloßen
„Fehlen“ des „nützlicheren Gegenstandes“ sprechen. Dazu gehört
freilich weder eine Bewußtseinstätigkeit des betroffenen Subjektes,
noch ist dies objektive Fehlen ein Bedürfnis in ihm.
Einen ähnlichen Weg wie Meinong hat Kraus?!) zu gehen
unternommen. Als höchste Aufgabe für die Wirtschaftslehre schwebt
es ihm vor, zu einer angewandten Psychologie zu werden. Aus einer
sehr klaren und scharf trennenden Unterscheidung des Wunsches
vom Willen gelangt er zur Einordnung des Bedürfnisses in die Be-
gehrenskategorien, in die „Phänomene des Interesses“. In der An-
nahme, daß zum Vorhandensein eines Bedürfnisses das Bewußtsein
des bedurften Zustandes, wenn nicht auch das des seinen Eintritt
vermittelnden Gutes gehöre, lehnt er es ab, kindliche Instinkt-
regungen unter den Begriff zu bringen. Es fehlt bei ihm somit der
Begriff des „unbewußten Bedürfnisses“. Von da ab läßt den Ver-
fasser die psychologische Strenge leider im Stich.
Die Bedeutung der Lust- und Unlustgefühle finden wir in der
Gegenüberstellung der „hedonistischen‘“ Schmerz und Lust betreffen-
den und der „gewohnheitsmäßigen“ Bedürfnisse zwar anerkannt.
Die Aufklärung darüber, welche Umstände bei den an zweiter Stelle
genannten Bedürfnissen die Rolle dieser Gefühle übernehmen sollen,
bleibt uns Kraus indes schuldig. Er rechnet unter diese Gruppe
die Geldgier der Geizigen, sowie die aus dem Klassen- und
Rassenhaß entstehenden Bedürfnisse. Gerade bei diesen leitet eine
Lustvorstellung den Willen mit besonderer Maßgeblichkeit, da hier
weniger sachliche Vorteile, als Gefühlswerte im Vordergrunde des
Begehrens stehen. Der Genuß eines Geizhalses an der Vermehrung
seines Schatzes schwindet nicht mit der Häufigkeit seiner Bereitung,
sondern wurzelt fest in seiner krankhaft monomanischen Lebens-
beurteilung und wirkt als dauernder Ansporn zu seinen Vermögens-
verfügungen.
Die Bedürfnisse der Klassen, Völker und Rassen beruhen in
ererbten Vorstellungen über materielle und immaterielle Werte, die
jeder dieser Gemeinschaften ihre Eigenart verleihen. Auch hier
überdauert die Lust an den Besonderheiten die Häufigkeit ihrer
Erlebnisse. Dauer und Sicherheit der Befriedigungsmöglichkeit ist
bei den aus diesen Vorstellungen erwachsenden Bedürfnissen sogar
eine wesentliche Voraussetzung des Behagens. Der Genuß an der
20) Ein Bedürfnis nach unbekannten Gegenständen ist der Trieb, wie wir
ihn 8. 725 und S. 726 als unbewußtes Bedürfnis verstehen wollten. Man denke
z. B. an Siegfried, der sich nach dem Fürchten sehnt und die „schlafende Frau“
sucht, ohne einen Begriff vom Weibe oder von der Furcht zu haben. (R. Wagner,
Siegfried, I. Akt, Szene 3, II. Akt, Szene 3 und Schlußszene.)
21) a. a. O.
47*
740 Joachim Tiburtius,
Behauptung der zeitgemäßen Standes- und Kulturhöhe, am unge-
störten Gebrauche der Muttersprache, oder am Bewußtsein des Blut-
unterschiedes von einer als niedriger eingeschätzten Rasse leidet mit
zunehmendem Lebensalter keine Einbuße. Die Empfindung einer
gegenwärtigen, wie die Vorstellung einer zukünftigen Zerstörung
oder Gefährdung dieser Besitztümer wird auf jeder Stufe bewußten
Lebens Unlust und ein Bedürfnis nach Wiedererlangung oder Er-
haltung hervorrufen, dessen Befriedigung stets lustvoll wirken
wird. Ebenso gewiß umfaßt das Bewußtsein des bedürfenden Sub-
jektes die Aussicht auf diesen Lustgewinn und schöpft aus ihr
“einen erheblichen Anreiz zum Streben. Unerheblich ist es dabei.
ob man unter Klassen-, Volks- und Rassenbedürfnissen solche dieser
Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit, oder aus der Zugehörigkeit.
zu ihnen erwachsene Bedürfnisse einzelner verstehen will. Auch
bei den Klassenbedürfnissen setzt die Hebung der hier teilweise
laut gewordenen Zweifel nur Klarheit über das jeweilige Subjekt
voraus. Soweit es die Klasse selber ist, sind die Voraussetzungen
der Begehrensbildung im gemeinsamen Interesse gegeben und leicht
verständlich. Man denke z.B. an die Verschiedenheiten des Pro-
duzenten- und des Konsumentenstandpunktes in der Frage des Zoll-
schutzes für Getreide u.a. Die verschiedenen Bedürfnisse, für
oder wider, erwachsen hier deutlich aus den Lustvorstellungen der
Klassen, den ‚„inhärenten Gruppeninteressen“, wie Oppenheimer???)
sie nennt. Indessen gibt es für jede Gemeinschaft Fragen, deren Be-
urteilung Zwiespalt unter die Mitglieder bringt, um schließlich
durch einen Mehrheitsbeschluß oder die Macht einer Gewohnheits-
bildung entschieden zu werden. Namentlich bei der Wahrung von
Standessitten im äußeren Lebenszuschnitte finden sich Abweichungen
Einzelner in ihren Wünschen vom Gesamtwillen. Wer sich bei seiner
Eheschließung lediglich von Rücksicht auf Staat oder Familie leiten
läßt, oder sich zu einer ihm wirtschaftlich unbequemen Aufwendung
zur Feier eines Vereinsfestes entschließt, wird dazu gewiß nicht
durch die Erwartung eines unmittelbaren Genusses aus diesen Er-
lebnissen getrieben. Nach ihnen aber empfindet er auch keine
Bedürfnisse, sondern nur die Gruppe, deren Bedürfnissen er die
Befriedigung eines eigenen zum Opfer gebracht hat. Mit dieser
Leistung dient er dem Klassenwohle, befriedigt sein eigenes Be-
dürfnis nach Uebereinstimmung mit dem Klassenwillen und sorgt
so gleichzeitig für die Bedürfnisse der Zukunft, soweit ihr Schicksal
ihm von der Klasse verbürgt, von seiner Zugehörigkeit zu ihr, ab-
hängig ist. Das Individuum würde, wenn es der ursprünglichsten
Regung seines Wohlfahrtsstrebens folgte, seine Geltung in Familie
oder Gesellschaft und damit eine beträchtliche Summe von Gütern
aufs Spiel setzen, deren Besitz auf dieser Grundlage ruht. Die
Preisgabe persönlichen Behagens dient nicht nur dem Gruppen-
nutzen, sondern stillt zugleich auch das Bedürfnis des Einzelnen
22) Verhandlungen des zweiten deutschen Soziologentages, S. 134.
Der Begriff des Bedürfnisscs. 741
nach Anteil an der Gruppenmacht. Die Lust an der vom Gefühle
ersehnten Verbindung oder an dem ersparten Vereinsbeitrage wäre
vielleicht minder erheblich und mit der Einbuße an sozialer Macht
teurer bezahlt, als es der Genuß der gesicherten Fortdauer dieses
Besitzes durch die Hingabe aller persönlichster Neigungen ist. Er-
langt so auf der Wagschale des Interesses die Summe der sozial
bedingten Werte das Uebergewicht über die vom rein persönlichen
Glücksverlangen ausgezeichneten Ziele, so werden die ersteren die
Entscheidung bestimmen. Das Bedürfnis nach ihnen wäre nicht
denkbar, ohne daß eine mit ihrem Genusse verknüpfte Lust vor-
gestellt und gegenüber der für sie aufgegebenen als höher bewertet
würde. Auch diejenigen Gemeinschaftsbedürfnisse, bei denen ein
höher entwickelter Gemeinsinn den egoistischen Gehalt abschwächt,
lassen keineswegs eine Lustbetonung vermissen, wie Kraus annimmt,
wir glauben nicht, daß die Träger nationaler Haß- und Sühne-
gedanken bei Gravelotte oder Ttschataldscha ihr Dasein in freudloser
Pflichterfüllung geopfert haben?3). Irrtümlich spricht der Verfasser
diese gesamte Gruppe von Bedürfnissen als Erzeugnisse „unmoti-
vierter‘‘?*) Gemütstätigkeiten an, und nennt als ihre Quelle im
Gegensatze zum sonst üblichen Geschehen eine „erworbene Dis-
position‘. In der Redeweise des Alltages mag die Schiefe der Vor-
stellung, die in der Bezeichnung einer „Gemütstätigkeit‘“ als einer
„unmotivierten“ zum Ausdruck gelangt, wohl hingenommen werden
können, in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung dürfte sie
keinen Platz haben, am wenigstens in dem von Kraus gewollten
Sinne Er will für die Gattung der sogenannten „gewohnheits-
mäßigen‘ Bedürfnisse nicht etwa eine Befreiung vom Kausalitäts-
gesetze feststellen, sondern nur erklären, daß die sie erfüllenden
Bewußtseinsinhalte nicht in jedem Falle ihres Auftretens ursprüng-
lich entstehende Reaktionen der Seele auf ein neu erlebtes Weltbild
seien, sondern daß ein äußerer Eindruck nur den alten sie erzeugen-
den Mechanismus in Tätigkeit bringe. Die Berührung einer einge-
wurzelten Anlage zu einer bestimmten Art von Reaktion ist nun
aber mindestens im selben Maße ein wirksames „Motiv“ einer
Willensbildung, wie die Reizung eines noch ganz unbeeinflußten
Energiezentrums. Häufig wird sie sogar das stärkere sein, wie in
der besonderen Glut und Hartnäckigkeit der Nationalitätsbedürfnisse
unterdrückter oder besiegter Stämme nach Befreiung oder Ver-
geltung erkennbar wird. Die aus ererbtem Unlustgefühle und er-
erbter Glücksvorstellung hervorgehende Motivation der Bedürfnisse
ist jedenfalls zu ihrem "Verständnisse durchaus hinreichend und im
Rahmen strengster Kausalität, mag dabei nun auch aus einer ver-
zerrenden Betrachtung der Tatsachen ein objektiv irriger Eindruck
entstehen und ein Bedürfnis auslösen. Ob das mittelalterliche
Deutschland in seinem schönheitsuchenden „Zuge nach dem Süden“
23) Siehe 5. 57, 58. Anmerkung vom November 1914: Das Beispiel
ist im Sommer 1913 gewählt worden.
24) a. a. O. S. 41, 42.
742 Joachim Tiburtius,
auf einem kulturell glücklichen oder fehlgehenden Wege war, ist
belanglos für die Tatsache, daß aus diesem Vorstellungskreise das
Bedürfnis nach der „Renaissance“ und deren Herrschaftszeit auf
deutschem Boden entstanden ist. Entscheidend ist nur, daß eine
Wirklichkeitsempfindung, verbunden mit einer aus der Erfahrung
gewonnenen Zukunftsvorstellung, ein Begehren wachrufen. Hatte
die Empfindung der gegenwärtigen Lage ein durch Störung oder
Bedrohung des organischen Gleichgewichtes begründetes Unlust-
gefühl zum Inhalte, so ist das entstehende Begehren ein Bedürfnis
in unserem Sinne, das auf denselben Gründen ruht, wie alle nicht
„gewohnheitsmäßigen“ Begehren. Eine nach wie immer geartetem
objektiven Maßstabe als falsch zu bewertende Wirkung einer
äußeren Tatsache auf die Willensbildung ist wohl zu unterscheiden
von einer Nichtwirkung, eine irrig motivierte Gefühls- oder
Willenstätigkeit nicht „unmotiviert“.
Gleichfalls an der Motivation setzt Suabedissen?5) ein, um aus
ihr seltsame Unterscheidungen herzuleiten. Ein durch Naturtrieb
von innen her gewecktes Bedürfnis soll den Willen, ein äußerlich
angeregter Wille ein Bedürfnis erzeugen. Wunsch und Wille werden
nach der Stärke des in ihnen wirkenden Strebens voll unterschieden,
aber als besondere Kategorien vom Bedürfnisse unterschieden, dieses
wird nicht als ihr Sonderfall angesehen, wie wir es tun wollten.
Zwischen ihnen soll nicht das Beiordnungsverhältnis verschiedener
Seelenfunktionen, sondern ein Kausalitätsverhältnis herrschen. Die
besonderen Voraussetzungen des Bedürfnisses sind dabei ebenso ver-
kannt, wie die Zusammengehörigkeit aller drei Gattungen unter dem
Oberbegriffe des Begehrens.
Die bisher gewürdigte Gruppe von Gegnern unserer Motivlehre
stützt ihre Meinung, die Lust- und Unlustgefühle seien keine not-
wendigen Glieder der Bedürfnisentstehung auf psychologische Er-
wägungen. Paulsen, Schäffle und Sax führen für den gleichen Ge-
danken Gründe ins Feld, die vorwiegend der Ethik entnommen sind.
Paulsen sieht in Lust und Schmerz nicht Wurzeln des Willens,
sondern nur „Lock- und Warnrufe‘“ der Natur. — Diese Stimmen
werden aber durch die Erfahrung allmählich dem seelischen Apparate
eingefügt, der dann mit ihnen die Willensleitung zu vollbringen ver-
mag. Und vor der Erfahrung liegt doch hier die Phantasie, die in
ererbtem Geleise dem Streben die Ziele weist und in einem Ge-
fühle gegenwärtiger Unlust mit einem Gemälde von Lustmöglich-
keit ein Begehren nach Befreiung weckt. Wenn Paulsen diesen
Zusammenhang übersieht und von „ursprünglichen Kräften“ unserer
Seele spricht, aus denen unser Streben ohne mitwirkende Ge-
fühlseindrücke entstehe, so lehnt sich dagegen wohl schon die
alltägliche Selbstbeobachtung auf: diese ursprünglichsten Kräfte
der Seele sind eben Glücksverlangen und Glückserwartung. Nicht
Schmerz und Lust, sondern die objektiven Erfolge sollen die Lebens-
25) Grundzüge der Lehre vom Menschen.
Der Begriff des Bedürfnisses. 743
zwecke sein, die durch das Mittel jener „ursprünglichen Kräfte“
unser Streben leiten. Warum aber jene Kräfte gerade zum Auf-
suchen bestimmter Ziele und zur Abwendung von anderen führen,
kann schlechterdings nur daraus erklärt werden, daß die Vorstel-
lungen dieser objektiven Erfolge lust- oder unlustbetont sind. Wenn
Paulsen als das höchste Ziel des Lebens die Vollendung der eigenen
Persönlichkeit, „die volle Betätigung der eigenen Kräfte in der
Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung und zugleich in der Arbeit
an den objektiven Zwecken des Lebens" einschätzt, so ist doch der
lustvolle Charakter der beiden erstgenannten Aufgaben zumindest
nicht bestreitbar. Ein reges Persönlichkeitsgefühl ist untrennbar
von der Freude an seiner Betätigung. Und sich einen Willen zu
denken, der um diese Ziele kämpft, ohne von ihrer stärksten Ligen-
schaft, ihrer ihm günstigsten Eigenart bestimmt zu werden, kann
man nur als eine am Kerne menschlichen Wesens allzu scharf-
sinnig vorbeidenkende Ideologie bezeichnen. Auch ein noch so „ob-
jektiv“ dem allgemeinen Wohle zugekehrtes Streben wird jeder Ehr-
liche nur aus der Befriedigung erklären können, die ihm diese Art
von Leben eben ausschließlich gewähren könne. Eine Antwort, die
eine dem Grunde solchen Tuns geltende Frage, etwa mit einem
Hinweise auf vaterländische oder allgemein-gesellschaftliche Rück-
sichten abspeisen wollte, würde das entscheidende Glied der Kausal-
kette unterschlagen. Diese Erwägungen können nur indemjenigen
einen Willen auslösen, dessen Glücksvorstellungen sie beherrschen.
Nicht ein Wunsch der Allgemeinheit ist das Willensmotiv, sondern
es mußte die Vorstellung der für das Subjekt mit seiner Erfüllung
verbundenen Lustgewinnung hinzutreten, die das Allgemeinbedürfnis
zum Sonderinteresse des Subjektes machte und so zur Wurzel eines
in ihm entstehenden Bedürfnisses werden mußte. Die psychologische
Feststellung dieses „egoistischen“ Ursprunges enthält durchaus keine
ethische Bewertung des Willensvorganges. Zu ihr kann erst eine
Würdigung derjenigen Güter führen, denen menschliche Bedürfnisse
sich zuwenden. In deren Auswahl scheiden sich die Geister. Der
hier dargestellte Willensvorgang ist ein lediglich formales Grerippe,
das erst durch die Willensziele Fleisch und Blüt erhält. Paulsens
Willens- und Pflichtbegriff ist aus dem Geiste des Kantschen Ri-
gorismus?6) geboren. In seinem Kampfe wider den Hedonismus?”?)
hat er die formale Lust am seelischen Gleichgewichte der Genuß-
sucht gleichgesetzt und sich durch diesen Trugschluß verleiten
lassen, den ethischen Gegner mit nicht zureichenden psychologischen
Waffen überwinden zu wollen. In der Auffassung des teleologischen
Sinnes der „Glückseligkeit“ steht er Cühel nahe.
In der Unterscheidung der Grade können wir Schäffle*8) bei-
26) Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten.
27) Paulsen wendet sich z. B. (a. a. O.) gegen Bentham (Introduction into
the principals of morals and legislation 1789) und James Mill (Analysis of the
phenomena of human mind, 2 Bde., 1829).
28) Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, S. 4, 5. Bau
und Leben des sozialen Körpers.
744 Joachim Tiburtius,
stimmen, der zwei Stufen der Bedürfnisentwicklung annimmt:
1) den „Drang zur bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfal-
tung“ mit Hilfe der Güter der Außenwelt in Verbindung mit einem
„freien auf die Bildung innerer Güter gerichteten Streben“ und
2) eine allmähliche Verwandlung dieser „Triebe“ in sittlich geregelte
Bedarfsgewöhnung.
Die zweite Hälfte der ersten Staffel seines Systemes ist durch
die nähere Erläuterung als eines „freien Strebens der klaren Um-
risse und durch die Beschränkung auf lediglich innere Güter der
wünschenswerten Weite beraubt worden. Aus der Aufzählung der
Stufen erfahren wir leider nichts über ihre inneren Beziehungen,
und die Art ihrer Entstehung als konkreter Begehren gegenüber
den verschiedenen äußeren und inneren Gütern. Die gesonderte
Aufzählung der „bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfaltung“
und des „freien auf die Bildung innerer Güter gerichteten Stre-
bens“ legt übrigens die Paradoxe nahe, daß Schäffle den Erwerb
dieser Güter als außerhalb der menschlichen Bestimmung liegend an-
sehe. Leider hat Schäffle nichts über den Einfluß gesagt, der von
jeder dieser beiden Strebensrichtungen auf die andere ausgeht. In-
wieweit beherrscht ein auf zunehmenden ethischen Besitz gegrün-
detes inneres Gleichgewicht die Entstehung von Bedürfnissen nach
äußeren Gütern? Wie lähmt umgekehrt äußerer Besitz das
Streben nach inneren Erkenntnissen, die ihm vielleicht gefährlich
werden könnten? Als endliches Ergebnis dieser beiden Komponenten
im Kräfteparalleloegramm des Charakters wird nur die Erziehung
des Menschen zu einer „sinnlich-sittlichen Bedarfsgewöhnung‘ ge-
nannt. Das Wort „Gewöhnung‘“ erscheint in seiner Allgemeinheit
etwas euphemistisch, man spricht wohl richtiger von einer Neigung
und Fähigkeit, den Bedarf im Rahmen des Sittengesetzes zu decken.
Je mehr diese läuternde Wirkung der inneren Güter betont
wird, um so weniger verständlich wird ihre, in der Schäffleschen
Definition erfolgte Ausschließung von der „bestimmungsgemäßen
Entfaltung“ des Menschen. Mit dem Maßstabe der „Bestimmungs-
mäßigkeit‘“ wird übrigens der Kreis der Bedürfnisse ungebührlich
eingeengt. Ein Begriff, nur der Form eines seelischen Vorganges,
wird ethisch abgestempelt und bereits seinem Inhalte nach festgelegt.
Für die Begehren von Narren oder Anarchisten, die sich bewußt
oder unbewußt außerhalb der Weltordnung stellen, müßte demnach
erst ein Ausdruck gefunden werden. Vernunftwidrige und schädliche
Bedürfnisse sind von Nichtbedürfnissen zu unterscheiden.
Auch bei Sax??) ist diese Trennung zu vermissen. Er nennt
das Bedürfnis ein Bewußtsein der Abhängigkeit von der Außen-
welt bei Erreichung vernünftiger Zwecke. Aus einer Abhängig-
keit des Subjektes von innerpersönlichem Vermögen oder Un-
vermögen kann danach ein Bedürfnis nicht entstehen. Das Verlangen
des Stummen nach einer, Ausdrucksmöglichkeit, das Begehren des
29) Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft, 8. 172.
Der Begriff des Bedürfnisses. 745
betrügerischen Kassenboten nach den ihm anvertrauten Geldern, sie
würden nicht in den Kreis der Bedürfnisse fallen, dagegen der Ge-
danke des zufriedenen Spießbürgers, daß ihm zur Würde eines
Bürgermeisters, nach der er nicht im entferntesten geizt, die Gunst
seiner Mitbürger unentbehrlich sei. Die Nichtachtung des dem Be-
dürfnisse innewohnenden energetischen Dranges zeigt sich bei Sax
in ausgeprägtester Schärfe; das Bedürfnis ist nicht mehr selber
ein Begehren, sondern nur noch eine seinen Verlauf begleitende
Geistesstimmung. Gerade die genannten Beispiele beweisen, daß
der von Sax vertretene Standpunkt weder in seinem subjektiven,
noch in seinem objektiven Betrachte durch ein besonderes Interesse
der Wirtschaftswissenschaft an den von seinem Schema vmfaßten
Erscheinungen begründet werden könne. Denn aus einem Bewußt-
sein allein entsteht keine wirtschaftlich erhebliche Handlung, wenn
kein auf Bildung oder Erwerb von Gütern gerichtetes oder wenig-
stens mittelbar hierzu führendes Streben sich ihm gesellt. Anderer-
seits sind gerade von vernunftwidrigen Zwecksetzungen besonders
fühlbare Beeinflussungen der Wirtschaft ausgegangen. Verbrechen
und Krankheit in ihren Abweichungen vom Vernunftgebote erzeugen
Gegenwehr und Arbeit. Auch die Not um innere Güter kann die
Außenwelt in fruchtbare Bewegung bringen. Den Leiden der seelisch
Erkrankten dienen produktivere Ansammlungen wirtschaftlich rele-
vanter Arbeitskraft, als etwa den latenten Gedanken eines Philan-
thropen, der sich „seiner Abhängigkeit von der Außenwelt bei
Erreichung seiner vernünftigen Zwecke bewußt ist“.
IV. Das Verhältnis von Oekonomik und Psychologie.
So sehr wir die psychologische Sorgfalt bisher bei vielen
nationalökonomischen und allgemein-philosophischen Forschern ver-
missen und ihre Unbekümmertheit um die Grenzen und Eigenarten
der Erkenntnisdisziplinen beklagen mußten, wir müssen zugeben,
daß die Haltung der Psychologie einen Fortschritt der Nachbar-
wissenschaften zu geklärten Begriffen erschwert. Mit Recht findet
die Psychologie sich in den Einleitungen der meisten wirtschafts-
wissenschaftlichen Lehrbücher als Hilfswissenschaft der Oekonomik
bezeichnet, der diese viele ihrer Grundbegriffe entnähme, um siedann
nach eigener Weise zu verwenden. Die Psychologie selber spürt zu
diesem Berufe, scheint es, wenig Neigung. Die Mehrheit der Na-
tionalökonomen hat sich nun damit begnügt, die Bedeutung der
Psychologie für ihre Forschungen programmatisch im versprechen-
den Einleitungskapitel des Lehrbuches zu betonen, hat aber in der
erfüllenden Ausführung die Ergebnisse und die Methode der Psy-
chologie häufig gerade da zu Hilfe zu rufen verschmäht, wo es nötig
gewesen wäre.
Hieraus erklärt sich wohl das Mißtrauen Münsterbergs3®)
gegen die Berührung beider Wissenschaften. Es ist sicherlich keiner
30) Psychologie und Wirtschaftsleben, S. 10 ff.
746 Joachim Tiburtius
von beiden damit gedient, daß ökonomische Lehrbücher den Kapiteln
über die Motive der menschlichen Arbeit, oder die Natur der wirt-
schaftlichen Zwecke die Ueberschrift einer „Psychologischen Ein-
leitung“ geben. Mit gutem Grunde lehnt Münsterberg es für die
Psychologie ab, sich mit dem Sinn oder der Absicht, die ein seelischer
Vorgang habe, befassen zu sollen. Ihre Aufgabe ist es, das seelische
Geschehen in seiner Entstehung klarzulegen. Zu unrecht aber nimmt
er an, daß die Nationalökonomie ihrer Aufgabe, die Arbeit der
Gegenwart in ihrer Leistung und ihrem Verbrauche zu erforschen,
ohne genaue Kenntnis der seelischen Bedingungen gerecht werden
könne, unter denen die wirtschaftlich erheblichen Empfindungen
und Handlungen zustande kommen. Wer unser Wirtschaftsleben
erfassen will, darf nicht beim äußeren Apparate der Bedürfnis-
befriedigung stehen bleiben, sondern muß die subjektiven Voraus-
setzungen der Wirtschaft zu ergründen suchen. Und eine Wissen-
schaft, die nicht nur erklären, sondern auch anleiten, keine Be-
schreibung allein, sondern auch eine richtunggebende Kunstlehre sein
will, muß der Wirtschaft die Wege weisen zum Verständnisse der
Umstände, die ein Bedürfnis entstehen und wachsen, wie derjenigen,
die es abnehmen und schwinden lassen. Als Schöpfungen einer in
diesem Sinne angewandten Psychologie sind z. B. die von Münster-
berg selber, von Taylor’), Ostwald3?), Bernhard??) und Clemens
Heiß35) unternommenen Versuche zu begrüßen.
Am Schlusse dieses Teiles unserer Untersuchungen wollen wir
uns noch einmal seiner uns wichtigsten Ergebnisse vergewissern:
1) Wir betrachten das Bedürfnis nicht als Gefühls-, sondern
als Begehrenskategorie, entstanden aus der Verbindung eines Ge-
fühles gegenwärtiger Unlust mit einer Vorstellung künftiger Lust.
2) Sein Endziel ist Herstellung des Gleichgewichts im Be-
wußtsein. Die Veränderung tatsächlicher Verhältnisse der Körper-
welt wird nur als Mittel hierzu, nie um ihrer selbst willen erstrebt.
3) Jedes Bedürfnis enthält ein Vorstellungs- und ein Strebens-
element, beide müssen mit dem inneren Ziele des Bedürfnisses ver-
knüpft sein.
4) Wir unterscheiden Trieb°5) und Instinkt als unbe-
wußte von Wunsch und Willen als bewußten Bedürfnissen.
Im Triebe unterscheiden wir eine Urform, die eines körperlich
bestimmten äußeren Zieles als Mittels zur Erreichung des inneren
Hauptzieles entbehrt, vom konkreten, auf einen Gegenstand als
Mittel zum Zweck gerichteten Triebe.
31) Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung (übersetzt von R. Roesler).
32) Der energetische Imperativ, Leipzig 1912.
33) Schloß-Bernhard, Handbuch der Löhnungsmethoden, Leipzig 1909.
34) Die Entlöhnungsmethoden in der Berliner Feinmechanik, Berlin 1909.
35) Unseren Erörterungen liegt stets der auf S.724 ff. bestimmte Begriff des
Triebes zugrunde, wie er im wesentlichen in den meisten unser Problem behandelnden
Schriften angewandt wird, nicht die von Wundt, Grundriß der Psychologie,
+ NER ff., gegebene Definition als eines aus ‚einfachem Motive“ entstandenen
illens.
Der Begriff des Bedürfnisses. 747
5) Das Vorhandensein eines Bedürfnisses ist nicht ausge-
schlossen bei moralischen oder geistigen Mängeln des ihm inne-
wohnenden Denkens und Strebens. Die hieraus fließenden Wert-
a bieten nur Anlaß zu besonderen Einteilungen des Be-
griffs.
Zweites Kapitel.
Der Verlauf des Bedürfnisses im menschlichen Bewußtsein
und seine Beziehungen zur Außenwelt.
I. Das Wachstum der Bedürfnisse. 1) Der Begriff der Bedringlichung
(Cühel). 2) Die Ursachen des Bedürfniswachstums: a) Brentano, Nähe, Gewib-
heit des Genusses und seine Reinheit von Unlust. b) Das Bedürfnis in seiner
Abhängigkeit von den im Charakter gegebenen Grundlagen. c) Die Bedeutung
einer Unmöglichkeit oder Notwendigkeit des erstrebten Erfolges. d) Der Reiz
der Auszeichnung, Erläuterung am Beispiel seiner Wirksamkeit im Geschäfts-
leben. e) Zusammenfassender Ueberblick über die Ursachen der Bedringlichung.
3) Das Krlöschen der Bedürfnisse. a) Seine Ursache. b) Seine Verhinderung durch
den Wechsel der Befriedigungsart. c) Entdringlichung und Genußabnahme. 4) Be-
dürfnis und Grenznutzen. 5) Zusammenfassender Ueberblick über die Ursachen der
Bedürfniszu- und -abnahme. Il. Die Dauer der Bedürfnisbefriedigung. III. Die
Stärke der Bedürfnisse. Der Cühelsche Versuch einer mathematischen Messungs-
methode.
I. Das Wachstum der Bedürfnisse.
Den Gesamtverlauf eines Bedürfnisses im menschlichen Be-
wußtsein von der Entstehung bis zur Befriedigung will Cùhel
mit dem Ausdrucke „Bedürfung‘ 36) bezeichnen, wenn es sich um
ein sogenanntes „Verwendungsbegehren“ handelt, d.h. um ein
Streben nach Verwendung von Mitteln, die als geeignet zur Herbei-
führung eines Wohlfahrtszuwachses angesehen werden. v. Böhm-
Bawerk, Menger und v. Wieser sprechen statt dessen von , Be-
dürfniserregungen“ oder „konkreten Bedürfnissen“.
Diese Bezeichnungen scheinen sämtlich entbehrlich zu sein, da
sich aus dem Begriffe eines Bedürfnisverlaufes bereits in allgemeiner
Verständlichkeit ergibt, daß von einem akuten Bedürfnisse die Rede
sein solle.
Die Dringlichkeit eines Bedürfnisses durchläuft sehr ver-
schiedene Stadien zwischen den Polen der Entstehung und Be-
friedigung, deren Verzögerung oder Gefährdung sie regelmäßig
steigern wird. Für die Intensitätszunahme hat Cühel den Namen
der „Bedringlichung‘“ vorgeschlagen. Sie soll im Verhältnisse zu
der Zeit gemessen werden, innerhalb deren sie im einzelnen Falle
von einem Grade zum folgenden geführt hat. Wenn me und n. zwei
aufeinander folgende Stufen eines Bedürfnisverlaufes darstellen, so
ergibt sich die zwischen ihnen liegende Bedringlichung nach der
Formel
EE n°—m®
B(edringlichung) DEE
36) a. a. O.
748 Joachim Tiburtius,
Die der rechnerischen Genauigkeit hier gesetzten Grenzen würdigt
Cühel vollkommen, es kann im Zähler des Bruches nie eine echte
Differenz stehen, da die einzelnen Dringlichkeitsgrade in stetem
Flusse begriffen und nicht ziffernmäßig streng zu erfassen sind.
Als Haupttriebfeder des Bedürfniswachstumes würdigt Brentano
die Nähe des zu erwartenden Genusses3?’). Wir möchten diese Mei-
nung durch den Hinweis auf den oben bereits angedeuteten Einfluß
der den erstrebten Genuß verzögernden oder gefährdenden
Umstände ergänzen. Falls aus einem körperlichen Zustande heraus
eine Hemmung des Bedürfnisverlaufes eintritt, wird die daraus er-
wachsende Unlust das Begehren bis zur Grenze der körperlichen
Leistungsfähigkeit bedringlichen, von wo an eine Abnahme unver-
meidlich sein wird. Wir kennen den Umschlag eines hochdringlichen,
die Körperkraft schwächenden Bedürfnissen in Gleichgültigkeit bei
dem Zustande der Ueberhungerung. Eine rein geistige Unlust wirkt
bis zur Ermüdungsgrenze gleichfalls bedringlichend. So ist die Un-
gewißheit eines Genusses ein weit stärkerer Ansporn zu seiner Er-
kämpfung, als die Gewißheit.
Brentano rechnet außer Nähe und Gewißheit des Ge-
nusses seine Reinheit von Unlust unter die Umstände, von
denen die Stärke und Dauer, der mit einem Bedürfnisse verbundenen
Empfindung und daher auch das Maß des aus seiner Befriedigung
stammenden Wohlgefühles abhänge. Hier sind Momente einander
‚gleichgestellt, die teils vor dem Augenblicke der Befriedi-
gung liegen müssen, wie Nähe und Gewißheit des Genusses, teils
erst nach seinem Eintritte zur Geltung gelangen können,
wie die Abwesenheit von Unlust im Zustande der Erfüllung. Es ist
nicht recht einzusehen, wie die vor dem Befriedigungsmomente emp-
fundenen Eigenschaften der Nähe und Gewißheit des Genusses
das mit seiner Herbeiführung entstehende Wohlgefühl be-
einflussen sollen. Selbst wenn ihnen eine Erhöhung der Be-
dringlichung zuzuschreiben ist, bedeutet dies noch nichts für
die Stärke des Befriedigungserfolges, die vielmehr häufig
eher zu dem ihr gewidmeten Streben im Verhältnisse des Haupt-
gefühles zum Vorgefühle steht (s. S. 734/735). Der Befriedigungs-
zustand ist ein Ausruhen, zu seinem vollen Genusse gehört das Bewußt-
sein seines gesicherten Bestandes und seine Freiheit von unlustvollen
Momenten. Insoweit können wir Brentano beistimmen. Doch ist es
nicht angängig, von der „Gewißheit“ einer bereits eingetretenen Tat-
sache zu reden, nur die Sicherheit ihrer Dauer kommt nun-
mehr in Frage.
Den zur Befriedigung hinstrebenden Bedürfnisverlauf aber ver-
mag ein wie immer entstehendes Wohlgefühl nicht zu bedringlichen,
nur an Strebenskraft zu schwächen. Alles Streben ist, wie Döring
betont, notwendig mit Unlust verbunden, Unlust ist die Seele des
Bedürfnisses, mit der es wächst und sinkt. Jede die Unlust erhöhende
37) a. a. O. S. 35 ff.
Der Begriff des Bedürfnisses. 749
Veränderung der Lage des Subjektes wird das Streben steigern, auch
wenn sich moralische Hindernisse zeigen, die von der Allgemeinheit
anerkannt und gestützt, vom bedürfenden Subjekte nur in ihrer
äußeren Macht anerkannt, innerlich aber nicht als Hemmung emp-
funden werden.
Brentano, der in jedem rechtlichen oder sittlichen Verbote eine
Schranke der inneren Bedürfnisentwicklung erblickt, verkennt, daß
es in jedem einzelnen Falle auf die besondere Stellung des Charakters
zu der Norm ankommt. Eine ethisch bestimmte Natur würde ihr
Gleichgewicht bei widerrechtlicher Störung fremder Interessen nicht
bewahren können; über den Wunsch, zu fremdem Eigentume zu
gelangen, würde das Bedürfnis nach sittlicher Richtigkeit des Han-
delns und Seins die Oberhand behalten, und aus dem Wunsche
mangels der Grundlage einer wahrhaften inneren Gleichgewichts-
störung gar kein Bedürfnis werden lassen. Anders wird die Wahl
eines oberbayrischen Gebirgssohnes ausfallen, den es gerade über
das staatliche Verbot hinweg zu der Jagdbeute drängt. In der Be-
wertung der rechtlichen Grundlagen des Willens ist Brentano allzu
optimistisch. Das Gesetz übt seine Herrschaft über die Gemüter
meist durch Vermittlung der Moral aus, wie sie vom Lebenskreise
des Einzelnen jeweilig geschaffen ist. Sie ist meist ein dem Be-
treffenden Erlebniskomplex angepaßter Kodex, dessen Gebote von
den Gemeinschaftsgenossen als vorteilhaft angesehen werden und
darum in ihnen meist fest genug wurzeln, um die Entstehung und
den Verlauf eines ihnen feindlichen Bedürfnisses mindestens zu
erschweren.
Tatsachen, die für die Entstehung und Entwicklung eines Be-
dürfnisses nicht erheblich geworden sind, erzeugen teilweise Gegen-
bedürfnisse, die dann in der Auslese sich als die stärkeren erweisen.
Die Achtung vor dem Willen des Gesetzes ist im Verbrecher nicht
stark genug, um die Entstehung eines unsozialen Bedürfnisses ver-
hindern zu können, sie löst in ihm aber ein höchstpersönliches
Bedürfnis aus, der Strenge, der Sühne zu entfliehen, das in der Kon-
kurrenz mit dem Erstgenannten zuweilen Sieger bleibt. Man darf
dabei indes weder die Relativität der Moralbegriffe, noch die Unter-
scheidung vergessen, ob sie den inneren Verlauf des einzelnen Be-
dürfnisses, den Wettkampf mehrerer oder erst den Wahlakt der
Durchsetzung eines von ihnen zu entscheiden vermögen. Je tiefer
ein Gefühl oder eine Vorstellung im Menschen wurzeln, desto näher
liegt der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entstehung des Be-
dürfnisses. Je ferner ein Lebensgesetz dem Willenszentrum des
Subjektes steht, desto weniger kann es das innere Wachstum seiner
Bedürfnisse aufhalten. Sein Widerstand wird vielleicht ein eigen-
williges Begehren nur steigern.
Auch die Unmöglichkeit einer Leistung ist nicht immer ein
Hindernis für ein ihr geltendes Bedürfnis, wofern das Subjekt selber
nur mit 1/100 Wahrscheinlichkeit des Erfolges rechnet. Im Streben
nach unerreichbar scheinenden Erfolgen haben viele die höchste
750 Joachim Tiburtius,
Kraft geopfert und dafür den Namen von Helden geerntet. Wer die
Möglichkeit einer Leistung für die notwendige Voraussetzung eines
auf ihre Ausführung gerichteten Bedürfnisses hält, vergißt, daß
äußere Erfolge nicht das eigentliche Ziel eines Bedürfnisses sind.
sondern daß eine Gefühlswirkung erstrebt wird, die häufig bereits
auf dem Wege zu einem äußeren Ziele eintreten kann. Den Ruhm-
süchtigen wird der Gedanke, etwas, was von allen anderen für un-
ausführbar gehalten, ist zu unternehmen, nicht abschrecken. Kampf-
loses Zurücktreten würde ihm nicht nur den neuersehnten Ruhm
entziehen, sondern auch den alten, wohlerworbenen rauben. Der
erstrebte Erfolg gewinnt eine erweiterte Bedeutung für sein Gleich-
gewicht und spornt das Bedürfnis an.
Auch die Ueberzeugung von der Notwendigkeit eines Erfolgs-
eintrittes braucht nicht stets das Ende eines ihm geltenden Bedürf-
nisses zu bedeuten. Die Unlust beruht nicht immer in der Ungewibß-
heit über das „Ob“? eines Erfolges allein, auch aus der Sorge um
die näheren Umstände des „Wann“? und „Wie“? schöpft sie ihre
Nahrung.
Die Möglichkeit, durch Befriedigung eines Bedürfnisses sich
vor der Umwelt erkennbar auszuzeichnen, ist einer der wirksamsten
Gründe für die Entstehung neuer und die Bedringlichung älterer
Bedürfnisse. Zum Kaufe eines seltenen Gegenstandes lockt diese
Eigenschaft oft auch bei Mängeln der Substanz. In diesem Zauber
liegt der Schlüssel zur Psychologie des Kaufes. Der Verkäufer sucht
in seinen Kunden den Glauben zu erwecken, sie beträten in seinem
Geschäfte den Weg zur „großen Welt“, der dem einfachen Manne
über die Gegenstände gewiesen wird, deren Gebrauch die beneideten
oberen Schichten einzig von ihm trenne. Dem Käufer wird so ein
beglückendes Gefühl der Erhöhung des eigenen Wertes suggeriert.
Der Gedanke, durch den Besitz eines Stockes mit dem Prinzen ver-
bunden zu werden, der einen gleichen zu tragen pflege, bedringlicht.
sein Bedürfnis nach dem Gegenstande. Diese Erkenntnis beherrscht
die Reklame der Gegenwart3®). Fabrikanten und Händler wett-
eifern in der Auswahl glänzender zeitgenössischer Namen für ihre
Waren, die ihnen die Nachfrage der Käufer zuführen und zu einer
Stärke steigern sollen, die in der anziehenden Aufmachung einen
Ausgleich für eine Erhöhung des bisher geforderten Preises zu sehen
geneigt ist. Schneider und Zigarettenhändler lassen von Künstlern
Bilder entwerfen, auf denen Stutzer ihre Kleider tragen und ihre
Zigaretten rauchen. Diese Darstellungen entsprechen nicht lediglich
dem Erfordernisse, auffällig zu sein, sondern verschaffen dem
Kunden die angenehme Sicherheit, auf dem von ihnen empfohlenen
Wege den von ihm bewunderten Vorbildern der Lebenshaltung nahe-
zukommen. Anschaulich offenbarte diesen Zusammenhang jüngst
die im „Simplizissimus“ wiedergegebene Anzeige eines Schneider-
meisters, der seinen Kunden verhieß, sie würden allgemein „für
Offiziere gehalten“.
38) Siehe darüber Lipps, Aesthetik, Kultur der Gegenwart, 1907.
Der Begriff des Bedürfnisses. 751
Der geschickte Verkäufer versteht es dabei, der Bedringlichung
alle Störungen fernzuhalten. Ein durch die Preishöhe vielleicht
zu erregendes Bedenken vermag er auszuschalten, wenn er deren
Vereinbarung solange hinausschiebt, bis die Dringlichkeit eine dieser
zu erwartenden Hemmung überlegene Stärke erreicht hat. Dem
sich in einer Sparsamkeitserwägung äußernden wirtschaftlichen
Sinne weiß er durch Hervorhebung bislang verborgen gebliebener
nützlicher Seiten des Gegenstandes zu begegnen.
Die Betrachtung dieser alltäglichen Vorgänge führt zu dem
allgemeinen Schlusse, daß die Bedringlichung eines Bedürfnisses
wachsen wird, je nach der Stärke des Unlustgefühles, das im Sub-
jekte durch die Vergleichung seiner gegenwärtigen mit der aus der
Befriedigung erhofften zukünftigen Lage rege wird, und anderer-
seits im Verhältnis zu der Sicherheit und Reinheit der Lust, die
der Bedürfnisträger von der erstrebten Zukunft erwartet.
In der Vorstellung einer möglichen Fortdauer der aktuellen
Unlust über den Befriedigungszeitpunkt hinaus liegt der Keim der
Entdringlichung. Weitere Ursachen ergeben sich aus einer Be-
seitigung oder Minderung der Gleichgewichtsstörung, die unabhängig
vom Verhalten des Subjektes eintritt. Leicht führt die über ein ge-
wisses Maß hinaus wiederholte Bereitung desselben Genusses zur
Entdringlichung. Der Reiz eines Befriedigungsmittels schwindet,
wenn sein Gebrauch mit der Zeit aus einer Sensation zu einer Ge-
wohnheit geworden ist. Jeder zur Mode gewordene Einfall trägt
seine Vergänglichkeit an der Stirn. „Jeder Genuß nimmt, wenn
wir mit seiner Bereitung fortfahren, allmählich bis zur Sättigung
ab“, sagt Gossen 39) im ersten seiner Gesetze über die Genußabnahme.
Bei einem Bedürfnisse nach mehreren aufeinanderfolgenden Wohl-
fahrtszuwächsen nimmt das Begehren nach dem einzelnen mit dem
Hinzukommen jedes weiteren ab, um schließlich auf Null zu sinken.
Der Grenznutzenlehre, die sich hieraus ihre gewichtigsten
Gründe geholt hat, sei hier entgegengehalten, daß Gossen in diesem
seinem „Wertgesetze‘“ die verschiedene Bedeutung der Einheiten
je nach dem Augenblicke ihrer Verwendung streng geschieden und
gestaffelt hat.
Einen positiven Ausdruck seines Grundgedankens über die
Genußabnahme gibt das Weber-Fechnersche Gesetz von der Genuß-
zunahme: Arithmetische Progression der Empfindungsreihen ist nur
EN bei Zunahme der sie veranlassenden Reize in geometrischen
eihen.
Die Schwelle, über die hinaus das Begehren nicht mehr in
gleichem Verhältnisse wie die Gütermenge wächst, nennt Cühel das
Bedürfnismaximum, während Brentano sie wohl zutreffender als
ein Optimum bezeichnet.
Er wird damit der Tatsache besser gerecht, daß ein absolutes
Wachstum der Empfindung mit der Vermehrung der Reize noch eine
39) 8. 31ff. a. a. O.
752 Joachim Tiburtius,
Weile lang anhalten, daß nur der Erfolg des einzelnen Reizes dem
seiner Vorgänger nicht ebenbürtig sein kann. Dies gilt indes nur
für eine fortdauernde Einwirkung von Reizen gleicher Art, nur
gegenüber den Einheiten desselben Befriedigungsmittels wächst bei
gleichbleibender Stärke der einzelnen der Genußminderungskoeffi-
zient im Bedürfnisse.
Die Sorge unserer Gewerbe gilt daher nie der Herstellung neuer
Mittel für die alten Bedürfnisse. Auch eine neuartige Verwendung
eines bereits bekannten Mittels vermag einen neuen Reiz darzu-
stellen und eine besondere Empfindungsreihe zu begründen. Als Bei-
spiel diene ein kennzeichnender Abschnitt aus der Geschichte der
Bernsteinindustrie. Der Bernstein hatte in Ost- und Westpreußen,
seinen Hauptfundgegenden, in Gestalt von Spangen, Ohrringen und
ähnlichen Schmuckstücken eine Verbreitung gefunden, die ihn ziem-
lich rasch um sein Ansehen brachte. Da kam eine Danziger Firma
auf den Gedanken, ihn als Einlage in Möbel zu verwenden, und
erzielte damit Wirkungen, die das Bedürfnis nach dem verschmähten
Materiale schnell wieder in die Höhe trieben.
Eine beim Erlebnisse der Befriedigung eintretende Genußminde-
rung überträgt sich auf die Dringlichkeit des nächsten demselben
Gute geltenden Begehrens. Cühel zieht die Grenze zwischen Genuß-
abnahme und Entdringlichung scharf, die erstere tritt während der
Befriedigungshandlung ein, während die Entdringlichung den
Bedürfnisverlauf noch vor dem Ziele der Befriedigung ergreift. Man
wird für beide Vorgänge unterscheiden müssen, ob ein Genuß oder
die Kraft des Begehrens nach ihm nachlassen, weil die Mittel
seiner Verwirklichung infolge übermäßigen Gebrauches ganz allge-
mein ihre Reizwirkung eingebüßt haben, oder ob die Abnahme nur
auf eine Sättigung im einzelnen Falle zurückzuführen ist. Hat sie
allgemeinere Bedeutung, so wird sie durch die repräsentative Kraft
der Erinnerungstätigkeit nicht nur in den Verlauf des nächsten dem
gleichen Ziele geltende Bedürfnisses entdringlichend eingeführt wer-
den, sondern allmählich die zur Entstehung dieser Bedürfnisgattung
erforderliche besondere Unlust verdrängen, das Aufkommen dieser
Bedürfnisse verhindern, und selber zur Quelle entgegengesetzter Be-
gehren werden. Zu diesem Ergebnisse wird namentlich eine „Ge-
nußabnahme‘“ im Cühelschen Sinne führen, da sie aus einem tat-
sächlichen Eindrucke, einem Erleben der erstrebten Zustands-
veränderung hervorgeht, während die „Entdringlichung‘“ primärer
Art, der keine Genußabnahme als Veranlassung vorangegangen ist,
mehr auf einem Nachlassen der Lustvorstellung beruht, das
durch den Eindruck des wirklich erreichten Wohlfahrtszustandes
noch behoben werden kann.
Insofern sind zwischen Genußabnahme und Entdringlichung
doch Beziehungen im Zusammenhange eines Bedürfnisfalles mit dem
oder gar den ihm folgenden möglich, welche die Entdringlichung
des Bedürfnisses b als eine Funktion der bei der Verwirklichung
des Bedürfnisses a eingetretenen Genußabnahme erscheinen lassen.
Der Begriff des Bedürfnisses. 753
Aus dem sogenannten Wertgesetze Gossens folgt leicht ein
weiteres Gesetz: „Das Bedürfnis nach der Grenzeinheit eines als
nötig erkannten Vorrates nimmt ab mit dessen Vermehrung“.
Bei der Anwendung dieses Gesetzes ist diejenige Einschränkung
geboten, die sich aus der hier vertretenen Auffassung des Inhaltes
der vorangegangenen Gesetze ergibt. Das Bedürfnis nach der letzten
Verwendungseinheit eines „als nötig erkannten Vorrates“ wird nur
nachlassen, wenn kraft des Gesetzes der Genußabnahme aus dem
dafür entscheidenden Grunde die während des Bedürfnisverlaufes
vorgestellte oder bereits empfundene Lust mit dem in der Verwen-
dung des Befriedigungsmittels wirkenden Reize nicht mehr Schritt.
hält. Von einem Bedürfnisse nach der Grenzeinheit darf aber erst
gesprochen werden, wenn deren Verwendung Gegenstand eines
augenblicklichen Begehrens ist, nicht etwa schon dann, wenn
sie als später einmal verwendbares Gut nur vorgestellt
und gewertet wird. Die Vorstellung einer Gleichgewichtsstörung
und der Art ihres Ausgleiches ist noch nicht das Bedürfnis nach
diesem Ausgleiche oder seiner Vorbereitung, sondern erst die
seelische Disposition, aus der ein solches Bedürfnis entstehen kann.
Hat die Genußzunahme die Proportionalitätsgrenze überschrit-
ten, so kann die Vermehrung allein des Vorrates auf die Be-
dürfnisstärke nicht einwirken, nur auf das ihm geltende Wert-
urteil. Die Bedürfnisintensität kann stets nur durch den Gebrauch
des einzelnen Gutes betroffen werden, auf den eine Vermehrung der
vorhandenen Einheiten nur insoweit Einfluß hat, als sie die wieder-
holte Verwendung gleicher Reize erleichtert. Sowie die Vermehrung
aber eine Qualitätsveränderung mit sich bringt, wird sie im Gegen-
teile zu einer neuen Reizquelle, die auch die Begehrenskraft wieder
erhöht.
Nicht mit einer Vermehrung eines Gütervorrates nimmt.
daher das Verlangen nach der Verwendung seiner Grenzeinheit
zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichtes, als welches
allein wir ein Bedürfnis nach dieser Grenzeinheit anerkennen
können, ab, sondern erst mit der übermäßigen Verwendung seiner
Einheiten, die dann für die Grenzeinheit nur eine geminderte Be-
gehrenskraft zuläßt, wofern es sich um gleichartige Güter handelt.
Auch die Verminderung eines Vorrates hat an sich auf das ihm
oder seinen Teilen geltende Bedürfnis keinen Einfluß. Jemand, der
zur Erwärmung seiner Wohnung 100 Zentner Kohlen braucht,
bedarf deren ebenso dringend, wenn auf dem Markte 100000 Zentner,
wie wenn nur 10000 vorhanden sind, der Durchschnittskäufer pflegt
über die Marktlage in der Regel wenig unterrichtet zu sein. Nur
die Schwierigkeit der Bedarfserlangung wächst mit der Verringerung
und sinkt mit der Vermehrung des insgesamt verfügbaren Vorrates
und verschiebt im selben Maße die Wichtigkeit seiner Teilmengen,
die Stärke des Bedürfnisses nach diesen beruht auf einem von ihrer
Gesamtzahl unabhängigen Verhältnisse zu ihrem speziellen Reize.
Nur aus dessen Veränderung kann eine Veränderung der Bedürfnis-
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 48
754 Joachim Tiburtius,
intensität erfolgen. Führt nun die Verminderung eines Vorrates zu
einer Gefährdung der vom Subjekte erstrebten Bedürfnisbefriedi-
gung, so bringt sie seinem inneren Gleichgewichte eine unlustvolle
Störung, die das Bedürfnis nach dem gefährdeten Gute bedringlichen
wird. Eine allgemeine Verschiebung in den Mengeverhält-
nissen des Vorrates kann diese Wirkung nur haben, wenn sie die
Erlangung der speziell vom Subjekte begehrten Güter
erschwert, da der Einzelne nur für deren Schicksale Sorge zu tragen
pflegt. Wenn die Abnahme eines Vorrates zu seinem gänzlichen
Schwinden auszuarten droht, kann sich das Begehren sogar vor
Erreichung der Proportionalitätsgrenze von ihm abkehren und einem
Ersatze zuwenden.
Gossen hat selber diese Ergänzungen seiner Ansichten über die
begehrenssteigernde Kraft der Mengenabnahme in zwei weiteren
Gesetzen gefunden:
1) Die Gesamtverwendungsegenz nach mehreren Einheiten
nimmt bei Vermehrung des Vorrates bis zur Grenze des Erforder-
lichen zu und
2) bei einer Verminderung unter diese Grenze ab.
Als Ursachen der Bedürfniszunahme und -abnahme
haben wir somit kennen gelernt:
è 1. Die Erhöhung oder Verringerung der
Ursachen in der Wurzel dem Bedürfnisse zugrunde liegenden
des Bedürfnisses Unlust.
Ursachen in der Befrie- | 2. Die wechselvolle oder gleichförmige
digung des Bedürfnisses Verwendung der Befriedigungsmittel.
3. Eine Gefährdung der Be-
dürfnisbefriedigung durch Ver-
ringerung des Bedarfsvorrates und eine
Ursache im Bedarf Erleichterung gleichförmiger
Bedürfnisbefriedigung durch
Zunahme des Bedarfsvorrates bei
gleichbleibender Art.
II. Die Dauer der Bedürfnisbefriedigung.
Mit der Dauer einer Bedürfnisbefriedigung hat Gossen sich
nicht beschäftigt. Allgemeine Erkenntnis ihres Wesens kann uns
nur die Betrachtung der Bedürfnisentstehung vermitteln. Je weniger
Unlust die Begehrenserfüllung zurückläßt, desto länger vermag sie
sich zu behaupten. Der Keim zu einer Wiedergeburt des erloschenen
Bedürfnisses liegt in der auftauchenden Einsicht, daß ein erstrebtes
Gut nicht in allen seinen Vorzügen ausgenutzt worden sei. Ein Be-
dürfnis nach einem innerlich mehrteiligen Erfolge kann nach Er-
reichung des erstrebten äußeren Erfolges noch teilweise in Kraft
bleiben. So kann der Besitz eines Kleidungsstückes dem Träger
ausreichenden Schutz gewähren, ohne ihn im erhofften Grade vor
anderen auszuzeichnen.
Der Begriff des Bedürfnisses. 755
Die Spuren derartiger Komplikationen treten auch in der
Genußabnahme und Entdringlichung hervor. Trotz starker Inten-
sitätsminderung in einem Begehrensstrom kann die unberührt ge-
bliebene oder nach einem Mißerfolge noch gesteigerte Dringlichkeit
eines Nebenstromes das Gesamtbedürfnis auf der alten Stufe halten.
Auch ein Mangel in den erhofften Eigenschaften des Wohl-
fahrtszustandes kann kraft der aus Enttäuschung entstehenden Un-
lust das Bedürfnis nach anderen äußeren Wegen zu dem erstrebten
inneren Ziele rasch wieder entstehen lassen.
Andererseits bleibt ein die Erwartung übersteigender Genuß im
Gedächtnisse nachdrücklich haften und erzeugt vermittels dessen
repräsentativen Vermögens schneller ein Begehren nach seiner
Wiederholung, als ein Eindruck mittlerer Stärke.
Cühel unterscheidet zwischen kontinuierlichen, nie erlöschenden,
und intermittierenden Bedürfnissen, die sich nach Ablauf einer Weile
neu zu regen beginnen. Die Annahme ewig dauernder Bedürfnisse
beruht wohl auf der bekannten Vermengung von Notwendigkeiten
und Bedürfnissen. Luft und ähnliche Güter brauchen wir ständig,
ein Bedürfnis nach einem von ihnen verspüren wir nur, wenn uns
ihre Entziehung betrifft oder droht. Sonst können kontinuierliche
Bedürfnisse nur nach besonderen Gütern in besonderen Lagen ent-
stehen. Ein verfolgter Verbrecher wird ständig das Bedürfnis
haben, sich zu verbergen. Allgemein aber wird die Kontinuität auch
EE Begehren durch Bewußtseinsveränderungen unter-
rochen.
Ein befremdlicher Ausdruck ist es, wenn Cühel ein nicht voll
befriedigtes, gegenwärtige Wirkungen äußerndes Bedürfnis ein ver.
gangenes“ nennt. Dieser offenbare Widerspruch ist um so sonder-
barer, als der Verfasser ein zeitweilig in den Hintergrund ge-
drängtes Begehren mit Recht nur unter die latenten rechnet.
III. Die Stärke der Bedürfnisse.
Die Frage nach der Stärke eines Bedürfnisses ist in der Lite-
ratur bisher auf zweierlei Art beantwortet worden. Döring sieht
in den Gefühlen den Erkenntnisgrund der Bedürfnisse und ihrer
Stärke, während umgekehrt Cühel aus der im Ablaufe eines Be-
gehrens geäußerten Kraft den Schluß auf das zugrunde liegende
Gefühl ziehen will.
Dabei setzt er jedoch den Erfolg eines Bedürfnisses über kon-
kurrierende Begehren in eine irrtümliche Beziehung zu seiner
inneren, im Gefühle wurzelnden Kraft. Ein Bedürfnis, das im
Streite mit anderen seine Befriedigung durchsetzt, verdankt dies
nicht durchweg seiner größeren Stärke, sondern ebenso häufig prak-
tischen Erwägungen der Nützlichkeit seiner Erfüllung. Die Stärke
eines Bedürfnisses ist eine Gefühlspotenz, die auch nur im Gefühle
gemessen werden kann. In welchem Grade seine Befriedigung ob-
jektiv notwendig und möglich ist, kann dagegen nur unter Würdi-
gung aller inneren und äußeren Umstände begriffen werden. Cühel
Ap
756 Joachim Tiburtius,
hat sich selber zu dieser Trennung entschlossen bei dem Vergleiche
der Bedürfnisse mehrerer Personen. Er erklärt nur ihre „Egenzen“
für kommensurabel, nicht die „Bedürfungen‘“, d.h. in allgemein
gebräuchlichen Wendungen, nur die wirksam werdenden, also äußer-
lich hervortretenden Begehren, nicht die vorangehenden Stadien ihres
innerlichen Werdens #0).
Der Versuch, die Bedürfnisse in ihrer Stärke nach mathema-
tischen Graden zu bestimmen und zu ordnen, hat bei Cühel zu
selbst wohlerkannten Grenzen der Methode geführt, doch ver-
danken wir ihm eine neue Unterlage für Messungen psychischer Vor-
gänge, die auch der an diesen Erscheinungen interessierten Wirt-
schaftswissenschaft dienen würden. Cühel betrachtet die Meßbarkeit
Person“. Halten wir noch einmal fest, daß die „Egenz‘‘ die Be-
„der Egenzen gegenwärtiger Bedürfungen einer und derselben
gehrenskraft eines „positiven“ Bedürfnisses, die Stärke eines auf
Verwirklichung eines Wohlfahrtszustandes gerichteten Bedürfnisses
ist, im Wettbewerb mit anderen seine Befriedigung durchzusetzen.
Wenn es sich um ein „negatives“ Bedürfnis nach Nichtverwirk-
lichung eines Wohlfahrtszustandes handelt, so spricht Cühel von
seiner Disegenz. Die Meßbarkeit einer Größe setzt für ihn das
Vorhandensein einer Maßeinheit voraus, die in so vielen Stücken
vorhanden ist, daß daraus eine der zu bestimmenden Größegleiche
zusammengesetzt werden kann. Als Messen im weiteren Sinne will
der Verfasser auch eine Schätzung anerkennen. Bei den hier in
Betracht kommenden Gegenständen kann diese freilich nicht einmal
sinnlich, sondern nur gefühlsmäßig vor sich gehen. Der Meßbarkeit
des Begehrens nach vielen Gütern steht ihre schwankende An-
ziehungskraft entgegen. Bei größeren Mengen entsteht die Schwierig-
keit, den Steigerungskoeffizienten festzustellen, der für die Egenz
ein anderer ist, als für die Bedarfsmasse. Besteht zwischen zwei
Gütern das Verhältnis gegenseitiger Vertretbarkeit, so ist die sie
umfassende Gesamtegenz nicht doppelt so stark, wie das jedem
Einzelnen geltende Begehren. Auch eine Abschätzung in Geld ist
nicht geeignet, Klarheit zu schaffen, da der Preis nicht nur ein
Ausdruck der Bedürfnisse ist, sondern der „ökonomischen Selten-
heit“ #1) einer Ware, denselben Aenderungen unterworfen, wie das
ihn bestimmende Verhältnis von Angebot und Nachfrage.
Ein rechnerisch im höchsten Sinne genaues Messen der Egenzen
40) Daß die Steuertheorie aus einer Messung der Bedürfnisstärken Richt-
linien gewinnen könne, wie Cühel ohne nähere Erläuterung behauptet, muß be-
stritten werden. Die indirekten Steuern, die allein unmittelbar die Befriedigungen
von Bedürfnissen ergreifen, staffeln ihre Sätze doch nicht nach dem Anteile des
einzelnen Steuerträgers am Gesamtverbrauche, sondern ergreifen den einzelnen
Fall der Bedarfsbeschaffung ohne Rücksicht auf Stärke und Zahl der durch ihn
zu deckenden Bedürfnisse, noch auf die Häufigkeit seiner Wiederholung. Eine ge-
rechte Steuerpolitik wird ferner nicht danach fragen, welche Stufe ein Bedürfnis
nach der Zahl seiner Befriedigungen einnimmt, sondern welche ihm nach seiner
Nützlichkeit zukommt.
41) Oppenheimer a. a. O. 8. 375.
Der Begriff des Bedürfnisses. 757
wäre erst ihre Benennung mit Grundzahlen, die aber schärfer be-
grenzte Objekte verlangt. Es fehlt an der eindeutig festliegenden
Maßeinheit. Wenn auch zwischen den Egenzen nach einem Apfel
und nach zehn Pflaumen eine Gleichung besteht, so ist doch hieraus
10
eine ziffernmäßig nicht auszudrückende stoffliche Verschiedenheit
der verglichenen Größen andelt. Dahingegen hält Cühel mit Sicher-
heit eine Abstufung der Egenzen nach Ordnungszahlen für möglich,
inderesaufderGrundlage der als schwächsten angenommenen Egenz
le über 2e, Ze u. s. f. bis..... 10. aufwärts geht. Er widerspricht,
der Fechnerschen Meinung, daß die Zuwächse stets die gleichen
blieben, diese Meinung will aber wohl im Geiste des oben genannten
Fechnerschen Gesetzes die Egenzzunahme als eine Funktion der Reiz-
zuwächse und daneben der Reizänderungen nur im Zusammenhange
mit diesen begriffen wissen.
Die Summe der Egenzen N ist = E + E + Eg +.... En
wobei immer E, kleiner ist, als Ka, E < E, usw. bis .....
En-ı < En. Die Egenzzahlen dürfen nicht als feststehende Größen
angesehen werden, es ist unbestimmt, ein Wievielfaches einer be-
stimmten Einheit sie sind. Da in der Skala jeder Grad dem Vorher-
gehenden um einen Zuwachs überlegen ist, so ist wohl die Richtung
ihrer Zunahme, nicht aber das Quantum zu ersehen, um das sie
jedesmal erfolgt. Auch die Disegenz 4?) gegen eine zehnstündige
Arbeitsleistung ist nicht zehnmal so groß, wie die gegen eine ein-
stündige gerichtete Abneigung. Die Disegenzskala ergibt, daß auch
D.S Dreist De DN en En-ı < Dna. Die Disegenz gegen
eine Leistung ist der Maßstab der durch diese zu verwirklichenden
Egenz.
Soweit Cühel. Wir haben uns bereits oben als Gegner seines
Vorhabens bekannt, die Stärke eines Bedürfnisses aus seiner Wirk-
samkeit anderen Begehren gegenüber ergründen zu wollen. Cühel
selber scheint Aehnliches empfunden zu haben, als er es ablehnte,
die positiven und negativen Egenzen verschiedener Personen mit-
einander zu vergleichen, da niemand die „Bedürfungen‘“ eines anderen
mitempfinden könne. Sollte es aber auf dem von ihm gewiesenen
Wege gelingen, die Bedürfnisse in ihrer Stärke mit einiger Korrekt-
heit zu messen, so zwäre dies für die wirtschaftliche Erkenntnis
wie Praxis von hohem Werte. Ein Vergleich der Grade dieser
seelischen Tabelle mit den entsprechenden Posten, die den Bedürf-
nissen in der nationalen Gesamtbilanz angewiesen sind, gäbe ein
Bild der Herrschaft, die das Bedürfnis über die Wirtschaft hat, und
zeigte der letzteren, wo ihre Aufgabe, das „adäquate Gegenstück“
nicht die Proportion SE herzuleiten, da es sich eben um
42) D. h., sie ist mehr als Limal so groß, wird man hier im Gegensatze
zu C. sagen müssen. Die Disegenz wird in diesem Falle abweichend von der Regel
mit der Zahl der Zeiteinheiten wachsen.
758 Joachim Tiburtius,
der menschlichen Bedürfnisse im Sinne Rudolf v. Iheringst3) zu
sein, noch der Erfüllung harrt.
Drittes ‚Kapitel.
Die Arten des Bedürfnisses.
I. Versuch eines Stammbaums der Bedürfnisse. II. Kritik 1) des Cühel-
schen Schemas, 2) der Anordnung Dörings nach Grund und Ziel der Bedürfnisse.
Die Mannigfaltigkeit der ein Bedürfnis bestimmenden Tatsachen
führt zu eingehender Zerlegung des Oberbegriffes „Bedürfnis“ in
ihm untergeordnete Arten, die es im Interesse der Uebersichtlich-
keit nach verbindenden Merkmalen zusammenzustellen gilt. In der
Differenzierung geben wir, soweit nichts anderes besonders bemerkt
wird, die Vorschläge Franz Cühels wieder, die bei ihm zu ver-
missende Integrierung aber wollen wir selbständig vornehmen.
Die Kategorien ergeben sich:
1) Aus den die Entstehung und den Verlauf der Be-
dürfnisse bestimmenden inneren Tatsachen,
a) als positive und negative. Entscheidend hierfür ist
nach Cühel das Ziel“), die Verwirklichung oder Nichtverwirk-
lichung von Wohlfahrtszuständen, also das Ziel nach Oppenheimer,
dem wir hier folgen, der Entstehungsgrund des Begehrens. Das
positive Bedürfnis in diesem Sinne strebt nach Entspannung in der
Abgabe überschüssiger Kraft, das negative nach Ladung durch
Kraftaufnahme.
b) Als objektive (wahre) und subjektive (eingebildete),
richtige und unrichtige Bedürfnisse, je nach dem Grade der
den Verlauf leitenden Einsicht in den Wert des Zieles und die
Zweckdienlichkeit der Mittel.
c) Als effektive und latente nach ihrer Wirksamkeit im
Verhältnisse zu anderen Begehrensregungen.
2) Aus den Eigenschaften der Ziele. Wir unterscheiden
mit Cühel:
a) Einfache, zusammengesetzte und komplementäre
Bedürfnisse.
, Einem einheitlichen objektiven oder subjektiven Zustande ent-
spricht ein einfaches Bedürfnis, wenn er unteilbar ist, ein zusammen-
gesetztes, wenn er die Summe mehrerer Glieder, aber eine Einheit
ist. Gewinnt eine Vereinigung mehrerer Objekte, wie etwa Braten
und Sauce, oder die Teile einer Maschine, für mich eine derartige
Bedeutung, daß das sie umfassende Gesamtbedürfnis die Summe
der den unverbundenen Teilen geltenden Einzelbedürfnisse an Stärke
überragt, so führt sie zu einem komplementären Bedürfnisse. Das
begehrte Objekt ist hier keine Einheit, sondern eine Verbindung
selbständiger Teile.
43) Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 112. (Volkstümliche Ausgabe.)
44) Siehe S. 756 der Arbeit.
Der Begriff des Bedürfnisses. 759
b) Innere und äußere Bedürfnisse nach der Notwendigkeit,
das Ziel mit Mitteln der Außenwelt oder durch innere Vorgänge
verwirklichen zu müssen.
c) Intermittierende und kontinuierliche Bedürfnisse
nach der Dauer des im Begehrensziele erreichten Zustandes. Im
Gegensatze zu Cühel wollen wir im Einklange mit unserer oben
gegebenen Darlegung ein kontinuierliches Bedürfnis nur unter be-
sonderen Umständen annehmen.
3) Aus der Verschiedenheit der Subjekte nach Zahl
und Art.
Cühel unterscheidet:
a) Die Individualbedürfnisse einzelner von den gemein-
samen und Kollektivbedürfnissen mehrerer Subjekte. Ge-
meinsam ist z. B. das Bedürfnis mehrerer Banken nach Errichtung
eines. Clearinghouse. Ein Kollektivbedürfnis ist das gemeinsame
Bedürfnis einer organisierten Mehrheit von Subjekten, z. B. einer
Stadtbevölkerung nach einer Abwässerungsanlage.
b) Gemeinsame und Kollektivbedürfnisse einerseits von
den Sonderbedürfnissen weiterhin danach, daß die erstere
Gruppe dank enger Verbundenheit ihrer Subjekte durch eine Hand-
lung befriedigt wird, während Sonderbedürfnisse stets einen eigenen
Befriedigungsakt verlangen, wie im genannten Beispiele das Be-
dürfnis eines abseits wohnenden Eigentümers nach besonderer Kana-
lisationsanlage.
c) Gesellschaftliche und nicht-gesellschaftliche Be-
dürfnisse nach der sozial oder asozial gerichteten Lebensweise der
Träger. Ein von der Gesellschaft unabhängiger Eremit z. B. würde
der Träger „nicht-gesellschaftlicher Bedürfnisse sein“; gesellschaft-
lich sind die Bedürfnisse nach Versorgung durch den Markt, nach
Anerkennung durch andere usw.
d) Die dem Vorteile einzelner geltenden privaten von den
öffentlichen Bedürfnissen, deren Befriedigung im allgemeinen
Interesse gelegen ist. Cühel stellt hier nur auf die öffentliche oder
private Ausführung der Befriedigung ab.
Die privaten Bedürfnisse sind:
a) ipsil, wenn sie lediglich den Vorteil des Subjektes er-
streben, ohne Beziehung auf ein Bedürfnis eines anderen,
ß) egoistisch, wenn sie die eigene Befriedigung unter ausge-
sprochener Hintansetzung fremden Wohles bezwecken,
y) alteril, wenn sie das Beste eines anderen befördern,
ò) altruistisch, wenn sie dieses Ziel mit Selbstverleugnung
suchen,
e) mutuell, wenn ihre Erfüllung von der gleichzeitigen
Stillung des Bedürfnisses eines anderen Menschen abhängt.
4. Aus der verschiedenen Bedeutung, welche die Erfüllung der
Bedürfnisse für das Dasein des Subjektes hat. Wir unterscheiden
die absoluten Bedürfnisse, deren Berücksichtigung um der Er-
haltung des Organismus willen geboten ist, von den relativen,
760 Joachim Tiburtius,
deren Befriedigung nur in verschiedenem Grade nützlich ist und sich
bis zu der Stufe luxusartiger Entbehrlichkeit bewegt. Der Unter-
schied ist häufig nur graduell, auch die absoluten Bedürfnisse, wie
das Nahrungsbedürfnis, werden nach Erreichung einer gewissen
Befriedigungsstufe relative. Die Zugehörigkeit zur einen oder ande-
ren Gruppe wird nach wechselnden Zeitanschauungen verschieden
beurteilt werden, die ganze Frage ist die eigentlichste Domäne der
Illusionen.
Die Cühelsche Arbeit ist in ihrem ersten der Entstehung der
Bedürfnisse gewidmeten Teile ihrem Untertitel getreu auf dem
Grenzgebiete der Oekonomik und Psychologie geblieben, in ihrer
Kenntnis der Methoden vortrefflich dazu legitimiert. In dem der
Darstellung des Bedürfnisstammbaumes gewidmeten Kapitel kann
man diesen Vorzug nicht durchweg anerkennen. Den subtilen Unter-
teilungen der Bedürfnisarten fehlt eine übersichtliche Zusammen-
fassung zu sinnverbundenen, plastischen Gruppen. Dem Heere der
Begriffe fehlt zwar im einzelnen nirgends deutliche Form, wohl
aber häufig ein wesentlicher Inhalt.
Seine Unterscheidung der positiven und negativen Bedürfnis-
richtung erscheint neben der Oppenheimerschen reichlich farblos.
Die Unterscheidung teilbarer und unteilbarer kontinuierlicher Be-
dürfnisse liegt z. B. wohl ausschließlich in der psychologischen
Interessensphäre.
Der ökonomischen weit näher 'steht der Stammbaum, den der
Philosoph Döring*5) entworfen hat. Er zerlegt das Verhalten des
Menschen gegenüber den Dingen der Außenwelt, die sein Wert-
urteil zu Gütern oder Uebeln stempelt, je nachdem, ob sie seinen
Bedürfnissen dienen oder nicht. Von dieser inneren Stellungnahme
gehen dann die Handlungen aus, die den Begriff der Wirtschaft
ausmachen. Döring kennt zwei Grundprinzipien der Einteilung,
er scheidet die Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Grundlage in körper-
liche und seelische, nach der Wesensbestimmtheit des begehrten
Zustandes in materiale und formale. Beide Kategorien sind
in gemischtem Auftreten möglich als materiale und formale Be-
dürfnisse des Körpers wie der Seele. Inhalt der materialen
Seelenbedürfnisse ist
1) das Verlangen, die Welt als unseren Fähigkeiten und Eigen-
arten entsprechend eingerichtet zu sehen, diesen Eigenschaften
unseres Wesens daher Wert beimessen zu dürfen,
2) das Begehren, einen diesem Erkenntnisstreben und seiner
eventuellen Erfüllung angemessenen Ausdruck zu finden.
Das formale Seelenbedürfnis strebt nach Eindrücken, die
zur Beschäftigung anregen. Dies Bedürfnis erzeugt ein Abwehr-
streben gegen die Vorstellung eines vollständigen Aufhörens alles
persönlichen Seins vor Erreichung des Höhepunktes der bestim-
mungsmäßigen Entwicklung und der Unabhängigkeit von materieller
45) a. a. O.
Der Begriff des Bedürfnisses. 761
Not für die Zurückbleibenden. Diese wirtschaftliche Seite der Todes-
furcht treibt zu den Schutzmaßnahmen der Spar- und Versicherungs-
systeme. '
Für den Körper werden material Vollständigkeit und Ge-
sundheit der Organe, sowie Normalität der sie betreffenden Reize,
formal ein ihrer Kraft gemäßer Gebrauch genötigt.
Diese Zweige des Döringschen Stammbaumes schienen in den
Rahmen unserer Untersuchung zu gehören. Jede dieser Kategorien
enthält einen besonderen Kern von wirtschaftlicher Erheblichkeit,
deren Untersuchung uns im folgenden obliegt.
II. Teil.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bedürfnisses.
Viertes Kapitel.
Das wirtschaftliche Bedürfnis.
1) Die Bedürfniskategorien des Sprachgebrauches, ihre Entstehung und ihre
Berechtigung. 2) Der Begriff der Wirtschaft und des wirtschaftlichen Prinzipes.
3) Das „wirtschaftliche“ Bedürfnis, sein Ziel und seine Entwicklung in der
Wirtschaftsgeschichte. 4) Der Herrschaftskreis der Wirtschaftlichkeit.
Der im vorhergehenden Kapitel unternommene Versuch eines
Stammbaumes der Bedürfnisse fand die Kriterien der Unterschei-
dung und Zusammenfassung in den allgemeinen Geboten der Logik
und im Erfordernisse der Deutlichkeit. Es ist nur für die Wirt-
schaftswissenschaft eine Trennung der wirtschaftlich erheb-
lichen von den wirtschaftlich minder und nicht erheb-
lichen Bedürfnissen wünschenswert. Allgemein wollen wir unter
die erstgenannte Gruppe alle diejenigen Bedürfnisse rechnen, deren
Deckung dem Menschen nicht ohne Verwendung aufgespeicherter
Kraft gelingen kann, während er für die Befriedigung der übrigen
der ihm jeweils zur Verfügung stehenden Kraft ohne Vorbereitung
des Befriedigungsaktes vertrauen darf. Es ist nun für die Wirt-
schaftswissenschaft weder ausreichend noch überhaupt erforderlich,
eine Aufzeichnung aller derjenigen Bedürfnisse zu geben, die in
äußerlich zutage tretendem Zusammenhange mit dem Wirtschafts-
leben stehen, wie etwa die Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnungs-
bedürfnisse. Von manchem scheinbar rein innerpersönlichen Be-
dürfnisse geht eine weittragende wirtschaftliche Gestaltungskraft
aus, wie sie nicht jedem Bedürfnisse innewohnt, das wir uns im ge-
wöhnlichen Denken allgemein als „wirtschaftlich“ anzusehen gewöhnt
haben.
Der Sprachgebrauch des täglichen Lebens nennt alle diejenigen
Bedürfnisse „wirtschaftlich“, deren Befriedigung der Selbsttätigkeit
des Einzelnen nicht gelingt, sondern den Apparat der gesellschaft-
lichen Arbeit verlangt. Wir finden in diesem Rahmen namentlich
die Bedürfnisse des täglichen Verbrauches, denen das Attribut der
Wirtschaftlichkeit um deswillen zugesprochen wird, daß sie einer-
762 Joachim Tiburtius,
seits von der Gesellschaftswirtschaft abhängig sind, andererseits diese
dadurch in Tätigkeit setzen #6),
Es entsteht die Frage, nach welchen Gesichtspunkten allgemein
die Zerlegung der Bedürfnisse in Unterarten und deren Benennung
erfolgt. Welche Beziehungen verbinden ein Bedürfnis mit Sitte oder
Schönheit, um es zu einem moralischen oder ästhetischen zu stem-
peln? Fast ausnahmslos haftet diesen Bezeichnungen eine leicht ein-
zusehende Schiefheit an. Das Begehren nach einem von Schönheit
erfüllten Eindrucke oder einer sittlich richtigen Handlung braucht
an diesem Charakter seiner Ziele nicht notwendig teilzunehmen, son-
dern kann durch ganz anders geartete Erwägungen motiviert sein.
Insbesondere ist es ferner ein logisches Unding, eine sinnlich nicht
wahrnehmbare innere Tatsache, wie ein Bedürfnis, „ästhetisch“ zu
nennen. Weit eher kann man von einem „moralischen‘ Bedürfnisse
sprechen, wenn ein Begehren sich unter Ueberwindung sittlich tiefer-
stehender, entgegenwirkender Verlangen für ein sittlich gebotenes
Ziel entscheidet.
Im allgemeinen waltet jedoch bei diesen Benennungen eine still-
schweigende Verkürzung ob, deren Sinn dem Bewußtsein des Denken-
den gegenwärtig ist. Nicht das Bedürfnis, sondern der von ihm er-
strebte Erfolg löst in der Regel das Urteil über seine ästhetische oder
moralische Eigenschaft aus, und zwar der äußere Erfolg, von dem
die Herstellung des inneren Gleichgewichtes erhofft wird. Wesent-
lich ist dabei, daß die den Namen des Bedürfnisses bestimmende
Seite seines Zieles sein wesentlicher äußerer Zweck ist und nicht nur
um anderer Umstände willen mit in den Kauf genommen wird.
Wenn der Eintritt eines als moralisch zu bewertenden Erfolges
nur eine, vielleicht gar unerwünschte Nebenwirkung eines Zustandes
ist, werden wir einem Bedürfnis nach diesem Zustande nicht den
Titel eines moralischen zuerkennen. Jedermann wird es bei billiger
Betrachtung als gerechte Folge eines Grundstücksverkaufes ansehen,
daß der Verkäufer einen Teil des während seiner Besitzzeit einge-
tretenen Wertzuwachses der Gemeinde oder dem Staate abtreten
muß, deren Entwicklung und Leistungen er seinen oft fast mühelos
erworbenen Gewinn verdankt. Niemand aber wird das Gewinn-
bedürfnis eines solchen Spekulanten unter die moralischen rechnen,
es ist im günstigsten Falle amoralisch.
Um zu erfahren, ob die Beziehungen zwischen Begehren und
Ziel bei der Bestimmung des „wirtschaftlichen“ Bedürfnisbegriffes
vom Sprachgebrauch mit gleicher Treffsicherheit gewürdigt worden
sind, wollen wir zunächst das Wesen des „wirtschaftlichen“ zu er-
kennen suchen.
In der Literatur, wie der gebräuchlichen Alltagssprache finden
wir den Ausdruck „Wirtschaft“ in zwei Hauptbedeutungen. Ein-
mal bezeichnet er den gesellschaftlichen Hergang, der die zur Be-
dürfnisbefriedigung von der Allgemeinheit gebrauchten Güter her-
46) Von ben Bedürfnissen“ in diesem Sinne spricht auch z. B.
Schmoller, Grundriß I, 8.
Der Begriff des Bedürfnisses. 763
stellt, d. h. im Sinne des altrömischen Vertragsschemas anfertigt
und zu Markte bringt’) und verteilt. Dies ist die gesellschaft-
liche Arbeit für den Markt und auf dem Markte, die Markt-
wirtschaft.
Dann aber umfaßt er weiter den Umkreis der Tätigkeit des
Einzelnen, durch die er im Verhältnisse zu seinen Bedürfnissen und
Mitteln aus den Erträgen der Gesellschaftswirtschaft seinen Bedarf
gewinnt und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verwaltet und
verwendet. Dies ist die Eigenwirtschaft.
Die eine gute Wirtschaftsführung leitenden Grundsätze erhalten
dann den lobenden Namen der Wirtschaftlichkeit; sie ergeben das
„wirtschaftliche Prinzip“. Man versteht darunter wohl übereinstim-
mend eine Art der Güterbehandlung, die diesen ihren höchsten
Nutzen abgewinnt, den sie ohne Schaden für ihren Bestand gegen
den geringstmöglichen Aufwand von Mühe zu gewähren vermögen.
Die Wirtschaftlichkeit der Bedürfnisbefriedigung zeigt sich in der
Sicherstellung der Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse dadurch,
daß alles in der Gegenwart nicht benötigte Maß von Kraft für die
Bedürfnisse einer noch nicht gedeckten Zukunft verwaltet wird. Aus
der in Gütern objektivierten und aufgespeicherten Kraft wird ein
Wertding geschaffen, es wird mit ihr gewirtschaftet.
Wie weit der Kreis dieser Handlungen zu ziehen sei, wird in
der Literatur verschieden beantwortet. Nach Oppenheimer ist z. B.
der Verbrauch niemals eine wirtschaftliche Angelegenheit, er gehöre
einer außerwirtschaftlichen Kategorie an. Diese Ansicht beruht
meines Erachtens auf einer zu engen Fassung des Kostenbegriffes in
der Formel: Wirtschaften heißt Haushalten mit kostenden Mitteln.
Wir wollen unter Kosten jedes mit Einheiten eines äußeren Gutes
für ein anderes gebrachte Opfer ansehen. Dieses andere mag ein
äußeres oder inneres Gut sein. Die für die Produktion und Re-
produktion der Arbeitskraft gemachten Aufwände sind z. B. die
Kosten dieses Gutes. Ein zu diesem Zwecke notwendiger Güter-
verbrauch bedeutet die wirtschaftliche Verwaltung des Gutes Arbeits-
kraft und eine wirtschaftliche Verwendung der dazu bestimmten
Mittel. Die teuerste Badereise, ein künstlerischer Genuß, die
üppigste Sammlung seltener Bücher und Kunstwerke kann daher
eine im strengsten Betrachte wirtschaftliche Güteranlage sein, wenn
sie besser als andere Mittel Körper und Geist instandsetzen, gegen-
wärtig und dauernd ihre Aufgaben zu erfüllen. Diese Bewertung der
genannten Konsumakte stimmt mit der Oppenheimerschen Auf-
fassung vom Wesen der Wirtschaftlichkeit überein, sie zeigt nur von
jener den quantitativen Unterschied, daß wir eine wirtschaftliche
Seite dieser Art in den meisten Konsumhandlungen erblicken und
den Konsum daher, insoweit er dazu dient, ein anderes „kostendes
des Mittel“ zu’ stärken, oder insofern er mit seinem „kostenden,,
47) Im selben Sinne gebraucht Oppenheimer in besonderer philologischer
Treue das Wort produzieren, Theorie der reinen und pol. Oekon., 8’ 196/97.
764 Joachim Tiburtius,
Gegenstande ha ushält, in den Bereich der ökonomischen For-
schung ziehen möchten.
Ein Bedürfnis, das diese wirtschaftliche Seite des Verbrauches
zum Inhalte hat, wollen wir wirtschaftlich nennen. Wir verkennen
dabei nicht, daß dem Begehren selber das Wesen der Wirtschaftlich-
keit nur dann innewohnen kann, wenn es vielleicht ein unnützliches
und kostspieliges verdrängt und so den Organismus vor einem schäd-
lichen Vergeuden der Kraft bewahrt. Im allgemeinen wird auch hier
der Name dem Bedürfniszwecke entnommen. Um genau zu sein,
müßte man von einem Bedürfnisse nach einer wirtschaftlichen Hand-
lung sprechen.
Es ist nun die Frage, in welchem Grade die gemeinhin als
wirtschaftlich angesehenen Bedürfnisse vom Bewußtsein eines
solchen Zweckes erfüllt und vom Streben nach ihm geleitet sind.
Wer sein Vermögen vermehren oder sicher und ertragreich anlegen
will, handelt bewußt wirtschaftlich, wenn er es so ins rechte Kraft-
verhältnis zu seinen Lebensbedürfnissen bringen will. Wer dagegen
den Geldbesitz als Genuß an sich begehrt, muß mit Oppenheimer
als Typus monomanischer Unwirtschaftlichkeit angesehen werden.
Nicht bei allen Bedürfnissen des täglichen Lebens ist eine wirt-
schaftliche Orientierung, wie wir sie verstehen, festzustellen. Die
Aufsparung der Kräfte für Aufgaben, die an Nutzen mehr als an
augenblicklichem Genusse versprechen, tritt häufig erst im Zeit-
punkte der Bedürfnisbefriedigung als Notwendigkeit ein, die im
besten Falle anerkannt, aber kaum begehrt wird. So entsteht die
wirtschaftliche Befriedigung des unwirtschaftlichen
Bedürfnisses. Der Ankauf von Nahrungsmitteln zum augen-
blicklichen Verzehren dient in der Regel nicht der Befriedigung eines
Bedürfnisses nach Pflege der Körperkräfte durch ein möglichst ge-
ringes Kostenopfer, sondern der Sättigung, dem Genusse. Die durch
die vorhandenen Mittel gebotene Zurückhaltung stellt sich als un-
erwünschte Hemmung des Bedürfnisverlaufes ein und mag ihm viel-
leicht ein Sonderbedürfnis entgegenstellen, wird aber nur bei einem
ungewöhnlichen Grade von Selbstzucht selber zu seinem Elemente
werden. Die Bedürfnisse nach Essen, Trinken usw. sind also
auch dann noch nicht „wirtschaftlich“, wenn sie durch die
Macht der Umstände sparsam befriedigt werden. Ganz anders
handelt jemand, der einen größeren Vorrat zu allmählichem Ver-
brauche anschafft und für eine längere Zeitdauer gebrauchsfähig
zu erhalten strebt, weil er später Güter dieser Art nur zu höherem
Preise oder in geringerer Güte erhalten kann. Hier ist nicht der
Verbrauch, sondern die Beschaffung und Verwaltung von Gütern
nach wirtschaftlichen Grundsätzen Gegenstand des Begehrens, dieses
ist wirtschaftlich.
Wollte man jedes Bedürfnis, dessen Befriedigung durch einen
wirtschaftlichen Akt geschieht, um deswillen wirtschaftlich nennen,
so würde man von den allgemein für die Bezeichnung der Bedürf-
nisse geltenden Regeln abweichen. Der Gattungstitel würde dann
Der Begriff des Bedürfnisses, 765
einer oft nebensächlichen Wirkung, nicht aber dem vom Bewußtsein
umfaßten Ziele des Bedürfnisses entnommen sein. Die Bedeutung
dieser Bedürfnisse für die Einzel- und Gesellschaftswirtschaft ge-
langt in ihrer Würdigung als „wirtschaftlich wichtiger“ Be-
dürfnisse hinreichend deutlich zum Ausdruck. Wirtschaftlich
können wir nur das Bedürfnis nach dem größten Erfolge des klein-
sten Aufwandes kostender Mittel nennen. f
Die Besonderheit des wirtschaftlichen Bedürfnisses erschöpft
sich nicht in seinem Gegenstande, sondern kennzeichnet sich auch in
seiner besonderen sozialen und geschichtlichen Bedingtheit des Vor-
kommens. Solange dem Menschen der Lebensbedarf noch in der
ungemessenen Fülle der Urzeit für eine geringe Zahl von Bedürf-
nissen unter wenig Konkurrenz zu Gebote stand, galten ihm die un-
bedeutenden und gewohnten Mühen seiner Beschaffung nicht als
lästige „Kosten“. Da ein Schwinden der notwendigen Güter unter
die Stufe der Bedarfsmenge nicht zu befürchten stand, fehlte auch
das Bedürfnis, mit ihnen hauszuhalten. Ebenso finden wir anderer-
seits in qualitativer Hinsicht Güter, die uns heute als die wichtig-
sten Bestandteile unseres Lebensunterhaltes pfleglichster Behandlung
wert scheinen, auf frühen Entwicklungsstufen noch nicht als Gegen-
stände wirtschaftlichen Begehrens in unserem Sinne erkannt. Die
späte Ausbildung des Ackerbaues und der Aufzucht unserer heutigen
Haustiere legt Gurewitsch 48) als landwirtschaftliche Unerfahrenheit
der primitiven Völker aus, während Hahn?) wohl in richtigerer
Würdigung sie auf Kultusvorstellungen zurückführt, die z. B. die
Aegypter bekanntlich hinderten, den Stier als Zug- und Schlachtvieh
zu verwenden und diesem die Rolle eines Heiligtumes anwiesen.
Der Fortschritt der menschlichen Kooperation hat auch im
Kreise der Subjekte des wirtschaftlichen Bedürfnisses Wandel ein-
treten lassen. Das Bedürfnis nach Licht und Luft, nach Nahrung
und Wärme empfindet jedes Lebewesen mit normalen Funktionen,
ohne daß ihm dies von anderer Seite abgenommen werden könnte.
Das Verlangen nach planvoller Beschaffung und Verwaltung der zum
Lebensunterhalte notwendigen Güter wird dagegen nur entstehen,
wenn mangels anderer Hilfe der Selbsterhaltungstrieb oder eine, sei
es soziale, sei es wie immer sonst geartete Pflicht es erweckt. In
einer mehrköpfigen Familie von materiell leidlich gesichertem Da-
sein beschwert die Sorge um die Bedarfsdeckung, insonderheit für
die Zukunft, in der Regel nur die Leitung des Hausstandes, Vater
und Mutter. Nur der auf den unteren Bevölkerungsschichten
lastende Druck führt auch die anderen Familienglieder in diesen
Bedürfniskreis hinein, denen man sonst erst die Ausbildung für einen
Zweig des mannigfaltigen Arbeitsapparates oder andererseits das
Ausruhen vom Zwang wirtschaftlicher Bedürfnisse gönnen mag. Es
ist damit nicht gesagt, daß diese Glieder des Hausstandes gemein-
48) a. a. O. S. 39.
49) S. 95. (Die Haustiere.)
766 Joachim Tiburtius,
hin keine ökonomischen Bedürfnisse hätten, nur entfällt mit der
Notwendigkeit meist auch die Regelmäßigkeit des Auftretens in
ihrem Kreise. Der Klassenunterschied tritt darum gerade in der
Anzahl derjenigen Personen zutage, die in einem Haushalte um des
Lebensunterhaltes willen wirtschaftliche Bedürfnisse haben. Dem
seine Kinder in selbständigen Wirtschaftskreisen reichlich versorgen-
den Millionär steht die Arbeiterfamilie gegenüber, die nur bestehen
kann, wenn 5—6 Kinder an der Erkämpfung und der Verwendung
des täglichen Brotes mit sparsamster Sorgfalt teilnehmen.
Eine Beschränkung des Begriffes der Wirtschaftlichkeit auf
die Deckung des Bedarfes an Unterhaltsmitteln wäre nun aber
ebenso verfehlt, wie seine Ausdehnung auf alle Fälle dieser Tätigkeit.
Ueberall, wo ein kostendes Mittel so eingesetzt
wird, daß sein Ertrag die Resultante aus größter Scho-
nung und höchstem Genusse wird, ist eine wirtschaft-
liche Leistung vorhanden. Das Begehren nach einer
solchen Kraftausnutzung ist stets wirtschaftlich, es
sichert die Befriedigung aller anderen Bedürfnisse.
So sehr nun die Meinung Cühels, nur die objektiven „richtigen“,
nicht auch die subjektiven Bedürfnisse seien ökonomisch beachtens-
wert, abzulehnen ist, so wenig darf man verkennen, daß die Oeko-
nomik nicht nur eine beschreibende, sondern auch eine wertende
Wissenschaft ist und als solche beide Gruppen verschieden zu be-
handeln hat.
Den Maßstab dafür liefert ihr die Entwicklungsgeschichte der
Bedürfnisse.
Fünftes Kapitel.
Die Entwicklung der Bedürfnisse.
I. Das Bild ihres Herganges in der Forschung. 1. Notwendigkeit und Mög-
lichkeit der Bedürfnisentwicklung. 2) Der Unterschied körperlicher und seelischer
Bedürfnisgrundlage. 3) Der Auszeichnungstrieb als Frage des Fortschrittes.
a) Die Verbindung von Individualitäts- und Sozialitätsstreben (Kant). b) Die
Förderung und Verbreitung der Kultur durch das Auszeichnungs- und Nach-
ahmungsstreben. 4) Das Zusammenwirken von Eroberungs- und Nachahmungs-
streben als gestaltender Faktor der Bodenbesitzformen (Gurewitsch). 5) Ga
Grundgesetz von der Notwendigkeit, Bedingtheit und Wirkung der Bedürfnis-
entwicklung II. Kritik. 1) Der Irrtum Gurewitschs über das Verhältnis von
Bedürfnisentwicklung und Arbeitsteilung. 2) Ergänzung seiner Darlegungen durch
das Migrationsgesetz Moritz Wagners. 3) G.s Verkennung des Strebens nach Ver-
feinerung der Bedürfnisse als Wurzel einer Aufwärtsentwicklung. 4) Die Wirk-
samkeit von Vorstellungen über das Bedürfnisziel bei der Bedürfnisentstehung.
Ihr Einfluß auf das Auszeichnungsstreben unserer Landbevölkerung als psychische
Wurzel der Landflucht. III. Der Entwicklungsbegriff in seiner Anwendung auf
die Bedürfnisse.
L Das Bild des Entwicklungsherganges in der
Forschung.
.. Der Begriff der Entwicklung ist trotz aller naturwissenschaft-
lichen Erkenntnisfortschritte noch immer umstritten und ins Dunkel
be .
Der Begriff des Bedürfnisses, 767
des Problems gehüllt. In welchem Sinne wir ihn auf die Bedürf-
nisse anzuwenden haben, ist in der ökonomischen Literatur noch un-
erörtert geblieben. Sie hat sich bisher nur der Frage zugewandt, ob
und wie sich die Bedürfnisse entwickelt haben, ohne die Vorfrage zu
klären, was man unter „Entwicklung“ zu verstehen habe. Wir
wollen versuchen, aus den Ergebnissen der bisherigen Forschung für
die Bestimmung dieses Begriffes einige Grundlagen zu gewinnen.
Die ergiebigste genetische Untersuchung verdanken wir Gure-
witsch 50), der die Gliederung der Gesellschaft aus der Bedürfnis-
entwicklung ableitet. Seine Frage gilt dem Maße, in dem die
Notwendigkeit der Bedürfnisentwicklung, die er als Grundlage
der Gesellschaftswirtschaft erkannt hat, von der Entwicklungs-
fähigkeit gesichert werde. Diese wurde früher für unbegrenzt ge-
halten, später nur für einen geschichtlich begrenzten Zeitraum an-
genommen 51). Adolf Wagner5?) scheidet zwischen der Entwick-
lungsfähigkeit, die er allenthalben, und einer Entwicklungstendenz,
die er auf keiner Kulturstufe feststellen zu können glaubt. Er warnt
vor einer verallgemeinernden Behandlung der Völker und Volks-
klassen. Roscher53) würdigt das Prinzip der Trägheit als eine
Grenze, an der die Bedürfnisentwicklung schon vor den durch das
Maß der vorhandenen Mittel gezogenen Schranken halt mache. John
Stuart Mill sieht die Wurzeln der Trägheit in den durch die Umwelt
gegebenen Bedingungen und meint, daß unter Himmelsstrichen, wo
die Existenz an sich eine Lust sei, sich das Nichtstun als bevor-
zugter Luxus finde. Hieraus entsteht die Frage, unter welchen Um-
ständen der Fortschritt siegreich aus dem Kampfe mit der Be-
harrung hervorgehen müsse. Vierkandt Mi nennt als Voraussetzungen
dazu, außer einem Bedürfnisse im weitesten Sinne, als einem be-
wußten oder unbewußten seelischen Antriebe in Richtung einer
Neuerung, einen dieser angemessenen Reifezustand der Gesamtheit
und eine Initiative einzelner Persönlichkeiten. Die Wirksamkeit
hervorragender Einzelwesen könne ersetzt werden durch Entlehnung
des Kulturfortschrittes von einer fremden Gemeinschaft, die soge-
nannte Akkulturation, oder andere Anregungen von besonderer
Stärke. Ein Fortschritt in den menschlichen Bedürfnissen würde
danach abhängen von einer Reife der Menschheit für eine Hebung
des Bedürfnisstandes, einem Bedürfnisse eines einflußreichen Teiles
der Menschheit nach ihm und einer von hervorragenderen Gliedern
dieses Kreises oder von außen kommenden Anregung. Der Begriff
der Reife erscheint etwas zu allgemein und einer weiteren Ab-
stufung fähig, die zwischen vorübergehenden und dauernden Eigen-
schaften unterschiede. Die Frage nach der Entwicklungsfähigkeit
50) a. a. O.
51) a. a. O.
52) a. a. OB 75.
bäi a. a. O. 8.4.
54) Die Stetigkeit im Kulturwandel, 8. 123.
768 Joachim Tiburtius,
muß als schlüssig bejaht gelten, da die Bedürfnisse anders nicht als
Fortschrittsträger sich bewähren könnten.
Brentano will sie unbedingt nur für das seelische Begehren be-
jahen 55), als Einheit aller einzelnen seelischen Begehrensregungen
genommen. Diesen als Einzeltatsachen wie allen körperlichen Be-
dürfnissen legten die Gesetze der Ermüdung und Genußabnahme
Fesseln auf, nur die Begehrenskraft der Seele suche unerschöpflich
neue Ziele. Die Annahme rein körperlicher oder seelischer Be-
dürfnisse lehnt Brentano selber ab. Jedes Bedürfnis ist eine geistige
Tatsache diesseitiger Art, wie alle nur im Körper denkbar und von
ihm abhängig. Seine Dauer und seine Veränderungen finden in der
Leistungsfähigkeit der körperlichen Organe ihre Grenze. Die Enge
der körperlichen Seiten der Begehren erklärt Brentano sich vornehm-
lich aus ihren Gegenständen. Hunger und Liebe haben in ihren
stofflichen Zielen eine feste Kontingentierung und empfangen ihre
Erweiterung aus den sie begleitenden Lustgefühlen.
Gerade diese Gegenüberstellung Brentanos ermöglicht uns eine
unterscheidende Erfassung von Körper und Geist in ihrer Wirk-
samkeit im Bedürfnisverlaufe.
Die Liebe wird durch ihren seelischen Gehalt vor der Ertötung
bewahrt, der sie als rein körperlich-sinnliche Macht erliegen müßte.
Dem Hunger fehlt eine geistig-seelische Grundlage; er beruht in
einer aus körperlicher Schwäche entstehenden Reizung, die wohl im
Geiste reflektiert, aber nach ihrer Beseitigung dort kein Weiter-
leben haben kann. Der einmal gestillte Hunger hinterläßt keine
Bedürfnisse, während z. B. ein überstandener Schrecken häufig noch
eine Weile lang Verlangen nach gegenteiligen Eindrücken erweckt.
Wir müssen die Scheidung in seelisch-geistige und körper-
liche Bedürfnisse als undurchführbar ablehnen, aber ganz in Bretanos
Sinne in jedem Falle darauf achten, von welcher dieser beiden
Quellen ein Bedürfnis zu einem wesentlichen Teile beeinflußt ist.
Den Gang der Bedürfnisentwicklung leitet Gurewitsch aus zwei
Wurzeln ab: dem Streben nach Auszeichnung und dem Nach-
ahmungstriebe. Der ersteren dieser beiden Komponenten läßt er den
Vorrang in der zeitlichen Reihenfolge des Wirksamwerdens.
Ihren Ursprung und Verlauf erklärt er aus der menschlichen
Klassenorganisation heraus. Sie errichtet Scheidungen innerhalb der
natürlichen Zusammenhänge, wie sie durch Gemeinsamkeit des äuße-
ren Erlebens gegeben sind. Von allen Lebewesen steht der Mensch
wohl am stärksten unter dem Eindrucke seiner Umgebung, er lebt
mit anderen und für andere.
Simmel sieht im Gemeinschaftsleben einen Kampf des Ver-
erbungs- und des Anpassungsprinzipes, dessen Verlauf davon ab-
hänge, ob die Gruppe mehr durch den Einzelnen, oder dieser mehr
durch die Gruppe bedingt sei. Mit dem Geselligkeitstriebe kämpft
dabei der Individualitätstrieb. beide existieren in jedem menschlichen
55) a. a. O. 8. 40.
Der Begriff des Bedürfnisses. 769
Gefühle nebeneinander. Ihre Verknüpfung in gegenseitiger Ab-
hängigkeit ist wohl nirgends klarer und schöner gezeichnet worden,
als von Kant in den ‚Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in
weltbürgerlicher Absicht" bn), Nur aus ihrer Verbindung ist aller
Fortschritt in der „bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfal-
tung“ der Menschheit entstanden, ihr „Antagonism“ in der Gesell-
schaft ist „die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben“ ge-
worden.
„Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Ge-
selligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben, in Gesellschaft zu
treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher
diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hierzu
liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch
hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften; weil er in
einem solche Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwicklung
seiner Naturanlagen fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang,
sich zu vereinzeln (isolieren); weil er in sich zugleich die un-
gesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten
zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von
sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Widerstande gegen andere
geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des
Menschen erweckt, ihn dahin bringt, seinen Hang zur Faulheit
zu überwinden, und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder
Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen,
die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.“
Auch der Herrenmensch wird durch seinen Herrschaftswillen in der
Gemeinschaft der Schwächeren festgehalten, weil er ihrer als Gegen-
stand der Beherrschung bedarf. Die Gesellschaftlichkeit entwickelt
das Wollen, Denken und Fühlen des Menschen. Jede Anteilnahme
an fremdem Schicksale schließt eine Vergleichung mit der eigenen
Lage ein, die häufig das ursprüngliche Gefühl variiert. So mischt
sich mit der Trauer um ein Leid des Nächsten die Freude über
eigenes besseres Schicksal. Im Gehorsam liegt das stolze Gefühl der
Zugehörigkeit zu einer höheren Macht beschlossen, die man nach
unten und außen hin zu vertreten habe, um so für seine Person
an ihrer Größe teilzunehmen. Gehorsam dieser Art bedeutet Streben
nach sozialer Macht. In der Verbindung sozialer mit selbstischen
Gefühlen sucht jeder sein persönliches Wohl mit der Förderung
seiner Gruppe zu vereinigen.
Das Streben nach Macht erscheint in der Gurewitschschen
Darstellung als Regulator der gesellschaftlich notwendigen Abhängig-
keitsverhältnisse. Die herrschenden Klassen bringt die Pflicht, für
ihre Gewaltunterworfenen zu sorgen, und der Wunsch, von ihnen
anerkannt zu werden, in Abhängigkeit von ihnen. So gelangen auch
die unteren Klassen zu Einfluß, der oft die Machthaber zwingt, im
Interesse der Selbstbehauptung einigen Vertretern der Unterschicht
56) Ausgabe von Cassirer, Bd. 4, 8. 155.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 49
770 Joachim Tiburtius,
den Weg zu oberen Stufen der gesellschaftlichen Rangleiter zu
öffnen.
Die Stellung, die ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt, und
die Ansprüche, die er in dieser Hinsicht stellt, werden durch die Art
seiner Bedürfnisbefriedigung gekennzeichnet, mit ihrer Hilfe will
jedermann seinen Ehrgeiz nach Ansehen und Geltung befriedigen.
Der Befriedigungsakt wird so zu einem gesellschaftlich an sich
erheblichen Ereignisse, mag das Bedürfnis selber noch so gering-
fügig sein. Schon in einem einfachen Lebenszuschnitte begegnet uns
die Sucht nach Auszeichnung. Bei vielen primitiven Völkern steht
der Schmuck in höherer Geltung als die Kleidung, selbst wenn er,
wie das Tätowieren, mit Schmerzen verbunden ist. Aus dem Wett-
bewerbe mit Existenzbedürfnissen gehen auch bei uns, zumindest in
unseren oberen Gesellschaftsschichten, die rangscheidenden Luxus-
bedürfnisse siegreich hervor.
Den Ursprung des Kleidungsbedürfnisses sieht Gurewitsch in
Uebereinstimmung mit Brentano und Vierkandt im Begehren nach
Schmuck und Auszeichnung, das der Erkenntnis und Wertschätzung
ihrer Nützlichkeit meist vorangegangen sein dürfte. Vierkandt
nimmt an, die Kleidung habe anfänglich das männliche Werben um
Frauenneigung unterstützen sollen A7), demnach einen dem Scham-
gefühle annähernd gegensätzlichen Ausgangspunkt gehabt. Ihre ge-
sundheitliche Zweckmäßigkeit wurde Gurewitsch zufolge erst bei
ihrem Eingange in die breiteren Volksschichten erkannt. Gerechter
erscheint es indessen, zu sagen, daß der Nutzen der Kleidung vom
Volke mehr in den Vordergrund gestellt wurde und mehr motivierend
zur Geltung kam. Gurewitsch selber erkennt an, daß allenthalben
der Anstoß zum Anlegen von Kleidern von oben gegeben worden sei,
und zwar überwiegend dank höherer Vernunft. Daß die Einsicht sich
in den Dienst des Auszeichnungsstrebens stellte, beweist nichts gegen
ihre Ueberlegenheit, diese bewährte sich in der Wahl des objektiv
nützlichen Mittels. Daß hier der Glanz, den die Kleidung zu ge-
währen vermag, vor ihrem Schutze begehrt wurde, folgt aus der
größeren wirtschaftlichen Freiheit, die es dem Reichen eher erlaubt,
ein Gut zur Deckung eines hochstehenden Bedürfnisses zu ver-
wenden, als dem Armen. In der Art der Kleidung gelangen auch
heute die Unterschiede der sozialen und wirtschaftlichen Machtkreise
und -grade zum Ausdruck.
Dasselbe gilt von der Verbreitung der wichtigeren Nahrungs-
mittel und dem Gebrauche der Edelmetalle; wie der Reiche dem
Armen, so geht der Luxus der praktischen Nützlichkeit in ihrer
Verwendung voran. So züchtet man Tiere, um seine Macht zu ver-
anschaulichen. Auch ihre Bestimmung zum religiösen Opferdienste
sollte unseres Dafürhaltens nicht zum wenigsten eine mystische
Basis der dem Opferer zu Gebote stehenden Machtfülle ver-
anschaulichen 58). Der Uebergang zu einer objektiv wirtschaft-
57) a. a. O. S. 156.
58) Siehe darüber Eduard Hahn, Die Haustiere, 1896.
Der Begriff des Bedürfnisses. 771
licheren Ausbeutung der Tiere vollzog sich unter lebhaftem Wider-
stande der Kultusorgane.
Einen nicht minder aristokratischen Ausgangspunkt hat die
Bodenverwertung, erst nach hartem Ringen erwarben sich die
unteren Klassen in ihr einen Platz. Die Weite des Rahmens, in
dem die Vornehmen ihre Macht zu äußern trachteten, mußte not-
wendig die Verbreitung vieler Produkte fördern. Sie schoben um
dieses Prestigezieles willen jeden Gedanken an den gemeinen Nutzen
allerdings in den Hintergrund. Nicht um möglichste Billigkeit und
Dauer der Bedürfnisbefriedigungen ging ihr Bemühen, sondern im
Gegenteil um den Erfolg, durch Steigerung der Preise ein der Menge
unzugängliches Genußmonopol zu erhalten. Unter dem suggestiven
Zwange des Nachahmungstriebes gelangten die Aermeren zu den-
selben Genußbedürfnissen wie ihre reichen Vorbilder und suchten um
ihrer Ermöglichung willen eine Abwärtsbewegung der Preise zu
erkämpfen.
Diese Spannung hat sich in einer Demokratisierung des Fort-
schrittes in Güterherstellung und verbrauch, in Bildung und Genuß
gelöst, die nach den materiellen Grundlagen der Kultur auch deren
Lebensäußerungen höheren Stiles in der Sprache, der bildenden Kunst
und in der Ehe ergriffen hat. So ist der minder Begüterte auch
in den Urstätten der Vielweiberei im Oriente zur Einehe zu einem
beträchtlichen Teile bereits übergegangen, während die Polygamie
immer mehr zu einem Vorrechte des Reichen wird, dem seine Mittel
die Erhaltung mehrerer Frauen gestatten.
Das Annehmlichkeitsbedürfnis der Vornehmen schuf ferner all-
mählich eine Kaste, der die Kunstwerte schaffende Arbeit für sie
oblag. Anfänglich war die Kunst eine Sonderbeschäftigung der Vor-
nehmen, in der sie Ruhe und Erholung suchten. Diese Beschränkung
auf die Aristokratie war schon durch ihre ursprüngliche Unentgelt-
lichkeit geboten. Bald fand man es indes bequemer, die mit der
Kunst verbundenen Arbeiten Sklaven zu übertragen, um selber nur
den mühelosen Genuß zu haben. Diese von fremdem Geiste ge-
leitete, fremde Formen nachschaffende Tätigkeit sonderte sich von
der unter innerem Zwange wirkenden Kunst als Handwerk, das
seinen Lohn nicht wie jene in der Freude am freien Tun, sondern
in materiellem Erwerbe suchte.
Der gleiche Hergang vollzieht sich in der Wissenschaft. An-
fangs galt das Nachdenken über die Geheimnisse der Natur für eine
vornehme Mußebeschäftigung. Bei tieferem Eindringen offenbarten
sich die Schwierigkeiten der spröden Aufgabe, die den ganzen
Menschen in Anspruch nahm und nur unter Verzicht auf rasche und
leichte Ergebnisse bewältigt werden konnte. Echt wissenschaftliche
Denkweise konnte freilich nur in den Kreisen hochstehender und
unabhängiger Menschen Wurzel schlagen. Die einstigen Jünger
aus diesen Reihen werden ihr aber mit der zunehmenden Speziali-
sierung der einzelnen Zweige nicht selten untreu. An die Stelle
freier Spiele des Geistes voll edler Genüsse tritt eine zähe und
49*
772 Joachim Tiburtius,
trockene Arbeit, die man bald lieber den von unten aufstrebenden
Kräften überläßt. Diese finden hier eine Betätigungsmöglichkeit,
die ihnen zu ihrem Lebensunterhalte noch Ehre und Ansehen ein-
trägt. Das Zusammenwirken aristokratischen und praktischen Sinnes
fördert die Wissenschaft.
Gurewitsch sieht also im Streben der Vornehmen den Aus-
zeichnungs-, in dem des breiteren Volkes den Nachahmungsdrang
als wirksame Ursache an. Uns scheint es irrig, diese beiden Triebe
einander als verschieden, oder gar gegensätzlich gegenüberzustellen.
In der Nachahmung der Höherstehenden suchte eben der Ehrgeiz
der unteren Schichten seine Auszeichnung vor den „Mitgenossen“
zu erlangen, diese Auswirkung des Nachahmungstriebes wird dem-
nach richtig als Funktion des Auszeichnungstriebes gewürdigt. Zu-
zugeben ist dem Verfasser, daß dem Zustrom der ärmeren Arbeiter
auf diese Wirkensfelder der Nutzen der neuen Arbeit für die
Lebensfürsorge förderlich gewesen und bald auch wohl in den Vorder-
grund ihres Interesses getreten ist, in dem er vorher nicht hatte
stehen können, da Kunst und Wissenschaft dem Aristokraten keine
Erwerbsquellen waren, wenigstens keine unmittelbaren.
Im geschichtlichen Verlaufe äußert sich der Auszeichnungstrieb
als differenzierende und wieder nivellierende Kraft, die mittels des
Sonderstrebens Einzelner und des Nachahmungstriebes der Masse
den Gesamtfortschritt in labilem Gleichgewichte erhält. Durch ihre
Vermittlung werden die Bedürfnisse der Mächtigen unter die Menge
gebracht, wo ihre bisherigen Nebenzwecke nützlicher Natur be-
herrschenden Einfluß gewinnen und sie aus Klassen- zu Allgemein-
bedürfnissen werden. Wenn Gurewitsch daraus das Urteil herleitet,
daß die Bedürfnisse erst in den unteren Schichten wirtschaftlichen
Charakter gewännen, so verkennt er die Relativität des Angemessen-
heitsbegriffes.. Die Aufrechterhaltung ständischer Macht ist eine
Aufgabe, die einen anderen Maßstab für die Vermögensverfügungen
ergibt, als ein kleinbürgerlicher Haushalt ihn zu liefern vermag.
Der Gedanke an die Bedeutung repräsentiver Ausgaben hätte Gure-
witsch zu der Prüfung anregen können, ob eine dabei beobachtete
scheinbare Verschwendung nicht vielleicht zum mindesten einem
subjektiv-wirtschaftlichen Bedürfnisse gedient habe. Ein großes ein-
maliges Geldopfer hat oft durch die Mehrung des Ansehens dem, der
es hergab, eine Grundlage für künftigen Gewinn geschaffen, wie das
Verhältnis des Hauses Fugger zu Karl V. lehrt.
Eingehende Sorgfalt hat Gurewitsch der Entwicklung der
Bodenbesitzformen gewidmet. Er wendet sich gegen die Annahme,
die kollektivistische sei die einzige Urform der Landverteilung ge-
wesen. Diese hauptsächlich von Olufsen, Hanssen und Bücher ver-
tretene Meinung ermögliche es nicht, die Entstehung des Indi-
vidualeigentumes am Grund und Boden zu verstehen. Gurewitsch
weist hier auf das Institut der Bifänge hin, das in der Tat aus
einer streng kommunistischen Eigentumsordnung nicht er-
klärt werden kann.
Der Begriff des Bedürfnisses. 773
Zwischen den beiden Polen der reich gegliederten Nomaden-
gemeinschaft und der einfach organisierten Dorfgemeinde fehlen bei
den oben genannten Gelehrten die Bindeglieder der bäuerlichen und
der grundherrlichen Individualwirtschaft. Gurewitsch leitet sie ab
aus der Unterordnung der mit primitiven Mitteln wirtschaftenden
Jäger- und Hackbauvölker unter die Nomaden, denen bereits fort-
geschrittene Methoden der Landarbeit geläufig waren. Die Unter- `
ordnung erfolgt entweder als friedliche Anpassung und Beherrschung,
oder bei einem Versagen dieses Mittels durch Waffengewalt. Das
siegreiche Nomadenvolk stürzt die Sippenverfassung und die Ge-
walt des Dorfvaters um und überträgt das Eigentum am Lande auf
die Markgenossenschaft. Einzelnen Familienhäuptern gelingt es,
ihre Hufe der Kommunisierung zu entziehen und ihre Stellung zu
wahren. Die Nomaden selber werden teils im unterworfenen Lande
seßhaft und bilden um sich her einen Kreis tributpflichtiger Ge-
meinden aus ihren Sklaven, zum Teile bleiben sie auch ihrer Lebens-
weise treu und ziehen weiter.
So ergeben sich für Gurewitsch die Besitzformen:
1) der grundherrschaftlichen durch Sklaven bestellten Lati-
fundien,
2) des freien Bauerngutes und
3) der halbfreien Dorfgenossenschaften.
All diese Betrachtungen führen Gurewitsch zu seinem sozial-
ökonomischen Grundgesetze von der Notwendigkeit, Bedingtheit und
Wirkung der Bedürfnisentwicklung. Die Bedürfnisbefriedigung
nähert sich mit zunehmender Intensität ihrem Höhepunkte und da-
mit ihrem Ende. Schließlich bleibt nur noch das Bedürfnis übrig,
möglichst viel Arbeit zu verbrauchen, da die stofflichen Reize er-
schöpft sind. Die auf ihrem höchsten Punkte angelangte Arbeits-
teilung läßt vielen Händen nichts mehr zu tun übrig, der Ueberfluß
der Reichen ist von Not und relativer Uebervölkerung in den
arbeitenden Klassen begleitet. Um einer Revolution vorzubeugen,
muß die genießende Klasse neue Bedürfnisse entwickeln und damit
neue Erwerbsmöglichkeiten erschließen. Die von oben abfallenden
und von unten aufsteigenden Elemente vereinigen sich in einer
Mittelschicht.
Der Bedürfnisvermehrung sind nun aber bestimmte Grenzen
gesetzt. Die dem Menschen durch Nahrungsaufnahme zuzuführende
potentielle Energie hat wie die kinetische, in die sie sich umsetzt,
ihre Schranken im Organismus. Die Gossenschen Gesetze hält der
Verfasser zwar kraft mangelhafter Anschauung nur auf Ideal-
verhältnisse für anwendbar, aber für richtig in ihren Grundge-
danken. Aehnlich urteilt Lexis5°), der freilich eine obere Grenze
der Bedürfnissättigung nur für das Individuum gelten läßt, während
es für die Allgemeinheit nur eine untere gebe, die mit der nur von
wenigen erreichten oberen in engem Zusammenhange stehe. Falls
59) a. a. O. 8. 404.
774 Joachim Tiburtius,
nun einmal eine größere Zahl von Bedürfnissen der Oberklassen an
dieser nach oben hin gezogenen Schranke angelangt sei, so sei die
Daseinsmöglichkeit der arbeitenden Klassen gefährdet. Gurewitsch
fürchtet, nach dem Weber-Fechnerschen Grundgesetze sei eine all-
mähliche Bedürfnissättigung allgemein unabwendbar, da ihm zufolge
die Empfindungen nicht im gleichen Schritte mit den sie veranlassen-
den Reizen wüchsen. Diese erlägen einer fortschreitenden Ab-
stumpfung und bedürften daher ständiger Steigerung, um den Genuß-
minderungskoöffizienten noch überwinden zu können.
Dabei verkennt Gurewitsch aber offenbar, daß die relative
Genußabnahme nach dem genannten Gesetze nur eine Folge gleich-
bleibender Reizqualität ist und daher nicht durch Steigerung der
alten, sondern durch Einführung neuer Reize behoben werden muß.
Dieser Irrtum betrifft allerdings seine Folgerung nicht, daß infolge
des ständig wachsenden Aufwandes von Streben sich die gesellschaft.
liche Macht allmählich in den Händen der wenigen strebenskräftigen
Bewerber sammle. Die Herrschenden häufen Güter bis zur Grenze
der Verbrauchsfähigkeit an. Auch der Luxus könne diese Be-
wegung nicht aufhalten, denn er erzeuge keine wirklich neuen Be-
dürfnisse, die im Volke heilsam verbreitet werden könnten, sondern
kenne nur die Arbeitvergeudung als Selbstzweck, wie in der letzten
Epoche des römischen Kaiserreiches 60).
Während die Befriedigung des Gesamtbedürfnisses einer ganzen
Zeit zur Stagnation führe, könne die Befriedigung konkreter Einzel-
bedürfnisse nur anregend auf die Leistungen und bessernd auf die
Lage der Arbeiter einwirken, da aus dem Zustande der Sättigung
neue Bedürfnisse entständen.
Die mannigfachsten Veränderungen, die das gesellschaftliche
Gleichgewicht in diesem Prozesse unter dem Drucke so vieler
Willensäußerungen erleiden muß, ergeben die Fülle der Unterschiede,
die dem Verfasser als das nötige Element für das Gedeihen jedes
menschlichen Fortschrittes erscheinen.
II. Kritik.
Gurewitsch hat seine Darstellung an reichem geschichtlichen
Tatsachenmaterial orientiert. Sie würde an Ueberzeugungskraft ge-
winnen, wenn sie statt allgemein gehaltener Andeutungen stets das
gemeinte Beispiel selber nennen wollte. Gelegentlich mutet seine
Soziologie wohl etwas vormärzlich an, wenn er z. B. die „genießen-
den“ den „arbeitenden“ Klassen gegenüberstellt, dagegen eine Unter-
scheidung von Hand- und Kopfarbeit vermissen läßt.
Die „Notwendigkeit“ der Bedürfnisentwicklung ist unleugbar,
nur wäre der Darstellung eine unzweideutige Betonung des „ex post“
als Standpunkt dieser Wertung zu empfehlen. Wohl war und ist die
Bedürfnisvermehrung und -differenzierung eine wohltätige Ursache
des Fortschrittes, gewiß aber kann dieser Umstand nicht teleologisch
60) Vgl. S. 785 der Arbeit.
Der Begriff des Bedürfnisses. 775
als Beweggrund für die Bedürfnisentwicklung angesprochen werden.
Mehr noch muß es zum Widerspruche herausfordern, wenn Gure-
witsch hierüber die Wirkung vergißt, welche die Arbeit der Be-
dürfnisentwicklung verdankt. Eine Hebung der Bedürfnisse kann’
zwar dauernd nicht gedacht werden ohne ein anregendes Maß des
zeitigen gesellschaftlichen Könnens, viel schwerer aber fällt die
Kraft der Bedürfnisse ins Gewicht, die der Arbeit neue Ziele setzt
und sie zu alten auf neuen Wegen führt. Mit der Feststellung, daß
die Bedürfnisentwicklung die Quelle der Arbeitsmöglichkeit sei,
ist es nicht getan. Die Nichtbeachtung der feingegliederten Einzel-
heiten dieses Kausalzusammenhanges, der vielen Qualitätswerte, die
der Arbeit durch neue Bedürfnisse zugefügt werden, ist um so auf-
fälliger, als der weit bedeutungsloseren Abhängigkeit der Bedürfnis-
entwicklung von einem gewissen unentbehrlichen Mindestmaße der
Kooperation und dessen Steigerung eine verhältnismäßig eingehende
Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Ganz anders würdigt Oppenheimer in seinem Gesetze von der
Beschaffung die Bedürfnisentwicklung in ihrer Beziehung zur
Kooperation®!). Die Vermehrung der Bedürfnisträger und die damit,
verbundene Steigerung des Bedarfes führt zur Ausbildung der
technischen und ökonomischen Mittel für Gewinnung der Rohstoffe,
Herstellung und Beförderung der Waren. Je geringer deren Trans-
portwiderstand wird, desto weiter dehnt sich der Gesamtkreis der
Gesellschaftswirtschaft. Die Erkenntnis der gegenseitigen Ergänzung
durch komplementäre Fähigkeiten schließt die wachsende Menschen-
zahl zu Wirtschaftsgesellschaften zusammen und entwickelt unter
diesen Voraussetzungen den Kollektivbedarf. Um ihn decken zu
können, muß sich die Kooperation heben und nicht nur die Menge,
sondern auch die Güte der Erzeugnisse fördern. Mit dem Werte der
Einzelleistung steigt der Gesamtarbeitsertrag, und mit ihm der
Reichtum der Wirtschaftsgesellschaft.
Wenn Gurewitsch gegen diese Theorie des Wesens der Arbeits-
teilung die Tatsache ins Feld führt, daß gerade in wohlhabenden
Gegenden, in denen von dringenden Bedürfnissen nichts zu spüren
sei, die Arbeitsteilung am weitesten fortschreite, so verwechselt
er Bedürfnis und Not. Der unfruchtbare Zustand dringender und
mangels geeigneter Mittel dauernd unerfüllbarer Bedürfnisse be-
drückt eine wohlversorgte Bevölkerung allerdings nicht, ihre Kauf-
kraft und -lust lassen indes eine Fülle von Bedürfnissen entstehen,
zu deren Stillung neue Differenzierungen und Integrierungen der
Arbeitskräfte erforderlich sind. Diese wechselseitige Befruchtung
von Kooperationssteigerung und Bedürfnisentwicklung wirkt einem
Stillstande der Gesamtentwicklung entgegen.
Die Darstellung, die Gurewitsch von der Entstehung der Boden-
besitzformen gibt, leidet an einer gewissen Enge der Stilisierung, in
die sich nicht alle von der Agrargeschichte im einzelnen ge-
61) Theorie der reinen u. pol. Oekonomie, S. 137/38.
776 Joachim Tiburtius,
wonnenen Ergebnisse hineinfügen. Die Erklärung hätte an dieser
Stelle vielleicht des Migrationsgesetzes von Moritz Wagner®?) ge-
denken können. Auch diesem liegen die von Gurewitsch verwerteten
Faktoren wirtschaftlicher und kriegerischer Macht zugrunde, nur
betrachtet es deren verbundenen Einfluß auf ein Volk, dem seine
natürlichen Grenzen keinen genügenden Erhaltungs- und Betäti-
gungsspielraum mehr gewähren.
Die Abwanderung gerade der Stärkeren führt diese zu einem
noch nicht ausgebeuteten Lande, dessen Bewohner sie mit äußerer
Gewalt wie mit überlegenen Arbeitsweisen überwinden, und schafft
den zurückbleibenden Volksgenossen Bewegungsfreiheit. Dies Gesetz
stellt, solange die Erde nicht vollständig angebaut ist, den besten
Ausgleich des Malthusianismus dar.
Gurewitsch lehnt es ab, die Bedürfnisentwicklung auf ein
Streben nach Verfeinerung der Bedürfnisse zurückzuführen, weil
dies ein Streben nach einem unbekannten Zustande und damit ein
Unding sei. Dabei vergisst der Verfasser zunächst, daß wir nahezu
allen Fortschritt dem Streben nach unbekannten Erfolgen verdanken.
Wohin wir blicken, umgeben uns verwirklichte Utopien früherer
Zeiten, wir haben Dampfkraft und Elektrizität unserer Fortbewegung
nutzbar gemacht, wir beginnen, die Luft zu beherrschen, und stellen
den größten Teil der Erdbewohner unter den gleichzeitigen Ein-
druck von Nachrichten. Diese Leistungen sind aus dem Bemühen
um unbekannte, nur geahnte Ziele entstanden, das andauernd fort-
wirkt und ständig neue Ergebnisse zeitigt, bald der Art nach, wie
neue Maschinen, bald nur dem Grade nach, wie gesteigerte Fahrt-
geschwindigkeiten, besseres Licht usw.
Das Verlangen nach einer Bedürfnisveredlung hat alle großen
Erzieher und Erneuerer der Menschheit geleitet, ohne daß naher
oder ferner Ruhm dabei immer ihr Ziel gewesen wäre. Ein Jo-
hannes der Täufer oder Luther wollten ihre Zeiten auf reinere Wege
geistiger und sittlicher Erkenntnis führen, sie gehorchten einer
inneren Notwendigkeit, deren Gebot sie in der Gegenwart und ab-
sehbaren Zukunft dem Haß und der Verfolgung preisgeben mußte.
Will man auch im Handeln dieser Männer ein Streben nach Aus-
zeichnung, etwa vor dem Gotte in der eigenen Brust oder im Himmel
finden, so darf man nicht verkennen, welche Welt diese Wege von
dem Auszeichnungsstreben im Gurewitschschen Sinne trennt. Die
Orientierung ist eine geradezu gegensätzliche: hier das bewußte Um-
werben der bewundernden Menge im Schlagen äußerer „Rekorde“,
dort die ebenso bewußte Zertrümmerung der Zeitgötzen und der
Kampf gegen das gewohnte zeitgenössische Behagen. Auf Pflege
des Strebens nach veredelten und verfeinerten Bedürfnissen hin
wirkt alle erzieherische Arbeit, ihre Hauptaufgabe ist es, dem wer-
62) Das Migrationsgesetz.
Der Begriff des Bedürfnisses. 777
denden Willen immer höhere Ziele zu setzen, an die er sich gewöhne,
bestimmte Bedürfnisse zu wecken, andere auszuschalten. Wo eigene
Erinnerung noch keine Begehrensziele zu bieten vermag, da tritt die
Erfahrung des Erziehers ergänzend hinzu und sucht die vorstellende
Phantasie des Zöglings auf würdige Gegenstände hinzulenken. Der
Erfolg aller erzieherischen Arbeit ist der Vollkommenheit am näch-
sten, wenn im Zögling Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen
Mangelhaftigkeit seines Wollens und Tuns und ein Streben nach
Willensläuterung erweckt ist. Auch in der Sphäre des Trivialen
begegnet uns das Verfeinerungsstreben in erzieherischen Versuchen;
die dem Bedürfnis meist voraneilenden Ideen der Mode wollen in
den Kreisen ihrer Untertanen eine immer wachsende Empfänglich-
keit für Neues und Absonderliches erzeugen, sie gönnen dem Ge-
schmack keine Ruhe, sondern suchen ständig neue und feinere Ver-
ästelungen der Bedürfnisse zu erzielen.
Diese Bemühungen um Veredlung und Verfeinerung der Be-
dürfnisse greifen mit ihren guten wie gefährlichen Seiten in das
Leben der Allgemeinheit ein. In allen reifen und starken Naturen
wird der Wunsch lebendig, sich im Denken und Handeln von der
Gebundenheit an Massenideale und Massenbeifall zu lösen und ein
Dasein nach eigenen Gesetzen zu führen. Wenn dabei die Maßstäbe
des Urteils dem Wissen und Denken der Besten der Zeit entnommen
werden und ihr Lob begehrt wird, so steht dieses Auszeichnungs-
streben doch unter dem Richtung gebenden Einflusse eines Ver-
edlungsstrebens. So findet es seinen Ausdruck in der Gestaltung
des Lebenszuschnittes, in Sprache, Haltung, Tracht, Wohnung und
allen Geschmacksäußerungen. In einem so gearteten Streben liegt
die Gegenwehr gegen die Auswüchse und Verzerrungen des Dranges
nach Auszeichnung um jeden Preis. Das protzenhafte Kraftmeier-
tum der Gründerjahre wird zunehmend von einem Stile der Ehr-
lichkeit und Einfachheit verdrängt, der in den Lebensformen des
Menschen, namentlich in seinem Heime, nicht ein Prunkstück zur
Uebertrumpfung anderer, sondern einen der Persönlichkeit wahr-
haft angemessenen Ausdruck schaffen will. Die Nichtbeachtung der
Veredlungskomponente in der Bedürfnisentwicklung führt Gurewitsch
zu einer gewissen Einseitigkeit, die dem Auszeichnungs- und dem ihm
sinnverbundenen Nachahmungstriebe die Alleinherrschaft zuerkennen
will. Wir wollen den Fortschritt in der Bedürfnisentwicklung als Re-
sultante dieser beiden Kräfte und als deren gemeinsame Quelle eine
höhere Einheit ansehen: den in dem Menschen gelegten Drang nach
‘Vollendung der eigenen Möglichkeiten im Erschaffen und Erleben, den
kategorischen Imperativ Goethes: „Werde, was du bist.“
Wer wie Gurewitsch im Nachahmungsbemühen eine wesentliche
Triebkraft für die Bedürfnisentwicklung erblickt, darf nicht, wie er,
verkennen, wie häufig Vorstellungen und Einbildungen die repräsen-
tive Mitwirkung der Erinnerung bei. der Bedürfnisentstehung ersetzen.
Namentlich zeigt sich dies dort, wo die Nachahmung sich nicht auf
778 Joachim Tiburtius,
den eigenen Lebenskreis beschränkt, sondern an einen äußeren Erfolg
ohne Kenntnis seiner Bedingungen anknüpft, der auf ein fremdes
Feld lockt. So sehen wir in unserer Landarbeiterschaft eine Be-
dürfnisentwicklung sich vollziehen, die das Gegenteil von einem
Streben nach der Lebensweise der unmittelbar über ihnen stehenden
Klassen darstellt. Sie wandert in steigendem Maße in die Industrie-
zentren ab und wählt sich zum Vorbilde nicht den ländlichen Be-
sitzer, sondern den Stadtbürger, von dessen Leben sie meist nur die
Möglichkeit gewisser Genüsse kennt, ohne über die anderen Seiten
unterrichtet zu sein. Die Versuche, sie selber zu Besitzern zu
machen, sind z. B. in Westpreußen vielfach fehlgeschlagen, dahin-
gegen haben solche Gutsherrschaften bessere und dauernde Erfolge
erreicht, die den Arbeitern Unterhaltung durch belehrende und unter-
haltende Vorträge, Konzerte und kinematographische Vorstellungen
boten 6%). Lohnerhöhungen sind in diesen Betrieben lange nicht in
demselben Maße nötig gewesen, wie anderswo, wo sie nicht immer
ein gleich günstiges Ergebnis zeitigten. Der Zug in die großen
Städte gilt nicht allein dem höheren Lohne des Industriearbeiters,
sondern insbesondere seinen Verwendungsmöglichkeiten, einem Ge-
biete, über dessen Vorzüge nicht Erfahrungen, sondern meist reine
Vorstellungen, Meinungen unter den Landarbeitern verbreiten.
Denn keineswegs vererbt sich dieser Wandertrieb in der Generation
regelmäßig fort. In vielen Fällen vermögen selbst Warnungen
Zurückgekehrter neue Versuche nicht zu hemmen, die dann einer
oft sehr unbestimmten Vorstellung von kommendem Glücke nach-
gehen. Ein äußeres Moment unterstützt dabei die Hoffnung, in der
Stadt ein gehobeneres Dasein zu finden. Der ländliche Lohn wird
in vielen Gegenden zum großen Teile in Naturalform gewährt, als
sogenanntes Deputat. Auch sein in Geld bestehender Teil kann in
den ländlichen Verhältnissen meist nur in Gegenständen des not-
wendigen Bedarfes umgesetzt oder gespart werden, die Gelegen-
heiten, sich mit ihm Zerstreuungen oder Luxusgegenstände zu ver-
schaffen, werden nur selten bei einer Berührung mit städtischen Ein-
richtungen wahrgenommen, sei es gelegentlich eines Besuches in der
Stadt oder eines Auftauchens fahrender Künstler. Mit dem Begriffe
der Stadt verbindet sich von da ab ein Zauber, der sich auf alle
auch unbekannten Gebiete städtischen Lebens überträgt und durch
63) Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eigene Beobachtungen, die
ich langjährigem Aufenthalte auf westpreußischen und pommerschen Gütern ver-
danke.
Hasbach nennt in seinem Werke über die englischen „Landarbeiter in den
letzten 100 Jahren“ als Ursachen der Abwanderung den Dreng nach wirtschaftlicher
Selbständigkeit und höherer Lebensweise. Namentlich gedenkt er der Unbeliebtheit
des Naturallohnes (S. 363). Die Anziehungskraft der. städtischen Vergnügungen sei
besonders in .Northumberland fühlbar, während er andererseits betont, daß Hoff-
nung auf Landbesitz den englischen Arbeiter vielfach auf dem Lande festhalte
(S. 368). Daß dieses Motiv in England wirksamer ist als bei unserer polnischen
Landarbeiterschaft, erklärt sich wohl aus dem höheren Grade der Einsicht,
der den englischen Arbeiter auszeichnet.
Der Begriff des Bedürfnisses. 779
dessen aktuelle Gestaltung begünstigt wird. Die Demokratisierung
der Bedürfnisbefriedigung hat eine Reihe von Genüssen verbilligt
und zu einer Massenerzeugung von Surrogaten geführt, die es auch
dem ärmeren Konsumenten gestatten, den Schein einer gewissen
Kulturhöhe zu wahren. Der Besuch des gleichen Theaters, die Ein-
käufe in den gleichen Läden gewähren die Befriedigung, hierdurch
die Stufe des Reichen zu betreten. Diese Illusion vermag der auf
dem Lande zu gewinnende Lohn nicht zu erwecken. Mit der un-
mittelbaren Gewährung von Lebensmitteln und Wohngelegenheiten
greift der Herr tief in die Bedürfnisbefriedigung seiner Arbeiter
ein und zieht so scharf die Grenzlinie zwischen seinem und ihrem
Lebenszuschnitte. Das Auszeichnungsstreben des Arbeiters zieht
ihn zu derselben Selbstbestimmungsfreiheit in der Befriedigung
seiner Bedürfnisse, die seinem Herren vergönnt ist. Er erhofft sie
sich von dem unpersönlichen Geldlohn, den der städtische Arbeiter
empfängt, dieser ist sein Vorbild, nicht der kleine Bauer, auf den
er vielmehr als Glied eines Großbetriebes auch in abhängiger Stel-
lung vielfach herabsieht. Zielsetzend für dieses Bedürfnis ist selten
eine Erfahrung, meist eine Vorstellung.
Ill. Der Begriff der Entwicklung in seiner Anwendung
auf die Bedürfnisse.
Wir haben bisher im Rahmen der Gurewitschschen Unter-
suchung den Verlauf und die Wichtigkeit der Bedürfnisentwicklung
betrachtet, ohne uns darüber Rechenschaft gegeben zu haben, in
welchem Sinne wir den Begriff verstehen wollen. Ist die Bedürfnis-
„entwicklung“ lediglich eine Vermehrung, oder auch eine Bewegung
in bestimmter Richtung? Und wenn wir die zweite Möglichkeit
bejahen, ist diese Bewegung eine Entwicklung biologischer Art,
eine Fortbildung von Keimen, oder der Eintritt neuer Phasen des
Begehrens, vermittelt durch Einflüsse aus anderer Quelle?
Für die erste Seite der Alternative hat uns Gurewitsch reichen
Stoff geliefert. Die Bedeutung der Bedürfnisentwicklung erschöpft
sich ihm hinsichtlich ihres Zweckes in ihrer ständigen Zunahme.
Es bleibt nun die Frage nach dem Grunde dieser Erscheinung
offen. G. Tarde6*) nennt als solchen die Erfindungen, die dem
Begehren neue Ziele bieten und nur um dieser Eigenschaft willen
Wirkung und Bestand haben können. Wenn ein Mittel gefunden
wird, das der Lebensfürsorge nützlich zu dienen imstande ist, so ist
damit wohl der Anlaß für ein neues Bedürfnis gegeben. Damit aber
dessen Dasein zu wirtschaftlicher Erheblichkeit gelangen und von
Dauer sein könne, muß die Kraft zur Befriedigung entsprechend
wachsen. Dies hängt ab von der Zunahme des Wohlstandes. Eine
wirksame Nachfrage nach Verfeinerungen ist nur denkbar, wenn
genügende Gütervorräte zur Deckung des Lebensbedarfes hergestellt
und angemessen verteilt worden sind. So können die beiden Seiten
64) Les lois de l'imitation, Paris 1895, S. 101/102.
780 Joachim Tiburtius,
des Haushaltes, Bedürfnisse und Leistungsfähigkeit, miteinander
Schritt halten. Die Grundbedürfnisse bleiben dabei dieselben, sie
betreffen stets Gesundheit, Sättigung, Sicherheit, Behagen, Liebe
und ähnliches. Die Bedürfniszunahme unter dem Sporn der
Erfindungen gilt den Mitteln der Befriedigung, hinsichtlich der
erstrebten Wohlfahrtszustände tritt nur eine. Wandlung der
alten Bedürfnisse ein. Daß in diesen Aenderungen Fortschritte zu
finden seien, daß Ziele und Formein der Bedürfnisse wie ihrer Be-
friedigung an vielen Stellen und in manchem Betrachte auf höherer
Stufe stehen, als vorher, ist ebenso unbestreitbar, wie daß wir an
vielen anderen Punkten die Vergangenheit nicht überholen können,
an einigen sogar hinter ihr zurückbleiben. Wir wollen keine Kultur-
geschichte schreiben, sondern ihren Ergebnissen nur das eine ent-
nehmen, daß die viel umstrittene Frage, ob zwei aufeinanderfolgende
Geschichtsphasen als Stufen einer fortlaufenden Entwicklung an-
zusehen seien, in der Geschichte der Bedürfnisse einiges Licht
empfängt. Wir haben in ihr zwei scharf zu trennende Beispiele für
beide Fälle der Alternative. Wenn wir die Mannigfaltigkeit und
Feinheit betrachten, mit der z.B. das Nahrungsbedürfnis in all
seinen Verzweigungen, bedingt durch Geschmack, Gesundheit und
Reichtum des Genießenden und die Jahreszeit des Genusses, heute
befriedigt werden kann, so werden wir das als eine Fortbildung des
Urzustandes ansehen, in dem Früchte und Fleisch in geringer Ab-
wechslung begehrt und durch harte eigene Arbeit des Bedürftigen
gewonnen wurden. Hier liegt ein Fortschritt des Begehrens inner-
halb seines durch den Zweck und die Ursache gezogenen Rahmens
vor, Hunger zu bannen und Kräfte zu stärken. Das Begehren ist
durch Pflege der ihm innewohnenden Triebe in Berührung mit ver-
feinerten Mitteln der Befriedigung an eine zweckmäßigere und
edlere Form gewöhnt worden. Wenn wir dagegen erwägen, wie das-
selbe Nahrungsbedürfnis in steigendem Grade nicht mehr nur die
Erhaltung, sondern zugleich durch Verwendung seltener und hoch-
wertiger Befriedigungsmittel auch die Auszeichnung seines Sub-
jektes sucht, so ist dies wohl eine Erweiterung, aber keine Ent
wicklung im erstgeschilderten Sinne. Das Begehren wird hier um
äußere, ihm wesensfremde Bestandteile bereichert und durch sie
variiert. Im selben Bedürfnisse kreuzen sich zwei Begehren mit.
gänzlich verschiedenen Zielen; das Nahrungsbedürfnis ist nur das
Substrat der Erweiterung.
Diese Betrachtung galt den Bedürfnissen der Menschheit im
allgemeinen. Der Einzelne kommt erst mit den Jahren zur Kenntnis
und Erkenntnis der mannigfachen Wohlfahrtszustände und erweitert
dementsprechend auch seine Grundbedürfnisse mit zunehmendem
Alter um neu hinzutretende Formen. Je mehr Stützen sein Gleich-
gewicht erhält, um so leichter kann es an einem Punkte erschüttert
werden. Ob in dieser formalen Entwicklung ein Fortschritt ge-
funden werden kann, richtet sich nach der Stärke, mit der Bewußt-
sein und Selbstzucht die Bewegung beherrschen. Wir wenden ihn
Age RE BE
—
Der Begriff des Bedürfnisses. 781
immer dort finden, wo Individuum und Allgemeinheit ihre Bedürf-
nisse auf die Höhe gesellschaftlicher Wirtschaftlichkeit geführt
haben und bestrebt sind, allenthalben die nach zeitgenössischem
Wissen und Können größten Erfolge der geringsten Aufwände zu
erreichen.
Viertes Kapitel.
Das Bedürfnis als Steuer der Wirtschaft.
I. Die wirtschaftliche Erheblichkeit der Bedürfniskategorien. 1) Das Bren-
tanosche Schema, die charakterologische und wirtschaftliche Bedeutung des Ent-
spannungsbedürfnisses. 2) Der Altruismus als Motiv der Wirtschaft. II. Die
Maßstäbe des ökonomischen Urteils. 1) Die Berechtigung außerwirtschaftlicher
Kriterien in der Oekonomik. 2) Die wirtschaftliche Rationalität.
Die menschliche Wirtschaft ist die Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse, durch deren Inhalt und Stärke sie bestimmt wird.
Jede Untersuchung über die Gesetze der Wirtschaft setzt daher eine
richtige Würdigung der Bedürfnisse voraus.
Mit diesem Interesse treten wir an die von Brentano, v. Her-
mann u. a. aufgestellten Systeme heran, in denen die ökonomische
Erheblichkeit der Bedürfnisse nach der Reihenfolge ihres Dring-
lichwerdens veranschaulicht wird.
Brentano®65) entwirft unter Anerkennung subjektiver Ab-
weichungen folgendes Schema: An erster Stelle stehen alle Be-
dürfnisse der baren Notdurft und Lebenshaltung, unter denen er
die Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnung, Kleidung und richtig
geregeltem Stoffwechsel versteht. Die dann folgenden geschlecht-
lichen Bedürfnisse hätten im Urzustande der Menschheit gleichfalls
an erster Stelle gestanden und „absoluten“ Charakter gehabt, seien
aber durch Läuterung der Triebe und Beförderung geistiger Ent-
spannung im allgemeinen zurückgedrängt worden. Allerdings habe
gerade die erhöhte Gehirnarbeit einige Individuen zu stärkerer
sexualer Reizbarkeit getrieben. Es folgen ihnen die Bedürfnisse
der Auszeichnung, die in sachlichem Schmucke wie in der An-
erkennung seitens anderer gefunden werden könne. Brentano gelangt
hier zu derselben Auffassung, wie wir sie bei Gurewitsch trafen.
Auch für ihn geht das Kleidungsbedürfnis nicht aus einem Ver-
langen nach physischem oder moralischem Schutze hervor, sondern
aus einem Auszeichnungsbegehren, das andererseits auch Bedürfnisse
eigenen Ursprunges ergreift, und umgestaltet, wie das Nahrungs-
bedürfnis. In dieser Einwirkung sieht Brentano ein allmählich
wachsendes Hinzutreten seelischer Regungen, die den von Hause
aus physischen Nahrungstrieb wandeln. Diesen menschlichsten aller
Bedürfnisgattungen folgen in der Aufzählung überraschend die Be-
dürfnisse nach jenseitigem Wohlbefinden, die als einzige aus dem
Gebiete religiöser Vorstellungen herausgelöst sind. Nicht ohne
Zweifel reiht Brentano ihnen die Bedürfnisse nach Erheiterung an.
65) a. a. O. B. 24ff.
782 Joachim Tiburtius,
Er gedenkt der Mannigfaltigkeit ihrer Ausdrucksformen, die viel-
fach noch ihre Entstehung aus anderen Kategorien, wie den Be-
dürfnissen der Lebenshaltung erkennen lassen. Einschränkend auf
alle anderen Bedürfnisse wirkt die Fürsorge für die Zukunft, der
einzige Anklang an das wirtschaftliche Bedürfnis in unserem
Sinne, der bei Brentano sich mit einem recht bescheidenen Platze
begnügen muß. Ihm schließen sich die Bedürfnisse nach Heilung
von Krankheiten und Reinlichkeit an. Die Theorie, die Brentano
über die Entstehung der Reinlichkeitspflege vertritt, steht in
schwer lösbarem Widerspruche zu seiner Schilderung des gegen-
wärtigen Zustandes. Er gedenkt ihrer spät einsetzenden und
zögernd fortschreitenden Entwicklung, die nicht einmal am Hofe
Ludwigs XIV. billigen Ansprüchen genügt habe, und rühmt das
Verdienst Englands um die Ausbreitung und Pflege der Reinlich-
keit. Aus diesem Bilde zieht der Verfasser nun aber den Schluß,
daß die Reinlichkeit in südlichen Klimaten auf der höchsten Stufe
stehe. Ein Vergleich Norwegens oder auch Pommerns mit Süd-
italien oder Kamerun führt zu anderem Ergebnisse.
An letzter Stelle stehen die Bedürfnisse nach Bildung und
Schaffen, die nur bei hohem Grade geistigen Vermögens anzutreffen
seien.
Der Verfasser gelangt zusammenfassend zu dem Urteile, daß in
der Konkurrenz dieser Bedürfnisse die altruistischen nur selten über
die egoistischen obsiegen würden. Zum Beweise stützt er sich auf
die Abnahme des Stillens der Säuglinge durch die Mütter und auf
die Widerstände, die den Klassenorganisationen aus Eigenwilligkeit
und Faulheit ihrer Mitglieder erwüchsen.
Auf die von uns gestellte Frage gibt Brentano eine nur wenig
befriedigende Antwort, Die wechselseitige Bedingtheit der Bedürf-
nisse, insonderheit die aller anderen durch das wirtschaftliche Be-
dürfnis, wird nur flüchtig gestreift. Die Aufzählung der Bedürfnisse
ist in ihrer Aufeinanderfolge anfechtbar und entbehrt der Syste-
matik. Kann eine wahrhaft nach Bildung und ihrer Ausgabe in
Schaffen strebende Natur diese Regungen dem Wunsche nach Er-
heiterung hintanstellen? Wird für sie nicht häufig Erholung mit
Schaffen und geistigem Genusse zusammenfallen? Den Zusammen-
hang des Geschlechtstriebes mit der Arbeit deutet Brentano wohl
an, eine schärfere, vor Mißdeutungen indes nicht hinlänglich ge-
schützte Fassung hat Oppenheimer diesem Gedanken gegeben, wenn
er im Geschlechtstriebe, wie im Verlangen nach wissenschaftlicher
oder künstlerischer Tätigkeit das Wirken des positiven Bedürf-
nisses nach Kraftabgabe sieht, das den Menschen zum Schöpfen und
Schaffen treibt, seiner Bestimmung gemäß auf die Höhe edlen
Kräftegebrauches, in der Entartung zu Verkehrtheit und Verfall.
Es wäre denkbar, in dieser Lehre eine materialistische Ableitung
der geistigen Arbeit zu erblicken, während man, um ihr gerecht zu
werden, wohl gerade auf den gegenteiligen Gehalt den Ton legen
muß, daß nämlich im Geschlechtstriebe bestimmungsgemäß nicht
Der Begriff des Bedürfnisses. 783
ein Verlangen nach körperlichem Genuß allein, sondern ein schöpferi-
scher Drang in den Menschen gelegt ist, wie er auch in den anderen
von Oppenheimer genannten Ausstrahlungen seines Wesens Ausdruck
findet. So ferner in aller körperlichen Bewegung, in der gleichfalls
eine Entspannungssehnsucht steckt, ein Verlangen nach Erleichte-
rung und Beruhigung, die von außen her sich dem Inneren mitteilen
soll. Die gleiche Grundlage hat auch die Geselligkeit, wie die Er-
heiterung überhaupt; auch wo sie in verflachter Gestalt diesen
Ausgang zu verleugnen scheint, kann sie genetisch nur in diesem
Zusammenhange begriffen werden. Das Verlangen nach Entspan-
nungen höherer Art muß durch den Geschlechtstrieb gelähmt wer-
den, wenn dieser mangels rechtzeitiger Ablenkung durch Tätigkeit
und edlen Genuß überhand nimmt. Andererseits muß angreifende
Arbeit ohne den nötigen Pausenwechsel, ebenso wie übermäßiger
Genuß von Zerstreuungen und Betäubungen ohne die erforderliche
Ruhe die Geschlechtskraft schwächen und damit der Arbeit die heil-
same Kraftquelle der aus edlem Selbstgefühle fließenden Freudig-
keit entziehen.
Die gedeihlichste Kraftverwendung ist diejenige Entspannung,
in der Arbeit und Liebe so walten, daß keine von beiden die andere
unterdrückt, noch auch tyrannisch werden läßt.
Eine Befriedigung positiven Begehrens darf nie die anderen
dem Individuum segensreichen und der Allgemeinheit unentbehr-
lichen Wege der Kraftausgabe gefährden. Die Läuterung des Ent-
spannungstriebes zur „sinnlich-sittlichen Bedarfsgewöhnung“ im
Sinne Schäffles zeigt uns die Entstehung der Familie. Der Ge-
schlechtstrieb führt zur Ehe, die dem Egoismus seines Ursprunges
in der Pflicht, für seine Ergebnisse einzustehen, ein neues Element
gesellt und ihn so in die wirtschaftlich beschränkte Betätigungsform
bringt, in der wir ihn sittlich nennen. Er schafft in der Familie
einen größeren Kreis Bedürfender, der sich durch Kooperation zu
helfen sucht und so zur Keimzelle und zum Vorbilde aller Gesamt-
wirtschaft wird. Wie die Liebe sieht Döring‘) auch die Freund-
schaft in soziologischem Lichte. Ein Urverlangen der Menschheit
gilt der Erkenntnis der Normalität des Daseins in Vergangenheit
und Gegenwart, der Sicherheit für die Zukunft. Hieraus entstehen
die menschlichen Freundschaften und Kameradschaften als An-
hänglichkeit an Personen und die Vaterlands- und Heimatsliebe als
Treue gegen Zustände und Einrichtungen, die uns diese Eigen-
schaften unseres Seins zu verbürgen scheinen. Diese Kräfte stärken
die zentripetalen Regungen, die zur Entstehung unserer großen
Wirtschaftsgemeinschaften geführt haben und sie noch erhalten.
Brentano und Döring würdigen beide die wirtschaftliche Be-
deutung altruistischer Bedürfnisse, Mutterliebe, Geschlechtsliebe und
Freundschaft haben ihre Rolle auch im Wirtschaftsorganismus.
Ebensowenig wie man Egoismus und Wirtschaftlichkeit einander
66) a. a. O.
184 Joachim Tiburtius.
gleichstellen darf, ist es berechtigt, den Altruismus schlechthin als
außerwirtschaftlich anzusehen, wie wir es z. B. bei Philippovich 67)
finden. Die Erzielung des größten Erfolges mittels des kleinsten
Aufwandes kostender Mittel ist auch im außerpersönlichen Interesse
vorgenommen eine wirtschaftliche Handlung.
Der Altruismus ist der Träger bedeutender Wirtschaftssysteme.
Man denke z.B. an die wirtschaftlichen Maßnahmen der Wohl-
tätigkeitsorganisationen, an die Bazare und Lotterien dieser Gattung.
Die karitativen Veranstaltungen der katholischen Kirche ruhen im
letzten Grunde auf dem religiösen Pflichtgebote, die irdische Macht-
basis Gottes durch die Versorgung und Unterstützung seiner Be-
kenner zu erweitern. Eine stattliche Zahl landwirtschaftlicher und
industrieller Großbetriebe ist aus dieser transzendenten Wurzel er-
wachsen. In ihrem konfessionellen Widerparte, der reformierten
Kirche, hat der dogmatische Grundsatz strenger irdischer Pflicht-
erfüllung, Einfachheit und Sparsamkeit gleichfalls einen hervor-
ragend wirtschaftlichen Sinn groß werden lassen, in dem Troeltsch
und Max Weber bekanntlich eine Wurzel des Kapitalismus er-
blicken.
Ueberall, wo jemand einen Wirtschaftskreis um einer einem
anderen gegenüber übernommenen Pflicht willen versorgt, in der
Tätigkeit des Familienvaters, des Guts- oder Vermögensverwalters
wirken egoistische und altruistische Motive nebeneinander. Die Be-
darfsbeschaffung geht gleich wirtschaftlich vor sich, der
egoistisch, wie der altruistisch arbeitende Wirt wird bestrebt sein,
mit geringstem Aufwande höchsten Nutzen zu erzielen. Die Ver-
schiedenheit der Motive zeigt sich in der Verwaltung und
Verteilung des Bedarfes unter die Berechtigten: Den Ange-
stellten leitet dabei die Resultante aus seinem durch den Vertrag
beschränkten Eigennutz und seinem Pflichtgefühle. Der Familien-
vater wahrt normalerweise unter geringerem Konflikte je nach dem
Maße seiner Selbstlosigkeit den Vorteil des von ihm zu erhaltenden
Familienkreises. Die wirtschaftliche Sparsamkeit, die er bei der
Versorgung seiner Nächsten häufig deren Wünschen zuwider
walten läßt, ist dann nur eine Ausstrahlung des leitenden altruisti-
schen Grundmotives. Der Wirtschaftsverlauf wird unmittelbar erst
berührt, wenn eine äußere Handlung erfolgt. Die Arten und Folgen
dieser Berührungen werden indes wesentlich durch die vorangegan-
genen egoistischen oder altruistischen Willenshandlungen bestimmt.
Die Betrachtung des verschieden gearteten Einflusses, den die
einzelnen Bedürfnisse auf die Gestaltung der Lebensfürsorge gehabt
haben, führt zu der Frage, mit welchem Maße die Oekonomik sie
zu messen habe. Der Kampf um die Berechtigung der sogenannten
außerökonomischen Maßstäbe, der ethischen, hygienischen und ähn-
lichen in der Oekonomik ist nahezu so alt, wie sie selber. Oppen-
heimer will nun die Wirtschaftswissenschaft von allen ihr wesens-
67) a. a. O. B. 127.
Der Begriff des Bedürfnisses. 785
fremden Bestandteilen reinigen, und nur diejenigen Tatsachen als
ihr Forschungsgebiet bestehen lassen, die den Gang der Wirtschaft
unmittelbar beeinflussen. Mag das Opium z. B., hygienisch und
moralisch betrachtet, ein Uebel sein, wirtschaftlich ist es ein Gut,
das seinem Verkäufer die Anschaffungskosten mit angemessenen
Nutzen wiederzuerstatten und dem Käufer ein Genußbedürfnis zu
befriedigen vermag. Für die Zugehörigkeit eines Bedürfnisses zur
Oekonomik ist es somit unerheblich, ob es auf der ethischen oder
geistigen Stufenleiter einen höheren oder niederen Platz einnimmt,
entscheidend ist nur, daß es zu einer wirtschaftlichen Handlung
führt. Wir kommen darauf unten zurück und wollen uns diese
Lehre einstweilen zur Warnung dienen lassen, uns vor einer Ueber-
tragung allgemeiner Urteile aus anderen Gebieten in die Wirtschafts-
wissenschaft hüten, in der sie nicht am Orte sind.
Ein solcher Mißbrauch der Ethik entlehnter Maßstäbe hat die
ältere Theorie des Luxus als einer schlechthin wirtschaftsfeind-
lichen Erscheinung in einer Einseitigkeit gedrängt, deren Begrün-
dung dann nur durch grobe Verzerrung des wirklichen Bildes ge-
lingen konnte. Der Luxus, so hieß es, entziehe der Herstellung nütz-
licher Massengüter erhebliche Kapitalien, deren Teile durch ihn
statt zur Sammlung zum überflüssigen und zersplitterten Ver-
brauche geführt würden. Seine Beschränkung müsse zu einer Ver-
mehrung des Kapitales führen, die eine erhöhte Produktion nütz-
licher Güter und damit die Ernährung einer größeren Anzahl von
Arbeitskräften ermöglichen würde.
Die Irrigkeit dieser Lehre hat schlagend Philippovich 68) nach-
gewiesen. Das dem Luxusverbrauch und der ihm dienenden Pro-
duktion entzogene Kapital würde zwar die Herstellung von Massen-
gütern steigern, gleichzeitig würden aber in diese Produktion die
bislang im Dienste des Luxus beschäftigt gewesenen Arbeitskräfte
hineingedrängt werden, dort die Löhne herabdrücken und eine die
Nachfrage übersteigende Produktion zeitigen. Das Ergebnis wäre
eine Ueberherstellung und eine den Absatz lähmende Krisis. Ein
gewisses Maß von Luxus ist, so sehr man ihn moralisch tadeln
mag, wirtschaftlich erforderlich, um Arbeiter zu beschäftigen, deren
Gaben in der ihm dienenden Gewerbstätigkeit mit dem größten
Nutzen verwendet werden können. So allein kann die Einkommens-
verwendung der Reichen den Fehler der Verteilung aus-
gleichen, der darin begründet ist, daß Millionenbeträge als arbeits-
loses Einkommen in Verschwenderhände fließen, während in den
arbeitenden Klassen entsprechender Mangel herrscht. Sparsame Ver-
waltung dieser Einkommen würde die Folgen der falschen Ver-
teilung zu verlängerter Dauer bringen. Jede Sparstrumpfpolitik ist
im Gegensatz zum Luxus, wenn es gestattet ist, ein medizinisches
Bild zu gebrauchen, eine Verkalkungserscheinung im Wirtschafts-
körper. Die Rentensucht des französischen Mittelstandes entzieht
68) a. a. O. S. 412.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 60
786 Joachim Tiburtius,
der Wirtschaft Kräfte an Geld und Arbeit und letzten Endes, im
Verein mit weiblicher Entartung, auch dem Lande die nötige Auf-
frischung durch Geburtenzunahme. Die ersteren werden thesauriert,
das Arbeitsvermögen aus bequemer Genügsamkeit vorzeitig geschont.
Den richtigen Ausgleich zwischen dem Zuviel und Zuwenig
im Gebrauche der Kräfte kann nur eine Leitung der Bedürfnisse zu
denjenigen Zielen schaffen, die dem Einzelnen Nutzen und Gewinn
bringen, ohne die Sicherheit seines Daseins in Frage zu stellen und
seine Mitwirkung der Gesamtheit der Wirtschaftsgenossen zu
nehmen: Dies ist die wirtschaftliche Forderung der Gesellschaft an
ihre Glieder. Welche Ziele es sind, darüber unterrichten die prak-
tische Volkswirtschaftslehre, die eng mit der Geschichte des Volks-
und Völkerlebens überhaupt verbunden ist, die Naturwissenschaften
im weitesten Sinne und die Ethik an der Hand äußerer Beob-
achtung und innerer Wertung der Dinge.
Oppenheimer fordert für die Bewertung der wirtschaftlichen
Handlungen einen eigenen Richtigkeitsmaßstab69). Jede Handlung,
die mit dem kleinsten Aufwande kostender Mittel den größten Erfolg
zu erreichen strebe, sei wirtschaftlich richtig, unbeschadet aller
abweichenden Beurteilung, die sie um der Eigenart ihres Zieles
oder ihrer Mittel willen vielleicht vor anderen Richterstühlen finden
möge. ' a5,
Wer z.B. in seiner Umgebung den aufs höchste ersehnten
Ruhm eines arbiter elegantiarum nur dadurch erringen könne,
daß er zum Anzünden seiner Zigaretten Tausendmarkscheine oder
Originalradierungen verwende, handele wirtschaftlich angemessen.
so sehr man ihn vom Standpunkte allgemeiner Vernunft aus einen
Verschwender schelten möge. Diese Handlung wäre nur unwirt-
schaftlich, wenn sie die Möglichkeit fernerer Bedürfnisbefriedigung
im Rahmen des vom Subjekte sich gesetzten Planes in Frage stellen
würde. Es soll also gewissermaßen der juristische Verschwendungs-
begriff auch für die Oekonomik gelten, denn eine Entmündigung
muß immer das Verhältnis des Vermögens zu den Ausgaben berück-
sichtigen und trifft nur den, der seinen Vermögensstamm angreift,
nicht z. B. den Millionär, der jährlich 30000 M. unsinnigen Launen
opfert. Diese Begriffsbestimmung ist durch die Unterscheidung
zu ergänzen, daß die Begriffe des „größten Erfolges“ und des
„kleinsten Mittels“ subjektiv vom Standpunkte des Handelnden
aus und objektiv von dem der Gesellschaft nach dem Stande ihrer
jeweiligen Erkenntnis erfaßt werden können. Je nach Anwendung
des einen oder anderen dieser Maßstäbe ist eine Handlung dann
objektiv-gesellschaftlich oder subjektiv-individualwirtschaftlich zu
nennen. Der Einzelne, der in materiellem Genuß, z. B. im Opium-
rausche den größten durch die Verwendung seiner Mittel erreich-
69) Die folgenden Angaben verdanke ich gütiger- persönlicher Mitteilung
Herrn Dr. Oppenheimers. Literarischen Ausdruck haben sie noch nicht gefunden,
doch ist eine Umarbeitung des entsprechenden Teiles der „Reinen und Politischen
Oekonomie“ im Sinne dieser Anschauungen zu erwarten.
Der Begriff des Bedürfnisses. 787
baren Erfolg erblickt, handelt zwar unhygienisch, unmoralisch und
unvernünftig, wenn er diesem Ziele seine Güter opfert, bleibt aber
vollkommen in den Grenzen subjektiv-wirtschaftlicher Angemessen-
heit, wenn er seine Einkommensverwendung nur so einrichtet, daß
sein Vermögen ihm diese Lebensweise für einen Zeitraum von nor-
maler Länge ermöglicht. Seine Handlungsweise verstößt aber wider
das ökonomische Interesse der Gesellschaft. Diese ist nicht wie
das Individuum auf eine begrenzte Daseinsspanne, sondern auf die
Dauer gegründet. Ihre Ziele unterliegen nicht der Individualwillkür,
sondern ergeben sich unwandelbar aus ihrer ewigen Bestimmung als
Herrin der Erde: die höchste Fruktifizierung aller ihr gehörigen
Güter persönlicher und sachlicher Art als Glieder ihres Arbeits-
und Verbrauchsorganismus. Im Schutze und auf Kosten der Ge-
sellschaft entwickeln sich die Kräfte der Einzelnen, diese werden
so selber zu kostenden Mitteln der Gesellschaft. Den höchsten Ertrag
vermögen sie der Gesellschaft nur zu leisten, wenn sie ihr Leben
unter die Herrschaft der Gesellschaftszwecke stellen -und nach den
Lehren ihrer moralischen, hygienischen und intellektuellen Erkennt-
nis einrichten. Jedeindividualistische Vorenthaltung oder Verschleude-
rung eines Gutes schädigt das Interesse der Gesellschaft, ver-
ringert den Ertrag ihrer kostenden Mittel und ist daher nicht nur
unmoralisch und unvernünftig, sondern gesellschaftlich gemessen
auch unökonomisch. Während also die subjektiv-ökonomische Ra-
tionalität mit den Anforderungen der Moral, Hygiene und Vernunft
als Auswirkungen der allgemeinen Rationalität in Widerspruch
geraten kann, ist die gesellschaftlich-ökonomische Rationalität mit
ihnen identisch, sie ist die Rationalität der Gesellschaft schlechthin.
Die Inhaber von Bordellen und Destillen, die von geringem Kapital-
aufwande ungewöhnliche Verzinsungen erleben, handeln subjektiv
durchaus ökonomisch, verletzen aber die Gebote der Moral und der
Volkshygiene und darum auch die der gesellschaftlichen Oekonomik,
da sie die Volksgesundheit gefährden und schädigen und damit die
Gesellschaft um persönliche Güter berauben.
So weit wollen wir mit Oppenheimer gehen. Die Harmonie der
gesellschaftlich-ökonomischen mit den sittlichen Werten ist stets
erst auf höheren Stufen der Entwicklung erkannt worden. Den
deutschen Arbeiterschutzgesetzen mußte erst die individualistische
Schrankenlosigkeit der Gründerjahre vorangehen, ehe der Sozialis-
' mus die Schäden offenbarte. Jede gesellschaftsfeindliche Wirtschafts-
gebarung trägt aber in ihrer lediglich im Sonderinteresse ruhenden
Verankerung den Keim der Vergänglichkeit. Führt die Richtung
des Bedürfnisses zu einem wirklichen Zusammenstoße zwischen In-
dividual- und Allgemeininteresse, so muß es dabei nach uraltem
Stärkegesetze einmal erliegen. Der sittlich Wollende dagegen handelt
im Einklange mit den „frei wollenden“ Gliedern seiner Gemeinschaft,
wie Kant sie nennt. Seine von der Gesamtheit gebilligten, mit
ihrem Wohle verknüpften Ziele ruhen im Schutze des „richtigen
Rechtes“ und die historischen Rechtsordnungen bemühen sich um
50*
188 Joachim Tiburtius,
ihre Sicherstellung. Nur die sittliche Handlung liefert also auf
die Dauer den höchsten Ertrag, ist demnach allein gesellschaftlich
wirtschaftlich.
Wir gewinnen somit eine doppelte Wertung der Wirtschaftlich-
keit menschlicher Bedürfnisse und Handlungen:
1. Eine relativ-subjektive, deren Kriterium die gewisser-
maßen technische Fähigkeit einer Handlung ist, innerhalb der vom
Willen des Subjektes gewählen Bedürfnisbahn die größten Erfolge
mit geringstem Kostenaufwande zu erreichen.
2. Eine absolut-objektive, welche die Bedeutung der mit
einem Kostenaufwande erstrebten Ziele für die Gesellschaft zu-
grunde legt.
Schlußwort.
1) Die Stellung der Wirtschaftswissenschaft zur Lehre von den Motiven
der Wirtschaft. 2) Die Stellung der Bedürfnislehre innerhalb der Wirtschafts-
wissenschaft.
Unsere Untersuchung galt der subjektiven Seite der mensch-
lichen Wirtschaft. Die Auswahl dieses Gebietes bedarf einer Recht-
fertigung wohl nur gegenüber der Gegenmeinung Schumpeters "01,
der es für die Oekonomik ablehnt, sich mit der Erklärung des wirt-
schaftlichen Handelns abgeben zu sollen, hierin Aufgaben für Bio-
logie und Metaphysik erblickt. Die Volkswirtschaftslehre könne nur
den gegenwärtigen Stand der Güterverteilung und die etwa erkenn-
baren Tendenzen zu einer Verschiebung darstellen. Die Frage bleibt
offen, worin diese Tendenzen anders gefunden werden könnten, als '
in einer Veränderung der Bedürfnisse und Leistungen. Die Beob-
achtung selbsttätiger Güterbewegungen müßte gerade als eine Ueber-
tragung biologischer Methoden in die Oekonomik anmuten. Die
Begründung dieses Hylozoismus ist wenig überzeugend. Schumpeter
behauptet, die Befriedigung der Bedürfnisse sei ein Problem der
Technik, der Physiologie und der Kulturgeschichte. Das soll gewiß
nicht bestritten werden. Es ist kein ökonomisches Problem, zu
ergründen, warum und woher ein Bedürfnis bestimmter Art auf-
tauche, welcher mechanische Hergang es am besten befriedige.
Die Wirtschaftswissenschaft wird auch nicht über jedes Bedürfnis
ein Aktenstück anlegen, aber sie soll den Einfluß der einzelnen Be-
dürfnisse auf die Wirtschaft darstellen und die Entwicklung der
Bedürfniskurve zu schildern versuchen. Schumpeter möchte den
Effekt in der Wirtschaftsentwicklung feststellen, verkennt aber,
daß dies ein Studium des Bedürfnisstandes voraussetzt. Er meint,
mit der Ableitung des wirtschaftlichen Handelns aus den Wert-
urteilen begäben wir uns auf fremdes Gebiet. Vorgänge, deren zeit-
liche Aufeinanderfolge wir wahrnähmen, ohne ihre Natur beurteilen
zu können, setzten wir in ursächliche Beziehung zueinander. Nur
die Selbstbeobachtung ermögliche dabei einen sicheren Schluß, gelte
70) Das Wesen und der Hauptinhalt der Nationalökonomie.
Der Begriff des Bedürfnisses. 789
indes nur für ein Individuum. Mit dieser Feststellung Schumpeters
ist der Weg zur Erforschung des Individualbedürfnisses gegeben.
Die durch Statistik und Enquete vermittelte Sammlung von Selbst-
beobachtungen gibt ein erweitertes Bild. Soweit die Wirksamkeit
der Bedürfnisse in der Nachfrage erforscht werden soll, bietet ja
auch die Preisbewegung einen zuverlässigen Maßstab, der nur die
objektiven Bedingungen auf der Angebotsseite in Abzug zu bringen
nötigt.
Die Bedürfnislehre zu einer selbständigen Disziplin unter dem
Namen einer Chreonomie zu erheben, ist ein Vorschlag Cùhels, der
ihr Wesen im polaren Gegensatze zu Schumpeter ebensosehr ver-
kennt. Das Gebiet der Bedürfnisse gehört vielen Wissenszweigen
an, die weder seine einseitige Inanspruchnahme für die Wirtschafts-
lehre, noch eine eklektische Zusammenfassung zu einer neuen Diszi-
plin zulassen. Das Reich der Bedürfnisse ist das Leben in seinem
Gesamtumfange; Leben heißt Bedürfnisse haben und befriedigen,
die Anpassung innerer an äußere Relationen nach Spencer. Diese
Erkenntnis sollte den alten Streit verstummen lassen, ob die Na-
tionalökonomie ihrer Motivlehre den Menschen in allen Seiten seines
Wesens oder nur seinen „Eigennutz“ zugrunde zu legen habe. Denn
was ist die Eigennützigkeit eines Menschen anderes, als die Summe
seiner Bedürfnisse? Die Geschichte und Theorie der menschlichen
Bedürfnisse ist eine Darstellung der menschlichen Wertvorstellungen
und ihres Ausdruckes im Verhalten ihrer Subjekte. Wert haben
heißt nach v. Wieser wichtig sein für die Befriedigung eines Be-
dürfnisses?1). Das Bewußtsein dieser Abhängigkeit führt zu einem
Bedürfnisse nach dem Wertdinge’??). Allein die Bedürfnislehre
berichtet darüber, was bisher als wertvoll gegolten hat. Soweit sie
über die wirtschaftlichen Ergebnisse der Wertvorstellungen Aus-
kunft gibt, gehört sie der Oekonomik an. Dieser verhilft die Be-
dürfnislehre zu einem eigenen Wertbegriffe, durch dessen Ab-
grenzung von den Wertgesetzen anderer Wissenschaften sie zu
einer Förderung aller menschlichen Erkenntnis noch berufen scheint.
Verzeichnis der für die Arbeit benutzten Schriften.
Lujo Brentano, Versuch einer Theorie der Bedürfnisse. Sitzungsberichte
der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1908.
Franz Cühel, Zur Lehre von den Bedürfnissen. Theoretische Unter-
suchungen über das Grenzgebiet der Oekonomik und Psychologie, Innsbruck 1907.
August Döring, Philosophische Güterlehre, Berlin 1888.
Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehres und der
daraus fließenden Regeln für das menschliche Handeln. 1889.
Jacob Grimm, Wörterbuch der deutschen Sprache.
B. Gurewitsch, Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und die
soziale Gliederung der Gesellschaft. Schmollers Foschungen, Bd. XIX, 4, Leipzig 1901.
71) 72) So auch Meinong a. a. O. S. 6/9.
790 Joachim Tiburtius, Der Begriff des Bedürfnisses.
v. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, München 1870.
E. v. Ihering, Der Zweck im Recht, 4. Aufl., Leipzig 1904.
Kraus, Das Bedürfnis. Ein Beitrag zur beschreibenden Psychologie, Leip-
zig 1889.
Lexis, Artikel „Bedürfnis“ im Wörterbuche der Volkswirtschaftslehre I, 1,
Jena 1911.
Meinong, Psychol.-ethische Untersuchungen zur Wertlehre, Graz 189.
Münsterberg, Philosophie der Werte, Leipzig 1908. Psychologie und
Wirtschaftsleben, Leipzig 1912.
Oppenheimer, Theorie der reinen und polit. Oekonomie, Berlin 1910.
Schriften der deutschen Gesellschaft für Soziologie, Bd. 2, Tübingen 1913.
Paulsen, System der Ethik, Bd. 1.
v. Philippovich, Grundriß der polit. Oekonomie, Bd. 1, 9. Aufl., Tü-
bingen 1911.
Roscher, Grundlagen der Nationalökonomie, 24. Aufl., 1906.
Sax, Wesen und Aufgaben der Nationalökonomie, Wien 1884. Grundlegung
der theoretischen Staatswirtschaft, Wien 1887.
Schäffle, Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, BL
3. Aufl., 1873. Bau und Leben des sozialen Körpers, Bd. 3, 2. Aufl., 1896.
v. Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, 4. Aufl., 1901.
Schumpeter, Das Wesen und der Hauptinhalt der Nationalökonomie, 1908.
Suabedissen, Grundzüge der Lehre vom Menschen, (Marburg und
Cassel) 1829.
Vierkandt, Die Stetigkeit im Kulturwandel, Leipzig 1908.
Wagner, Grundlegung der polit. Oekonomie, Bd. 1, 3. Aufl., Leipzig 189.
Wahle, Das Ganze der Philosophie und ihr Ende. Wien und Leipzig 18%.
v. Wieser, Ursprung und Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes (ab-
gekürzt als Ursprung“), Wien 1884.
Wundt, Grundriß der Psychologie, 10. Aufl., Leipzig 1911.
Miszellen. 791
Miszellen.
XXII.
Ueber die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich
Bayern.
Ein Beitrag zur Berechnung der spezifischen Bevölkerung überhaupt.
Von Dr. oec. publ. Ernst Müller, München.
Der Geburtenrückgang steht gegenwärtig so sehr im Vordergrunde
der literarisch-demographischen Tätigkeit, daß manches andere demo-
graphische Kapitel, welches gar nicht nebensächlich ist, leider nur
wenig gefördert wird. Oder ist etwa zur Bevölkerungsdichtig-
keit wieder ein ähnlich wertvoller Beitrag geliefert worden, wie
v. Mayrs Abhandlung über die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich
Bayern 1), eine Studie, welche auf das Jahr 1868 (!) zurückgeht? Und
einen wissenschaftlich befriedigenden Aufschluß über die Bevölke-
rungsdichtigkeit zu geben, ist doch gar keine so leichte Aufgabe, wie
mancher vielleicht glaubt. Wer nämlich meint, es handle sich dabei
bloß um zahllose, viel Zeit erfordernde, Be- und Umrechnungen, der
irrt sich doch etwas. Man steht hier auch Problemen gegenüber, deren
Lösungsversuche sogar „Kopfzerbrechen“ verursachen. Das war wohl
letzten Endes der Grund, warum der ‚Altmeister‘ deutscher Bevölke-
rungsstatistik, Georg v. Mayr, vor fast schon 50 Jahren sich so liebe-
voll mit der Lösung dieses demographischen Problems befaßte, welches
durch die inzwischen vor sich gegangene ökonomisch-demologische Ent-
wicklung nur noch problemhafter wurde.
Unter Bevölkerungsdichtigkeit oder Bevölkerungsdichte versteht man
das Zahlenverhältnis zwischen Flächen- und Bevölkerungsgröße eines
gegebenen Gebietes. Durch dieses Verhältnis wird die relative oder
spezifische Bevölkerung zahlenmäßig fixiert. Dies gewöhnlich so,
daß man feststellt, wie viele Einwohner z. B. in Bayern auf 1 qkm
Areal dieses Königreichs treffen. Dabei entfällt jede weitere Dif-
ferenzierung der Menschen- und Flächenmassen. Diese kommen hier
nur in ihrer allgemeinsten Erscheinungsform in Betracht. Die Be-
ziehungen zwischen Bevölkerung und Fläche werden untersucht in
summarischer Weise für bestimmt abgegrenzte Flächenteile und die
dazu gehörige Bevölkerungsbestandsmasse. Es wird dabei keine Rück-
1) Diese Abhandlung ist erschienen im 20. Hefte der Beiträge zur Statistik
des Königreichs Bayern, München 1868, Seite XXV ff.
792 Miszellen.
sicht genommen auf die Unterschiede in der Verteilung der Bevölkerung
innerhalb der Flächenteile.
Wenn der Demograph von Bevölkerungsdichtigkeit spricht, so liegt
diesem Begriff die Annahme der gleichen Streuung der einzelnen Men-
schen über das Beobachtungsgebiet zugrunde. Diese Annahme ent-
spricht nun wohl zwar nirgends der Wirklichkeit, ist aber doch un-
erläßlich, wenn eine Vergleichung der Bevölkerungsintensität verschie-
dener Bezirke nach gleichem Maßstab versucht werden soll. Eine solche
Vergleichung ist aber nur möglich, wenn die in Raum und Zeit so viel-
fältigen Verschiedenheiten der Wirklichkeit innerhalb gewisser räum-
licher Begrenzungen in einem ermittelten Durchschnitt ausgeglichen
werden. Wenn also, mit anderen Worten, die Wirklichkeit vereinfacht
umgebildet zur Darstellung gebracht wird an Stelle der auch in der
Demographie nicht möglichen unmittelbaren Abbildung. Die räum-
lichen Abgrenzungen sind dabei so vorzunehmen, daß nicht Ungleiches
in einen unrichtigen Durchschnitt zusammengeworfen wird. Welcher
ist nun aber der richtige Durchschnitt? Offenbar wohl jener, welcher
den unendlich vielfachen wirklichen Ergebnissen weder so ferne steht,
daß die ganze Vielgestaltigkeit derselben verloren geht, noch ihnen so
nahe steht, daß die übergroße Zahl der Einzeltatsachen das Gesamt-
ergebnis gar nicht oder nur undeutlich erkennen läßt.
Was ergibt sich nun aus diesen theoretischen Erörterungen für die
Klarlegung der Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern? Wir
dürfen und können uns nicht begnügen mit der Vergleichung der
Dichtigkeitszahlen des Königreichs im ganzen und seiner 8 Regierungs-
bezirke, sondern wir müssen solche Zahlen bringen auch für die nächst
untere Stufe der administrativen Einteilung. Das sind die Bezirksämter.
Diese Aemter sind in ihren Grundzahlen, Areal und Bevölkerungsgröße,
hinreichend klein, um die wesentlichen Verschiedenheiten in der Be-
völkerungsdichtigkeit nicht zu sehr zu verwischen. Diese Aemter sind
dann aber auch in ihren Grundzahlen doch wieder hinreichend groß,
um überhaupt einer Vergleichung von Areal und Bevölkerung einen
Wert zu verleihen. Das Areal der 163 bayerischen Bezirksämter (ohne
Städte) liegt zwischen 82 (Speyer) und 1172 qkm (Traunstein). Ueber
weitere Einzelheiten orientiert folgende Uebersicht: Von den Bezirks-
ämtern hatten ein Areal von
82— 100 qkm ı der Aemter
10I— 200 „ 4 » HI
20I— 300 en 20 ,„ nm
301— 400 „ 40 o D
401— 500 „ 40 y nm
501— 600 n 3I y nm
601— 700 y» 15 » nm
701— 800 nm 8 ” H
801— 90 5, 2 » H
901—1000 , KT HI
I00I—IIOO , Lë „
1101—1172 ,„ In ep
zus. 163
Miszellen. 793
Wie steht es nun aber mit einer Vergleichung von Areal und Be-
völkerung in Form von Dichtigkeitszahlen bei den bayerischen Städten ?
Das Areal derselben ist überall im Königreiche so wenig ausgedehnt
— das Areal der Städte beträgt 1400 qkm oder 1,9 Proz. der Gesamt-
fläche Bayerns von 75870 qkm —, daß Dichtigkeitszahlen der Städte
im Rahmen dieser Studie eigentlich sinn- und wertlos sind. So würde
z. B. die Stadt Lindau bei einem Areal von 0,59 qkm 11200 Einwohner
auf 1 qkm am 1. Dezember 1910 gehabt haben, München am gleichen
Tage 6702, Nürnberg 5017 Einwohner pro 1 qkm seiner Fläche, welche
im ersteren Falle 89, im letzteren Falle 66 qkm betrug. Bei einer
statistischen Klarlegung der Bevölkerungsdichtigkeit schaltet man darum
die städtischen Gebiete zweckmäßig aus der Darstellung aus und stellt
ihre absolute Bevölkerung der spezifischen der bezirksamtlichen „länd-
lichen“ Umgebung gegenüber. So hat es schon seinerzeit v. Mayr ge-
macht, weil er es als methodisch richtig erkannte. Und dem „Meister“
glauben wir hier doch wohl folgen zu dürfen? Ausgeschaltet wurden
nun die 44 sogenannten „unmittelbaren“ Städte des Königreichs. Außer-
dem aber aus Gründen exakter Vergleichbarkeit der Daten noch 15 Ge-
meinden in der Rheinpfalz, die ihrer Einwohnerzahl nach de facto ebenso
gut als Städte auftreten können, wie z. B. die „unmittelbare Stadt“ Neu-
markt in der Oberpfalz mit 6375 Einwohnern (absolut) bei der letzten
Volkszählung. Die 15 linksrheinischen Gemeinden sind: Dürkheim,
Edenkoben, Frankenthal, Germersheim, Haßloch, Homburg, St. Ingbert,
Kaiserslautern, Ludwigshafen a. Rh., Neustadt a. H., Oggersheim, Pir-
masens, Schifferstadt, Speyer und Zweibrücken. Wegen ihrer ver-
gleichsweise hohen Einwohnerzahl haben wir dann im rechtsrheinischen
Bayern, um möglichst exakt zu sein, noch ausgeschaltet aus den zuge-
hörigen Aemtern: Bad Reichenhall, Lechhausen, Passing, Schwandorf,
Selb und Weiden. Würden wir diese 21 Städte nicht ausgeschieden
haben, so bekämen wir eine vergleichsweise viel zu hohe Dichtigkeit.
Was das praktisch bedeutet, möge man sich an folgendem Beispiel klar
machen. Im oberpfälzischen Bezirksamt Regensburg kamen am 1. De-
zember 1910 nach unserer Methode auf jeden seiner 618 qkm Areal
49 Einwohner. Ziehen wir nun aber die 20 qkm umfassende Fläche
und die 56624 Einwohner der Stadt Regensburg in die Berechnung der
spezifischer Bevölkerung mit ein, so kommen wir zu einer Bevölkerungs-
dichte dieses Bezirksamtes von 137 Einwohnern pro 1 qkm Areal.
88 Einwohner mehr pro Quadratkilometer wäre aber doch eine (ver-
gleichsweise) viel zu hohe relative Bevölkerung, weil sie dem tatsäch-
lichen Dichtegrad des Bezirksamtes geradezu widerspricht. Ueber einen
solchen Widerspruch kann sich kritiklos eigentlich nur hinwegsetzen,
wer fest und steif glaubt, daß von 1000 Menschen, von welchen nur
einer 1 Mill. M. Vermögen besitzt, die restlichen 999 aber nur je
1000 M., ein jeder tatsächlich doch 1999 M. besäße, weil das ein
kritiklos hingenommener, Respekt einflößender Durchschnitt aussagt.
Die 44 + 21 = 65 ausgeschiedenen Städte beanspruchten, wie ge-
sagt, nur 1,9 Proz. der Gesamtfläche, hatten aber am 1. Dezember 1910
794 Miszellen.
doch 2,236 Mill. Einwohner oder 32,4 Proz. der Bevölkerung des
ganzen Königreichs.
Auf die für einwandfreie zeitliche Vergleiche der Dichtigkeits-
zahlen vorzunehmenden umfangreichen Umrechnungen, welche durch
die in neuerer Zeit erfolgte Vermehrung der Bezirksämter — im Jahre
1871 waren es nur 151, jetzt sind es 163 — sowie der unmittelbaren
Städte — jetzt 44, im Jahre 1871 36 — und durch die inzwischen
erfolgten zahlreichen Eingemeindungen (zu München, Nürnberg etc.)
verursacht wurden, soll hier nicht näher eingegangen werden. Es dürfte
über diese, viel Zeit beanspruchende Angelegenheit folgende methodische
Bemerkung genügen: Wenn man z. B. die Bevölkerungsdichtigkeit
des Bezirksamtes München zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander
vergleichen will, so wird man zu exakten Vergleichen ohne die räum-
liche Identität dieses Amtes, welche erst zu fixieren ist, natürlich nicht
gelangen können. Der Inhalt des „Gefäßes‘“ für die je nach der Zeit
dünnere oder dichtere Bevölkerung muß, mit anderen Worten, stets der-
selbe sein, wenn die Dichtigkeitsvergleiche exakt sein sollen.
Mit wenigen Ausnahmen haben wir alle folgenden Dichtigkeits-
zahlen erst berechnen müssen, indem wir immer die fragliche Fläche
in die zugehörige Bevölkerungsgröße dividierten. Das Material zu
diesen Divisionen entnahmen wir den sogenannten Gemeindeverzeich-
nissen, in denen bekanntlich das geographische Detail der Volkszählungs-
ergebnisse mitgeteilt wird. Die bayerischen amtlichen Publikationen
dieser Ergebnisse enthalten seit dem Jahre 1890 im einleitenden Bericht
über die Ergebnisse der Volkszählungen auch Dichtigkeitszahlen für
das Königreich und die einzelnen 8 Regierungsbezirke. Der Bericht für
das genannte Volkszählungsjahr bringt solche Zahlen auch für die ein-
zelnen Bezirksämter, Zahlen, welche wir aber jetzt nicht mehr ver-
werten können, da das heutige Areal der Aemter mit jenem des Jahres
1890 nicht mehr identisch ist. Im neuesten Gemeindeverzeichnis vom
Jahre 1910 fehlt nun der einleitende Bericht, also auch die sonst ge-
brachten Dichtigkeitszahlen. Aber auch in der eingehenden textlichen
Würdigung der Ergebnisse der letzten Volkszählung in der Zeitschrift
des bayerischen statistischen Landesamtes (Jahrgang 1911, S. 541 ff.)
finden sich merkwürdigerweise keine Dichtigkeitszahlen. „Offizielle“
Zahlen dieser Art, aus neuestem Material berechnet, begegnen einem
zuerst im bayerischen statistischen Jahrbuch 1911 in Spalte 6 der
Tabelle über die ortsanwesende Bevölkerung nach dem Geschlecht. Wie
stiefmütterlich wird neuerdings doch die Bevölkerungsdichtigkeit von
dem gleichen Amt behandelt, welches diesem demologischen Gegenstand
einst, da v. Mayr dort so erfolgreich wirkte, so großes wissenschaftliches
Interesse entgegenbrachte. Tempora mutantur ! 1).
1) Dazu ist aber doch zu bemerken, daß nicht alle statistischen Aemter die Be-
völkerungsdichtigkeit gleich stiefmütterlich behandeln. So wurden beispielsweise vom
Großh. badischen statist. Landesamte auch für das Jahr 1910 wieder Dichtigkeitszahlen
für alle einzelnen Bezirksämter, aber nur mit Einschließung der Städte, berechet. Das
Ergebnis davon ist abgedruckt in Sondernummer II der „Statistischen Mitteilungen für
das Großherzogtum Baden“, Jahrg. 1911, S. 28 u. 27.
Miszellen. 795
Wenn wir nun von diesen spärlichen amtlichen Berechnungen über
die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern ausgehen, so kamen
(das Königreich als Ganzes genommen) !)
im Jahre 1910 or Einwohner auf I qkm Areal
» » 1905 86 ”» nii» o
p un 19000 $i D e
„185 76 » »
DI r 1890 73 HI HI
n LU 1885 71 MI n
» » 1880 69 ir ag
DA LU 1875 66 HI ”
n m 1871 64 D D
Stellt man die Dichtigkeitszahlen der Jahre 1871 und 1910 ein-
ander gegenüber, so ergibt sich eine Zunahme von 21 Einwohnern auf
1 qkm Fläche. Fast die Hälfte dieser Zunahme fällt in das abge-
laufene Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, ein Zeichen für die ver-
gleichsweise günstigere Entwicklung der bayerischen Bevölkerungs-
bewegung.
Wie sah nun vollends die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich
Bayern vor der Reichsgründung aus? Die Antwort auf diese sicher nicht
unberechtigte „historisch‘-statistische Frage erteilen folgende Zahlen 7:
Es kamen im ganzen Königreich (einschließlich der Städte)
im Jahre 1861 6r Einwohner auf ı qkm Areal
LA » 1849 59 HI D
» » 1840 57 D D
» » 1834 55 » »
» » 1830 54 v 3
s o 1816 47 D D
Im Zeitraum 1816/1871, also in 55 Jahren, nimmt die Dichtigkeit
zu nur um 15 Einwohner, was nicht mehr ist als die Zunahme im
Zeitraum 1895/1910. Zeiträume ungeheuer verschiedener ökonomisch-
demologischer Entwicklung stehen sich eben hier gegenüber! Fast ein
Jahrhundert einer solchen großen Entwicklung spricht nicht zuletzt auch
aus der Tatsache, daß im Zeitraum 1816/1910 die Bevölkerungs-
dichtigkeit sich um 44 Einwohner oder 93,6 Proz. erhöhte.
Steigen wir nun nach diesem ersten allgemeinen, orientierenden
Ueberblick über die Dichtigkeit der bayerischen Bevölkerung zur Dar-
stellung derselben in die nächst unteren Verwaltungsverbände, die Re-
gierungsbezirke3) herab. Schon bei dieser Operation zeigt sich, wie
sehr die Durchschnittszahlen des ganzen Landes große tatsächliche
Unterschiede in der Bevölkerungsdichtigkeit verwischen. Es kommen
nämlich auf 1 qkm Areal Einwohner
za ra o ro rn ra ra
en en ra Fa ra
X
1) Die Städte sind nicht ausgeschieden.
2) Weil diese Zablen letzten Endes auf eine etwas andere Erhebungsmethode
zurückgehen, können die obigen Vergleiche der Jahre vor und nach 1871 nicht
ganz exakt genannt werden. In Ermangelung eines Besseren wird aber der Demo-
graph, der bekanntlich kein umfangreiches „historisches“ Material besitzt, diesen
kleinen Schönheitsfehler wohl oder übel mit in Kauf nehmen müssen.
3) Die Städte sind noch nicht ausgeschieden.
796 Miszellen.
1910 1900 1890 1880 1871 1910 mehr
gegen 1871
im Königreich!) als Ganzes 91 81 73 69 64 27
dagegen in
Oberbayern 92 79 66 57 50 42!
Niederbayern 67 63 62 60 56 1
Rheinpfalz 158 140 121 114 104 54!
Oberfalz 62 57 56 54 50 12
Oberfranken 95 87 82 82 77 18
Mittelfranken 123 108 93 84 77 46!
Unterfranken 85 77 73 74 69 16
Schwaben 80 72 67 64 59 2I
Verglichen mit dem Durchschnitt des ganzen Landes, bleiben im
Jahre 1910 zurück hinter ihm die Oberpfalz um 29, Niederbayern um
25, Schwaben um 11 und Unterfranken um 6 Einwohner. Die ober-
bayerische Zahl übertrifft die des ganzen Landes um 1, die obər-
fränkische sie um 4, die mittelfränkische sie um 32 und die der Rhein-
pfalz endlich sie um 47 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche.
Weitere Einzelheiten möge man aus der Uebersicht selbst entnehmen.
Hat nun das Königreich Bayern eine hohe oder niedrige Bevölke-
rungsdichte? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir die baye-
rischen Zahlen einmal mit den entsprechenden Zahlen der an das
Königreich bzw. seine Teile angrenzenden Staaten bzw. Staatsteile
vergleichen. Dazu bringen wir in folgender Uebersicht ?) eine Anzahl
von uns eigens für diesen Zweck berechneter Zahlen. Es kamen Ein-
wohner auf 1 qkm Fläche in
; Bayern |y-, IS - | Ober
Jahr rechts D DEU") Baden ser ie Böhmen | öster eg Tirol
a. Rheins erg assau ac Sai f | reich ER x
1910 85 | 125 142 141 | 320 130 Mi 30 | 3
1871 Do |] 93 97 89 280 _ er BE =
1869 = 4 = — — — 9 | 61 21 30
im | Bayern | Regierungsbezirk i Landesbezirke
Jahı links des|Unterelsaß| Lothringen = „= | Rhein- Se
a. Rheins | Trier | Koblenz hessen Mannheim| Karlsruhe
1910 158 146 | 105 141 121 | 279 | 179 | 237
1871 104 | 125 | 79 82 88 181 | 107 | 1%
Hinter den Relativzahlen des rechtsrheinischen Bayern bleibt zurück
für das Jahr 1910 die analoge oberösterreichische um 14, die von Tirol
um 50, die salzburgische um 55 Einwohner. Die böhmische Zahl da-
gegen übertrifft die bayerische um 45 Einwohner. Von deutschen an-
grenzenden Ländern hat Württemberg 40, Hessen-Nassau 56, Baden 57,
das Königreich Sachsen gar 235 Einwohner pro Quadratkilometer Areal
mehr als der Nachbar Bayern. Hinter der spezifischen Bevölkerung des
linksrheinischen Bayern mit 158 Einwohnern im Jahre 1910 bleibt
zurück die lothringische um 53, die vom Regierungsbezirk Koblenz um
1) Die Städte sind noch nicht ausgeschieden.
2) Die Städte sind nicht ausgeschieden.
Miszellen. 797
37, die von Tier um 17 und die unterelsässische um 12 Einwohner.
Die relative Bevölkerung der badischen Landesbezirke Mannheim und
Karlsruhe übertrifft die rheinpfälzische, und zwar die eine um 21, die
andere um 79 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche. Rheinhessen
übersteigt die rheinbayerische gar um 121 Einwohner. Im übrigen
mögen die obigen Uebersichten für sich selbst sprechen.
Det allen bis jetzt vorgeführten Zahlen waren die Städte nicht aus-
geschieden. Scheidet man sie nun aus, so treffen auf 1 qkm ‚Areal
des Königreichs Einwohner:
im Jahre 1910 1900 1890 1880 1871
62 58 55 55 53
gegen 9I 81 73 69 64
wenn die Städte nicht ausgeschieden werden. Während in letzterem
Falle die relative Bevölkerung im Zeitraum 1871/1910 um 27 Ein-
wohner pro 1 qkm Areal zunimmt, läßt sich im ersteren Falle nur
eine Zunahme von 9 Einwohnern feststellen. Aus der Uebersicht ist
weiter auch zu entnehmen, daß die Differenzen zwischen beiden Dichtig-
keitszahlen desselben Jahres im Laufe der Zeit immer größer werden.
Die Differenz von 11 Einwohnern für das Jahr 1871 erhöht sich näm-
lich bei den späteren Volkszählungen auf 14:18:23 und 26. Die Er-
klärung dafür gibt folgende Zusammenstellung: Die Bevölkerungsgröße
der 65 ausgeschiedenen Städte betrug
im Jahre 1910 2,236 Mill. Einwohner oder 32,4 Proz. der Gesamtbevölkerung
DI DI 1900 1,868 n » » 30,0 DI n Hi
HI DI 1890 1,420 31 n » 25,4 n » »
n n 1880 1,1 22 HI HI DI 2 I ‚2 UI n »
nm ah 18710,8956" „ » vw 88 u» »
Dio Bevölkerungsgröße der Städte hat sich demnach im Zeitraum
1871/1910 vermehrt um 1,341 Mill. Einwohner oder um 150,8 Proz.
des Bevölkerungsstandes vom Jahre 1871. Eine derartig große Be-
völkerungszunahme ist aber bei der Bevölkerungsgröße des Königreichs
ohne Städte nicht erfolgt. Denn in diesem Falle betrug die Bevölke-
rungsgröße
im Jahre 1910 4,551 Mill. Einwohner oder 67,6 Proz. der Gesamtbevölkerung
Ui DI 1900 4,337 » n Hi 70,0 UI Hi n
n Hi 1890 4,175 UI Hi DI 74,6 HI n D
DI nm 1880 4,163 „, » nm 78,8 » n DI
Hi » 1871 3,968 UI n Di 81,7 Hi 31 n
Die Bevölkerungsgröße des Landes ohne Städte nahm also im
Zeitraum 1871/1910 zu nur um 0,683 Mill. Einwohner oder um nur
17,2 Proz. des Bevölkerungsstandes vom Jahre 1871. Die Bevölkerung
des Königreichs ohne Städte nimmt zwar von Volkszählung zu Volks-
zählung noch absolut zu, aber relativ doch ab, da ihr Prozentanteil am
gesamten Bevölkerungsstand fortwährend abnimmt.
Die zunehmende Verstadtlichung der bayerischen, wie überhaupt
einer jeden Bevölkerung, wird übrigens von der so überaus wichtigen
detailgeographischen Ausgliederung der spezifischen Bevölkerung, worauf
wir alsbald zu sprechen kommen, in allen jenen Fällen nicht besonders
wohlwollend begrüßt, in denen prozentual immer weniger Menschen des
798 Miszellen.
Gesamtbestandes mit der Zeit für diese ins einzelne gehende Dar-
stellung übrig bleiben. Das ist ein in der demologischen Entwicklung
liegender Nachteil, den der Demologe darum nolens volens auch mit in
Kauf nehmen muß. Wo jedoch, wie z. B. in Niederbayern, der Ver-
stadtlichungsprozeß der Bevölkerung noch lange nicht so weit vorge-
schritten ist wie beispielsweise in Mittelfranken, da ist die detail-
geographische Darstellung der relativen Bevölkerung dann aber auch
sozusagen doppelt am Platze.
Was nun die Unterschiede zwischen den Dichtigkeitszahlen mit
oder ohne Städte in den einzelnen bayerischen Regierungsbezirken an-
langt, so sind sie natürlich um so größer, je größer jeweils der Prozent-
anteil der Bevölkerungsgröße der Städte am gesamten Bevölkerungsstand
des untersuchten Bezirkes ist. In Mittelfranken z. B., wo im Jahre
1910 bereits schon 51,8 Proz. der Bevölkerung in Städten wohnten.
stehen sich für genanntes Jahr deshalb auch Relativzahlen gegenüber
von 123 und 60 Einwohnern pro 1 qkm Areal, je nachdem man die
„volkreichen“ Städte aus der Berechnung ausscheidet oder nicht. Der-
artig große Differenzen wie hier mit 63 Einwohnern treffen wir natür-
lich nicht in jenen Regierungsbezirken, welche, wie z. B. Niederbayern,
im Jahre 1910 erst 10,2 Proz. städtische Bevölkerung aufwiesen. In
diesem „agrarischen‘“ Landesteil stehen sich für jenes Jahr daher auch
nur Dichtigkeitszahlen gegenüber von 60 und 67 Einwohnern pro 1 qkm
Areal, sei es daß man die Städte aus der Berechnung fortläßt, sei es
daß man dies nicht tut. Beträgt im „kornreichen“ Niederbayern der
Unterschied der beiden Zahlen neuerdings erst 7 Einwohner, so betrug
er im Jahre 1871 gar nur 4 Einwohner. Im industriereichen Mittel-
franken indes belief er sich auch damals schon auf 23 Einwohner. In
diesem Bezirke wohnten eben zu jener Zeit bereits 31 Proz. der mittel-
fränkischen Bevölkerung in Städten, während dies in Niederbayern
damals nur bei 7,3 Proz. der Einwohnerschaft zutraf. Wie es sich
in den anderen bayerischen Regierungsbezirken mit den Dichtigkeits-
zahlen bei Einrechnung oder Ausschaltung der Städte verhält, möge man
aus folgender Uebersicht entnehmen. Es stehen sich gegenüber auf 1 qkm
Areal, je nachdem man die Städte miteinrechnet oder nicht
im Jahre Zunahme von 1871
auf 1910
ES Einwohner ne mii ohne
Gegen, — Sëtz, ` SELLER
in Oberbayern 92 und 50 66 und 4I 50 und 37 42 13
» Niederbayern 67 „ 6o 62 „ 56 s6 „ 52 II 8
„ Rheinpfalz 158 ,„ 109 121 „ 94 104 Bo 54 20
„» Oberpfalz 62 SI 56 „ 48 50 „ 46 12 5
„» Oberfranken OS: Ae "53 82 „ 64 77» 68 18 5
„ Mittelfranken 123 „ Do OS, ei "BS IT -p "St 46 6
» Unterfranken 85 „ 68 E e 72 69 „ 62 16 6
„ Schwaben 80 „ 58 67- a Sa 59 „ 48 2I 10
Eine Menge Dichtigkeitszahlen haben wir bis jetzt schon an uns
vorbeiziehen lassen. Zu einem einigermaßen befriedigenden wissenschaft-
lichen Aufschluß über die Bevölkerungsdichtigkeit genügen sie indes
noch nicht. Von einem solchen Aufschluß kann erst dann die Rede
Miszellen. 799
sein, wenn wir unsere Darstellung der spezifischen Bevölkerung aus-
dehnen auch auf die Durchschnittsergebnisse der kleinstmöglichen staat-
lichen Verwaltungsbezirke. Bei unserer Untersuchung müssen wir also
weiter hinabsteigen zu den Dichtigkeitszahlen der einzelnen bayerischen
Bezirksämter, wobei die Städte natürlich aus den oben bereits ange-
gebenen Gründen ausgeschieden werden müssen. Bei diesem Hinab-
steigen in die detailreiche demologische Tiefe erweitert sich, wie wir
alsbald sehen werden, der Rahmen der tatsächlich vertretenen Dichte-
grade erheblich. Nur aus einer detailgeographischen Ausgliederung
unseres Untersuchungsgegenstandes kann daher überhaupt die der Wirk-
lichkeit noch am nächsten kommende Klarlegung der relativen Bevölke-
rung resultieren, eine Klarlegung, welche in den großen Durchschnitten
des ganzen Landes wie auch seiner größeren Teile, in vorliegender Studie
die Regierungsbezirke, stark verwischt wird. Der Weg, der den Demo-
graphen zum wissenschaftlich befriedigenden Aufschluß führt, steht
nunmehr offen.
Die Dichtigkeitszahlen für sämtliche 163 Bezirksämter mit zeit-
lichen Rückblicken hier vorzuführen, verbietet natürlich der uns zur
Verfügung gestellte Raum. Was wir hier bringen können, sei folgende,
für den Regierungsbezirk Mittelfranken aus unseren Berechnungen zu-
sammengestellte Uebersicht 1): Es kamen Einwohner auf 1 qkm Fläche
absolute Zunahme (+)
des Bezirksamtes 1910 1871 bzw. Abnahme (—)
im Zeitraum 1871/1910
Ansbach 54 51 3
Dinkelsbühl 62 63 —ı
Eichstätt 39 36 3
Erlangen 61 55 6
Freuchtwangen 58 57 H
Fürth i. B. 93 (82) zı 22
Gunzenhausen 63 59 4
Hersbruck 81 62 19
Hilpoltstein 45 47 —2
Lauf 136 (97) 89 47
Neustadt a. A. 62 66 —4
Nürnberg 73 69 4
Rothenburg o. T. 44 42 2
Scheinfeld 46 Di —5
Schwabach 67 (62) 52 15
Uffenheim 53 57 4
Weissenburg i. B. 59 50 9
Wenn das Amt Fürth i. B. seine Zahl um 22 erhöhte, so geschah
das vornehmlich durch das Wachstum der Gemeinde Zirndorf. Hätte
diese sich im Zeitraum 1871/1910 nicht um 3500 Einwohner vermehrt,
so hätte Fürth seine Zahl von 71 nur auf 82 statt auf 93 erhöhen
können. Das Bezirksamt Lauf hätte es auch nur von 89 auf 97 ge-
1) Die neun ausgeschiedenen mittelfränkischen Städte: Ansbach, Dünkelsbühl
Eichstädt. Erlangen, Fürth i. B., Nürnberg, Rothenburg o. T., Schwabach und Weißen-
burg i. B. hatten zusammen
im Jahre 1910: 482 392 Einwohner
” » 1871: 178 655 nm
800 Miszellen.
bracht statt auf 136, wenn die zwei Gemeinden Lauf und Röthenbach
nicht um zusammen 6800 Einwohner sich vermehrt hätten. Aehnlich
liegen die Dinge im Amt Schwabach, wo die Zunahme durch das rasch
gewachsene Roth eine vergleichsweise zu hohe war. Um unsere Ueber-
sicht von diesen Schlacken zu befreien, haben wir die berichtigten
Zahlen in Klammern neben die zu Bedenken Anlaß gebenden gestellt.
Der mittelfränkischen „ländlichen‘ Dichtigkeitszahl von 60 Ein-
wohnern auf 1 qkm Areal im Jahre 1910 stehen gegenüber ein
Minimum von 39 und ein Maximum von 136 oder besser 97 Ein-
wohnern. Für das Jahr 1871 lauten die gleichen Zahlen 54, 35 und 89.
Man sieht also, daß man die „wirkliche“ relative Bevölkerung um so
besser erkennt, je mehr man sich detailgeographisch betätigt. Denn es
gibt, wie wir sahen, tatsächlich noch sehr viel mehr Dichtegrade, als
der große Durchschnitt vermuten läßt.
Die detailgeographische Ausgliederung der spezifischen Bevölkerung
ist aber auch sonst noch sehr lehrreich. Denn sie eröffnet einen Einblick
in sogenannte statistische Dichteprovinzen, wie man die eigentümliche
Erscheinung in der relativen Bevölkerung sich gleich oder ähnlich ver-
haltender, aneinander grenzender Bezirksämter kurz und prägnant ge-
nannt hat. Eine solche statistische Dichteprovinz bilden z. B. nach dem
Volkszählungsergebnis des Jahres 1910 folgende unmittelbar aneinander
grenzende bayerischen Bezirksämter:
Rosenheim mit 52 Einwohner pro Quadratkilometer
Oberbayerisch | Wasserburg „ 59 D D DI
Erding „ 56 nm zu n
Freising „ 50 n D n
Mainburg » 58 n n Di
Kelheim » 53 D D Di
Rottenburg vw 52 ap D D
Landshut „ 52 E n n
Niederbayerisch { Dingolfing „ 56 ”» D »
Mallersdorf „ DI i gr D
Landau a. J. „ Di An D nm
Eggenfelden ,„ 60 Se n D
Vilsbiburg „ 60 A D »
PE Mühldorf sp, 61 op n n
Oberbayerisch etnis Er S S ES
Dank der detailgeographischen Ausgliederung kann man dann
auch schlagend beweisen, daß die Bevölkerungsdichtigkeit vom Hoch-
gebirgo bis zur Donau tatsächlich zunimmt. Das zeigen z. B. diə
folgenden sozusagen eine Kette bildenden Bezirksämter des bayerischen
Regierungsbezirkes Schwaben :
Füssen mit 47 Einwohner pro Quadratkilometer
Oberdorf an 49 n H DI
Memmingen D 57 Hi n mn
Illertissen aw 70 PR ý H
Krumbach aw 77 ab Se Pr
Günzburg n 78 = mA ge
Studien dieser Art wie auch solche zur Auffindung statistischer
Dichteprovinzen führen uns schließlich auch sozusagen von selbst an jenen
Punkt, der bei einer Untersuchung über die spezifische Bevölkerung un-
Miszellen. 801
bedingt berührt werden muß. Dieser Punkt betrifft die statistische
Karte der Bevölkerungsdichtigkeit. Wenn, wie v. Mayr (auf S .48
seiner Bevölkerungsstatistik) bemerkt, das Entscheidende bei der spezi-
fischen Bevölkerung in den Flächenbeziehungen der Menschen liegt,
so kann man zu einem völlig befriedigenden Aufschluß dieses demo-
logischen Problems das Kartogramm wohl nicht entbehren. Die tabella-
rische Anordnung der Bezirksämter, selbst wenn sie nach geographischen
Gesichtspunkten erfolgt, kann ja auch niemals einen ausreichenden Ein-
blick gewähren in die tatsächliche geographische Lage des Areals und
in die Gestaltung seiner Berührungslinien. Das vermag nur die über-
sichtliche, lehrhafte, farbige statistische Karte. Von der Wiedergabe
einer solchen instruktiven Karte kann aber hier natürlich nicht die Rede
sein, wo zudem ja auch nur ein kleiner Beitrag zur spezifischen Be-
völkerung, nicht aber eine große, mit allem ‚wissenschaftlichen Rüst-
zeug operierende Abhandlung beabsichtigt ist.
Wir möchten hier beim Abschluß unserer kleinen Studie die demo-
graphische Feder nicht aus der Hand legen, ohne an die amtlichen und
privaten Bevölkerungsstatistiker den gewiß nicht anberechtigten Ruf
ergehen zu lassen, auch der Bevölkerungsdichtigkeit endlich wieder die
ihr gebührende Aufmerksamkeit in Zahl, Maß und Wort zu schenken.
Die Demographie wird dann aber nicht zuletzt auch der Geographie,
insbesondere der Wirtschaftsgeographie, eine vielliebe Hilfswissenschaft
sein, wenn ihr nämlich über die Bevölkerungsausstattung ihres For-
schungsobjektes, die Erdfläche, wertvolleres Material als bisher ser-
viert wird. Dadurch kann, um Würzburgers treffende Worte zu ge-
brauchen, „der fast abgerissene Draht zwischen den Vertretern der beiden
Disziplinen“ noch am schnellsten und bequemsten erneuert werden.
Wer sich, nebenbei bemerkt, mit der in wirtschaftspolitischer Hin-
sicht überaus wichtigen Frage der Ueber- oder Untervölkerung beschäf-
tigt, dem werden nicht zuletzt solche statistische Dichteprovinzen auf
Karten dabei sehr gute und brauchbare Dienste leisten können.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 51
802 Miszellen.
XXIII.
Die geschichtliche Entwicklung des Depositen-
kassenwesens in Deutschland.
Von Dr. Walter Hoffmann- Berlin.
Die Wirkung der großen Geldsummen, die als französische Kriegs-
entschädigung in überraschend kurzer Zeit nach Deutschland flossen,
war für das wirtschaftliche Leben nicht ohne Bedenken. Das Geld
sank im Werte, die Preise für Lebensbedürfnisse und die Arbeitslöhne
stiegen. Dazu kam ein außerordentlicher Aufschwung der Industrie,
ja des ganzen geschäftlichen Lebens, ein Aufschwung, der aber in
kurzen zu einer gefährlichen Ueberproduktion führte. Die Banken
sahen ihre Tätigkeit vorzugsweise in der Neugründung und Finanzierung
von Industrieunternehmen; sie fühlten sich in erster Linie dazu be-
rufen, der Industrie Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Aus-
schaltung des regulären Bankgeschäftes war eine notwendige Folge,
vielleicht auch eine erwünschte, ja erforderliche Voraussetzung.
Ein völlig anderes Geschäftsprogramm und damit eine ganz andere
Politik entwickelte die 1870 in Berlin gegründete Deutsche Bank.
Zum erstenmal wurde in Deutschland von ihr die Pflege des Depositen-
geschäfts und des regulären Bankgeschäfts zum Geschäftsprinzip ge-
macht. Der Grund für eine derartige Geschäftspolitik mag vielleicht
darin zu suchen sein, daß die Gründer der Ansicht waren, daß die In-
dustrie reichlich mit Kapital versorgt sei, daß dagegen unser Handel
einer kapitalkräftigen Unterstützung bedürfe.
Die Deutsche Bank wollte das große Problem unserer Unabhängig-
keit vom Londoner Geldmarkt lösen. Dazu bedurfte es in erster Linie
einer Festigung der deutschen Währung und der Schaffung eines kon-
stanten deutschen Wechselkurses.. In zwei Teile gliederte sie von An-
fang an ihr Geschäftsgebiet: in Ausland- und Inlandgeschäft. Die
Pflege des Uebersee- und Auslandgeschäftes brachte mit sich die Er-
richtung von Filialen, Tochtergesellschaften, Beteiligungen, Verbindungen
und Beziehungen zu ausländischen Banken. Diese weitverzweigten Ge-
schäftsverbindungen im Ausland ermöglichten es der Deutschen Bank,
die deutsche Kundschaft billiger zu bedienen als die ausländischen Bank-
firmen. Damit aber war für die Deutsche Bank gleichzeitig ein
weiterer Grund für die Pflege des Depositen- und Kontokorrentgeschäftes
gegeben, für das Inlandgeschäft. Denn es war als sicher anzunehmen,
daß der deutsche Kaufmann, der der Deutschen Bank seine aus-
ländischen Bankgeschäfte übertragen hatte, sich auch ihrer bei der
Miszellen. 803
Erledigung seiner gesamten inländischen Bankgeschäfte bedienen würde.
Sie erreichte so, daß sich die meisten Geschäfte ihrer Kundschaft bei
ihr konzentrierten und erhielt damit auch einen mitbestimmenden Ein-
fluß auf den in- und ausländischen Geldmarkt.
Das Geschäftskapital betrug zur Zeit der Gründung 15 Mill. M.
Zur Erfüllung der vorgesteckten Ziele reichte dieses jedoch nicht aus.
Nicht durch Kapitalserhöhungen allein, wie die anderen Banken es
taten, sondern vor allem durch Annahme fremder Gelder suchte die
Deutsche Bank ihren Betriebsfonds zu verstärken. Sie bemühte sich
daher, in möglichst enge Berührung mit dem Publikum zu kommen;
dies geschah teils durch Eröffnung von Filialen wie 1871 Bremen,
1872 Hamburg, 1886 Frankfurt a. M., teils durch Errichtung von
Depositenkassen.
Während bisher (schon seit dem Altertum) die Annahme müßig
liegender Gelder durch Banken in relativ mäßigem Umfange stattfand,
begann man nunmehr durth Ausbreitung eines immer enger werdenden
Netzes von Filialen und Depositenkassen in systematischer und impo-
nierender Weise die nicht zu dauernder Anlage bestimmten und nur
vorübergehend verfügbaren Gelder in die Banken zu leiten und volks-
wirtschaftlich nutzbar zu machen. Damit griffen die Banken aber
nicht auf das Tätigkeitsgebiet der Sparkassen über, denn sie wandten
sich an ganz andere Volkskreise, an solche, die ihre Ersparnisse in
Grundbesitz und Wertpapieren anzulegen pflegen, also an die ver-
mögenden Volksschichten. Sie wollten das bei diesen nutzlos im Hause,
in Kasten und Schränken ruhende, zur Konsumtion bestimmte Geld an
sich ziehen und der Volkswirtschaft zuführen, es also produktiv ver-
wertem, solange es zur Konsumtion noch entbehrlich ist.
Zuerst begann, wie schon gesagt, die Deutsche Bank mit der Ein-
richtung von Depositenkassen in Berlin. Besonders für Berlin schien
die Einrichtung von Depositenkassen sehr zweckmäßig zu sein, da
einerseits die Einrichtungskosten verhältnismäßig niedrige waren,
andererseits aber die Wahrscheinlichkeit des Ansaugens von Privat-
kapital sehr groß war. Die erste deutsche Depositenkasse wurde im
Anfang der 70er Jahre in Berlin in der Burgstraße von der Deutschen
Bank errichtet. In kurzer Zeit hatte sie sich „zu einer bei den Be-
wohnern der Umgegend beliebten und von denselben fleißig benutzten
Einrichtung herausentwickelt‘“. Bei der Verlegung des Hauptgeschäftes
der Deutschen Bank in die Behrenstraße blieb daher die Depositenkasse
in der Burgstraße weiter bestehen, eine „gleiche Einrichtung sollte auch
in den neuen Geschäftsräumen getroffen werden“. „Wie langsam diese
Entwicklung auch vor sich gehe, so bliebe die Verwaltung doch von der
Ueberzeugung durchdrungen, daß in Anbetracht der großen damit ver-
bundenen Bequemlichkeiten, namentlich für unseren kleinen Handels-
stand, dieser Geschäftszweig noch eine bedeutende Zukunft habe“ (Be-
richt 1876).
Die Verwaltung der Deutschen Bank sollte mit dieser Ansicht recht
behalten. Im nächsten Jahre gab sie dem Depositengeschäft eine selb-
ständige Organisation. „In der Weise der englischen Banken suche
51*
` 804 Miszellen.
sie das Depositengeschäft weiter zu entwickeln, indem sie mit der An-
nahme der Gelder für die Depositenkunden zugleich ein Diskont- und
Lombardgeschäft verbinde“ (Geschäftsbericht 1877). Trotz der gün-
stigen Resultate, die die Deutsche Bank mit dem Depositengeschäft er-
zielte, blieben die übrigen Banken bei ihrer alten Geschäftspolitik.
Eine Ausnahme machte die 1881 gegründete Nationalbank für Deutsch-
land-Berlin. Der Geschäftsbericht dieser Bank für das Jahr 1882
erwähnt die Eröffnung von drei Depositenkassen, die einer vierten wird
in Aussicht gestellt. Schon im nächsten Jahre konnte die Verwaltung
der Nationalbank für Deutschland ein befriedigendes Resultat der De-
positenkassen melden. „Wir wenden diesem Zweige“, sagte sie 1883 im
Geschäftsbericht, „fortgesetzt besondere Aufmerksamkeit zu.“ Auch die
Deutsche Bank gibt wiederholt ihrer Befriedigung über die guten Re-
sultate, die sie aus dem Depositengeschäft erzielt, Ausdruck. Nach
wie vor „habe sie auf ihren alten Gebieten, Pflege des Kontokorrent-
geschäftes im In- und Auslande sowie des Depositengeschäfts verbunden
mit Uebernahme von festverzinslichen Anleihen, eine genügende Gewinn-
quelle gefunden“ (Geschäftsbericht 1889). Gleichzeitig gibt sie die
Errichtung je einer Depositenkasse in Berlin und Dresden bekannt. Im
Jahre 1891 eröffnete sie „behufs weiterer Ausdehnung des Depositen-
verkehrs“ eine neue Depositenkasse in Charlottenburg, im nächsten
Jahre „befand sie es für nützlich, neue Depositenkassen in Moabit und
in der Chausseestraße zu eröffnen“ (Geschäftsbericht 1893); im Jahre
1893 errichtete sie eine weitere Kasse in der Kurfürstenstraße, von der
sich „die Verwaltung eine gute Zukunft verspricht“ (Geschäftsbericht
1894). Jetzt begannen auch die Mitteldeutsche Kreditbank und die
Dresdner Bank mit dem Bau eines Depositenkassennetzes; am 1. März
1895 eröffnete erstere bereits die fünfte Depositenkasse in Berlin;
in den Geschäftsberichten für 1895 und 1896 spricht sich die Ver-
waltung der Mitteldeutschen Kreditbank recht günstig über die Ge-
schäftsergebnisse der Depositenkassen aus. Die Dresdener Bank er-
richtete zum Jahresschluß 1896 ihre ersten beiden Depositenkassen;
um in Zukunft die Weiterentwicklung ihrer Geschäfte zu fördern und
„namentlich den direkten Verkehr des Publikums mit der Bank zu er-
leichtern, beabsichtigte sie weitere Depositenkassen in Berlin einzu-
richten“ (Geschäftsbericht 1896). Immer weiter bauten diese Banken
ihr Depositenkassennetz aus. Am 31. Dezember 1899 besaßen sie in
Berlin und Vororten bereits 44 Depositenkassen, davon entfallen auf
die Deutsche Bank 16, die Dresdener Bank 10, die Nationalbank für
Deutschland 10, die Mitteldeutsche Kreditbank 8. Die Diskontogesell-
schaft sowie die Darmstädter Bank besaßen allerdings auch je eine
Wechselstube in den Räumen der Hauptbank. Es wäre jedoch falsch,
diese als eine Einrichtung zu bezeichnen, die der planmäßigen An-
sammlung von Depositen dienen sollte. Beide Banken, der A. Schaaff-
hausensche Bankverein sowie die Berliner Handelsgesellschaft hielten
streng an der alten Geschäftspolitik fest, ihre Betriebsmittel nicht durch
Annahme von Depositen, sondern in erster Linie durch Erhöhung der
eigenen Mittel, durch Kapitalserhöhungen usw. zu vergrößern.
Miszellen. 805
Die moderne Depositenpolitik suchte im Gegensatz dazu durch An-
saugen fremder Mittel sich neue Betriebsmittel zu schaffen, um damit
die Geschäfte auf dem Geld- und Kreditmarkt zu tätigen; sie ist eben
hervorgegangen aus einer Verbindung der Emissions- und Spekulations-
tätigkeit mit dem regulären Bankgeschäft. Weber urteilt über diese
Verbindung, wie folgt: „Die Pflege des regulären Bankgeschäftes ist
wohl geeignet, in Haussezeiten die Spekulation der Bankleitung in
angemessenen Grenzen zu halten, sie ermöglicht aber auch in Zeiten,
in welchen das Börsengeschäft danieder liegt, eine anständige Dividende
zu verteilen, wodurch die Spekulations- und Depositenbank eine Soli-
dität und Stabilität erreicht, die dem Bankgeschäft, das sich ausschließ-
lich mit den irregulären Geschäften abgibt, selbst unter der umsichtig-
sten Leitung zu erreichen kaum möglich ist‘“1). Mit diesen Ausführungen
decken sich die Worte, mit denen die Verwaltung der Darmstädter
Bank das ungünstige Erträgnis für das Geschäftsjahr 1901 im Ge-
schäftsbericht zu erklären sucht. „Das ungünstige Erträgnis — die
Darmstädter Bank hatte 1898 8 Proz., 1899 7 Proz., 1900 6 Proz.,
1901 4 Proz. Dividende verteilt; der Kurs der Aktien sank von 157
auf 125 Proz. — findet seine Erklärung im wesentlichen in der Ver-
teilung der Einnahmequellen unserer Bank, welche, ihrer früheren Tra-
dition folgend, bisher dem Effekten- und Emissionsgeschäft größere
Aufmerksamkeit zugewandt und verhältnismäßig hohe Kapitalien zur
Verfügung gestellt hatte, während das Kontokorrentgeschäft zum großen
Teil seine Pflege durch ein Netz von Kommanditen fand, deren Zahl
sich aus verschiedenen Gründen inzwischen stark vermindert hat, wo-
durch jener Geschäftszweig an die zweite Stelle trat. Wir haben schon
seit mehreren Jahren diesem Mangel durch die allmählich zur Aus-
führung gekommene Gründung verschiedener Filialen und Depositen-
kassen zu steuern gesucht und fahren in diesem Bestreben fort, der
Bank neue Saugwurzeln zu schaffen. Es ist aber selbstverständlich,
daß ein organisches System dieser Art sich nur in vorsichtiger Weise
Schritt für Schritt aufbauen läßt. Wir hoffen hierdurch für die Zu-
kunft die Erträgnisse unseres Provisions- und Zinsenkontos weiter zu
erhöhen und die Dividende unserer Aktien von dem mehr oder weniger
zufälligen Erträgnis des Effekten- und Konsortialkontos unabhängiger
zu gestalten.“ So die Verwaltung der Darmstädter Bank. Damit aber
gab sie die alte Geschäftspolitik auf und widmete sich neuen Auf-
gaben; 1902 verfügte sie bereits über 5 Depositenkassen, über deren
Geschäftsergebnisse sie sich im Geschäftsbericht für 1902 recht zu-
frieden äußerte. Um dieselbe Zeit begann auch in der Politik der
Diskontogesellschaft eine Aenderung einzutreten. Mit Billigung des
Aufsichtsrates errichtete sie 1902 an verkehrsreichen Stellen Berlins
3 Depositenkassen und Wechselstuben (Geschäftsbericht 1902). Die
Kommerz- und Diskontobank hatte schon vorher mit der Errichtung
von Depositenkassen begonnen; 1903 besaß sie in Berlin und Vororten
10 Kassen. Dieser allgemeinen Bewegung schloß sich 1903 auch der
1) Weber, Depositenbanken und Spekulationsbanken, Leipzig 1902.
806 Miszellen.
A. Schaaffhausensche Bankverein an; in seinem Geschäftsbericht für
1903 betonte er ausdrücklich, daß er der Pflege des Depositengeschäfts
im abgelaufenen Jahr größere Aufmerksamkeit zugewendet habe und
dies auch in Zukunft zu tun beabsichtige.
Von 1903 an machte die Entwicklung der Depositenkassen große
Fortschritte. Mit einer einzigen Ausnahme bauten alle Berliner Aktien-
banken ihr Depositenkassennetz weiter aus. Nur die Berliner Handels-
gesellschaft verschloß sich der modernen Depositenpolitik. Zwar er-
richtete sie im Jahre 1912 in Berlin in der Charlottenstraße ein be-
sonderes Stadtbüro — ein Umstand, der als eine Schwenkung in der
Politik von manchen Praktikern und Theoretikern angesehen wurde —
aber sie selbst erklärte ausdrücklich, daß dies nur zur Erleichterung
des Verkehrs mit der Berliner Kundschaft geschehen sei. Daß sie sich
nicht mit der Annahme von Depositen befasse, hatte sie einige Jahre
vorher gesagt, als man an sie wegen der Veröffentlichung von Zwei-
monatsausweisen herantrat. Sie hat sich dieser Aufforderung daher
widersetzt und ist auch bis heute nicht zu der Veröffentlichung von
Zweimonatsausweisen übergegangen. Mit dieser einzigen Ausnahme
aber gingen sonst die andern Banken mit allen Mitteln an die Erweite-
rung ihres Betriebes heran. 1903 betrug die Zahl der Berliner De-
positenkassen noch 85, 1904 bereits 96, 1905 118, 1906 155; das
bedeutet aber in 4 Jahren eine Vermehrung von 82 Proz. Sieht man
die Geschäftsberichte dieser Jahre durch, so klingt aus ihnen deutlich
heraus, daß die Depositenkassen zur Zufriedenheit gearbeitet haben.
Größere Provinzbanken folgten dem Berliner Beispiel, so die Allgemeine
Deutsche Kreditanstalt, Leipzig, die Ostbank für Handel und Gewerbe,
Posen; auch die Berliner Banken erstreckten ihr Depositenkassennetz
auf das Reich. In Berlin selbst und Vororten wurde schon 1909 das
zweite Hundert überschritten; 1910 betrug die Zahl der Depositen-
kassen 234, 1911 243, 1912 251, 1913 255. Die Entwicklung des
Depositenkassennetzes der einzelnen Banken in Berlin veranschaulicht
folgende Tabelle:
Entwicklung des Depositenkassennetzes in Berlin und
Vororten 1900/1913.
oo | Jain | Uwe | 2 | 2a |S | leie
Name der Bank Saiglgiggäsigels zll
Ka “|| ls KKK VE - Ka - Be: -
| |
Deutsche Bank 17 | 19 | 21 | 25 | 27 | 29 34 | 41 | 43 | 44 45 46 |48 48
Dir. der Diskontogesellschaft 1| 1| 5| 6| 8| 8/ı0|sı/ı5 |18 |23 |23 |2525
Dresdner Bank 10/12/13 | 14 |15|19)29 | 32|36|40 42)46|46|49
Darmstädter Bank IK 9/13|ı8|2ı,21|25|29|30|30 | 30
A. Schaaffh. Bankverein —|—|—| 1| 2| 2| 3| 3| z|ı1)ıg)|ıg/ıg| 20
Commerz- u. Diskonto-Bank I| 2| 2)10/15,24/34|39|40143/44|44 |44 |44
Nationalbank f. Deutschland 10 | 10 | 10 | 12 | 12 | 12 | 15 | 16 | 16 | 18 | 18 | 19 | 22 | 22
Mitteldeutsche Kreditbank 8| 8| 8| 8| 8|11|12|12|14|14|15|16{17|17
Daß auch in der Provinz sowohl Berliner Banken als auch größere
Provinzbanken mit der Errichtung von Depositenkassen begonnen haben,
Miszellen. 807
wurde schon angedeutet. Die Deutsche Bank besaß im Januar 1914
außer ihren Hauptniederlassungen in Berlin und ihren 48 Berliner
Depositenkassen in Deutschland 7 Filialen und 50 Depositenkassen ;
die Diskontogesellschaft neben 12 Filialen 28 Depositenkassen, davon
25 in Berlin; die Dresdner Bank 51 Niederlassungen und 89 De-
positenkassen, davon 49 in Berlin und Vororten; die Darmstädter Bank
25 Filialen und 58 Depositenkassen (28 außerhalb Berlins); der
A. Schaaffhausensche Bankverein neben seinen Hauptsitzen in Berlin
und Köln 20 Niederlassungen und 27 Depositenkassen (20 in Berlin
und Vororten); die Kommerz- und Diskontobank 7 Niederlassungen
und 58 Depositenkassen, davon 44 in Berlin und Vororten; die Mittel»
deutsche Kreditbank neben ihren Hauptstellen in Berlin und Frank-
furt a. M. 19 Niederlassungen und 23 Depositenkassen (17 in Berlin
und Vororten). Die acht Berliner Banken verfügen also insgesamt
über 403 Depositenkassen in Deutschland.
Nach dem deutschen Banken- und Bankieradreßbuch für 1914
betrug die Zahl der Depositenkassen in Deutschland überhaupt gegen
700. Wenn man berücksichtigt, daß die Provinzbanken mit den Ber-
liner Banken mitunter in derartig engen Beziehungen stehen, daß ledig-
lich die Namen der Banken verschieden sind, so kann man sich bei
der Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Depositenkassen-
wesens auf diese acht Berliner Banken, die ja die unbedingte Führer-
rolle haben, beschränken bzw. mit der Betrachtung dieser Banken die
Geschichte erschöpfend behandeln. Und daß dies durchaus zutrifft, daß
die Berliner Banken die Politik der Provinzbanken bestimmen, ver-
anschaulichen folgende Zahlen.
Die der Deutschen Bank nahestehenden Banken — von ihnen ging
Anfang 1914 die Bergisch-Märkische Bank in die Deutsche Bank auf —
verfügten im Januar 1914 außer ihren Hauptsitzen über 297 Filialen
und 103 Depositenkassen; der Deutsche Bank-Konzern war ins-
gesamt (Hauptsitze, Niederlassungen, Filialen, Wechselstuben und De-
positenkassen, Agenturen, Kommanditen) durch 550 Geschäftsstellen
in Deutschland, im Ausland durch 32 Geschäftsstellen vertreten. Dieser
Konzern verfügt demnach über mehr Geschäftsstellen als die Deutsche
Reichsbank, die am 31. Dezember 1913 durch 487 Geschäftsstellen
vertreten war. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Ge-
schäftsstellen des Deutschen Bank-Konzerns nicht alle auf verschiedene
Plätze kommen; so weist Groß-Berlin allein 50 Geschäftsstellen auf.
Immerhin verdient diese Ausdehnung des Deutschen Bank-Konzerns die
nötige Beachtung. Der Dresdner Bank-Konzern war durch 99 Nieder-
lassungen ohne Depositenkassen vertreten; im Ausland unterhielt die
Dresdner Bank an 22 Plätzen Vertretungen.
Diese große Entwicklung, die sich mehr und mehr entfaltende
Macht dieser Banken über den Geld- und Effektenmarkt brachte es
mit sich, daß man sich in der Wissenschaft und in der Oeffentlichkeit
mit der Depositenfrage zu befassen begann. Die neue Politik der
Banken, einerseits als Annahmestellen zu fungieren und andererseits
Gründungsgeschäfte zu machen, rief in volkswirtschaftlichen Kreisen,
808 Miszellen.
wie zum Teil auch heute noch, Opposition hervor. Deshalb tritt eine
Reihe von Schriftstellern für das englische Prinzip, für Trennung der
Depositenbanken von den Spekulationsbanken, ein, weil sie der Ansicht
sind, daß die Frage der bankmäßigen Verwaltung und Verwendung der
den deutschen Banken übergebenen Summen nur durch Trennung der
Spekulationstätigkeit und des regulären Bankgeschäfts gelöst werden
kann. Es kann nicht im Rahmen dieses geschichtlichen Abrisses liegen,
diese Frage eingehend zu behandeln. So viel nur möge noch gesagt sein:
Man hat gefürchtet, daß unser Banksystem im Falle eines Krieges ver-
sagen wird, daß unsere Banken die Zahlungen einstellen müssen.
Deutschland ist jetzt in einen schweren Krieg verwickelt, und es wird
sich zeigen, inwieweit diese Befürchtungen zutreffen; jetzt muß es sich
entscheiden, ob unsere Banken zahlungsbereit sind, ob das gemischte
System sich bewährt.
Miszellen. 809
XXIV.
Die Industriebezirke und Industriegemeinden.
Von Dr. phil. et rer. pol. Strehlow, Oberhausen.
Wenn ich von Industriebezirken im allgemeinen spreche, so habe
ich dabei als typischen Vertreter in erster Linie den rheinisch-west-
fälischen Industriebezirk im Auge, und zwar im engeren Sinne das
sogenannte Kohlenrevier, wie es etwa begrenzt wird im Westen vom
Rhein, im Süden von der Ruhr und durchgeht im Osten bis Dort-
mund, im Norden bis zur Lippe und darüber hinaus in werdender Ent-
wicklung.
Die Industriebezirke verdanken ihre Entstehung den letzten vier
Jahrzehnten. Als Deutschland in den 70er Jahren mit einem ge-
waltigen Schritt den Uebergang vom Agrar- zum Industriestaat nahm,
setzte hier eine gewaltige Entwicklung ein. Das Vorhandensein von
Kohle gab hierzu den ersten Anlaß und zog die Eisenindustrie aus wirt-
schaftlichen Gründen nach sich. Bergbau und Eisenindustrie sind so
die Gründer der Industriebezirke.
Es konnte nicht ausbleiben, daß das Eigenartige dieser Entwick-
lung und seiner wirtschaftlichen Grundlagen auch dem Ganzen ein
eigenartiges Gepräge gab. Ueberall tritt die Zweckbestimmung meist
in nüchternster Kahlheit ins Auge. Das Ueberhastete des Werdens hat
jede organische Entwicklung unterbunden und dem Ganzen ein un-
fertiges, zerrissenes Gepräge gegeben.
Die Industrie beherrscht überall das Bild; ihr mußte die Natur
auf der ganzen Linie weichen. Der Kern des rheinisch-westfälischen
Industriebezirkes enthält kaum mehr 2 Proz. Wald, und die wald-
reichen Grenzgebiete im Norden gehen mit dem Fortschreiten ihrer
Industrialisierung einem ähnlichen Schicksale entgegen. 2—3 Millionen
und fortschreitend immer mehr Menschen sind dadurch dauernd der
Berührung mit der Natur entzogen, deren Bedeutung für die Entwick-
lung des inneren Menschen, besonders unserer Jugend, im letzten Jahr-
zehnt immer klarer erkannt wurde. Das hat zum Denken Anlaß ge-
geben und manche erfreuliche Maßnahme seitens der kommunalen
Behörden zur Folge gehabt. Selbst wirtschaftlich sehr schwer belastete
Gemeinden haben erhebliche Summen für Parks und öffentliche An-
lagen aufgewendet. Auf Anregung der Regierung in Düsseldorf hat
sich außerdem ein Ausschuß zur Erhaltung von Grünflächen im
810 Miszellen.
rheinisch-westfälischen Industriebezirk gebildet, der zurzeit eifrig am
Werk ist.
Aber man darf sich dabei nicht verhehlen, daß die Erfolge solcher
Maßnahmen immer nur sehr gering sein können, weil Industrie und
Natur einmal unvereinbare Gegensätze sind. Wo die erstere herrscht,
bleibt die letztere künstlich erhalten immer ein Surrogat. Darum
scheint mir die Lösung der Frage mehr in einer Verbesserung der
. Verkehrsverhältnisse zu suchen zu sein, die es dem Arbeiter ermöglicht,
ohne große Opfer an Zeit und Geld die angrenzenden Waldgebiete
zu erreichen. Gerade auf diesem Gebiet ist aber im rheinisch-west-
fälischen Industriegebiet noch recht viel zu tun.
Auf dem westlichsten, am dichtesten besiedelten Teil in Größe von
rund 43000 ha wohnen hier rund 1,5 Millionen Menschen, während
Groß-Berlin auf derselben Fläche rund 3,6 Millionen Einwohner umfaßt.
Die Verkehrsbedürfnisse sind also dort zurzeit nicht so groß wie hier.
Wenn man aber die starke Bevölkerungszunahme im Industriebezirk ins
Auge faßt, und andererseits dessen Verkehrseinrichtungen mit denen
Groß-Berlins auch unter Berücksichtigung dieses Bevölkerungsverhält-
nisses vergleicht, so muß man zugeben, daß der Industriebezirk auf
diesem Gebiete noch sehr rückständig ist.
Das erklärt sich aus der typischen Siedelungsform desselben, der
das ausgesprochen Zentrale der Berliner Entwicklung fehlt. Die Ver-
kehrsbedürfnisse verteilen sich deshalb auch mehr oder minder auf das
ganze Gebiet und verlieren dadurch an gebietender Richtung und
zwingender Dringlichkeit für die einzelne Linie. So kommt es, daß
sich der Industriebezirk auch heute noch lediglich mit einem aller-
dings engmaschischen Straßenbahnnetz begnügen kann, das nur die
Aufgabe erfüllt, die benachbarten Massen in der erforderlichen Ver-
bindung zu erhalten.
Die typische Siedelungsform der Industriebezirke ist eine Folge
ihrer eigenartigen Entwicklung, die den Bedürfnissen der Industrie, wo
und wie sie zutage treten, gerecht werden muß. Die Industrie braucht
große Flächen für sich und ihre Nebenanlagen, für Schlackenhalten,
Bahnen und Verschiebebahnhöfe, die aus der Bebauung ausscheiden. Der
Bergbau kauft große Flächen an, um dieselben der Bebauung zu ent-
ziehen, weil sie starker Bodensenkung unterliegen, für die der Unter-
nehmer die Schadenersatzpflicht hat. Das macht schon eine geschlossene,
zentrale Entwicklung am eigenen Orte unmöglich.
Die Industrie ist aber auch bei der Wahl ihres Niederlassungsortes
an eine ganze Reihe zwingender Vorbedingungen, z. B. die Möglichkeit
günstigen Bahnanschlusses, gebunden, die nur selten an der für die
Allgemeinentwicklung günstigsten Stelle gegeben sind. Sie muß endlich
ihren Arbeiterstamm in unmittelbarer Nähe des Werkes ansiedeln, un-
bekümmert darum, wie dies in die übrige Bebauung hineinpaßt.
Das alles hat jenes zerrissene, unorganische Gesamtbild, jene zer-
streute Bebauung zur Folge, wie sie den Industriebezirken eigen ist-
Vereinzelte geschlossene Stadtbilder dehnen sich meist mehr oder minder
E geen EE
Miszellen. 811
weit nur um die Bahnhöfe aus, daran schließen sich in freier Siedelung
vereinzelte Hausgruppen, unterbrochen von freiem Feld und industriellen
Anlagen, bis wieder an einer anderen Stelle ein geschlossenes Stadtbild
erscheint. So bilden die Industriebezirke gleichsam eine einzige Stadt,
bestehend aus mehreren Groß-, Mittel- und Kleinstädten, die ineinander
übergehen vermittels seiner typischen industriellen Siedelung.
Diese Art der Siedelung ist für die Industriebezirke außerordentlich
segensreich. Die freie Entwicklung auf breitem Raume hat im rheinisch-
westfälischen Bezirke trotz seiner gewaltigen Massenansammlung die
Bodenpreise in immerhin noch erträglichen Grenzen zu halten vermocht,
die auch heute noch das Kleinhaus auf weiten Flächen ermöglichen.
Die durchschnittliche Wohndichte pro Haus beträgt hier 15,5 Personen.
Und selbst: die mehr oder minder geschlossenen Städte vermochten sich
der Einwirkung dieser Siedelungsart nicht zu entziehen. Essen, eine
nach ihrer Entwicklung typische industrielle Großstadt, hat nur eine
Wohndichte von 14,1 pro Haus, während Dortmund, eine historisch ent-
standene Großstadt mit hochgebautem inneren Kern, eine solche von
20,2 Personen aufweist.
Gerade diese Ausbreitung der Bevölkerung auf breiter Fläche ist es
auch, die den Mangel an Wald und jungfräulicher Natur einigermaßen
verschmerzen läßt. Der Arbeiter wohnt verhältnismäßig gut und hat
dabei meist ein Stück Land, dem er seine freie Zeit in gesunder Luft
widmen kann.
Die industrielle Siedelungsart steht im direkten Gegensatz zu der
Entwicklung unserer modernen Großstädte. Die Bedürfnisse der In-
dustrie haben dieselben erzwungen; es war den Industriegemeinden
aus ihrem eigenen Interesse heraus unmöglich, das Bauverbot nach dem
Fluchtliniengesetz von 1875 zur Erlangung einer zentralen Ausdehnung
zu handhaben.
Unsere modernen Großstädte dagegen beschränken an Hand dieses
Gesetzes den Siedelungsvorgang auf einen schmalen Rand um den ge-
schlossenen Kern und sichern sich so eine zentrale Entwicklung. Hier
muß sich dieselbe natürlich dem Stadtbild in hoher enger Bauart an-
schließen. Die Stadt wird als solche erweitert; es fehlt der natürliche
Uebergang zum Lande. Im Inneren schmachten die Massen unter der
Enge der Verhältnisse, während draußen die Fluten Landes unbenutzt
liegen bleiben. Das ist die Folge der auf engen Raum beschränkten
Siedelung. An den Industriebezirken können die Großstädte hier lernen.
Zum Teil haben sie es bereits getan. Die Bauordnungen schreiben
vielfach auf breiten Flächen niedrige und offene Bebauung vor, und
man hat erkannt, daß dies nur dann ohne Schaden für die Allgemein-
heit möglich ist, wenn dem Siedelungsvorgang am Rande ein weiterer
Raum gewährt wird. Auch hat sich um die Großstädte herum das
Bedürfnis nach einer industriellen Ansiedelung fühlbar gemacht. Das
Streben nach Eingemeindung, der Landhunger der Großstädte, ist hierfür
ein beredtes Zeugnis. Es bleibt so zu hoffen, daß sich die freie Siede-
lung immer mehr das Feld erobert, und daß sie endlich — unterstützt
nn un nn |
812 Miszellen.
durch das neue Wohnungsgesetz — von allen unnatürlichen Fesseln
befreit wird.
Die Industriebezirke haben nicht nur äußerlich eine ausgesprochene
Eigenart, sondern auch eine nicht weniger tiefgreifende innere, die teils
eine Folge der ersteren, teils eine Folge ihrer inneren wirtschaftlichen
Grundlager. ist.
Das Netz der kommunalpolitischen Grenzen stimmt meist schon bald
nach dem Einsetzen der industriellen Entwicklung nicht mehr mit den
natürlichen Verhältnissen überein, weil die Industrie bei ihrer Nieder-
lassung und Ausdehnung keine Rücksicht auf diese Grenzen nehmen
kann. Ansprüche der Wohngemeinden an die Betriebsgemeinden auf
Grund des Kommunalabgabengesetzes sind daher hier an der Tages-
ordnung und haben schon zu vielen Unzuträglichkeiten geführt. Es
ist deshalb zu verstehen, daß die größeren Städte ihrem Ausdehnungs-
bedürfnis infolge stärkeren Massenzuzuges durch Erweiterung ihrer
Grenzen und Anpassung an die natürlichen Verhältnisse gerecht zu
werden suchen.
Das letzte Jahrzehnt hat uns aus diesem Bedürfnis heraus in den
Industriebezirken schon manche Eingemeindung gebracht, aber der Vor-
gang ist z. B. im rheinisch-westfälischen Bezirk und vor allem im west-
fälischen Teil desselben noch lange nicht abgeschlossen. Nur eine groß-
zügige Eingemeindungspolitik kann hier den Städten Raum schaffen
für eine gesunde Boden- und Wohnungspolitik, für eine Siedelungs-
politik im Sinne ihrer Eigenart, denn man kann von den Städten nicht
verlangen, daß sie ihre Entwicklung über die eigenen Grenzen hinaus-
treiben.
Wenn dieser Vorgang einmal im rheinisch-westfälischen Bezirk in
großzügiger Weise abgeschlossen sein wird, dann bietet er die Grund-
lage zur endgültigen Lösung der Organisationsfrage desselben. Denn
bei dem engen Zusammenliegen großer Gemeinden bildet der Bezirk hier
ein zusammenhängendes Ganzes, dessen organische Zusammenfassung
zur Lösung einer ganzen Reihe gemeinsamer Aufgaben wie der Ausbau
durchgehender Hauptverkehrsstraßen, Anlage von Parks in den Grenz-
gebieten, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Straßenbahnen usw.
unumgänglich nötig ist. Durch die Schaffung nur großer, leistungs-
fähiger Gemeinden wird dieser Zusammenschluß, für den das Zwecks-
verbandsgesetz eine geeignete Grundlage abgeben kann, vorbereitet und
erleichtert. i |
Die industrielle Siedelungsform belastet den Haushalt der Industrie-
gemeinden in außerordentlich hohem Maße. Das Straßennetz erfordert
sehr viel Straßenbau- und Unterhaltungskosten. Der Straßenbau ist
deshalb dem äußeren Charakter der Gegend entsprechend auch meist
sehr bescheiden. Die leicht befestigte oder chaussierte Straße bildet
die Regel, nur in den geschlossenen Ortsteilen findet man, mehr oder
minder ausgedehnt, gepflasterte Straßen.
Auch die Schullasten sind bei der ausgebreiteten Bebauung größere.
Die Aufwendungen für Schulbauten, die sich auf ein weites Gebiet
verteilen, sind höhere, und auch der Schulbetrieb verteuert sich durch
wm `
Miszellen. 813
diese Verteilung erheblich. Die Kosten der Lehrkräfte sind außerdem
im Industriebezirk höhere, weil nur durch erhöhte Ortszulagen der vor-
handene Bedarf an Lehrkräften gedeckt werden kann. Dazu kommt,
daß gerade im Anfang der industriellen Entwicklung, in der die An-
forderungen an die Gemeinden von allen Seiten am stärksten heran-
treten, die Schullasten sich besonders fühlbar machen, weil durch die
immer wieder zuziehenden Massen die Schulverhältnisse nicht zur Ruhe
kommen.
Ueberhaupt sind bei der ausgebreiteten Bebauung alle kommunalen
Aufwendungen unwirtschaftlicher als bei der geschlossenen. Bei der
Kanalisation, der Gäs-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung und den
Straßenbahnen steht infolge der Ausbreitung auf ein größeres Gebiet
erhöhten Anlagekosten eine relativ geringere Inanspruchnahme seitens
der Interessenten gegenüber. Der Nutzungspreis muß deshalb natur-
gemäß höher sein und die Gewinne, wenn solche überhaupt erzielt
werden, sind entsprechend geringer.
So steht die Industriegemeinde nach allen Seiten schwer belastet
da, und diese Lasten müssen von einer Bevölkerung mit verhältnis-
mäßig geringer wirtschaftlicher Kraft getragen werden. Denn hier
herrscht die Arbeiterbevölkerung vor; die wohlhabenderen Kreise sind
eng begrenzt. Wer es nicht nötig hat, wohnt nicht im Industriebezirk.
Die reich Gewordenen ziehen ab nach Orten, die ihnen mehr bieten. Die
Industriegemeinden sind Orte des arbeitenden, nicht des genießenden
Kapitals. Auch der Mittelstand ist meist nur schwach vertreten und
nicht besonders wohlhabend. Er will möglichst schnell erwerben, um
dem Industriebezirk möglichst bald den Rücken kehren zu können.
Alles ist auf den materiellen Erwerb gestellt. Die meisten fühlen sich
als Fremdlinge; es fehlt das mit allem versöhnende Heimatsgefühl.
Auf der einen Seite außerordentlich große Belastung des kom-
munalen Haushaltes, auf der anderen Seite geringe Leistungsfähigkeit
der Bevölkerung, das ist die materielle Grundlage der Industriegemein-
den. Dies Mißverhältnis kann natürlich nur durch hohe Zuschläge
ausgeglichen werden. Man braucht sich deshalb nicht darüber zu
wundern, daß sich trotz starker Heranziehung der Ertragssteuern die
Einkommensteuerzuschläge der Industriegemeinden meist zwischen 200
und 300 Proz. bewegen.
Und dabei müssen dieselben noch die größte Sparsamkeit walten
lassen. Alle jene Aufwendungen, die die Zugkraft der Großstädte
unterstützen, Aufwendungen für besonders reiche Ausstattung der öffent-
lichen Gebäude, für Kunst, Wissenschaft usw., sind ihnen versagt. Wenn
man endlich noch bedenkt, daß die Lebenshaltung in den Industrie-
bezirken besonders teuer ist, so wird man sich nicht darüber wundern,
daß nur materielle Gründe den Einzelnen veranlassen können, dort festen
Fuß zu fassen.
Man hat schon die verschiedensten Vorschläge gemacht, diesem
Mißverhältnis abzuhelfen. Die einen wollen die Belastung der Ge-
meinden ermäßigen durch Uebernahme der Schullasten oder wenigstens
eines Teiles derselben auf den Staat, andere wollen ihre Einnahmen
814 Miszellen,
stärken durch die Ermöglichung, das persönliche Einkommen aus dem
in ihrer Industrie arbeitenden Kapital unabhängig vom Wohnsitze des
Kapitalisten vermittels einer Dividendensteuer zu erfassen. Ich muß
es mir versagen, auf diese Vorschläge im Rahmen dieser Erörterungen
näher einzugehen.
Die wirtschaftliche Schwäche der Industriegemeinden ist in letzter
Linie eine Folge ihrer einseitigen Abhängigkeit von einem einzigen
Entwicklungsfaktor, der Industrie, und zwar am einzelnen Orte einer
ganz bestimmten Industrie. Sie ist die Ursache der Belastung und der
einseitigen Zusammensetzung der Bevölkerung, von ihrem Wohl und
Wehe hängt das der Gemeinde ab. Selbst die uhvermeidlichen Kon-
junkturgänge spiegeln sich im Gemeindehaushalt wider. Bei tiefstehen-
der Konjunktur nimmt die Einnahme der Industrie ab, Lohnkürzungen
treten ein und Feierschichten werden eingelegt. Damit sinken die Er-
trägnisse aus der Gewerbe- und Einkommensteuer.
Es ist verständlich, daß die Gemeinden ihre wirtschaftliche Grund-
lage zu erweitern suchen, vor allem durch Heranziehung neuer Industrie-
zweige. Aber dem steht entgegen, daß die Verhältnisse des einzelnen
Ortes immer nur mehr oder minder einer bestimmten Industriegruppe
günstig sind, wobei die historische Entwicklung noch eine große Rolle
spielt. Beim rheinisch-westfälischen Industriebezirk ist es der Bergbau
und Hüttenbetrieb, in Solingen und Remscheid die Kleineisenindustrie,
in Krefeld die Textilindustrie usw. Wo z. B. die Schwerindustrie
herrscht, kann die Kleineisenindustrie wegen der hohen kommunalen
Lasten und wegen der hohen Arbeitslöhne meist nicht aufkommen.
Dazu kommt, daß der Wettbewerb der Städte bei der Heranziehung der
Industrie sehr scharfe, nachgerade eigentümliche Formen angenommen
hat. Man begnügt sich heute nicht mehr damit, ihre Niederlassung
durch Vermittelung des Grunderwerbes, den Bau von Kanälen, Häfen
und Anschlußbahnen zu erleichtern, sondern man überläßt den Grund
und Boden vielfach unter Preis, wirkt mit bei der Finanzierung der Unter-
nehmen und gewährt selbst Steuererleichterungen auf viele Jahre. In
diesen Wettbewerb entscheidet natürlich die wirtschaftliche Leistungs-
fähigkeit; die schwache Industriegemeinde vermag ihn mit Aussicht auf
Erfolg nicht mitzumachen.
Wesentlich günstiger steht sie da, wenn ihr Kabwicklungiläkter
stark genug ist, sie über die kleineren Gemeinden und Städte hinaus
in dio Reihe der größeren Städte und Großstädte zu tragen. Auch aus
den Bedürfnissen eines Ortes mit denkbar einseitiger Arbeiterbevölke-
rung entwickelt sich mit zunehmender Masse ein breiterer Mittelstand
an Geschäftsleuten und Beamten, der mit der Zeit auch an Boden-
ständigkeit gewinnt. Die Stadt nimmt an Leistungsfähigkeit zu und
kann mehr bieten. Der Haus- und Grundbesitz verteilt sich auf
breiterer Grundlage und fesselt an den Ort. Auch für vereinzelte
Kleinunternehmungen sind die Verhältnisse nun günstiger geworden.
So treibt ein Keil den anderen. Mit zunehmender Masse hebt sich die
Kraft des Ganzen, die wieder neue Massen erzeugt. Das ist der Massen-
kapitalismus unserer modernen Großstädte.
Miszellen, 815
Die Gemeinden, die es so weit gebracht haben, daß sie teilnehmen
können an diesem Kapitalismus, werden damit naturgemäß auch un-
abhängiger von ihrer typischen Ortsindustrie. Sie haben innere Kraft
genug erlangt, um sich, wenn auch langsam, aus sich selbst heraus
weiterzuentwickeln. Und dadurch werden sie auch unabhängiger von
den Fährnissen ihrer Industrie.
Diese Fährnisse sind heute im Zeitalter des ständigen Wechsels
der Wirtschaftsbedingungen, der Transport- und Produktionsverhält-
nisse, im Zeitalter gewaltiger technischer Fortschritte nicht gering
anzuschlagen. Die Entwicklung von Krefeld ist unter den völlig ver-
änderten Produktionsbedingungen der Textilindustrie fast zum Still-
stand gekommen, Solingen und Remscheid leiden unter der immer zu-
nehmenden Konkurrenz in der Kleineisenindustrie und über dem
rheinisch-westfälischen Industriebezirk hängt das Damoklesschwert der
Moselkanalisation.
Dieser hat überhaupt für die Zukunft mit gänzlich veränderten
Wirtschaftsverhältnissen zu rechnen. Den Kohlenbergbau kann ihm
niemand nehmen, aber die Hüttenbetriebe sind heute nicht mehr so
sehr wie früher an das Vorhandensein von Kohle in unmittelbarer Nähe
gebunden, weil es fast ebenso wirtschaftlich geworden ist, die Kohle
zum Erze zu tragen als umgekehrt. Die örtlichen Transportbedingungen
entscheiden jetzt; deshalb die Furcht vor der Moselkanalisation.
Wirft man nun noch einen Prospekt in die Zukunft und denkt an
einen Fortschritt der Verhüttung auf elektrischem Wege, der sicher ein-
mal kommen wird, so wächst die Konkurrenz der Orte für diese In-
dustrie noch weiter. Dann wird das Vorhandensein billiger elektrischer
Kraft stark in die Wagschale fallen und für den Auslandsexport wird,
wie zum Teil auch heute schon, die Lage an der Küste bedeutsam
werden.
Wie das noch alles kommen mag, weiß man nicht. Jedenfalls ist
man sich im rheinisch-westfälischen Industriebezirk heute schon darüber
klar, daß derselbe von der Eisenindustrie nicht mehr viel zu erwarten
hat. Die Entwicklung, die gerade der mittlere Strich desselben, unter-
stützt durch diese Industrie, durchgemacht hat, gehört der Vergangen-
heit an. Auch der Kohlenbergbau hat in diesem Teile seinen Höhe,
punkt erreicht.
Die weitere Entwicklung liegt hauptsächlich im Norden und Westen
auf der linken Rheinseite und beruht fast ausschließlich auf dem Vor-
handensein von Kohle, die zum Teil noch des Aufschlusses harrt. Hier
nimmt die Bevölkerung der Gemeinden noch immer gewaltig zu. Der
Bergbau ist heute fast noch ebenso sehr wie früher von der menschlichen
Arbeitskraft abhängig, während sich die Eisenindustrie durch den Fort-
schritt der Technik in sehr weitem Maße von derselben zu emanzipieren
wußte. Daher auch die gewaltige Bevölkerungszunahme, die mit dem
Aufschluß verbunden ist.
Aber auch diese Entwicklung erreicht ihren Höhepunkt. In welchem
Stadium ihn die einzelne Gemeinde erreicht, das wird für ihre weitere
Zukunft entscheidend sein, ob sie eine für immer schwache, einseitige
816 Miszellen.
Industriegemeinde bleiben wird, oder ob sie bis dahin genug innere
Kraft erlangt hat, und in die Reihe der unabhängigen, größeren Städte
eintreten kann.
Im Gegensatz zu dem nördlichen Teil bietet der südliche an der
Ruhr das Bild eines Industriebezirkes auf dem absteigenden Aste. Hier
ist auch der Bergbau zurückgegangen. Aber er ist hier eigentlich nie
aus einer Versuchsperiode herausgekommen. Seine inneren Verhält-
nisse waren zu schwach; man hat ihn deshalb schon bald aufgegeben.
Wenn so der rheinisch-westfälische Industriebezirk ein außerordent-
lich lehrreiches Beispiel bietet für die Abhängigkeit der Ortsentwick-
lung von dem Gang der Industrie, im Süden der Rückgang, in der
Mitte der Höhepunkt, im Norden das Ansteigen, das Ganze durchsetzt
von kraftvollen, unabhängigeren Großstädten, so muß man sich über
die Tatsache freuen, daß sich bis jetzt der Gang dieser Abhängigkeit
auch im ungünstigen Falle mehr als ein Stehenbleiben, weniger als
Rückgang, der aus den gegebenen Verhältnissen im Süden erklärlich
war, und jedenfalls nicht als ein plötzlicher Rückgang erwiesen hat.
Das ist sehr erfreulich, denn die volkswirtschaftlichen Werte, die
hier auf dem Spiele stehen, sind außerordentlich hohe. Daß es auch in
der Zukunft der Fall sein möge, können wir nur wünschen. Dies zu
erreichen, wird aber auch zum Teil Aufgabe der Staatspolitik sein
können und müssen.
Miszellen. 817
XXV.
Jahresbericht des Kgl. Württembergischen Landes-
wohnungsinspektors für die Jahre 1911 und 1912.
Stuttgart, Druck von W. Kohlhammer, 1913. 104 SS.
Von Dr. Else Kesten-Conrad.
Seit sich die Erkenntnis Bahn gebrochen hat, daß die Beschaffenheit
der Wohnung das Fundament für das gesundheitliche und moralische
Gedeihen unserer Bevölkerung darstellt, hat man auch der Wohnungs-
aufsicht immer mehr Interesse entgegengebracht. Gerade in den kleinen
deutschen Staaten wie Hessen, Sachsen, Württemberg ist man darin
vorangegangen, für das ganze Land eine Wohnungsinspektion in die
Wego zu leiten und gesetzliche Grundlagen für die Wohnungsaufsicht
zu schaffen, während wir in Preußen bisher auf eine solche einheit-
liche Regelung vergebens gewartet haben 1).
In Württemberg ist es eine Verfügung des Ministeriums des Innern
über die Wohnungsaufsicht vom 21. Mai 1901, die für „sämtliche Ober-
amtsstädte, sowie für diejenigen sonstigen Gemeinden, welche mehr als
3000 Einwohner haben“, eine ortspolizeiliche Wohnungsaufsicht an-
ordnet und die notwendigen Grundlagen dafür schafft, sie wurde ergänzt
durch die ministerielle Verfügung vom 18. Mai 1907, nach welcher die
ortspclizeiliche Wohnungsaufsicht auf „alle Gemeinden des Landes“
ausgedehnt wurde.
Gegenwärtig liegt der zweite Jahresbericht des Landeswohnungs-
inspektors vor, der die Jahre 1911 und 12 umfaßt. Außer den Ergeb-
nissen der Wohnungsinspektion enthält dieser Bericht auch Mitteilungen
über die Wohnungsfürsorge, mit Ausnahme der des Staates und des
Reichs, denn der Landeswohnungsinspektor soll sein „ein Berater des
Ministeriums, der Oberämter und der Gemeinden, sowie der gemein-
nützigen Baugenossenschaften in den Fragen der Wohnungsaufsicht und
der Wohnungsfürsorge“.
Um die ehrenamtlichen Aufsichtsbeamten möglichst auszuschalten,
da ihre Vorbildung meist nicht genügt und sie sich vor allem von den
1) Es ist jedoch zu erwarten, daß der Entwurf zu einem preußischen Wohnungs
gesetz bald Gesetz wird.
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 52
818 Miszellen.
Ortseinwohnern nicht unabhängig genug gezeigt, wurden im letzten
Jahre häufig mehrere kleine Aufsichtsbezirke zu großen vereinigt, so daß
seit Juni 1913 nur noch 244 Bezirke bestehen, die fast alle einen
technisch vorgebildeten Beamten haben. Meist ist die Feuerschau bzw.
Oberfeuerschau mit diesem Posten verbunden. Trotzdem dies der Fall
und die zweijährige Besichtigung sämtlicher in Betracht kommender
Wohnungen vorgeschrieben ist, wird doch die Wohnungsaufsicht keines-
wegs rein polizeilich gehandhabt, sondern die aufklärende und beratende
Tätigkeit spielt dabei eine große und wichtige Rolle. Der Aufsichts-
beamte ist zwar angewiesen, sämtliche Beanstandungen aufzuschreiben,
doch soll die Ortspolizeibehörde bei den Auflagen zur Beseitigung der
Mißstände individualisieren, um Härten durchaus zu vermeiden. Dieser
Auffassung ist in der Praxis stets Rechnung getragen worden, was
meines Erachtens von grundlegender Wichtigkeit ist.
Sehr interessant ist es, daß auch in Württemberg die Beobachtung
gemacht worden ist, daß „die städtischen Wohnungen den Anforde-
rungen der Ministerialverfügung weit mehr entsprechen als die länd-
lichen“, was durch Gegenüberstellung der Prozentsätze beanstandeter
Wohnungen in der Oberamtsstadt und in den zugehörigen Land-
gemeinden des gleichen Aufsichtsbezirks seine ausnahmslose Be-
stätigung gefunden hat. Damit wird die Unvollkommenheit des preußi-
schen Wohnungsgesetzentwurfs dargetan, der nur für Gemeinden und
Gutsbezirke mit mehr als 10000 Einwohnern eine Wohnungsordnung
obligatorisch macht und nur für diese bestimmte Vorschriften für die
Durchführung der Wohnungsaufsicht gibt; ja nur für Gemeinden von
über 100000 Einwohner die Organe, welche mit der Durchführung
der Wohnungsaufsicht betraut werden sollen, grundsätzlich festlegt.
Wir sahen, daß Württemberg von seiner ursprünglichen Beschränkung
der Wohnungsaufsicht auf Gemeinden über 3000 Einwohner schon
nach sechsjähriger Praxis abgegangen ist. Die Wohnungsinspektion
ist dort der Frage, wo die größten Mißstände zu finden sind, noch weiter
nachgegangen, indem sie „die ländlichen Gemeinden einzelner und zu-
sammengesetzter Aufsichtsbezirke nach Größenklassen zusammengefaßt,
die Prozente der ‚Beanstandungen festgestellt und miteinander verglichen“
hat; dabei ergab sich, daß „der Prozentsatz der die Gemeinden unter
500 Einwohner umfassenden Gruppe überall mindestens doppelt so hoch
war als bei der Gruppe mit den Gemeinden von 2000—3000 Ein-
wohnern“, so daß der schon im Württemberger Jahresbericht für 1910
S. 48 aufgestellte Satz Bestätigung fand: Je kleiner die Gemeinde, um
so größer der Prozentsatz der beanstandeten Wohnungen und umgekehrt.
Selbst in bezug auf Ueberfüllung der Schlafräume fanden sich die stärk-
sten Mißstände in den kleinen Gemeinden, während z. B. Stuttgart in
der Beziehung recht günstig dasteht. Hält sich auch die ländliche Be-
völkerung viel im Freien auf, so kommt das doch nur für die wärmeren
Monate in Betracht, außerdem ist ein Mindestmaß an hygienischer Be-
-schaffenheit der Wohnung und vor allem an eine Benutzung, die vom
moralischen Standpunkt aus zu billigen ist, auch für jene dringend not-
wendig.
Miszellen. 819
Der Bericht kann entschieden von erfolgreicher Tätigkeit der Woh-
nungsinspektion sprechen, da von den 7,5 Proz. beanstandeter Woh-
nungen 3,7 Proz., also fast die Hälfte, in ordnungsmäßigen Zustand
versetzt worden sind.
Aus der Besprechung der Beanstandungen selbst geht hervor, daß
die Abortverhältnisse in Württemberg, und zwar besonders in der Stadt,
häufig ganz bedenkliche sind und aufs dringendste des behördlichen
Eingreifens bedürfen.
Im zweiten Teil wird auf die Wohnungsfürsorge eingegangen und
festgestellt, daß „das Rückgrat der Wohnungsfürsorge der Gemeinden
und der Bauvereinigungen die Versicherungsanstalt Württemberg ist“.
Mit Recht wird beklagt, daß nur 11 Gemeinden in den letzten zwei
Jahren Erhebungen über leerstehende Wohnungen angestellt haben, die
alle konstatieren mußten, daß ein geringerer Prozentsatz leer stand, als
der als notwendig erkannte von 3 Proz. Dieser Grundlage der Woh-
nungsfürsorge sollte mehr Beachtung geschenkt werden.
52*
820 Miszellen,
XXVI.
Nachtrag.
In der Abhandlung: Bemerkungen zum Problem Lorenz Stein—
Karl Marx (Jahrbücher, Bd. 47, März 1914) habe ich gesagt, daß in dem
Briefwechsel zwischen Marx und Engels Steins Name nicht vorkommt.
Ich habe mich auf das Namensregister verlassen, das aber, wie ich sehe,
mangelhaft ist. Jetzt, wo ich mich eingehender mit dem vierbändigen
Werke befasse, finde ich im vierten Band auf S. 5 folgendes:
Dear Fred! 8. Januar 1868.
- Die Sache von Dühring (er ist Privatdozent an der Berliner Univer-
sität) ist sehr anständig, um so mehr, als ich seinen Meister „Carey“ so
hart angelassen habe. Verschiedenes hat Dühring offenbar mißver-
standen. Das Drolligste aber, daß er mich mit Stein zusammenstellt,
weil ich Dialektik treibe und Stein in hölzernen Trichotomien, mit
einigen Hegelschen Kategorieumschlägen, das Allertrivialste gedanken-
los zusammenreiht.
Dies sei vorläufig zur Ergänzung der obigen Abhandlung der Auf-
merksamkeit der Leser empfohlen. Béla Földes.
Literatur. 821
Literatur,
VI.
Kinoliteratur.
Ein Sammelreferat von Alexander Elster (Berlin).
1. Lichtbühnen-Bibliothek. Herausgegeben von der Lichtbilderei,
G. m. b. H., M.-Gladbach. (M.-Gladbach, Volksvereinsverlag.)
a) Liesegang, F. Paul, Lichtbild- und Kinotechnik. 73 SS.
1913. 1 M.
b) Häfker, H., Kino und Kunst. 71 SS. 1913. 1 M.
c) Warstrat, Willi, und Bergmann, Franz, Kino und Ge-
meinde. 112 SS. 1913. 1,50 M.
d) Rath, Willy, Kino und Bühne. 52 SS. 1913. 1 M.
e) Hellwig, Albert, Rechtsquellen des öffentlichen Kinemato-
graphenrechts. 256 SS. 1913. 5 M.
f) Sellmann, Adolf, Kino und Schule. 72 SS. 1913. 1 M.
2. Bild und Film. Zeitschrift für Lichtbilderei und Kinemato-
graphie. (M.-Gladbach, Lichtbilderei, G. m. b. H.) Redaktion Dr. Lorenz
Pieper, M.-Gladbach. Halbjährlich 2,40 M.
3. Altenloh, Emilie, Zur Soziologie des Kino. Die Kinounter-
nehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher. (Schriften zur
Soziologie der Kultur. Herausgegeben von Alfred Weber, Heidelberg.
3. Bd.) Jena (Eugen Diederichs) 1914. 2,50 M. Geb. 3,50 M.
4. Hellwig, Albert, Schundfilms. Ihr Wesen, ihre Gefahren
und ihre Bekämpfung. Halle a. S. (Buchhandlung des Waisenhauses)
1911.
5. Tannenbaum, Herbert, Kino und Theater. München (Max
Steinebach) 1912. 75 Pf.
6. Lemke, Die Kinematographie der Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft. Leipzig (Edmund Demme). 1 M.
7. Schultze, Ernst, Der Kinematograph als Bildungsmittel.
Halle a. S. (Buchhandlung des Waisenhauses) 1911. 3 M.
Die wissenschaftlich ernst zu nehmende Literatur über das Kino,
soweit sie uns hier in den „Jahrbüchern für Nationalökonomie‘ etwas
angeht, ist jungen Datums. Die ersten Verfasser, die unsere Frage ge-
fördert haben, waren Ernst Schultze und Albert Hellwig, die über
den Kinematographen als Volksbildungsmittel und über die Gefahren
der Schundfilms wertvolle Bücher veröffentlicht haben. Stärkeres Leben
begann mit dem Augenblick, als sich der Volksvereins-Verlag in M.-
Gladbach der Kinoliteratur annahm und nicht nur die einzige Kino-
822 Literatur.
reformzeitschrift „Bild und Film‘; die jetzt im 4. Jahrgang erscheint,
ins Leben rief, sondern auch in der Lichtbühnen-Bibliothek außerordent-
lich beachtenswerte Monographien über die einzelnen Fragen des Kinos
veröffentlichte. Diese Serie, von der jetzt 6 Hefte vorliegen, bildet
außer den genannten Büchern und dem soeben erschienenen Buch von
Emilie Altenloh „Zur Soziologie des Kino“ das Rückgrat der gesamten
neuen Literatur, soweit sie in Buchform und nicht nur in einzelnen Auf-
sätzen vorliegt. Wir besprechen diese Bücher im folgenden nur soweit,
als sie volkswirtschaftlich und sozialpolitisch von Interesse sind.
la) Liesegang gibt einen mit vieler Sachkenntnis geschriebenen,
aber auch für jeden Laien, der sich für Kinematographie interessiert,
verständlichen Ueberblick über Herstellung der Filme und Technik
ihrer Aufführung. Diese Schrift bildet also die technische Grund-
lage für die Beurteilung der wirtschaftlichen und sozialen Fragen.
1b) Hermann Häfkers Büchlein über Kino und Kunst
behandelt nicht die dramatische Kunst der Kinematographie, sondern
die Kunst im Bild selbst, also die künstlerische Darbietung der Auf-
nahmen und die künstlerisch vollkommenen Kinovorführungen. Er
stellt Idealprogramme auf, die vom Standpunkt der Volksbildung aus
wichtig sind und die von jedem, der sich mit der Kinematographie als
einem Volksbildungsmittel beschäftigt, beachtet werden sollten. Es sind
hier aus der Psychologie und aus der bildenden Kunst Sätze abgeleitet,
die für die Reformierung der Kinovorstellungen wichtig sind.
Lei Bedeutungsvoller für den Leser der „Jahrbücher“ ist das 3. Heft
der Sammlung, in welchem Willi Warstrat und Franz Bergmann
die Beziehungen zwischen Kino und Gemeinde behandeln. Dabei
handelt es sich im wesentlichen um die Forderung, Gemeindekinos als
Musterinstitute einzuführen, die, wie die in städtischer Regie befind-
lichen Theater, der Kunst dienen sollen und nicht dem geschäftlichen
Erfolg allein. Dieser Gedanke wird übrigens auch in den Mittelpunkt
der Schrift von Rath über Kino und Bühne (siehe unten 1d) gestellt,
der auch von der „Entgeschäftlichung‘“ des Theaters die Hebung der
Kunst als Volksbildungsmittel erwartet. Der Weg, der zur Schaffung
eines mustergültigen Gemeindekinos beschritten werden muß, ist in der
Schrift von Warstrat und Bergmann klar und überzeugend gezeichnet.
Auch die Möglichkeit der Durchführung wird nach diesen Ausführungen
kaum bezweifelt werden können. Die Verfasser wünschen, daß sowohl
bei der Zensur wie bei der Leitung der kinematographischen Muster-
institute das künstlerisch und ethisch gebildete Laienelement heran-
gezogen wird, und zwar sollen dies nicht nur Lehrer, sondern auch
andere geeignete Personen sein. Weiter wird hier die Forderung, die
schon Ernst Schultze und Albert Hellwig (siehe unten Nr.4 u. 7) stellten,
nämlich Verbände oder Syndikate zum Zweck der Herstellung von
Musterkinos zu gründen, aufgenommen. Für kleinere Gemeinden schlägt
man eine Art Zweckverband von Vereinen und Interessenten für Wander-
kinos vor. Der zweite Teil der Schrift, der von Bergmann verfaßt ist
und das Kinowesen vom verwaltungsrechtlichen und wirtschaftlichen
Standpunkt behandelt, wird noch besonderes Interesse beanspruchen.
Er behandelt die polizeilichen Mittel gegen den Kinoschund, die Kon-
Literatur. 823
zessionspflicht der Kinos und das Kinderschutzgesetz, die Handhabung
der Zensur und der baupolizeilichen Vorschriften und enthält nament-
lich einen größeren wertvollen Abschnitt über die Besteuerung der Kine-
matographentheater, ihre Erträge, die Wirkung der Steuer unter Bei-
bringung von gemeindlichen Steuerordnungen, Vertragsentwürfen, Film-
lieferungsverträgen u. dgl. Die rechtliche Zulässigkeit der Gemeinde-
lichtspielhäuser, die wirtschaftlichen Fragen der Kinokonzession und
die Art der Beteiligung der Gemeinde am Kino werden eingehend dar-
gelegt. Für wirtschaftliche Kinofragen bildet also gerade dieses Buch
besonders .viel.
1d) Willy Raths feinsinnige Schrift über Kino und Bühne
verdient insofern Erwähnung, als sie die künstlerischen Gesichtspunkte
bei der Beurteilung der ganzen Kinofrage mit wundervoller Klarheit
und souveräner Beherrschung der ästhetischen Gesichtspunkte darlegt.
Der wirtschaftliche Kampf zwischen Kino und Theater findet eine
interessante Beurteilung, namentlich durch die Forderung, daß die
Theater nicht so sehr über die neue Konkurrenz wehklagen als viel-
mehr am eigenen Leibe reformieren sollten. Der Verfasser steht auf
dem Standpunkt, daß sich beide Unterhaltungsarten ergänzen müssen
und daß man dem Kino durchaus nicht alle sozialen Schädigungen in
die Schuhe schieben darf. Die kurze Schrift ist inhaltlich sehr reich
und liest sich vorzüglich, so daß sie auch dem Fernerstehenden als
gute Einführung in diese aktuellen Fragen empfohlen werden darf.
le) Ein Quellenwerk für das öffentliche Kinematographen-
recht ist Hellwigs Zusammenstellung der Rechtsquellen, also ein juri-
stisches Auskunftsbuch. Mit unendlichem Fleiße ist alles Vorhandene
an Reichs- und Landesgesetzen, an Ministerialerlassen und Polizeiverord-
nungen aus ganz Deutschland, ja eine Reihe wichtiger Gesetze aus
dem Ausland hier zusammengestellt. Besonders wichtige Gesetzentwürfe,
vornehmlich der württembergische, sind abgedruckt. Der ganze Stoff
ist übersichtlich geordnet und mit sachkundigen Anmerkungen ver-
sehen, die aber nur das Notwendigste betreffen. Sehr instruktiv ist die
17 Seiten umfassende Einleitung, die einen erschöpfenden Ueberblick
über die Grundzüge des öffentlichen Kinematographenrechts und über
die kinematographischen Rechtsreformfragen gibt. Hier werden die
Fragen der Schundfilme, der Konzessionspflicht, der Filmzensur, des
Kinderverbots, der Plakatzensur, der Sicherheitsvorschriften, des Schank-
betriebes, der Sonntagsheiligung, immer unter vergleichender Berück-
sichtigung der verschiedenen bundesstaatlichen und zum Teil auch der
ausländischen Gesetzgebung, dargelegt. Ein hervorragend verdienst-
liches und nützliches Buch ist also hier entstanden, welches für jeden,
der sich mit der Kinofrage beschäftigen muß, sei es als Beamter, Parla-
mentarier, Kinoreformer, besonders als Polizeibeamter, ein ganz unent-
behrliches Nachschlagebuch darstellt.
1f) Prof. Dr. Adolf Sellmann behandelt in seiner Schrift über
Kino und Schule nicht die Tätigkeit der Schule gegenüber den
Auswüchsen des Kinos, ein Thema, das in anderen Arbeiten (siehe
unten Nr. 7) erörtert wird, seine Aufgabe sieht er vielmehr darin, daß er
als Schulmann die Frage beantwortet, in welcher Weise der Kinemato-
824 Literatur.
graph der Schule Nutzen bringen und dem Unterricht Hilfe leisten kann.
Insofern gehört sein Buch in andere Wissensgebiete, als wir sie hier be-
handeln. Aber auch hier ist aus seiner instruktiven Schrift erwähnens-
wert, daß er die sozialhygienischen Gefahren des Kinos für Schul-
kinder maßvoll beurteilt und in dem Kinematographen einen Lehrer
sieht, wie es keinen zweiten gibt. Für das Gymnasium fordert er
namentlich Filme, die das antike Leben vorführen, und für das Fort-
bildungsschulwesen erkennt er dem Film eine bedeutende Aufgabe zu.
Bei alledem empfiehlt er den gleichzeitigen Gebrauch des stehenden
Lichtbildes neben dem Film und fordert ein Gemeindekino, das für
Schul- und allgemeine Volksbildungszwecke jederzeit zur Verfügung
steht.
2. Die Zeitschrift „Bild und Film“, die in ihrem ersten
Jahrgang vierteljährlich erschien, verwandelte sich mit dem zweiten
Jahrgang in eine Monatsschrift und gewann dadurch noch an Wert und
Reichhaltigkeit. Von den ersten Autoren auf dem Gebiet der Kinoreform
wird nicht nur die künstlerische, sondern auch die juristische, rechts-
und wirtschaftspolitische und besonders auch die technische Seite der
Filmfrage dauernd behandelt. Dabei ist die Redaktion durchaus nicht
engherzig auf eine ganz bestimmte Meinung eingeschworen, sondern
läßt die verschiedensten Ansichten zur Geltung kommen, wenn sie nur
dem Grundprinzip der vernünftigen Reform entsprechen. Man hat jetzt
auch eine ständige Rubrik „Kinokritik“ eingeführt, in welcher die
bedeutendsten Filme systematisch fachmännisch beurteilt werden.
Namentlich der Frage „Kino und Gemeinde“ widmet sich diese Zeit-
schrift. In einem sehr dankenswerten Briefkasten hat sie eine Ein-
richtung, in welcher auf juristische und technische Fragen jedem An-
fragenden fachmännisch Antwort erteilt wird. Die Zeitschrift verdient
daher, nicht nur in den direkt beteiligten Kreisen noch mehr als bisher,
sondern auch in weiteren Kreisen der Gebildeten, die sich überhaupt
für das Kino interessieren, gelesen zu werden.
3. Zum ersten Male auf das soziologische Gebiet beschränkt sich
bewußtermaßen die Schrift von Emilie Altenloh „Zur Soziologie
des Kino“. Es ist die neueste Erscheinung auf diesem Gebiet und
beruht auf einer Enquete der Verfasserin. Darin liegt der Wert dieser
Schrift. Der geschichtliche Ueberblick, mit dem das Buch eingeleitet
wird, ist dürftig und reicht nicht an die gleichartigen Arbeiten von
Ernst Schultze, Albert Hellwig und Hermann Lemke (siehe über diese
drei weiter unten) heran. Auch bei dem Ueberblick über den Anteil der
einzelnen Länder an der Produktion erfährt man nicht viel Neues, da
die Verfasserin die neuere deutsche Filmtätigkeit nicht genügend zu
kennen scheint. Besser schon ist das Kapitel über die wirtschaftliche
Organisation. Wenn wir hier das Stammkapital der wichtigsten Firmen
erfahren, und den J ahresumsatz, der z. B. bei Pathé frères 400—500 Mill.
beträgt, so gibt das einen Anhaltspunkt von der Tätigkeit der Film-
industrie, was des weiteren durch die interessanten Mitteilungen über
die Vertrustung ergänzt wird. Kurz werden dann weiter die Verleih-
geschäfte und die Lichtbildtheater in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung
Literatur. 825
skizziert und dann auf den Inhalt der Filme eingegangen. Dieses
kritische Kapitel über die Filme enthält neben vielem Richtigen auch
manches Anfechtbare. Wirtschaftlich interessieren daran die Angaben über
die Gagen der Filmschauspieler. Ganz unzulänglich ist das Kapitel über
den gesetzlichen Rahmen der kinematographischen Vorführungen. Weit
wichtiger als dieser erste Teil des Buches ist aber der zweite über das
Kinopublikum, bei welchem die Ergebnisse der Enquete in soziologische
Tatsachen umgesetzt werden. Hier werden nacheinander der Geschmack
der Knaben, der Mädchen, der jugendlichen Arbeiter, der älteren Ar-
beiter, der Landbewohner, der Arbeiterfrauen, Handwerker, Landhand-
werker, Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen auf Grund der
Erhebung gekennzeichnet. Im ganzen zeigt sich hier, daß die Arbeiter
meist aus Interesse an der Sache das Kino besuchen, während die Hand-
werker weniger Interesse daran bezeugen und die besser bestellten.
Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen mehr durch die ange-
nehmen äußeren Bedingungen der Kinotheater angelockt werden. Aus
der häufig wiederkehrenden Antwort, daß die Besucher aus Langeweile
ins Kino gehen, zieht die Verfasserin den Schluß, daß sich daraus über-
haupt der große Besuch der Kinos ableiten lasse. „Die Langeweile‘,
sagt sie, von der das Kino profitiert, ist in der heutigen Zeit, trotz
des Vielbeschäftigtseins, oder vielleicht gerade deswegen, eine typische
Erscheinung und ist besonders oft in bestimmten Berufen zu finden.“
Weiter kann die Verfasserin nach ihren Untersuchungen bezeugen, daß
das Kino in erster Linie für die modern empfindenden Menschen da sei,
die sich treiben lassen und unbewußt nach den Gesetzen leben, die die
Gegenwart vorschreibt. Was sie schließlich im allgemeinen über den
Geschmack der Masse gegenüber den klassischen Werken sagt, ist
richtig, wird aber hier in schiefer Fragestellung gegeben, da sie das
Nachlassen des Interesses an diesen älteren Werken auf das Konto des
Kinos setzt, obschon sie es als den Ausdruck unserer Zeit bezeichnet. Im
ganzen genommen ist dieses Buch der erste Versuch auf dem Gebiet, die
massenpsychologische Erscheinung eines reinen Unterhaltungsgebietes
soziologisch zu erfassen.
4. Etwa gleichzeitig mit dem Buche von Schultze (siehe unten Nr.7)
erschien das von Albert Hellwig über „Das Wesen, die Ge-
fahren und die Bekämpfung der Schundfilme“. Hier werden
gerade die Abwehrmaßregeln gegen die Schädigungen in den Mittel-
punkt der Erörterung gestellt, indem zunächst diese Schädigungen
selber überzeugend vor Augen geführt werden. Das Buch hat zweifel-
los zu der allmählich immer stärker werdenden Gegenbewegung gegen
den Filmschund Hervorragendes beigetragen, und wer sich über die
Art der Filme vor 3—6 Jahren ein ungefähres Bild machen will, mag
dieses Buch lesen. Die Gegenmittel und wünschenswerten Reformen
werden dann eingehend bezeichnet und ihre Berechtigung nachgewiesen.
Was der Verfasser unter anderem über Filmzensur, Konzessionspflicht,
Plakatzensur, Schul- und Kinderverbote, zeitliche Beschränkung des
Kinderbesuches ausführt, ist so richtig gewesen, daß es den Weg für
das praktische Vorgehen der letzten Jahre gewiesen hat, und es darf
826 Literatur.
wohl behauptet werden, daß man mit diesen Mitteln auf dem richtigen
Wege ist. Die neueren Verordnungen und Gesetze und die Erfahrungen,
dio damit gemacht werden, bestätigen das.
5. Es sei auch die kleine Schrift „Kino und Theater“ von
Herbert Tannenbaum hier genannt, der in anderer Art, als es Rath
(siehe oben unter 1d) tut, das Lichtspieltheater und die Sprechbühne
gegenüberstellt. Der Inhalt seines Buches ist mehr ethisch-kritischer
Natur und in der Art eines kurzen Essays gehalten, liest sich aber recht
gefällig wegen des klaren zutreffenden Urteils über diese Fragen.
6. Hermann Lemkes Buch über „Die Kinematographie
der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft“ hat gewissen
dokumentarischen Wert. Der Verfasser, ein Rektor in Storkow i. Mark,
hat in der ersten Zeit des Aufschwunges der Kinos die Entwicklung
sorgfältig verfolgt und gibt eine Reihe interessanter Augenblicksbilder
aus dieser Zeit, die namentlich auch über das deutsche Kino wirt-
schaftlich bedeutsame Mitteilungen machen. So gibt er wichtige
Nachrichten über das Auftreten des deutschen Großkapitals in der
Kinematographie unter Nachweisung von Vorgängen in den einzelnen
Firmen, berührt auch die Frage des Großkapitals im Filmverleih-
geschäft, die Bestrebungen, das Filmgeschäft zu monopolisieren, und
schließt mit dem Satz, daß ein Zusammenarbeiten von Großkapital,
Industrie und kulturellen Momenten einzig und allein berufen sei, die
Kinematographie zu fördern. Wegen dieser Einzelheiten ist diese etwas
aphoristisch verfaßte Schrift, die von wissenschaftlicher Durchdringung
fern ist, ganz wertvoll.
7. Das erste wirklich eingehende Buch über die Kinematographie
ist wohl dasjenige von Ernst Schultze „Die Kinematographie
als Bildungsmittel‘“ gewesen. Es beschränkt sich absichtlich nicht
darauf, die Auswüchse festzustellen, die der Kinematograph gezeitigt
hat, sondern will auch seine guten Seiten hervorheben und gebührend
würdigen. Freilich überwiegt in den tatsächlichen Angaben die Dar-
stellung der schädlichen Aeußerungen des Kinos, wie sie vor 3 Jahren
(das Buch erschien 1911) ja noch vielfach vorherrschten. Eine Fülle
von Material hat der Verfasser zusammengetragen und dadurch seinem
Buch, gerade mit Rücksicht auf die rasche Entwicklung des Kino-
wesens, schon jetzt einen historischen Wert gegeben. Wer sich über
jene Zeit in der Entwicklung jetzt oder künftig orientieren will, wird
am besten zu diesem Buche greifen. Hie und da gibt er in der Hitze
des Gefechtes einige Angaben doppelt an zwei verschiedenen Stellen,
darüber kann man aber hinwegsehen mit Rücksicht auf die fleißige Zu-
sammentragung wichtigen, auch statistischen Materials. Einen großen
Teil des Buches nimmt die Wiedergabe des Inhaltes einzelner Filme
ein, weiter wird die Stellung der Zensur und der Gesetzgebung mit-
geteilt und dann das Reformprogramm dargelegt. Aus diesem erscheint
neben dem Vorschlag, eine „Deutsche Gesellschaft für lebende Bilder“
zu gründen, namentlich die Anregung von Wert, daß auf wissenschaft-
lichem, namentlich auch auf nationalökonomischem und sozialhygieni-
schem Gebiet der Kinematograph als Unterrichtsmittel benutzt werden
sollte. „Hier“, meint der Verfasser, „könne der Kinematograph ein
Lit&ratur. 827
anschauliches Bild von Vorgängen geben, die der Studierende in der
Regel noch nicht kennt, und ihm manche Besichtigung an Ort und
Stelle ersparen. Auch können namentlich alle Einzelzweige des Wirt-
schaftslebens, die einzelnen Stadien eines Arbeitsprozesses von der Kine-
matographie dargestellt und zu Unterrichtszwecken immer wiederholt
werden.“ Zugleich könne der Kinematograph auch dazu dienen, Bevölke-
rungskreise, die in der Technik noch zurück sind, durch die Vor-
führung vollendeter Technik zu fördern und, einem weiteren Vorschlag
von Dr. Moritz Fürst gemäß, durch die Vorführung gesundheitlicher
Bilderreihen die Volkshygiene zu heben. Den Abschluß des Buches
bildet der Abdruck wichtiger polizeilicher Verordnungen und Ent-
scheidungen.
* *
*
Der Gesamteindruck aus der gegenwärtig vorliegenden Kinoliteratur
ist der, daß die Reformer durchaus wissen, was sie wollen und daß
sie auch in den letzten 5 Jahren viele Erfolge zum Segen der Volks-
erziehung aufzuweisen haben. Der Kampf ist hier, ähnlich wie es ja
auch bei der Alkoholismusbekämpfung der Fall ist, ein ungleicher in-
sofern, als das soziale Empfinden und die Intelligenz dem Interessen-
standpunkt und dem Kapital gegenüberstehen. Auch hier also suchen
die Reformer durch kulturelle Erwägungen und durch einen Appell an
den guten Geist des Volkes dem skrupellosen materiellen Standpunkt
der Kinointeressenten Schach zu bieten. Dies ist um deswillen so
schwer, weil die Kinointeressenten mit dem Geschmack der Menge
rechnen müssen und um so größeren Gewinn haben, je breiter die
Masse ist, auf die sie sich stützen können. Die breitere Masse aber
schließt auch den niederen Standpunkt, die niederen Instinkte in sich.
Dazu kommt, was in keinem der genannten Bücher hinreichend betont
wird, das, wenn ich so sagen darf, krampfartige Element in weiteren
Schichten der Kinoindustrie. Die Angehörigen dieser Industrie setzen
sich zum Teil aus gescheiterten Existenzen zusammen, die so rasch wie
möglich die gute Konjunktur ausnutzen und Geld machen wollen, und
denen es gar nicht darauf ankommt, wie tief oder wie hoch das Pro-
gramm der Darbietungen steht, ja die zum Teil gar kein Verständnis
dafür mitbringen. Damit soll natürlich kein Stein auf die führenden
Firmen geworfen werden, die, wie alle Beurteiler bestätigen, schon recht
viel Gutes geleistet haben, es soll vielmehr nur die Macht und die
Menge des Minderwertigen erklären, das immer wieder trotz aller
Gegenmaßnahmen und trotz alles besseren Wollens das Haupt erhebt.
Volkserzieherische und Kulturfragen stehen also hier immer noch in
offenenı Kampfe mit dem Interessentenstandpunkt der meisten Kinoleute.
Der Krieg hat in dieser Hinsicht zunächst einen Stillstand gebracht. Der
internationale Wettbewerb, der hier besonders wichtig war, hat so gut
wie gänzlich aufgehört, das stoffliche Interesse am Kriegsbild über-
wiegt durchaus den künstlerischen Zug. Vielleicht aber bietet die Kine-
matographie uns für später einen Einblick in wirkliche Vorgänge des
Krieges.
828 Uebersicht über die neuesten Publikatiönen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen
Deutschlands und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Wagemann, Arnold, Wesen und Technik der heutigen Wirt-
schaftskämpfe. Jena (G. Fischer) 1913. 44 SS.
Wagemann ist nicht ganz unbekannt geblieben in bodenreforme-
rischen Kreisen ; und wenn man einigen seiner Rezensenten glauben darf,
sind seine beiden Publikationen ‚Unser Bodenrecht“ und „Geist des
deutschen Rechts“ wirklich empfehlenswert. Jedenfalls ist es zu hoffen;
denn diese vorliegende neueste Broschüre aus seiner Feder vermag in
der Tat keinen Anspruch auf Weiterempfehlung zu erheben; sie gehört
in jene Kategorie von Büchern, deren Verfasser es den Leser entgelten
lassen, daß sie allzusehr mit dem Herzen, aber zu wenig mit der Kühle
des Denkens bei der Arbeit waren.
Was Wagemann will, ist, soweit ich sehe, ein Versuch, den
Kampf der Bodenreform philosophisch zu fundieren und ihn damit
zugleich zu modifizieren — und womöglich ihm eine größere Schwung-
kraft zu geben; und er möchte es tun durch den Nachweis der Iden-
tität ethischer und wirtschaftlicher Ziele; anders ausge-
drückt: ethische Maxime müssen die Leitung übernehmen in wirt-
schaftlichen Dingen. Nur so ist es möglich, den „Krankheitserreger“
in unserer Gesellschaftsordnung zu finden — und zu beseitigen; denn
nur von Ethik geleitet, ist man auch der heilkräftigen Liebe fähig,
der Voraussetzung für jede Bestrebung auf anhaltende Abänderung und
Besserung korrupter, schädigender Zustände, während der Haß nur
kämpfen und vernichten, aber nicht heilen und aufbauen kann.
Der Gesichtspunkt, von dem Verf. also ausgeht, ist der, daß unsere
Wirtschaftsordnung umfangen und durchzogen ist von ethischen Voraus-
setzungen — conditiones, sine quibus non — ohne die sie zur völligen
Anarchie ausarten würde; daß mithin auch die Respektierung dieser
Grundbedingungen verlangt werden müsse; mehr noch, daß das gesamte
Wirtschaftsleben unter ethischer Zielsetzung geleitet werde. Diesem
Gedanken wohnt sicherlich ein gut Teil Wahrheit inne; zweifelsohne
spielen Treu und Glauben, Rücksichtnahme, Gefälligkeit und manch
andere moralische Qualitäten auch in unserer Wirtschaftsordnung, auf
deren „vertragliche“ Regelung wir so stolz sind, eine viel größere, er-
haltende und fördernde, Rolle, als man auf den ersten Blick anzunehmen
geneigt sein mag. Ferner: Alles wirtschaften kann nur den einen letzten
Zielpunkt haben, die Bedürfnisse aller Einzelnen, der Gesamtheit, zu
befriedigen. So kommt man allerdings dahin, zu verlangen, daß das
Wirtschaftsleben auch in diesem Sinne und unter diesem Gesichtswinkel
gehandhabt werde; d. h. daß es als ein Mittel zu einem ethischen Zweck
gebraucht werde, demgemäß natürlich auch in ethisch anständiger Weise.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 829
Das ist ja der uralte Kern alles sozialen Denkens und Fühlens,
daß es nicht auf einzelne exorbitante, verblüffende wirtschaftliche Lei-
stungen ankomme, die einen hohen Stand (mit Aufbietung aller Kräfte
gerade noch möglicher) Technik und Organisation verraten, sondern
darauf, daß unter wirklich rationeller Anwendung aller technischen und
organisatorischen Errungenschaften, bei gleichzeitiger möglichster Ver-
meidung irgendwelcher individueller Schädigungen, das Gesamtbedürfnis
befriedigt werde. Es wäre töricht, wollte man diesen Grundgedanken des
Sozialisınus, in dem gleichzeitig das höchste Ausmaß wirtschaftlichen
(rationellen) Verhaltens zum Ausdruck kommt, ablehnen. Im Gegenteil,
ihn zu propagieren muß Pflicht eines jeden sein, der ihn erfaßt hat.
Nur wird man gut tun, einmal, die Konsequenzen aus ihm vorsichtig
abzustecken; zweitens, ihn in faßlicher, verständiger Form vor-
zutragen’ Das erste ist gerichtet gegen den laut schreiend einher-
stürmenden Sozialismus, der nur durch Aufstellung extremer Forde-
rungen etwas erreichen zu können vermeint — mit ihm können wir
uns hier nicht auseinandersetzen. Das zweite geht auf Bücher, wie
das von Wagemann, dem guter Wille sicherlich nicht abzusprechen
ist, der meines Erachtens aber ebenso unpraktisch 'verfährt, wie er in
wenig verbindlicher Weise argumentiert.
Um es schroff auszudrücken: man würgt an der Lektüre dieses
kleinen Büchleins, und besonders am Kapitel I, von dem bislang die
Rede ist; man droht an dieser Lektüre zu ersticken, und das nicht so-
wohl, weil cs an allzu komplizierten, tiefgründigen Gedankengängen
überreich wäre, als vielmehr deswegen, weil es von klar faßlichen Ge-
dankengängen, oder gar von einem einheitlichen Gedankengang über-
haupt nichts merken läßt. Sondern es sind nur einzelne Gedanken an-
einandergereiht — wohl 80—90 Proz. aller Sätze bilden gleichzeitig
auch Absätze —, und dem Leser bleibt es überlassen, die Beziehungen
zwischen den einzelnen Gedanken herzustellen — wie er mag. Dabei
soll nicht geleugnet werden, daß Verf. einzelne feine Gedanken hat,
denen er auch eine entsprechende Form zu geben vermag; z. B.: „Haß
und Liebe sind keine Gegensätze, sondern Schattierungen desselben Ge-
fühls, das dem uns allen innewohnenden Hilfstrieb entspringt“; oder
„Die Kraft der Philosophie liegt in ihrer allumfassenden Einsicht, die
der Technik in ihrer Einseitigkeit‘; oder „Ethik ist die Hygiene der
Wirtschaft“. — Allein, diese mots" vermögen nicht für den Rest zu
entschädigen.
Soweit der erste, allgemeine Teil.
Im zweiten, speziellen Teil illustriert Verf. seine Auffassung davon,
wie wirtschaftliche Streitfragen ethisch angefaßt werden müssen, um
sie zu einer opportunen Lösung zu bringen; und zwar dient ihm hierzu
das Boden- und das Kapitalproblem. Hier ist seine Argumentation
deutlicher — obwohl sich ein Ueberfluß an völlig nicht’ zur Sache ge-
hörigen Apostrophen bemerkbar macht —, leider aber absolut unfrucht-
bar. Sehen wir zu, welche Gestalt das Bodenproblem unter seinen
Händen annimmt.
Wagemann beanstandet H. Georges „Waffenstillstand“ mit dem
Feinde, der bis heute von den Anhängern der Bodenreform immer
830 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wieder erneuert ist, nämlich den Kompromiß, die aus dem Bodeneigentum
sich ergebende ungerechte Einnahme im Wege der Steuer dem unbe-
rechtigten Empfänger wieder abzunehmen. „Die bisherigen Boden-
rechtsbewegungen täuschen sich alle darüber, daß ein Recht möglich
sein soll, das immer noch ein Quantum Unrecht enthält.“ „Der Grund
dafür, daß eine so intensive und so allgemein als notwendig empfundene
Bewegung immer noch nicht den Kern der Frage hat herausschälen
können, liegt einmal darin, daß nicht von dem ethischen Fundament aus
an sie herangegangen wird, sondern von den wirtschaftlichen Resultaten
aus, sodann trägt die Mitschuld die Entfremdung, welche zwischen dem
Volk und dem Recht seit dem traurigen Experiment der Uebernahme
einer fremden Rechtsordnung eingetreten ist.“
Wo liegt nun — nach Wagemann — der Kern der Frage? Er
liegt nicht in der neuerdings von manchen kritischen Freunden der
Bodenrefornı vorgeschlagenen Verstaatlichung.
„Verstaatlichung hilft nicht“, sagt Wagemann, denn „Gesund ist
das private Bodennutzungsrecht‘ (24). Sondern nach seiner Meinung muß
ein Zustand herbeigeführt werden, in dem das Eigentum am Boden
auf die Gesamtheit übertragen, das Nutzungsrecht jedoch den Pri-
vaten überlassen ist. Wie das machen? Nach Wagemann ist nichts
leichter als dies; es ist lediglich eine Sache der Definition. Es „ge-
schieht dadurch, daß die Rechtsordnung das Eigentum am Grund und
Boden in der Weise definiert, wie das nach deutscher Rechtsauffassung
stets geschehen ist, als das vererbliche und veräußerliche Nutzungs-
recht . . . .“ (26/27). Nun kann man nämlich nicht mehr von Ent-
ziehung bestehender Rechte reden, sondern „Was genommen wird Gm
Fall einer Enteignung), ist nicht ein gegenwärtiges Recht, sondern eine
Ausnutzungsmöglichkeit für die Zukunft‘ (27). Selbstverständlich, die
Frage der Ablösung ist nun viel einfacher geworden: Nicht die Aufgabe
des Eigentumsrechtes braucht nunmehr entschädigt zu werden, sondern
nur „die daran bestehenden privaten Nutzungsrechte mit ihren durch
Privatarbeit geschaffenen Verbesserungen“ (27), d. h. die Entschädigungs-
summen, um die es sich handeln würde, wären bedeutend geringer, als
wenn man die Aufgabe des Eigentums selbst entschädigen müßte.
Die Gestaltung des Problems dank der ethischen Behandlungsweise
Wagemanns ist wirklich wundervoll: der Schlachtruf für den Boden-
besitzer, auf die Walstatt zu eilen und seine Rechte" gegen boden-
reformerische Gelüste zu verteidigen, ertönt nun doppelt laut: droht ihm
doch nicht bloß Enteignung überhaupt, sondern Enteignung zu viel ge-
ringeren Sätzen als bislang. Aber dafür gibt es einen Trost: „es bleibt
keine Falte des Geschehens mehr übrig, welche von dem Strahl des
Rechtes unberührt bliebe“ (25). Wird man aus wirtschaftspoli-
tischen Gründen diese Gedanken ablehnen müssen, so auch aus wirt-
schaftlichen, wie ein Blick auf seine Behandlung des Kapitalproblems
ersehen läßt: Bezüglich des Mißbrauchs des Kapitals findet nämlich der
Verf. der Weisheit letzten Schluß darin, daß jeder nur mit eigenem
Kapital ein wirtschaftliches Unternehmen ins Leben rufen sollte, daß
also Kreditgewährungen nur auf Grund vorhandenen Vermögens — und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 831
in entsprechender Höhe — geschehen dürften, und daß Ansprüche aus
gewährten Krediten hinfällig werden müßten, wenn das Vermögen unter-
geht, das zur Sicherheit eines Anspruches diente. Man kann nur staunen
über diese geforderte Basis weiteren wirtschaftlichen Fortschritts; aber
es ist nur konsequent, wenn Verf. gleichzeitig fordert, daß von der
Gemeinde — nachdem sie von ihrem (Zukunfts-)Recht zur Ablösung
der den Besitzern entstehenden Nutzungen am Boden ausgiebigsten Ge-
brauch gemacht habe — „einem jeden auf seinen Antrag an geeigneter
Stelle ein seinen Arbeitsbedürfnissen (!) entsprechendes Stück Bodens
zur ausschließlichen Nutzung“ überwiesen werden solle. Denn was
sollen sonst die vielen machen, die kein eigenes Vermögen haben, um
ein gewerbliches Unternehmen in die Wege zu leiten, die vielmehr
heute in weitem Umfange in ihrer Existenz davon abhängen, daß
andere — ohne eigenes Vermögen, aber auf dem Wege des Kredites —
große gewerbliche Betriebe schaffen und am Leben erhalten!
Zum Schluß sei dem Rezensenten ein Wort zur Rechtfertigung
dafür gestattet, daß er auf eine solche — mit Verlaub zu sagen —
deplorable Broschüre so viel Raum verwendet hat. Er erblickt in ihr
ein Symptom für die Krankhaftigkeit der „Bodenreformbewegung‘“,
wie sie heute ist. Ihr Ziel, Bodenverstaatlichung — und das ist doch ihr
Ziel — ist und bleibt nun einmal recht und schlecht ein sozialistisches.
Aber weit entfernt, daß die „Bodenreform‘“ den Mut hätte, sich dem-
gemäß offen als sozialistische Bewegung zu bekennen, glaubt sie viel-
mehr, um existieren zu können, den Sozialismus in jeder Weise dis-
kreditieren und verleugnen zu müssen. Diese ’Unwahrhaftigkeit muB
sie am eigenen Leibe büßen. Sie vermöchte eine ganz andere Zugkraft
zu gewinnen, wenn sie ihr Ziel als sozialistisches kundgeben würde.
Es hieße das eine Scheidung der Geister anbahnen, die um so leichter
sich vollziehen würde, als man den Ideen der „Bodenreformbewegung“
nichts Revolutionäres nachsagen kann, womit es unzweideutig zutage
käme, daß dem Sozialismus an sich und im Prinzip überhaupt nichts
Umstürzlerisches anhaftet. Es würde einen frisch-freudigen Kampf
geben, unter dem Anschluß von Tausenden, die sich heute von allem
Sozialismus fernhalten, weil sie sich von der Partei, die offen den
Nanıen „Sozialismus“ auf ihre Fahnen geschrieben hat, abgestoßen
fühlen müssen, da es sich hier um einen einseitigen, proletarischen,
Sozialismus handelt, der in der Tat wenig geeignet ist, die Ideale eines
umfassenden Kultursozialismus auch nur annähernd zu verwirklichen.
Diese Unwahrhaftigkeit, ihre Krankheit zugleich, ist die große
Kultursünde der „Bodenreform‘“. Sie sterilisiert künstlich ihre an sich
gesunden Ideen, um sie dann, aus Furcht, die Masse möchte ein für
gesundo Ideen zu fruchtbarer Boden sein, in den unfruchtbaren Schoß
weichmütiger, phrasenhafter Philanthropen zu werfen. Was dabei heraus-
kommt, kann nur ähnliches sein, wie die Broschüre von Wagemann,
der sich als Kritiker der Bodenreformbewegung und als Verbesserer
ihrer philosophischen Begründung wahrscheinlich stolz und erhaben
vorkommt, spricht er doch selbst aus: „Wieviel Unfertiges wird heute
im "Tono tiefster Gelehrsamkeit dem geduldigen Lesen aufgetischt!“...
Berlin. K. Marcard t.
832 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dietrich, Rud., Betrieb-Wissenschaft. München u. Leipzig, Duncker u.
Humblot, 1914. gr. 8. XIV—801 SS. M. 20.—.
Corte-Enna, prof. Gius., Elementi di economia politica. Milano, Società
editrice libraria (tip. Indipendenza), 1914. 16. 718 pp. 1. 6.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Edgar Salin, Die wirtschaftliche Entwicklung von
Alaska (und Yukon Territory); ein Beitrag zur Geschichte und Theorie
der Konzentrationsbewegung. Ergänzungsheft XII zum Archiv für Sozial-
wissenschaft und Sozialpolitik. Tübingen 1914, VIII u. 226 SS. mit
einer Karte von Alaska.
Alaska ging im Jahr 1867 für 7,2 Mill. $ aus dem Besitz Ruß-
lands in den der Vereinigten Staaten über. Daß die Bezahlung dieser
Summe genehmigt wurde, konnten die Russen damals nur durch Be-
stechung der führenden amerikanischen Politiker erreichen. Im Jahr
1913 kaufte das Land für mehr als 21 Mill. $ Waren von den Ver-
einigten Staaten und sandte ihnen Mineralien und Produkte der Fischerei
im Betrage von mehr als 36 Mill. $. Im ganzen hat Alaska seit dem
Uebergang in amerikanischen Besitz für zirke 1 Milliarde $ (die Amerikaner
sagen !h Billion) Waren exportiert, darunter etwa die Hälfte Gold,
Kupfer und Silber. Das Land zeigt die Entwicklung von den primi-
tivsten Anfängen der Wirtschaft bis zu den modernsten kapitalistischen
ÖOrganisationsformen, die die Amerikaner dort in Anwendung gebracht
haben, in einer viel kürzeren Zeitspanne zusammengedrängt, als man sie
sonst zu beobachten Gelegenheit hat.
Verf. bespricht zunächst die Verhältnisse des Ackerbaues.
Er ist wahrscheinlich nur in einem verhältnismäßig kleinen Gebiet
möglich und kann vielleicht einmal den inländischen Bedarf decken,
aber an Export in größerem Umfange ist schon wegen der Frachtkosten
nicht zu denken. Auch die Forsten haben aus diesem Grunde keine
große Bedeutung. Die modernen Organisationsformen setzen dann aber
ein in der Fischerei und Fischverarbeitung, die seit der Er-
werbung des Landes für etwa 163 Mill. $ exportierte Hier hat sich
die monopolistische Organisation, die Packers Association, als ein Vorteil
erwiesen, weil sie dem Raubbau der kleinen konkurrierenden Gesellschaften
entgegenwirkte. Die Hauptprodukte des Landes aber sind Gold und
Kupfer. Zwar ist heute noch das meist gewonnene Gold Waschgold,
aber mit dem Erschöpfen der Lager wird derGoldbergbau immer größere
Bedeutung gewinnen. Dieser begann 1882 mit der berühmten Tread-
well Mine, die, durch günstige Wasserkräfte unterstützt, ungeheure Ge-
winne lieferte. Aber wenn auch keine solchen Glücksfunde mehr gemacht
werden, so sind doch nach des Verf. Meinung noch viel sehr gute Goldlager-
stätten vorhanden. Daneben spielt der Kupferbergbau eine wachsende
Rolle, wogegen die reichlich vorhandenen Kohlen einstweilen im Ver-
hältnis zur Menge nur auf geringen Absatz rechnen können, da sie außen
für den inländischen Bedarf!) nur für die amerikanische Schiffahrt in
Betracht kommen.
1) Zu Alaska ist in wirtschaftlicher Hinsicht aus geographischen Gründen auch das
Yukon-Territorium zu rechnen, das politisch zu Kanada gehört.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 833
Der Kupferbergbau ist das Hauptobjekt des mächtigen Alaska
Syndicate, das in fast allen Zweigen wirtschaftlicher Tätigkeit im
Lande Einfluß erlangt hat und von dessen Wirksamkeit auf S. 177—187
eine zusammenfassende Darstellung gegeben wird. Es besteht aus den
Guggenheims, zu deren Unterbeteiligten auch Kuhn, Loeb & Co. ge-
hören, und der Firma J. P. Morgan & Co. Diese Firmen, die über-
haupt den größten Teil der amerikanischen Kupferproduktion kon-
trollieren, beherrschen auch diejenige Alaskas zu °/,, und sind be-
strebt, auch die Goldproduktion und vor allem die Transportmittel des
Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Verf. hält es demgegenüber
für erforderlich, die Eisenbahnen zu verstaatlichen, und in der
Tat ist seit Erscheinen seines Buches ein Gesetz (vom 12. März 1914
erlassen werden, welches den Präsidenten ermächtigt, bis zu 35 Mill.
auszugeben für die Erwerbung schon bestehender Eisenbahnen oder den
Bau neuer, welche offene Häfen an der Küste mit den inländischen
Wasserwegen und Kohlenfeldern verbinden.
Diese anschaulichen und interessanten Schilderungen über das Wirt-
schaftsleben und die Entwicklung Alaskas, von denen hier natürlich
nur einiges Wenige erwähnt werden konnte, verbindet nun Verf.
mit einer „systematisch-theoretischen Zusammenfassung‘ und einer Er-
örterung über „Ursachen und Verlauf der modernen Konzentrations-
bewegung“ im allgemeinen. Dort verneint er (S. 164 ff.) zunächst die
Frage, ob das Wirtschaftsleben Alaskas als eine „Volkswirtschaft“
aufzefaßt werden kann, und untersucht dann den Aufbau der vorhandenen
Erwerbstätigkeiten an der Hand der Alfred Weberschen Standorts-
begriffe.
In dem Abschnitt über die „Konzentrationsbewegung“
spielt die Polemik gegen von mir vertretene oder teilweise auch mir
zugeschobene Ansichten eine sehr große Rolle. Nebensächlicher ist
vielleicht, daß er mir zunächst den Gebrauch des Wortes „Kom-
bination“ statt des namentlich von Vogelstein empfohlenen, aus
der amerikanischen Literatur entnommenen „Integration“ zum Vor-
wurf macht. Darauf ist zu sagen, daf Kombination eben der all-
gemeine sprachliche Gegensatz zu Spezialisation ist. Immer muß
man dabei angeben, worauf sie sich bezieht, ob auf Arbeit, den Betrieb,
eine Unternehmung, andere Wirtschaftsformen usw.
Dagegen ist es ganz verkehrt, wenn der Verf. glaubt, mit
einem so verschwommenen Begriff wie der „kapitalistischen Konzen-
tration“ etwas Typisches zu bezeichnen, und höchst sonderbar ist,
daß er mir verschiedentlich vorwirft, meine Benutzung der Begriffe
„Kapitalismus“ und „kapitalistisch“ sei mißverständlich. Ich vermeide
sie nämlich möglichst und behaupte, daß sie in der heute üblichen
weiten Fassung nichts weiter seien als Schlagworte, daß man entweder
überhaupt nicht klar definiere, was darunter zu verstehen sei, oder
daß die gegebenen Definitionen, wie insbesondere bei Sombart, auf
fundamentalen Irrtümern beruhen, der Verwechslung von Sachkapital
und Geldkapital. Damit setzt sich Salin gar nicht auseinander, sieht
sich aber veranlaßt, eine eigene Definition zu geben, welche nun die
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 53
834 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Richtigkeit meiner Behauptung schlagend dokumentiert. Denn seine
eigene Definition lautet (S. 190), „daß wir unter Kapitalismus diejenigen
Wirtschaftsperioden verstehen, in denen der Gedanke des Kapital-
ertrages (der Kapitalansammlung und der Kapitalanlage) — in letzter
Linie also ‚das Kapital‘ (Geldkapital) —..... über Art und Größe
der Produktion entscheidet“. Darauf ist zu sagen: Es gibt keine
Produktionswirtschaft ohne Kapitalertrag und „Kapital“ ist eben nicht
= Geldkapital. Das Wesen des Kapitalismus besteht auch nicht darin,
daß ein Geldkapital verwertet wird — das geschieht nur im Handel und
bei manchen Aktiengesellschaften (reinen Geldgründungen). Sondern es be-
steht darin, daß jedes Sachkapitalheutein Geld veranschlagt
wird und daher der Ertrag der Erwerbswirtschaft als eine
Geldsumme aus der Gegenüberstellung eines in Geld geschätzten
Vermögens mit einem Bruttoeinkommen in Geld festgestellt werden
kann. Salin hat offenbar meine Ausführungen in „Beteiligungs- und
Finanzierungsgesellschaften“ nicht recht verstanden oder nicht recht
durchdacht!) (s. dazu jetzt auch meinen Aufsatz: Zur Lehre von
der Unternehmung in der neuen Sammlung: Die private Unter-
nehmung und ihre Betätigungsformen, Heft 1).
Kann ich so der Polemik des Verf. hinsichtlich des Begriffs
Kapitalismus keine Berechtigung zuerkennen, so gilt dies noch mehr
für seine Einwände gegen meine Auffassung der Trusts. In seiner
in der Anmerkung genannten Kritik erklärte er kategorisch und ohne
jede Begründung, daß die Abgrenzung der Beteiligungs- und Finanzierungs-
gesellschaften von den Trusts mir nicht gelungen sei. Das kann nur
auf einem völligen Mißverstehen meiner Gedanken beruhen. Denn diese
Abgrenzung ist doch die einfachste Sache von der Welt. Ein „Trust“
in seiner heute üblichen Form ist eben nichts weiter als eine Kontroll-
gesellschaft mit monopolistischem Zwecke. Er kann aber,
wie ich schon seit Jahren in „Kartelle und Trusts“ ausefnandersetze,
auch eine monopolistische Fusion sein. Nach jener Kritik war
ich nun sehr gespannt, wie der Verf. die Trusts definieren würde. Da lesen
wir S. 197.... das Phänomen, „das wir (!) gemäß unseren bisherigen Aus-
führungen folgendermaßen definieren können: Ein Trust ist die kapital-
mäßige Zusammenfassung bisher selbständiger Unternehmungen zwecks
monopolistischer Beeinflussung des Marktes.“ Ich frage mich vergeblich,
was an dieser seiner Definition neu sein soll. Genau so haben
Tschierschky und ich immer die Trusts definiert, nur daß ich das Wort
„Kapitalmäßig“, das auch hier nichts weiter als ein Schlagwort ist, vermeide,
und betone, daß der Trust die Zusammenfassung mehrerer Unternehmungen
zu einer einzigen ist, also, wie Tschierschky es zuerst ausdrückte:
auf der Basis einer Besitzgemeinschaft beruht, was viel besser und
klarer ist als der Ausdruck: kapitalmäßige Zusammenfassung. Die
ganze Polemik des Verf. muß als sehr an den Haaren herbeige-
zogen bezeichnet werden. Irgendein neuer Gedanke zur Theorie der
1) Das gilt auch für manche Punkte seiner Kritik der 2. Auflage meines Buches
im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 37, S. 967 ff., wo er dieselbe
Definition des Kapitalismus gibt. Ich kann darauf im Rahmen dieser Besprechung
nicht näher eingehen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 835
„Konzentrationsbewegung“ findet sich in dem Abschnitt nicht, und es
kann überhaupt die Frage aufgeworfen werden, ob es angezeigt er-
scheint, an solche spezielle Zustandsschilderungen, wie sie diese Arbeit
liefert, allgemeine theoretische Erörterungen anzuknüpfen. Davon soll
in der unten folgenden Besprechung des Buches von Weissbarth noch
die Rede sein.
Bei der Behandlung seines Hauptthemas aber hat der Verf,
eine sehr nützliche Arbeit geleistet, und es sei ausdrücklich hervorge-
hoben, daß er die Gesichtspunkte, die sein Objekt wissenschaftlich inter-
essant machen, gut herausgearbeitet hat. Robert Liefmann.
Calmon, Dr. Curt, Volkswirtschaftliche Betrachtungen über Belgien.
Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1915. gr. 8. 86 SS. M. 1,80.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Gruber (Geh. Rat), Prof. Dr. Max v., Ursachen und Bekämpfung des
Geburtenrückgangs im Deutschen Reich. 3. gekürzte Ausgabe. München, J. F. Leh-
mann, 1914. gr. 8. 72 SS. mit 2 eingedr. Kurven. M. 1,20.
Moll (Primararzt, Priv.-Doz.), Dr. Leop., Säuglingssterblichkeit in Oester-
reich. Ursachen und Bekämpfung. (Aus: „Das österreichische Sanitätswesen‘“ und
„Säuglingsschutz und Jugendhygiene“.) Wien, Alfred Hölder, 1914. gr. 8. 66 SS.
M. 1,70.
Grossi, prof. Vinc., Storia della colonizzazione europea al Brasile e della
emigrazione italiana nello stato di S. Paulo. 2a edizione, riveduta dall’autore,
con prefazione del prof. G. Sanarelli. Milano-Roma-Napoli, soc. ed. Dante
Alighieri, di Albrighi, Segati e C. (Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero e C.),
1914. 16. 558 pp., con ritratto. 1. 10.—.
Murri, Romolo, L’emigrazione italiana e il dovere nazionale (Istituto
coloniale italiano). Roma, tip. Unione editrice, 1914. 8. 53 pp.
Pavesio, dott. Giov., Disoccupazione ed emigrazione; studio presentato
per laurea in giurisprudenza nella r. università di Torino. Torino, lit. A. Viretto,
1913. 8. 197 pp. f
Ratto, Mario, L'emigrazione italiana e la Libia. Roma, tip. Unione ed.,
1914. 8. 29 pp.
&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bericht über das österreichische Veterinärwesen für die Jahre 1908 bis
inklusive 1910. Bearb. im Veterinärdepartement des k. k. Ackerbauministeriums
nach amtlichen, aus den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern
eingelangteu Berichten. Mit 12 Uebersichts-Tableaus.. Wien, Alfred Hölder,
1914. Lex.-8 V—1ö2 SS. M. 10.
Deeken (Leutn. a. D., bish. Plantagendir.), Rich., Die Landwirtschaft
in deutschen Kolonien, nach den neuesten amtlichen Berichten bearbeitet. (Süsse-
zotts Kolonialbibliothek, Bd. 31.) Berlin, Wilhelm Süsserott, 1914. 8. VI—106 SS.
mit Abbildungen. M. 3.—.
Feldt (Mooramts-Dir.), Dr., Ackerbau auf ostpreußischen Niederungs-
mooren, einschließend 1. Bericht über das Versuchsfeld auf beschicktem Moor
auf dem Majorate Bledau bei Cranz. Gemeinverständlich beschrieben. (Veröffent-
lichungenr der preußischen Landwirtschaftskammern, Heft 1.) Berlin, Paul Parey,
1914. Lex.-8. 91 SS. mit 12 Abbildungen. M. 1,20.
Köbrich (Bergrat), C., Der Bergbau des Großherzogtums Hessen. Kurze
Uebersicht über geschichtliche Entwicklung und gegenwärtigen Stand des Berg-,
Hütten- und Salinenwesens, vornehmlich in der Provinz Oberhessen. Unter Be-
nutzung amtlichen Materials zusammengestellt. Darmstadt, Buchhandlung des groß-
herzoglich-hessischen Staatsverlags, 1914. kl. 8. 101 88. mit 29 Abbildungen und
2 (l eingedn, 1 farb.) Karten. M. 1.—. 8
53%
836 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Protokoll der 72. Sitzung der Zentral-Moor-Kommission vom 15. bis
17. Dezember 1913. Nebst ‚Anhang: Beckert (Moor-Versuchsstat.-Abteilungs-
Vorsteher, Oekon.-Rat), R., Zur Geschichte der Moorurbarmachung und Besied-
lung in Ostfriesland. Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. IV—350 55. mit 23 Ab-
bildungen, 1 farb. Karte und 1 Tafel. M. 18.—.
Verhältnisse, Die forstlichen, der Schweiz. Hrsg. vom schweizer. Forst-
verein. Mit 5 (farb.) Karten, 6 Kunstdruckbeilagen und 17 Abbildungen im Text.
Nebst Anhang: Eidgenössisches Forstgesetz vom 11. 10. 1902. Vollziehungsver-
ordnung zum eidgenössischen Forstgesetz vom 13. 3. 1903. Zürich, Beer & Cie.,
1914. gr. 8. X, 220 und 20 SS. M. 5.—.
Perona, prof. Vit., Economia forestale, ossia dendrometria, estimo e
assestamento. Milano, F. Vallardi, 1914. 16. XVI—312 pp. con tavola. l. 13.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Weissbarth, Alfred, Das Dekaturgewerbe und seine Kar-
tellierungsbestrebungen. Zur Frage der Monopolfähigkeit von Indu-
strien. Berlin 1914. VIII u. 72 SS.
Dekatur bedeutet, Tüchern den durch Färben und Appretur er-
zeugten Preßglanz nehmen. Diese Tätigkeit ist Gegenstand eines kleinen
Gewerbes, einer großenteils noch handwerksmäßig betriebenen Lohn-
industrie, in der im ganzen nur ca. 1000 Personen, Arbeiter und Arbeit-
geber zusammengerechnet, in Deutschland ihren Lebensunterhalt finden.
Die rein lokalen Kartelle in diesem Gewerbe waren trotz der kleinen
Zahl der Beteiligten nur von geringer Stärke, da leicht neue Konkurrenz
aufkommen kann, die Webereien die zu dekatierende Ware nach aus-
wärts schicken oder selbst die Dekatur vornehmen können u. dgl. So
gibt es in diesem Gewerbe eine ganze Reihe von kartellhemmenden und
kartellfördernden Momenten. Das alles wird vom Verf. sehr nett aus-
einandergesetzt. Da das aber für eine Doktorarbeit hergebrachten Um-
fangs nicht genügt, begibt sich Verf. ins Gebiet der Theorie und sucht
an der Hand des Dekaturgewerbes die allgemein-theoretischen Gesichts-
punkte für die Monopolfähigkeit der Industrien festzustellen. Leider
bestehen nun über die dabei anzuwendenden Grundbegriffe beim Verf.
die größten Unklarheiten. Er schließt sich der Oppenheimerschen
Monopoltheorie an. Erst auf Grund einer Kenntnis derselben wird
einem wenigstens klar, was darunter verstanden ist, wenn W. an ver-
schiedenen Stellen (im Vorwort, S. 43, 45, 47 u. a.) von den Kartellen
als „rechtlichen Monopolen“ spricht! Er kennt nämlich, wie übrigens
viele Nationalökonomen, die Konkurrenz nur als ein Produkt der Rechts-
ordnung, und da die Kartelle durch privatrechtlichen Vertrag entstehen,
sind sie nach Oppenheimer ein rechtliches Monopol. Aber die Monopol-
lehre Oppenheimers ist überhaupt eine der bedenklichsten Seiten seines
Werkes und zeigt auf das deutlichste, wohin man mit einer derartigen
Tendenztheorie oder politisch orientierten Oekonomie, wenn man will,
gelangt. Denn Oppenheimer definiert (Theorie der reinen und poli-
tischen Oekonomie S. 235) nicht das Monopol, sondern den Monopolisten
und diesen durch den Monopolgewinn, d. h. sein Einkommen ist
um einen gewissen Betrag höher, als das Einkommen anderer Wirt-
schaftspersonen, die sich nicht der Verfügung über eine solche Macht-
position erfreuen, unter sonst gleichen Umständen ist.“ Er verkennt,
daß Monopol ein Relationgbegriff, ein besonderes Verhältnis zwischen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 837
Angebot und Nachfrage ist, dessen Vorhandensein aus subjektiven und
objektiven Momenten verschiedener Art erklärt werden muß und bei
dem nicht das Resultat, der Monopolgewinn, schon in die Definition
hineingenommen werden darf.
Auf Grund der Oppenheimerschen Monopollehre will W. die
„Monopole nicht als Form der Betriebsvereinigung (das sind
die Kartelle ja auch überhaupt nicht!), sondern als Monopoleigen-
schaft des betreffenden Objektes“ untersuchen. Das ist nun
wieder ein fundamentaler Irrtum, eine Konsequenz der objektiven Wert-
lehre, die auch Oppenheimer vertritt, letzten Endes aber heute noch
allgemein üblichen quantitativ-materialistischen Auffassung der Wirt-
schaft. Selbst ein Gegenstand, der nur in einem Exemplar existiert, hat
deshalb noch keine objektive Monopoleigenschaft, nämlich dann nicht,
wenn ihn, was sehr häufig vorkommt, nur der Besitzer schätzt. Mit
anderen Worten: hier kann die Theorie niemals von der grundlegenden,
aber heute auch von den sogenannten subjektiven Theorien noch zumeist
verkannten Tatsache abstrahieren, daß alle wirtschaftlichen
Grundbegriffe subjektive Schätzungsbegrife sind. Sicher
wird einmal eine Monopoltheorie aufgestellt werden, aber dazu muß erst
eine völlige Umgestaltung der Grundlagen der heutigen ökonomischen
Theorie eingetreten sein. Dann wird die Monopoltheorie selbstver-
ständlich im engsten Anschluß an die Preistheorie zu entwickeln
sein und sie wird den Uebergang von dieser zur Einkommenslehre
zu bilden haben.
Das eigentliche Problem des Verf. war aber auch nicht, allgemeine
Grundsätze über die „objektive Monopolfähigkeit“ zu finden, son-
dern über die Kartellfähigkeit der verschiedenen Industriezweige.
Doch hat er auch darüber nichts Neues beigebracht, seine Formulie-
rungen kommen über schon Bekanntes nicht hinaus, und wenn Verf.,
statt vom Dekaturgewerbe auszugehen, versucht hätte, sich einen Gesamt-
überblick über die kartellierten und nicht kartellierten Industrien zu
verschaffen, so würde er gefunden haben, daß sich in der Tat allge-
meines darüber, d. h. etwas, was wirklich immer ohne Ausnahme gilt,
so gut wie gar nicht sagen läßt. Aus dem einfachen Grunde, weil die
Kartellfähigkeit durch so viele verschiedenartige Momente im einzelnen
Falle bestimmt sein kann, daß ein stark hemmendes Moment nach der
einen Seite durch zufällige und ganz spezielle fördernde auf der andern
Seite wieder aufgehoben werden kann. Ich bin gewiß der letzte, das
Streben nach allgemeiner theoretischer Formulierung nicht zu würdigen,
aber sie muß sich immer an die Tatsachen anschließen und darf auch
nicht, wie das in der vorliegenden Schrift zum Teil geschieht, so all-
gemein gefaßt sein, daß sie ihre Banalität nur hinter einer gekünstelten
wissenschaftlich klingenden Formulierung verbirgt.
Im Anschluß daran sei einmal auf Grund mannigfacher Beobach-
tungen ausgesprochen, daß das offenbar neu erwachte Interesse des
wissenschaftlichen Nachwuchses an ökonomischer Theorie nicht dazu
führen darf, nun an jede historisch-deskriptive Arbeit eine „Theorie“
anzuhängen. Es ist eine wichtige Aufgabe der Seminarleiter, derartigen
weitverbreiteten Tendenzen entgegenzutreten. Es war vielfach ein Fehler
838 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der historischen Schule, jede kleine Einzelbeschreibung schon als wissen-
schaftliche Leistung anzusehen. Aber man geht heute bereits nach der
andern Seite wieder zu weit, wenn man den Wert einer guten entwick-
lungsgeschichtlichen Darstellung, sei es auch eines kleinen Objektes,
verkennt, und man irrt, wenn man glaubt, eine solche Einzeldarstellung
durch künstlich daran angeklebte allgemein theoretische Erörterungen
wissenschaftlicher zu machen. Robert Liefmann.
Grundlagen und Ursachen der industriellen Entwick-
lung Ungarns. Nebst einem Anhange über die wirtschaftswissen-
schaftliche Literatur Ungarns, von Dr. iur. et phil. Wilhelm Offer-
geld. (Probleme des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der
Universität Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Bernhard Harms.) Jena (Gustav
Fischer) 1914.
Die breit genug angelegte Arbeit befaßt sich mit der Unter-
suchung der Industrialisierung Ungarns. Richtig wird gleich eingehend
bemerkt, daß darunter keineswegs die Umgestaltung Ungarns zu einem
Industriestaate zu verstehen ist, da Ungarns Hauptkraft in seiner
Landwirtschaft liegt. Nur soweit die Fortentwicklung der wirtschaft-
lichen Verhältnisse und die intensivere Verwendung der produktiven
Kräfte sowie die Verwertung von Stoffen und Verhältnissen im allge-
meinen oder in gewissen Teilen des Staates einerseits, der Reichtum
an die industrielle Bearbeitung erfordernden Stoffen des Mineral-,
Pflanzen- und Tierreiches, ferner die vorteilhaftere Befriedigung des
Konsums, die Hebung der Steuerkraft, die möglichste Unabhängigkeit
des Staatshaushaltes von unbereehenbaren meteorologischen Einflüssen
andererseits, die Kompaßnadel der nationalen Arbeit in die Richtung
der Industrie stellt, soll Ungarn zum Agrikultur- — Industrie- — Kom-
merzstaat umgestaltet werden. Der Autor der Schrift hat sich bemüht,
durch Autopsie, Reisen und Berührung mit einigen Persönlichkeiten,
vor allem durch Studium des statistischen Materiales und der ein-
schlägigen Literatur, sich über seinen Gegenstand zu orientieren. So ent-
stand die vorliegende lesenswerte Schrift, die jedenfalls eine Lücke aus-
füllt. Wenn wir an die Schrift einige Bemerkungen knüpfen, so tun
wir dies hauptsächlich deshalb, weil dem Autor jedenfalls vorschwebt,
mit seiner Schrift auch dem praktischen Wirtschafter Winke zu geben.
Während der Theoretiker mit einem gewissen Quantum von Material sich
befriedigen kann, ist für den praktisch Handelnden — und gewiß soll
die ganze Sammlung „Probleme der Weltwirtschaft“ auch diesem dienen
— ein genau abgewägtes, im Detail streng kontrolliertes Material nötig.
Es ist wohl fraglich, ob es möglich ist, ein richtiges Bild von den
Verhältnissen eines Landes zu geben, wenn die betreffende Literatur
gänzlich außer acht gelassen wird. Verf. obiger Schrift erklärt aus-
drücklich, daß er nur die nicht-ungarische Literatur benützt hat. Nun
ist es wohl wahr, daß namentlich offizielle Publikationen aus dem
Gebiete der Statistik, der wirtschaftlichen Staatsverwaltung ete. von
seiten der ungarischen Regierung und anderen Körperschaften auch in
fremder Sprache ediert werden, daß auch Schriften der wissenschaft-
lichen Literatur zum Teile in fremder Sprache publiziert werden, trotz-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 839
dem entgeht jedem Forscher unbedingt viel wissenswertes Material
und namentlich die Kenntnis wissenschaftlicher und volkswirtschafts-
politischer Auffassungen, der über ein Land schreibt, in dessen Lite-
ratur er einzudringen nicht vermag. Verf. gibt ein reichliches Register
von volkswirtschaftlichen Schriften, die sich mit der ungarischen Volks-
wirtschaftspolitik befassen, darunter aber recht viel gänzlich veraltetes
oder zum Gegenstand nur ganz locker gehöriges, was wohl in der Ham-
burger Kommerzbibliothek recht gut am Platze ist, aber eigentlich doch
nur den Antiquar interessiert. Dagegen fehlt z. B. der Hinweis auf
die Verhandlung der Frage auf dem Budapester internationalen stati-
stischen Kongreß und manches andere.
Ferner ist es fraglich, ob es möglich ist, ein richtiges Bild einer
wirtschaftlichen Periode zu geben, wenn wir die historische Entwick-
lung beiseite lassen. Die Bestrebungen zur Schaffung einer ungarischen
Industrie, die Hemmnisse, die dieses Bestreben namentlich von seiten
Oesterreichs und dessen Staatsmännern begegnete, muß derjenige kennen,
der die Natur, namentlich wie es der Titel der Arbeit sagt, „Grund-
lagen und Ursachen der industriellen Entwicklung Ungarns“ erforschen
will. Bei einer historischen Betrachtung hätte z. B. die Charakterisierung
der ungarischen Mühlenindustrie eine viel kräftigere Farbe erhalten und
wäre hier der interessante Hinweis auf Friedrich List und dessen
Auffassung über die Industrieentwicklung Ungarns gewiß erwünscht
gewesen. (Daß Lists Name auch im Literaturverzeichnis fehlt, ist
jæ auch auffallend.)
Die Auffassung des Verf. macht beinahe den Eindruck, als ob die
Bestrebungen zur Entwicklung einer ungarischen Industrie ein Unrecht
an Oesterreich wären, und wenn Oesterreichs Schwäche (S. 174) nicht
wäre, dann würden die Dinge einen andern Gang nehmen. Die zoll-
politische Trennung bezeichnet er als „absurd“ (S.175). Diese Auffassung
zeigt gleichfalls eine Voreingenommenheit. Es soll hier nicht über die
Frage der Zolltrennung abgehandelt werden, ich halte die Zolltrennung
auch nicht für eine conditio sine qua non. Aber wenn vielleicht vom poli-
tischen Standpunkt, vom Standpunkte der Aktualität, die Zolltrennung
nach Belieben als absurd bezeichnet wird, gerade wissenschaftlich, logisch
läßt sich dies nicht verteidigen. Lassen ja — um .nur. auf eines
hinzuweisen — die wirtschaftlichen Gegensätze eine logische Durch-
führung der Handelspolitik nicht zu. Wenn ein Staat, dessen Bevölke-
rung Agrikultur und Industrie betreibt, die Agrikultur auf Kosten
der Industrie begünstigt, so kommt dies doch einem wichtigen Teile
seiner Bevölkerung zugute und umgekehrt. Wenn aber der eine Staat
ein Industriestaat ist, der andere ein Agrikulturstaat ist, so wird eine
die Industrie begünstigende Handelspolitik dem einen Staate Vorteil,
dem andern Nachteil bringen und umgekehrt. Es muß also eine laue
Politik befolgt werden, die nach keiner Richtung befriedigt, weil
sie nach keiner Richtung durchschlagende Erfolge aufweisen kann.
Man darf nicht übersehen, das geben wir gerne zu, daß in letzter Reihe
in Ungarn politische Momente zur Geltung kommen und in Hinsicht
dieser Momente ist Tezner freilich nicht der richtige Führer. Darum
dürfen uns auch manche Irrtümer nicht auffallen. So ist Verf. der
840 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Meinung, daß die äußere Handelspolitik seit 1867 eine gemeinsame
Angelegenheit Oesterreich-Ungarns bildet. Das ist aber nicht der Fall.
Staatsrechtlich ist nur die Verteidigung, also das Heerwesen, gemeinsam,
dann die Politik des Aeußeren und das hiermit zusammenhängende
Finanzwesen, die Kostendeckung der Heeres- und auswärtigen An-
gelegenheiten. Die Handelspolitik ist rechtlich nicht gemeinsam. Sie
gehört zu den Angelegenheiten „gemeinsamer Interessen“, wo beider-
seits danach getrachtet werden muß, daß gemeinsame Prinzipien zur
Geltung kommen, wenn dies jedoch nicht möglich wäre, so geht jeder
Staat für sich. Dies gilt im allgemeinen für gewisse Fragen der
volkswirtschaftlichen Politik, welche Fragen in von zehn zu zehn
Jahren zu erneuernden Verträgen erledigt werden. Auch die Dar-
stellung der ungarischen Gewerbegesetzgebung ist lückenhaft (S. 217).
Es geschieht nur des Gesetzes VIII vom Jahre 1872 Erwähnung, wäh-
rend ein neueres Gesetz (1884. XVII) von der im vorigen Gesetz ge-
wahrten Gewerbefreiheit wesentlich abweicht und dem Befähigungs-
nachweis weiten Spielraum öffnet. Auch ist es dies letztere Gesetz,
welches die Gewerbekorporation einführt, der beizutreten jeder Gewerbe-
treibende verpflichtet ist und welche in erster Instanz mit gewissen
administrativen Agenden betraut ist. Unrichtig ist auch die auf die
Quote bezügliche Darstellung. Die Quote bedeutet den Schlüssel, wo-
nach die jährlichen Kosten des gemeinsamen Staatshaushaltes zwischen
Oesterreich und Ungarn verteilt werden. Bezüglich der bis 1867 ent-
standenen Staatsschuld verpflichtete sich Ungarn zu einem unveränder-
lichen, fixen Beitrag aus Billigkeit gegen Oesterreich, obwohl Ungarn
diese Staatsschuld nicht anerkannte.
Sehen wir von diesen mehr den Geist, die Auffassung — wir wollen
nicht sagen Tendenz — berührenden Punkten ab, so haben wir es mit
einer fleißigen, umfassenden systematischen Darstellung zu tun, die viel
Detail zur Beantwortung der vorliegenden Frage bietet. Ausführliches
statistisches Material setzt den Leser in die Lage, die Verhältnisse der
ungarischen Industrie, ihre Grundlagen und ihre Leistungen kennen zu
lernen. Auch dem kritischen Teil, namentlich der Frage der Industrie-
förderungsaktion, liegt ein Urteil zugrunde, das nicht ganz abgewiesen
werden kann. Es versteht sich von selbst, nicht alles vermag die Kunst,
— hier die Staatskunst —, nicht alles vermag die Natur. Auch auf
diesem Gebiete gilt, was Lessing von der Bühne sagt:
Kunst und Natur
Sind auf der Bühne eines nur:
Wenn Kunst sich in Natur verwandelt,
Dann hat Natur mit Kunst gehandelt.
Einwendung müssen wir erheben gegen die Behauptung, daß es
namentlich der Textilindustrie in Ungarn völlig an den natürlichen Grund-
lagen fehle, worunter Verf. den Mangel eines der Rohstoffe (Baumwolle)
versteht. Wenn Verf. allen jenen Ländern die Fähigkeit zur Industrie
abspricht, in denen der betreffende Rohstoff fehlt, so kommt er mit den
Tatsachen in Widerspruch. Es bedarf hier kaum der Beispiele, sie
bieten sich in Menge. Dies wird ja auch später zugegeben (S. 259).
Ungarn hatte sogar eine bedeutende Textilindustrie, die nur nach Er-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 841
richtung des gemeinsamen Zollgebietes infolge der gänzlichen Umgestal-
tung der Technik und dem Vordringen der Großindustrie verschwinden
mußte. Gewiß ist der leichte Bezug des Rohstoffes für die Industrie von
großer Bedeutung. Doch kann eventuell dieses Moment gegen andere
zurücktreten. So der Umstand der Größe des Kapitalbedarfes. Industrien,
die große Kapitalien erfordern, also solche, die Massenartikel produzieren,
sind natürlich schwer einzuführen. Dies gilt eben für die ungarische
Textilindustrie. Ungarn führt jährlich für mehr denn eine halbe Milliarde
an Textilwaren ein; für diese durch die inländische Industrie Ersatz zu
schaffen, wäre natürlich nur durch immense Kapitalanlagen möglich.
Ein weiteres wichtiges Moment ist das Alter der betreffenden Industrien.
Gegen alte Industrien, die zum großen Teil ihr Kapital schon amorti-
siert haben, ist schwer aufzukommen. Dies bestätigt die Tatsache, daß
Ungarn in solchen Industrien, wo auch das Ausland auf ganz jungfräu-
lichem Boden steht wie Ungarn, z. B. Elektrizitätsindustrie, tüchlige
Erfolge aufzuweisen hat. Auch die Besteuerung spielt eine große Rolle,
wie dies die Geschichte der ungarischen Zuckerindustrie zeigt.
Mit dem, was Verf. im „Schluß‘ zusammenfassend uns sagt, können
wir uns im ganzen einverstanden erklären. Gewiß liegen die stärksten
Produktivkräfte des Landes in der Landwirtschaft und Viehzucht, und
beide Produktionszweige lassen noch eine bedeutende Entfaltung zu.
Gewiß ist, daß am sichersten jene Industriezweige zur Blüte kommen
können, welche mit den genannten Zweigen der nationalen Produktion
in engerem Zusammenhang stehen. Gewiß ist, daß nicht alle Faktoren
vollgültig zur Verfügung stehen, die schon in der Gegenwart oder der
unmittelbaren Zukunft die vollständige Industrialisierung des Landes
sichern. Wenn da und dort im Widerspruch hiermit Industrien forciert
werden, so ist dies doch weniger „Ueberentwicklung‘ als vielleicht ver-
meidlicher, vielleicht nicht vermeidlicher Fehler. Ebensowenig ist
„Ueberentwicklung‘ zu konstatieren auf Grund des Umstandes, daß an
der ungarischen Industrie ausländisches Kapital beteiligt ist. Daß die
ungarische Industriepolitik die Industrialisierung nur mit den „über-
schießenden“ Kräften erstreben soll, kann in dem Sinne, wie Verf. dies
meint, akzeptiert werden.
Wir wollen des weiteren auf die einzelnen Kapitel des Werkes
nicht eingehen, unter welchen manche wegen des reichlichen Materiales
und dessen sorgfältiger Bearbeitung Lob verdienen. So die Abhandlung
über die relative Uebervölkerung, wo namentlich die landwirtschaft-
lichen Arbeits- und Besitzverhältnisse eine eingehendere Darstellung er-
halten. Auch hier unterläuft wohl mancher Irrtum. Daß „mit Er-
richtung von Fideikommissen nicht zurückgehalten worden ist“ (S. 196),
ist unrichtig, da in Ungarn seit mehr denn 25 ‘Jahren nur ganz aus-
nahmsweise neue Fideikommisse errichtet wurden.
Wir haben uns mit dem vorliegenden Werke nur deshalb eingehen-
der befaßt und unsere Einwendungen dargelegt, weil ja über ungarische
volkswirtschaftliche Verhältnisse in der ausländischen, nicht-ungarischen
Literatur, nur selten gesprochen wird und häufig Irrtümer unterlaufen,
während es gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte erwünscht sein darf,
daß der deutsche Leser, namentlich der deutsche Volkswirt, der deutsche
842 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Unternehmer über die ungarische Volkswirtschaft und ihre Zukunfts-
möglichkeiten möglichst genau unterrichtet sei. Sonst hätten wir dem
Werke mit wenigen Worten das Lob gezollt, das dem Fleiße und der
Untersuchung eines weniger bekannten Gebietes gebührt. B. F.
Bericht der k. k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre
1913. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. CXCVII—793 85. mit
12 Abbildungen und 15 Tafeln. M. 4.—.
Braunkohlenindustrie, Die deutsche. 1. Bd. Handbuch für den
deutschen Braunkohlenbergbau, hrsg. von G. Klein. 2. neu bearb. Aufl Hallea.S.,
Wilhelm Knapp, 1914. Lex.-8. 18. Lieferung. S. 721—768 mit Abbildungen und
2 (1 farb.) Tafel. M. 2.—.
Lebensmittelgewerbe, Das. Ein Handbuch für Nahrungsmittelche-
miker, Vertreter von Gewerbe und Handel, Apotheker, Aerzte, Tierärzte, Ver-
waltungsbeamte und Richter. Unter Mitwirkung von Drs. (Nahrungsmittelunter-
suchungsamt-Dir.) Prof. E. Baier, (Untersuchungsamts-Vorst.) W. Bremer, (Ge-
sundheitsamts-Hilfsarb.) Fiehl u. a., hrsg. von (Geh. Ob.-Reg.-Rat) Prof. Dr.
K. v. Buchka. Mit zahlreichen Tafeln und Abbildungen. 1. Bd., 18. und 19. Liefe-
rung. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1914. Lex.-8. II, XV und S. 817
—891. Je M. 2.—. (1. Bd. vollständig M. 38.—.)
Lombardi, prof. Lu., Principi scientifici di elettrotecnica. Napoli,
R. Pironti, 1914. 8. XVI—466 pp. 1. 16.—.
Mimolo, G. Mario, Produzione e industria della piuma di struzzo in
Libia ed in Italia. Torino, lit. A. Viretto, 1914. 8. 191 pp.
Vinelli, prof. Marcello, Note sull industria, la mano d’opera e la
legislazione nelle miniere di Sardegna. Cagliari, soc. tip. Sarda, 1914. 8. 109 pp.
L 2,50.
6. Handel und Verkehr.
Timpe, Die Organisation des Magdeburger Zuckerhandels. Magde-
burg 1913.
Dissertationsarbeiten — und zu diesen zählt die vorliegende Schrift
— begegnen stets gewissen Schwierigkeiten, sobald sie Gebiete der reinen
Praxis betreffen, denn es ist den Verfassern meistens unmöglich, alle
Einzelheiten genügend kennen zu lernen, und zwischen verschiedenen,
oft entgegengesetzten, oft auch sämtlich nicht ganz richtigen Auf-
fassungen entsprechend zu vermitteln; hierbei ist jedoch zu berück-
sichtigen, daß sie nicht schreiben, um die Praktiker zu belehren,
vielmehr nur beabsichtigen, eine möglichst übersichtliche Darstellung
und Erklärung besonderer, nicht selten recht verwickelter Verhältnisse
zu geben. Diese Umstände wird man billigerweise auch der vor-
liegenden Schrift zugute halten müssen ; unzweifelhaft sind verschiedene
Mißverständnisse untergelaufen und Irrtümer stehen geblieben, die sich
hätten vermeiden lassen, und dem Kenner auffallen werden, doch wird
dieser auch ohne weiteres den Kern der Sache herausfinden, und über
das Unzutreffende mit Leichtigkeit hinwegzusehen vermögen; dies wird
ihm um so leichter fallen, als Verf. eine sehr ausgedehnte Literatur
herangezogen und seinen Zielen mit großer Gewissenhaftigkeit und
Genauigkeit dienstbar gemacht hat, so daß die Quellenangaben jederzeit
gestatten, auf die ursprünglichen Unterlagen zurückzugehen, sobald sich
Zweifel an der Art ihrer Auffassung erheben sollten. Trotz der ange-
deuteten vereinzelten Mängel reiht sich daher die Timpesche Schrift den
schon in größerer Zahl vorhandenen über den nämlichen Gegenstand als
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 843
gleichwertig an, und wird von denen, die sich mit ihrem schwierigen
Probleme beschäftigen, sicherlich nicht ohne Nutzen mit eingesehen
werden.
Englands Konkurrenzkampf. Von ‚Made in Germany‘ bis zum „Kon-
junkturkrieg“. Ein Rückblick von E. B. Frankfurt a. M., Eugen Bonn, 1914.
8. 20 SS. M. 0,50.
Lederer (Adv., Handelsakad.-Lehrer), Prof. Dr. Paul, Lehrbuch des
Handels- und Gewerberechtes für höhere Handelsschulen (Handelsakademien).
2. verb. und erg. Auflage. Wien, Alfred Holder, 1914. 8. IV—230 SS. mit
3 Formularen. M. 3,10.
Mantel, Fritz, Die Bedeutung und Feststellung der Ortsgebräuche und
Handelsverkehrssitten vor den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten Deutschlands
mit den Gutachten der Handelskammern. Nach der Umfrage des Verbandes der
Gewerbe- und Kaufmannsgerichte. (Schriften des Verbandes deutscher Gewerbe-
und Kaufmannsgerichte, Heft2.) Berlin, Franz Vahlen, 1914. gr. 8. 35 SS. M.0,80.
Rajnik (Rechtsanw.), Dr. Béla, Die wirtschaftspolitischen Beziehungen
zwischen Oesterreich und Ungarn und die internationalen Interessen. München u.
Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. III—88 SS. M. 2,50.
Kosenthal, Dr. Curt Arnold, Die Gütertarifpolitik der Eisenbahnen
im Deutschen Reiche und in der Schweiz. 1. Teil. (Abhandlungen des staatswissen-
schaftlicheu Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. J. Pierstorff, 13. Bd., Heft 1.)
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1914. gr. 8. 78 SS. M. 1,50.
Zedlitz u. Neukirch (Seehandlgs.-Präs. a. D., Landtags-Abg.) Frei-
herr v., Die Reichs- und Staatsfinanzen während des Krieges und nach dem
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Franz v. Liszt, Heft 5.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—27 SS. M. 0,80.
Carano-Donvito, prof. G., L’imposizione indirette nella scienza delle
finanze e nel diritto finanziario. In appendice, Il regime doganale delle colonie:
saggio sugli effetti dei dazi doganali. Caserta, F. Abussi (Napoli, S. Morano),
1914. 16 255 pp. 1l. 4.—.
844 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Geisser, Alb., L'imposta prussiana sull’entrata (Einkommensteuer):
esempio tipico di imposta globale. Torino, soc. tip. ed. Nazionale, 1914. 8.
102 pp. 1. 2.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Jacobs, Paul, Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsen-
handel. Berlin (Julius Springer) 1914.
Das Buch gibt eine gute Uebersicht über die Tätigkeit der Zu-
lassungsstelle und enthält im einzelnen manche beachtenswerte Kritik
der gesetzlichen Bestimmungen.
Die Verantwortlichkeit der Zulassungsstelle für den Prospekt will
Verf. auch auf die Richtigkeit der Angaben ausgedehnt wissen. Es ist
wohl zuzugeben, daß die Zusammensetzung der Zulassungsstelle bis zu
einem gewissen Grade diesbezügliche Garantien bietet. Trotzdem ist
unseres Erachtens zu betonen, daß diese von hervorragenden Männern
freiwillig übernommene Leistung durch die Forderung dieser Verant-
wortlichkeit nur beeinträchtigt werden kann. Nicht voll befriedigend
sind die prinzipiellen Ausführungen über das Verhältnis der Regierung
zur Zulassung ausländischer Wertpapiere. So ist z. B. ein Buch wie
Dernburgs „Kapital und Staatsaufsicht“ leider nur im Literaturver-
zeichnis berücksichtigt.
Berlin. Walter Pinner.
Iränyi, Bernh., Die Geschäftsresultate der österreichisch-ungarischen
Lebensversicherungs-Gesellschaften und der ausländischen Lebensversicherungs-Ge-
sellschaften in Oesterreich-Ungarn im Jahre 1913. 36. Jahrg. (Aus „Der National-
Oekonom“.) Lex.-8. 24 SS. M. 1,25. — Die deutschen Lebens- und Unfallver-
sicherungsgesellschaften. Uebersichtliche Darstellung der Geschäftsergebnisse in
den Jahren 1909—1913. 23. Jahrg. 24,5X11,5 cm. 40 SS. M. 1,35. — Die
deutschen Privatversicherungsgesellschaften im Jahre 1913. 20. Jahrg. Lex.-3
32 SS. M. 1,35. Wien, J. Eisenstein u. Co., 1914.
Mahlberg (Priv.-Doz.), Walter, Ueber asiatische Wechselkurse. Mit
28 Diagranımen. (Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben. Schrift-
leitung: Bruno Kuske.) Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1914. gr. 8. VII—137 SS
M. 8,40.
Martin (fr. Reg.-Rat), Rud., Jahrbuch des Vermögens und Einkommens
der Millionäre in Württemberg und Hohenzollern. Berlin, Rud. Martin, 1914. 8.
VI—132 SS. M. 10.—.
Moratorien und andere Sonderregelungen des Zahlungsverkehrs im Aus-
lande. Zusammengestellt von der Handelskammer zu Berlin nach dem bis zum
28. 9. ermittelten Stande. 2. vervollständigte Auflage. Berlin, Handelskammer,
1914. 8. 147 SS. M. 1,20. :
Prinzivalli, Gino, La banca moderna e la diplomazia del denaro.
Milano, fratelli Treves, 1914. 16. 201 pp. 1. 3,50.
9. Soziale Frage.
Kleemann, Kurt, Die Sozialpolitik der Reichs-Post- und Tele-
graphenverwaltung gegenüber ihren Beamten, Unterbeamten und Ar-
beitern. (Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena,
hrsg. von Prof. Dr. Pierstorff, Bd. 14, Heft 1.) Jena (G. Fischer)
1914. 8. XVI u. 253 SS. 6 M.
Inmitten des Widerstreits der Meinungen, ob die deutsche Sozialpolitik
weitere Ausdehnung erheischt oder ob die im Rahmen der Steuerkraft des
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 845
Volkes erwünschten Grenzen nicht bereits überschritten sind, ist es für den
Theoretiker wie für den Praktiker von Interesse, die Wirkung unserer
heutigen Sozialpolitik auf einen Personenkreis von etwa 700000 Reichs-
angehörigen kennen zu lernen, die, in ihrer Gesamtheit Lien aller Be-
wohner des Reichspostgebiets darstellend, entweder selbst oder durch ihre
Ernährer ihren Unterhalt wesentlich aus den Etatsmitteln der Reichs-
Post- und Telegraphenverwaltung bestreiten.
Verf. holt weit aus, indem er in drei, die erste Hälfte der Arbeit
umfassenden Abschnitten den Leser eingehend mit der Verfassung des
Arbeitsverhältnisses, mit den Arbeitsbedingungen und mit den Ein-
kommensverhältnissen der Beamten, Unterbeamten und im Arbeiter-
verhältnis zur Postverwaltung stehenden Personen bekannt macht und
diese Verhältnisse in ihrer geschichtlichen Entwicklung unter Abgabe von
Verbesserungsvorschlägen kritisch beleuchtet. Besonders beachtenswert
sind hier für den Sozialpolitiker die Ausführungen über die Hygiene
der Arbeitsbedingungen, d. h. über das von den Angestellten in An-
spruch genommene Leistungsmaß, über die Sorge für die Arbeitsstätten
und über den Schutz des Personals gegen die besonderen Betriebs-
gefahren des Post- und Telegraphendienstes. Die drei folgenden Ab-
schnitte befassen sich mit der Durchführung der sozialen Fürsorge-
gesetze, getrennt nach den vier Zweigen der Unfall-, Kranken-, In-
validen- und Angestelltenversicherung, mit den Maßnahmen zur Besse-
rung der wirtschaftlichen Lage des Personals durch unmittelbares Ein-
greifen der Verwaltung auf der einen und Begünstigung der wirtschaft-
lichen Selbsthilfe auf der andern Seite, endlich mit den Förderungs-
mitteln der geistigen Fortbildung des Personals. Der Leser gewinnt hier,
unterstützt durch übersichtliche Tabellen, einen sehr interessanten Ein-
blick in die größtenteils zahlenmäßig belegten Folgeerscheinungen der
neuzeitlichen Sozialgesetzgebung. Der folgende Abschnitt endlich schil-
dert die Stellung der Verwaltung zu den Beamten- und Arbeiterorgani-
sationen unter besonderer Berücksichtigung der Koalitionsfrage.
In seinem „Rückblick und Ausblick“ betitelten Schlußwort kommt
Verf. zu dem Ergebnis, daß die Sozialpolitik der Reichs-Post- und Tele-
graphenverwaltung sichtlich von Erfolg begleitet gewesen ist und
anderen Arbeitgebern als mustergültiges Beispiel dienen kann, nicht
nur hinsichtlich der durchaus wohlwollenden Auslegung bündiger Ge-
setzesbestimmungen, sondern auch auf den Gebieten, wo es gilt, die
wirtschaftliche Selbsthilfe der Angestellten nachhaltig anzuregen und
zu fördern. Trotz der verschiedentlich in seinen Verbesserungs-
vorschlägen dargelegten Ueberzeugung, daß bei dem großen Umfang
des Arbeitsfeldes von einem Stillstand in der Sozialpolitik der Ver-
waltung keine Rede sein darf, spricht sich Verf. dennoch abschließend
dafür aus, daß ihr weiterer Ausbau mit einer gewissen Zurückhaltung
erfolgen möge, damit das Selbstverantwortlichkeitsgefühl der beteiligten
Kreise und der gesunde Trieb, aus eigener Kraft auch widrigen Ver-
hältnissen zu begegnen, nicht durch wohlgemeinte Bevormundung er-
tötet werden.
Berlin-Wilmersdorf. Erwin Günther.
846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Elsas, Dr. Fritz, Die studentische Wohnungsfrage in Vergangenheit und
Gegenwart. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. V—53 SS. M. 1,50.
Kalle (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. Fritz, und (Beigeordn.) Hanns Borg-
mann, Die Wohlfahrtseinrichtungen Wiesbadens. 2. Aufl, im Auftrage des
Magistrats zusammengestellt. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1914. gr. 8. X—234 SS.
M. 2,60.
Lönne, Dr. Friedr., Die Bedeutung der Wohnungsinspektion für die
moderne Wohnungsfrage, erläutert an den in Hessen gemachten Erfahrungen.
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1914. Lex.-8. V—52 SS. M. 2.—.
Löwe, Adolf, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Eine kriminologische Unter-
suchung. (Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität Berlin.
Hrsg. von Proff. Drs. Franz v. Liszt und Ernst Delaquis, 1. Bd., Heft 4.) Berlin,
J. Guttentag, 1914. gr. 8. 47 SS. M. 1,50.
Petersen f, Dr. Joh.,. Jugendfürsorge. Unter Mitwirkung von E. Cruse-
mann, E. Jaques (Reg.-Räthen), Prof. Ch. J. Klunker, Drs. (Oberinsp.) E. Schal-
lehn, Frl. M. Schirmer, Dr. E. Schultze bearbeitet. Hrsg. von der deutschen
Zentrale für Jugendfürsorge. Berlin, Carl Heymann, 1915. gr. 8. VIII—250 SS.
M. 6.—.
Schellenberg, Anna, Die wirtschaftlichen Tatsachen und die Ziele
der Frauenbewegung. München, J. F. Lehmann, 1914. gr. 8. 30 SS. M. 0,75.
11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde.
Die Praxis der kommunalen und sozialen Verwaltung.
II. Kursus: Die neuen Aufgaben der Sozialversicherung in der Praxis.
Tübingen 1913. 337 SS.
Der vorliegende Band enthält 15 Vorträge, welche auf Veranlassung
der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung in Köln in einem
besonderen Kursus gehalten sind, und die sich in sehr geschickter Weise
ergänzen. Zunächst ist die gegenwärtige Organisation der verschiedenen
Kassen vom juristischen Standpunkte aus dargestellt. Eine wesentliche
Ergänzung dazu bilden die Vorträge, welche die bisherige Wirkung der
Versicherung für die Industrie, für die Arbeiter und die ganze Volks-
wirtschaft gehabt haben, wobei die verschiedenen Auffassungen zur
Geltung gebracht sind, um die weiteren Aufgaben in dieser Hinsicht
klarzulegen. Diese kritische Behandlung ist von Dr. Marie Baum:
Ueber die Stellung der Frau in der Reichs'ersicherungsordnung; von
Dr. Sanitätsrat Mugdan und Justizrat Wandel: Die Arztfrage; von Re-
gierungsrat Schweighoffer: Die Belastung der Industrie durch die Sozial-
versicherung; vom Abgeordneten Giesberts: Die Bedeutung der Sozial-
gesetzgebung für die Volkswirtschaft, und Geheimrat Rose: Die Volks-
versicherung als Ergänzung der Sozialversicherung geschehen. Diese
Vorträge sind in hohem Maße geeignet, die Anschauungen über unser
Versicherungswesen zu klären und eine objektive Beurteilung derselben
zu verbreiten. J. Conrad.
Appelius (Landesr.) Fr., (Geh. Reg.-Rat) A. Düttmann, (Landesversich.-
Assess.) Beelmann: Das Verfahren vor den Versicherungsbehörden. Kommentar
zu den kaiserl. Verordnungen über den Geschäftsgang und das Verfahren vor den
Versicherungsämtern, Oberversicherungsämtern und dem Reichsversicherungsamt vom
24. 12. 1914. 4. völlig umgearbeitete Auflage von Appelius — Düttmann, Kommentar
zur Schiedsgerichtsordnung. Oldenburg, A. Littmann, 1914. XI, 313 SS. M. 7,50.
Bollmann (Richter), Dr. Johannes, Das Staatsrecht der Freien Hanse-
städte Bremen und Lübeck. (Das öffentliche Recht der Gegenwart. In Verbindung
mit einer großen Anzahl hervorragender Schriftsteller des In- und Auslandes
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 847
hrsg. von Proff. Drs. Max Huber, weil. Georg Jellinek, Paul Laband, Rob. Piloty,
27. Bd.) Tübingen, J. ©. B. Mohr, 1914. Lex.-8. VIII—219 SS. M. 7.—.
Braßloff (Handelsakademie-Doz.), Prof. Dr. Steph., Leitfaden der öster-
reichischen Verfassungskunde. 2. verb. Aufl. Wien, Carl Fromme, 1914. gr. 8.
V—115 SS. M. 2,50.
Forchheimer, Dr. Karl, Gesetze und Verordnungen für die Zeit des
Krieges 1914, nebst den älteren und auf den Krieg bezüglichen gesetzlichen Be-
stimmungen und den Anordnungen, betr. den Zahlungsaufschub in Ungarn und
im Deutschen Reich. (Oesterreichische Gesetze mit Erläuterungen aus den Ma-
terialien.) Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 212 u. X SS. M. 2,80.
Fribolin, Dr. Herm., Die Frage der deutschen Beamten. (Volkswirt-
schaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, hrsg. von Karl Diehl,
Eberh. Gothein, Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Alfr. Weber, Otto v. Zwiedineck-
Südenhorst, Heft 27.) Karlsruhe, G. Braun, 1914. gr. 8. IV—111 SS. M. 2,40.
Haberland, Georg, Das Mietsverhältnis im Kriege. Vorschläge zur wirt-
schaftlichen Erhaltung des Hausbesitzes. Veröffentlicht mit Einverständnis und
Billigung des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitz. Berlin, Alfred Unger,
1914. gr. 8. 24 SS. M. 0,60.
Handwörterbuch der Kommunal-Wissenschaften. Hrsg. von J. Brix,
H. Lindemann, O. Most, H. Preuß, A. Südekum. 4. Lieferung. Jena, Gustav
Fischer, 1914. Lex.-8. 1. Bd. S. 241—400. M. 3,50.
Hinterbliebenenfürsorge, Die, in Kriegs- und Friedenszeiten. (Fech-
ners Gesetzgebungs-Bibliothek.) Berlin-Wilmersdorf, Fechners Gesetzgebungs-Biblio-
thek, 1914. kl. 8. VIII—268 SS. M. 4.—.
Kracht, Dr. Ernst, Das Streikpostenverbot. München u. Leipzig,
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. V—427 SS. M. 11.—.
Licht (Rechtsanwalt, Justizrat), Ernst, Die Kriegsgesetze des bürger-
lichen Rechts für Laien und Juristen. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. kl. 8.
VI—71 SS. M. 1.—.
Lins (Oberlehrer), Jos., Rußland. Verfassung, Verwaltung, Volkswirt-
schaft. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 53.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag,
1914. 8. 79 SS. M. 0,40.
Liszt (Geh. Justizrat, Reichstags-Abg.), Franz v., Ein mitteleuropäischer
Staatenverband als nächstes Ziel der deutschen auswärtigen Politik. (Zwischen
Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v. Liszt,
Heft 2.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—45 SS. M. 0,80.
Löwenthal, Dr. Fritz, Der preußische Verfassungsstreit 1862—1866.
München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XI—342 SS. M. 8,50.
Lüders, Ewald, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinder-
rechts in den Schutzgebieten. (Abhandlungen und Mitteilungen aus dem Seminar
für öffentliches Recht und Kolonialrecht, Heft 4.) Hamburg, Lucas Gräfe u.
Sillem, 1914. Lex.-8. IV—43 SS. M. 1,50.
Meyer’s, weil. Prof. Georg, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes. Nach
dem Tode des Verf. in 7. Aufl. bearb. von (Geh. Justizrat) Prof. Gerh. An-
schütz. 1. Teil. München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XII—
380 SS. M. 10.—.
Monographien deutscher Städte. Darstellung deutscher Städte und
ihrer Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und Technik.
Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Erwin Stein. 8. Bd. Berlin. Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Erwin
Stein in Verbindung mit (Gartenbaudir.) A. Brodersen, (Magistrats-Assess.) Max
Conrad, (Magistrats-Baurat) Eggert u. a. VIII—329 SS. M. 7,50. — 9. Bd.
Dessau. Hrsg. von (Geh. Reg.-Rat, Ober-Bürgermstr.) Dr. Ebeling und (Gen.-Sekr.)
Erwin Stein, in Verbindung mit (Schuldir.) Haase, (Red.) Max Hasse, (Stadtrat)
Jahn u. a. VII—179 SS. mit 70 Abbildungen. M. 5.—. Oldenburg i. Gr., Gerhard
Stalling, 1914. Lex.-8.
Oertel (Ob.-Bürgermstr., Geh. Reg.-Rat), O., Die Städteordnung für die
sechs östlichen Provinzen der preußischen Monarchie vom 30. 5. 1853. Mit Er-
gänzungen und Erläuterungen. 6. Aufl. Liegnitz, H. Krumbhaar, 1914. gr. 8.
XX—703 SS M. 14.—.
848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schmidt, Dr. Franz, Dänemark, Schweden und Norwegen. Verfassung,
Verwaltung, Volkswirtschaft. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 52.) M.-Gladbach,
Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 64 SS. M. 0,40.
Schumm, Dr. Felix, Bürgerkunde für Preußen. Auf der Grundlage
der von (Rechtsanw.) Dr. Alb. Müller verfaßten gemeinverständlichen württem-
bergischen Bürgerkunde für Preußen bearbeitet. Stuttgart, Carl Grüninger, 1914.
8. VIII—235 SS. M. 1,60.
Sintenis, Dr. Gust., Finanz- uud wirtschaftspolitische Kriegsgesetze
1914. Nachtrag. Die Bekanntmachungen des Bundesrats aus der Zeit vom 8. 9.
bis 22. 10. 1914. Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. 50 SS. mit 1 Tab. M.0,50.
Strupp, Dr. Karl, Das internationale Landkriegsrecht. Erläutert. Frank-
furt a. M., Joseph Baer u. Co., 1914. gr. 8. XII—252 SS. M. 5.—.
Tesar (Privatdoz.), Dr. Ottok., Staatsidee und Strafrecht. Eine historische
Untersuchung. 1. Teil: Das griechische Recht und die griechische Lehre bis
Aristoteles. (Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität
Berlin. Hrsg. von Proff. Drs. Franz v. Liszt und Ernst Delaquis. 3. Folge,
1. Bd., Heft 3.) Berlin, J. Guttentag, 1914. gr. 8 XV—256 SS. M.7.—.
Trimborn (Rechtsanw.), Dr. Max. Postscheckgesetz vom 26. 3. 1914,
nebst der Postscheckordnung vom 22. 5. 1914, den hierzu erlassenen Ausführungs-
bestimmungen und anderen einschlägigen Vorschriften. Erläutert. (Taschen-Gesetz-
sammlung No. 81.) Berlin, Carl Heymann, 1914. kl. 8 XVI—276 SS. M. 3.—.
Wehrordnung, Deutsche, vom 22. 11. 1888, unter Berücksichtigung aller
bisher eingetretenen Aenderungen. Berlin, Max Galle, 1914. 8. 435 SS. M. 4.—.
Wollenburg (Rechnungsrat), E., Fürsorgegesetzgebung für das Heer, die
Marine und die Schutztruppen. Berlin, Carl Heymann, 1915. 8. VI—162 SS.
M. 3.—. — Das Kriegsleistungsgesetz vom 13. 6. 1873 nebst Ausführungsverord-
nungen, unter Berücksichtigung der bis September 1914 erfolgten Aenderungen
und Ergänzungen. Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. III—47 SS. M. 1.—.
Palumbo (avv.), Fr., La convenzione internazionale e la legge uniforme
cambiaria fissata dalla conferenza dell’Aja de 1912: lineamenti storico-esegitico-
critici, con cenni di legislazione cambiaria comparata. Napoli, libr. Detken e
Rocholl, di B. Johannowsky, 1914. 8. XXII—414 pp. 1. 10.—.
Parlement en kiezer. Jaarboekje, samengesteld door J. A. Jungmann en
a Ee Iterson 1914—15. ’s-Gravenhage, Mart. Nijhoff. 8. 8 en 340 blz.
. 1,26.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jahr-
gang 34, 1913. Berlin 1913. 464 u. 100* SS.
Der 34. Jahrgang des vorliegenden Jahrbuchs, das sich im Laufe
der Zeit mehr und mehr eingebürgert und der Statistik viele Freunde
gewonnen hat, zeigt wiederum wesentliche Ergänzungen, namentlich auf
Grund der Volkszählung von 1910, der Berufszählung von 1907 und
der landwirtschaftlichen Betriebszählung desselben Jahres. Außerdem
machen wir aufmerksam auf die allgemeine deutsche Sterbetafel von
1901—1910, die Ergebnisse der schulstatistischen Erhebungen, der Ar-
beitsnachweise, der Todesursachen etc.
Besonders erwähnenswert sind wiederum die internationalen Ueber-
sichten im Anhang, so über die Erwerbstätigen, die Arbeiterorgani-
sationen, die Ergebnisse der verschiedenen Produktionszweige, des Ver-
kehrs, des Genossenschaftswesens und der Banken ete., die überall mit
besonderem Danke aufgenommen werden dürften. J. Conrad.
Ergebnisse, Die, der Schlachtvieh- und Fleischbeschau im Deutschen
Reiche im Jahre 1912. Bearb. im Kaiserl. Gesundheitsamte. Berlin, Julius
Springer, 1914. 33,5X26,5 cm. IV—58 und 139 SS. M. 8—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 849
Jahrbuch, Statistisches, der höheren Schulen Deutschlands, Luxemburgs
und der Schweiz und der höheren deutschen Schulen im Ausland. Nach amtlichen
Quellen bearb. 35. Jahrg. (In 2 Tln.) 1. Teil. Leipzig, B. G. Teubner, 1914.
kl. 8. XXXII—648 SS. M. 4,50.
Tabellen über die Bevölkerungsvorgänge Berlins im Jahre 1912. Hrsg.
vom Statist. Amt der Stadt Berlin. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914.
33,5 X 26 cm. VIII—130 SS. M. 3,50.
Uebersichten aus der Berliner Statistik für die Jahre 1908—1912 (zum
Teil auch 1913). Hrsg. vom Statist. Amt der Stadt Berlin. Berlin, P. Stankiecz,
1914. 16. VI—112 SS. M. 0,75.
Oesterreich-Ungarn.
Denkschrift der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für Niederöster-
reich in Wien über das 1. Vierteljahrhundert 1889—1914. Wien, Alfred Holder,
1914. Lex.-8. IV—125 SS. mit 8 (4 farb.) Tafeln. M. 5,20.
Jahrbuch, Statistisches, des k. k. Ackerbau-Ministeriums für das Jahr
1913. Statistik der Ernte in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und
Länderr im Jahre 1913. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. gr. 8.
VI—360 SS. M. 3.—.
Statistik des Bergbaues in Oesterreich für das Jahr 1913. 1. Lieferung:
Die Bergwerksproduktion (mit Ausschluß der Naphthagewinnung). Hrsg. vom
k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei,
1914. Lex.-8 231 SS. M. 3.—.
Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statist. Zentralkommission.
8. Bd. 2. Heft. Statistik der Unterrichtsanstalten in den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern für die Jahre 1910/11. 29—306 SS. M. 10,20.
— 9. Bd 2. Heft. Kriminalstatistik, Oesterreichische. 2. Jahrg. 1911. 7—339 SS.
M. 10,50. — 10. Bd. 2. Heft. Statistik der Banken in den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern für die Jahre 1907—1911. 35—97 SS. M.4.—.
Wien, Carl Gerolds Sohn, 1914. 32,5 X25 cm.
Uebersichten, Statistische, betr. den auswärtigen Handel der wich-
tigsten Staaten in den Jahren 1907—1911. Hrsg. vom handelsstatistischen Dienste
des k. k. Handelsministeriums. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8.
VIII—22i SS. M. 3.—.
H. Schweiz.
Statistik, Schweizerische. Hrsg. vom statist. Bureau des eidgen. De-
partements des Innern. 189. Lieferung. Die Bewegung der Bevölkerung in der
Schweiz im Jahre 1912. 53 SS. M. 2.—. 192. Lieferung. Pädagogische Prüfung
bei der Rekrutierung im Herbste 1913. 17 SS. mit 2 farb. Karten. M. 1,50.
Bern, A. Francke, 1914. Lex.-8.
13. Verschiedenes.
Fischer, Alfons, Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem
Jahre 1800, ein Vorbild für die Gegenwart. Berlin (Julius Springer)
1913. 41 SS. 1 M.
Vor mehr als 100 Jahren hat der pfälzische Arzt Franz Anton
Mai, geboren am 16. Dezember 1742 zu Mannheim, das damals noch
zur Pfalz gehörte, und gestorben als Professor und Geheimrat 1814 in
Heidelberg, einen förmlichen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der als Muster
eines Hygienegesetzes noch heute vorbildlich ist. Manche seiner Forde-
rungen sind heute verwirklicht, der größere Teil aber ist heute noch ein
unerfülltter Wunsch der Sozialhygieniker. Und dabei ist das, was Mai
forderte, weit entfernt davon, ein utopistisches Nichts-als-Wünschen zu
sein, es ist vielmehr ausführbar und erfüllbar. Daß wir heute nicht
weiter sind, obwohl diese Forderungen schon vor 100 Jahren klar und
Dritte Folge Bd. XLVIII CID, 54
850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
wohlgegründet fixiert waren, wirft ein schlechtes Licht auf die seither
dazwischenliegenden Jahre rückschrittlicher Nichterkenntnis auf hygiene-
gesetzlichem Gebiet. Mai fordert in seinem Gesetzentwurf unter ande-
rem: Gesundheitslehre auf der Schule, sexuelle Aufklärung, Wochenbett-
fürsorge und Wöchnerinnenschonzeit, Selbststillen, zweckmäßige psy-
chische Erziehung der Kinder, spezielle Gewerbehygiene, Verbot der
Mietskaserne und der Kellerwohnungen, Fleisch- und Fischbeschau,
polizeiliche Ueberwachung des Butter- und Milchverkaufs. Gegen den
Alkoholmißbrauch geht er an und hält es für ein Unrecht, daß Be-
rauschtheit Strafmilderungsgrund ist. Gegen das Korsett und für gym-
nastische Spiele tritt sein Gesetzentwurf ein und namentlich für die
gesundheitliche Untersuchung der Brautleute vor dem Eintritt in die
Ehe, ein Gebot, das heute erst von ganz fortschrittlichen amerikanischen
Staaten festgelegt ist. Ja sogar eine Alleinstehendensteuer (für Hage-
stolze und junge Witwen) zum Besten einer Notkasse für rassedienliche
Betätigungen schlägt er vor. Besonders aber einen organisierten (für
Minderbemittelte unentgeltlichen) Hebammendienst sieht er vor und will
namentlich auch die uneheliche Mutter geschützt sehen.
Alfons Fischer, der diesen Gesetzentwurf ans Tageslicht gezogen
hat, begleitet seine einzelnen Positionen mit lebhaftem Beifall, dem wir
uns durchaus anschließen dürfen. Einzelne der Forderungen bedürfen
ja freilich heute der Modifikation, aber im ganzen ist jener Gesetz-
entwurf, dem die Heidelberger Professoren und das Mannheimer Aerzte-
kollegium ihre Zustimmung gaben und den der Kurfürst Max Josef
selbst zur Durchführung bestimmte, auch heute noch vorbildlich für
eine Hygienegesetzgebung, die auch wir noch als geschlossene Kodi-
fikation entbehren.
Die Gründe, die Fischer für eine Sondergesetzgebung für Gesund-
heitspflege entgegen den Stimmen von Laband und anderen aufführt,
verdienen Beachtung. Interessant ist die bei der Betrachtung dieser Tat-
sachen uns auftauchende Frage, wie es denn kommen kann, daß ver-
nünftige Forderungen, wie diese, die so wichtig für das Gedeihen der
Nation sind, ein Jahrhundert lang keine Förderung fanden, daß wir
heute noch fast so weit zurück sind wie damals, obwohl wir uns ein-
bilden, es so herrlich weit gebracht zu haben. Das kann nur daran
liegen, daß unsere Parteipolitik stets die engsten Interessenstandpunkte
vertritt und daß die Klassenrücksichten den Blick aufs Ganze und
Große lähmen. Dazu ein Versteckenspielen mit körperlich-gesundheit-
lichen Dingen, eine Scheu vor der obrigkeitlich-öffentlichen Behandlung
von Fragen der Rassebiologie, der gesundheitlichen Rechte und Pflichten
des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit.
Diese Schrift Fischers verdient daher in weiten Kreisen gelesen zu
werden.
Berlin-Friedenau. Alexander Elster.
Becker, Prof. Dr. C. H., Deutschland und der Islam. (Der deutsche
Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh, Heft 3.) Stuttgart,
Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 31 SS. M. 0,50.
nn
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851
Braun (Minist.-Rat), Friedr. Edler v., Kann Deutschland durch Hunger
besiegt werden? Eine Kriegsbetrachtung. München, Carl Gerber, 1914. Lex.-8.
79 SS. M. 3.—.
Dix, Arthur, Der Weltwirtschaftskrieg. Seine Waffen und seine Ziele.
(Zwischen Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v.
Liszt, Heft 3.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—46 SS. M. 0,80.
E lsenhaus, Prof. Dr. Theodor, Der Krieg als Erzieher. Vortrag.
Dresden, A. Dressel, 1914. 8. 31 SS. M. 0,60.
Eucken, Prof. Dr. Rud., Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen
Geistes. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh,
Heft 8.) Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8.
23 SS. M. 0,50.
Gierke, Prof. Dr. Otto v., Krieg und Kultur. Rede, am 18. 9. 1914 ge-
halten. (Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentralstelle für Volks-
wohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern.
No. 2.) Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. 27 SS. M. 0,50.
Grothe, Dr. Hugo, Deutschland, die Türkei und der Islam. Ein Beitrag
zu den Grundlinien der deutschen Weltpolitik im islamitischen Orient. (Zwischen
Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v. Liszt,
Heft 4.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—44 SS. M. 0,80.
Lasson, Prof. D. Dr. Adolf, Deutsche Art und deutsche Bildung. Rede,
am 25. 9. 1914 gehalten. (Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentral-
stelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner
Hochschullehrern, No. 4.) Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. 44 SS. B. 0,50.
Losch (Ob.-Finanzrat), Prof. Dr. Herm., Englands Schwäche und Deutsch-
lands Stärke. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften, Heft 10.) Stutt-
gart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 28 S6.
M. 0,50.
Mühlestein, Hans, Deutschlands Sendung. Ein neuer mitteleuropäischer
Völkerbund. Weimar, Gust, Kiepenheuer, 1914. 8. 55 SS. M. 1.—.
Oncken, Prof. Dr. Herm., Deutschlands Weltkrieg und die Deutsch-
Amerikaner. Ein Gruß des Vaterlandes über den Ozean. (Der deutsche Krieg.
Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh, Heft 6.) Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 23 SS. M. 0,50. — Unsere
Abrechnung mit England. (Unterm eisernen Kreuz 1914. Kriegsschriften des
Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der ‚Soldatenfreunde, Heft 8.) Berlin, Kamerad-
schaft, 1914. 8. 30 SS. M. 0,30.
Osterrieth, Alb., Die Ursachen und Ziele des europäischen Krieges.
Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 8. 55 SS. M. 1.—.
Quadflieg, Dr. Franz, Russische Expansionspolitik von 1774—1914.
Berlin, Ferd. Dümmler, 1914. 8. 259 SS. M. 4.—.
Rathgen, Karl, Deutschland, die Weltmächte und der Krieg. (Deutsche
Vorträge hamburgischer Professoren, No. 1.) Hamburg, L. Friederichsen u. Co.,
1914. gr. 8. 19 SS. M. 0,50.
Reiniger, Max, Der Völkerkrieg 1914. Der Kampf um Sein oder Nicht-
sein des Deutschen Reiches, deutscher Macht und deutschen Wesens. Langen-
salza, Julius Beltz, 1915. gr. 8. 76 SS. M. 2.—.
Rohrbach, Paul, Der Krieg und die große Politik. Dresden, Verlag
„Das größere Deutschland“, 1914. 8. VIII—100 SS. M. 1,80.
Roloff, Prof. Dr. Gust., Deutschland und Rußland im Widerstreit seit
200 Jahren. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst
Jäckh, Heft 9.) Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm Eduard Hallberger,
1914. gr. 8. 31 SS. M. 0,50.
Schäfer (Geh. Rat), Prof. Dr. Dietrich, Sein oder Nichtsein? Des
Deutschen Reiches Schicksalsstunde. (Unterm eisernen Kreuz 1914. Kriegsschriften
des Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der Soldatenfreunde, Heft 1.) Berlin, Kamerad-
schaft, 1914. 8. 32 SS. M. 0,30.
Schiemann, Theodor, Die Achillesferse Englands. Aus dem englischen
übersetzt und eingeleitet. Berlin, Georg Reimer, 1914. 8. 49 SS. M. 0,80.
54*
852 Die periodische Presse des Auslandes,
Schubert (Hauptm. a. D.), Hartwig, Der Krieg 19l4 — Englands
wirtschaftlicher Ruin. (Gegenwartsfragen 1913/14, No. 5.) Berlin, „Politik“,
1914. gr. 8. 2788. M. 1.—.
Sosnosky, Theodor v., Die Balkanpolitik Oesterreich-Ungarns seit 1866.
2. Bd. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Ed. Hallberger, 1914. Les 3
X—405 SS. mit 1 Karte. M. 7,50.
Wagner (Wirkl. Geh. Rat, Herrenh.-Mitgl.), Prof. Dr. Adolph, Gegen
England! Warum England den französisch-russischen Krieg gegen das Deutsche
Reich geschürt hat und ihm beigetreten ist. 4. verb. und veränd. Auflage eines
Aufsatzes aus „‚Illustr. Zeitschrift Ueberall für Armee und Marine“, Märzheft
1912. Berlin, Boll u. Pickardt, 1914. gr. 8. 48 SS. M. 0,75.
Wildgrube, M., Englands Verrat an Deutschland in historisch-politischer
Beleuchtung. Dresden-A., Emil Weise, 1914. gr. 8. 29 SS. M. 0,60.
Die periodische Presse des Auslandes.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. Handels-
museums. Bd 29, 1914, No. 41: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oester-
reichisches Moratorium). — Die Erhöhung der türkischen Zölle. — etc. — No.42:
Die Aufhebung der Kapitulationen und die Zollerhöhung in der Türkei, von Gustav
Herlt.— Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Deutschland, Oesterreich, Griechen-
land, Schweden, Norwegen). — etc. — No. 43: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen
(Oesterreich, Bosnien, Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Irland, Nieder-
lande, Rumänien, Serbien, Türkei, Portugal, Schweden, Norwegen). — etc. —
No. 44: Die Weiterbildung der Moratoriengesetzgebung in den kriegführenden
Staaten, von Dr. Friedrich Deri. — etc.
Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentral-
Kommission. Jahrg. 19, September 1914, No. 9: Bemerkungen über die Auf-
gaben der Hypothekarstatistik, von Dr. Hermann v. Schullern-Schrattenhofer. —
Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres
1912, von (k. k. Oberinspektor) J. J. Goldhann. —
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ
der Gesellschaft österreichischer Volkswirte. Bd. 23, 1914, Heft 3 und 4: Macht
oder ökonomisches Gesetz?, von Eugen v. Böhm-Bawerk. — Der Weg zur ratio-
nellen Elektrizitätsversorgung und Wasserkraftverwertung Oesterreichs, von (Dipl.-
Ingenieur) A. Buchleitner. — Zum österreichischen Auswanderungsgesetzentwurf,
von Otto Neurath. — Die Gewerbeförderung der bosnisch-herzegowinischen Ver-
waltung, von Dr. Adolf Hadwiger. — Die deutsche Fleischenquete, von Dr. Ernst
Gibian. — etc.
F. Italien.
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLIX, Settembre
1914, No. 3: Sulla ripartizione territoriale del risparmio in Italia, di Alfredo
Vita. — Un episodio di storia delle finanze papali, di Fernando Gentili. — etc.
— Ottobre 1914, No. 4: Sulla teoria economica della capitalizzazione, di Felice
Vinci. — Alcune osservazioni al proposito della teorica dei costi comparati, di
Roberto A. Murray. — Baggio di una determinazione del fabbisogno e della
disponibilità di capitale agricolo circolante per una regione: La Calabria, di
Giovanni Nicotra. — etc. — Supplemento: Contributo alla teoria dell’ offerta
a costi congiunti, di Marco Fanno.
H. Schweiz.
Blätter, Schweizerische, für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. 2l,
1913/14, Heft 19: Die Zollpolitik der Vereinigten Staaten und die Bedeutung des
Zollgesetzes von 1913, von Max Louis. — Ursachen und Bekämpfung der Lebens-
mittelteuerung (Schluß), von Dr. Ed. Lauterburg. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 853
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. 40, 1914, Heft 3: Die Fusion der
Aktiengesellschaft, von Josef Kohler. — Pfandrechte und Hypotheken bei Ge-
samtschulden, Gesamtforderungen und gemeinschaftlichen Forderungen, von (Geh.
Justizrat) Prof. Dr. Johannes Biermann. — Der Verlagsvertrag mit Gewinn-
beteiligung, von (Rechtsanw.) Dr. v. Dadelsen. — Handelsrechtliche Rundschau,
von (Landgerichtsdirektor) Dr. Ritter. — etc.
Archiv für EisenBahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preuß. Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1914, November und Dezember, Heft 6: Die wirtschaft-
liche Entwicklung der preußischen Staatseisenbahnen, von (Kgl. Eisenbahn-Bau-
und Betriebsinspektor a. D.) Ernst Biedermann. — Die Eisenbahnen der asiatischen
Türkei (Schluß), von (Dipl.-Ing.) M. Hecker. — Die Eisenbahnen der Schweiz
im Jahre 1912.— Die Eisenbahnen Ungarns im Jahre 1912, von (Eisenbahnoberinsp.)
Rudolf Nagel. — Die belgischen Eisenbahnen in den Jahren 1911 und 1912. —
Die Betriebsergebnisse der Staatsbahnen und der fünf großen Eisenbahngesell-
schaften in Frankreich im Jahre 1912. — Die Eisenbahnen in Schweden im
Jahre 1910. — Die schwedischen Staatsbahnen in den Jahren 1911 und 1912. —
Die Eisenbahnen in Norwegen im Jahre 1912/13. — Die Staatseisenbahnen in
Australier und Neuseeland 1911/12 und 1912/13. — etc.
Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). Ergänzungs-
heft. Heft 17: Zur lorstarbeiterfrage in Mecklenburg. Bcarb. im Auftrage der
Studienkommission für Erhaltung des Bauernstandes, für Kleinsiedlung und Land-
arbeit, von (Oberiorstmstr.) v. Oertzen.
Archiv für innere Kolonisation. Bd. 7, Oktober 1914, Heft 1: Zur Fort-
setzung der inneren Kolonisation, besonders in Ostpreußen, von (Präs.) Dr. Mctz.
— Die ‚Nederiandsche Heidemaatschappy‘“ (Niederländische Heidekulturgesell-
schaft). — etc.
Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Jahrg. 11, 1914, Heft 2: Die
Herrschaft der Schwachen und der Schutz der Starken in Deutschland. Kritische
Betrachtungen eines Arztes über soziale Fürsorge (Forts. und Schluß), von Dr.
J. Paulsen. — Rassenhygienische Gedanken bei Platon, von Géza v. Hoffmann. —
Zur Frage der Häufigkeit der Syphilis in der Großstadt, von (Sanitätsrat) Dr. med.
W. Weinberg. — etc.
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 8, Oktober 1914,
Heft 1: Die Grenzen der Rechtsphilosophie, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Josef
Kohler. — Charakter der Hegelschen ltechtsphilosophie, von (Univ.-Prof.) Dr.
Theobald Ziegler. — Rechtsstaat und Wohlfahrtsstaat, von Prof. Dr. Ferdinand
Tönnies. — Soziale Entwicklung der Neuzeit (Forts.), von Prof. Dr. Julius
Markarewicz. — Philosophie und politische Oekonomie bei den Merkantilisten
des 16.—18. Jahrhunderts (Schluß), von (Wirkl. Staatsrat und ordentl. Prof.)
Dr. Wladislaw Francowi® Zaleskij. — Die Organisation der Großgemeinden in
Deutschland, von (Magistratsrat) P. Wölbling. — Weltmarkenrecht, von (Justiz-
rat) Dr. Edwin Katz. — Ansiedlungsform und Kriminalität. Eine Studie, von
(Landgerichtsdirektor) Rotering. — etc.
Archiv für soziale Hygiene und Demographie. Bd. 10, 1914, Heft 1 und 2:
Organisation und Hauptergebnisse der amtlichen Bevölkerungs- und Medizinal-
statistik in Rußland, von Dr. S. Nowosselsky. — Militärdiensttauglichkeit und
Berufstätigkeit, soziale Stellung ‚und Wohnweise in Oesterreich-Ungarn, insbe-
sondere in Wien, von Victor Noack. — Zur Schwankung der Geburtenziffer,
von Dr. P. Hermberg. — Die Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten
in dem 1. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts (Forts.), von Dr. med. E. Roesle. — etc.
Archiv, Weltwirtschaftliches. Zeitschrift für allgemeine und spezielle
Weltwirtschaftslehre. Bd. 4, Oktober 1914, Heft 2: Weltwirtschaftsstatistik, von
Dr. V. Furlan. — Weltmarkenrecht und der vorläufige Entwurf eines neuen
deutschen Warenbezeichnungsgesetzes, von (Landgerichtsrat) Dr. Daffis. — Der
Panamakanal in seiner Bedeutung für den Wettbewerb zwischen europäischer
und amerikanischer Schiffahrt, von Dr. R. Hennig. — Der Londoner internationale
Vertrag zum Schutze des menschlichen Lebens auf Sce vom 20. Januar 1914,
von Max Deckinger. — Der Zollkrieg zwischen Frankreich und der Schweiz in
854 Die periodische Presse Deutschlands.
den Jahren 1893—1895, von Dr. Grete Eysoldt. — Die Mosel- und Saarkanali-
sierung in ihrer Bedeutung für das westeuropäische Wirtschaftsleben, von Dr.
Kreuzkam. — etc.
Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr-
gang 14, Oktober 1914, No. 17: Geltendmachung von Entschädigungsforderungen
für Kriegsverluste. — Zum französischen Handelskrieg. — Die Aufhebung der
Kapitulationen in der Türkei. — etc.
Bank, Die. Oktober 1914, Heft 10: Die Ausschaltung Londons als Clearing-
haus der Welt, von Alfred Lansburgh. — Grundgedanken einer genossenschaft-
lichen Hilfsaktion, von (Justizrat) Prof. Dr. Hans Crüger. — Die Mobilmachung
der Worte, von Dr. Felix Pinner. — Gedanken über die Milliardenanleihe, von
Alfred Lansburgh. — Kriegsschutz der Hypothekenforderungen, von Ludwig Esch-
wege. — Die Deutsche Reichsbank als Kriegsbank. — Der Krieg und die Banken.
— etc.
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, 1914, No. 10: Die Gemeinden und
der Krieg: In welchem Geiste sollen wir in der Kriegszeit die Kommunalwahleu
tätigen?, von (Stadtverordneten, Landesrat) Clemens Adams. — Leistungen der
Städte aus Anlaß des Krieges: Unterstützung der Kriegerfamilien, Unterstützung
städtischer Angestellter und Arbeiter, Fürsorge für Arbeitslose und sonstige
Erwerbslose, Kreditfürsorge, sonstige Maßregeln aus Anlaß des Krieges. — Kriegs-
fürsorge für minderbemittelte Mieter und Hausbesitzer. — etc.
Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, 1914, No. 17—20: Die Mobil-
machung der Vereine und Kammern. (Merktafel für vaterländische Mitarbeit.)
— etc.
Export. Jahrg. 36, 1914, No. 42—46: Weshalb die Deutschen im Auslande
unbeliebt sind? (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf!
(Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Der skandinavische Norden und der Krieg.
— Die Verlängerung des Wechselprotestes. — Das asiatische Problem und der
Weltkrieg, von Dr. Freiherr v. Mackay. — Englisch-amerikanischer Handelskrieg,
von O. Sperber. — Die Behinderung der Schiffahrt zwischen Deutschland und
Amerika — etc.
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 42: Amerika rührt sich, von Hugh
P. Hugh. — Patentkrieg, von Arved Jürgensohn. — etc. — No. 43: Marokko —
der Pfahl im Fleische Frankreichs, von Dr. J. v. Bülow. — etc. — No. #:
Barbarenpresse. — etc. — No. 45: Türke, wehre dich!, von Spectator. — Des
englischen Schatzkanzlers Lüge, von H. F. Crohn. — etc. — No. 46: Englands
Seele, von Spectator. — etc.
Jahrbücher, Preußische. Bd. 158, November 1914, Heft 2: Koalitions-
und Gewerkschaftsprobleme, von Prof. Dr. Heinrich Herkner. — Kriegsverschollen-
heit, von (Amtsgerichtsrat a. D.) Dr. Felix Freudenthal. — Vom künftigen Staats-
anwalt, von Julius Dankwerth. — Das englische Weltreich, von H. Delbrück.
— etc.
Kultur, Soziale. Jahrg. 34, November 1914, Heft 11: Caritashilfe in der
Seelsorge, von Prof. Dr. Wilh. Liese. — Urstoffgewinnung (Jagd, Fischerei und
Bergbau), von (Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — Die internationalen Be-
strebungen der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der sozialen Hygiene, von
Marg. Weinberg. — Landreform in Norwegen, von Pudor. — etc.
Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 20, 1914, Heft 19: Die Kriegstagung
des preußischen Landtags, von Paul Hirsch. — Der Krieg und das britische Welt-
reich, von Dr. Ludwig Quessel. — Englands wirtschaftliche Kriegführung, von
Max Schippel. — Deutsche Kulturarbeit, von Robert Schmidt. — Der Krieg
und die Frau, von Wally Zepler. — etc.
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, November 1914,
No. 8: Der Siegespreis und seine Gefahren, vom Herausgeber. — Die Zukunft
Belgiens, von Kurd v. Strantz. — Die Gefahren der oberen Volksschichten in
rassenhygienischer Beziehung und Vorschläge zur Abhilfe (Forts.), von Erich
Weißenborn — etc.
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1659: Mäßigung, von
W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XIII), von Robert
Franz. — Hausbesitzer und Hypothekenbanken während des Krieges. — etc-
— No. 1660: Ueberschuldete städtische Mietshäuser. — Die deutschen Banken
Die periodische Presse Deutschlands. 855
im Jahre 1913 (XIV), von Robert Franz. — etc. — No. 1661: Die deutsche
Kulturaufgabe, von W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XV),
von Robert Franz. — Die Geschäftslage der Hypothekenbanken. — etc. —
No. 1662: Unser Verhalten gegenüber unseren Feinden, von W. Christians. —
Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XVI), von Robert Franz. — etc. —
No. 1663: Im Kriege. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XVII), von
Robert Franz. — etc.
Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 43/44: Devisenangst. — Mietsnöte, von Hans
Goslar. — etc. — Heft 45/46: Truggold. — Das moderne Aegypten, von Friedrich
Frauenstein. — Abbau des Kursniveaus, von OG B. — etc.
Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Oktober 1914, No. 10: Staats- und
völkerrechtliche Stellung besetzter und eroberter Gebiete, von (Geh. Rat) Prof.
Dr. Adolf Arndt. — Die deutschen Aktiengesellschaften in den letzten Friedens-
jahren, von (Reg.-Rat) Dr. Ewald Moll. — Der gewerbliche Rechtsschutz in
Deutschland während des Krieges, von (Reg.-Rat) Dr. Rathenau. — Der Krieg
und der Schutz der deutschen Arbeitskraft, von Dr. Roland Behrend. — etc.
— No. 11: Politische Ideale der deutschen Zukunft, von Prof. Dr. Hermann
Oncken. — Unser Kriegsgeld, von (Geh. Finanzrat) Dr. Ernst Springer. — Ueber
Moratorien, von (Kommerzienrat) Max Richter. — Wie bewährt sich die Ge-
schäftsaufsicht?, von (Justizrat) Dr. Hugo Cahn. — Die finanzielle Kriegs-
rüstung Deutschlands und seiner Gegner, von Dr. jur. W. Peters. — etc.
Revue, Deutsche. Jahrg. 39, November 1914: Italien und der Dreibund,
von Dr. Benedetto Cirmeni. — Von Krieg und Politik, von Prof. Dr. Schiemann.
— Frankreichs Volks- und Verkehrswirtschaft und der Krieg, von (Ministerialrat)
v. Völcker. — Ernährung, Nahrungsbedürfnis und Nahrungsversorgung im Frieden
und im Krieg, von (Geh. Medizinalrat) Prof. Dr. C. A. Ewald. — Italien und
das europäische Gleichgewicht, von Philipp Hiltebrandt. — Die Wissenschaft und
der Krieg, von Prof. Dr. Lammasch. — Einige Bemerkungen zur Erneuerung
unserer Handelsverträge, von (Wirkl. Geh. Rat) Dr. v. Koerner. — Welchen
Schaden haben die Franzosen von jeher Elsaß-Lothringen zugefügt?, von M. v.
Köller. — Echtes Völkerrecht, von Prof. Dr. Th. Niemeyer. — Die italienische
Neutralität, von T. Galimberti. — Die Rumänen in der europäischen Völker-
gemeinschaft, von (kgl. rumän. Ministerpräs.) Demeter A. Sturdza. — cte.
Rundschau, Deutsche. November 1914: Die wirtschaftlichen Voraus-
setzungen des modernen Krieges (I), von Friedrich Lenz. — Körperliche und
sittliche Kraft im Kriege, von Adolf Strümpell. — Englands Politik und seine
Streitmacht zu Lande, von Wolfgang Michael. — etc.
Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 20: Die Tätigkeit der technischen
Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften neben der Betriebsüberwachung und
die besonderen dienstlichen Aufträge. — etc. — Heft 21: Die Tätigkeit der
technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften neben der Betriebsüber-
wachung und die besonderen dienstlichen Aufträge (Forts.). — Zur Durchführung
der Unfallverhütungsvorschriften. Vortrag, von (Obering.) Georg Nettebohm.
— etc.
Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 4,
November 1914, Heft 11: Städtische Fleischverkäufe in Straßburg i. Els., Nürn-
berg und Karlsruhe, von Dr. Ehrler. — Verhältnis zwischen Einkommen und
Wohnungsmietpreis. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom
Kaiserl. Statist. Amte. Jahrg. 23, 1914, Heft 3: Dampfkesselexplosionen 1913.
— Schaumwein-Erzeugung und -Besteuerung 1913. — Konkursstatistik für 1913.
— Zur Statistik der Preise (Viehpreise, Fleischpreise in vier englischen Städten).
— Die Bestands- und Kapitalsänderungen der deutschen Aktiengesellschaften und
Gesellschaften m. b. H., 2. Vierteljahr 1914. — Halbjahrsausweise der deutschen
Hypothekenbanken (1. Halbjahr 1914). — Herstellung und Besteuerung von Zünd-
waren und Leuchtmitteln 1913. — Streiks und Aussperrungen. (Vorläufige Ueber-
sicht. 2. Vierteljahr 1914.) — Anbauflächen der hauptsächlichsten Fruchtarten
im Juni 1914. — Schlachtvieh- und Fleischbeschau, 2. Vierteljahr 1914. —
Herstellung und Besteuerung von Zigaretten, Zigarettentabak und Zigaretten-
hüllen 1913. — Tabakbau und Tabakernte 1913. — Die Ergebnisse der deutschen
Produktionserhebungen. — Produktion der bergbaulichen Betriebe im Jahre 1913.
856 Die periodische Presse Deutschlands.
— Die Eheschließungen, Geborenen, Gestorbenen und der Geburtenüberschuß im
1. Vierteljahr 1914. (Vorläufige Ergebnisse.) — etc
Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 20: Die Steuer-
reserven in Deutschland und England, von (Unterstaatssekretär z. D.) Prof. Dr.
Georg v. Mayr. — Kriegsbilder vom Geld- und Kapitalmarkt. — Deutsches
Zahlungsverbot gegen Großbritannien. — etc. — No. 21: Krieg und Wirtschaft.
etc. — Beilage: Handelshochschule und Universität in Frankfurt a M., von
Prof. Dr. L. Pohle. — etc.
Zeit, Die Neue. Jahrg. 33, 1914, No. 2: Der Krieg und die Arbeiterver-
sicherung, von Gustav Hoch. — Einige ungedruckte Briefe Lassalles an Marx
(Schluß), von Ed. Bernstein. — Vom Wirtschaftsmarkt. Brot- und Fleisch-
versorgung während der Kriegszeit, von Heinrich Cunow. — ete. — No. 3:
Kriegssitten, von K. Kautsky. — Karl Marx und Friedrich Engels in der zweiten
Phase des Krieges 1870/71, von Ed. Bernstein. — Die internationalen Beziehungen
der Gewerkschaften, von Adolf Braun. — Die deutsche Zuckerindustrie und die
Volksernährung, von Emanuel Wurm. — etc. — Ergänzungsheft No. 20:
Rasse und Judentum, von K. Kautsky. — No. 4: Kriegssitten (Schluß), von
K. Kautsky. — Die finanzielle Kriegsrüstung Rußlands, von Spectator. — Die
internationalen Beziehungen der Gewerkschaften (Schluß), von Adolf Braun.
— Aus Amerikas Arbeiterbewegung, von G. Eckstein. — ete. — No. 5: Militärische
und wirtschaftliche Kraft, von Gustav Eckstein. — Der Krieg und die Kranken-
versicherung, von Eduard Gräf. — Die wirtschaftlichen Wirkungen des Krieges
auf die Schweiz, von Dionys Zinner. — Vom Wirtschaftsmarkt. Der Krieg und
die Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten von Amerika, von Heinrich Cunow.
— etc. — No. 6: Der englische Radikalismus und der Krieg, von Eduard Bern-
stein. — Die kapitalistische Entwicklung Ungarns und ihre Hemmungen, von
Eugen Varga. — Arbeitslosigkeit, Notstandsarbeiten und Arbeitslosenunterstützung,
von Paul Umbreit. — Krankenkassen und Krieg, von Dr. med. Otto Stolz —
Die Gemeindewahlen in Bayern, von M. Blumtritt. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 36, 1914.
Heft 1: Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren gegen Jugendliche, von Prof.
Dr. Karl v. Lilienthal. — Die Merkmale des Verbrechens, von Prof. Dr. A.
Hegler. — Reichsaufsicht im künftigen Strafvollzuge?, von Dr. Gennat. — Die
Rückgabe der in staatlicher Verwahrung befindlichen Gegenstände an den Ver-
letzten, von (Gerichtsassessor) Dr. Max Dreyfus. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 14, No-
vember 1914, Heft 6: Anthropometrie und Lebensversicherung, von Prof. Dr. phil.
Georg Bohlmann. — Gesichtspunkte für die Grenzziehung zwischen Angestellten
und Selbständigen in der Angestelltenversicherung, von (gepr. Rechtspraktikant)
A. Schneider. — Die Gefahrenbeurteilung im Zusammenhang mit der Statistik
bei industriellen Risiken, von Prof. Heinrich Henne. — etc.
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Ok-
tober 1914, Heft 7: Der Krieg und die privatrechtlichen Verhältnisse, von (ord.
Prof.) Dr. H. Rehm. — Der Zuckerhandel in Oesterreich, von Prof. Julius Brabec.
— Kriegsbilanzen und Kriegsdividenden, von (Dozent) Dr. Georg Obst. —
Der Plan eines internationalen Goldclearings (Schluß), von Dr. Walther Conrad.
— etc. — Beiblatt: Die kaufmännischen Angestellten und der Krieg, von
Prof. Dr. Arthur Schröter. — Das Kredit- und Bankwesen in den deutschen
Kolonien (Schluß), von Eduard Ladenburg. — Der stumme Handel und seine
kulturhistorische Bedeutung, von Dr. Richard Hennig. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. ö, 1914, Heft 11: Das System
der ökonomischen Wissenschaften (I), von Andreas Voigt. — Assignaten und
Wechselkurse, von Dr. B. Moll. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfeder-
industrie (IV, Schluß), von W. Th. Linnenkohl. — Aus Deutschlands Gasver-
sorgungsindustrie, von Dr. Ernst Müller. — Die nördlichste Bergwerksstadt der
ee De E. 8. — Staatsschulden und Krieg in Frankreich und England.
— etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena — 472
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